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Nikolai hatte den Boden unter den Füßen verloren, soviel war gewiß!
In einer anderen Schmiede vorzusprechen, fiel ihm nicht ein; dazu kannten sie sich zu gut untereinander ... und schon bei Prahmbauer Hansen, wo er während seiner Arbeitslosigkeit oben auf dem Geräteboden Logis und Kost erhalten hatte, wollten sie Auskunft darüber haben, weshalb er sein Handwerk verlassen habe. Als ob sie das irgend etwas anginge!
Nikolai blieb plötzlich aus.
Auf der Anlegebrücke, am Hafen, bei den Dampfern mußte ein Mensch mit seinen Fäusten sich wohl ebensogut wie jeder andere durchschlagen können.
Mit frischem, fröhlichem Mut, wenngleich nicht mit einem Magen, der in den letzten Tagen mit Speisen überladen war, kam er dorthin.
Sie empfingen ihn mit einer gewissen bewundernden Anerkennung. Daß er mit der Polizei zu tun gehabt hatte und gerissen genug gewesen war, sich aus der Affäre zu ziehen, ohne daß etwas an ihm hängen blieb, war eine wohlbekannte Tatsache; das bemerkte er bald; – so etwas durcheilt jene Welt wie ein Lauffeuer und umgibt seinen Mann mit einem Glorienschein.
Und solange sie ihn nur für einen Müßiggänger hielten oder für einen Schmiedelehrling, der sich mal auslüstete und ein paar Tage von der Schmiedearbeit feierte, waren die Interessenten der verschiedenen Erwerbszweige da unten liebenswürdig und mitteilsam. Aber als er – und zwar nicht nur ein vereinzeltes Mal – plötzlich die Hand anlegte und einen schweren Koffer auf der Schulter, einen Reisenden hinter sich, vom Dampfschiff über die Landungsbrücke an den Wagen vorbei zum Hotel hinauflief, schlugen sie eine andere Tonart an. Hatte er eine Nummer? – Meinte er etwa, sie ließen sich ohne weiteres ins Handwerk pfuschen? ... Sie wußten wohl, was er für einer war!
Und jetzt, wo der Winter so lange anhielt, hungerte und fror ihn. Namentlich die Nächte waren lang. Um über sie hinwegzukommen, trank er zum Abendbrot häufig Branntwein. Und dann kam es darauf an, auszuspekulieren, wo er tagsüber sein Glück versuchen sollte: bei der Eisgewinnung am Kai, beim Schneeschippen oder auf dem Lagerplatz mit Brettertragen.
In dünnen, zerschlissenen Kleidern, von der Kälte gerötet, stakte er hinunter, die Jacke an den Ellenbogen durchlöchert, das Halstuch, das noch seine Farbe von der Schmiede her hatte, hoch über die Ohren gezogen. Der Schmiedejunge schaute noch überall durch. Jedesmal, wenn er einen von Haegbergs Lehrlingen traf, schlug er ein Hohngelächter an ... Meinten sie vielleicht, er sei ruppig im Zeuge? Aber gerade so, wie er's jetzt hatte, wollte er es ja haben! Er wollte frei sein, wollte weder Meister noch Gesellen noch sonst jemand über sich haben und sich um niemanden kümmern! ...
War der Schmiedeplatz ein Ort, dem er am liebsten fernblieb, so gab's noch eine andere Stätte in der Stadt, um die er gern einen großen Bogen machte: die Strecke am Kai, wo die Blockmacherwerkstatt lag und wo es zu Holmans hinaufging.
Es mochte nun sein, wie es wollte – Silla zu treffen, hatte er keine Lust!
Das letztemal, wo er mit ihr sprach – am Tage, nachdem er aus der Schmiede fortgekommen war –, bemerkte er, daß sie sich die ganze Zeit über ängstlich und scheu umblickte und bald hier, bald dort mit ihm stehen wollte. Angst vor denen zu Hause konnte es nicht sein; und da wurde es ihm plötzlich klar, sie schämte sich, daß die Leute es sähen, wenn sie dastand und mit ihm schwatzte. Mit einem »Adieu, Silla!« ließ er sie plötzlich allein.
