Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das achte und neunte Jahrhundert nach Christus, namentlich aber das neunte, sind für die Entwicklung der Menschheit und für das Christentum als mystische Tatsache ein überaus bedeutsamer Zeitraum. Ein Meer von Blut strömt über die Erde, eine Unruhe ohnegleichen erfüllt die Menschen, neue Völker treten in die Weltgeschichte, Reiche werden gegründet und zerstört, zur Gewalt der Gemeinschaften gesellt sich die rohe Willkür und Schrankenlosigkeit des einzelnen, Dummheit und Niedertracht scheinen die Welt zu beherrschen. Zwischen dem Auftreten der Hunnen (375) und dem Vertrag von Verdun (843) liegt zunächst Alarichs Einfall in Italien und die Eroberung und Plünderung Roms durch diesen merkwürdigen Westgotenkönig; von Rom unabhängig, entsteht in Südgallien und Spanien ein neues Westgotenreich mit Tolosa und später Toledo als Hauptstadt. In Afrika hausen über ein Jahrhundert (vom 5. Bis 6.) die Vandalen, Attila verliert die catalaunische Schlacht; Slawen dringen in die von den Germanen verlassenen Gebiete bis zur Elbe, 476 ruft sich Odoaker zum Beherrscher Italiens aus, Theoderich, der Große, gründet in Italien ein Ostgotenreich (493); 534 zerstört Belisar, der Feldherr Justinians, das Vandalenreich in Afrika und in einem Zuge das der Ostgoten; 568 bis 774 tritt in Italien ein Langobardenreich in Erscheinung, das Frankenreich kommt im 6. Jahrhundert an die Merowinger; 622 flieht Mohammed und gründet durch seine Flucht das Reich des Islam; in der Schlacht bei Xeres de la Frontera (711) stürzt das stolze Westgotenreich in Trümmer; im 8. Jahrhundert gerät das Frankenreich unter die Karolinger, gegen Ende dieses Jahrhunderts wird das Langobardenreich zerstört und die Sachsenkriege beginnen gleichzeitig mit den blutigen und langwierigen Kämpfen gegen Slawen und Avaren. 843, im Vertrag von Verdun, zerfällt das Frankenreich in drei Teile. Die Magyaren brechen in deutsches Land unter fürchterlichen Verwüstungen ein, und vollends das 9. Jahrhundert versinkt in Blut und Feuer, gleichsam als Vorspiel zum zehnten Säkulum, das in der Geschichte als das dunkle Jahrhundert bekannt ist. Von dem esoterischen Hintergrund der Rassen- und Völkerbewegung wird an einer späteren Stelle die Rede sein. Hier mag kurz darauf hingewiesen werden, daß die Geisteswissenschaft im Sinne Steiners zeigt, wie der lemurische Erdteil dank der Umstülpung der ätherischen Sphären und der neueindringenden Bildekräfte durch eine gewaltige Feuerkatastrophe zugrunde ging. Nur ein ganz kleiner Teil der Bewohner dieses Erdteils kam um. Die mosaische Genesis schildert diesen Zustand, hervorgerufen dadurch, daß die Kräfte des chemischen Äthers das Ganze der Erde durchdringen, den Lichtäther überwältigen und die Sphären der Erde sich mit Wasser füllen. Der erste Schöpfungstag erzählt die Ereignisse beim Übergang von der lemurischen zur atlantischen Periode. Wie aus den Kräften der dritten ätherischen Woge die vierte und fünfte entsteht, das zeigt die biblische Genesis in grandiosen Bildern. Die Menschheitsüberreste der lemurischen Zeit zogen sich an einem Flecken der Erde zusammen, der heute vom Atlantischen Ozean bedeckt wird, Atlantis, der heute versunkene Erdteil zwischen Europa, Afrika und Amerika wird von ihnen besiedelt. Um diese Zeit scheiden sich die Menschen nach den Planetensphären in Saturn-, Sonnen-, Jupiter- und Marsmenschen. Die Venus- und Merkurrassen (Malayen und Neger) strahlen nach Asien und Afrika hinüber, indes die Saturn- (Indianer), Sonnen- (und Jupiter-) Rassen, Arier genannt, und die Marsrassen (Mongolen) ihre Anlagen auf dem atlantischen Kontinent entwickelten, bis sie durch die große atlantische Katastrophe (Sintflut) auch von diesem Erdteil vertrieben wurden. Lemurier, Atlantier und Arier sind die drei Wurzelrassen der Menschheit. Jedenfalls hat man die großen Völkerwanderungen des 4. bis 9. Jahrhunderts nur als Folge jener Wandlungen anzusehen, die sich zwischen dem 3. und 4. und dem 4. und 5. Kulturabschnitt vollzogen. Ohne Sinn sind diese grandiosen Platzsuchen und Platzwechsel der Völker keineswegs gewesen, schon deshalb nicht, weil sie mit der Ätherverteilung auf der Erde zusammenhingen, die ohne Zweifel mit geistigen Impulsen in Verbindung stand. Kultur ist in diesen Zeiten ein haltloser Begriff geworden. Im 8. Jahrhundert sind Alcuin und Hrabanus Maurus Wissensträger gewesen, im 9. haben die Griechen nur Photius und Arathas, die Araber Alkindi und Alfarabi und die Juden den Sandju Fajjuni hervorgebracht, indes die Kirche auf Scotus Eriugena, Heiricus und Remigius von Auxerre verweisen kann. Das zehnte Jahrhundert vollends, das dunkle, tritt in den Tabellen der Philosophie als ein weißer Fleck auf, als geistig unbeschriebenes Blatt, darin die »lauteren Brüder«, Alhozen und Avicenna, später Gerbert Sylvester, und Berengar von Tours als bescheidene Eintragungen ihr Leben fristen. Alles geistige Leben scheint sich vom dritten Jahrhundert ab, das als Entstehungsjahr der christlichen Kirche anzusehen ist, um dieses große, seltsame und doch von Leben und Kräften reich durchpulste Wesen Kirche zu gruppieren, das nach und nach die Herrschaft über einen großen Teil der Menschheit an sich bringt. Die Anfänge und Keime der Kirche im sizilischen Römerreich sind ungefähr in den Jahren 180 bis 190 zu suchen; sie umfassen die Gründung von Einzelgemeinden mit monarchischem Episkopat, von denen als die wichtigste und lebendigste Zelle der römische Episkopat (um 150) angesehen werden muß.
Ein Blick auf die Situation der christlichen Kirche bis zum 9. Jahrhundert gibt den geeigneten Hintergrund für das Geheimnis des Grals. Die Anfänge des Christentums reichen ungefähr bis 190, gerechnet von 64, dem Jahre der neronischen Christenverfolgungen. Sechs Jahre später zerstört Titus Jerusalem. Der Beginn des 2. Jahrhunderts (Trajan) bringt neue Prozesse gegen die wunderlichen Schwärmer, die, wie Polykarp, Justin und die lugdunensischen oder die szilitanischen Märtyrer für ihren Glauben sterben. Erweisen sie durch die Tat die Wahrheit ihrer neuen Religion, so sorgen Aristides, Justinus und Tatian dafür, daß es an apologetischen Verteidigern der Christussache nicht fehle, namentlich dort, wo, wie bei Celsus, dem neuplatonischen Eklektiker, eine Rechtfertigung der Vielgötterei versucht wird. Im Mittelpunkte der Kämpfe stehen die Apostel, Propheten und Lehrer aufrecht da, Häupter der ersten katholischen Gemeinden, die in Episcopi, Presbyteri und Diaconi gegliedert, das Leben dieser Gemeinschaften überwachen und regeln. Unter den Einzelgemeinden mit monarchischem Episkopat ragt die römische Gemeinde, wie schon erwähnt, um 150 besonders hervor; sie bildet die Kernzelle des römischen Christentums. Die Bischöfe haben es nicht schwer, als Nachfolger der Apostel aufzutreten, denn sie sind unmittelbar aus dem persönlichen Verkehr mit den Aposteln hervorgegangen. Die ersten Synoden erörtern Fragen des Glaubens als Vorläufer der Konzilien, die zugleich Merksteine der allmählichen Verdunkelung des Christusbewußtseins darstellen. Das Judenchristentum hat mit dem mosaischen Gesetz, das Heidenchristentum mit den orientalischen Mysterien zu kämpfen. Die Apostelzusammenkunft, in Jerusalem (zwischen 44 und 50), die paulinischen Sendschreiben geben ein erhebendes Bild jener bewegten Zeiten. Wie ein letztes Aufleuchten der neuen Christuslehre wirkt die johanneische Literatur. Das Judenchristentum tritt in den Hintergrund, der Gnostizismus (135) schließt die Urgeschichte des Christentums im Römerreiche grandios ab. Auf den Trümmern des Gnostizismus errichtet die Kirche ihren Bau, der anfangs des 4. Jahrhunderts in seinen ersten Anfängen fertigsteht. Schritt für Schritt muß den Mithras- und Osirismysterien der Boden abgerungen werden. Die Kirche beginnt, die Welt zu erobern; noch einmal flackert die Flamme der Christenverfolgungen unter Decius und Valerian auf, die nach 40jähriger Duldung unter Diokletian und Galerius fortgesetzt werden. Den großen, entscheidenden Schritt aber tut Konstantin, der (313) Religionsfreiheit verkündet; er ändert mit einem Schlage die Situation des militanten Christentums. Das Jahr der Religionsfreiheit ist zugleich das Jahr der Heraufkunft des Priesters, der den Eingeweihten verdrängt. Der Chor der Eingeweihten weicht dem Klerus, gegen den sich die Gruppe der Laien deutlich abhebt. Die römische Gemeinde und ihr Bischof erstreiten sich den Vorrang als einzige apostolische Gemeinde des Abendlandes. Die Unordnung der Dinge führt zu Zank und Streit um allerhand Fragen des christlichen Lebens: über das Osterfest, über Kirchenzucht und novatianisches Schisma, und Kyprian prägt das stolze Wort: extra ecclesiam nulla salus (kein Heil außerhalb der Kirche). Ist das Geheimnis der Mysterien auch immer mehr abhanden gekommen und verlorengegangen, so wirken diese doch auf die Erhaltung des christlichen Kults. Theologische Schulen und Richtungen treten auf, Realisten wie Irenäus, Hyppolytos, Tertullian und Kyprian stehen Idealisten wie Klemens und Origines gegenüber; die alexandrinische Katechetenschule und die monarchianischen Kämpfe kennzeichnen die Wehen des neuen Glaubens, doch siegt, leider nur vorübergehend, noch (bis zur Kreuzigung des Mani), die Logoschristologie, durch Namen, wie Sabellius und Paulus von Samosata, und durch Neuplatoniker, wie Plotin und Porphyrius, seelisch und geistig vertreten. Das vierte Jahrhundert (313 bis 381) bringt die Entstehung der römischen Reichskirche von Konstantin bis Theodosius, das fünfte, 381 bis gegen 500, ihren Höhepunkt und Verfall. Konstantin, der das Christentum zur Staatsreligion erhob, nimmt selbst die Taufe an und das Blatt wendet sich unter Konstantins Söhne gegen die Heiden, die bis 361 verfolgt werden, ohne daß der Vorstoß Julians des Apostaten etwas daran ändern kann. Mit Theodosius dem Großen ist der Bau der römischen Staatskirche fertig. Heidentum und Häresie sind entrechtet, der Klerus reißt allenthalben die Macht an sich; Kirchenbauten schießen empor, Liturgie, Heiligen- und Reliquiendienst nehmen ihren Anfang, gegenüber der Ehe, die doch als christliches Sakrament gilt, kommt das Zölibat, zumeist aus Machtrücksichten, zu Ehren. Einsiedler und Klosterbrüder treten in Erscheinung. Das erste allgemeine Konzil zu Nicäa (320) stellt die Gottheit Christi fest, verdammt die Arianer, und die Kirchenlehrer des Orients (Eusebius von Cäsarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Ephraim der Syrier) vereinigen sich mit denen des Abendlandes (wie Hilarius von Poitiers, Ambrosius von Mailand und Hieronymus, der Schöpfer der Vulgata) zum Lehramt über die ganze Christenheit; auf dem allgemeinen zweiten Konzil (zu Konstantinopel), gegen die Mazedonianer gerichtet, wird die Lehre von der Trinität festgelegt. Es beginnt aber, mit dem Höhepunkt der römischen Reichskirche, auch zugleich ihr Verfall, eingeleitet von 481 bis ungefähr 500. In Südgallien, Spanien, Nordafrika und Italien entstehen arianische Germanenkirchen. Der Ausbildung des großen Patriarchats in Alexandria und Konstantinopel. steht die Heraufkunft des Papsttums im Abendlande zur Seite; 484 bis 519 vollzieht sich die erste Spaltung zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche. Augustinus eröffnet den Kampf gegen Donatisten und Pelagianer; der Streit um den Gottmenschen im Orient beginnt, der mit den Namen Kyrill von Alexandria und Nestorius von Konstantinopel verknüpft ist. Das dritte allgemeine Konzil (zu Ephesus, 431) und das vierte (zu Chalzedon, 451) tritt gegen Nestor auf und handelt von den monophysitischen Streitigkeiten, dem chalzedonischen Glaubensbekenntnis und von Eutychos. Der Zeitraum von 500 bis 700 umfaßt den Höhepunkt der oströmischen Reichskirche unter Justinian, ihren Zerfall zur Zeit der Araberstürme, Entstehung, Blüte und Verfall der abendländischen Universalkirche der Karolingerzeit und die Zeit der Bilderstürmer im Osten.
