Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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V.

Es war still geworden oben am Bergabhang. Der Nachklang des Hallos und Gejubels, bis die drei Wagen mit den zu Berge Ziehenden endlich den Weg hinabrollten, verhallte mehr und mehr, je nachdem die Tage und Wochen gingen.

Auch Norgreens waren gereist; Fräulein Amalie Eriksen war mit nach Valders gegangen. Unten in der Stadt waren nur Langberg und Lotte Falck zurückgeblieben. Dyrings hatten sich der Gebirgsgesellschaft angeschlossen, und Hedels waren auf einer flotten Rundreise durch Norwegen im eigenen Landauer begriffen. Frau Bibbi war fest überzeugt, daß sie im November, wenn die Katastrophe eintrat, sterben müsse, deswegen wollte sie vorher das Land noch sehen!

Knut saß mit seinem schweren Bilde oben im Walde. Er hatte ein Gefühl, daß er nie damit fertig werden würde. Und doch arbeitete er sich damit ab wie nie zuvor in seinem fleißigen Leben. Er ging immerwährend mit dem Gedanken um, da draußen ein Ende zu machen und mit dem Bild ins Atelier zu ziehen, um es nach den Skizzen aus dem Frühsommer zu vollenden. Eigentlich hatte er draußen nichts mehr zu thun, jetzt wo die Farben im Hochsommer nachgedunkelt und alle Formen des Laubwerkes und der Büsche gereift waren.

Aber er konnte sich nicht dazu entschließen. Er fühlte sich nicht wohl, wenn er daheim allein im Atelier saß. Er hatte es mehrere Tage versucht, mußte es aber wieder aufgeben. Allerlei bedrückende Gedanken befielen ihn innerhalb der vier Wände.

Hier draußen war mehr Platz und größere Freiheit, während er die Luft und die alten Tannen malte, die sich nicht an den Kalender kehrten und ungefähr noch ebenso aussahen wie damals, als er im Frühling damit begann.

Und dann kam noch hinzu, daß die jungen Farben der Skizzen, das frische, saftige Licht des frühen Vorsommers ihm allmählich ferner und weniger lieb wurden. Fast ohne es selber zu merken, hatte er das Bild allmählich auch dunkler und schwerfälliger angelegt. Das junge Leben und das Licht des Lenzes im Gegensatz zu den düsteren Tannen, – das, was ihm von Anfang an das Motiv geschaffen hatte, lag seinem Sinn jetzt ferner. Und doch konnte er sich nicht entschließen, das Bild vollständig umzulegen.

Aber in das tiefe Grün des Tannenwaldes, in die Kraft der Stämme und der Zweige und in ihren stolzen Wuchs arbeitete er sich immer tiefer hinein. Und er sah selber, daß er hier eine große, bedeutende Arbeit lieferte. Es war, als sähe er sich selber stark und kräftig daran.

Des Abends daheim nahm er seine alte Lieblingsbeschäftigung, – das Studium von Geschichte und Kunstgeschichte wieder auf. Langberg hatte ihm neue Bücher gebracht, und Stunde für Stunde konnte er des Nachts sitzen und lesen oder seine großen Mappen mit Kunstphotographien besehen.

Oft hatte er auch Besuch von Langberg und Lotte Falck zusammen. Les beaux restes nannten sie sich selber, wenn sie kamen – fast jeden zweiten Tag. Es sei traurig und öde unten in der Stadt, voller Staub und Wärme, keine Menschen und nichts zu sehen und zu hören. – Und dann die hellen, warmen Abende, die hinaus und bergauf lockten!

Langberg war übrigens in letzter Zeit gar nicht so heiter gestimmt wie sonst. Durch seine Scherze und Witze über sich und andere klang oft eine Bitterkeit hindurch, namentlich wenn Lotte Falck Briefe aus der Abelschen Kolonie bekommen hatte und daraus vorlas.

