Georg Christoph Lichtenberg
Lichtenberg. Ein verkleinertes Bild seines Gedankenlebens
Georg Christoph Lichtenberg

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Über die Weiber

179. Den Männern haben wir so viel seltsame Erfindungen in der Dichtkunst zu danken, die alle ihren Grund in dem Erzeugungstrieb haben, z. B. die Ideale von Mädchen. Es ist schade, daß die feurigen Mädchen nicht von den schönen Jünglingen schreiben dürfen, wie sie wohl könnten, wenn es erlaubt wäre. So ist die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Händen gezeichnet, die sie allein recht mit Feuer zeichnen könnten. Es ist wahrscheinlich, daß das Geistige, was ein paar bezauberte Augen in einem Körper erblicken, der sie bezaubert hat, sich ganz auf eine andere Art den Mädchen im männlichen Körper zeigt, als es sich dem Jünglinge im weiblichen entdeckt.

Mir ist es allemal angenehm, wenn ich von einer neuen Dichterin höre. Wenn sie sich nur nicht nach den Gedichten der Männer bildeten, was könnte da nicht entdeckt werden!   B

 

180. Im ganzen Zirkel von Liebe zur Veränderung, die das weibliche Geschlecht besitzt, ist wohl die zur Veränderung des Namens die vorzüglichste.   B

 

181. Der Vater. Mein Töchterchen, du weißt, Salomon sagt: wenn dich böse Buben locken, folge ihnen nicht.

Die Tochter. Aber, Papa, was muß ich dann tun, wenn mich die guten Buben locken?   B

 

182. Dies ist wohl Ihre Frau Liebste? – Um Vergebung, es ist meine Frau.   B

 

183. Hochzeiten gehören unter die Fleischspeisen, da sie in den Fasten verboten sind.   B

 

184. Ein Mädchen, das sich ihrem Freund nach Leib und Seele entdeckt, entdeckt die Heimlichkeiten des ganzen weiblichen Geschlechts; ein jedes Mädchen ist die Verwalterin der weiblichen Mysterien. Es gibt Stellen, wo Bauernmädchen aussehen wie die Königinnen; das gilt von Leib und Seele.   B

 

185. Manche Menschen äußern schon eine Gabe, sich dumm zu stellen, ehe sie klug sind; die Mädchen haben diese Gabe sehr oft.   B

 

186. Die Frage: Ist die Macht der Liebe unwiderstehlich, oder kann der Reiz einer Person so stark auf uns wirken, daß wir dadurch unvermeidlich in einen elenden Zustand geraten müssen, aus welchem uns nichts als der ausschließende Besitz dieser Person zu ziehen imstande ist? habe ich in meinem Leben unzähligemal bejahen hören von alt und jung und oft mit aufgeschlagenen Augen und über das Herz gefaltenen Händen, den Zeichen der innersten Überzeugung und der sich auf Diskretion ergebenden Natur. Ich könnte sie auch bejahen, nichts ist wohlfeiler und leichter, ich werde sie auch künftig aus Gefälligkeit wieder bejahen, oder auch, wenn künftige Erfahrungen das Kabinett bereichern, aus dem ich jetzt herausphilosophiere, im Ernst, woran ich aber deswegen sehr zweifle, weil ein paar Beispiele, die gehörig ins Licht gesetzt für mich streiten, hinlänglich sind, den ganzen Satz auf ewig zu leugnen. Ich habe, sage ich, den Satz unzähligemal bejahen hören und bejaht gelesen in Prose und in Versen. Aber wie viel Menschen waren darunter, die die Frage ernstlich untersucht hatten? Bewußt wenigstens ist es mir von keinem, daß er sie untersucht hätte, und vielleicht hatte sie auch wirklich keiner untersucht; denn wer wird eine Sache untersuchen, von deren Wahrheit der Kuckuck und die Nachtigall, die Turteltaube und der Vogel Greif einstimmig zeugen, wenigstens, wenn man den süßen und bittern Barden aller Zeiten glauben darf, über deren Philosophie aber zum Glück der Philosoph so sehr lacht, als das vernünftige Mädchen über ihre Liebe. Ich glaube, ich habe die Frage hinlänglich untersucht, lange vor Herrn Professor Meiners, dessen Übereinstimmung mit meiner Meinung in der Hauptsache nicht wenig dazu beigetragen hat, daß ich den Mann jetzt liebe, dessen Kopf ich längst verehrt habe. Nach dieser Untersuchung behaupte ich mit völliger Überzeugung: die unwiderstehliche Gewalt der Liebe, uns durch einen Gegenstand entweder höchst glücklich oder höchst unglücklich zu machen, ist poetische Faselei junger Leute, bei denen der Kopf noch im Wachsen begriffen ist, die im Rat der Menschen über Wahrheit noch keine Stimme haben, und meistens so beschaffen sind, daß sie keine bekommen können. Ich erkläre hier noch einmal, ob es sich gleichwohl von selbst versteht, daß ich den Zeugungstrieb nicht meine; der, glaube ich, kann unwiderstehlich werden, allein sicherlich hat ihn die Natur uns nicht eingeprägt, uns höchst unglücklich oder höchst glücklich zu machen. Das erste zu glauben macht Gott zu einem Tyrannen und das letztere den Menschen zum Vieh. Und doch rührt die ganze Verwirrung in diesem Streit aus nicht genügsamer Unterscheidung eben dieses Triebes, der sich unter sehr verschiedener Gestalt zeigt, und der schwärmenden Liebe her. Man verteidigt Liebe und verwirft Liebe, und eine Partei versteht dieses und die andere etwas anderes.