Die vollkommene Durchdringung der Kirche mit dem römischen Rechts- und Staatsgeist geschieht unter Justinian, der leider der Abgott auch der Juristen unserer Zeit geblieben ist; wohl gibt es Abschweifungen, wie die nestorianische Kirche in Persien, die monophysitische in Syrien, Ägypten und Armenien, aber was als römische Christusmisson zu den Angelsachsen und Langobarden hinaufgebracht wird, ist stark durchsetzt und durchtränkt mit dem Atem der römischen Staatskirche. Die Episode der Arabereinbrüche des 7. Jahrhunderts nach Jerusalem, Antiochia, Alexandria und Karthago und anfangs des 8. Jahrhunderts auch in das spanische Westgotenreich bleibt ohne Rückwirkungen auf das Gesamtbild der kirchenchristlichen Entwicklung. Die Glanzzeit der byzantinischen Staatskirche bedeutet zugleich die Vollendung des Cäsaropapismus; das Mönchtum erblüht im Orient, in Italien gründet (529) Benedikt von Nursia Monte Cassino, in Irland (Columbe) und Frankreich: gibt es irische und schottische Mönche in Menge. Gregor der Große, der die Brücke vom 6. zum 7. Jahrhundert bildet, entwickelt die Messe und den Kirchengesang, aber die Harmonie der inneren Erleuchtung ist längst den Disharmonien heftiger Streitigkeiten gewichen; mit dem Patriarchen von Konstantinopel hadert Gregor über den Titel eines ökumenischen Patriarchen; das fünfte allgemeine Konzil zu Konstantinopel läuft Sturm gegen die anchenischen Theologen und die »Sonderlehren« des Origines; mehr als ein halbes Jahrhundert wird vom monotheletischen Streit erfüllt; mit dem Siege Karl Martells über die Araber (732) fällt das letzte Hindernis für die Verweltlichung der Kirche. 756 entsteht der Kirchenstaat auf Grund pippinischer Schenkung, und 860 empfängt Karl der Große aus der Hand Leos III. die Kaiserkrone. Wohl hat es mit dieser Überrumpelung des Kaisers durch Leo III. seine eigene, fast humoristische Bewandtnis (Karl selbst war erstaunt über diese Einlage und machte gute Miene zum bösen Spiel), aber Kirche und Staat bleiben im Karolingerreiche von nun an auf das Engste miteinander verbunden und 719 bis 754 vollendet Bonifatius als Apostel der Deutschen die Romanisierung der deutschen Kirche. Karl der Große, selbst ein tätiger Reformchrist, segelt vornehmlich im Fahrwasser der Kirche. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts vollzieht Nikolaus I. den Bruch mit Byzanz und 896 beginnt die Herrschaft der Pornokratie in Rom. Der große Amalgamierungsprozeß Kirche und Staat ist im 9. Jahrhundert vollzogen. Nichts kann die Verdunkelung des kirchlichen Christentums durch die Verbindung mit Staat und jus romamim, die Verweltlichung und Verzwecklichung des Christusmysteriums in jener Zeit besser beleuchten, als die ökumenische Synode, abgehalten vom 5. Oktober 869 bis 28. Februar 870, auf Befehl des Kaisers Basilius. In den alten Kulturreligionen findet man, übereinstimmend, die Gliederung des Menschenwesens in Leib, Seele und Geist, in den alten Mysterien gehört der Geist zu den Grundbestandteilen der menschlichen Wesenheit. Das römische Kulturvolk wußte mit diesem Bestandteil wenig anzufangen; es hielt auf Vernunft und Verstand, aber das Wissen um den Geist ging dieser Kultur verloren, weil das römische Menschheitsideal durchaus auf das Irdischpraktische gerichtet war. Mit dem Römertum gab die Kirche den Geist auf, der, noch bei den Gnostikern wohl gehütet und gepflegt ward. Steiner hat gezeigt, daß auch die ersten Kirchenlehrer (Clemens Alexandrius und dessen Schüler Origines, ja auch Irenäus und Tertullian am Geiste festhielten, indes Epiphanias, Augustinus und die Späteren für die lebendige Natur des Geistigen kein Verständnis mehr zeigen. Schon darin, daß die römische Kirche den heiligen Geist vom Vater und vom Sohne ausgehen läßt, während die orthodoxe den heiligen Geist nur vom Vater herleitet, tritt die Verwirrung in der Geistfrage deutlich zutage (Vater = Sohn und Geist, gegen Vater, Sohn: Geist). Im Streite mit Photius war das Konzil dazu berufen, zu den Lehrsätzen eines Patriarchen Stellung zu nehmen, insbesondere zu dem einen, daß nur die niedere Seele des Menschen zu sündigen imstande sei, aber nicht seine Vernunft. Das Geistige im Menschen sei göttlichen Ursprungs und darum keiner Sünde fähig. Der Beschluß des Konzils, das diese Lehre verwirft, geht mit einer bewußten Verzerrung des Tatbestandes einher; das Konzil erklärt, schon das alte und das neue Testament lehre, daß der Mensch nur eine verstehende und vernünftige Seele besitze, was alle gottesgelehrten Väter und Lehrer der Kirche bestätigt hätten. Die Unwahrheit dieser Behauptung liegt kraß zutage. Im Paulusbrief an die Korinther heißt es: »Ein seelischer Mensch nimmt nicht an, was vom Geiste Gottes ist ... der geistige Mensch ergründet alles, er selbst aber wird von niemandem ergründet«. An anderer Stelle (1. Thessalonicher, 5, 23) unterscheidet derselbe Apostel ganz deutlich Pneuma, Psyche und Soma, und im Hirtenbrief (4, 12) wird vom Logos gesagt, er dringe, schärfer als ein zweischneidiges Schwert, bis in die Fuge zwischen Seele und Geist (pertingens usque ad divisionem animae ac spiritus). Wohl wird die Abschaffung des Geistes in der menschlichen Trinität nicht offen ausgesprochen, aber in jenem Beschluß tritt unzweideutig zutage, daß die alte Lehre Platons, der Gnostiker und der Manichäer von der Dreigliederung in Leib, Seele und Geist, bis ins vierte Jahrhundert hinein allgemein gültig, aus der Welt geschafft werden sollte. Das genügte in der Theorie, die bloß die Lehre von den zwei Seelen zu bekämpfen vorgab, vollkommen, um in der Praxis die Eliminierung des geistigen Prinzips im Menschen zu bewirken. Die Kirche, des geistigen Impulses glücklich ledig, geriet von da ab immer mehr und mehr ins materialistische Fahrwasser, worin ihr später namentlich die Jesuiten behilflich gewesen sind. Mit der Ausschaltung des Geistes war die Situation geklärt: der Leib des Menschen gehörte der Wissenschaft, die Seele der Kirche. Von der Kirche floß dieser materialistische Zug in die Naturwissenschaft und Philosophie, wozu wiederum der Protestantismus behilflich war. Die Abschaffung des Geistes ward zum Ausgangspunkt für die Etablierung des egoistischen Christentums (Schwelgen in Gefühl und Privathoffnungen auf das Jenseits), das heute sogar schon zur Ausladung der Seele aus dem Wesen des Menschen geführt hat.
Der Leser sieht wohl ein, warum es nötig war, einen eiligen Rückblick auf die ersten neun nachchristlichen Jahrhunderte zu werfen; nur an diesem Hintergrund läßt sich die Idee des Grals und des johanneïschen Christentums, wie es später in den Rosenkreuzern auflebte, rein und klar erfassen. Aus der Darstellung des Entwicklungsprozesses, dem das Christentum der herrschenden Staatsreligion in den Jahrhunderten V bis IX verfiel, ergibt sich von selbst, daß, abseits von diesem offiziellen Christentum in vielen Geistern jener Zeit das lebendige Bewußtsein vom kosmischen Sinn des Mysteriums von Golgatha lebendig blieb. Die ungeheure Szene der Kreuzigung mit allen ihren irdischen Episoden und gleichzeitigen himmlischen Erscheinungen, wirkte in lebendigen, von Christus durchpulsten Geistern weiter und bewahrte ihnen, dank der Erschütterungen ihrer Seele, das lebendige Bewußtsein dafür, daß die höchste Weisheit und die »kühnsten Gefühle« der Hingebung nicht hinreichen, Tragweite und Bedeutung des Christusereignisses zu erfassen, noch, daß auch die höchste Einsicht allein genügte, das Mysterium von Golgatha in einem würdigen und angemessenen Kult zu Verewigen. Die Leidensgeschichte Christi, vom heiligen Abendmahl beginnend, war erleuchteten Geistern in gewaltigen Imaginationen gegenwärtig; es galt, dieses höchste Geheimnisgut für alle Zeiten und für die Menschheit der Zukunft fern vom Interessengetriebe der Kirche, rein und unverfälscht zu bewahren. Barg das Mysterium des Abendmahles im Brot und im Wein den tiefsten Sinn des Christusereignisses, so war damit zugleich etwas davon berührt, was nicht mehr dem physischen Bereich angehört, sondern im Überirdischen spielt. Der Leib und das Blut des Herrn: von diesen Imaginationen strahlte eigenes Licht auf gewisse Seelen, deren Erinnerung an das Mysterium von Golgatha lebendig geblieben war. Im Brot verbarg sich das Spiel der himmlischen Kräfte, die zur Erde hinabsteigen und hier die Vegetation hervorrufen, die aber zugleich auch einen Bestandteil des körperlichen Menschen bilden, im Wein aber das Geheimnis des heiligen Blutes des Erlösers, vergossen auf Golgatha, als der menschlichen Wesenheit Ureigenstes und Geheimnisvollstes. Die Erkenntnis des Abendmahlmysteriums, des Ölbergerlebnisses und die Kreuzigung bilden die drei Grundbestandteile dessen, was unter dem erhabenen Namen des Grals zu verstehen ist. Man erinnert sich, daß in den Evangelien, bei der Passion des Herrn und bei der Auferstehung, neue Persönlichkeiten auftauchen: Simon von Kyrene, Josef von Arimathea und Nikodemus. Das größte und geheimnisvollste aller Dramen: der Tod Gottes auf der Bühne der Erde, das Drama des Menschensohnes und Erlösers auf Golgatha, führt in sieben Stufen zur Höhe: in Fußwaschung, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzigung, Grablegung, Auferstehung und Himmelfahrt. Aus der Mitte zwischen den drei mikro- und den drei makrokosmischen Stufen ragt einsam das Kreuz empor, das Geheimnis des Menschen, der, wenn er die Arme ausbreitet, selbst ein Kreuz darstellt, die Rune der Menschengestalt, erhalten im Tao des ägyptischen Kulturkreises. Nach der dritten Stufe erscheint Simon von Kyrene, der dem Christus das Kreuz tragen hilft, nach der vierten Josef von Arimathea, der den Leib des toten Erlösers vom Kreuze herabnimmt. Beide treten neu zum Christusdrama hinzu. Sie sind zugleich Vermittler einer großen Botschaft an die ganze Menschheit: Kreuztragen und Kreuzlösen sind in das Geheimnis der Menschwerdung eingeflochten für alle Zeiten. In der Kreuztragung offenbart der Mensch den heimlichen Willen, sein Karma zu tragen (nicht das eigene Kreuz trägt Simon von Kyrene, sondern das des Christus Jesus), in der Kreuzesabnahme aber, in der Lockerung vom Todesholze, bekundet er das Wissen darum, was den Menschen vom Tode loslöst und freimacht für das Einswerden mit der Welt im kosmischen Bewußtsein. Die Kreuztragung birgt den tieferen Sinn des persönlichen religiösen Lebens, die Kreuzabnahme aber den der Kommunion und des sakramental religiösen Daseins. Josef empfängt den Leib und das Blut des Herrn: er wird zum Urbild heiliger Empfängnis. Josef von Arimathea kommt in allen vier Evangelien, Simon von Kyrene nur in den ersten drei Evangelien vor; das Johannesevangelium aber nennt statt des Simon von Kyrene den Nikodemus, der dem Josef von Arimathea bei der Kreuzesabnahme, Balsamierung und Grablegung behilflich wird; es war Nikodemus, in dessen Haus das heilige Abendmahl stattfand. Im Folgenden wird von diesen Zusammenhängen mit dem Gral noch ausführlicher gesprochen. Abendmahl, Kreuzigung und Kreuzabnahme sind wichtige und grundlegende Elemente des Gralsgeheimnisses. Der Mensch muß eindringen in das Geheimnis des Brotes, eindringen in das des Blutes. Orientalische Weisheit und europäisches Fühlen sind darin vereinigt. Vergeblich sucht man dieses Geheimnis auf Erden: »unnahbar Euren Schritten steht eine Burg, die Montsalvat genannt«. Es ist kein Zufall, daß man die irdische Gralsburg, ein Spiegel- und Abbild der himmlischen, in Spanien zu suchen hat, das dem Arabismus, dem abstrakten Denken (auch in der Medizin und in der Astronomie), so lange offenstand. Von den Arabern und Mauren, deren Phantasie noch mit Verstand durchsetzt ist, kann keiner die Gralsburg finden; man muß das Geheimnis des Brotes und des Blutes kennen, um den Tempel zu erreichen, den Titurel auf dem Montsalvat schuf, um eine würdige Stätte für die Schale zu finden, darin Josef von Arimathea das Blut des Erlösers auffing; Engel hielten diese Schale in jenen Sphären hoch, ehe der Tempel errichtet ward. Dieser Tempel, er ist, zum Unterschiede von der offiziellen römischen Kirche, eine unsichtbare, eine übersinnliche Kirche, niemandem zugänglich, der die inneren Voraussetzungen, ihn zu finden und zu schauen, nicht in sich trägt. Je schwächer die Menschheitsmusik erklang, die in das Mysterium von Golgatha floß, je dunkler es um dieses Mysterium wurde, desto reiner und heller, aber nur den Eingeweihten hörbar und sichtbar, strahlte der Gral durch die Nacht der Zeiten. In einem Zeitpunkt, da die offizielle christliche Kirche schon tief verstrickt war in die Händel und Streitigkeiten dieser Welt, in einem Augenblick, da die Scholastik emsig dabei schien, das Mysterium von Golgatha in Dogmen, Auslegungen und philosophischen Betrachtungen gleichsam für den Verstand zurechtzumachen und den Einklang des Christus mit der antiken Welt nachzuweisen, begann, was, heute noch, als Gralssuche auf Erden bekannt ist!
