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1. Ich muß zuweilen, wie ein Talglicht, geputzt werden, sonst fange ich an dunkel zu brennen. N
2. Während man über geheime Sünden öffentlich schreibt, habe ich mir vorgenommen, über öffentliche Sünden heimlich zu schreiben. N
3. Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun. N
4. Man empfiehlt Selbstdenken, oft nur, um die Irrtümer anderer beim Studieren von Wahrheit zu unterscheiden. Es ist ein Nutzen, aber ist das alles? Wieviel unnötiges Lesen wird dadurch uns erspart! Ist denn Lesen und Studieren einerlei? Es hat jemand mit großem Grund der Wahrheit behauptet, daß die Buchdruckerei Gelehrsamkeit mehr ausgebreitet, aber im Gehalt vermindert hätte. Das viele Lesen ist dem Denken schädlich. Die größten Denker, die mir vorgekommen sind, waren gerade unter allen Gelehrten, die ich habe kennen gelernt, die, welche am wenigsten gelesen hatten.
Wenn man die Menschen lehrt, wie sie denken sollen, und nicht ewighin, was sie denken sollen, so wird auch dem Mißverständnis vorgebeugt. Es ist eine Art von Einweihung in die Mysterien der Menschheit. Wer im eigenen Denken auf einen sonderbaren Satz stößt, kommt auch wohl wieder davon ab, wenn er falsch ist. Ein sonderbarer Satz hingegen, der von einem Manne von Ansehen gelehrt wird, kann Tausende, die nicht untersuchen, irre führen. Man kann nicht vorsichtig genug sein in Bekanntmachung eigener Meinungen, die auf Leben und Glückseligkeit hinauslaufen; hingegen nicht emsig genug, Menschenverstand und Zweifeln einzuschärfen. Bolingbroke sagt sehr gut: Every man's reason is every man's oracle. B
5. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, worin sich eigentlich das große Genie von dem gemeinen Haufen unterscheidet. Hier sind einige Bemerkungen. Der gewöhnliche Kopf ist immer der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode konform, er hält den Zustand, in dem sich alles jetzt befindet, für den einzig möglichen und verhält sich leidend bei allem. Ihm fällt nicht ein, daß alles, von der Form der Meublen bis zur feinsten Hypothese hinauf, in dem großen Rat der Menschen beschlossen worden, dessen Mitglied er ist. Er trägt dünne Sohlen an seinen Schuhen, wenn ihm gleich die spitzen Steine die Füße wund drücken; er läßt die Schuhschnallen sich durch die Mode bis an die Zehen rücken, wenn ihm gleich der Schuh öfters stecken bleibt; er denkt nicht daran, daß die Form des Schuhes so gut von ihm abhängt, als von dem Narren, der sie auf elendem Pflaster zuerst dünne trug. Dem großen Genie fällt überall ein: könnte dieses nicht auch falsch sein? Es gibt seine Stimme nie ohne Überlegung. Ich habe einen Mann von großen Talenten gekannt, dessen ganzes Meinungensystem, sowie sein Meublenvorrat, sich durch eine besondere Ordnung und Brauchbarkeit unterschied; er nahm nichts in sein Haus auf, wovon er nicht den Nutzen deutlich sah. Etwas anzuschaffen, bloß weil es andere Leute hatten, war ihm unmöglich. Er dachte: so hat man ohne mich beschlossen, daß es sein soll, vielleicht hätte man anders beschlossen, wenn ich dabei gewesen wäre. – Dank sei es diesen Männern, daß sie zuweilen wenigstens einmal schütteln, wenn es sich setzen will, wozu unsere Welt noch zu jung ist. Chinesen dürfen wir noch nicht werden. Wären die Nationen ganz voneinander getrennt, so würden vielleicht alle, obgleich auf verschiedenen Stufen der Vollkommenheit, zu dem chinesischen Stillstand gelangt sein. B
6. Manche Leute wissen alles so, wie man ein Rätsel weiß, dessen Auflösung man gelesen hat oder einem gesagt worden ist, und das ist die schlechteste Art von Wissenschaft, die der Mensch am wenigsten sich erwerben sollte. Er sollte vielmehr darauf bedacht sein, sich diejenigen Kenntnisse zu erwerben, die ihn in den Stand setzen, vieles selbst im Fall der Not zu entdecken, was andere lesen oder hören müssen, um es zu wissen. B
7. Ein gutes Mittel, gesunden Menschenverstand zu erlangen, ist ein beständiges Bestreben nach deutlichen Begriffen, und zwar nicht bloß aus Beschreibungen anderer, sondern soviel möglich durch eigenes Anschauen. Man muß die Sachen oft in der Absicht ansehen, etwas daran zu finden, was andere noch nicht gesehen haben; von jedem Wort muß man sich wenigstens einmal eine Erklärung gemacht haben, und keines brauchen, das man nicht versteht. B
8. Der oft unüberlegten Hochachtung gegen alte Gesetze, alte Gebräuche und alte Religion hat man alles Übel in der Welt zu danken. B
