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Forland! – – Herr Forland! – – Faste Forland – –!« wiederholten drei, vier lustige Jungemädchenstimmen ihre Rufe durch die Räume des halbfertigen Hotels.
»Kommt ihr, um den Bau zu inspizieren?« rief Faste; er erschien in einer Fensteröffnung im zweiten Stockwerk.
»Ja, natürlich!« lautete die Antwort. – »Mein Vater ist ja Aktionär, da müssen wir doch kontrollieren.«
»Kommt herauf und seht euch das wogende Meer an! Ich will euch die Treppe hinauf helfen, es ist noch kein Geländer da.«
Er reichte ihnen die Hand und zog sie über die obersten unfertigen Treppenstufen hinauf. – –
Hopp – hopp – hopp – hopp – kamen sie alle viere.
»Bis zum nächsten Sommer wird alles tadellos werden. Nur die Aussicht kann ich nicht verbessern, die ist fix und fertig.
– – Nein, nein, Kirsten, geh da lieber nicht. Der kalkige Tritt ist da vor die Tür gestellt, weil die Veranda draußen noch nicht fertig ist, – deshalb muß ich die Damen bitten, mit den leeren Fensteröffnungen fürlieb zu nehmen. – – Nehmt eure Kleider in acht!«
»Und hierauf hin ladet er uns ein, Tona,– wir, die wir mit dieser Aussicht geboren und groß geworden sind!« –
»Ja, als ob wir sie nicht zu Hause aus allen Fenstern hätten, – nur ein wenig schöner. Ich glaubte wirklich, du hättest uns etwas ganz Besonderes zu bieten, Faste!«
»Da steuert ein Dampfer auf den Hafen zu, das ist doch immerhin etwas!« gab Kathinka zu.
»Ach ja, etwas recht Langweiliges,« meinte Kirsten. »Diese Dampfer, die in den Hafen kommen und dort anlegen und eine halbe Stunde lang pfeifen und heulen, während die Kommandobrücke von Touristen besetzt ist, die uns durch ihre Krimstecher beglotzen und dann wieder weiterfahren.«
»Aber du, Laura, wirst doch wohl höflicherweise etwas Schönes zu sagen haben.«
»Ach, Laura Groth, die ist aus einer anderen Stadt, wo sie auch finden, daß alles, was sie haben, das Schönste ist; – aber hinterher kommt –«
»Die Scharen, die da draußen die Flache unterbrechen, machen den Horizont so eigenartig tief, so daß man gleichsam viel weiter sieht, –« sagte Laura, die in die Aussicht versunken dastand.
»Das war doch das erste vernünftige Wort, das ich bisher von euch gehört habe,« entfuhr es Faste.
»Du vergaßest die Möven, Laura! wenn wir die immer in passender Entfernung am Himmel flattern lassen könnten – – Ach, wie genau wir das alles auswendig wissen! – Faste hatte das alles diesen Winter so hübsch in seinen Prospekt hineingebracht. Da steht es alles zu lesen, was wir hier in der Stadt zu den Fremden darüber zu sagen haben – – daß wir uns langweilen, so daß wir schreien könnten, und uns oft nach einer anderen Stadt sehnen, davon stand da nichts.«
»Ist's mir doch, als wenn ich wirklich einmal ein Wort der Weisheit aus deinem kleinen Schnabel vernähme, Tona!« rief Faste aus. »Ich frage nur, warum langweilt ihr euch, ihr kleinen Mädchen? – Weil ihr euch nicht amüsieren wollt! – Ich habe da zum Beispiel eine Idee, die verteufelt gut wäre, wenn ich nur sicher sein könnte, daß wirklich Verlaß auf euch wäre. – Ich kann euch sagen, ich grüble und grüble darüber nach, so daß sie mir bald mehr Kopfzerbrechen kosten wird, als der ganze Badeort. Ich stand eben da und dachte darüber nach, als ihr kamt. Und, kurz und gut, die jungen Damen der Stadt bilden ein ganz bedeutendes Glied darin – – –
Seid nur nicht gleich bange! Wißt ihr noch, wieviel seiner Zeit über die Schmiere geredet wurde, die ich errichten wollte?«
»Gott, ja! Das Volkstheater am Strande!« lautete die dreistimmige Antwort.