Der Gral, eine Blüte des 8. und 9. Jahrhunderts, einer trüben, blutigen, äußerlich und innerlich gleich unheilvollen Zeit, wird bei Wolfram von Eschenbach ein »Ding« genannt, »ird'schen Segens vollster Strahl«. Die Königin, in arabische Stoffe gekleidet, trug ihn auf grüner Seide in den Saal. Als sie ihn hereingetragen hatte, kamen noch sechs andere Lichter, in denen Balsam brannte, von Jungfrauen getragen. Den Hergang der Zeremonie schildert der Dichter so ausführlich und unter so genauen Zahlenangaben, daß man wohl annehmen muß, besonderer Sinn läge auch darin. Der Gral erscheint in einem von 24 Lichtern gebildeten Kreise, entsprechend den 24 Büchern des alten Testaments und den 24 Ältesten mit den Lilienkränzen, von denen auch Dantes »Fegefeuer« weiß. Steiner erklärt sie als hohe Wesenheiten und Führer der menschlichen Entwicklung, Lenker von 24 Stufen der Weltentwicklung, in der Sprache der Hierarchien Throne genannt. Sie bilden einen Kreis um den Christus, um die Christuskraft des Lammes, und genießen seines seligen Anblickes, ihr Licht aber wird von dem Gral selbst überstrahlt. Es gibt kein Schauen, keine Religion, die vor dem Gral bestehen könnte, denn der Gral faßt sie alle zusammen, auch die vorchristlichen Mysterien. Das Wort selbst stammt, nach Steiner, von gradus und gradalis (stufenweise) und deutet auf die Stufen, welche die menschliche Individualität zwischen Tod und neuer Geburt durchschreitet; dem Irdischen entrückt, kann er nie etwa erstritten und mit Waffen in der Hand gewonnen werden, worin ein leiser Tadel gegen die streitbare Kirche verborgen sein mag. Wolfram stützt sich in seinem »Parsival« auf einen geheimnisvollen Gewährsmann, namens Kiot (Flegetanis), der die Sternenweisheit besaß; nicht in Erden-, sondern in Sternenschrift ist dieses Buch im Original geschrieben. Auch Josef von Arimathea kennt die Sternenschrift und ist Hüter der Geheimnisse. Zwischen den Menschenwegen und Geschlechterzusammenhängen besteht Zusammenhang, der in der Sternenschrift zu erkennen ist, zumal, wenn man in den Mond sieht, dessen Sichel, die heilige Schale des Grals, den matten Glanz des übrigen Mondes trägt, wie eine Sonnenhostie. »Im Gestirn geschrieben fand er den Namen wie er hieß« und im Gestirn geschrieben steht der Name Parceval. Das Geistige des Lichtes dringt durch (perre), indes das physische Licht vom Monde zurückgeworfen wird. Flegetanis, bei Wolfram, spricht nur von den Sternen, er verkündet die Geburt eines Wesens, darin der Sonnengeist Wohnung nimmt. Anders Kiot, Wolframs geheimnisvoller Gewährsmann; er hat in Toledo jüdische Geheimüberlieferungen kennengelernt: die Geschichte des Überganges von der Mondenführung (der Jahvetradition) zur Sonnenführung (zum Christus). Nicht Bileamweisheit war zu erneuern, sondern jene Weisheit, die sich des Bileam als Werkzeug bediente. Man kann, sagt Steiner in seiner »Geheimwissenschaft im Umriß«, das verborgene Wissen, das durch das neuzeitliche übersinnliche Bewußtsein ergriffen wird, und das in der Menschheit immer mehr und mehr, stärker und stärker auftreten muß, die Erkenntnis vom Gral nennen. Die neuzeitlichen Eingeweihten können dar her auch Eingeweihte des Garals genannt werden.« In der Wissenschaft vom Gral führt der Weg in die übersinnlichen Welten, der von Steiner (in jenem Buche) nach seinen ersten Stufen beschrieben worden ist. Unter Gralschristentum versteht man, im Gegensatze zum römischen Christentum, jenes Christentum, das Hugo von Tours, Waldo. v. Reichenau und Graf Matfrid von Orleans pflegten; verband sich das römische Christentum mit Staat, Politik und weltlicher Macht, so ist das Gralschristentum eine rein menschliche Entwicklungssache; es wendet sich an den Einzelnen! Die Pflege des Grals geschah zunächst in der Gralsburg. Parsifal, der zur Gralsburg ritt, muß die Sternbilder des Tierkreises durchschreiten, von den Zwillingen durch den Krebs zum Löwen, zu Jungfrau, Waage und Skorpion, zu Schütze, Wassermann und den Fischen; in die Burg selbst führen die Kräfte des Widders, ein Geheimnis, das Parsif al anfangs noch nicht durchschaut; zwischen Fischerkönig und Gralsburg gibt es Irrwege genug; lieberfüllt, vom Tale der Demut aus, muß der Gralsucher um Einlaß werben; man kann mit Christian von Troyes in das Blutgeheimnis des Christus, in das Geheimnis der menschlichen Leiblichkeit eindringen und dabei ergibt sich ein merkwürdiger physiologischer Symbolismus. Die feinsten Essenzen und Substanzen der Speisen werden dem Gehirn zugeführt, das in der felsigen Kapsel des Kopfes, eingeschlossen von den Schläfenwänden, ruht. Auch der Kopf mit seinen Schläfenwänden ist eine Gralsburg im engsten Sinne. In der Gralsburg selbst aber erlebt Parsifal zunächst eine große Enttäuschung; der Hüter des Grals, am mittleren von drei Feuern sitzend, ist krank: er kann den Prozeß seiner inneren Entwicklung nicht zu Ende führen. Mit dem leuchtenden Rubin, der auf das Organ der höchsten, der intuitiven Erkenntnis hindeutet, wird die Stufe (symbolisch durch die rote Farbe) bezeichnet, die der kranke Amfortas nicht erreichen kann. Hier nun setzt das Mysterium der blutigen Lanze ein; als Speer sichtbar, ist sie die Ursache des Leidens der Gralsritter; sie deutet auf die Kräfte, die die höhere Entwicklung des Menschen ertöten, und gemeint sind damit die Kräfte des Saturn. Mit der Lanze hat es eine eigene Bewandtnis: bei Wolfram eine Imagination, innerhalb der Schauungen Parsifals, ist sie zugleich ein wirklicher, physischer und historischer Gegenstand: die Lanze, mit der Hauptmann Longinus dem Christus am Kreuze die Seite durchstach. Im Urbeginn des Gralsgeheimnisses steht also das Gralserlebnis (wohl erst um 1180 exoterisch sichtbar gemacht, aber doch schon im 8. und 9. Jahrhundert von einzelnen Seelen erlebt). In der Lestoire del Saint Graal wird erzählt, daß 750 n. Chr. (717 nach der Passion) in der Nacht vom Gründonnerstag auf den Karfreitag ein Eremit in seiner Einöde, der am Geheimnis der Dreieinigkeit zweifelte, eine Vision erlebte; es erschien ihm der Erlöser und brachte ihm ein großes Buch, darin der Eremit zunächst seinen Stammbaum und dann die Geschichte des heiligen Grals las. Gralserlebnis ist ferner auch die um das 8. und 9. Jahrhundert entstandene Legende vom heiligen Blut zu Reichenau. Es gibt aber späterhin noch viele andere Arten der Begegnung mit dem Gral.
Faßt man zusammen, was unsere Zeit zur Erkenntnis des Grals zugebracht hat, so ergibt sich, daß es vor Steiners Geisteswissenschaft keine wahre Einsicht in das Wesen des Grals gegeben hat und geben konnte. Vergeblich haben sich gewissenhafte Forscher aus dem Lager der Philologie, der Philosophie und der Religionswissenschaft bemüht, die verschiedenen, allen Kulturkreisen zugehörigen Elemente des »Dinges, das der Gral heißt«, zu einem Gesamtbild zu vereinigen. Das Ergebnis der Forschungen des 19. und 20. Jahrhunderts, soweit sie von seiten einer sogenannten exakten Wissenschaft unternommen worden sind, kann wohl, bei aller Wertschätzung des aufgewendeten Fleißes, gleich Null gesetzt werden. Mit Recht sagt Uehli in seiner »neuen Gralssuche«, zu den Bildekräften der Sage vom Gral sei diese (die exakte Wissenschaft) nicht vorgedrungen und weder über die Herkunft noch über das Wesen des Grals habe sie sichere Aufschlüsse zu geben vermocht; die letzten Dezennien der Gralsforschung hätten vielmehr chaotische Zustände hervorgerufen, und um das Wunder des Grals kennenzulernen, müsse man den Bau selbst betreten. Im Glanz des Grals entfaltet sich die volle Tragik der Menschheit und ihrer bisherigen Entwicklung; seine Vorgeschichte greift zurück auf die okkulte Schöpfungsgeschichte (was sich auch in den starken alchimistischen Durchsetzungen des Gralsproblems offenbart) und darin besonders auf die schauerlich erhabene Episode des Falles der sündigen Engel, untergeordnet unter die dramatische Überschrift »Luzifers Sturz«. Ein Engel aus hohen Sternenregionen, das feurige Schwert in der Hand, steigt in einem bestimmten Augenblick der Schöpfung der Tiefe zu; die in der Schlacht besiegten stürzenden Geister bringt Michael unter seine Füße: Luzifer, den Lichtträger und eine ganze Corona ihn begleitender Wesenheiten, die die Krone Luzifers bilden. Michael schlägt mit seinem Flammenschwert einen Geist von erlösender Kraft, den Weltenlogos, den Christusengel, aus der Krone Luzifers, ihren schönsten Edelstein, der auf diese Art zu den Menschen kam, zum Gefäß geformt und bestimmt, Christi Blut in sich aufzunehmen. Als Luzifer zur Hölle niedersauste, nahm der Mensch seinen Anfang, mit dem gestürzten Lichtengel in seinem inneren Wesen verbunden. Vom Sturz der dunklen Engel datiert der Kern des Gralsimpulses; er wurzelt in der Vorstellung eines Sonnengeistes, der herabsteigt, den Menschen beizustehen und sie zu erlösen. Der Keim des Grals aber ruht zunächst in den alten Mysterien. Deutlicher als in der indischen Epoche, deren Vorläufertum in bezug auf den Christus schwerer zu durchschauen ist, tritt das Sonnenhafte des Grals im persischen Kulturkreis zutage. Kein Volk, keine Kultur der Erde war so ausgezeichnet geeignet, den Christus zu verstehen, wie das persische. Der Perser erkannte das Wesen des Sonnenhelden in seinem Ormuzd, den die 12 Amshaspands umgaben, wie die 12 Apostel den Christus Jesus. Als erneuert scheint später das persische Element im Christusimpuls durch Manes, einem hohen Eingeweihten, der, als ein Sendbote des Christus, »gewaltiger war als Zarathustra und Buddha«! Auf andere Art ist das Gralsgeheimnis mit dem mystischen Judentum verbunden. Der geniale W. J. Stein in seinem herrlichen Buche über das 9. Jahrhundert deckt diese Zusammenhänge auf, indem er das Gedicht vom Wartburgkrieg heranzieht, das einen hohen Eingeweihten zum Verfasser hat. 1200 Jahre vor dem Christus weissagt (und da ist eigentlich die erste, greifbare Kunde vom Gral zu suchen) König Hiram, »einer Witwe Sohn aus dem Hause Naphtali und eines Mannes von Tyrus«, die »Geburt eines Kindes«, das »alle Juden von den Ehren stieß«, womit keineswegs ein antisemitischer Ausfall, sondern bloß eine mystische Formel gesetzt wird, nämlich die Feststellung, daß der Christus Jesus das mosaische Gesetz aufhob und ein neues für alle Menschen an dessen Stelle setzte. Daß mit diesem Kind das Jesuskind gemeint ist, darüber kann kein Zweifel bestehen. Jesus selbst ist der Gral: er ist das Gefäß, darin das Blut des Christus zu suchen ist. 1200 Jahre vor Christus führt der Manetho Osarsiph (Moses) das jüdische Volk gegen Kanaan, den Mondgott Jehovah verkündend, ohne zu wissen, daß ihm Christus voranzieht, als Wolke bei Tag, als Feuersäule bei Nacht. Die Führung Mosis dauert, solange das Manna reicht; dann übernimmt Josua (Jehoschua) die Führung, ein Name, der soviel wie Jesus bedeutet. So vollzieht sich der Übergang von Jehova zu Jesus und das alte Testament geht in das neue über. In diese Zeit des Übergangs von der Monden- zur Sonnenführung fällt nun auch die Christusprophezie des Bileam, dessen Geschichte das 4. Buch Mosis erzählt: »Ich werde ihn sehen«, sagt Bileam, »aber nicht jetzt; ich werde ihn schauen, aber nicht von nahe; es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Szepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter und verstören die Kinder Seths, du aber, Kain, wirst verbrannt werden.« Bileam, dazu bestimmt, Jsraël zu fluchen, segnet Jsraël, den Christus verkündend. Michael stellt sich ihm entgegen; die Eselin erkennt ihn und beugt ihr Knie (auf einer Eselin reitend zieht Jesus in Jerusalem ein) vor ihm; auch Bileam erkennt ihn zuletzt, er ist aber ein Mensch, der für Geld weissagt, und darum tötet ihn Pinchas, der, nach jüdischer Überlieferung, einst als Elias wiedergeboren wird, mit der Lanze, aber durch Bileam spricht Hosea – Josua, der Namensträger Jesu. Josua sendet dem jüdischen Volke seinen Segen, wie Hiram den Gral durch die Königin von Saba an Salomon sendet. Jede Entwicklung, so führt die Blavatsky in der »Entschleierten Isis« aus, geht durch zwölf Verwandlungen: durch sechs zum Prozesse der Verdichtung (Vererdlichung) und durch sechs zur Vergeistigung; das Zeichen der Waage hält diesen beiden Verwandlungsgruppen das Gleichgewicht, worin sich die besondere Stellung des Patriarchen Henoch ausdrückt. Dem Propheten Henoch entspricht in der christlichen Ausdrucksweise der Christus Jesus. So umschließt der Gral gleichsam das gesamte Geheimnis der Schöpfung, die alten Kulturen, das Christentum und die Zukunft. Daß der Gral keineswegs eine Sache verflossener Zeiten ist, sondern »aktueller« denn je, weil gerade in diesem Augenblick der Menschheitsentwicklung, das Gralserlebnis allen die Rettung aus der Nacht und Finsternis unserer Zeit bringen kann, ist schon gesagt worden, und als erhabenes Beispiel solcher Gralssuche sind die Rosenkreuzer unumgänglich, von denen im folgenden gesprochen wird.