Von da an bereitete es ihm einen wahren Genuß, daß sie so unglücklich aussah und sich alle erdenkliche Mühe gab, ihm zu zeigen, daß sie sich nicht um die Leute kümmere, was wollte sie von ihm, wenn er doch nichts hatte, um sie zu traktieren? Es war nichts für sie, mit so einem zu stehen! –
Es gibt einen prächtigen Bundesgenossen für jeden, der zerschlissene, durchlöcherte Kleider tragen muß, und das ist die Sonne! Sie liefert an den warm beschienenen Wänden die schönsten Überzieher, sie kommt mit Lust und Leben, und der Magen braucht dann nicht mehr wegen des Mittagessens in Ungewißheit zu sein!
Nikolai hatte den ganzen Vormittag über Arbeit am Kai gehabt und ruhte sich nun in der Mittagspause aus, ließ sich in der Sonne braten und schnappte frische Luft.
Mitten in dieser Beschäftigung hielt er inne ... Dort ... die schlanke Gestalt in dem flatternden baumwollenen Kleide, die mit weit vorgebeugtem Oberkörper und einem Tuche als Schutz gegen die Sonne um den Kopf dahergelaufen kam – es war niemand anders als Silla!
Sie wand sich unten auf der Fischerbrücke durch die Körbe und das Gedränge; sie war in spähender Hast wie ein aufgescheuchter Wachtelkönig, der im Laufen den Kopf hin und her wendet. Sie hatte ihn erblickt ... und nun rief sie auch – »Nikolai ... Nikolai!«
»... Nikolai!« – vor lauter Eile versagte ihr die Stimme, »Nikolai, denk' dir nur, heute ... als Mutter meinen alten blauen Rock trennte ... hat sie das Geld unten im Stoß gefunden ... es lag im Futter ... alle beide Talerscheine und das Kleingeld auch ... Ich habe eben Vater das Essen auf die Werkstatt gebracht und bin geradeswegs hierhergekommen, um es dir zu sagen ... Und jetzt laufe ich gleich zur Schmiede ... sie sollen hören, wie sie dir unrecht getan haben! Denk dir nur, gerade unten im Stoß! ... Ich freue mich ganz furchtbar!« Und es leuchtete beinahe wild aus ihren Augen. »Das kannst du mir glauben, Mutter machte ein schönes Gesicht!«
»Grüß' nur zu Hause von mir, und sag' ihnen, das wäre mir ganz schnuppe!« unterbrach er sie bitter und kühl. Sie aber beachtete es nicht; sie wollte zur Schmiede und – fort war sie.
Er hatte nichts dagegen! ... aber Anders Berg hatte ja seine Schmiede in Svelvig aufgetan, und um die andern kümmerte er sich nicht – ob die es erfuhren oder nicht! – Er war ja jetzt ein freier Mann!
Er starrte mit den Händen in den Hosentaschen von der Brücke auf einen versunkenen Zuckerhut, den ein Haufe kleiner Jungen unter Lärm und Hallo aus dem Wasser zu angeln versuchte. Bereits halb geschmolzen, stand er auf dem grünlichen Grunde, auf den die Sonne glänzende Wellenlinien zeichnete.
... Mochte Silla alles versuchen, was sie wollte, ihn wieder in die Schmiede zu bringen. Seit sie ihm das Wort »Dieb« angehängt hatten, war er durch und durch mit Salzwasser durchtränkt, gerade wie der Zuckerhut! ... Und außerdem dazustehen und zu schuften, wenn er sein eigener Herr sein konnte ...
»He, Jungens! soll ich euch zeigen, wie ihr den Zuckerhut herauskriegt? Essen müßt ihr ihn aber selbst!«
*
Jene Schenkstube mit der grünen Tür und den weißen Fensterrahmen – unten in der Straße bei Madam Selvig – hatte nun viele Jahre lang des Blockmachers leise, stille, gebeugte Gestalt kommen und gehen sehen. Sein Griff nach der Türklinke war gleich präzis, sein Gang zu dem braunen Tisch hinüber, nachdem er sein Werkzeug aus der Hand gelegt, war gleich akkurat, nur sein Gesicht war ein bißchen mehr gerötet. Er hatte ein gewisses Ansehen dort unten, das ihm jetzt bereits eine Reihe von Jahren gestattete, »ankreiden« zu lassen und ein Verhältnis zu seiner Rechnung aufrechtzuerhalten, wovon seine unerbittliche Gattin nicht die leiseste Ahnung hatte – »denn Holman bekam ja wöchentliches Taschengeld!«
Und wie gewöhnlich ging Silla am Samstagabend draußen auf und ab und wartete mit dem Korb auf ihn.