»Freilich, ja, das Theater am Strande, Aber das war nur der Keim, sozusagen das Samenkorn, das in die Erde gelegt wurde, um zu reifen. Jetzt ist die Idee eine Etage höher gewachsen. Die Badegäste bedürfen der Zerstreuung. Wohlan, richten wir ein kleines Privattheater ein, in dem die Badegäste und die jungen Kräfte der Stadt sich zusammentun und Schauspiele aufführen können, – es wird in die Badeanstalt eingefügt, geputzt und gemalt mit Kulissen, Vorhängen und Bänken wie jedes andere Sommertheater. – –
Im Winter gehört uns dann das Feld allein.«
Sie klatschten in die Hände:
»Bringe das zu stande, Faste – – Bringe das, bitte, zu stande. Aber die Aktionäre, du?« Die Blicke verrieten einen gelinden Unglauben.
»Ach, was das anbetrifft, so ist das leichte, kleine Gebäude mit samt der Ausstattung das wenigste. Die Schwierigkeit liegt in der Beschaffung geeigneter Stücke, klein und kurz müssen sie sein, aber echt, – mit Pointen, so daß die Spielenden Befriedigung in der Ausführung finden und Leute von dem Bildungsgrad, wie ihn Badegäste im allgemeinen besitzen, Interesse daran gewinnen.«
»Nein, welch eine Idee! – Eine göttliche Idee!« ertönte es abermals dreistimmig.
»Aber solche Stücke, du, – woher in aller Welt? – – Man müßte jemand in der Hauptstadt veranlassen –«
»Sie aus der Hauptstadt verschreiben? – Nein, ich danke! Das Repertoire zu beschaffen, werde ich mir selber erlauben. Es handelt sich nur darum, sich den Kopf nicht zu sehr damit zu zerbrechen. – Ich dachte, wir müßten etwas mit Geist und Feuer zu stande bringen.«
»Ja, und die Toiletten, an die man denken muß!« rief Tona aus.
»Schrecklich amüsant, Faste!«
»Ich bin überzeugt, daß es viele verborgene Tatente gibt, die auf diese Weise, –« meinte Kathinka –
»Ja, das glaube ich auch,« versetzte Kristine eifrig, – »ich bin fest überzeugt, –«
»Ach, ich weiß recht gut, was du meinst,« fiel ihr Tona in die Rede, – »deine schwarzen Augen, – dies Zigeunermädchen, für das du schwärmst! – So weit versteige ich mich nun nicht. Aber ich habe oft daran gedacht, daß es ungeheuer amüsant sein müßte, wirklich die Rolle einer Soubrette mit Gesang auszuführen,– kleine Couplets, – du sprachst vorhin von meinem Schnabel, Faste –«
Laura Groth stand schweigend da und starrte hinaus, mit ihrem ausgeprägten Profil hob sie sich wie eine Büste in der Fensteröffnung ab. – –
»Ja–a, man könnte gewiß manch ein verborgenes Talent finden, –« sagte sie, indem sie den Kopf so eigenartig in den Nacken warf und mit einer Geste, die Faste aufmerksam machte.
»Ja, was sagen Sie zu der Idee, Fräulein Groth?« fragte er.
»Ich? – Ich wundere mich nur, daß die Menschen bisher noch nicht darauf verfallen sind.«
»Auf das Theater? – Wie? – Es sagt Ihnen zu?« »Ja, mir sagt der Gedanke zu, – – man hat ja behauptet, ich sei theatertoll.