Im Vorwort seines berühmten Romans »Zanoni« läßt Bulwer, der ohne Zweifel ansehnliches Wissen um die alten Geheimnisse besaß, den seltsamen Buchhändler in der Nähe von Covent Garden einen Lichtstrahl auf jene »erhabene Bruderschaft« fallen, die ihre »wirklichen Lehren« der Welt nur in dunklen Andeutungen und »mystischen Parabeln« mitgeteilt hat. »Wer anders, als ein Rosenkreuzer«, so fährt der wunderliche Schwärmer fort, »könnte die Geheimnisse der Rosenkreuzer erklären, dieser »eifersüchtigsten unter allen geheimen Gesellschaften?!« Über das Wesen dieser erhabenen Bruderschaft befragt, lüftet der Buchhändler einen Zipfel des Schleiers; er spricht von ihrer strengen Befolgung der moralischen Gesetze, von der brünstigen Glut ihres christlichen Glaubens und nennt sie einen Zweig in ihrer Abkunft nach noch erlauchterer Vorfahren; auf Pythagoras und den Platonikern fußend, zählen sie auch Apollonius von Thyana zu ihren Ahnen. Damit erscheinen die Quellen, aus denen die Rosenkreuzer schöpften, angedeutet, aber auch die Essäer, Therapeuten und Manichäer berührt, ohne daß Bulwer deren Namen nennt. In der Tat sind die Rosenkreuzer eine Erscheinung von altehrwürdigem Ursprung, deren Spuren sich schon im alchimistischen Halbdunkel der Dichtung Konrad Flecks, der Geschichte von »Flore und Blanscheflur«, nachweisen lassen, obgleich, offiziell, erst im 16. und 17. Jahrhundert von Rosenkreuzern gesprochen wird. Es ist schon bemerkt worden, daß gleichwie in der Kabbala und in der Alchimie erst später von den Geheimnissen dieser höchst dunklen Gebiete die Rede ist, auch die Rosenkreuzer, geschichtlich erfaßt, in einen späteren Zeitpunkt verlegt werden müssen, obgleich sie zumindest das Alter der Kabbala und der ersten greifbaren Anfänge der Alchimie in Anspruch nehmen dürfen. Kein Gebiet ist äußerlich verworrener, als dieser ungeheure geistesgeschichtliche Komplex, der das Geheimnis des Grals, der Tafelrunde des Königs Artus, der Alchimie und der Mysterien der großen und kleinen Welt umfaßt. Peukert, der dem rührigen, verdienstvollen, aber leider bloß auf »exakte« Erforscher der Mysterien angewiesenen Verleger Diederichs wohl als ein Eingeweihter erschienen sein mag, gesteht ganz offen, daß er, da die Geschichte des Rosenkreuzertums bedauerlicherweise in fast undurchdringlichem Dunkel liegt, gezwungen war, sich eine eigene Geschichte der Rosenkreuzer zu konstruieren, ein infantiles, völlig nutzloses Beginnen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt sein mußte. White weiß einiges, Jennings ziemlich vieles, Wittemans, ein sehr redseliger belgischer Advokat aber, nur mit größter Vorsicht Verwendbares über die Rosenkreuzer. Maack und Kurtzahn kommen für das Problem überhaupt nicht in Betracht; der erstere hat einen unglaublich pornographisch aufgezäunten Romankohl zusammengeschmiert und später durch Allomatik (eine von ihm erfundene »Wissenschaft«) in Ordnung zu bringen gesucht, letzterer aber, in verdächtiger Übereinstimmung mit Maack und Freudenberg, den Lesern einer kleinen Informationsschrift über die Rosenkreuzer das Märchen aufgebunden, der Name Rosenkreuzer entstamme der Vorstellungswelt der Alchimie und nicht von einem sagenhaften Christian Rosenkreuz, der bloß als bedeutender, an die Öffentlichkeit »getretener« Rosenkreuzer anzusehen sei. Kurtzahn ist bald darauf in der Rolle eines Neugnostikers aufgetaucht, der es, mit den »magischen Briefen« und Saturngnostikern in Verbindung, glücklich bis zum Entwurf eines funkelnagelneuen, halbsatanischen Meßrituales gebracht hat. Läßt Wittemans die Rosenkreuzer um 1378 herum in Erscheinung treten, so unterscheidet Kurtzahn Rosenkreuzer vom 1610 (»vielleicht« bis in das 12. Jahrhundert »zurückzuverfolgen«), wahre Rosenkreuzer von 1610 aufwärts und »neue«, oder »Gold- und Rosenkreuzer«, nach 1610, als »bekannte einheitliche Gesellschaft, die sich »in und um« (!) das 19. Jahrhundert verliert. Erwähnt man noch, daß Buhle und Katscher Zusammenhänge zwischen Rosenkreuzern und Freimaurern aufgezeigt haben, die zum Teile nicht unrichtig sind, daß Semler (1786) viel zur Verwandtschaft zwischen Rosenkreuzern und Alchimie beitrug, so sind, wenn man, vorläufig, von Valentin Andreae absieht, die Hauptschriften über Rosenkreuzertum angeführt. In Wahrheit hat Rudolf Steiner, der selbst von den Schwarzmagiern der neuen Gnosis als der »einzige wirkliche Rosenkreuzer unserer Zeit« bezeichnet wird, volles Licht auch auf dieses grandiose Kapitel menschlicher Geistesgeschichte verbreitet. Was hier über die Rosenkreuzer gesagt wird, stützt sich auf Steiners verstreute Mitteilungen über diesen ebenso erhabenen »als unerhört« tiefgreifenden Gegenstand, doch kann aus bestimmten Gründen nur Allgemeines in Form von Andeutungen gesagt werden, weil es nur in einer Nachschrift existiert, die aus der Zeit der Gründung einer Schweizer Christian Rosenkreuz-Loge stammt und die Frage der Verwendung dieser Mitteilungen Steiners noch nicht geklärt ist. Festgestellt darf in diesem Augenblicke wohl nur werden, daß der Anfang dessen, was man rosenkreuzerische Bewegung nennen kann, in das XIII. Jahrhundert zu setzen ist und daß sich die geistigen Ströme, die von ihr ausgehen, ungefähr alle hundert Jahre als wirksam erweisen. Es ist schon erwähnt worden, wie bedeutsam das 8. und 9. Jahrhundert für die Geistesgeschichte der Menschheit, als eine Zeit der Gralsfindung, gewesen sind. Mit dem XIII. Jahrhundert, das als Ausgangspunkt einer neuen Kultur anzusehen ist, war äußerlich ein bestimmter Tiefpunkt des geistigen Lebens erreicht; selbst Höchstentwickelten schien damals der Zugang zu den geistigen Welten verschlossen. Man geht kaum fehl, wenn man, um alle Vorsicht walten zu lassen, bloß davon spricht, daß damals über einem europäischen Orte eine Art hochgeistiger Gemeinschaft zusammentrat, die man sich am besten nach dem Bilde einer Tafel- und Abendmahlsrunde vorstellen darf: als zwölf Männer, die das gesamte geistige Wissen ihrer Zeit darstellten, indem sie die sieben Strömungen der alten Rishi-Kultur und die Impulse der fünf großen nachatlantischen Kulturen vertraten, so daß in ihnen gleichsam das gesamte atlantische und nachatlantische Wissen vereinigt war. Um einen Ausgangspunkt für eine neue Kultur zu gewinnen, mußte ein Dreizehnter unter diese zwölf Männer treten, so wie eine Kugel nur von zwölf gleichgroßen Kugeln vollkommen verdeckt und nach außen unsichtbar gemacht werden kann. Dieser Dreizehnte, der, ein tiefmystischer Mensch, schon zur Zeit des Mysteriums von Golgatha lebte, war durch weitere von Gott gleichsam gelenkte Wiederverkörperungen zu einer Wiederverkörperung im XIII. Jahrhundert gelangt und wurde von jenen zwölf Menschen erzogen.
Fern von äußeren. Einflüssen wuchs dieser Dreizehnte heran; die Zwölf waren von der Überzeugung erfüllt, daß das Christentum ihrer Zeit bloß ein Zerrbild des wahren Christentums darstelle, indes sie selbst den Christenimpuls in seiner reinsten und erhabensten Form in sich trugen; so erschienen sie denn äußerlich und vor allem in den Augen der offiziellen und staatlich beglaubigten Katholiken bald als Gegner der »christlichen Religion«, der jene gleichsam eine alle Religionen in ihrem Kern vereinigenden Christusreligion entgegensetzten; der Dreizehnte, in dieser Sphäre erzogen, sollte dazu helfen, die erhabenen Prinzipien des Rosenkreuzes im geistigen Leben auszuwirken. Ohne auf die erschütternden und zugleich wahrhaft erhebenden mystischen Vorgänge, die sich damals vollzogen, näher einzugehen, muß abschließend doch gesagt werden, daß jene hohe geistige Individualität, der Dreizehnte, verhältnismäßig jung starb, nach dem er das Geheimnis der christlichen Universalreligion in Form von Imaginationen geoffenbart hatte, Imaginationen, die in den geheimen Figuren der Rosenkreuzer des 16. und 17. Jahrhunderts festgehalten sind. Die zwölf, auch nach dem Tode des großen Führers mit diesem verbunden, indem sie von ihm Inspirationen empfingen, sind als Urheber der rosenkreuzerischen Strömung anzusehen. Schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts inkarnierte sich jener dreizehnte aufs neue und lebte mehr als 100 Jahre auf Erden; auch in dieser neuen Inkarnation ward er durch die Nachfolger und Schüler jener zwölf, wenn auch in anderer, auch weniger weltfremder Weise erzogen. Mit zwanzig Jahren auf Reisen, kam er nach Damaskus, wo sich für ihn zum zweiten Male das Erlebnis von Damaskus wiederholte. Dieses im 14. Jahrhundert reinkarnierte Wesen (der Dreizehnte) war jener »sagenhafte« Christian Rosenkreuz, der als esoterische Verkörperung des exotischen »Dreizehnten« anzusehen ist. Die Schüler des Christian Rosenkreuz sind allein »Rosenkreuzer« zu nennen, zunächst 12 an der Zahl, die mit der rosenkreuzerischen Arbeit begannen. Worin ein Hauptteil dieser Arbeit bestand, davon wird im nachfolgenden Kapitel über die Alchimie ausführlich die Rede sein. Seit dem 14. Jahrhundert kehrt Christian Rosenkreuz, in Zeiträumen von ungefähr 100 Jahren, immer wieder; man findet ihn zum Beispiel im 18. Jahrhundert unter dem Namen eines Grafen von St. Germain, einem Namen, den allerdings auch andere Personen trugen, so daß es nur einen wahren und richtigen, daneben aber etliche falsche Grafen St. Germain gibt. Starke Spuren rosenkreuzerischer Inspiration finden sich auch bei Lessing und Goethe, gleichwie bei wenig bekannten Schriftstellern, wie Wiedemann und Droßbach. Rosenkreuzerarbeit ist, die ätherische Wiederkunft des Christus vorzubereiten und zu ermöglichen. Das eigentliche Wirken des Christian Rosenkreuz beginnt mit dem XIII. Jahrhundert, dauert noch heute an und wird in alle Ewigkeit dauern, nur von zwölfen als solches erkannt, und die Menschen wären gewiß nicht wenig erstaunt darüber, zu erfahren, daß, sofern sie auf besondere Erlebnisse und Vorfälle mystischen Charakters zu achten verstünden, in diesen Erlebnissen und Vorfällen kein Geringerer als Christian Rosenkreuz selbst offenbar wurde. Im Menschheitswirken des Christian Rosenkreuz sind zwei Epochen zu unterscheiden: ein natur- und ein geisteswissenschaftlicher Zeitabschnitt. Der naturwissenschaftliche Unterricht ward in der Form und Gestalt der Alchimie und Astrologie, der geisteswissenschaftliche (Steinersche) wird heute in Form und Gestalt einer Erneuerung des Christentums und alles Geheimwissens erteilt. Die Entwicklung der nächsten 3000 Jahre geht auf die Durchdringung des gesamten religiösen Lebens auf Erden mit dem Christusimpuls und auf das Erleben des Pauluserlebnisses. Nach dieser Zeit soll das eintreten, was die esoterische Tradition den Matreya Buddha nennt. Der westliche und östliche Okkultismus unserer Zeit sind darin einig, daß der Christus Jesus nur einmal im physischen Leben auf Erden erscheinen konnte und daß er im XX. Jahrhundert ätherisch wiederkommt, indes, nach 3000 Jahren, Jehosu ben Padiwa als Matreya Buddha auftritt. Die Entwicklung der menschlichen Dinge tendiert von den Tagen des Kopernikus immer mehr in die materialistische Sphäre. Die kopernikanische Weltanschauung mochte praktisch und bequem sein, richtig und wahr ist sie niemals gewesen. Mit Kopernikus rücken alle wissenschaftlichen Begriffe und das Denken des Menschen ins Unwirkliche, Abstrakte vor, so daß die Frage auftauchte, was mit dem sogenannten Okkultismus weiter zu geschehen habe; am Ende des 18. Jahrhunderts waren die Rosenkreuzer so weit, daß sie zu der Neuordnung der geistigen Dinge im materialistischen Sinne Stellung nehmen mußten. Das geschah nun in jener schon erwähnten Konferenz, in der auch Buddhas Anteil am Christentum wirksam zutage trat, sowie ja Buddhas Geistigkeit in einer Geheimschule des 7. und 8. Jahrhunderts am Schwarzen Meere fortwirkte, deren fortgeschrittenster Schüler als Franziskus von Assissi zur Erde zurückkehrte. Die Zweiteilung der Menschheit in eine Gruppe, die nur im praktischen, dinglichen Fünfsinnensein aufgeht und die andere, die dem Geistesleben hingegeben ist, datiert aus jener Zeit. Für die erstere Gruppe, die zwischen Geburt und Tod steht, kann von der Erde aus nichts geschehen, um so wichtiger ist, daß dem Menschen in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt Hilfe werde; in dieser Zeit wird der Mensch ein Mondwesen, später ein Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter- und Saturnbürger, zuletzt ein Bewohner des gesamten Himmelsraumes; hier lebt er in Vergeistigungen und bringt die Erlebnisse seines Planetendaseins mit auf die Erde herunter. Was nun die Marskultur angeht, die der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt durchlebt, so unterlag sie im XV. Jahrhundert einer großen Krise, die auf dem Mars ungefähr von derselben Bedeutung war, wie das Mysterium von Golgöjha für die Erdenkultur: eine Katastrophe, die sich auf der Erde fast noch stärker auswirkte, als auf dem Mars selbst. In jener Konferenz, die darum wußte, ward beschlossen, was zur Hebung der Marskultur dienen konnte. Im Rahmen einer Darstellung des Eintrittes der neuen okkulten Bewegung in das Geistesleben des Menschen wird von diesem Teil der Rosenkreuzertätigkeit noch die Rede sein. Fürs Nächste aber ist von jener merkwürdigen Episode zu sprechen, die an den Namen des Valentin Andreae anknüpft und die zum großen Teil schuld daran gewesen ist, daß das Rosenkreuzertum eine Zeitlang für eine Mystifikation und Düpierung der ganzen Welt gehalten werden konnte. Wenn die großen Mißverständnisse, an denen die Geistesgeschichte der Menschheit so reich ist, überhaupt auftreten durften, so war das hur dadurch möglich, daß das Rosenkreuzertum selbst solche Verwicklungen zuließ und in gewissem Sinne sogar, zum Heil des Ganzen, in bestimmter Weise förderte.
