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Flotte Zeiten – flotte Zeiten, – freilich, freilich, mein lieber Faste. Aber in flotten Zeiten gilt es auch, den Schlitten zu steuern, – seine Fahrt hemmen.«
»Hemmen, hemmen, – man hört, daß du altmodisch geworden bist, Onkel Bankdirektor!«
»So, so, – du meinst, vor der Altersgrenze gefallen. Wenn man solche Bursche wie dich loslassen wollte, – nun ich danke!« Onkel Joel bekam einen seiner Hustenanfälle.
»Dann würde ich meinem Schwestersohn soviel Kredit verschaffen, daß er etwas hätte, womit er anfangen könnte. Ich brauche so wenig. Aber etwas muß ich haben, wenn ich das Strandgelände oben am Elf kaufen will, von dem ich dir erzählt habe, den Bauplatz für eine elektrische Werkstatt. Etwas muß ich haben, mit nichts fängt man nicht an. Und die Hypothek für den Bauplatz – –«
»Ach, ich dachte, es sei gerade deine Eigenart, zwar nicht mit nichts anzufangen, so doch es dahin zu bringen, daß du mit nichts endest. Du bist, sozusagen, mit Projekten im Leibe zur Welt gekommen; wolltest du nicht neulich erst eine Schmiere für das Volk unten am Vorstadtstrande auftun?«
»Die Idee ist gar nicht übel, Onkel, und sie taucht möglicherweise eines schönen Tages wieder in einer solchen Gestalt auf, daß deine Bank danach schnappen wird.«
»Na, mein Junge, kurz und gut, – ich rück dir keinen Heller heraus. Und das bißchen Geld deiner Mutter, das steht unter meiner Verwaltung.«
»Hör einmal, Onkel Joel. Jetzt bist du sehr gründlich. Aber irre ich denn darin, daß auch du einmal gefühlt hast, wie es tut, wenn man den Kochtopf blank ausgekratzt hat, und hast du dich nicht auch von nichts heraufgearbeitet?«
»Wie – wie beliebt –?«
»In deinen jüngeren Jahren gingst du ja in die Welt hinaus, um in Kalifornia-Weizen zu spekulieren, der damals auf dem Weltmarkt so ungeheure Chancen hatte. Gingst du damals nicht als Passagier mit einem Stillenozeanfahrer nach San Franzisko, und lag nicht dein ganzes Vermögen in Fünfundzwanzigpfundscheinen wohl verwahrt im Geldschrank des Kapitäns? Wurdest du dann aber nicht besorgt wegen der Sicherheit oder befürchtetest Diebsfinger und verlangtest eines schönen Morgens plötzlich die anvertraute Geldtasche von dem Kapitän zurück? Und als du sie in Empfang genommen hattest und damit auf dem Wege in deine Koje warst, geschah es da nicht, daß du an der offenen Pforte in der Reling stehen bliebst, wo die Mannschaft Kohlen und Asche aus der Maschine über Bord warf, und daß dann, infolge eines unvorhergesehenen Stoßes oder Rucks die Geldtasche mit allem, was du auf dieser Welt besaßest, über Bord fiel?«
Das Schnupftuch, mit dem Onkel Joel eifrig seine große gekrümmte Nase putzte, verbarg den Ausdruck seines Gesichts.