Knut erhielt von Zeit zu Zeit eine kurze Mitteilung von Bergliot, sonst aber war Lotte Falck diejenige, die die Korrespondenz aufrecht hielt. Karen Ragnhild antwortete ihr regelmäßig. Zuweilen kamen auch Rundschreiben von ihnen allen. Sie wirkten wie Fanfaren aus einem strahlenden Jubelleben da oben in den Bergen!

Lotte Falck las sie auch mit großer Sorgfalt vor. Aber sie hatte wenig Erfolg damit. Knut saß stumm da, und Langberg machte boshafte Randglossen. Lotte Falck las und lachte, las weiter, und lachte. Aber vergebens.

Dann eines Abends brach sie plötzlich in Thränen aus.

»Ich lese nicht weiter! Ihr seid ein paar gräßliche Männer!«

Knut und Langberg sprangen beide auf, ganz starr über dies sonderbare Benehmen. Und Lotte Falck lachte durch ihre Thränen:

»Hier sitze ich Abend für Abend wie David und spiele Saul vor. Und ihr seid nur unliebenswürdig! Ob ich weine! Ja, natürlich weine ich! Ist es etwa nicht traurig und ärgerlich – für mich! Da sitzest du, Knut, wie ein Eisbär und Langberg faucht wie eine Hyäne.« –

Langberg brach in ein schallendes Gelächter aus, das ansteckend wirkte, und zehn Minuten lang konnte niemand von ihnen vor Lachen zu Worte kommen.

Laut lachend stürzte Knut endlich aus dem Atelier hinaus:

»Ich habe ja noch Champagner im Keller! Der hat die ganze Zeit dagelegen und ist vergessen, der Ärmste!«

Lotte Falck saß mit thränenfeuchten Augen da und lächelte, und Langberg stolperte in immer erneuten Lachanfällen durch das Atelier. Jedesmal, wenn er still stand, um etwas zu sagen, fing er von neuem an zu lachen.

Der Champagner kam.

»Prost, Lotte! Du bist die stolzeste und mißhandeltste Frau im ganzen, Lande!« sagte Knut. Er stand mit dem Glas neben ihr. »Und ich bitte dich hübsch um Verzeihung.«

Langberg stellte sich an ihre andere Seite.

»Ich auch!«

»So, das ist recht! So soll es sein, – artige, nette, junge Leute. Kniet nieder!«

Sie knieten zu beiden Seiten vor ihr nieder und küßten ihr die Hände.

Im selben Augenblick stieg das Weinen plötzlich wieder so warm in ihr auf, die anderen aber sahen es nicht, denn sie beugten sich über ihre Hände. Und dann tranken sie; mitten während des Trinkens aber fing Langberg wieder so an zu lachen, daß er sich verschluckte und stöhnend auf dem Sofa endete.

»Aber wir sind doch nicht immer nur abscheulich gewesen, Frau Lotte,« sagte er endlich.

»Nein, unter vier Augen sind Sie furchtbar nett gewesen, Langberg. Namentlich in der letzten Zeit haben Sie sich sehr aufgenommen. Aber um so abscheulicher sind Sie, sobald wir hierher kommen, – Sie, der Sie mir beistehen sollten, Knut zu trösten! Was für einen Grund haben Sie, unliebenswürdig zu sein? Haben Sie etwa eine Bergliot auf der Alm?«

»Sie haben recht, Frau Falck, es ist abscheulich. Weder hier noch dort habe ich eine Bergliot! Aber wir wollen uns ermannen, Knut, nicht wahr?«

»Ja,« sagte Knut, »das wollen wir. Aber jetzt trinken wir Champagner! Fertig damit!«

Und dann las Lotte Falck weiter, – die Beschreibung von dem herrlichen zweitägigen Ausflug, den die ganze Gesellschaft nach Trondlinden gemacht hatte. Nur Bergliot, die sich den Fuß verstaucht hatte, konnte nicht mit dabei sein, und Thomas Hageman hatte sich erboten, ihr Gesellschaft zu leisten, – damit sie nicht ganz allein bliebe! – – – –


Einige Tage darauf, ziemlich spät am Abend, kam Langberg allein. Knut saß im Atelier und legte mit Freuden sein Buch und seine Bilder beiseite.