Soweit auch die Geschichte der rosenkreuzerischen Impulse zurückreicht, im exoterischen Sinne tritt die rosenkreuzerische Welle erst durch einen seltsamen Mann, Joh. Val. Andreae, in Erscheinung. In Herrenberg 1586 geboren und in Stuttgart 1654 gestorben, war er protestantischer Theologe von Beruf, bekleidete hohe Stellungen der Landeskirche und zählte zu den »bedeutendsten und fruchtbarsten Männern des 17. Jahrhunderts«. Unter den zahlreichen Schriften, die er hinterließ, findet man, außer der »Chymischen Hochzeit« (schon 1602 verfaßt, aber erst 1616 gedruckt), zu der er sich selbst bekannte, auch solche, die nicht äußerlich nachweisbar von ihm sind, indes ohne Zweifel auf ihn als Autor deuten: vor allem die »Allgemeine Reformation der ganzen Welt« (1614), dann die »Fama fraternatis plus confessio« (1615), Schriften, die durchwegs ungeheures Aufsehen machten und bis 1624 eine Flut von Streitschriften hervorriefen, die sich sowohl auf die ernsten oder spielerisch-scherzhaften Absichten des Autors bezogen, teils aber auch die Meinung vertraten, es habe von altersher Rosenkreuzer oder es habe überhaupt niemals Rosenkreuzer gegeben, die man dann etwa lediglich als eine Erfindung Andreaes anzusehen hätte. Äußerungen, die Andreae selbst darüber machte (die Generalreformation«, die »Fama« und die »Confessio« erwähnt er überhaupt nicht, auch nicht in seiner eigenen Lebensbeschreibung), scheinen diese Zweifel zu nähren und zu bestärken. Was nun die »Chymische Hochzeit Christian Rosenkreuz anno 1459« anlangt, so findet eine Betrachtung über dieses viel umstrittene »Phantasiegebilde« besser dort Platz, wohin sie sich selbst stellt, beim Kapitel Alchimie. In der »Generalreformation« aber wird die Frage nach einer Verbesserung und Veredelung der Welt aufgeworfen; eine Reihe von abenteuerlichen und lächerlichen Vorschlägen wird erörtert und das »kranke Jahrhundert« selbst tritt auf, als alter Mann dargestellt; es erweist sich, daß alle Weltverbesserungen leider zwecklos sind, »weil die Welt niemals frei von Unvollkommenheiten sein wird und man am besten tut, sie so zu lassen, wie man sie gefunden hat«. Es ist also eine Reformation, die sich selbst aufzuheben unternimmt, indem sie die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen einsieht, doch scheint dem Verfasser bei dieser Resignation gar nicht wohl zu sein, denn er verweist, im Anschluß an die »Generalreformation« in der »Fama« und »Confessio«, auf eine merkwürdige Gesellschaft, die allein die Kraft besäße, die Welt zu bessern und in Ordnung zu bringen. Sein Christian Rosenkreuz bereist, vom Orient mit Weisheit beladen, die ganze Welt und kommt schließlich nach Deutschland zurück, das der Hilfe bedarf; er verbindet sich mit drei Klosterbrüdern und legt damit den Grundstein zur »Bruderschaft des Rosenkreuzes«; sie errichten dem heiligen Geist ein »verborgenes Haus« und ziehen noch neue Brüder hinzu. Diese verteilen nun ihre Tätigkeit auf die ganze Welt, kommen aber alljährlich einmal in jenem Hause zusammen. Der Gründer Christian Rosenkreuz starb im Alter von 106 Jahren, aber er hört darob nicht auf, von der geistigen Welt her auf die Dinge in Deutschland zu wirken. 120 Jahre nach dem Tode des Meisters wird (seiner eigenen Prophezeiung gemäß) sein Grab gefunden, mit allerhand Inschriften und Zeichen bedeckt und durch eine Lampe mit ewiger Leuchtkraft erhellt. Nun erwarten die Brüder, was die Welt zu ihrer Offenbarung zu sagen hat, und fordern dazu auf, sich ihnen anzuschließen, damit die notwendige Verbesserung der Welt nun doch zustande komme. So die »Fama«! Die »Confessio« aber unterläßt nicht, über die Absichten der Brüderschaft vom R. C. einiges weitere verlauten zu lassen; sie gibt an, Christian Rosenkreuz sei 1378 geboren und daher (da er 106 Jahre lebte) 1484 gestorben; da sein Grab aber 120 Jahre nach seinem Tode zu öffnen war, so fiele diese Episode in der Geschichte der Rosenkreuzer in das Jahr 1604. Die drei Reformationsschriften Andreaes sind rührende und erhabene Dokumente eines ganz anderen Geistes, als jenes, der die Philosophie und offizielle Religion jener Zeit erfüllt. Sie beweisen den hohen Ernst der Brüder und die allgemeine menschliche Tendenz ihres Wirkens, dem Jesus alles bedeutet. Vier Wahrworte kennzeichnen das Wesen dieser Verbindung: es gibt keinen leeren Raum, wohl aber Strenge des Gesetzes, Freiheit des Evangeliums, und die unversehrte Herrlichkeit Gottes! Am Ende dieser Büchlein aber steht der Rosenkreuzerwahlspruch bis ans Ende unserer Erdentage: E. D. N., J. Ch. M. u. P. S. S. R., was zu deutsch heißt: »aus Gott werden wir geboren, in Christo sterben wir, durch den heiligen Geist aber empfangen wir neues Leben«. In der »Bekenntnuß der löblichen Bruderschaft deß hochgeehrten RosenCreuzes an die Gelehrten Europas geschrieben«, wird aber schlicht und einfach gesagt: »was von unser Fraternität oder Bruderschaft auß Hiebevor ausgefertigter Fama, menniglich zu Ohren gekommen und offenbar gemacht worden, das soll niemand für unvorbedächtlich, verwegentlich oder erdichtet achten, viel weniger aber als auß unserm Gutdüncken hergeflossen unnd entstanden, aufnehmen.« Es bedurfte dieser herzinniglichen, eindringlichen Ansprache nicht erst, um sofort das Gegenteil dessen hervorzurufen, was die hochlöbliche »Bruderschaft« wünschte: die Gelehrten Europas fuhren sich in die Haare, die Jesuiten mischten sich in den Handel, und schließlich ward Andreae bezichtigt, die ganze Welt »statt reformiert«, an der Nase herumgezogen zu haben! Das, was die Gegner des Rosenkreuzertums Andreaes Widerruf nennen, konnte nichts weniger, als eine Richtigstellung seines Wirkens sein. Andreae war durch das Ansehen seiner evangelisch-kirchlichen Stellung, durch den Hexensabbath eines die Rosenkreuzer als Maske vornehmenden alchimistischen Goldmachertums und durch die allgemeine Befürchtung, jene Enthüllungen könnten mißdeutet werden, in die Enge getrieben. Es ist ganz klar, daß die rein äußerlich historischen Betrachtungen aller dieser Dinge zu keiner verläßlichen Feststellung über Valentin Andreae und sein Verhältnis zum Rosenkreuzertum führen können. Der alte und der junge Andreae sind gleichsam zwei verschiedene Gestalten; zwischen dem Jüngling, der, 17 Jahre alt, die »Chymische Hochzeit« schrieb, und jenem Andreae, der 1619 in der Schrift vom »babylonischen Turm« eine entschieden pietistische Physiognomie zeigte, bestehen trotz der äußerlichen Verschiedenheiten doch unterirdische Zusammenhänge. Andreae ist keineswegs der Begründer des Rosenkreuzertums, sondern, wenn die Anwendung dieses Ausdruckes auf so hohe Gebiete verstattet ist, bloß der bedeutendste und begabteste Publizist jener Geistesströmung gewesen, die Andreaes Zeiten durch eine andere Persönlichkeit geoffenbart wurde ...
Es ist nun an der Zeit, sich darum zu bekümmern, was als Philosophie des Rosenkreuzertums zu gelten habe. Auch darüber gab Rudolf Steiner, der große Erneuerer der Gralssuche und des Rosenkreuzertums, Grundlegendes. Noch einmal: die bloße äußere historische Kenntnis vom Rosenkreuzertum vermittelt in keinerlei Weise einen tieferen Einblick in ihr Wesen, ihre Denkungsart und ihre Wirkungen. In Betracht kommt zunächst ein für allemal die Tatsache, daß das Rosenkreuzertum auf das 14. Jahrhundert zurückreicht und als solches von der Geschichte dieser geistigen Strömung und ihrem allmählichen Auftreten gesondert verläuft. Jene hohe spirituelle Persönlichkeit, die vor der Welt den Namen Christian Rosenkreuz trug und 1459 einen zunächst kleinen Kreis von Eingeweihten um sich versammelte, woraus die Fraternitas Roseae Crucis entstand, war Ritter vom güldenen Stein. Welche Sendung dieser Strömung zukam, ist aus den Schriften Valentin Andreaes einigermaßen ersichtlich. Im 18. Jahrhundert war ihre Aufgabe, bestimmte Impulse einfließen zu lassen, die in der Kultur Mitteleuropas wirksam werden sollten. Der Andrang zu diesem seltsam starken Lichte, das da aus der Höhe des Himmels und aus den Tiefen der menschlichen Natur zugleich kam, war kein geringer; selbst einen exoterisch erleuchteten Geist wie Leibniz zog dieses Licht mit magischer Gewalt an; gleichwohl gelang ihm nicht, in die Bruderschaft einzudringen und in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Deutliche rosenkreuzerische Spuren trägt, wie schon erwähnt, Lessings Schrift über die »Erziehung des Menschengeschlechtes«. In ganz anderer Weise wieder spiegelte Goethes Genie die rosenkreuzerischen Impulse, soweit er ihrer teilhaftig wurde und teilhaftig werden konnte. Goethes Berührung mit dem Rosenkreuzertum fällt in eine verhältnismäßig frühe Epoche seines Lebens; sie ist in der Zeit zwischen seinem Abgang von der Leipziger Universität und Seinem Straßburger Aufenthalt zu suchen, einer Episode, die durch eine schwere, um ein Haar tödliche Krankheit des jungen Goethe eingeleitet wird. In diese Spanne seines Lebens fällt Goethes Einweihungserlebnis, gekrönt durch das wirksame Gedichtfragment »die Geheimnisse«, das als rosenkreuzerisches Dokument von hohem Rang angesehen werden muß. Das »Märchen« Goethes und die ganze Faustdichtung hingen desgleichen mit dieser Einweihung zusammen. Wenn im Laufe der ersten Hälfte und in einem großen Teil der zweiten des XIX. Jahrhunderts die rosenkreuzerische Weisheit merklich in den Hintergrund trat, so war das im Gange der Dinge zweifach begründet, zunächst einmal darin, daß eine Art Verrat an den rosenkreuzerischen Geheimnissen stattfand (vorzeitige und unzeitgemäße Hinaustragung rosenkreuzerischen Wissens in esoterischer Form) und das andere Mal darin, daß die Kultur des Abendlandes durch einen gewissen Zeitraum (um sich ganz mit dem materialistischen und rationalistischen Impuls zu durchtränken) von rosenkreuzerischem und okkultem Wissen überhaupt freibleiben sollte. Erst im 20. Jahrhundert wird der Bann gelöst. Rudolf Steiner nimmt mit dem ersten Glockenschlage des 20. Jahrhunderts (1900) die Siegel von den verschlossenen Büchern. Die rosenkreuzerische Weisheit unterscheidet sich ganz wesentlich von den übrigen Betätigungen des Okkultismus und hebt gewisse Eigentümlichkeiten ihr vorangehender Einweihungswege auf. Sie stützt sich ausschließlich auf das durch spirituelles Schauen (ungenau »Hellsehen« genannt) und Hören erworbene Wissen. Das Rosenkreuzertum zeigt die Quelle rosenkreuzerischer Erkenntnis heute ganz ohne jede Heimlichkeit und weist die Wege, die zu dieser Quelle führen, in genauen, aus der Erfahrung geschöpften Weisungen. Anders steht es um die Empfängnis dieser Weisheit bei Menschen, die nicht in der Lage sind, an die Erkenntnisquelle selbst heranzukommen und sich zu höherer Erkenntnis zu entwickeln. Das geschieht freilich innerhalb der Rosenkreuzerei in ganz anderen Formen. Das Verhältnis von Lehrer und Schüler entspricht in keiner Weise dem, was beispielsweise in der indischen oder in der christlichen Einweihung geübt wird. Die indische Einweihung macht den Schüler zum Werkzeug seines Führers (des Guru) in die übersinnlichen Welten; in der christlichen Einweihung, die überaus schwierig zu handhaben ist und ungeheure Opfer verlangt, ist Christus selbst der Führer (die Exerzitien des Ignaz von Loyola geben ein klares Bild davon); die rosenkreuzerische Einweihung aber, wie sie durch Rudolf Steiner erneuert wird, schafft den Autoritätszwang vollkommen ab. Der rosenkreuzerische Führer ist nur ein Helfer, ein Weggenosse im reinsten Sinne des Wortes; er gibt dem Schüler nichts, was dessen gesunder Menschenverstand nicht fassen oder einsehen könnte. An der Spitze der rosenkreuzerischen Philosophie, am Eingang zum Tempel der rosenkreuzerischen Weisheit, stehen zwei Grunderkenntnisse: die Lehre von der Trinität und vom siebengliedrigen Wesen des Menschen, richtiger: sie fußt auf dem Erlebnis der Trinität und des siebengliedrigen Erdenmenschen. Das Wesen der Trinität ist, wie es Uehli sehr schön und präzis ausdrückt, das »Urphänomen« aller Geschichtsgestaltung; wohl aber wandelt sich dieses Erlebnis und wird vor Christus anders erlebt als nach dem Ereignis von Golgatha. Die persische Epoche zum Beispiel ruht scheinbar auf der schlichten Zweiteilung Ahura Mazdao und Ahriman, die im Strom der Zeit wirken und in ihr wurzeln; ein Drittes, auch in der Zeit Wurzelndes, blieb zunächst verborgen, als etwas außerhalb der Sphäre des Lebens noch Ungestaltetes und Unbrauchbares, gleichwohl mit einem bestimmten Namen genannt: Zaruana Akarana, die Ergänzung zur Trinität, repräsentiert durch Mithra, den Gott, der als »Schützer der Zeit« oder »Vermittler« gepriesen wird. Der Mithrasdienst, ausgeübt von den römischen Legionären und von den römischen Kaisern begünstigt, barg den Trinitätsimpuls als entwicklungsfähigen und gestaltgebenden Gedanken; anders die Ägypter! Die ägyptische Trinität findet sich in zwei zeitlich orientierten Wesen, Isis und Horus, und einem dritten Wesen, Osiris, das nur im Tode erlebt werden kann, wenn man das »Zeitliche gesegnet« hat, wie der ungeheuer prägnante Ausdruck für das Todeserlebnis besagt. Das dritte Glied der ägyptischen Trinität wird nicht mehr in der Zeit, sondern im Räume erlebt. Die gestaltbildende Kraft der nachchristlichen Mysterien zerfällt allerdings und mit ihr die antike Kultur. Das Mysterium von Golgatha aber bringt ein ganz neues Trinitätserlebnis.