»Onkel, ich sehe dich da an der offnen Schiffsbrüstung stehen und der Geldtasche nachstarren, die allmählich in der See verschwand und von den unglückseligen Düten mit Guineen immer tiefer und tiefer hinabgezogen wurde. Es muß in dem Augenblick allerlei in deinem Innern vorgegangen sein, Onkel, während alles so versank, zu nichts versank, wie du sagst!«
»Woher – woher in aller Welt weißt du –«
»Aber nun kommt das Geniale, das ich immer bewundert habe, Onkel. Verteufelt genial! Kein Laut über deine Lippen, keine Miene verzogen. Und im Laufe des Vormittags schlenderst du dann mit den langen schlenkerigen Schenkeln, den einen Zahn so tief in die Lippe hineingebissen, über das Deck nach dem Kapitän hin; ja, verzeih, Onkel, aber ich sehe deine dünne Gestalt von damals so leibhaftig vor mir, – und der Kapitän muß ja glauben, daß du noch immer der Mann bist, der seine Kapitalien in der Tasche bei sich trägt – und du bietest ihm an, ihm seine ganze Weizenladung mit zwölfmonatlichem Kredit abzukaufen, – gegen zwei sechsmonatliche Wechsel.«
»Du bist, weiß Gott, ein frecher Bursche!«
»Und in diesen zwölf Monaten spekulierst und verdienst du dann den ganzen Kram im Stillenozeanhandel an Weizenfrachten zusammen!«
»Ach was, die reine Übertreibung –«
»Und drei Jahre später kehrst du wieder heim, als Mann, der ein paar Tonnen Gold auf der Brücke vor sich herrollt. Oder waren es vielleicht dreie, Onkel? Du weißt, die Steuerkommission –«
»Will den Leuten das Fell über die Ohren ziehen, ja! Sie sind wie besessen, wenn sie erst glauben, daß man einen Schilling hat. Aber ich bin wirklich wie aus den Wolken gefallen und möchte dich doch fragen, wo in aller Welt du dir diese – diese Räubergeschichte hast aufbinden lassen!«
»Ja, ich finde nämlich, Onkel, so ein Zug hätte eine Glanznummer in der Biographie eines jeden amerikanischen Goldkönigs bilden können, hätte das Bild des Mannes mit großartig romantischem Nimbus umgeben, – und könnte auch einem unserer einheimischen Geschäftsleute ein wenig von der Glorie eines Geldmatadors verleihen.«
»Ach was, zum Teufel mit deiner Glorie! So eine – Legende!«
»Der einzig und allein das Talent des Finanzgenies für außerordentliche Auswege ihren Glanz verleiht, ja. Oder glaubst du etwa, daß dein großer Konkurrent, Bockmann, drüben in der Handelsbank auf so etwas verfallen wäre?«
»N–ein, das gebe ich zu – – N–ein, auf dergleichen zu verfallen, das ist ihm nicht beschieden. Oder überhaupt auf etwas zu verfallen. – Aber ich frage dich nochmals, Faste, wo hast du diese wilde Fabel aufgefischt?«
»Ja, siehst du, Onkel! Ehe ich nach Zürich reiste, durchstöberte ich zu Hause ein Paket mit alten Briefen, das verbrannt werden sollte, und da fand ich diesen Passus in einer Epistel von dir selber an Vater.«
»Sag einmal, Faste – – Und den alten Brief, den hast du also verbrannt?«
»Nein, dazu war er mir viel zu interessant. Ich versichere dich, – hat eine große Rolle für mich gespielt. Hier ist er zur gütigen Durchsicht. – – Du warst noch nicht dreißig Jahre alt, als sich dieses ereignete. Es hat einen solchen Eindruck auf mich gemacht, ja, ich kann wohl sagen, es hat meinem Leben seinen Stempel aufgedrückt! Mir gingen auf einmal die Augen dafür auf, was ein Geschäftsmann für ein Land bedeuten kann, wenn er sich souverän seine eigenen Wege schafft und gleichsam Neues aufbaut. Du bist seit jener Zeit mehr und mehr aus dem Chaos in meinem Innern emporgestiegen als mein Ideal und Vorbild. Und in dieser Spur werde ich wandern, wie ich hoffe, nicht nur als gewöhnlicher Nachäffer. Sieh dir meinen Rock an, guck unter den Ellenbogen und den Kragen, ich glaube, man kann bald das Fett herauswringen –«