»Kommen Sie allein?«

»Ja. Ich bekam heute Mittag ein Billet von Frau Lotte. Sie sei in Anspruch genommen.«

»Ist ihre Mutter krank?«

»Ich glaube es nicht. Die alte Frau Reberg ist frisch wie ein Fisch.«

»Aber es stand doch so schlecht mit ihr, daß Lotte sie diesen Sommer nicht allein zu lassen wagte!«

Langberg lächelte.

»Es kann seine Vorteile haben, eine kranke Mutter als Vorwand zu benutzen.«

Knut sah fragend auf. Langberg aber lächelte nur.

»Doktor Prytz sagte doch, Frau Rebergs Zustand –«

Jetzt lachte Langberg laut.

»Sie sitzen hier schrecklich naiv oben in Ihrem Walde, Knut. Wenn Doktor Prytz von Frau Rebergs Zustand spricht, so denke ich mir mein Teil dabei!«

»Ach Unsinn! An solch Gerede glaube ich nicht. Ich kenne Lotte, – und sie ist ein viel zu kluges Mädchen, um sich in diesen Laffen von Doktor zu verlieben!«

»Haben Sie nicht in der letzten Zeit etwas Neues an Frau Falck bemerkt? Etwas ganz Entzückendes! Etwas Warmes, leicht Wechselndes – in der Stimme, in den Augen und dem ganzen Wesen! Wie neulich, als sie hier in Thränen ausbrach.«

»Ja! Sie haben recht. Das habe ich gesehen. Sie erinnert wieder mehr an die alte Lotte aus früheren Zeiten. Ich gestehe, ich war ziemlich schmerzlich berührt, als ich sie zuerst wiedersah. Das Ganze war ja während unserer Abwesenheit geschehen. Die Geschichte mit Falcks und mit Fritz Brun und alles.«

»Ja, alles das, was sie auf die moralische Proskriptionsliste der Stadt setzte. Ein sonderbares Land, in dem wir leben!«

»Nun, sie hat das mit ziemlicher Überlegenheit aufgenommen!« meinte Knut.

»Ach ja, – es giebt verschiedene Arten von Überlegenheit!«

»Darin mögen Sie recht haben. Wenn ich über die Sache nachdenke, so war es vielleicht gerade das, was einen so traurigen Eindruck auf mich machte. Eine Art Trotz, der sie nicht kleidete. Ich hatte ein Gefühl, als sei man nicht gut mit der kleinen Lotte umgegangen, während wir fort waren.«

»Jetzt geht es ihr besser!«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie ist verliebt!«

»In den Doktor?«

»Ja. Wenigstens glaube ich das.«

»Welchen Grund haben Sie dazu?«

»Ich will nicht noch indiskreter sein, als ich bereits gewesen bin. Aber ich habe meine Gründe. Wir sind ja, sozusagen, in der letzten Zeit aufeinander angewiesen gewesen. Ich bin gewissermaßen Frau Falcks Vertrauter gewesen. Wenn man keinen Tabak hat, raucht man andere Blätter.«

Knut lächelte.

»Es hat ja auch seine kleinen Vorteile,« fügte Langberg hinzu, – »zu den absolut Ungefährlichen hier auf Erden zu gehören.«

»Sie meinen die absolut Unverwundbaren!«

»Hm, auch das! Aber das ist im Grunde kein Vorzug. Das mögen die Mädchen nicht. Darüber ärgern sie sich immer – ein wenig.«

Knut lachte.

»Machen Sie sich jetzt, bitte, ein Glas zurecht! Denn gegessen haben Sie doch?«

»Nein, offen gestanden, – wenn ich ein Stück Butterbrot bekommen könnte –«

»Aber lieber Langberg –«

»Ich habe nämlich ganz und gar vergessen, etwas zu essen.«

»So fleißig gewesen?«

»Ach nein, – nein, sehen Sie, ich trieb mich planlos umher, wollte im Grunde ungern allein herkommen. Aber dann schlug ich doch unversehens den Weg hierher ein. Und unterwegs fiel mir ein, daß ich ja den Band Burchhardt mitnehmen wollte, von dem wir neulich sprachen. Da ging ich denn zurück, und dadurch ist es so spät geworden.« –

Nachdem Langberg seinen Hunger im Eßzimmer befriedigt hatte, setzten sie sich wieder mit ihren Gläsern in das Atelier.

