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Mr. Calvin Coolidge war von 1923 bis 1929 Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Er verwirklichte viele der solidesten amerikanischen Ideale und kann neben dem Ford-Automobil, dem Rev. Dr. William Sunday und der Saturday Evening Post als Symbol seines Zeitalters gelten.
– Ja, meine Herren, ganz entschieden is es mir ein Vergnügen, Ihnen zuzuhören und Ihre Ansichten kennenzulernen. Das is nämlich eine von den Annehmlichkeiten, die man in einem Pullmanwagen wie hier hat: man kann sich drauf verlassen, daß man ne ganze Menge richtiger Mannsamerikaner mit gesunden Anschauungen und Ideen trifft.
Und jetzt möchte ich Ihnen sagen, was ich von diesen Dingen halte –
Ich bilde mir ja nicht eine Sekunde lang ein, daß ich mehr Gehirnschmalz habe als der gewöhnliche, normale Durchschnittsbürger, aber ich habe mich sehr viel mit Politik und solchen Sachen beschäftigt und – ja, wissen Sie, meiner Ansicht nach is es die Pflicht aller Bürger mit guter Erziehung, sich um die Staatsangelegenheiten zu kümmern, denn, nicht wahr, was is schließlich, wie erst gestern jemand bei uns im Kiwanis-Club gesagt hat – was is die Regierung anderes als die Vereinigung von uns allen, in der wir zu unserem gegenseitigen Schutz und Vorteil verbunden sind?
Und ich – Sie müssen nämlich wissen, ich lese die politischen Leitartikel im Advocate – das is die führende Zeitung in meiner Stadt – Zenith – also die lese ich, wie die meisten Menschen den Sportteil lesen. Und infolgedessen, und außerdem weil ich gewisse persönliche Informationen habe, deren Quellen ich Ihnen nicht verraten darf, bin ich zu der festen Überzeugung gekommen –
Also, das is etwas, woran Sie vielleicht noch nie gedacht haben, meine Herren:
Die Leute können sagen, was sie wollen, daß der Präsident Coolidge – der gute alte schweigsame Cal Coolidge! – vielleicht nicht so viel Eindruck macht wie ein paar andere Staatsmänner. Es is ja möglich, daß er nicht so gern die Klappe weit aufreißt, wie gewisse andere Männer der Öffentlichkeit, deren Namen ich nennen könnte. Vielleicht is er nicht das, was meine Tochter »ei ei« nennen würde –
Und ich muß Ihnen sagen, s geht, weiß Gott, über meinen Horizont, wo die jungen Leute von heute, alle durch die Bank, die ganzen Ausdrücke hernehmen, die sie immer im Mund haben. Also, sehen Sie, erst gestern hat zum Beispiel meine Tochter mit ihrem Bruder geredet, und Robby – so heißt der Junge; fünfzehn Jahre is er erst alt; drei Jahre jünger als seine Schwester, aber ein schlaues Aas. Ja, das is entschieden ein vielversprechendes Kind, wenn ich mich so ausdrücken darf.
Wissen Sie –
Sie dürfen aber nicht meinen, daß ich ihn drauf gebracht hätte. Der Himmel weiß, daß ich mirs leisten kann, ihm das Beste zu geben, was bei uns geboten wird, wenigstens in vernünftigen Grenzen, ich meine, so viel Kompfor und sogar Luxus, als gut für ihn is. Ich hab nie einen Ton gesagt, daß es vielleicht ne gesunde Sache für ihn wäre, wenn er mal n bißchen Geld nebenbei verdienen würde. Aber da kommt er mal am Abend grade vorm Essen rein – vor dem Dinner, den Hut schief auf dem Kopf, und sieht stolz aus wie ich weiß nicht was.
Also ich sage zu ihm: »Na, Robert Livingston –«
Natürlich heißt er mit dem zweiten Namen nicht Livingston, sondern Otto, aber wir nennen ihn oft Robert Livingston, so zum Spaß.
»Na, Robert Livingston«, sag ich zu ihm, »was meinst Du, wer Du bist? Thomas Edison oder Napoleon oder wer – oder vielleicht Red Grange! Ein um 1926 berühmter professioneller Sportsmann. Nehmen Sie Platz, Mr. Grange, und gestatten Sie, daß ich Ihren Hut aufhänge.«
So zum Spaß, wissen Sie.
Also, er sieht mich bloß an –
Wenn ich die Wahrheit gestehen sollte, müßte ich ja wohl sagen, daß der Junge ziemlich gottsverdammt frech is, aber er is dabei so aasig pfiffig, daß man mit ihm nicht böse werden kann, mit dem verflixten kleinen Luder – genau so vielversprechend, wie ich in seinem Alter war. Er steht bloß da und guckt mich an und steckt die Hände in die Hosentaschen, und dann –
Ja, und was meinen Sie, was hat er dann gemacht? Er legt ne Platte auf das Ultraphon.
Sie wissen ja – das neue Grammophon, das jeden Ton der menschlichen Stimme und der Musik wiedergibt. Das is so ne neue wissenschaftliche Erfindung, auf die die Wissenschaftler lange nicht kommen konnten. Aber jetzt haben sies raus, daß nicht ein einziger von den Untertönen – oder Obertönen, oder was es sonst is – verlorengeht, die bei den früheren Reproduktionsmethoden immer verlorengegangen sind. Son Ding kostet natürlich viel mehr als n altmodisches Grammophon, aber ich bin immer der Ansicht, auf die Dauer is das Beste das Billigste.