»Du denkst doch, zum Kuckuck, nicht, daß ich dich auch in Zukunft noch mit Kleidern versehen soll? Du machst mich ganz bange, Junge!«
»Nein, ich meine nur, daß ich keinen neuen Rock und auch keine neuen Beinkleider anziehen werde, ehe ich sie nicht selber bezahlen kann. Ich will in den verschlissenen emporklimmen. Und so wie ich hier stehe, bin ich Geschäftsmann von der Seele bis zum Stiefelflicken, – und nichts weiter!«
»Nun, nun,« – Onkel Joel kämpfte mit einem neuen Hustenanfall, – »den alten Brief hier werfen wir ins Feuer, und damit ist die Geschichte abgeschlossen!« – Er hielt ein Streichholz daran und ließ ihn auf der Ofenplatte verbrennen. »Sieh, wie die Fetzen verkohlen, – es war ein anderer Stoff im Papier zu jenen Zeiten – – Und, hör jetzt einmal, Faste! du warst mir immer eine vielseitige Seele, ungeheuer reich an Interessen, Gedanken und Ideen, die nur alle den einen Fehler hatten, daß sie dich von deinen eigentlichen Studien ablenkten und dich bald hierhin, bald dorthin zogen.«
»Freilich, Onkel; aber jetzt habe ich mich selber gefunden und weiß auch, wo das Land liegt.«
»Nun, – da wir uns doch einmal auf dem Gebiet des Außergewöhnlichen bewegen – und da du glaubst, daß du damit den Grund legen könntest, – aber merke dir, es geschieht nie zum zweitenmal wieder, – und wenn ich dich mit einem Zehnkronenschein vom Rande des Bankerotts erretten könnte! – Wenn auch mit einem Gefühl, als würfe ich das Geld ins Meer, ich will für die dreitausendfünfhundert Kronen eintreten, die, wie du sagst, dazu gehören. Ich will wünschen, daß ich sie jemals wiedersehen werde!«
»Nein, nein, diese Art und Weise dulde ich nicht. Das sag' ich dir, Onkel, bespeien darfst du mich nicht, – sonst werfe ich dir das Geld gleich wieder ins Gesicht. Ich werde mir schon ohne dich zu helfen wissen.«
»Nun, nun, laß den Hut nur liegen. Du brauchst nicht gleich so knabenhaft aufzubrausen. Das Geld kannst du auf mich ziehen. – Dreitausendfünfhundert Kronen spuckt man im allgemeinen nicht so leicht aus!«
»Ich entschließe mich, dir hiermit sogleich meinen Dank auszusprechen, Onkel, – wenn ich mich auch, notgezwungen, wie Mark krümmen und biegen muß in deiner mildtätigen –«
»Na, na, na!«
»– Und höchst delikaten Hand!«
»Die Sprache gefällt mir schon besser.«
»Ich sage dir, du wirst mich noch achten lernen, – sollst dazu gezwungen werden. Und nun vielen Dank und adieu, Onkel!«
Die Haustür fiel hinter ihm ins Schloß. Er stürzte von dannen.
Unten auf der Straße rief Schauspieler Werloff ihn an.
»Was sagst du zu so etwas. Faste! – Gjessing hat sich krank gemeldet und nun soll Prebevsen den Tordenskjold spielen – soll mit der dünnen Stimme und den noch dünneren Beinen donnerwettern und auf Deck stampfen! – Natürlich leeres Haus! Ja, das sind Zustände bei der Truppe! Wir halten das Banner der Kunst hoch! Wollen wir nach Helvetia gehen und ein Glas Portwein trinken?«
»Habe keine Zeit. Geschäfte – – Wollte, der Tag hätte vierundzwanzig Stunden.«
»Ich verstehe! – Du hast deine Idee in bezug auf das Volkstheater unten am Vorstadtstrand aufgegeben. Du kamst vor ein paar Monaten so tapfer damit in der Heimat an!«
»Ich will nur gleich von Anfang an Ordnung schaffen, – will mir darüber klar werden, wo ich stehe und wo nicht. Es ist nicht zum mindesten die ökonomische Seite der Sache, die ich in Erwägung ziehe. Der Anschluß ist zu klein, die Idee noch zu neu.«
»Das heißt« – kam es ziemlich boshaft heraus, »die Idee ging zum Teufel, genau so wie eine gewisse, selbsterfundene Maschine, von der ich habe reden hören, und die alle möglichen Vollkommenheiten besaß, aber nur nicht – gehen wollte!«