9. Wer die Geschichte der Philosophie und Naturlehre betrachten will, wird finden, daß die größten Entdeckungen von Leuten sind gemacht worden, die das für bloß wahrscheinlich hielten, was andere für gewiß ausgegeben haben; also eigentlich von Anhängern der neuen Akademie, die das Mittel zwischen der strengen Zuverlässigkeit des Stoikers und der Ungewißheit und Gleichgültigkeit des Skeptikers hielt. Eine solche Philosophie ist um so mehr anzuraten, als wir unsere Meinungen zu der Zeit sammeln, da unser Verstand am schwächsten ist. Dieses letztere verdient in Absicht auf Religion in Betrachtung gezogen zu werden. B
10. Er erfand alles etwa so, wie die wilden Schweine und die Jagdhunde die Salzquellen und Gesundbrunnen. B
11. Trotz meiner großen Armut an Kenntnissen (worunter ich nicht alles verstehe, was ich weiß, sondern nur was ich auch zweckmäßig zusammengedacht habe), finde ich mich oft nicht wenig durch den Gedanken beruhigt, daß ich das durch tausendfaches Interesse gespaltene und tausendfach sich selbst betrügende menschliche Herz zu dem Grad habe kennen lernen, daß ich an einer Sache zweifeln kann, und wenn sie in tausend Büchern bejaht stünde, tausend Jahre durch geglaubt worden und als untrüglich von schönen und häßlichen Lippen verkündigt worden wäre. Ich habe mir zur unverbrüchlichen Regel gemacht, aus Respekt schlechterdings nichts zu glauben, demohngeachtet aber, vor wie nach, fortzufahren, aus Respekt am gehörigen Ort oft zu tun und zu sagen, was ich nicht glaube und nicht glauben kann. Der Mensch ist ein solches Wunder an Seltsamkeit, daß ich überzeugt bin, es gibt Leute, die oft meinen, sie glaubten etwas und glauben's doch nicht, die sich selbst belügen, ohne es zu wissen, und Dinge einem andern nachzumeinen und nachzufühlen glauben, die sie ihm bloß nachsprechen. Daß das wahr ist, davon, sage ich, bin ich sicher überzeugt, denn ich habe mich ehemals selbst darüber ertappt. Dieses hat mich sehr mißtrauisch gegen mich selbst und noch mehr gegen die Versicherungen anderer gemacht, deren Interesse, Gattung von Eigenliebe und Verstandeskräfte ich nicht kenne, und von denen ich also nicht weiß, ob sie ein Votum haben, oder ob sie bloß Herolde sind. Wir sind nur gar zu geneigt zu glauben, das sei wahr, was wir oft bejahen hören und was viele glauben, und bedenken nicht, daß der Schein, der zehn betrügt, Millionen betrügen kann. Neun Zehnteile des menschlichen Geschlechts glauben, die Erde stünde still, und es ist doch nicht wahr. Wir bedenken nicht, daß, wenn einer halb aus Interesse etwas bejaht, es Tausende ganz aus Interesse nachsagen, und zehntausend, weil sie doch was sagen müssen, und gar keine Meinung haben, oder bloß andrer ihre. Das ist der größte Teil der Menschen. Es ist daher jammerschade, daß man so oft die Stimmen nur zählen kann. Wo man sie wägen kann, soll man es nie versäumen. Ich kann daher nicht leugnen, daß mir die Leute vorzüglich angenehm sind, die ohne Affektation zuweilen die evidentesten Sätze bezweifeln, oder Leute zu entschuldigen suchen, die sie bezweifelt haben, so wie neulich K. . . von D. . ., der behauptet hatte, 3 mit 0 multipliziert wäre 3, oder mit andern Worten dreimal nichts wäre drei. Ohne im geringsten solchen absurden Zweifeln, wie diese eben angeführten, das Wort zu reden, glaube ich auch, daß es keine größere Verstandesstärkung gibt, als Mißtrauen gegen alle Meinungen der Menge. Man kann sich immer sicher zurufen: das ist nicht wahr, und wenn man auch gleich am Ende findet, daß man sich geirrt hat, so wird man diesen Irrtum nie ohne Gewinn von Seiten des Systems von Kenntnissen entdecken, die man hat, und dessen Festigkeit doch eigentlich ausmacht, was wir Seelenstärke nennen. Sagen oder gar predigen muß man diese Zweifel eben nicht immer. In Religionssachen ist es das sicherste Zeichen eines schwachen Kopfes. Denn was ist wahr an diesen Dingen, das nicht sein Wahreres haben kann? Und wo es auf zeitliche Ruhe und Glückseligkeit ankommt, muß man, meiner Meinung nach, allgemein angenommene Sätze so wenig ohne große Ursache ändern, als einen geprüften guten Minister mit einem andern vertauschen, von dessen Geschicklichkeit man sich mehr bloß verspricht. L
12. Sehr viele und vielleicht die meisten Menschen müssen, um etwas zu finden, erst wissen, daß es da ist. B
13. Zweifle an allem wenigstens einmal, und wäre es auch der Satz: zweimal zwei ist vier. B