Also, Robby, der kleine Gauner, geht ran und legt ne Platte auf, so ne Sache: »Im Expeditionskorps bin ich vielleicht Gemeiner gewesen, aber bei den Damen bin ich n General, das können Sie mir glauben.« Dann sagt er: »Vati«, sagt er, »weißt Du, wen Du vor Dir hast? Ich –«
Wohl verstanden, wie ich schon gesagt habe, ich hab ihm nicht ein einziges Mal, auch nicht mit einer Silbe, gesagt, daß er sich ne Stellung für seine schulfreie Zeit suchen und n bißchen Geld verdienen soll. Ich bin ganz entschieden der Ansicht, daß es ne ausgezeichnete Sache für nen Jungen is, n bißchen zu arbeiten, und wenns seinen Leuten noch so gut geht, damit er nämlich den Wert des Geldes kennenlernt; damit er lernt, wie hundemäßig schwer es is, sich an den ollen Mr. Dollar ranzuschleichen und ihn ordentlich beim Genick zu kriegen.
Tatsache, ne ganze Menge junge Leute scheinen heute zu meinen, daß der alte Herr ganz einfach aus Geld gemacht ist und nicht für jeden Cent, den er verdient, blutig schwitzen muß. Aber trotzdem, ich hatte gedacht, es war noch nicht die richtige Zeit, Robby das zu erklären, obwohl ich mich da vielleicht geirrt habe, und wenn ich mich geirrt habe, bin ich der Erste, der das eingesteht – Bekennen tut der Seele wohl, wie man sagt.
Ja, vielleicht hätt ich ihm das schon längst einbläuen sollen. Ich weiß aus allerbester Quelle – also Tatsache, einer meiner besten Freunde kennt jemand, der mit den Rockefellers Die führende unter den amerikanischen Herzogsfamilien. sehr gut bekannt ist – und der sagt mir, daß die Rockefellers, Leute mit dem Geld, daß die ihre Familien, was Geld angeht, genau so vorsichtig erziehen wie jeder von uns: die lassen ihre Kinder nicht rumlaufen und denken, daß es gar keine Mühe macht, die Dingerchen zusammenzukratzen.
Ja also, dieser Herr hat mir eine aufschlußreiche kleine Sache über die Rockefellers erzählt, die er in eigener Person und mit seinen eigenen Ohren gehört hat. Er muß grade damals dort gewesen sein. Also, der alte John D. is dagesessen, und wahrscheinlich haben die halben Geldkönige von der ganzen Welt drauf gewartet, mit ihm sprechen zu können, und er hat mit dem jungen John D. geredet, genau so einfach und ruhig wie irgendeiner von uns. Und er hat gesagt, ich werde seine Worte nie vergessen – ich hab sie damals noch am selben Tag zu Robby wiederholt – der alte Herr sieht den jungen John D. an, und wahrscheinlich hat er, so stell ich mirs wenigstens vor, ihm die Hand auf die Schulter gelegt, und er sieht ihn an und sagt: » Mein Junge, spare in der Zeit, so hast Du in der Not!«
Jawoll Herr!
Aber trotzdem –
Ich fürchte, ich komm n bißchen von Coolidge ab, und wenn ich etwas hasse, dann is es n Mensch, der, wenn er von ner Sache zu reden anfängt, nicht dabei bleiben kann.
Ich erinner mich, einmal hat einer von den Buchautoren bei uns im Kiwanis-Club gesprochen, und wissen Sie, der Mensch, er kann ja vielleicht tadellos schreiben (obwohl ich eigentlich sehen möchte, wie der sich hinsetzt und nen Brief diktiert, mit dem er jemand dazu bringt, sein Konto auszugleichen, und ihn doch nicht wild macht!) – und wie gesagt, wie er schreibt, weiß ich nicht, aber wie er redet, ich sage Ihnen, is der Mensch mit der Kirche um den heißen Brei rumgegangen! Da können Sie wieder mal sehen, wie den Burschen, die sich für so mordsmäßig schlau und überlegen halten, ne ordentliche kaufmännische Ausbildung fehlt!
Also, was ich sagen wollte, Robby legt die Platte aufs Ultraphon – den Apparat müßten Sie wirklich mal ausprobieren, meine Herren – und sieht mich an und sagt: »Also, Vati, ich hab ne Stellung in Zabriskies Apotheke für die Sonnabendnachmittage, und für jeden solchen Nachmittag bezieh ich einen und einen halben Dollar!«
Gut, was? Das will ich meinen! Dabei is er erst fünfzehn.
Aber was ich eigentlich sagen wollte: Wie der Junge und seine Schwester die englische Sprache behandeln, das kann mich einfach wild machen. Also, da hat er mal mit seiner Schwester geredet, und er fängt an, sie mit einem Kerl aufzuziehen, in den sie verknallt war, und sagt: »Der Junge is ja dauernd blau.«
Aber sie gibt ihm auch gleich wieder, blitzschnell: »Ja, blau wie ne Methodistensonntagsschule!«
Jawoll Herr, es geht auf keine Kuhhaut, was diese neue Generation mit dem guten alten Englisch macht, das Sie und ich sprechen gelernt haben, in den guten alten Schulen, wo alles gründlich war, und wos Zucht gegeben hat und nicht bloß sone Wichtigmacher und Affenschwänze rumgelaufen sind, die sie ganz einfach umbringen, die Sprache nämlich, und wie ich gesagt habe, wenn Schwesterchen – so sagen wir oft zu meiner Tochter – wenn die von Coolidge reden würde, dann würde sie wahrscheinlich sagen, daß er nicht »ei ei« is.
Ja, wenn Sie die Sache so ansehen wollen, schön. Vielleicht kann er nicht so geschwollen reden wie manche Leute, die ich Ihnen nennen könnte. Aber, meine Herren, ob einer von Ihnen schon daran gedacht hat?
Er kann vielleicht nicht n blendendes Feuerwerk loslassen, aber wissen Sie, was er is? SICHER is er.