»Ach so, du liebenswürdiger Harcellas, du heulst mit den Wölfen! – Verteufelt gut war übrigens diese Theateridee, das will ich dir nur sagen. Aber es gehören Stücke dazu, – Stücke von der richtigen Sorte. Die Apparate allein machens nicht. Ich hatte ja im Grunde an ein Theater zur Belustigung des Volkes gedacht. So zum Beispiel wie, sagen wir einmal, der Vater ist ein Pferd, die Mutter ein Esel, folglich ist der Sohn ein Maulesel – mit zwei Willen in der Brust, die im stillen Kampfe liegen, – entweder überwiegend langohriger Esel oder überwiegend Pferd. Und dann steht im letzten Akt der Maulesel vor dem Richterstuhl – wegen irgendeiner Untat. Oder etwa – was meinst du? – man könnte den letzten Akt vor der Himmelstür spielen lassen, wo er vor dem Richter steht? Ja, was soll so ein Ärmster mit zwei Bestien in sich eigentlich denken, wenn er vor seinem Schöpfer steht? Nun wir graben da in unergründliche Tiefen hinein! Aber ich wollte schon, und wenn ich auch noch so wenig Zeit hätte, Ideen zur Genüge liefern, wenn ich nur den Richtigen fände, der etwas daraus machen und das Ganze inszenieren könnte.«
»Ja, abgesehen von solchen Phantastereien, mein lieber Faste, – wirst du aber doch einräumen, daß diese Besetzung des Tordenskjold der Gipfelpunkt des Idiotismus ist, – geradezu eine Schweinerei gegen die Idee!«
»Die Idee? – ich habe auch einmal für die Idee gelebt. Aber dann, – seine Valuta in das Reich der Phantasie übertragen zu lassen – in blauen Dunst und Nebel – davon bin ich denn doch wieder abgekommen, du. Aber mein Gott, man kann auch von Begeisterung leben in dieser Distelwüste der Erde. Und alle Achtung für den, der es tut. Wenn ich nur damit verschont bleibe! Ja, Schauspiel sehen will ich natürlich –«
Faste lüftete schnell den Hut und eilte weiter. Er ging die geschäftige Hafenstraße hinab, bis das Schild der Maklerfirma Roed & Co in einer der Eingangstüren unten an der Zollbude sichtbar wurde.
Hastig trat er ans Kontor.
»Guten Morgen, Herr Roed!«
»Ah! – Herr Forland aus Zürich heimgekehrt! Ich habe diesen Sommer hin und wieder einen Schimmer von Ihnen hier gesehen.«
Faste glaubte ein Lächeln bei der Erwähnung seines Namens zu bemerken, als knüpfe sich irgendeine ergötzliche Erinnerung daran.
»Ja, ich habe meine technischen Studien beendet«, antwortete er kurz. »Ich möchte gern etwas deutsches Geld haben, – nur eine Kleinigkeit, – dreihundert Reichsmark.«
»Stehe zu Ihren Diensten, Herr Forland!«
»Kann ich mir also morgen die Anweisung holen? Ich nehme an, Sie halten meinen Scheck für gut, wenn ich auf Onkel Joel ziehe?«
»Auf den Herrn Bankdirektor? – persönlich? – Der Makler sah verdutzt und beinahe ungläubig aus.
»Während der sechsundzwanzig Jahre, die ich hier in der Stadt gelebt, habe ich noch niemals irgend jemand auf den Mann ziehen sehen.«
»Man soll nie niemals sagen. – – Übrigens« – fuhr er in gleichgültigem Ton fort, – »wenn ich auf dem Scheck eine Null hinten angehängt hätte, so würde die Summe ebenso flott honoriert worden sein – – Roggen – Weizen – Zucker – Paraffin – Tabak« – murmelte er, mit einem flüchtigen Blick auf die Kursliste des Tages, die auf dem Pult lag. »Wie? Die Gasaktien sind zu eintausendachthundert notiert – noch? Ach du alte, treuherzige Stadt! – Und Sie meinen, daß Sie es vor Ihrem Gewissen verantworten können, sie zu dem Preis auszubieten, Makler? Nun, – die Elektrizität ist im Anmarsch, hängt sozusagen über der Stadt in der Luft. Ich sage Ihnen« – rief er aus, »das heißt in ausgeputzten Lichtern spekulieren!« Der Makler antwortete nicht; er war mit seinen Gedanken anderswo und sein Blick ruhte auf Fastes nachlässigem Anzug, – ganz wie der Alte. – – Das lag so nahe. Einen aus der Familie mußte der kinderlose, kränkliche Geizhals ja zum Nachfolger ausersehen, und –:
»Immer, immer zu Ihren Diensten, Herr Forland!« verneigte er sich sehr zuvorkommend. »Ja! Also auch das erlebt man, daß jemand Blankokredit auf den Herrn Bankdirektor zieht!«
»Verzeihen Sie, Herr Roed,« die Worte kamen langsam und gewichtig, – »das was ich auf Onkel Joel ziehe, bezahlt er. Aber das mit dem Blankokredit müssen Sie auf eigene Rechnung machen.«
Der Makler griff nach dem Hut und sah zu der Uhr auf, die in wenigen Minuten die Stunde für seine Geschäftsrunde anzeigen würde. Und jetzt hatte er eine ungeheuere Geschäftsneuigkeit, die er in den Kontoren verbreiten konnte: – ein neuer Goldfisch, ein künftiger Erbe für den alten Joel. – – –
Faste war wieder draußen auf der geschäftigen Straße. – –
So war man denn doch die Schulden in Zürich glücklich los. Aber der Makler hatte offenbar eine verkehrte Auffassung von der Situation. – – Daß so ein – – übrigens durchaus kein so hirnverbrannter – Gedanke – sein Ansehen heben konnte, war ja keineswegs zu seinem Nachteil –
Mit dem Kredit wollte er jetzt seinen Bau errichten! – –
Eins Weile später überholte Faste mit beflügelten Schritten Fräulein Bera Gylling am Ende der Stadtbrücke – –
Es war ein beinahe wildstrahlendes Gesicht, das er unter ihren Sonnenschirm steckte, als er neben ihr anlangte, und, während sie den Villaweg entlang gingen, deklamierte er ausgelassen triumphierend:
»Ada und Silla, holt meine Stimme,
Lamecks Gattinnen hört meine Rede:
Der Mann, den ich mordete mir nicht zum Gewinn« –
»Bist du verrückt geworden?«
»Siebenmal ward Kain gerächt,
Siebenmal siebenzig will Lameck ich rächen!«
»Bist du denn ganz von Sinn und Verstand, Faste?«
»Ich sage dir, Bera, Freundschaft ist mehr als Liebe. – Du bist mir mehr als Ada und Silla und mehr als alle Gattinnen Lamecks zusammengenommen. Und deswegen jubelt Lameck vor allen anderen dir, Bera, seine Siegeshymne zu –«
Einen plötzlich aufleuchtenden Ausdruck bedeckte der Sonnenschirm, indem sie es vermied, ihn anzusehen, und sie antwortete mit einem ziemlich trockenen: »Nun?«
»Hör' einmal, Bera! hier komme ich mit dem Schlüssel zu der Welt – zu meiner ganzen Zukunft in der Tasche!«
»So – mehr nicht? Du meinst, wenn du nur den Torschlüssel erst hast, so kommt das Schloß schon nach!«
»Ja, du, wenn man den goldenen Schlüssel hat. Ich habe heute Onkel Joel geschmolzen, so daß das Metall in großen, blanken Tropfen von ihm herabtroff, – dreitausendfünfhundert Kronen! – Die Grundlage, auf der ich beginnen kann, verstehst du. Und dann kommt es nur auf die Hand an, die den Schlüssel herumdreht!«
Sie blieb plötzlich stehen, drehte den Sonnenschirm ganz nach hinten in den Nacken, als wolle sie sich gegen etwas Unbegreifliches schirmen, das sie erschreckte:
»Du? – dreitausendfünf – Und von deinem Onkel Joel? Du faselst wohl?«
»So! Und ich glaubte, du würdest dich freuen, – es wenigstens ein bißchen anerkennen!«
»Aber sag' nur einmal wie in aller Welt, – dreitausend Kronen von –«
»Dreitausendfünfhundert!«
»Ich stelle mir nur dich vor – und deinen Onkel – –!«
»Ja, ich und Onkel Joel.«
»Mache mich nicht bange, sage ich dir!«
»Willst du heute denn auch wieder böse sein?«
»Großer Gott, welche Verpflichtungen muß sich der Mann nicht von dir ausbedungen haben, ehe er mit seinem Geld herausgerückt ist, – Und so viel Geld! Wenn du auf etwas versessen bist, Faste, so weißt du es immer ins beste Licht zu rücken – – – Und du hast dann so schrecklich viele Auswege!« jammerte sie beinahe.