In der Weihnachtszeit auf Borg spielten wir ein Stück nach dem andern.«
»Und Sie haben mitgespielt?«
»Ja, – alles, wozu eine Nase und eine Figur erforderlich ist, die sich gerade und krumm machen kann, – so wie es die Verhältnisse erfordern, von alten Hexen und Wahrsagerinnen bis zu Maria Stuart und Statuen in Transparenten, wie der Weihnachtsengel, der die armen Hütten besucht.«
»Sie haben, was man eine Theatermaske nennt,« rief Faste plötzlich mit ungeheurem Interesse aus. – –
»Ja, was meint ihr,« er sprang hastig auf, – »wenn wir fünf hier jetzt den Anfang zu einer heimlichen Theaterbande bildeten? – Ich schaffe die Stücke, die ihr einstudiert, um sie zu spielen, wenn die Zeit gekommen ist. Und dann werben wir ganz im stillen andere, von denen wir meinen, daß sie sich dazu eignen.« »Hanna Brinkmann muß mit dabei sein,« behauptete Kirsten.
»Ja, und Fredrik Kjörboe und Einar Berg! – die nehme ich auf mich,« – erklärte Tona.
»Und Dina Breder – – und Herman Vik,« ergänzte Kathinka.
»Wenn Herman mit dabei sein soll, glaube ich an kein Geheimnis mehr.«
»Und das Zeichen der Verschwiegenheit zwischen uns sollen zwei auf den Mund gelegte Finger sein,« – schlug Faste vor. »Einverstanden?«
»Ja, – ja, natürlich!« riefen alle.
»Das wird furchtbar amüsant.«
»Einmal etwas ganz Neues!«
»Ein ganz neues Interesse statt dieses ewigen einförmigen Winterlebens.«
»Aber Kinder, – wir haben ja Vera Gylling ganz vergessen!« – rief Kirsten mitten in der Begeisterung.
»Natürlich, ja, – ohne die geht es doch nicht!«
Fastes Gesicht nahm plötzlich einen verbissenen Ausdruck an:
»Bera, – Fräulein Gylling –?« Er wurde plötzlich unschlüssig. – – »Ich finde eigentlich, wir fünfe sollten uns strenge als die unterirdische Bande betrachten und höchstens diesen oder jenen nach gemeinsamer Übereinkunft aufnehmen.«
»Und Bera nicht –?« riefen die Mädchen. »Unmöglich!«
»Wenn alle Kapazitäten der Stadt mit dabei sein sollen,« entgegnete er, »so geht das Pikante, das für uns darin liegt, eine unterirdische Bande zu bilden, verloren! – Fräulein Gylling hat so viele prächtige Eigenschaften: aber zu etwas paßt sie nicht, – zum heimlichen Empörer. – – Sie flüstert niemals, – – – Und um Himmels willen, meine Damen, jemand müssen wir doch auch haben, vor dem wir die Sache geheim halten – –!
Und jetzt gehen wir zusammen die Straße hinauf,« schlug er vor, es war ein großer Eifer über ihn gekommen. – – »Ihr müßt wissen, ich bin der geschäftige Arbeiter –«
»Ja, die Leute sollten nur ahnen, daß wir hier eine Truppe bilden, die dem Theaterdirektor folgt!« – flüsterte Kathinka mit einem Blick zu Konsul Rists Fenstern hinauf.
»Ich habe ein Gefühl, daß dies ein Merktag in meinem Leben wird,« sagte Laura. – – »Und Sie hätten wirklich eine Rolle für mich, Herr Forland?« fügte sie leise hinzu.
»Nicht eine, sogar zweie, – ganz vorzügliche.«
»Es ist ein so sonderbares, banges Gefühl, mit einer Kraft in Berührung gekommen zu sein, die sich größere Ziele setzt, als es die Leute in diesem traurigen, kleinlichen Leben in der Regel wagen. Ich muß unwillkürlich an diese großen Meister denken, die mit der einen Hand die Mauerkelle führten und mit der andern Kunst schufen. – –« Sie ging aufrecht und festen Schrittes einher und zeigte Büste und Profil.