Jawoll Herr, Cal is der Präsident für richtige ganze Amerikaner wie wir.
S gibt ja allerhand Leute, die ihm eins auswischen, aber was sind die? Ihr süßes Leben können Sie wetten, daß er bei Säufern nicht beliebt is, oder bei Verbrechern oder Anarchisten oder Gehirnakrobaten oder Zynikern –
Ich weiß noch, wie unser Pastor einmal gesagt hat: »Ein Zyniker is ein Mensch, der höhnt, und ein Mensch, der höhnt, lehnt sich auf und sagt Gott, daß er mit Gottes Arbeit nicht einverstanden is!« Nee Herr, Sie können Gift drauf nehmen, daß Coolidge nicht beliebt is bei den Bolschewisten oder bei so nem faulen Hund von Arbeiter, der fünfzehn Dollars im Tag für Nichtstun haben will! Nee Herr, und bei den Kokainschweinen auch nicht oder bei Säufern oder bei den Kerlen, die das Prohibitionsgesetz nicht unterstützen wollen –
Ich will ja nicht sagen, daß ich nie n Schluck trinke. Meine Ansicht über die Prohibition is:
Sobald ein Gesetz mal bei den rechtmäßig gewählten und eingesetzten Volksvertretern der Vereinigten Staaten durchgegangen is, also, sobald es mal in den Gesetzbüchern steht, is es da, und es is da, um unterstützt zu werden. Blinde Kneipen und illegale Destillen dürft es gar nicht geben, aber trotzdem, das braucht noch lange nicht heißen, daß man n Fanatiker werden soll.
Wenn jemand Lust hat, sich gutes selbstgebrautes Bier oder Wein zu machen, oder wenn man zu jemand ins Haus kommt und er Rum oder Gin anbringt, von dem man selber nicht weiß, wo er ihn her hat, und es einen weiter nichts angeht, oder wenn n Geschäftsfreund zu Ihnen kommt und Sie meinen, daß er ohne ne kleine Nachhilfe steif bleibt und nicht reden will, und Sie n guten verläßlichen Bootlegger kennen, auf den Sie sich verlassen können, ja, das is dann wieder ne andere Sache, und ich wenigstens kann keinen Grund auf Gottes grüner Erde finden, warum man sich das nicht zu Nutze machen sollte, immer vorausgesetzt selbstverständlich, daß Sie nicht jemandem ein schlechtes Beispiel geben oder die Sache so aussieht, als ob Sie was dafür übrig hätten, die Gesetze zu verletzen.
Nee Herr!
Aber um jetzt auf den Kern meiner Geschichte zu kommen, ich hoffe, daß ich Ihnen eine angenehme kleine Überraschung bereiten kann, meine Herren.
Ich kenne Coolidge persönlich!
Jawoll Herr, ich war sogar Jahrgangskollege von ihm! So sicher, wie ich Ihnen das sage! Ich werde den Herren ein genaues Bild von ihm geben, nicht nur wie ich ihn im College gesehen habe, sondern auch, wie ich ihn im Weißen Haus studiert habe!
Wenn ich sage, daß ich Jahrgangskollege von ihm war –
Also, die Sache is die: gewisse unglückliche Familienereignisse, auf die ich nicht einzugehen brauche, und die Sie auch nicht interessieren würden, haben mich daran verhindert, meine College-Ausbildung zu vollenden –
Mein Vater, und das war ein feiner, aufrechter, gebildeter Herr von der alten Schule, den immer eine hilfreiche Hand für jeden Sterblichen, ders nötig gehabt hat, schmückte, ein Mann mit prima Ruf in seiner Gemeinde – Fall River, Mass.; ja, ich bin in Fall River geboren worden und aufgewachsen, und das is, wie Sie vielleicht wissen, eine der schönsten und unternehmendsten und fortschrittlichsten Gemeinden im schönen Staate Massachusetts – er war dort der führende Mais- und Futtermittelhändler in seinem ganzen Bezirk von Fall River.
Aber leider hat er dem Rat eines sogenannten Freundes zu viel Vertrauen geschenkt.
Die Sache is die: er legte seine Ersparnisse in einer Perpetuum mobile-Gesellschaft an, die wenig oder gar keinen Wert hatte. Er starb, und das geschah ganz plötzlich im Dezember meines Fuchsjahres, und da mußte ich zurück nach Hause und die Bürde der Familienerhaltung auf meine Schultern laden.
Aber ich habe ganz entschieden auch in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit in Amherst ne ganze Menge Wertvolles gelernt, und die Herren im Kiwanis-Club sagen mir, daß sie an der Qualität der Ansprachen oder Anträge, die ich im Club vielleicht einzubringen habe, und an den Begrüßungen der Redner sehen können, was für Erziehungsvorteile ich genossen habe.
Also eben damals im College hatte ich Gelegenheit, ein genaues Bild von Cal Coolidge zu bekommen, wie es vielleicht in diesen späteren arbeitsreichen Jahren, wo die Sorge um das Gedeihen der Nation auf ihm lastet, selbst seinen intimeren Mitarbeitern versagt geblieben is.
Ich könnte mich wohl nicht zu den engeren Freunden zählen, die Cal im College hatte, aber ich kannte ihn ziemlich gut. Wir haben nicht weit voneinander gewohnt, und ich hab ihn damals sehr oft gesehen. Ich will nicht leugnen, daß ich nie daran gedacht habe, daß er zu seiner jetzigen hohen Stellung und seinem internationalen und historischen Ruhm emporklimmen würde, aber auch schon damals konnte man an seiner Art zu arbeiten und an seiner Art, sich alles von allen Seiten anzusehen, bevor er etwas Unüberlegtes tat, sehen, daß er es zu etwas bringen würde, ganz egal welche Branche des Lebens er auch ergreifen sollte. Und wenn Sie wieder einmal einen über Coolidge meckern hören, dann sagen Sie ihm bloß das, ja, von einem, der ihn gekannt hat in einer Zeit, wo er noch nicht von Schmeicheleien umgeben war.