Sie war gewiß recht niedlich aufgeputzt, wie sie da ging in ihrem Kattunkleide, mit dem kleinen, weißen Tuch um den Hals; aber es war, als ob ihr die Sachen nicht säßen. Überall guckte die hochaufgeschossene, magere Gestalt durch.
Sie machte eine rasche Wendung, als sie ganz unten auf der Straße einen Schimmer von Nikolai entdeckt zu haben vermeinte. Das hatte sie auch am letzten Sonnabend geglaubt. Eigentlich hatte sie seit Beginn des Sommers nicht mit ihm gesprochen, als er sich damals so aufregte, weil sie ihn wieder in die Schmiedelehre bringen wollte.
Sie eilte die Straße hinab; – daß er es war, davon war sie überzeugt! ...
Sie stürzte weiter zur Anlegebrücke ... Aber gerade wie das vorige Mal war er nicht zu sehen! – und dann kehrte sie enttäuscht wieder um, ständig Madam Selvigs grüne Tür im Auge behaltend. Mit dem Schlage acht würde ihr Vater auftauchen, das wußte sie.
Sie ging bis zur Tür hinauf und wieder hinunter. Jetzt begann sie, ungeduldig zu werden ... Es war ja sicher schon acht vorbei – mußte es sein! –, hier und dort schlossen sie ja bereits die Läden und, sollte sie heute abend noch etwas einkaufen, konnte sie unmöglich länger warten! ...
Schließlich mußte sie hinauf, um nachzusehen, ob der Vater wirklich noch dort säße – vielleicht war er gegangen, während sie unten auf der Brücke war; er irrte sich doch nie in der Zeit!
Sie war die Straße bis dahin hinaufgekommen, wo das Steinpflaster begann, als sie die grüne Tür sich öffnen und schnell wieder schließen sah. Heraus stürzte ein Mädchen, ohne Hut, ohne Tuch. Unmittelbar darauf kam in derselben Eile ein Mann, und durch die Tür, die offen blieb, strömte ein Schwarm Leute, mit und ohne Mützen, auf die Treppe hinaus.
Da war etwas nicht in Ordnung! ...
Jetzt ging auch ein Fenster auf, oder richtiger, es flog auf, daß die Scheiben auf die Straße klirrten.
Vermutlich irgendein Betrunkener, der sich nicht mehr »benehmen« konnte – es war ja Samstag abend –, und der Radau machte, so daß die Polizei ihn holen mußte.
Dergleichen hatte sie schon oft gesehen, kannte das Bild ganz genau. Auch um ihren Vater war ihr nicht angst, er mischte sich grundsätzlich nicht in solche Geschichten.
Aber weshalb kam er nicht heraus? – alle Gäste standen doch draußen!
Es fiel ein schwacher, grauer Abendschimmer durch die geöffnete Scheibe. Drinnen am Tisch pflegte ihr Vater zu sitzen, immer am selben Platze. Und sie trat näher und schaute hinein, an den Blumentöpfen vorbei – einigen halberstorbenen, schmutzigsaftigen Geranien und Hortensien, von Wirtshausdämpfen durchtränkt.
Was war das? ... der da – auf dem klebrigen Schenktisch, das Halstuch gelöst, das Hemd geöffnet, den einen Arm herabhängend – ihr Vater?
»Wenn wir nur einen Schnepper hätten! – eben hat er sich bewegt – einen Schnepper!«
Was sie weiter auf der Treppe sagten, beachtete sie nicht – ob ihr einige den Zutritt verwehren wollten und andere wieder behaupteten, sie sei Holmans Tochter.
– Sie erwachte wie nach einem schweren Sturze, in dem sie das Bewußtsein verloren hatte, und fand sich auf dem Schenktisch sitzend, ihres Vaters Kopf und Oberkörper stützend. Ihr war, als sei sie ihm um den Hals gefallen und habe ihn angefleht, ihr zu antworten ... aber jetzt röchelte er nicht mehr!
Sie hatten ihm ein altes, halbleeres Sofakissen und einen Stuhlsitz unter den Kopf gelegt. Ringsherum standen Gefäße und Nössel, Schnapsgläser, Blechtrichter und Bierflaschen, alles zur Seite geschoben, um bis zur Wand hin Platz zu machen. Die Augen starrten weitgeöffnet zur Decke empor, die einst weiß gewesen war, und die eine Gesichtshälfte war zu einem Grinsen verzerrt, das aussah, als ob er daläge und sich unsäglich über die schmutzige Decke ekelte.
An der Tür saß ein großer Kerl; sie kannte ihn, es war der »Wirtshausbär«, wie sie ihn nannten; er hatte die Aufgabe, die Leute vor die Tür zu befördern. Er saß stumm auf der Bank.
