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Ein schwüler September-Abend in der Gegend von Islington, einem großen Dorfe nahe an der nördlichen Seite von London. Unter mehrern Örtern für öffentliche Vergnügungen der eigentlichen Londonschen Bürgerschaft in dieser Gegend, befindet sich auch da ein Gebäude, Sadlers Wells, wo im Sommer Schauspiele aller Art, Komödien, Seil-, Draht- und Leiter-Tanz und Luftspringereien, vor großen und fröhlichen Versammlungen gegeben werden. Die Gesellschaft ist freilich nicht brillant, und um gesehen zu werden, geht der Mann von Stand nicht dahin, aber nicht selten um zu sehen, und findet da Unterhaltung, während sein Galakleid in der Garderobe, und er im bürgerlichen Frack, fern von allem Tun und Leiden der Komplimentenwelt, ausruht. Die Gegend hat etwas sehr Erfrischendes, und der Erklärer dieser Blätter nimmt dieses Blatt selten in die Hand, ohne die angenehmste Zurückerinnerung an die wenigen Sommer-Abende, die er unter diesem Himmel mit seinen Freunden zugebracht hat.
Die Hauptgruppe, womit unser Künstler dieses kleine Paradies zu beleben gesucht hat, besteht aus einer Bürgerfamilie, einem Londonschen Blaufärber und seiner Frau, die so wohl der körperlichen, als wie wir sogleich hören werden, der moralischen Bildung nach, nicht sonderlich geschickt ist die Phantasie auf unsere ersten Eltern zu leiten. Sie haben drei Kinder bei sich, und zu einem vierten hat der Künstler große Hoffnung gemacht. Voran schreitet langsam der Familienhund mit starkem Ausdruck ähnlicher guten Hoffnungen. Alles ist müde, träg und schwer, und – o! wie warm!Hogarth hatte den seltsamen Einfall, auf den ersten Abdrücken dieses Blatts, die Hände des Mannes blau, und Gesicht und Brust der Dame rot abdrucken zu lassen, den Blaufärber und die rote Glut der Blaufärberin damit anzudeuten. Ein Freund riet ihm aber ab, fortzufahren. Daher sind jene Abdrücke äußerst selten und werden teuer bezahlt. Dieses hat zu Verfälschungen Anlaß gegeben. Allein da die unechten Stücke mit einer Farbe übermalt, hingegen in den echten bloß die Striche gefärbt sind und nicht das dazwischen befindliche Papier: so kann ein aufmerksamer Käufer nicht leicht hintergangen werden. Die Hausehre empfindet dieses am meisten. Sie ist, wie man sieht, etwas weit über die Grenzen des Guten und Schönen hinaus genährt. Gorge à la Montgolfière, Hoffnungen à la Montgolfière! Du liebste Zeit! wie schwer! Shakespeare läßt einmal einen Frühlings-Morgen eine Tauperle an das Ohr jeder Schlüsselblume hängen; bei unserm Blumenkohl hier hat der schwüle Abend etwas Ähnliches versucht, und eine Perle, neben dem Ohre vorbei, unter die Haare gehängt. Jedoch scheint es ein bloßer Fehlgriff gewesen zu sein, den er so eben im Begriff ist zu redressieren; die Perle wird sogleich am Ohrläppchen hängen. In der einen Hand trägt sie des lieben Mannes Hut und Handschuhe, der dafür das Kind und sogar einen Teil seiner ihm vom Himmel mit einem so starken Ausschlag zugewogenen Gattin selbst schleppt; denn wirklich ruht sie mit der Hand, worin sie den Fächer hält, auf des Mannes Schulter. Auf dem Fächer sieht man eine Gruppe aus dem Altertum dargestellt, die, wenn man den kleinen Knaben mit dem Bortenhut hier noch mitnimmt, mit der gegenwärtigen einige Ähnlichkeit hat; Venus und Adonis mit dem Amor; nur haben sich diese etwas kommoder gemacht. Unser kleiner City-Amor reitet auf Papas Stock, und bezeigt seinen Unwillen über seine Schwester, die ihm mit ebenfalls schon altem Gesichte und fast noch älterm Affekt und Maulwerk ein Honigkuchen-Bildchen beneidet und rauben will. Was das für Kindermienen sind! Wenn es gewiß ist, daß früh markierte Züge in Kinder-Gesichtern, gemeiniglich die Vorläuferinnen der Häßlichkeit im reifern Alter sind: was mag aus Kindern werden, die die Linie jener unschuldigen, und weil sich alles Gute und Schöne so leicht hinein hoffen läßt, so reizenden Leerheit, schon in Mutterleibe passiert haben müssen. Amor reitet hier auf dem Stock des Adonis, und trägt eine Kokarde auf dem Hut. Der Gedanke, dem Amor eine Cornets-Stelle zu geben, ist nicht übel, nur ist unser Junge hier ein gar häßlicher Cornet. Kurz, der Junge ist nicht Soldat, und wird es auch nie werden. Wo käme er so früh dazu, in einem Lande, wo, neben der heiligen Taufe, kein Sakrament der roten Halsbinde statt findet? Es ist bloßes Kinderspiel.