»Stehen Sie einmal still, Fräulein Groth,« rief Faste plötzlich aus, – »verändern Sie, bitte, Ihren Ausdruck nicht. Genau so habe ich mir das junge Mädchen vorgestellt, das auf der Pulvertonne sitzt und droht, sie anzuzünden. – –
Ein wenig Verschmitztes hat sie im Ausdruck, – denn sie weiß ja, daß die Tonne leer ist. Es ist ein spannender Augenblick, während es sich darum handelt, ob die List gelingt und sie ihr zu Füßen fallen. – – Jetzt verstehe ich mich auf Ihr Gesicht und werde mir erlauben, Ihr Lehrer zu sein. – Sie sind ein Schatz für unser Unternehmen, – ein wahrer Schatz! – Ich muß noch eingehender mit Ihnen sprechen, – Ihre Maske studieren! Ich sage Ihnen, in Ihnen habe ich die Hauptstütze für das ganze Theaterunternehmen gefunden, – diejenige, auf deren Schultern es ruhen wird! Sie sollen auf diesem Gebiete mein General werden, mit Ihnen werde ich siegen!« – klang es entzückt.
»Ich habe ein Gefühl, als ginge ich neben einem Gießbach, der alles mit fortreißt,« flüsterte Laura.
»Sie haben ein Talent, eine Sache zu sehen, – Verständnis, Fräulein Groth, – Und der liebe Gott hat Ihnen ein Gesicht gegeben, das von einer ganz verteufelten Natur zeugt, – – eine so steinfeste Miene und dieser Humor, der dahinter steckt!«
»Ich Ärmste, – ich kann das Ungewöhnliche nur fühlen und bewundern.«
»Und unserm Direktor folgen wir blindlings,« erklärte Kathinka.
Tona ging, den Sonnenschirm über den Nacken gelegt, ganz in eine Soubrettenrolle vertieft, und summte leise eine Melodie vor sich hin – –
Plötzlich legte sie die beiden Finger auf den Mund und sah die anderen bedeutungsvoll an. Dort um die Ecke kam Bera Gylling –
»Wir sind oben im Hotelbau gewesen und haben inspiziert, Bera!« rief Kirsten zungenfertig. »Großartig sag' ich dir! Ja, du hast es wohl gesehen?«
»Nein, ich habe kein Interesse daran, so etwas zu sehen, bevor es fertig ist,« sagte Bera.
»Bera Gylling ist eine Dame, die das Faktum ganz unumstößlich vor sich sehen muß, ehe sie den Fuß darauf setzt,« bemerkte Faste.
Ihre Blicke begegneten sich wie zwei stumme Mauern.
»Sobald du dich nur zeigst, regnet es Komplimente, Bera!«
»Du kannst mir glauben, daß ich sie zu schätzen weiß, Kirsten.«
»Vera Gylling und ich sind von alters her bekannt, Fräulein Groth,« erklärte Faste, – »von unserer frühesten Kindheit an! – Sie sollten nur wissen, wie oft ich den Weg zu Gyllings mit einem Einfall hinaufgegangen, – nein, gelaufen bin, und regelmäßig war er mir, wenn ich zurückkehrte, in Luft verwandelt, – blank, – weg! – Auch mein ganzes jetziges Unternehmen ist für sie nur Luft, – existiert nicht!«
»Ich ahnte nicht, daß du so ein Scherzmacher geworden bist, Faste,« entgegnete Bera.
»Ich meine doch, es muß ein wunderbar erhebendes Gefühl sein, das Zustandekommen von etwas Neuem und Großem in seiner Vaterstadt zu beobachten,« sagte Laura. »Aber es ist wohl das gewöhnliche Los des Genies, denjenigen Ärgernis zu geben, die es hilflos und gedemütigt gesehen haben. –«
Bera sah sie plötzlich aufmerksam an. – – »Die Fähigkeit zu verstehen wird aus der Sehnsucht geboren; – aber, wo nichts ist!« – warf Faste hämisch hin.
»Schon allein die ungewöhnliche Persönlichkeit, meine ich, müßte Gedanken erwecken –« fügte Laura grübelnd hinzu.