Ich weiß noch so genau, als obs gestern gewesen wäre, wie Cal und ich mal zusammen aus einer Vorlesung gekommen sind und ich gesagt habe: »Na, das wird ein kalter Winter werden«, und er hat sofort geantwortet: »Ja.«
Hat nicht ne Menge Zeit mit Streiten und Diskutieren verschwendet! Er hats gewußt!
Und noch etwas: Ich bin mit dem Lateinischen nie recht gut zu Rande gekommen. Mein Talent, könnte man sagen, liegt mehr auf dem Praktischen. Ich fragte Cal – wir gingen grade zusammen in die Vorlesung, und ich fragte ihn: »Sag mal, was heißt Widerstand leisten auf lateinisch?«
»Weiß nicht«, sagte er. Kein Rumreden und kein Aufschneiden und Bluffen, nee, gleich is er damit rausgekommen, peng! So n Mann is er, das lassen Sie sich von einem sagen, der ihn kennt! Jawoll, Herr, ich kannte den Jungen und hatte ihn gern und schätzte ihn, wie alle, die die seltene Möglichkeit hatten, ihn zu verstehen!
Und sich vorzustellen, daß ich nicht bekannt mit ihm geworden wäre, wenn wir nicht Kollegen in einem kleinen College gewesen wären!
Ich will Ihnen sagen, was ich davon halte, meine Herren: Der große, man könnte sagen, der unüberwindliche Vorteil der kleineren Erziehungsinstitute is, daß sie die jungen Leute so nah in Kontakt bringen und – wie Dr. Frank Crane Ein um 1927 viel genannter Geistlicher, »der christliche Voltaire Amerikas.« irgendwo in einer von seinen Sachen sagt – diese genaue Kenntnis des menschlichen Wesens liefern, die den jungen Menschen befähigt, in seinen künftigen Lebensbahnen und Kämpfen ums Dasein den Sieg davonzutragen. Das is meine Erfahrung gewesen.
Ja, und trotzdem –
Diese großen modernen Universitäten mit ihren Laboratorien und Stadiums und allen Sachen – sie haben wirklich etwas für sich; und ich muß Ihnen sagen, mein Sohn bereitet sich darauf vor, auf die Staatsuniversität zu gehen.
Da ich den Vorzug hatte – obwohl ich mir durchaus kein Verdienst daran gutschreibe, wohlgemerkt – auf meine bescheidene Weise mit Coolidge auf ziemlich nahem Fuß zu stehen, hab ich natürlich seinen Aufstieg zu weltweitem Ruhm mit besonderem Interesse verfolgt, und nachdem er Präsident geworden war, hab ich oft zu meiner Frau gesagt: »Herrgott, ich würde den Jungen gern mal sehen und ihm bloß wieder mal die Flosse drücken.«
Wohlgemerkt, nicht, weil er Präsident is. Schließlich hab ich ja auch ne Stellung erreicht, in der ich genau so unabhängig bin wie jeder andere. Ein amerikanischer Bürger hats nicht notwendig, vor irgendwem zu katzbuckeln oder Kotau zu machen, und wenns der Präsident oder n Millionär oder die Königin Marie Eine Dame, die einmal Königin war. von Bulgarien is oder sonst wer –
Übrigens, die Königin Marie hat sich in Zenith aufgehalten. Sie is fast ne ganze Stunde zwischen zwei Zügen dagewesen, und ich kann Ihnen sagen, wir hatten dafür gesorgt, daß sie sich nicht langweilt. Der Bürgermeister hat ihr ne Rede gehalten und n Tintenzeug mit Goldverzierungen geschenkt, son kombiniertes Ding, wissen Sie, mit Thermometer und Tageskalender, und ich möcht wetten, daß sies grade jetzt den Leuten in ihrem Palast zeigt. Aber was ich sagen wollte:
Nicht, weil er Präsident is, wie ich meiner Frau auseinandersetzte, sondern –
»Übrigens«, hab ich zu ihr gesagt, »ganz unter uns beiden, ich geh jede Wette ein, daß der Junge vor Freude einfach platzen würde, wo er sich doch immer mit Botschaftern und Generälen und Frank Kellogg und den ganzen großen Bonzen abgeben muß, wenn er sich mal für ne Minute gehen lassen und mit nem Menschen unterhalten kann, mit dem er in den alten sorgenfreien Tagen, bevor wir beide die Verantwortlichkeiten unserer jetzigen Laufbahnen auf uns genommen haben, so oft gelacht und gescherzt hat.«
Na und ungefähr vor sechs Monaten, als wir ne kleine Spritztour nach New York machen wollten –
Ich mußte nach New York, um mir n neues Hektographenmodell anzusehen. Ich bin in der Büroartikelbranche, müssen Sie wissen, und lassen Sie sich von mir sagen, meine Herren, daß ich, obwohl ich der Erste bin, der vor anderen Berufen Achtung hat, obwohl ich den Chirurgen ehre, der Sie noch retten kann, wenn Sie sich nur noch mit einem Bein ans Leben klammern, den Anwalt, der so glänzend Ihre Sache vertreten kann – obwohl ich persönlich immer der Ansicht bin, daß es besser is, sich ohne Gerichtsverfahren zu verständigen – oder den großen Bankier oder Warenhausbesitzer, trotzdem muß ich Ihnen bei aller Gerechtigkeit sagen:
Wer is es, der diesen Herren die Möglichkeit gibt, Geschäfte zu machen und ihre großen Ideen modern, rasch und zeitsparend auszuführen? Wer anders is es als der Mann mit den Büroartikeln? Jawohl, meine Herren, ich bin stolz auf meinen Beruf, und ich habe auch die Ehre, den Büroartikelhandel in unserem großen Zenither Kiwanis-Club zu repräsentieren!