Knut saß eine Weile schweigend da und kaute auf seiner kurzen Pfeife. Dann wandte er sich an Langberg:

»Langberg! Es ärgert mich, was Sie vorhin sagten, – daß sie ungern allein herkommen wollten, – ohne einen Verwand zu haben. Das ist ja Unsinn! Aber ich glaube, es fehlt etwas zwischen uns beiden.«

»Ach, Sie begreifen wohl, – wenn wir doch darüber reden, – ich weiß es ja selber am besten, – namentlich jetzt bin ich gerade kein guter Gesellschafter.« – –

»So weit ich mich darauf verstehe, fehlt eins zwischen uns: Wollen wir nicht Brüderschaft miteinander trinken, Langberg?«

Langberg riß die Brille von der Nase:

»Ja, Knut Arneberg! Das – – tausend Dank!«

»Also Prost!«

»Prost!«

Sie saßen beide einen Augenblick lächelnd da. Dann sagte Knut:

»Hatte ich nicht vielleicht recht darin, daß etwas zwischen uns fehlte?«

»Ja! Ja, das heißt, ich freue mich jedenfalls sehr, daß du das fandest.«

Nach einer Pause begann Knut: »Was du mir da von Lotte erzählst, das – das hätte ich nicht geglaubt. Ja, es ist des Satans mit diesen kleinen Mädchen.«

»Ich habe übrigens nichts gegen den Burschen einzuwenden,« sagte Langberg.

»Gegen Doktor Prytz? Ach nein, ich eigentlich auch nicht. Aber er ist so von ganz anderer Art, paßt gar nicht in unseren Kreis.«

»Unter zwei Liebenden giebt es wohl eigentlich nur einen Kreis. Und zwar einen ziemlich engen, nicht wahr?«

»Ja,« lachte Knut.

»Aber es ist mir ein Rätsel, daß Lotte gerade auf ihn verfallen mußte. Sie ist so recht eigentlich der Kern unseres Kreises. Vieles ist gerade für sie stärker bindend –«

»Wenn ich sie recht kenne, und wenn etwas zwischen den beiden wird, so ist Frau Lotte Manns genug – hätte ich beinahe gesagt – ihn in die Sphäre hinüberzuziehen.«

Knut that ein paar kräftige Züge aus seiner Pfeife und erwiderte:

»Daraus kommt gewöhnlich nichts Gutes.«

»Woraus?«

»Aus solchem herüberziehen. In eine andere Sphäre herüberziehen, wie du es nennst. Unter Eheleuten.«

»Doktor Prytz könnte doch nur dabei gewinnen, sollt' ich meinen.«

Knut überhörte die Bemerkung.

»Nein,« begann er von neuem, – »man sprach in alten Zeiten von Mesalliancen. Das war an und für sich natürlich Unsinn. Aber es ist etwas daran. Zwei Menschen, die in einem grundverschiedenen Erdboden wurzeln, werden doch immer schwer in derselben Erde wachsen. Mag es nun die seine oder die ihre sein. Wenn Charakter in dem Menschen ist, wird es sich immer fühlbar machen.«

»Aber die Voraussetzung, – die sogenannte Liebe! die wird darüber hinweg helfen. Die Lebensquellen vereinen, indem die Lebensforderungen dieselben werden!«

»Liebe! Liebe, ja! Ach ja, natürlich! Aber sieh nur dies mit Lotte an. Was für eine Art Liebe kann es denn sein, die sie für Doktor Prytz empfindet! Ein nach jeder Richtung hin fremder Mann.«

»Ich muß über dich lachen, Knut,« sagte Langberg.

Knut aber blieb ernsthaft.