Es war ganz still im Raume; sie hörte nur, wie die Tropfen vom Branntweinfaß aus dem Hahn in das Becken fielen, und im Wohnzimmer, dessen Tür halb offen stand, huschte die Wirtin mit ihren beiden Töchtern auf den Zehenspitzen hin und her.
Ein junger, bebrillter Mann trat ein. Er stellte, während er aus dem Schenktisch zu Füßen des Daliegenden sein Besteck öffnete, rasch ein paar Fragen. Er horchte an der Brust, mit und ohne Hörrohr, schüttelte den Kopf, nahm ein Aderlaßinstrument hervor und schob den Hemdärmel an dem herabhängenden Arm zurück.
»Halten Sie den Ärmel, daß er nicht herabrutscht!« sagte er mit einem Blick zu Silla empor; er nahm an, sie gehöre zum Hause.
Der Schnepper hackte zu ... einmal und noch einmal ... Das graubleiche Mädchen blickte ihm ins Gesicht, als flehe sie ihn um ein einziges Tröpflein Leben an ...
Es kam etwas Zähes, Dunkles – etwas wie Sirup.
Er horchte wieder, betastete wieder; noch ein Versuch mit dem Schnepper! ... und mit überlegener Miene, die Mundwinkel hochgezogen – wie ein Professor –, wandte sich der junge Kandidat der Medizin an die Umstehenden und gab in knappen Worten sein Urteil ab:
»Mausetot! ... Der Mann ist mausetot! – Trunk!«
Ein Schrei von Silla, die sich über den Vater warf, folgte diesen Worten.
»Ist das etwa die Tochter?« fragte der Kandidat; er putzte, es gegen das Licht haltend, vorsichtig sein Instrument und packte das Besteck wieder zusammen, starrte aber gleichzeitig über seine Brillengläser weg zu ihr hin. Die jammerte, ganz von Sinnen in einem fort.
»Du bist doch nicht tot ... nicht wahr, Vater? – Väterchen! hör' doch!«
Es war ein wilder Schmerz, ohne Rücksicht, ohne Scham und Scheu, und dem jungen Mediziner dünkte, er erlebe eine häßliche Szene aus dem Vorstadtleben. Er hatte seine Pflicht getan und eilte hinaus.
Hinter ihr bemühte sich, bleich und bedrückt, ein neunzehn-, zwanzigjähriger Handwerkslehrling, sie wieder zu Vernunft und Sinnen zu bringen. Er klopfte sie auf die Schulter und flüsterte wiederholt so laut, als die Achtung vor dem Toten es gestattete:
»Silla! Silla! – hörst du denn nicht? – ich bin's ... Nikolai!«
Zwischendurch versuchte er ein paarmal, sie von der Leiche hochzuzerren.
Währenddessen stand der Polizist bei der Wirtin und den Mädchen und verhörte sie. Er machte sich Notizen und schrieb die näheren Umstände bei dem Todesfälle auf.
... hatte gerade sein gewohntes Quantum zu sich genommen, eine Flasche Bier und vier Schnäpse ... das Schenkmädchen sah, wie er rasch die Hand hob – hatte den Eindruck, daß er noch einen Schnaps bestellen wollte, und dachte, als er langsam vom Stuhle sank, er wäre vielleicht berauscht ... Pflegte es niemals in dem Maße zu sein, daß er nicht mehr gehen oder sich fortschleppen konnte, wenigstens unter Zurhilfenahme von zweckdienlichen festen Gegenständen zur Stütze oder ...
Dies bezeugten ausdrücklich mehrere Stammgäste oder, wie der Beamte in seinem Rapport schrieb – »mehrere der ständigen Besucher der Wirtschaft, deren Aussage als völlig zuverlässig anzusehen ist«.
Von diesen schweigsamen, schwankenden Gestalten, die so jäh aus ihrem Samstagabenddusel ausgeschreckt wurden, waren bereits mehrere von der Bildfläche verschwunden. Flaschen und Gläser standen halbgeleert rings im Zimmer umher.
»... Ob irgendeine andere mittelbare oder unmittelbare Ursache denkbar wäre?«
Nur zaudernd schien der Wirtin eine andere denkbar.