»Ja, weißt du was, Laura,« rief Kirsten, – »hier in der Stadt haben doch alle gesehen, daß Faste ein Sonderling war. Aber was da herauskommen würde, hat sich doch erst jetzt gezeigt.«
»Da trafst du den Nagel auf den Kopf, Kirsten,« lachte Faste. »So hat meine alte Freundin Bera Gylling im Grunde auch räsoniert, – nur ist sie eine vorsichtigere, tiefere Natur, deswegen bittet sie, es erst ganz fertig sehen zu dürfen.«
»Ich gebe zu,« sagte Bera mit einem eigenartigen Lächeln, – »ich habe mich so lange mit dem einfältigen Glauben getragen, daß du Pfeile abschießen würdest, die hoch über Badeanstalten und dergleichen hinausgingen! Und, wie du selber sagst. Faste, ich bin so schwerfällig, – habe so wenig Talent, den Glauben und die Überzeugung zu wechseln, so daß ich es fast noch nicht aus meinem Kopf herausbringen kann.«
»Das kenne ich; das kenne ich, – das ist das alte. Gott weiß, wohinein ich verduften sollte, wenn es nach dir ginge. Und ich muß dich leider mit der Tatsache betrüben, daß das Unternehmen geht, mit vollen Segeln geht, – so haben die Pfeile, von denen du redest, jedenfalls ins Schwarze getroffen,« sagte Faste mit Nachdruck.
»Ich höre ja den ganzen Tage von nichts anderem als von Bauten und Pavillons und Badehäusern und Annoncen und Reklamen im Ausland – wir sind ja gleichsam alle mit in der Fahrt begriffen,« brach sie leicht neckend ab und setzte ihren Weg, die Straße hinunter, fort.
Faste sah wieder und wieder zerstreut zurück, als trage er sich mit dem Gedanken, umzukehren und ihr zu folgen.
»Die Kraft des Geistes muß doch in irgend einer sichtbaren Maschinerie zum Ausdruck gelangen,« begann Laura von neuem.
»Ja, dann adieu, meine Damen, – Geschäfte, – Geschäfte, – –« rief Faste.
»Und dann kommen wir bald wieder und inspizieren das Hotel,« winkten sie geheimnisvoll, und alle viere legten plötzlich zwei Finger auf den Mund und die Sonnenschirme schlugen eine Schildburg um einen gemeinsamen Kriegsrat.
»– – Halt, halt, halt, – hat dieser Forland eine verteufelte Eile!« – Der alte Konsul Klüver hielt ihm unten in der Straße den Stock vor. – – »Die Aktien sind wieder gestiegen, Freundchen! Komme soeben vom Makler – – Es geht wie ein Schneeball. Die, die kaufen, weinen, weil sie es nicht früher getan haben, und die, die verkaufen, lachen und streichen den Profit mit Glanz ein. Ich war auch auf Böckmanns Bank, um mir ein klein wenig von der Freude zu holen. Aber da war nichts mehr zu haben. – Aber – äh – aber, – äh, er sah Faste blinzelnd in die Augen, – ist denn etwas daran, – an dem Gerücht, daß die Aktien erweitert werden sollen?«
»Kann Ihnen leider noch nicht mit der Beantwortung dieser Frage dienen, Herr Konsul; eins aber ist sicher, ich brauche Geld – – Es stellt sich jetzt heraus, daß wir einen ganz anders angelegten Park haben müssen, mehr nach europäischen Begriffen, mit überdachtem Spaziergang, Pavillon, Springbrunnen und dergleichen.«
»Ja, ja, Herr Forland, wir Alten humpeln und Ihr Jungen springt. Wir kommen immer zu spät, – wie ich jetzt mit den Aktien. – So – o? Park, Pavillon und –« seine Stirn legte sich in Falten infolge der Anstrengung, sich des übrigen zu erinnern.
»Guten Tag, Forland!« ertönte die Stimme des Hafenmeisters von der anderen Seite der Straße, »ich kann Ihnen die angenehme Mitteilung machen, daß die Hafenkommission mitsamt dem Zollinspektor und dem Disponenten Ek einstimmig für die Konzession zu der Molenanlage eintreten!«
Der alte Klüver blieb in Positur stehen, den Stock zwischen die Pflastersteine gepflanzt.