»Ich kann nun nicht darüber hinwegkommen, daß in einer so großen Sache, wie es die Liebe zwischen zwei Menschen ist, bis zu einem gewissen Grade Voraussetzungen in einem selber vorhanden sind. Man verliebt sich nicht in irgend einen beliebigen Menschen. Man verliebt sich in jemand, der die Fähigkeit, die Bedingungen besitzt, Liebe in uns zu erwecken. Und je stärker und tiefer die Persönlichkeit ist, um so schärfer werden die Grenzen dafür, in wen man sich – wirklich und mit Lebenskraft – verlieben kann.«

Stipendiat Langberg zerbrach seinen klugen Kopf darüber, was es wohl sein könne: Knut war heute Abend so eigentümlich! Er fühlte, daß er das Bedürfnis hatte, sich auszusprechen und erwiderte deswegen nicht viel.

»Nein,« fuhr Knut fort, – »der Zweck der Liebe ist ja doch, daß sich das Leben zwischen zwei Menschen darauf aufbauen soll. Und das Leben richtet sich ja nicht auf Zufälligkeiten ein!«

»Nein! Das ist wohl wahr,« sagte Langberg.

»Und hierin liegt es ja auch,« begann Knut von neuem mit sinnendem Ernst, – »daß man Verantwortung für seine Liebe hat. Der lächerliche Unsinn, den einige geistreiche Persönlichkeiten unseres Kreises als echte Ware ausgeben wollen, daß nämlich die Liebe ohne Verantwortung ist, – diese Verpflanzung der Ehestands-Moral französischer Romane auf unseren heimischen Grund und Boden – die eignet sich für faule Köpfe und liederliche Naturen und ist der reine Unsinn, Mangel an Kenntnis und an Tiefe der Gedanken. Gar nicht zu reden von bösem Willen. Wir heiraten hier zu Lande aus Liebe; die Liebe ist in der Regel unsere ganze Mitgift. Und das macht einen verteufelten Unterschied. Eine französische Ehe zu brechen, ist wohl kein größeres Verbrechen, als eine Handvoll Zigarren in seiner Reisetasche über die Grenze zu schmuggeln, – oder ein anderes gelindes Umgehen des bürgerlichen Gesetzes. Die Ehe ist ja nichts weiter als ein Stück bürgerlichen Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Ordnung. Hier bei uns aber ist die Ehe ein Liebesgesetz. Sie ist in jedem einzelnen Falle ein Gesetz, das ein Mann und eine Frau sich selber mit ihrem heiligsten Blut schreiben. Wer sie bricht, bricht ganz einfach mit sich selber, mit seiner innersten Ehre, seinem einzigen, teuren Glauben an sich selber. Ja, denn ich bin nun einmal der Ansicht, daß die Liebe das Große, Obergeniale in uns ist, das Naturgewaltige, das uns allen eigen ist, wir mögen nun Hinz oder Kunz sein, und das Einzige, was unser elendes Wesen zu einem einzigen großen Ganzen zusammentrommelt! Und die Verpflichtung, die man damit übernimmt, – die soll man bei dem ewigen Gott halten! Woran soll man sich denn sonst halten, – in sich selber!«

Langberg saß da und wunderte sich, wogegen Knut eigentlich raste. Denn es war ganz klar, daß er ein bestimmtes Ziel vor Augen hatte!

Als Knut schloß und ihm sein starkes Antlitz mit den funkelnden Augen zuwandte, lächelte Langberg ruhig:

»Natürlich hast du recht!«

»Bei Gott, ich hab' recht!«

»Aber dann sind da ja diese armen, unglückseligen Menschen in dieser Welt, für die diese selbe naturgewaltige Liebe eine ebenso zerstörende Macht wird, wie sie erhebend wirken sollte.