... So ungern sie es einem guten, alten Kunden gegenüber zum Äußersten kommen ließ, so hatte sie ihm heute abend doch bedeuten müssen, daß er von jetzt an alles bar bezahlen müsse, was er genoß. Seine Rechnung war in all den Jahren, die er in ihrem Lokal Kredit gehabt hatte, so unmäßig angewachsen, daß sie – als Witwe mit zwei Töchtern – es für unverantwortlich gehalten hätte, die Sache noch länger mitanzusehen. Die ganzen langen Jahre, die er bei ihr verkehrte, hatte sie es getreulich so gehalten, ihm keine Mahnungen ins Haus zu schicken. Aber schließlich kann doch eine Rechnung nicht beständig stehenbleiben – die Polizei weiß es: die Welt ist nun mal nicht anders; immer dasselbe, hier wie dort! – und so mußte es zur Exekution kommen! Das war es, was sie ihm gesagt hatte ... so ungern sie es auch, wie gesagt, tat ... und so schwer es ihr auch, wahrhaftig! wurde, einen so netten, ordentlichen Mann in Angelegenheiten zu bringen! ...
Es war allmählich Zeit, die Schenkstube von der lästigen Bürde zu befreien. Der Wirthausbär hatte eine Tragbahre herbeigeschafft, mußte aber noch ein paar Leute haben, die ihm tragen helfen konnten. Und dann mußten sie eine passende Einrichtung mit einigen Tüchern darüber schaffen, damit das Ganze wie eine Hospitalbahre aussähe; – eine Leiche, bloß mit einer Decke zugedeckt, würde in der Stadt allzuviel Aufsehen erregen.
Etwas Derartiges suchten Madam Selvig und ihre Töchter in ihrem Zimmer aus einem grünen Bettvorhang zusammenzusetzen. Ein jeder ist nun einmal um seinen Ruf besorgt und sie empfand, daß das vorgefallene ein Schlag für ihre Wirtschaft sei.
– Drinnen in der Schenkstube war es nun dämmerig geworden, Holmans dunkle Gestalt war auf die Tragbahre gelegt worden. Sie stand zum Abtransport bereit, und man hatte einen Boten abgeschickt, um Frau Holman zu benachrichtigen.
Vielleicht zögerte man absichtlich; etwas später am Abend, wenn es schon dunkler geworden war – und ein wenig erwünschtes Aufsehen wäre vermieden.
Silla saß, das Gesicht vom Weinen starr. Nur sie und Nikolai waren im Zimmer.
Er stand am Schenktisch, und sie saß mit dem Rücken zum Fenster; im Halbdunkel surrte oben unter der Gardine eine vereinzelte Mücke.
Endlich unterbrach er die Stille:
»Er war lieb – gegen dich und mich –, sooft er es konnte, nicht wahr?«
Silla antwortete nicht.
»Er fand immer, daß es so gräßlich sei, abends nach Hause zu gehen, nicht wahr? Nun braucht er's nicht mehr – und auch hierher ins Wirtshaus braucht er den Fuß nicht mehr zu setzen!«
»Vater! ... Vater!« – schrie Silla auf, und es folgte ein Anfall ungestümen Schluchzens.
»Silla! Silla!« sagte er, und der eigene Schmerz schnürte ihm die Kehle zusammen, »wenn du nun keinen Vater mehr hast – so hast du hier jemand, der sich deiner annehmen wird, und du weißt, was das heißt ... Ich habe auch nie einen Vater gehabt und habe nie einen gesehen! ... Jetzt will ich Schmied werden ... ich will ..., denn bei euch geht es ja nun nicht länger mit der Blockmacherei!
– Ich sage dir das nur, damit du später daran denkst«, fügte er leise hinzu; – es sah nicht so aus, als ob Silla ihn hörte. –
»Und heute abend werde ich hinter dir hergehen, ganz bis zur Ecke. Da werde ich stehenbleiben und aufpassen, bis ihr drinnen seid ... und dann bleibe ich die Nacht über draußen – verstehst du? –, wenn etwas passiert.«
»Ja, bleib draußen, Nikolai!« flüsterte sie.
Herein kamen der Wirtshausbär und die beiden Träger. Sie hoben die Bahre aus und trugen sie zur Tür hinaus und mit einigen Schwierigkeiten an der Wendung die Treppe hinunter, wo etliche Neugierige standen.
Und dann ging es die Straße entlang – voran der Tote mit den beiden Trägern und dem Wirtshausbären, Silla und Nikolai hinterher.
An der Stelle, wo sie sich trennen mußten, drückte er ihr den Korb, den sie vergessen hatte, in die Hand und stand dann und schaute ihnen nach! ...