Die guten Mädchen haben die Ausdrücke Himmel auf der Welt, Seligkeit, womit manche Dichter die glückliche Liebe belegten, als ewige unwandelbare Wahrheit angesehen, und mädchenmäßige Jünglinge haben es ihnen nachgeglaubt, da es doch nur weichliches Geschwätz junger Schwärmer ist, die weder wußten, was Himmel, noch was Welt war. Die Benennungen sind nur insofern wahr, insofern es wahr ist, daß Mädchen Göttinnen sind. Die Griechen, nicht allein das weiseste und tapferste, sondern auch das wollüstigste Volk auf der Welt, hielten wahrlich die Mädchen nicht für Göttinnen, oder den Umgang mit ihnen für Paradies oder ihre Liebe für unwiderstehlich. Sie erzeigten ihnen nicht einmal die Achtung, die man wenigstens von einem freien Volk, ich will nicht sagen von einem gefühlvollen, gegen ein schwaches Geschlecht hätte erwarten sollen. Sie brauchten sie, die organisierten Fleischmassen zu zeugen, aus denen sie selbst nachher Helden, Weise und Dichter formten, und ließen sie übrigens gehen. Sie wohnten im Innersten des Hauses, kamen nicht in Männergesellschaften, wodurch ihnen denn freilich aller Weg abgeschnitten ward, sich für so kluge Köpfe gehörig auszubilden, daher sie immer schlechter und verächtlicher werden mußten. Daß ihnen wahrhaftig große Männer courten, diese Achtung mußten sie sich erst durch besondere auszeichnende Geistesgaben erwerben, und diese Besuche waren nicht von der verliebten Art. Das Vermögen, das ihnen die Natur gegeben hat, ein dringendes Verlangen auf eine angenehme und nützliche Art zu befriedigen, rechneten sie ihnen für kein Verdienst an, und, wie mich dünkt, mit großem Recht; denn es ist ein Handel, wobei beide Parteien gewinnen. Die Ausdrücke Herz verschenken, Gunst verschenken, sind wieder poetische Blümchen. Kein Mädchen schenkt ihr Herz weg, sie verkauft es entweder für Geld oder Ehre, oder vertauscht es gegen ein anderes, wobei sie Vorteil hat, oder doch zu haben glaubt. Aber was führe ich Ihnen die Griechen an? Gibt es nicht heutzutage ein sehr vernünftiges Volk, das von der beides lächerlichen und gefährlichen und dabei müßiggängerischen Schwärmerei der Liebe frei ist, ein Volk, dem wir allein den Fortgang in nützlichen Wissenschaften, Besserung des Menschen und alle großen Taten zu danken haben? Wissen Sie, was ich für ein Volk meine? Gewiß Sie kennen es. Es ist die Gemeinde der aktiven, vernünftigen, starken Seelen, die man über die ganze Erde ausgebreitet findet, obgleich manches Städtchen leer ausgehen möchte; der gesunde, nützliche, glückliche Landmann, den unsere albernen Dichter (wie überhaupt die Natur) besingen und bewundern, ohne ihn zu kennen, sich sein Glück wünschen, ohne doch den Weg dazu wählen zu wollen. Mir läuft die Galle allemal über, wenn ich unsere Barden das Glück des Landmanns beneiden höre. Du willst, möchte ich immer sagen, glücklich sein wie er und dabei ein Geck sein wie du, das geht freilich nicht. Arbeite wie er, und wo deine Glieder zu zart sind zum Pflug, so arbeite in den Tiefen der Wissenschaft, lies Eulern oder Hallern und den stärkenden Plutarch, und endlich lerne dein braunes Mädchen genießen, wie dein braunes Brot – von Hunger verklärt und gewürzt, wie dein Landmann tut, so wirst du glücklich sein wie er. Nicht Adel der Seele, nicht Empfindsamkeit, sondern Müßiggang, oder doch Arbeit, bei der der Geist müßig bleibt und Unbekanntschaft mit den großen Reizen der Wissenschaft, worin schlechterdings nichts von Lieb' und Wein vorkommt, ist die Quelle jener gefährlichen Leidenschaft, die (ich getraue es allgemein zu behaupten) sich noch niemals einer wahrhaftig männlichen starken Seele bemächtigt hat. Wenn jemand aus Liebe Einöden sucht, mit dem Mond im Ernst plaudert, so steckt gewiß das Häschen irgend wo im Kopf, denn eine Schwachheit steht selten allein.