Gerade hinter diesem Ehepaar, wird eine Kuh gemelkt, deren Eiter à la Montgolfière ein redendes Sinnbild des Überflusses der Gegend und des glücklichen Landes ist. Allein dabei ereignet sich ein ominöser, trauriger Umstand, der jedem Ehemanne von Gefühl leid tun wird. Diese Kuh teilt nämlich ihre Kopfzierde unserm Adonis so schwesterlich mit, daß man ungewiß wird, wessen von beiden Eigentum sie eigentlich ist; des Blaufärbers oder der Kuh. O! Madam, Madam! Der arme Tropf, ein gutmütiges, zahmes Frauenzimmer-Pferd, ist nicht Verfasser, sondern bloß Verleger. Was für eine Lage, bei dem heißen Wetter, für den letzteren, wenn er es nur halb weiß! Zumal bei dem Verlags-Artikelchen auf dem Arm, das ihn so derb bei der Halsbinde faßt, daß ihm das Gesicht davon zu schwellen scheint! Dem Kinde ist ein Schuh ausgefallen, der unten auf der Erde liegt, vermutlich bloß um die durch den Strumpf ganz hervorstehende, nackende Ferse zu zeigen; ein eben so redendes Zeugnis von dem Wert unsrer Liebes-Göttin als Hausfrau, als es die Kopfzierde der Kuh von dem als Ehegattin ist.
Unmittelbar dabei steht ein Wirtshaus mit üppig rankenden Reben und schweren Trauben und einem Aushänge-Schild, bei dem wir uns ein Paar Augenblicke verweilen wollen.
Der Mann, dessen Bildnis da aushängt, ist Sir Hugh Middleton, ein Londonscher Goldschmied und ein um diese Stadt höchst verdienter Mann. Er führte aus, was man schier für unmöglich hielt, nämlich London aus dem Innern des Landes mit frischem Wasser zu versehen. Er veranstaltete vom Jahr 1608 an bis 1613, eine Wasser-Leitung von 20 englischen Meilen her, aus Hertfordshire, den sogenannten Neuen Strom (The new River), gerade das Wasser, das hier vorbeifließt, und in welches die durstige Betze mit Begier aber unschlüssiger Trägheit hinabblickt. Er büßte bei der Unternehmung sein Vermögen ein. Seine ganze Belohnung war eine neue Last: Adel ohne Vermögen. Ich wüßte nicht, daß er sonst ein Denkmal erhalten hätte, ein Bildnis ausgenommen, das von ihm auf dem Gilde-Saal der Goldschmiede in London hängt und – dieses Bier-Schild. Dieses leitet zu einigen nützlichen Betrachtungen.