»Das heißt, ich setze meine Pläne durch trotz Feuer und Wasser. Wenn du das die Sache ins beste Licht rücken nennst, so – Ja, du denkst natürlich an das Perpetuum, du auch, das wird mir auch immer unter die Nase gerieben!«
»Sag' doch nur, wie es zugegangen ist, hörst du. Faste! Ich werde ganz unruhig.«
»Wie es zugegangen ist? – Wie man einen Menschen besiegt? Ich gestehe gern ein, daß dabei ein wenig von dem Fuchs mit im Spiel war, der dem Raben schmeichelte, bis dieser den Käse fallen ließ, – oder doch einen kleinen Bruchteil davon. Im übrigen aber war es der alte Brief, von dem ich dir am Montag auf der Brücke erzählte. Geradezu ein finanzieller Geniestreich. Und ich glaube auch, er fühlte dasselbe und taute auf.«
Sie sah ihn grübelnd an: – »Da war ja eigentlich ein ziemlich delikater Punkt für deinen Onkel in dieser Geschichte«, sagte sie dann. »Ich mußte wenigstens gleich daran denken, was der strenge, hochmoralische Herr Bankdirektor dazu meinen würde, wenn es bekannt würde, daß er die Grundlage zu seinem Vermögen dadurch gelegt hat, daß er diesem Kapitän Sand in die Augen streute.«
»Aber du siehst doch wohl ein, daß es genial, glänzend, sprudelnd, glänzend genial war, – daß sich so nur ein Obergeneral des Mammons aus der Verlegenheit zieht!«
»Ich frage nur, Faste, wie meinst du, werden die Leute hier in der Stadt diese Sache beurteilen?«
»Pah, den Spießbürgern kann das nur ganz einfach imponieren; die beugen sich immer vor dem Resultat. Offen gestanden, Vera, du bereitest mir eine Enttäuschung, nie und nimmer hätte ich geglaubt, daß du so engherzig bist!«
»Gabst du ihm dann den Brief?«
»Freilich, denn er leugnete die Geschichte ja, bis er ihn in der Hand hielt, weißt du.«
»Und dann?«
»Verteufeltes Verhör!« rief er ärgerlich, – »ja, dann warf er ihn ins Feuer und wir sprachen nicht mehr davon. Dann redeten wir noch eine Weile über das Geld hin und her, bis er nachgab.«
»Es ist aber wirklich keine Kleinigkeit, bei dir einer Sache auf den Grund zu kommen, Faste – – – fiel es dir denn wirklich gar nicht ein, – nicht einmal im Innersten deiner Seele, – daß es deinem Onkel peinlich sein könne, ja, daß er geradezu bange darin sein könne, dich mit dem Beleg für diese Jugendgeschichte in der Tasche herumlaufen zu lassen?«
»Du willst mich doch um Himmelswillen nicht geradezu beschuldigen, daß ich Onkel Joels Brief dazu benutzt haben sollte, um von dem Mann Geld zu erpressen?« brauste Faste wütend auf. »Das muß ich sagen,« fügte er kühl hinzu – »nach unserer jahrelangen Freundschaft hatte ich erwartet, daß du mich besser kennen würdest.«
»Ja, wenn ich nur einmal sagen könnte, daß ich dich besser kennte! du bist so vielseitig. Faste. Ich bin nie ganz sicher,, wo ich dich habe. So urplötzlich taucht alles bei dir auf, daß ich erst im Grunde hinterher begreife, wie es sich eigentlichst verhält.«
»Und nun meinst du oder befürchtest du, daß ich heute »eigentlichst«, wie du dich ausdrückst, bluttriefend geradewegs von Onkel Joel herkomme, dem ich 3509 Kronen geraubt –«
»Ach, du weißt recht gut, daß ich so etwas nicht meine.
Aber du kannst, ohne es selber zu ahnen, so merkwürdig die Augen gerade für irgendeine beliebige Seite der Sache verschließen, die du nicht zu sehen wünschest.«
»Danke schön! Du meinst also mit anderen Worten, daß ich, ganz unversehens und unbewußt, Onkel Joel die Pistole auf die Brust gesetzt habe!«
»Nein, nein; aber ich werde nur so unsicher. Du kannst niemals eine Sache klar und deutlich darlegen. Man hat oft das Gefühl, als schaue man in einen Abgrund hinab, das macht mich bange.«
»Bange – bange – daß du einen Straßenräuber zum Freund hast!« lachte er munter.