»Sie Mirakelmacher der Stadt!« rief er aus. »Mirakelmacher!« und damit humpelte er von dannen.
»Apropos, Forland,« sagte der Hafenmeister, indem er weiterstürzte, – »wenn Sie Verwendung für ein Segelboot haben sollten, so liegt meins diesen ganzen Monat unbenutzt da draußen. Sie brauchen es mir nur sagen zu lassen. – –«
Auf seiner Wanderung durch die Straße nickte Faste von Zeit zu Zeit zum ersten oder zweiten Stockwerk hinauf, von wo aus sie zu ihm hinabgrüßten. Er kannte die Familien ja alle so genau. Nur daß er sie in alten Zeiten von der Kehrseite gesehen hatte. – Erst jetzt hatte er sie kennen gelernt, – so wie sie in Wirklichkeit waren. – –
Durchaus nicht so rabenschwarz! – – Nur ein wenig Verständnis, eine etwas günstige Stellung und man befindet sich auf ihrer Sonnenseite. – – Diese armen Menschen, die gern glücklich sein und glücklich machen wollen; sie haben nur nicht die Fähigkeit zu sehen, was in den anderen wohnt, und deswegen kehren sie das Mißtrauen und die Furcht heraus und häufen Feindseligkeiten auf und plagen und peinigen und quälen sich gegenseitig wie Kobolde, so daß es ihnen schließlich zur Wollust wird. – –
»Faste, sieh einmal herauf!« rief plötzlich eine Stimme, – »da ist dein großer, roter Bleistift, den du gestern abend vergessen hast – – Ich werfe ihn dir herunter – – du, gib acht!«
Minna Lüders stand in dem offenen Fenster und warf ihn ihm mit derselben Sicherheit herunter, wie sie in ihrer Kindheit den Ball gehandhabt hatten.
»Und wie geht es zu Hause?« fragte Frau Lüders, die den Kopf zum Fenster heraussteckte. »Und mit Sölvi?« fügte sie mit einer gewissen Besorgnis hinzu.
»Danke, alles wohl –«
Er grüßte kurz und schnell als guter Freund und eilte weiter.– –
Unten auf der Brücke standen drei, vier von den jüngeren Geschäftsleuten der Stadt beieinander und plauderten und spieen in die See – –
Johannes Böckmann, Sohn des Bankdirektors, jetzt selbständiger Großhändler in Tran und Fisch, trennte sich von der Gruppe und kam ihm schon von weitem winkend entgegen:
»Gratuliere! – Sonderbarer Mensch! – Die Aktien steigen wieder.– – Gab es nicht in alten Zeiten jemand, der mit dem Siegeswagen fuhr und beständig gewann, – oder so etwas ähnliches – – dann könnte er vielleicht meinen Tran gebrauchen, um die Achse damit zu schmieren, dachte ich, – denn damit steht es augenblicklich verdammt schlecht! – Oder kannst du mir deinen Kopf nicht einen Augenblick leihen, Faste, damit ich etwas ausfindig machen kann, – denn solche gewöhnliche, einfache Auswege, ihnen Tran aus Speck und Robben für Lebertran zu verkaufen, wollen nicht mehr verfangen. –
– – Aber, was ich sagen wollte, Faste, – man will dich in den Vorstand des Handelsvereins wählen, – du brauchst gar nichts zu tun, – nur zu existieren, mein Freund! – Das ist dieser Triumphwagen, weißt du. – In Wirklichkeit bist du jetzt der Führer von uns Jungen, und wir sind uns darüber einig, dich in den einen Vorstand nach dem anderen hineinzufahren, so daß du an der Spitze von uns Jungen am Ruder dieser Stadt stehen wirst. Die Alten müssen weg! – Eine neue Zeit bedarf neuer Männer, – das ist jetzt die Fahnenlosung über die ganze Linie. – Es soll nur nicht mit Dampf gehen, sondern mit Elektrizität.«
»Du bist ja ganz verzweifelt in Feuer und Flamme geraten,« rief Faste aus. »Ich habe immer geglaubt, du seiest als solider Großhändler zur Welt gekommen.«
»Da kann ich dir sagen. Faste, daß ich immer geglaubt habe, an dir sei etwas Apartes, Eigenartiges! – Ich habe nun einmal einen scharfen Blick, weißt du. Es handelte sich nur darum, ob du dir die Hörner abrennen würdest. – –
Große Begabung, große Hörner, weißt du, – keine Begabung, keine Hörner, – da hast du meine Ansicht!