Man irrt gewiß gar sehr, wenn man glaubt, jeder verdiente Mann in England speise im Leben aus Silber und ruhe nach dem Tode unter einer marmornen Decke. Wie mancher ißt da sein ganzes Leben aus freier Faust im Gehen, und findet am Ende sein Ehrendenkmal, wenn er es noch findet, auf einem Gastschilde! Allein freilich ist auch ein solches Denkmal nicht schlecht, wenn anders der Mann nicht schlecht war. Wenn sich die Häuser selbst des Namens auf dem Schilde würdig halten, so sind die Schilder unvergänglich. Steinerne Denkmäler werden nicht wieder aufgebaut, wenn sie einmal zerstört sind; die Gastschilder werden renoviert und renofiert und dann wieder einmal ganz neu gemacht, bis ans Ende der Welt. Man hat bisher viel von einem deutschen Pantheon gesprochen. Ich sollte denken, auf diesem Wege müßte es zu Stande kommen können; und wenn deutsch seit jeher so viel hieß, als gut und wohlfeil, so wäre ein Pantheon auf Gastschildern ein wahrhaft deutsches Pantheon. Man lächelt vielleicht; ich selbst fürwahr nicht. Was kann ehrenvoller sein, als Jahrhunderte hindurch von dem Schilde eines Wirtshauses auf die unten aus und ein steigende Nachwelt herabzublicken, oder von ihr herauf angeblickt zu werden? Ich sehe freilich voraus, daß der Gedanke wird bespöttelt werden, aber eben weil er groß ist. Es gibt wenig Menschen, die ein gescheites Gesicht machen können, wenn sie in die Sonne sehen. Würde sich es etwa schlechter im Herrn von Leibniz logieren, als im Könige von Preußen? Oder wäre jener etwa da oben über der Einfahrt oder an der Stange selbst schlechter logiert, als dieser? Das sage mir einmal jemand laut, wenn er das Herz hat. Und ich möchte wohl den Gelehrten sehen, der sich schämen wollte, die Stelle einzunehmen, die bisher selbst die Kaiser und Könige der Erde mit ihren Kronprinzen und Kronen; die die goldnen Engel; die die Sonne, der Mond und die Sterne; die die Könige der Tiere und der Flur, der Adler mit einfachem und doppeltem Haupt, der Löwe mit einfachem und doppeltem Schwanz und das Roß oft mit gar keinem; die die Rose und die Lilie, die auf dem Felde sowohl, als die französische in aller ihrer Herrlichkeit, nicht verschmähet haben. Hat man nicht ganze Städte, London, Paris und Konstantinopel mit allen ihren Bewohnern zu ehren, so aufgehängt? Man muß hier nicht einwerfen: Es gäbe auf Schildern auch Bären, Ochsen, Böcke und Mohren, die offenbar zu den Affen gehörten; Schlangen und Drachen und Gänse, die, ob sie gleich von Gold wären, doch immer Gänse blieben. Das ist kein Einwurf. Denn so ist es von jeher mit allen Ehrenbezeigungen in der Welt gegangen, mit marmornen Denkmälern und Ordensbändern, mit Adelsbriefen und Doktor-Diplomen, mit Titeln und Schmutztiteln, und wird ferner so gehen, bis an das Ende der Welt, die unser aller Mutter ist. Trug nicht der Teufel selbst in Gestalt des letzten Herzogs von Orleans den Orden des heil. Geistes? – Vielleicht würden auf diesem Wege endlich die deutschen Wirtshäuser auch etwas gebessert. Da sieht es noch hier und da betrübt aus. Es fehlt uns überhaupt noch an einem deutschen Howard,Die Reise eines solchen Howards durch Deutschland wäre vielleicht kein übler Gegenstand für einen Roman. Er setzte freilich große Wirtshäuser-Kenntnis voraus. der das für die Wirtshäuser täte, was dieser für die Gefängnisse tat.