Er schien es nicht zu bemerken, daß sie an dem Fußpfad still stand, der zwischen Gartenzäunen und Waldungen direkt zu dem Landhause ihres Vaters führte.
»Sonderbar,« – rief er dann aus, – »ich glaube, es ist im Grunde diese deine Angst, die mich immer am meisten zu dir hingezogen hat, Bera, – der ängstliche Vogel in dir, der wie ein Specht dasitzt und an meinem Gewissen pickt, als wollte er sehen, ob der Baum krank ist. Du hättest mich fast dahin gebracht, daß ich spornstreichs zu Onkel Joel zurückgelaufen wäre, um zu fragen, ob ich ihn heute Vormittag wirklich ausgeplündert habe.«
»Ja, lache du nur, Faste. Dein Lachen ist wirklich das Beste an dir, – obwohl ich noch niemals so recht habe herausbringen können, worüber du eigentlich lachst. Ich glaube, du lachst schließlich nur aus lauter Wonne darüber, daß ein Mensch wie du überhaupt existiert.«
»So eine Violine ohne Melodie, meinst du. Weißt du, in was für einem Gewand du mir jetzt erscheinst, Bera?«
»Ach was, Unsinn, – bleib du hübsch auf der Erde, ich erscheine dir überhaupt in keinem Gewand.«
»In Sonnenschein-Kattun, – dunkel und golden, so wie das Licht jetzt in Flecken auf dein helles Sommerkleid fällt.«
»Lieber Faste, sind das nicht – zu geschmackvolle Komplimente? Erst der Specht – und nun –«
»Ach was, wenn ich dich zum Tanz auffordere, so hüllst du dich immer in deine nüchterne Vernunft, – bist unzugänglich. Jetzt wird dein Gewand frostblau.«
»Vielen Dank, aber jetzt hast du mich weit genug begleitet.«
Kreideweiß im Gesicht blieb er plötzlich stehen:
»Mit anderen Worten, ich dränge mich dir auf!«
»Nein, aber ich muß zu Vogts hinauf.«
»Nun, der Einfall war ja recht plötzlich und gewandt, – wir sind scheinbar beide ein paar erfinderische Köpfe, Bera! Ich hätte es übrigens vorgezogen, wenn du es mir gerade heraus gesagt hättest, – daß du besorgt bist, dich in meiner lächerlichen perpertuum-mobile-Gesellschaft sehen zu lassen! – Du entsinnst dich übrigens Wohl noch, daß ich dich im vorigen Jahre von Zürich aus bat, alle meine alten Briefe an dich – die über diese Sache handeln – zu verbrennen. Darf ich mir die Frage erlauben, mein gnädiges Fräulein, sind die Briefe sicher davor, nicht in den Rachen des Stadtgelächters zu fallen, – ich meine, sind sie aus der Welt gebracht?«
»Du bliebst mir die Antwort auf die Frage schuldig, ob du die meinen verbrannt hättest,« – versuchte sie den Angriff zu parieren – »die waren ja freilich nicht von Interesse; aber –«
»Alle – alle – oder wenigstens zerrissen,« – polterte er heraus, als handele es sich um etwas ganz Gleichgültiges. –
»Ach, wie ich sie hasse – alle zusammen,« – er erhob die geballte Faust drohend nach der Richtung der Stadt zu, – »diese Menschen, denen ich einen nimmer endenden, – nie zurückzuzahlenden Dank schulde, weil sie einen armen Jungen, der nicht so war wie andere Jungen in der Stadt, von einem Tisch zum andern herumgehen und drei und ein halbes Jahr Bettelbrot essen ließen, als sein Vater gestorben war, und für den sie dann mit dem Onkel an der Spitze den Klingelbeutel in Bewegung setzten, der ihm das Studium in Zürich ermöglichte. Wie brannten sie nicht während der ganzen Jugendzeit gleich Peitschenhieben und Spießruten, diese Augen und das Lächeln, die verrieten, daß sie mich für einen hoffnungslosen Sonderling hielten. Ich fühlte mich im geheimen mit diesen splienigen Hannes und tollen Krischans, hinter denen in jeder kleinen Stadt die Straßenjungen herlaufen, über einen Kamm geschoren, – nur wollte man es aus Barmherzigkeit für meinen verstorbenen, hochgeachteten Vater, den Propst, und um meiner Mutter willen, die als Witwe dasaß, nicht offen proklamieren.«