Nehmen Sie bloß mal Registrierschränke!
Ich sage immer, manchmal lachen mich die Jungs im Athletic-Club aus, aber gutmütig, weil ich ebenso prächtige Freunde habe wie irgendwer, den ich kenne, glauben Sie mir, auf die bin ich allerhand stolz, ja, und da sag ich ihnen manchmal: »Jungens«, sage ich, »Ihr müßt schon entschuldigen, wenn ich blumig werde, aber ich bin ein großer Leser von Oberst Bob Ingersoll – obwohl ich der Erste bin, die unglückseligen religiösen Gedanken und den Skeptizismus zu verdammen, der diesen sonst großen Philosophen und öffentlichen Redner verunstaltet hat, und wahrscheinlich hab ich es von ihm, daß ich rede, ohne mich auf billige und vulgäre Phrasen beschränken zu müssen, abgesehen davon, daß ich Akademiker bin und –
»Entschuldigt, wenn ich große Worte mache«, sag ich oft zu ihnen – beim Lunch im Athletic-Club, wissen Sie – Sie wissen ja, wie viele Menschen zu schwefeln und zu schwatzen anfangen, wenn sie türmen und wieder in ihr Büro und an die Arbeit sollten, aber –
»Vielleicht meint Ihr, daß das n bißchen verrückt von mir is«, sage ich ihnen, »aber für mich sind die Schönheiten des modernen Registriersystems, das die Menschen in die Lage versetzt, augenblicklich und ohne den geringsten Zeit- oder Kraftverlust einen Brief zu finden, von dem vielleicht der Abschluß eines wichtigen Geschäfts abhängt, praktisch gesehen, ganz zu geschweigen von der äußeren Erscheinung moderner heutiger Registrierschränke, die nicht mehr hölzerne Kisten sind, sondern entweder Stahl oder feuersicheres Holz, das schönste Beispiel für die Kunst des Kunsttischlers, und die seltensten Holzarten vollkommen imitieren – für mich«, sage ich ihnen oft, »sind diese Registriersysteme in jeder Hinsicht so schön wie des Dichters Lied, wie die Rosen auf den Wangen der Jungfrau, wenn sie zum erstenmal die ersten geflüsterten Liebesworte hört, oder das zarte Zirpen der Vogelmutter zur Abendzeit, wenn sie ihren Nestlingen zuzirpt. Jawoll Herrschaften, Euer süßes Leben könnt Ihr wetten, daß sie so schön sind, und wenn Ihr noch soviel darüber lacht!«
Also wie gesagt, ich mußte nach New York, um nachzusehen –
Gewöhnlich kauf ich in Chicago ein, aber das war eine neue Erfindung, die die Grossisten in Chicago noch nicht hatten. Ich war ziemlich runtergearbeitet, und meine Frau war auch nicht ganz auf dem Posten, sie hatte ne Grippe hinter sich und war noch in den Nachwehen –
Wissen Sie, is das ein Fluch! Ich weiß nicht, meine Herren, ob jemand von Ihnen schon mal dran gedacht hat, daß die Grippe, obwohl sie in jedem einzelnen Fall viel weniger gefährlich is als sone Krankheiten wie Pest oder Gehirnentzündung, trotzdem, wenn man die Anzahl der Leute bedenkt, die daran erkranken – und schließlich, wenn man sich mit etwas beschäftigt, muß man die Statistik kennenlernen – natürlich hat n Büroartikelmensch da, weil er im Geschäft is, selbstverständlich große Vorteile – wenn Sie bedenken, wie viele Leute die Grippe kriegen, dann siehts aus, als ob sie eine der wichtigsten Krankheiten wäre. Ich kann Ihnen sagen, ich bin so religiös wie sonst wer, und ich denk auch nicht im Traum daran, an den Lehren der Prediger rumzukritteln – die sollen nur Theologie und Religion ausknobeln, sag ich immer, und ich bleib beim Büroartikelgeschäft. Aber muß man nicht manchmal fast an der Vorsehung zweifeln, wenn man die rätselhaften Wege sieht, wie die Krankheit den Gerechten mit dem Ungerechten heimsucht?
Na ja, also meiner Frau is noch immer die Nase gelaufen, und Kopfschmerzen hat sie auch noch gehabt, mehr als sechs Wochen nachdem der Doktor gesagt hat, daß er sie ganz von der Grippe geheilt hat!
Und da hab ich zu ihr gesagt: »Mausi«, so sag ich oft zu ihr, »was meinst Du, wenn Du und ich und Delmerine –«
Delmerine, so heißt nämlich meine Tochter. Übrigens, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Lowell Schmaltz ist mein Name –
Komisch! Ne ganze Menge Leute halten Schmaltz für nen deutschen Namen, aber selbstverständlich, wenn man sichs genau ansieht, is er natürlich gar nicht deutsch, sondern Pennsylvania-Dutch, und das is ja fast genau dasselbe wie Neuengland-Yankee, und –
Also, ich dachte, Delmerine könnte ganz gut weg, weil sie mit der Hochschule fertig war.