»Es giebt wenige – davon bin ich aus innerstem Herzensgrunde überzeugt – es giebt äußerst wenige von diesen ›Unglückseligen‹, die nicht in Wirklichkeit und bei Lichte besehen verdienen, Lumpen genannt zu werden.«

»Nun, – nun!«

Ganz nonchalant aber mit einem forschenden Seitenblick auf Knut sagte Langberg nach kurzem Schweigen:

»Dir wird es ja verhältnismäßig nicht schwer zu richten und zu donnern, du hast ja solch Glück im Spiel gehabt! So eine Frau, wie du hast! Dabei fällt mir übrigens ein, daß deine kleine, vortreffliche Schwägerin hin und wieder, wenn ich mich mit ihr unterhalten habe, kleine Sätze ähnlichen Inhalts, wie du sie hier eben aufstellst, hat verlauten lassen. Andeutungen, die auf alle Fälle, wenn sie die Fähigkeit oder die Gelegenheit hätte, sie zu entwickeln, ungefähr auf dasselbe herauskommen würden wie deine Ansichten über diese Dinge. Und sie hat mir erzählt, daß sie das von ihrem Vater hat.«

»Von dem Drost, ja. Das ist ein hervorragender Mann.« – – –

»Ja, aber das ist dann doch der Erdboden, in dem auch deine Frau aufgewachsen ist. Mit anderen Worten, eine ganz eigentümliche – und glückliche Harmonie in Bezug auf das, wovon wir ausgingen, – in Bezug auf die Voraussetzungen!«

»Ja natürlich!« entgegnete Knut ein wenig zerstreut. Er stopfte seine Pfeife von neuem und ließ sich Zeit bei dem Anzünden. Langberg beobachtete ihn währenddes forschend. Es lag etwas Gequältes, leidendes in dem tiefen Ernst, der auf Knuts Zügen ruhte.

Eine Weile schwiegen beide.

»Sie ist prächtig, du, deine kleine Schwägern.«

»Karen Ragnhild, ja! Ja, sie ist jung und reizend.«

»So jung sie ist, unentwickelt, kindlich in vieler Beziehung, so hat sie doch etwas Stolzes, Reifes. Etwas in der Art wie deine Frau. In dem Typus, meine ich. Sie ist ja nicht viel mehr als eine Knospe, aber aus einem vornehm gehaltenen Garten. Sie steht in meinen Augen hoch über den anderen. Ebenso wie Frau Bergliot, die ja außerdem älter und in ihrer persönlichen Entwicklung weiter gediehen ist. – – Noch im Besitz der ganzen strahlenden Schönheit, mit offenen Sinnen, hellleuchtender Intelligenz und starkem, freien Willen auf das Leben los zu gehen, – das bringen die wenigsten Frauen fertig. Die meisten nehmen irgendwie Schaden. Entweder leidet die Schönheit dabei, – oder die Sinne quellen über – der Wille wird zu nichts, und die Intelligenz schleißt sich ab. – – – Aber so eine Frau mit voller Musik, – ja, das ist der großartigste, erfreulichste Anblick auf Erden!«

Langberg lehnte sich in den Stuhl zurück, leerte sein Glas und fuhr lächelnd fort:

»Ich erinnere mich, daß ich im Lenz meiner Jugend bei meinem Freund Macaulay gelesen habe, daß die Welt auf eine neue Völkerwanderung warte, und daß die mit der Arbeiterbewegung im Anmarsch sei. Das Aufrücken des vierten Standes, – das sei in Wirklichkeit die neue und erneuernde Völkerwanderung. Eine Zeitlang imponierte mir dieser Gedanke sehr. Als ich mich dann aber später mehr und mehr in die Niederträchtigkeit, die man historisches Studium nennt, vertiefte, wechselte ich den Glauben. Ich kam zu der Ansicht, daß die neue Völkerwanderung die Auswanderung nach Amerika ist. Altes Volk im neuen Lande. Es bildete einen so prächtigen Gegensatz zu der früheren Völkerwanderung, – neues Volk im alten Lande. Es giebt ein Alter, in dem man sich geradezu in so etwas verlieben kann. Aber das sind alles Lügen. Das Proletariat und die Amerikaner sind in Wirklichkeit nur die uneheliche Nachkommenschaft des alten Geschlechts. In beiden ist kein neues Blut. Nein, aber das Einrücken der Frau in das Kulturleben, – so, wie gesagt, mit voller Musik! Das war wirklich etwas von einem Völkerwanderungsgedanken. Und an den glaube ich eigentlich noch. Freilich – ich finde ja nur sehr wenige hinreichend ausgerüstet für meine – Wanderung!«

Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu:

»Das aber meine ich, muß Stich halten, wenn auch dergleichen Theorien gegen mancherlei zerschellen und zu Phantasien und Träumen werden, – daß nämlich der Eindruck einer stolzen und starken Frau auf den alten Kulturboden eines Mannes zu einem großen, neuen Leben führen muß!

»Ja, ja,« lächelte er nach einer Weile, – »ich treibe nun in aller Stille so mein Spezialstudium der heutigen Frau. Das kann vielleicht die fruchtbarste Vorarbeit für eine Behandlung der Geschichte werden. Nicht wahr!«

»Ja, das mag sehr wahr sein. Aber noch ein Glas, du! Und hier stehen die Cigarren.«

Langberg zündete eine Cigarre an.

»Und man ist ja von der Vorsehung geradezu zu dem Studium berufen, – indem man nämlich mit dem Vorteil in erotischer Beziehung absolut ungefährlich zu sein, zur Welt gekommen ist. Wie?«

»Ach,« sagte Knut sinnend, – »du bist mit einem viel größeren Vorteil zur Welt gekommen. Aber den erkennt man nur an, wenn man ihn entbehrt. Dieses Studium der Frauen, das Verständnis für Frauen, – das ist ein Geheimnis, auf das ich mich nicht verstehe. Wenn ich höre, wie andere über Frauen reden, sie charakterisieren, neue Züge und neue Zeiten an ihnen hervorsuchen, bis in ihr feinstes Gewebe hinein, – da habe ich eigentlich immer ein Gefühl, als wenn ich außerhalb der Sache stünde. Ich bewundere es wie eine Kunst, auf die ich mich nicht verstehe, – ich beneide euch andere. Das kommt von dem Leben, das man von Klein auf geführt hat. Wer erst als erwachsener Mann mit Frauen in Berührung gekommen ist, – mit feinen, entwickelten Frauen – erlangt im Leben das Verständnis für sie, das derjenige hat, der schon in der Knabenzeit im Spiel mit den kleinen Mädchen und dann später ununterbrochen sich daran gewöhnt hat, ihr von dem unsern so mannigfach verschiedenes Wesen zu sehen. Ich kann noch heutzutage dastehen und spielenden Mädchen zuschauen! Und ich glaube, man muß von Kindesbeinen an gehört haben wie sie um nichts und wieder nichts schreien und kreischen und sich anstellen, – beleidigt aufbrausen – und wieder gut werden, – sich zusammenrotten und zischeln und tuscheln, – eitel mit den kurzen Röckchen drehen und sich über die anderen lustig machen. – – Es ist das eine Übung, die notwendig mit dazu gehört. Sonst gewinnt man nie die richtige Perspektive zu ihnen. Man überschätzt dieses und unterschätzt jenes, wo es sich um ernste Verhältnisse handelt; man glaubt sich auf dem einen Gebiet sicher und müht sich auf einem andern ab. Und dann steht man plötzlich da und hat sich gründlich geirrt! Bricht gerade da zusammen, wo man sich am sichersten glaubte! Ein Mann, in dessen Leben diese Voraussetzungen fehlen, wie gesagt, von Kindesbeinen an, – der sollte sich nicht mit einer feinentwickelten Frau verheiraten!«

»Aber, lieber Freund, die allgemein menschlichen Voraussetzungen – –«

»Gerade als du heute Abend kamst, Langberg, saß ich da und betrachtete meine Photographien vom Pantheon in Rom. Es gab eine Zeit, wo ich draußen vom Platz aus die vorderen Säulen malte, – ein großartiges Motiv! Ja geriet ich eines Tages in Unterhaltung mit einem französischen Architekten, der dort reiste und studierte und malte, im übrigen ein gemütlicher, alter Bursche. Und er erzählte mir, es solle eine alte Sage von der Pantheonkuppel geben.«