»Nein, Faste, nein, – wenn die Eindrücke dich überwältigen, so gehst du immer ins Extreme. Wir bei uns zu Hause fanden ja immer, daß du etwas Ungewöhnliches an dir hattest. Vater –«
»Nannte mich einmal einen genialen Hecht, – ja. Ich erinnere mich dessen sehr wohl, – das sind ja alle Narren. In meiner Knabenseele schrie eine Stimme: Einer von ihnen muß auf alle Falle vor mir sterben, – und dann, dann will ich auf dem Grabe hüpfen und tanzen und trampeln und schreien und sie verhöhnen! – Und wärest du dann – so wie ich jetzt – einem solchen Stadtpotentaten wieder vor die Augen getreten, Bera, und hättest gesehen, wie diese Augen gleichsam luftleer vor einem werden und sagen, daß dir alle Türen verschlossen sind, – ja, dann würdest du auch begreifen, was ich mir in meinem Herzen geschworen habe, – daß ich diese Nacken einmal alle vor mir gebeugt sehen, daß ich Satisfaktion haben will! – Und das ist auch der Grund, weswegen ich hier in diesem engen, kleinlichen, an Aussichten so armen Lumpennest anfangen will; hier und nirgend anders! Und dann wird das gnädige Fräulein mit seinem guten Kopf wohl auch begreifen, daß ich nicht anfangen kann, so lange diese alte, lächerliche Perpetuum-Geschichte sich noch in zehn, zwölf Seiten langen Briefen herumtreibt. Das würde mich ganz einfach von vornherein als Geschäftsmann zu einer Unmöglichkeit reduzieren.«
»Ich habe sie alle – dem Datum nach zusammengelegt und wohl verwahrt, ich versichre dich, es ist keine Gefahr vorhanden.«
»Nein, nein, – nur von seiten des gnädigen Fräuleins, wenn sie jemals auf den Einfall kommen sollte, das Lachen gegen mich loszulassen.«
»Das meinst du nicht, Faste! – Ich finde nur, es wäre ein Jammer, wenn die Briefe vernichtet würden. Sie sind so, wie kein anderer sie hätte schreiben können.«
»So, – meinst du? – – das ist ja gerade der Fehler, daß niemand anders sie hätte schreiben können, – das ganze Perpetuum – ist ein Produkt der Unwissenheit!«
»Mag sein, Faste; aber es ist ein Geist darin, der sucht und sucht –«
»Und nichts gefunden hat, ja! Weiß Gott, es war ein Jammer, Bera –«
»Vertraue sie mir an, Faste,« – bat sie leise.
»Den völlig abgelegten Mantel, den ich weggeworfen habe, willst du aufbewahren? Frauenzimmer sind sonderbar. Ich werde mir in Zukunft einbilden, daß die hundertmal veränderte Maschine, mit der ich herumtüftelte, und die ich schließlich ruinierte, nun doch noch in einem alten Erinnerungsschrank oben bei dir steht. Ich bringe die Geschichte niemals zu Ende – – Ich kann dir nur sagen, Bera, daß meine Privatforschungen über das Gesetz der Schwerkraft – nämlich wie es sich umgehen ließe – mich auf den technischen Weg geführt haben, – und die Kenntnisse, die ich dadurch erwarb, haben selbiges Perpetuum totgeschlagen. Aber behalte du die alten Überreste meines Feuerwerks, behalte du sie nur.« »Hab Dank, Faste, – auf mich kannst du dich allzeit verlassen. – Adieu!«
Er sah ihren strahlenden Ausdruck.
»Es ist sonderbar, Bera, wie lange wir beide zusammengewesen sind, – ich will nicht schwören, daß ich nicht in dich verliebt bin –«
»Aber ich will darauf schwören, daß wir Freunde sind und nichts von der anderen Art!« klang es zurück, während sie den Weg hinaneilte.