Vergleicht man, wie das Uehli versucht hat, die vorchristlichen Kulturen mit Strahlen, die sich radienhaft um einen Mittelpunkt gruppieren, so stellt diesen Mittelpunkt das Ereignis von Golgatha dar. Gegen dieses Ereignis zu verblassen die Strahlen der vorchristlichen Kulturen immer mehr und mehr, aber ihre Leuchtkraft hat sich in einen Mittel- und Brennpunkt begeben, der nun aufleuchtet, wie die betroffene Stelle unter dem Brennglas. Die vorchristlichen Kulturen und ihr in den Mysterien erhaltener edler Kern empfingen ihre Signatur ausschließlich vom Volkstum. Das Volkstum erwies sich als natürliche Grenze der Menschheitsempfindung. Im Christus Jesus verkörpert sich der Menschen Sohn, der Repräsentant der ganzen Menschheit. Ein Volksgott konnte sich nicht verkörpern, er empfing bloß die Opfer der nationalen Kulte. Mit dem Herabstieg des Menschensohnes geschah etwas vollkommen Neues, die Erde und das Erdengeschlecht im tiefsten Wesen Berührendes: der Gott opfert sich selbst! Die Sphinx, drei Tiere und den Menschen in ein Wesen fassend, wird zum Lamm, das sein Blut vergießt. Die Sphinx wird zum Gral. Versammelten sich die Teilnehmer der vorchristlichen Mysterien an abgeschiedenen Orten und in geheimnisvoll gehüteten Tiefen, so spielt das Mysterium von Golgatha vor den Augen der ganzen Welt, unverstanden und von einem herabgeminderten Dämmerbewußtsein nicht erfaßt (die Jünger auf dem Ölberg verfielen in Schlaf). Der erste Mensch, der das Mysterium von Golgatha mit geistigen Organen erschaute: Johannes, in Gesellschaft der Mutter Jesu, ist auch der einzige Zeuge des Mysteriums von Golgatha gewesen. Auf dem Kreuze der Schädelstätte hing der Erlöser, Luzifer und Ahriman zur Seite, die er beide in sich versöhnte. Das Christentum der ersten Jahrhunderte ging die Seele an und umfaßte die Gemütskräfte. Die Kirche, das Licht der ersten christlichen Jahrhunderte verdunkelnd, verwandelt und verwischt das Erlebnis der hohen Trinität (Vater, Sohn und heiliger Geist) in ein Dogma, das alsogleich Streitigkeiten über das Wesen der Dreifaltigkeit entzündet. Von dem weittragenden Beschlüsse des ökumenischen Konzils von Konstantinopel, vom Jahre 869, war schon die Rede. Es ließ nur Leib und Seele bestehen, schuf den dreigliedrigen Wesenskomplex (Leib, Seele und Geist) ab und setzte an Stelle der richtigen eine falsche Trinität. Christus wird, dem Mithrasgotte ähnlich, zum Vermittler. Durch den konstitutionellen Irrtum einer falschen Trinität brach später, dank katastrophaler Zerstörernaturen wie Marx und Engels, die materialistische Weltanschauung über die Menschheit herein, die, aus der freien Geschichtsgestaltung herausgerissen, als ein kümmerliches Ergebnis ökonomischer Prozesse der ganzen Dürftigkeit und Trockenheit eines ungeistigen »Verstehens« anheimfällt. Wie man sieht, mündet die zweite Trinität, zum Dogma erstarrt und unter gewaltsamer Beseitigung des Geistes, in einen chaotischen Zustand, aus dem die dritte Trinität hervorgehen muß, geschöpft aus dem Geiste der Evangelien. Der Kern der neuen Trinität, ermittelt durch die Kräfte der Evangeliensynopsis (Evangeliumzusammenschau) liegt in den beiden Versuchungen Jesu durch den Teufel und den Satan, zwei Wesenheiten, die durchaus nicht dasselbe sind. Luzifer, der Teufel, ist ein innerer, ein seelischer Versucher, Ahriman (Satan) kommt von außen; er heißt, die Naturordnung durch Magie unterbrechend, Christus, aus Steinen Brot zu machen. Die wahre Trinität, so führt Uehli vorbildlich aus, ist der Luzifer und Ahriman überwindende Christus. Die Geisteswissenschaft Steiners, indem sie zugleich die himmlischen wie die irdischen Dinge in Einklang miteinander ordnet, setzt an die Spitze ihrer rosenkreuzerischen Philosophie eine Trinität: Leib, Seele und Geist! Sie bezeichnet mit Leib das Gefäß des Geistigseelischen, aus Bestandteilen der vier Elemente und! der drei Reiche (Stein, Pflanze, Tier) geformt; als Seele die Kraft, die Sphäre der Schöpfung mit dem Gemüt zu erfassen; als Geist die Kraft, die Idee zu durchschauen, die den Dingen ihren ewigen Kern gibt. Nicht weniger wichtig in der Philosophie des Rosenkreuzertums ist die Erkenntnis von der siebengliedrigen Natur der Menschenwesenheit, umfassend physischen Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich, Manas, Buddhi und Atman (um vorläufig bei den indischen Ausdrücken für die drei höheren Wesensglieder zu bleiben). Um diese Gliederung zu verstehen, ist allerdings notwendig, sich ein Bild von den höheren Welten zu machen, die die unsere durchdringen und umgeben und für die, will man sich überhaupt eine Vorstellung davon machen können, Öffnung der höheren Sinne Voraussetzung bleibt. Die Rosenkreuzer kennen zunächst eine imaginative (astralische oder elementarische) Welt. Eine noch höhere Welt als diese eröffnet sich den erwachten Sinnen in dem, was der Rosenkreuzer die himmlische (devachanische, mentale, inspirative) Welt, die Welt der Sphärenharmonien nennt. Eine dritte, noch höhere Welt, entspricht der Bewußtseinsstufe der Intuition, auch Vernunftwelt. Nach dieser Vorbetrachtung ergibt sich für den physischen Leib: dessen Gestaltung von außen, von einer höheren Welt, als Träger eines Ichs bestimmt wird. Ihm, dem physischen Leib in der Form verwandt, ist der Äther- oder Lebensleib, durchzogen von Kraftlinien, die gleichsam dem Leibe das geben, was Leben genannt wird, was also den physischen Leib zum Leben sozusagen aufruft; als eine Lichtgestalt (der Ätherleib des Mannes ist weiblich, der des Weibes männlich) erscheinend, ragt der Ätherleib über den physischen Leib hinaus und ist auch im Wesen der Pflanze gemeinsam zu finden. Mensch und Pflanze haben den Ätherleib gemeinsam; die Kräfte, die den Ätherleib als Leib erhalten, gehören der inspirativen, der himmlischen Welt an. Das dritte Glied der menschlichen Wesenheit hat den Titel Astralleib (auch Seelenleib genannt) und ist mit den Tieren gemeinsam. Auch die Tiere haben, mit anderen Worten, einen Astralleib, verankert in der Trieb-, Affekt-, Wunsch- und Begierdenwelt; er gehört der astralen, der imaginativen Welt an, dem Astralleben, das die Gruppenseelen der Tiere enthält. Vom Gruppen-Ich des Tieres scheidet sich das individuelle Ich, das ewige Ich, Kern der Menschen.
Das individuelle Menschen-Ich, der Ichkern, nimmt in der Philosophie des Rosenkreuzers eine zentrale Stellung ein. Wohl erkennt heute schon auch die vom Kantianismus noch immer nicht losgelöste Philosophie, daß hinter dem geheimnisvollen Lichtpunkt, Bewußtsein genannt, und im Ich ruhend, »vom undurchdringlichen Dunkel des Nichtwissens schlechtweg eingeschlossen« mehr verborgen ist, als der forschende Menschengeist in seiner gegenwärtigen Denklage zu erfassen vermag, daß aber noch ein »letzter Schritt« zu tun übrigbleibt. Nun, die Rosenkreuzer haben ihn längst getan! Ihr Ich ist der Schnittpunkt der beiden Balken des Kreuzes und um ihn lagern sich die sieben Rosen als Sinnbilder der siebengliedrigen Menschenwesenheit, vier dunkle und drei helle. Der Mensch trägt ein individuelles Ich in seiner Brust. Der Löwe, der Adler, der Stier und der noch nicht zum physischen Plan herabgestiegene Mensch, die vier Tiere der Apokalypse also, sind nichts anderes als Gruppenseelen (Gruppen-Iche), die dem Menschen auf dem Astralplan am nächsten stehen. Das Ichbewußtsein des Menschen selbst aber wurzelt in der physischen Welt; von seinem Ich aus zurückwirkend auf den Astralleib, Ätherleib und physischen Leib kann er, und darin liegt seine Aufgabe für diesen Weltenzyklus, die drei höheren Glieder seines Wesens entwickeln. Das Ich muß nach und nach die Herrschaft über Astralleib, Ätherleib und Erdenkörper ergreifen; erobert es den Astralleib, so hat er Manas (Geistselbst) erreicht, hat er den Ätherleib verwandelt, gelangt er zu Buddhi, dem »Lebensgeist«, hat er endlich den physischen Leib verwandelt, so entsteht der Atman, der Geistmensch, als höchste Frucht. Es ist für den Durchschnittsintellekt gar nicht leicht, sich eine Arbeit dieser Art überhaupt vorzustellen, und am schwierigsten wird in der Regel, wenn es darum geht, den physischen Leib zu verstehen; hier deutet aber auch schon der Name, Atman, darauf, was gemeint ist. Sie wird durch Arbeit an der Verwandlung des Atemprozesses begonnen, wodurch sich nach und nach die Beschaffenheit des Blutes ändert. Die gegenwärtige Menschheit arbeitet an der Umwandlung des Astralleibes, die Eingeweihten unserer Zeit am Ätherleib; zwischen Geistselbst und Astralleib leuchten als 4., 5. und 6. Glied der menschlichen Wesenheit Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewußtseinsseele auf, und zwar so, daß die Bewußtseinsseele Astralleib und Manas, die Verstandesseele Ätherleib und Buddhi, die Empfindungsseele aber physischen Leib und Atman miteinander verbindet. In dieser Neunheit, die in der Siebenheit aufscheint, steckt eines der Grundgeheimnisse des Rosenkreuzertums. Von hier aus fortschreitend gelangt die Philosophie des Rosenkreuzers zu ihren Betrachtungen über Schlaf, Traum und Tod. Der schlafende Mensch lebt außerhalb seines physischen und seines Ätherleibes im astralischen Leib; im Astralleib aber ist das Ich des Menschen mit seinem Denken und Wollen verknüpft; der Astralleib empfängt seine Elemente aus dem Weltall, darin er ruht, wie ein Tropfen in der Flüssigkeit. Im Wachzustande teilt er seine Eindrücke mit denen der physischen Welt; als Aufbauer des Ätherleibes und durch diesen als Aufbauer des physischen Leibes, ist er eben von konstitutiver Bedeutung für das ganze Menschenwesen. Zwischen Wachen und Schlafen aber steht der Traum als Kronzeuge für diese geheimnisvollen Zusammenhänge; es ist ein Zwischenzustand, herbeigeführt dadurch, daß der Astralleib seine Verbindung mit dem Körper schon gelöst hat, aber mit dem Ätherleib noch verbunden ist; so entstehen die Traumbilder. Der Schlaf, sagt die landläufige Sprichwortwelt, ist ein Bruder des Todes. Vom schlafenden Menschen unterscheidet sich der Tod bloß dadurch, daß der physische Leib allein zurückbleibt, indes der Ätherleib und Astralleib vom Ich in die astralische Welt hinaufgezogen werden. Da tauchen nun auch Bilder auf, die den Traumbildern gleichen, aber im Wesen doch eine vollkommene Wirklichkeit darstellen: es sind Erinnerungsbilder an das eben gelebte, verflossene Leben, die in einem grandiosen Tableau am Ich vorbeigehen; sie sind erfüllt mit den freudigen und den schmerzlichen Gefühlen, die sie im Leben selbst, als Erlebnisse, verursacht haben. Ab und zu, in besonders schrecklichen Fällen, geschieht es, daß physischer Leib und Ätherleib sich mit einem jähen Ruck voneinander trennen: im Absturz, im plötzlichen Kampfe mit Wellen, im jähen Schritt einer plötzlich auftauchenden Lebensgefahr; auch in diesen Augenblicken beginnt das Tableau aufzutreten. Eine Art Essenz dieser grandiosen Bilderrevue, die nach dem Ableben eintritt, bleibt aber als Extrakt für die künftigen Verkörperungen zurück, den man in der Sprache der Geisteswissenschaft den Kausalleib nennt, den Keim für die künftige Verkörperung entfaltungsfähig bergend. Die Begierden des Körpers, die den Lustbestand des irdischen Lebens, seine Genüsse, bilden, bleiben in dieser Zone, die das Bewußtsein nach dem Abrollen des Tableaus betritt und die den Namen Kamaloka, Zwischenreich oder Fegefeuer trägt, bestehen. Ungefähr ein Drittel des Erdenlebens lang verharrt der Ichkern der »Toten« in dieser Sphäre, wenn der Mensch ernstlich damit beginnt, sein ganzes Leben noch einmal zu erleben. Mit dreifacher Schnelligkeit eilt dieses Durchleben vom Tode zurück bis zum Eintritt in die physische Welt durch die Geburt. In dem Augenblicke, da der Punkt der Geburt erreicht ist, tritt der vom Ich bearbeitete Teil des Astralleibes zum Kausalleib, gleichzeitig die »noch nicht bearbeiteten Teile« ausscheidend, die als »astralische Leichname« des Menschen zurückbleiben. Mit der Ablegung des astralischen Leichnams aber steigt der Ichkern auch schon vom Kamaloka zum Devachan (zum geistigen Plan, dem Himmel der Kirche) auf. Auch die devachanische Welt ist vielgestaltig und gegliedert. Hier gibt es Festland, Meere und Luftozeane. Im Astralen schlagen die himmlischen Menschen, gleichzeitig mit den irdischen, ihre Schlachten, die in Devachan wie ein furchtbares Gewitter auftreten. Über den Kontinenten, Meeren und Lufträumen des Devachans aber thronen die Urformer und Urgründer aller Dinge.