Ich hab sie gefragt, ob sie ins College will – selbstverständlich könnt ich mirs ausgezeichnet leisten, sie hinzuschicken – aber sie hat sich die Sache überlegt und fühlt sich mehr so n bißchen zum Musikalischen berufen, und da hat sie sich auf Gesang und Klavier gelegt. Aber ich dachte, das könnte sie ja ganz gut auf n paar Wochen unterbrechen, und da sagte ich –
Robby (das ist mein Sohn), der konnte natürlich nicht weg, weil er in der Schule war, aber –
Also, ich sage zu meiner Frau: »Muttchen, was würdest Du dazu sagen – ich muß wegen ner geschäftlichen Sache nach New York, und jetzt is ziemlich flau, und wie wärs, wenn Du mit Delmerine mitkommst und Ihr Euch die Stadt und alles anseht?«
Mensch, hat die Frau sich aasig gefreut! Sie hat New York noch nicht gekannt, und natürlich, da –
Also nicht, daß ich in dem großen Nest leben möchte. Ich sage immer: New York is ne blendende Sache für nen Besuch von n paar Tagen, mit den Theatern und dem ganzen Zeug, aber dort zu leben – nee, ich würde nicht dort leben, und wenn man mir den Times Square geben würde und noch den River Side-Korso als Zugabe. Mit Zenith verglichen –
Sie können mir glauben, meine Herren –
Ich halte nichts davon, rumzulaufen und ununterbrochen vom eigenen Nest rumzutrompeten. Zenith wird ja wohl, praktisch sozusagen, nicht besser sein als Minneapolis und Cincinnati oder Pittsburgh zum Beispiel. Aber es is ganz entschieden ne erstklassige Stadt, und ob Sies wissen oder nicht, wir stehen nicht nur an erster Weltstelle in der Erzeugung von Lautsprechern und Monteuranzügen, wir haben auch seit Lindberghs Transozeanflug alle Pläne ausgearbeitet und auch schon n hübsches Stück Geld aufgebracht, um das größte und schönste Flugfeld zwischen Chicago und New York zu bauen, außer Detroit und Dayton natürlich, und ins Areodrom soll n Restaurang kommen, das vierundzwanzig Stunden im Tag warme Küche hat.
Und ich muß sagen, Muttchen und mir gehts recht gut dort. Glauben Sie mir, wir habens nicht nötig zu reisen, um zu lernen, wie man wohnen soll! Es is erst n paar Jahre her, da hab ich n blendendes kleines Häuschen fertiggebaut, im italienischen Villenstil, mit nem spanischen Missionseingang. Wir haben zwei Badezimmer und nen Kamin, und alles erstklassig eingerichtet, und im Suterreng hab ich ne elektrische Waschmaschine und nen Mülleinäscherer installieren lassen, und dann haben wir noch ne Sache, die Sie nicht in vielen Häusern finden werden: in beiden Badezimmern hab ich nen Schlitz in der Mauer, direkt neben dem Waschbecken, zum Aufheben von den Rasierklingen.
Und wissen Sie! Ich hab nen großartigen Plan. Einmal werd ich so weit sein – und ich bin, weiß Gott, kein Kind mehr! – s klingt verrückt, aber das war doch der größte Luxus, den Sie sich ausdenken können, meine Herren; denken Sie bloß, wenn Sie n schönes, langes, gemütliches heißes Bad nehmen; einmal werd ich mir n Radio in meinem Badezimmer anbringen! Aber das ist ein Ideal, das erst ausgeführt werden muß. Vielleicht wird das mein Beitrag zum amerikanischen Fortschritt sein. Aber reden wir vorläufig noch nicht davon. Wie ich sage, wir wohnen gar nicht so schlecht.
Und selbstverständlich fahr ich selber meinen Chrysler, und meiner Frau hab ich n Chevroletcoupé geschenkt –
Junge, Junge, hab ich die damals hochgehen lassen. Sie is ne eklig nette kleine Frau, wenn ich so sagen darf; immer ne prima Ehefrau gewesen, auch wenn sie manchmal n bißchen schimpft, daß ich zu schnell fahre. Also, an ihrem letzten Geburtstag komm ich nach Haus, und natürlich is sie in der ganzen Bude rumgefahren wie ne besoffene Wespe, weil ich an ihrem Geburtstag immer was für sie in der Tasche habe.
»Weißt Du, was für n Tag heute is?« sag ich schließlich zu ihr, nachdem ich mir die Zeitung durchgesehen und n bißchen Radio gehört hab – obwohl ich noch ganz genau weiß, daß damals nichts zu hören war, als die täglichen Berichte vom Packhof in Omaha.
Sie macht ne vergnügte Miene und versucht n Gesicht aufzustecken, als ob sie nichts wüßte, und sagt: »Nein, warum denn?«
»Es is der Tag – oder wird vielmehr der Abend sein – an dem der Kampf Kid Milligan – Pooch Federstein stattfindet, und wir sollten wohl n paar Leute einladen und am Radio zuhören«, sag ich.
Na, Herrschaften, hat das arme Wurm vielleicht enttäuscht ausgesehen. Ich wußte nicht recht, ob sie sich zusammennehmen oder ob sie mich runterputzen wird – ich kann nicht leugnen, daß sie das manchmal macht. Aber sie war anständig und hat nichts gesagt, und ziemlich bald, so nach fünfzehn, oder vielleicht waren es auch zwanzig Minuten, sage ich, wir könnten n bißchen rausgehen und nen kleinen Spaziergang vorm Essen machen. Na, inzwischen, verstehen Sie, hab ich das Chevroletcoupé bringen und direkt vorm Haus aufstellen lassen.
»N hübscher kleiner Wagen«, sag ich, wie ich den Chevrolet sehe. »Wie der wohl läuft?«
Und ich geh hin und setz mich rein und laß ihn an!