– – Aber Summa Summarum: so in dem alten Schlendrian weitergehen mit diesem Tran und Fisch – ein Jahr verlieren und das nächste gewinnen, – das hat jetzt, so wie die Zeiten heutzutage liegen, keine Art mehr! Es ist ungefähr so, als trügen wir noch die Nachtmützen unserer Vorväter tief über die Ohren gezogen, – so eine Totenbörse. – – Ja, da haben denn drei oder vier von uns beschlossen, die alten fettigen Karten aufzunehmen und das Spiel ganz von vorne zu beginnen. Ich zum Beispiel lege jetzt auf eigene Rechnung eine Schokoladenfabrik an und zusammen mit John Berg eine dito für Brauselimonade und dergleichen – – Und,« kam es ganz geheimnisvoll heraus, – »dann haben wir, ich und ein paar andere, unsere Netze nach ein paar Waldungen über der Stadt ausgeworfen, wo wir eine Schleiferei von Holzmasse planen, die auf Aktien gehen soll. Du siehst also, wir setzen ordentlich Dampf dahinter,– Elektrizität, wollte ich sagen!«
»Aber woher zum Teufel nehmt ihr denn das Geld?«
»Pah, – hat man erst etwas, worauf man bieten kann, – womit sich etwas machen läßt, – eine wertvolle Idee, – so kommt das Geld allemal! – Das fließt wie Wasser dahin, wo es gebraucht wird, namentlich in Zeiten wie die jetzigen! – Es gehören Unternehmungen dazu, um die Renten zu produzieren, die das Kapital erfordert, falls es nicht zum Teufel gehen soll. – –
Faste wandelte bergan, von einem wunderlich festlichen Gefühl erfaßt. – – Es war Leben und Bewegung in die Leute gekommen, – Arbeit und Geld. – – Die Stadt war auf dem besten Wege eine von denen zu werden, die die Führung im Lande übernahmen! –
Und was für Kräfte liegen nicht an so einem alten Ort gefesselt und gebunden! Es ist wie der Holzstoß, der höher und höher aufgestapelt wird und wo es nur auf einen einzigen Balken ankommt, der herausgezogen wird. –
Aber – – aber – ihm fiel etwas ein, – was hatte Frau Lüders wohl mit ihrer Frage nach Sölvi gemeint? – Sie gehörte doch nicht zu den Kranken oder Schwachen!
Er faßte plötzlich den Entschluß, hinaufzugehen und sich bei der Mutter zu erkundigen. – –
Daheim blieb er auf dem Hofplatz stehen und begrüßte Ditlev, der mit großer Anstrengung und wahrem Feuereifer beschäftigt war, eine strammgespannte Waschleine zum Brummen zu bringen. Er nahm sie zwischen die Zähne und knipste an beiden Seiten dagegen, als wollte er den Ton mit dem Innersten seines Gehirns in Einklang bringen. Von Zeit zu Zeit ließ er die Leine fahren und rief »Bumm, – bumm« aus, als sei das der regulierende Kammerton. – –
»Den Kirschbaum, Mutter,« sagte Faste, indem er eintrat, – »den plündern sie aber gründlich, gleichviel ob ich mit dabei bin oder nicht. Er sieht schon ganz abgegessen aus.«
Faste war seit mehreren Tagen nicht zu Hause gewesen, er hatte sich ein Kontor eingerichtet und wohnte unten in der Stadt. »Ja, – Agnete und ihre Freundinnen –« entgegnete Frau Forland.