»So?«

»Ja. Der alte Baumeister war ein verstockter Republikaner, der den Kaiser haßte. Da konstruierte er seine Kuppel so, daß wenn man an einer bestimmten Stelle im Gewölbe ein paar Steine herausnahm, die ganze Bescherung zusammenstürzte! dem Kaiser und dem ganzen Gefolge auf den Kopf. Der Mann wurde indessen noch rechtzeitig gefangen genommen oder von der Götter Zorn auf irgend eine Weise getroffen. Aber die Geschichte machte einen eigentümlichen Eindruck auf mich; ich wurde ganz von meinen Säulen abgelenkt und trieb mich im Innern des Gebäudes herum und starrte die grandiose Bogenwölbung an, – die durch Jahrhunderte hindurch so bombenfest dagestanden hatte! Und dann vielleicht nur ein paar lose Steine – –!«

»Um Himmels willen, wie kommst du nur darauf, jetzt an dies alles zu denken?«

»Ja! Du redest von den allgemein menschlichen Voraussetzungen. In Bezug auf Frauen. Ja, das kommt wohl daher, daß ich sie, wie gesagt, so schlecht kenne. Aber nach dem, was ich in meinem Leben von Frauen gesehen und gehört habe, – wie oft habe ich nicht ganz starr vor dem Unberechenbarsten des Unvorhergesehenen bei ihnen gestanden, – so finde ich oft, daß die Frauen so sind wie diese gefährlich hängenden Kuppelgebäude, die so ungeheuer architektonisch leichtsinnig in der Luft schweben, – wunderbar lockend auf mancherlei Weise – und dann ist da vielleicht auch irgendwo in der Konstruktion so ein kleiner, loser Stein! Erhält der einen Stoß, so stürzt das Ganze zusammen, – dem betreffenden auf den Kopf. Es stürzt alles zusammen, was man für so bombenfest gehalten, alles, was man vielleicht als das solideste und schönste Wunderwerk angestaunt! Männer können ja häßlich genug stürzen, – aber das ist in der Regel nur etwas teilweises, – wenigstens geschieht es nur allmählich! So ein totaler, absoluter, plötzlicher Ruin, weil es an einem Punkt nicht stimmt, – das ist ja echt weiblich! Einige haben es auf dem Gebiet der Eitelkeit, andere auf dem der Erotik oder Gott weiß wo – –«

Langberg saß finster und ernsthaft da und hörte ihm zu. In diesem Augenblick wurde es ihm klar, daß er einem von Eifersucht gequälten Manne gegenüber saß. Er war nahe daran, laut auszurufen: Thomas Hageman! So überwältigte ihn die Entdeckung. Er sah Knut an, sah ihn mit wilden Augen dasitzen und fanatisch nach Worten für seine Vorstellungen suchen – – – und plötzlich beugte er sich zu ihm hinüber und sagte laut und mit Empörung:

»Die tröstliche Seite bei der Geschichte deines französischen Architekten ist ja, daß sie von einem Ende zum andern eine Lüge ist. Lüge und Unsinn, Knut Arneberg!«

Knut fuhr in die Höhe und sah ihn verwirrt, errötend, wie auf böser That ertappt an. – – Langberg lächelte sofort wieder lustig und erhob das Glas:

»Ich hätte nicht geglaubt, daß du dich mit solchen Mystifikationen abgäbest! Prost! Es freut mich zu sehen, daß starke Männer auch ihre schwachen Seiten haben! So wie deine Pantheonkuppel! Du hast nur bisher so gewaltig imponiert, aber das hat jetzt ein Ende! Prost!«

»Prost!« sagte Knut und leerte sein Glas. Dann stand er auf und schlenderte durch das Zimmer. Von Zeit zu Zeit warf er Langberg einen forschenden Blick zu. Dieser aber saß unbefangen heiter da und erzählte von der Kuppel in Florenz, von Brunelleschi und dem Ei des Kolumbus.


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