Na, Herr – Sie wissen ja, wie Weiber sich aufführen. Sie schimpft mich aus, und sie meckert, und sie wird ganz empört und sagt: »Aber Lowell Schmaltz«, sagt sie, »was soll denn das heißen? Was wird denn der Besitzer sagen?«
»Ne ganze Menge wird er wohl sagen«, ich hab lachen müssen, »wenn er – oder sie – mich drin sieht!«
»Also, ich hätt es nie für möglich gehalten, daß Du so was tust«, sagt sie. »Sofort schaust Du, daß Du aus dem Wagen rauskommst!«
Junge, was war die wild!
»So wird man also behandelt, was«, sag ich und setz n beleidigtes Gesicht auf und geh raus, und dann zeig ich ihr ne kleine Karte, die ich an den Türgriff angebunden hatte – ich hab sie selbstverständlich selber angebunden – und dadrauf stand: »Für Muttchen zu ihrem Geburtstag von Männe« – Männe – is ja n bißchen komisch, aber so sagt sie manchmal zu mir, wenn wir so n bißchen Dummheiten machen.
Mensch, wenn die nicht vielleicht fast auf den Rücken gefallen ist!
Jawoll Herr, klar, wir haben beide jeder unseren eigenen Wagen, obwohl meiner –
Es liegt nicht am Chrysler selbst, ich bin ganz sicher, entschieden ne eins a Maschine, aber in der Garage is dran rumgepopelt worden, und mein Wagen hat irgendwo drinnen n Geräusch, von dem ich, weiß Gott, nicht feststellen kann, wos steckt, und ich sage Ihnen, wenns was gibt, was mich beim Fahren wild macht –
Ich sage ja lange nichts – wissen Sie, wie mir mal nach erst zweitausend Meilen die Luft aus nem Reifen rausgegangen ist (hat einer von den Herren vielleicht schon mal den Melpsreifen probiert? Also, tun Sies nie, das kann ich Ihnen raten, Sie können mir glauben, ich weiß da Bescheid, ich hab ihn zweimal ausprobiert, und meiner Ansicht nach is der ganze Quatsch, den sie in ihren Inseraten da von dem kreuzweis gelegten Gewebe, oder was das is, schreiben, alles Mumpitz; was sie von dem Erfolg davon behaupten, is gar nicht wahr) –
Diese großen Sachen kann ich fressen, aber ich muß Ihnen sagen, das allerkleinste Geräusch, kann ich Ihnen sagen, das macht mich beim Fahren einfach verrückt.
Also, bitte, am letzten Sonntag erst hab ich die ganze Familie zu nem Vetter von uns hinausgefahren, der in Elmwood wohnt, wir waren zum Essen eingeladen, und s war der schönste Tag, den Sie sich denken können, aber grade wie die Sache angefangen hat mir Spaß zu machen und wir aus der Stadt rauskommen und ich mir die neue Tankstelle ansehe, die sie dort jetzt haben – ich kann Ihnen sagen, Herrschaften, das is eine von den feinsten Tankstellen in den ganzen Vereinigten Staaten: zwölf Pumpen haben sie und ne Imbißstube, die so hergerichtet ist, daß sie aussieht wie ne altmodische Blockhütte, und n Zubehörlager mit nem großartigen riesigen, enormen Fischaquarium im Fenster, das mit Goldfischen einfach gestopft voll ist. Und Geranien.
Und grade wie ich Muttchen das zeige – kommt da nicht plötzlich wieder dieses Geräusch? Also ich sage Ihnen, den ganzen Tag hat mir nichts Freude gemacht. Nach m Essen hab ich Vetter Ed auf ne Fahrt mitgenommen, weil ich sehen wollte, ob er das mit dem Geräusch rauskriegen kann, und wir sind gleich durch n paar Wälder gefahren, so n Park den sie dort haben, kolossal hübsch, und ich hätt schon meine große Freude dran gehabt – ich hab immer viel von der Natur gehalten – aber jedesmal, wenn ich mir nen Baum oder ne hübsche Bank im Bauernstil oder so was angesehen hab, immer hat dann das verdammte Geräusch wieder angefangen, und Vetter Ed – er glaubt, daß er weiß Gott was von Automobilen versteht, aber das mit dem Geräusch hat er genau so wenig rausgebracht wie ich.
Aber wie ich gesagt habe: Ich glaube, wir habens genau so gut wie die meisten Leute, und wir habens sicher nicht nötig, von Zuhause wegzufahren, um uns zu amüsieren, aber wie ich meiner Frau gesagt habe: »Ich meine, Du könntest mit Delmerine mitkommen und Dir rasch mal New York ansehen«, da hat sie n Gesicht gemacht, als ob sie ne Million Dollars geerbt hätte.
Und Delmerine, die hat bloß geschrien: »Junge, Junge! Ich will mir mal diese Manhattan-Kabaretts gründlich ansehen!«
»Und wir könnten auch unterwegs Vetter Walter in Troy aufsuchen«, sagte ich.
»Ach nein, lieber nicht«, sagt meine Frau.
»Aber wir müssen hin! Wohnt denn Vetter Walter vielleicht nicht dort?« sag ich.
»Na, und wenn schon?« sagt sie. »Ihr beide habt Euch doch nie riechen können!«
»Na, das mag ja schon richtig sein«, sag ich, »aber er ist doch unser Verwandter, oder vielleicht nicht? Und wenn man reist, muß man seine Verwandten besuchen, oder vielleicht nicht?«
Also, um ein Langes kurz zu machen, wir machten aus, n paar Tage bei Vetter Walter zu bleiben – und dann – Mensch! – dann hab ich die große Überraschung springen lassen!
»Und von New York«, sage ich, »werden wir über Washington zurückfahren und dort bleiben und den Präsidenten besuchen!«
»Aber Papa, das können wir doch nicht!« schreit Delmerine.