Faste sah sich mit einem eigenartig forschenden Blick um.
»Kirsten Torp und Hanna Brinkmann und Bera und Dina Breder? – wohl noch die alten –?«
»Nein, Bera nicht, – die habe ich lange nicht gesehen, – du weißt ja, Faste – –«
»Daß sie eine unbiegsame, eckige, steife Natur ist, ja! – Wenn sie sich mit mir entzweit, so gilt das unserer ganzen Familie, – dann heißt es nicht nur adieu Sölvi und adieu Agnete, sondern dann besucht sie selbst dich nicht mehr, Mutter! – Ich rannte heute wieder auf der Straße gegen sie an, wie gegen einen Pfahl, an dem man ein Wagenrad kaputt fahren könnte. – – Wenn man nur immer ihrer Ansicht ist, ja, dann ist sie liebenswürdig genug! Ihr geht geradezu das Verständnis für andere Menschen ab.«
»Sie ist so echt und tief, du,« sagte Frau Forland in leisem Ton, – »so einfach und klar. Faste!«
»Ja, und ich bin leider so vielseitig. Deswegen kamen wir auch nicht mehr miteinander aus.«
»Sie ist häufig bei Sölvi und sieht sich nach ihr um. –«
»Ja, das ist wahr, – Sölvi, Sölvi? – Was ist denn eigentlich mit der los?«
»Lieber Faste, du weißt doch – –«
»Ich weiß – was soll ich wissen?«
»Daß sie erwartet!«
»Sölvi? Nein, davon hatte ich keine Ahnung!«
»Man hat es ihr doch schon lange ansehen können,« erklärte Frau Forland.
»Nein, – das habe ich wirklich nicht gesehen. – Sie erwartet also? – Wie? – Die Familie setzt wirklich eine Knospe in der nächsten Generation an. – Sonderbar, – ein Nachfolger. – – Wirklich ganz sonderbar, Mutter! – Es ist mir eigentlich niemals eingefallen, an so etwas zu denken,« – es klang so, als wenn er, wie das seine Gewohnheit war, anfangen wollte, leise vor sich hinzupfeifen und durch die Türen aus und einzugehen. – –
»Sich so selber von neuem wiederzusehen? – Darin muß ja eine Art von Freude liegen, – sich selber wieder lallen und plaudern und in aller Kindereinfalt so kluge, treffende Dinge sagen zu hören, wie man es späterhin nie wieder fertig bringt, wenn einem Gehirn und Natur verdorben und verdummt sind. – – So etwas dauert, bis man vier, fünf Jahre alt ist, ja – –
Aber will man dann auch die Prügel und die Schularbeiten und alle die Notlügen noch einmal durchmachen, – und alle die eigene Bitterkeit und Kränkung und den Haß gegen die Erwachsenen, wenn die Welt auf die Sprache, die das zartfühlende Kind nur zu gut versteht, einen durchfühlen läßt, daß man nur ein höchst überflüssiger und unbequemer Lump ist – –«
– – Oder den Fall gesetzt, es würde so eines wie Ditlev! setzte er die Gedanken oben auf seinem alten Zimmer fort. – Ob mein Vater den hat in die Welt setzen wollen? – – –
– – Mit anderen Worten, das Märchen der Liebe kann einen Prinzen hervorbringen oder einen Bettler. Es kann gut und es kann schlecht gehen in dieser Welt – – Es kommt auf die Siegeszufälligkeiten an – – Aber ein Mann will den Prinzen haben, der das Reich erben und fortführen soll – –
Und seine Königin auch –
Verteufelte Menschheit! – Et schlug mitten zwischen die Papiere auf den Tisch und stürzte die Treppe hinab, steckte nur den Kopf zu der Mutter hinein: – »Ich gehe zu Doktors! – Will mich mal nach Sölvi umsehen – – Lauf wohl nicht Gefahr, Bera dort zu treffen.«