Nun noch ein Paar Worte von dem deutschen Pantheon überhaupt. Zu einem marmornen wollte ich nicht raten. Es ist vorauszusehen, daß es am Ende eine marmorne deutsche Gesellschaft werden würde, die nicht viel mehr wert wäre, als unsere – papiernen. Ja, viel weniger. Denn es ist, dünkt mich, noch eine große Frage, ob es in der Welt überhaupt andere Denkmäler gibt als papierne, seitdem die Tradition alle ihre großen Privilegia den Druckereien abgetreten, und nun in ihrem kindischen Alter nur noch einen nicht ganz honetten Kleinhandel durch Stadt-Frau Basen treibt. Ich glaube es nicht. Selbst die ewigen Denkmäler, die sich unsre Landsleute auf den Felsen des Mondes und an den Grenzen des Weltsystems durch neue Planeten mit neuen Trabanten, und an den Laufbahnen der Planeten und Kometen erbaut haben, wären ohne dabei liegende papierne Attestate ein Nichts. Alexander wäre, wie jeder andere Straßenräuber vergessen, wenn es nicht einem Schriftsteller gefallen hätte, ihm ein Testimonium über seine Käsebier-Historien zu erteilen, das nun immer und immer renoviert und renofiert in der Welt herumläuft. Auf der Reise nach dem Tempel des ewigen Nachruhms läßt sich auf den nächsten Stationen noch etwas Gold und Silber usw. absetzen; wer aber weiter reisen will, kömmt ohne echtes Papiergeld nicht fort. Nun bedenke man, was Papier nicht ist! Ein Feld mit Flachs, welcher Prospekt! Was da nicht, würde ein Physiker sagen, für Dinge latent sind! O wer an einem solchen Felde vorbei fährt oder reitet oder geht, der nehme den Hut ab, und denke einmal nicht bloß an latente Manschettenhemde, sondern auch an Unsterblichkeit. Will man ein übriges tun, so rate ich immer zu den Gastschildern, denn sie besitzen bei der Publizität des Marmors, alle Unvergänglichkeit des Papiers. – So viel über das Schild an diesem Wirtshause, und nun ein Paar Worte über das Wirtshaus selbst.
Durch das aufgeschobne Fenster sieht man, daß da keine der brillantesten Gesellschaften Dr. Johnsons Mittel wider den Selbstmord in großer Eintracht gebraucht. Das Lustige hierbei ist (denn Hogarth tut nichts umsonst), daß diese Leute eine Rauch-Stadt ausdrücklich in der Absicht verlassen haben, um der Landluft zu genießen, und sich hier nun in eine Rauch-Kammer einsperren. Diese hier am Fenster haben noch den besten Platz, man kann wetten, daß noch ein Dutzend dahinten steckt. Denn selbst am schattigen Fenster ist es diesen so heiß, daß sie die Perücken abgenommen und um die rasierten Köpfe ihre Schnupftücher geschlagen haben. Außerhalb hat sich ein Mann neben den Weinstock so hingestellt, daß dadurch ein wißbegieriges Wäschermädchen aufmerksam gemacht wird. Daß doch diese Menschenklasse in der ganzen Welt sich immer um Dinge bekümmern muß, die mit dem Waschen nichts zu tun haben, und die sie nicht verstehen. Was das Weib mit dem Schuh dahinten will, ist mir, die Wahrheit zu sagen, nicht ganz deutlich. Die Ausleger gehen alle darüber hin, als hätten sie sie nicht gesehen, bis auf den einzigen Trusler, und der sagt, wie mich dünkt, etwas nicht sehr Wahrscheinliches, nämlich: »daß die Frau dahinten den Schuh des Mädchens (der ältern Tochter) weiter macht, zeigt, daß diese eben so müde ist als der Knabe.« Die Leser werden fühlen daß das gar nichts ist. Dahinter aber steckt sicherlich etwas. – Bei den Engländern heißt ein Hufeisen, ein Pferdeschuh, und da wo vom Pferde schon die Rede ist, schlechtweg ein Schuh. Hätten sie nun noch oben drein eine gewisse im Deutschen sehr gemeine Redensart von Hufeisen und deren Verlust, welches ich nicht weiß: so könnte dieser weibliche Schuh wohl sein verloren worden, und so etwas kann einem wohl zu Sadlers Wells begegnen, zumal wenn man ohnehin gewohnt ist, die Schuhe etwas leichtfertig zu tragen.