Siebengliedrige Natur des Menschen, im Ich drei seelische Bewußtseins- und Erfassungsphasen umschließend, und der Bestand übersinnlicher Welten, vom Zwischenreich bis zur Religion der Urbilder, das »Erdige« des Devachankontinents, das flüssige der Devachanmeere und das Luftige der leidenschaftlich pulsierenden Geistregion feurig durchdringend, bilden also die Grundlage der rosenkreuzerischen Philosophie, die, zugleich Wissenschaft und Religion, eine grandiose Kosmogomie an die Stelle der nebelhaften Weltentstehungsannahmen setzt. Wer den Weg der rosenkreuzerischen Einweihung wandelt, lernt das Geheimnis der Weltenschöpfung bis in die fernsten Ausläufer kennen. In der Vernunftwelt des Devachans gerät er in den Bereich dessen, was mit den Worten der rosenkreuzerischen Philosophie Akashachronik genannt wird. Für den Rosenkreuzer ist es klar, daß nichts von alledem, was in diesem Weltenzyklus geschehen ist, verlorengehen kann und in die Nacht des Vergessens untersinkt. Gewisse feine Essenzen des Äthers nehmen den Abdruck alles Geschehens in sich auf, so wie das menschliche Gedächtnis die Erlebnisse des Einzelnen, der Gemeinschaft und der ganzen Menschheit bewahrt. In dieser Akashachronik ist allerdings alles in Bildern und nicht in toten Buchstaben niedergelegt, die der Eingeweihte suchen und schauen lernt. Die Bilder der Akashachronik sind so lebhaft und wirklich, daß sie bis in die astrale Welt hinunterstrahlen, obschon diesen Abstrahlungen oft nicht mehr als der Wert einer Fata morgana zukommt, so daß hier die Möglichkeit zu zahlreichen Irrtümern gegeben ist, die am greifbarsten im Gebiete der spiritistischen Praxis zutage treten. Da handelt es sich nur in seltenen Fällen um Berührungen mit dem Akasha, zumeist aber mit den Akashaspiegelungen der astralen Welt. Nicht die Toten selbst, sagt Steiner, ihre Akashabilder erscheinen den Medien, und man muß wohl unterscheiden lernen, was als Akashabild eines Menschen zurückbleibt und was sich aus ihm als Individualität im Devachan weiterentwickelt. Dem Kamaloka (ich halte den Ausdruck Zwischenreich für besser und inhaltsvoller) entstiegen, tritt der Mensch in eine höhere Welt, ins Devachan, und erlebt hier alle Dinge, auch den eigenen Erdenleib im Urbilde, über den er hinwegschreitet, so wie ein Wanderer über Berge und Täler geht. In diesem Leibe, zu dem er im Zwischenreich sprechen durfte »Das bin ich«, sagt er in Devachan mit vollem Bewußtsein: »Das bist du!«, und im Devachan arbeitet der »Abgeschiedene erkenntnisvoll am nächsten Erdenleib«, aber das ist keineswegs seine einzige Tätigkeit in der devachanischen Welt. Das Antlitz der Erde verändert sich ohne Unterlaß, und die Toten sind es, die ihr das Gesicht geben. Die geistige Welt des Devachans ist überall, um uns, an uns, in uns. Ihr Körper, aus dem Licht geschaffen, das uns umgibt, ist für den Hellseher zu schauen, als »Abgeschiedene«, die am Äußeren der Erde und ihrem Reiche arbeiten. Gesättigt mit den Erfahrungen und den Früchten seiner Arbeit im Devachan, steigt der Tote, wenn seine karmische Stunde gekommen und für ihn im Devachan nichts mehr zu tun ist, zur astralischen Welt, der elementarischen Welt auf, um bei der Sprache der Rosenkreuzer zu bleiben. Dort gliedert er dem mitgebrachten Keimleib einen neuen Astralleib ein, der sich, magisch angezogen, um den Ichkern sammelt. Wie nach unten geöffnete Glockenformen schießen diese Wesen, die daran sind, sich wieder zu verkörpern, mit außerordentlich großer Schnelligkeit durch den Astralplan. Sind Ich und der neue Astralleib beisammen, so bleibt übrig, sich einen neuen Ätherleib und einen neuen physischen Körper zu bilden, aber das hängt keineswegs mehr vom Abgeschiedenen, sondern von dem Elternpaar ab, das er sucht und endlich findet. Die Volksgeister helfen ihm, und im Augenblicke, da er in seinen neuen Ätherleib hineingeschlüpft, ohne schon den physischen Leib zu sehen, hat er, ein unergründliches Geheimnis, das Bild des kommenden Lebens vor sich, ein Tableau seines neuen Daseins! Alle diese wundersamen Berichte erscheinen freilich bloß als erfüllt mit dem Einzelschicksal, so daß die Frage auftaucht, wie es um das Miteinandersein der Menschen in den übersinnlichen Welten stehen mag. In Wahrheit sind alle diese Verbindungen, die hier geknüpft waren, drüben noch weit inniger, im guten wie im bösen Sinne. Hier finden sich, wenn auch oft nach langer und banger Wartezeit (ein übrigens ungenauer Ausdruck für zeitlose Sphären) Mutter und Kind, Freunde, Zusammengehörige durch das Band irdischer Liebe als seelisch Suchende wieder, und auch neue Freundschaften bilden sich, die für das kommende Leben wichtig werden. Viele glauben, daß, wenn man ihnen schon zumute, diesen phantastischen Schilderungen widerspruchsloses Verständnis entgegenzubringen, die Zustände in Devachan doch recht dämmerhafte und unausgeprägte sein dürften. Sie irren, auch in diesem Punkte, fundamental. In Wahrheit liegen die Dinge so, daß kein Mensch im Devachan unter jenen Bewußtseinszustand sinken kann, den er während seines letzten Erdenlebens erreicht hat. Nur bei gewissen Übergängen mag vorübergehend eine solche Trübung eintreten: in Wahrheit erfaßt der »Tote« alles, was bei uns auf Erden vorgeht, erfaßt es aber in einem höheren Sinne. Die Zeit des Daseins im Devachan ist überhaupt eine unendlich beseligende, von allen Schrecken der Physis befreite, die ein Sichausleben des »Toten« in verschwenderischem Ausmaße gestattet. Allerdings gibt es beim Abstieg zu neuem Leben eine Reihe von Geheimnissen, über die Steiner seit seinem Zyklus über die Rosenkreuzerphilosophie (1907) nur andeutungsweise gesprochen hat. In diesem Zyklus selbst berührt er das Wesen der Sache immerhin aufschlußreich genug.
Das Leben im Jenseits, Devachan genannt, das leibfreie Dasein im Reiche der gestaltenden, formenden und sinnenden Kräfte, verleiht ein Gefühl der Beseligung, das im irdischen Bereiche kaum einen Vergleich hat. Allerdings gibt es nun im Augenblicke, da die Stunde des neuen Abstieges zur Erde geschlagen hat, große und geheimnisvolle Probleme zu lösen. Durch den neuen Ätherleib, verliehen vom Volksgeist, zieht den Wiederkommenden sein »Schicksal« in die Volks- und Familiengemeinschaft, durch den Astralleib aber fühlt er sich zu Wesen hingezogen, die seiner Art nahestehen, in erster Reihe zur künftigen Mutter, mit der ihn Essenz, Substanz und Gliederung des Astralleibes verbinden; das Ich hingegen gravitiert zum Vater, dem Schöße des Gottvaters vor undenklichen Zeiten entstiegen. Durch alle die vielen Inkarnationen ist dieses Ich, als Wesenskern ewig, geblieben. Zieht der Ätherleib zu Volk und Gemeinschaft, so strebt der Astralleib zur Mutter, das Ich zum Vater, und da entstehen, auf dem Wege zur Erde, oft schwere Konflikte, die darin Ausdruck finden, daß das richtige Elternpaar gefunden werden muß. Es gibt Kämpfe subtilster Art, aber doch notwendig, um das zu begründen, was als Individualität in die Erscheinung treten soll. Oft dauert dieser Kampf bis in die dritte Woche der irdischen Empfängnis fort. Vom Momente der Empfängnis an ist der Mensch, aus Ätherleib, Astralleib und Ich bestehend, der Mutter nahe, die den befruchteten Menschenkeim in sich trägt, doch wirkt er noch immer von außen. Der physische Leib entwickelt sich gleichsam ohne Einwirkung des Äther- und Astralleibes. Von der dritten Woche der Empfängnis an ändert sich das: Astral- und Ätherleib fangen den Menschenkeim ab und beginnen auch am neuen Menschen mitzuarbeiten, den Keim zu entwickeln und auszugestalten. Hier liegt, was die Individualpsychologie rein äußerlich ahnt und zu einer sehr problematischen »Wissenschaft« mißbraucht: das Geheimnis, wie ein Individuum entsteht und aus welchen Komponenten sich eine Individualität zusammensetzt. Natürlich gilt diese Schilderung nur für den Durchschnitt der Erdenbürger, und das Bild der Wiedergeburt gestaltet sich bei hochentwickelten Geistern wesentlich anders. Sind in der vorhergegangenen Inkarnation gewisse Grundlagen zu geistiger Entwicklung geschaffen, so wird der Zeitpunkt, wo der Mensch beginnt, seinen physischen Leib zu bearbeiten, davon bestimmt: je höher die erreichte Stufe, desto früher dieser Augenblick! Oft geschieht das »Abfangen« des Menschenkeimes durch das Ich schon im Augenblick der Empfängnis; aus solchen Zusammenhängen kommen die geistigen Führer der Menschheit. Ist nun aber das Wunder der neuen Geburt bewirkt, so sind die Stoffe, die den physischen Leib zusammensetzen, fortschreitenden Veränderungen in einem Zeitraum von ungefähr sieben Jahren unterworfen. Jedes Atom erneuert sich innerhalb dieser Zeitspanne. Der Stoff wechselt, die Form bleibt. Alles, was zwischen Geburt und Tod auf Erden an höherer Entwicklung gewonnen wird, bleibt »drüben« erhalten und wirkt am neuen Organismus mit. Der Eingeweihte arbeitet zwischen Tod und neuer Geburt bewußt an seinem physischen Körper. Die Geburt ist für ihn daher nur eine Art radikales Ereignis; nur einmal, aber da gründlich, tauscht er die Stoffe aus. Daher die große Ähnlichkeit unter den Individualitäten von einer Einkörperung zur anderen; je höher die Entwicklung, desto ähnlicher wird die nächste Verkörperung. Der Meister wird sozusagen im selben Körper geboren, der ihn durch die Jahrhunderte und Jahrtausende begleitet. Für gewisse Eingeweihte höchsten Grades gibt es überhaupt keinen physischen Tod; sie haben, als besondere Sendung, den Übergang einer Rasse zu einer anderen zu bewerkstelligen. Was nun die Zeiträume anlangt, innerhalb deren sich die Reinkarnation vollzieht, so hat man ungefähr 1000 bis 1300 Jahre als solchen Zeitraum erhoben. Die Welt soll im Zeitpunkt der neuer Geburt ein ganz anderes Gesicht tragen. Diese Zeitbestimmung hängt übrigens damit zusammen, daß, wie hier schon ausgeführt wurde, die Sonne ungefähr alle 2600 Jahre in ein neues Sternbild tritt und die Zusammenfassung des Durchgangs durch alle zwölf Tierkreisbilder ein Weltenjahr ergibt. Von der Zuteilung der alten Kulturen zu den Tierkreiszeichen war schon die Rede. Die Zeit für die Wiederverkörperungen stand im Einklang mit jenen Tierkreisepochen, und da in der Regel in diese Zeit zwei Verkörperungen fallen, eine männliche und eine weibliche, ergeben sich ungefähr 1300 Jahre. Nicht immer tritt diese Zweiteilung ein, denn es kommt auch vor, daß drei bis fünf Inkarnationen im selben Geschlecht verlaufen. Diese Verhältnisse führen übrigens zu einem anderen Angelpunkt der rosenkreuzerischen Lehre: zur Betrachtung des menschlichen Karma. Es gibt im höheren Sinne auch ein gemeinschaftliches Karma, herbeigeführt durch die Inkarnation innerhalb einer Rassen- und Nationalgemeinschaft. Unter Karma versteht man das Schicksalsgesetz des Menschen; es ist ein kosmisches Gesetz und seine Geltung im menschlichen Leben ein Spezialfall, beruhend auf Ursache und Wirkung. Was der Mensch hienieden denkt, fühlt und litt, übt seine bestimmten Wirkungen in der Außenwelt. Lügen, gemeine Unwahrheiten, falsche und böse Gedankenformen sind im Zwischenreich, wie im Astralleib, Explosionen gleich, von zerstörender Wirkung. Gleich einem Morde, verübt auf dem physischen Plan, hemmen, unterbinden und töten sie einen Teil der Entwicklung; die Lüge ist zu gleicher Zeit auch eine Art Selbstmord, weil sie den eigenen Organismus störend beeinflußt. Die vier Gebiete der devachanischen Welt (Kontinente, Ozeane, Luftkreise und Region der Urbilder) werden ohne Unterlaß von den Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen der Menschen durchzogen; Taten, hier unten gesetzt, wirken sogar bis in das Gebiet der Akashachronik, bis in die Vernunft weit, und nach den Eindrücken, die alle diese Dinge in der geistigen Welt hinterlassen, formt sich der neue Äther- und der neue Astralleib. Auch gesunde und kranke Anlagen kommen durch diese Wirkungen zustande. Gestalt, Ausdruck und Widerstandskraft des Körpers hängen von ihnen ab.