Ich habe sehr hohe Begriffe von der Größe und Würde des Menschen. Einem Triebe folgen, ohne den die Welt nicht bestehen könnte, die Person lieben, die mich zum einzigen Gesellschafter ausersehen hat, zumal da nach unsern Sitten diese Person sich durch tausend andere Dinge an unser Herz festhängt, und unter den mannigfaltigen Relationen, von Ratgeber, Freund, Handlungskompagnon, Bettkamerade, Spielsache, lustiger Bruder (Schwester klingt nicht) auf uns wirkt, das halte ich sicherlich für keine Schwachheit, sondern für klare, reine Schuldigkeit, und ich glaube auch, es steht nicht bei uns, ein solches Geschöpf nicht zu lieben. Beklagen wir ja den Tod eines Haushundes. Allein ein Mädchen sollte imstande sein, mit ihren Reizen einem Manne seine Ruhe zu rauben, daß kein anderes Vergnügen mehr Geschmack für ihn hätte, und es stehe nicht in seiner Gewalt, sich diesem Zug zu widersetzen, dem Manne, der Armut, Hunger, Verachtung seines Verdienstes ertragen, ja seiner Ehre wegen in den Tod gehen kann? Das glaube ich ewig nicht. Dem Gecken wohl, dem weichlichen Schwachen, der nie in irgend etwas Widerstand versucht hat, oder dem Wollüstling, der höhere Vergnügen des Geistes nicht kennt, als das Bewußtsein, daß ihn ein hübsches Mädchen liebt (denn vom Genuß abstrahiere ich, um dem Werther allen möglichen Vorteil zu geben), aber gewiß keiner eigentlichen Seele; wenn eine solche je so was gesagt hat, so war es ein Kompliment gegen die Damen, und zwar ein sehr unartiges, weil es ein Pasquill auf alle vernünftigen Männer ist; und doch ist es eine Frage, ob es ein Kompliment für die Damen ist. Viele Männer halten das weibliche Geschlecht für so schwach, eitel, leichtgläubig und eingebildet, daß sie alles glauben, was man ihnen sagt, sobald es die Macht ihrer Reize angeht. Diese Männer, wenn man sie anders so nennen kann, irren sich aber gar sehr. Nicht wahr, Madam?

Wenn man aber einer Vorstellung, die sich auf einen solchen Trieb stützt, mutwillig nachhängt, nicht allein nicht widerstehen will, sondern sich gar eine Ehre daraus macht, nicht zu widerstehen und sich für einen Eingeweihten in die Mysterien der alles beglückenden Natur hält, sobald man sich solche Liebesschlösser in die Luft bauen kann, ja mein Gott, was ist da nicht unwiderstehlich in der Welt? Wäre doch wohl gar die kranke Frau im Gellert gestorben, wenn der Schneider nicht gekommen wäre, oder hat doch einer schon seine Frau für ein Glas Branntwein andern überlassen. Da ist es freilich kein Wunder, wenn Glück und Ruhe dahin gehen, als hätten sie nie bei einem gewohnt, und ist es noch gut, wenn nur Glück und Ruhe fliehen.

Die Liebe, die ich dem vernünftigen Manne für anständig halte, verhält sich zu der, gegen welche ich schreibe, so wie die gerechte Zähre des rechtschaffenen Mannes bei dem Tod einer Mutter, gegen das ungezogene Geheul und Haarausreißen des schwachen Pöbels. Und ich weiß wohl, wenn ich auch bis an den jüngsten Tag predigte, so würde doch die Anzahl derer, die jenen Folgen der Liebe standhaft widerstehen, immer die kleinere Zahl sein. Aber was ist seltsamer, als daß die Leute, die ihr Unglück mit Mut, Gelassenheit ertragen, ebenfalls sehr wenige sind? Aus dem, was der Mensch jetzo in Europa ist, müssen wir nicht schließen, was er sein könnte. In andern Weltteilen ist er ja schon anders, sehr viel anders.   L

 


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