Wer in einem Erdenleben schlechte Neigungen und starke niedere Leidenschaften hochkommen läßt, der empfängt für sein nächstes Dasein einen ungesunden und unschönen physischen Körper; je radikaler der Kampf mit den niederen Neigungen und Trieben, desto gesünder und wohlgestalteter der nächste Erdenleib. Geizhälse, die mit gierigen, egoistischen Fingern Reichtümer zusammenscharrten, neigen im nächsten Leben zu ansteckenden Krankheiten. Wer viel Leid, Kummer und Schmerz mit heldenhaftem Mute ertrug, der kommt als schöner, wohlgestalteter Mensch in sein nächstes Dasein. Durch Krankheit der Muschel entsteht die Perle. (Fabre d'Olivet spricht diesen Gedanken aus). Das gilt auch für das Leben des Menschen. Was im Astralleib lebt, erscheint wieder im nächsten Ätherleib, was im Ätherleibe an Trieben und Leidenschaften wurzelt, tritt im Körper als Disposition (Grundstimmung, Grundverhalten) auf, was am physischen Leibe geschah, wird im nächsten Dasein äußeres Schicksal. Was im Astralleib geschah, wird Schicksal des Ätherleibes, der Ätherleib Schicksal des nächsten Körpers, der Körper die nächste physische Wirklichkeit. Träger des Schicksals werden die Knochen und Gliedmaßen: sie tragen den Erdgeborenen dorthin, wo sich sein Schicksal erfüllen muß, und das Schicksal erfüllt sich in neuer Gemeinschaft mit jenen, die im früheren Erdendasein mit dem Erdgeborenen verknüpft waren. So wird die Akashachronik zur Kraftquelle für alles, was zwischen einem Menschen und den anderen als karmische Schuld schwebt. Jeder Mensch schreibt seine Taten und Gesinnungen in den Erinnerungsäther; die Kunst des Lebens besteht darin, immer freier und freier zu werden von den Dämonen, die sich der Mensch durch sein Tun und Sinnen zuzog. Der Astralleib ist ohne Unterlaß von solchen Dämonen durchzogen; es gibt, in Wahrheit, gute und böse Geister, Spektren, Gespenster und Phantome, die dem Menschen Verhängnis werden können; sie würden nicht existieren, wenn ihnen der Mensch nicht selbst die Lebensmaterie und Seinssubstanz aus dem eigenen Begierdenstoffe lieferte: die Heilung Besessener, die Austreibung von Dämonen sind vollkommen reale Wirklichkeiten. So ist Mephisto, der »Geist aller Hindernisse«, geschaffen und zur Wirksamkeit berufen durch den Lügengeist im Menschen. Was wir als Bazillen», Mikroben und Krankheitserreger kennen, sind verkörperte Dämonen der Lüge. Alles niedere Ungeziefer und Getier dient dem Geist der Lüge und der Hindernisse. Materialistisches Denken erzeugt im nächsten Leben einen nervenkranken Körper, Wissen um Höheres, Glaube an das Göttliche einen ruhigen, vom Zentrum aus beherrschten Leib. Unser ganzes nervöses Zeitalter ist durch die vorangegangenen materialistisch eingestellten Vorfahren zu erklären. Dem Materialismus, als dem wahren Lügengeiste der Wissenschaft, ging der Materialismus der Religion voraus, der nach und nach das ganze religiöse Leben durchseuchte und die wunderliche Tatsache gezeitigt hat, daß die großen Wissenschaftler des Jesuitenordens Weg- und Schrittmacher der materialistischen Wissenschaft sind, die Schulter an Schulter gegen den »Aberglauben« kämpfen. Im Rosenkreuzertum blieb die große Synthese zwischen Religion, Wissenschaft und Philosophie im reinsten und idealsten Sinne erhalten. Die rosenkreuzerische Philosophie ist ein gigantisches System, das, die Welt- und Menschenentwicklung im spirituellen Sinne in sich bergend, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfaßt. Aus ihm heraus entstand die köstliche Frucht der rosenkreuzerischen Einweihung, gegeben durch den Begründer der rosenkreuzerischen Geistbewegung, ein Weg, der zwischen der christlichen Einweihung und der Yogaschulung liegt und heute einzig und allein der modernen Bewußtseinslage entspricht. Schon lange, vor dem Ereignis auf Golgatha vorbereitet, wurzelt dieser Weg in der esoterischen Schule des Paulus von Athen und darf als seinen Ahnherrn Dionysios den Areopagiten ansehen. So trivial das klingen mag: die rosenkreuzerische Einweihung von heute ist der einzige gangbare Weg ohne Berufsstörung. Er führt den Novizen nicht aus dem Leben fort, er macht keinen Sonderling und Frömmler, keinen Eremiten und wunderlichen Heiligen aus ihm, sondern einen hohen Menschen, der um die Geheimnisse weiß und mit seinen erworbenen und erlebten Einsichten an der Menschheitsentwicklung im Sinne des großen göttlichen Entwicklungsplanes arbeitet. Grundlagen der christlichen Einweihung sind das Johannesevangelium und die Offenbarung Johannis. Die christliche Einweihung erlebt das Leiden Christi und feiert dessen Auferstehung in den geistigen Reichen. Die rosenkreuzerische Initiation umfaßt sieben Stufen: das Studium höherer Einsichten, die Erwerbung der imaginativen Erkenntnis, die Ausbildung der inspirativen Erkenntnis (Lesen der okkulten Schrift), Bereitung des Steines der Weisen, Erlebnis der Entsprechungen zwischen Mikro- und Makrokosmos, die Entwicklung der intuitiven Erkenntnis und die Erlangung dessen, was die christliche Ausdrucksweise Gottseligkeit nennt. Steiners »Wie erlangt man Erkenntnis der höheren Welten« bleibt das klassische Buch der rosenkreuzerisch gralhaften Menschenentwicklung, das Standardwerk für alle Erdenzeiten, enthaltend die Institutionen esoterischer Einweihung, empfangen aus dem Geiste und den Notwendigkeiten unserer Zeit. Wie man auch äußerlich feststellen kann, führt diese Stufenskala der Einweihung nach rosenkreuzerisch gralhaften Erfahrungssätzen, auf der mittleren Stufe einen seltsam klingenden Titel: »Bereitung des Steines der Weisen«, Arbeit am Stein, wie es die rosenkreuzerische und ältere freimaurerische Terminologie nennt. So steht das alchimistische Geheimnis im Mittelpunkt (als vierte der sieben Stufen) der rosenkreuzerischen Einweihung und bildet den Kern des Rosenkreuzertums auch in seiner heutigen Gestalt, der Steinerschen Geisteswissenschaft. Vom Stein der Weisen wird also im nachfolgenden Kapitel die Rede sein, doch soll zunächst in einem Schlußabsatz etwas über das Äußerliche, Geschichtliche, des Rosenkreuzertums gesagt werden.
In der Geschichte der Rosenkreuzer spielt Theophrastus Bombastus Paracelsus eine gewisse Rolle. Geboren 1493, also ein Jahr nach der »Entdeckung« Amerikas, war er schon dadurch gleichsam der erste Geist der neuen Zeit. Vater der Chirurgie und Luther der Medizin genannt, hat Paracelsus, ein unerhörtes und noch zu wenig gewürdigtes Genie, ungeordnet in seinem Leben und doch von wundervoller Ruhe und Gelassenheit, wie sie nur der Besitz der Geheimnisse zu geben vermag, große Reisen gemacht; ein Revolutionär, der mit unerhörter Innigkeit der Jungfrau Maria eine tiefgehende Schrift zu Füßen legte, stand er im schroffen Gegensatz zu der offiziellen Medizin seiner Zeit, schob die lateinische Sprache mit nonchalanter Geste beiseite und lehrte in deutscher Sprache, die er trotz ihrer großen, knorrigen Verwahrlosung als ein starkes und mächtiges Instrument zu handhaben verstand. Musterhaft und beispielgebend hat Franz Spunda alle Seiten dieses großen Geistes, der zugleich ein Mann von unbeugsamem Charakter und bewunderungswürdiger Gesinnung war, als Wissender beleuchtet. Es ist keineswegs nachweisbar, daß Paracelsus ein aktiver und militanter Rosenkreuzer gewesen ist. Daß er vollkommen auf dem Boden ihrer Lehren steht, daß die Ideen des Paracelsus später in das Rosenkreuzertum vor und nach 1610 mit eingeflossen sind, bedarf keines Beweises; ihn einen Organisator dieses Ordens zu nennen, wie es Wittemans tut, ist jedenfalls riskant, wenn man bedenkt, daß die in Paris unter dem Namen »Sodalitium Agrippae« 1507 gegründete Gesellschaft ganz gewiß keine rosenkreuzerische Gründung war. Weit eher darf man die Zugehörigkeit Agrippas von Nettesheim, der sechs Jahre vor Paracelsus zur Welt kam und gleich Paracelsus in verhältnismäßig kräftigstem Mannesalter starb, zu den Rosenkreuzern annehmen, obschon seine Anweisungen und Rezepte zur schwarzen Magie nichts weniger als rosenkreuzerisch anmuten. Trotzdem ist auch Agrippa, gleich Paracelsus ein Schüler des Trithemius von Sponheim, ein prachtvoller Kerl von ansehnlicher Größe; sein stolzes und kühnes Wort: »nehmt den Schleier von Eueren Augen, stoßet den Becher des Todes von Euch und ermahnet die Welt zum wahren Licht in der Reinheit des Geistes und Herzens« macht ihm alle Ehre. Man darf überhaupt nicht mit der Laterne nach echten Rosenkreuzern, das heißt wirklichen Brüdern der hochedlen Bruderschaft vom Rosenkreuze suchen. War einer ein echter Rosenkreuzer, so ließ er nichts davon laut werden, und ein sicheres Kennzeichen für Nichtzugehörigkeit zum Orden war sicherlich der zumindest verdächtige Selbsthinweis, man sei ein Rosenkreuzer, wie das ja von manchem »Schwärmer und Schwindler« des öfteren geschehen sein mag. Mit demselben Rechte kann man allerdings schon bei Albertus Magnus, dem Franz Strunz als dem »herrlichen Menschen des Mittelalters« ein sehr schönes Denkmal gesetzt hat, mächtige Züge rosenkreuzerischer Art nachsagen, die auch bei Thritemius, dem Erfinder der Steganographia, reichlich vorhanden sind. Wie sich im nächsten Kapitel vom Stein der Weisen zeigt, sind so ziemlich alle großen Alchimisten Rosenkreuzer genannt worden, denn mit Recht bildet, wie schon angedeutet worden ist, die Alchimie, richtiger die Arbeit am Stein, den zentralen Komplex der rosenkreuzerischen Philosophie. Barnaud, ein französischer Alchimist des sechzehnten Jahrhunderts, soll zwar 1559 auch in Deutschland Reisen unternommen haben, um die verstreuten alchimistischen Rosenkreuzer zu sammeln, aber schon die Vereinigung der magischen Brüder, wie sie aus dem Jahre 1570 gemeldet wird, trug den verwirrenden Zusatz »Gold- und Rosenkreuzer«, die, später wirklich auftauchend, weit mehr freimaurerischen als rosenkreuzerischen Charakter annahmen. Sichere rosenkreuzerische Zusammenhänge lassen sich bei dem christlichen Kabbalisten Heinrich Khunrath nachweisen, der aber schon dem sechzehnten Jahrhundert angehört. Zur rosenkreuzerischen Welt sind ohne Zweifel Robertus de Fluctibus (Robert Fludd) und Bacon zu zählen, dessen Mitanteil am Shakesspearegeheimnis heute wohl schon als gesichert angenommen werden darf. Das Rosenkreuzertum ist seit dem 17. Jahrhundert in der ganzen Welt aufgetaucht und hat überall seine Verfinsterungen erfahren; auch die Theosophen scheuten sich nicht, rosenkreuzerische Impulse vor ihren Triumphwagen zu spannen. Eine Karikatur des Rosenkreuzertums ließ nicht lange auf sich warten; der Impuls des Amerikanertums bemächtigte sich bald der erhabenen Lehren der Rosenkreuzer, die der Deutsche Max Heindel, ein Eklektiker von ziemlich harmloser Natur, zu billigem Gebrauch, auch als Frage- und Antwortspiel, zusammengestellt hat. Alle diese Episoden verschwinden im Lichte und Glänze der Steinerschen Umwälzung des menschlichen Wissens durch Erneuerung der rosenkreuzerischen Impulse im Michaelsgeist, im Zeichen des johanneischen Christentums und des Grals. Eine merkwürdige Spielart entstand in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in Frankreich unter der Führung des ebenso genialen wie wunderlichen Sar Peladan, der neben den bisher, in ein unmögliches Deutsch, übertragenen Romanen stark erotischen Charakters ein ganz interessantes Lehrbüchlein, wie man Magier wird, hinterließ. Rosenkreuzerisch wird Eliphas Lévi ebenso genannt wie Stanislas de Guaita, der einen kabbalistischen Orden der Rosenkreuzer um 1888 in Frankreich begründete. Mit Bulver Lytton hat es eine eigene Bewandtnis: sein »Zanoni«, seine »seltsame Geschichte«, die dem Märtyrer Mesmer Gerechtigkeit widerfahren läßt, und sein »Geschlecht der Zukunft« verraten ohne Zweifel ein starkes Wissen um das Rosenkreuzertum und seine historischen Wurzeln, sowie um den Kern ihrer Lehre. Als pikantes Detail mag noch erwähnt werden, daß Van Helmont (wie Leibniz) vergebliche Mühe aufwendete, dem Orden der Rosenkreuzer anzugehören; sie fanden verschlossene Türen. Man kann daraus wohl einen Schluß ziehen, was davon zu halten ist, wenn weit geringere Geister als diese beiden, sich für Rosenkreuzer ausgeben!