»Jetzt möcht ich aber wissen, warum nicht?« sag ich. »Sind wir vielleicht nicht Jahrgangskollegen?«
»Ja, aber er erinnert sich vielleicht nicht mehr an Dich«, sagt sie.
»Jetzt paß mal auf!« sag ich. »Wenn Du auch nur einen Augenblick glaubst, daß ich im College nicht ebenso wichtig war wie er, und damals vielleicht sogar – sie haben alle gesagt, wenn ich bis zum Frühling hätte bleiben können, war ich in die Baseball-Mannschaft gekommen – aber davon is ja gar nicht die Rede! Merk Dir, gleich jetzt und auf der Stelle, daß solche Worte eine Beleidigung sind, nicht für mich, meine feine junge Dame, sondern für den höchsten Beamten selber!
»Welche Eigenschaft zeichnet Führer wie Cal am stärksten aus? Es ist nicht nur sein tiefes Denken, sein unerschütterlicher Mut, seine leutselige und demokratische Art, nein, daß er eine so innige Kenntnis der menschlichen Natur hat, daß er jeden Menschen rasch, aber ganz kennenlernt, sofort, wenn er ihn kennenlernt, und ihn nie vergessen kann – das ist es! Ihr müßt wissen«, sage ich zu den beiden, »daß ich weiß, daß der Präsident einer der beschäftigtsten Menschen im ganzen Lande ist, er muß Dokumente unterzeichnen und Logenabordnungen die Hand drücken und so weiter, und ich habe bestimmt nicht vor zu stören, wir werden bloß vorbeikommen und ihm ne angenehme Überraschung bereiten – denkt doch mal an, wie lang es her is, daß wir uns gesehen haben! – und ihm ganz einfach die Hand drücken und wieder weitergehen. Und Du, Delmerine, wirst Deinen Enkelkindern erzählen können, daß Du einmal die Stimme von Calvin Coolidge gehört hast!«
Also, wie ich ihnen das alles klargemacht habe, da. sind sie ganz einfach vor Freude über die Aussicht geplatzt, und dann haben wir angefangen Pläne zu machen – ich für meine Person wollte ja bloß n paar Coupékoffer mitnehmen, aber meine Frau war für den großen schwarzen Koffer, und ich muß sagen – ich bin immer der Erste, ders zugibt, wenn ich untergekriegt werde, und das hat mich Muttchen damals! – Sie hat mir bewiesen, daß ich in New York meinen Frack mithaben muß, und daß er in einem Schrankkoffer gar nicht zerdrückt werden kann – und wissen Sie, weil grade die Rede davon ist, ich bin überzeugt, daß es den Herren schon ebenso aufgefallen is wie mir: das is doch mal eine der erstklassigsten und wichtigsten modernen Erfindungen, die soviel dazu beitragen, das Leben glücklich zu machen, der Schrankkoffer, und wie ers bequem macht, gemütlich zu reisen und die Welt kennenzulernen, jawoll, klar, damals hat sie recht gehabt, und –
Und gleich dann –
Wissen Sie, es is doch komisch, wie man sich bei kritischen Zeiten auch an verhältnismäßig unwichtige Einzelheiten erinnert! Gleich darauf is Robby – das is mein Sohn, er is erst fünfzehn, und der kleine Bengel hatte mit Rauchen angefangen, ich hab ja wohl alles getan, um ihn dran zu verhindern, aber er ist so n schlauer kleiner Bettelfritze, wissen Sie, wie er immer antwortet, wenn man ihn ausschimpfen will, so daß ich nie n Wörtchen anbringen konnte. Also, er kommt rein –
Und übrigens, ich muß Ihnen sagen, mit den Zigaretten is das so ne Sache.
Ich glaube, ich kann mich mit gutem Recht einen, was man so sagt, modernen, heutigen, liberalen Mann nennen. Ich war der Erste in meiner Gegend, der sich n Radio angeschafft hat, und ich war immer der Ansicht, daß man Sacco und Vanzetti nicht hätte hängen sollen, wenn sie unschuldig waren. Aber wenn sichs ums Rauchen handelt, denn is mir immer noch ne Pfeife oder ne gute Zigarre lieber.
Aber was ich sagen wollte, er kommt zigarettenrauchend rein, und Delmerine – das is meine Tochter, und ich muß Ihnen sagen, meine Herren, das Mädel kann meiner Ansicht nach, gleich jetzt, genau so gut singen wie die Schumann-Heink oder Sophie Tucker oder sonst eine von den berühmten Primadonnas – also sie ruft ihm gleich zu: »Du, was sagst Du, Vati nimmt uns zu nem Besuch bei Präsident Coolidge mit.«
Und der Junge sagt: »Heiliger Bimbam! Wirst Dus ihm rechtzeitig sagen, damit er sich drücken kann?«
Na, ich kann Ihnen sagen, ich hab ihm ja vielleicht allerhand erzählt! Ich bin sehr dafür, daß man den Bengels ihre Freiheit läßt, aber ich habe Robby immer und immer wieder gesagt, daß es auf nette Sprache und nette Manieren ankommt, wenn man in dieser Welt weiterkommen will, und wenn er sich seine Mutter und mich n bißchen besser ansehen würde, statt der vielen obergescheiten, zigarettenlutschenden Hochschulverbindungsaffengesichter, daß er dann besser dran wäre! Klar! Allemal!
Also, und dann sind wir losgefahren. Ich will die Herren nicht mit ner Menge Einzelheiten von unserer Reise langweilen. Was Sie hören wollen, is natürlich der genaue Einblick von Coolidge und dem Weißen Haus, den ich haben durfte. Ich will die Sache also kurz machen und direkt auf den eigentlichen Kernpunkt der Geschichte kommen.
Wir sind also ungefähr ne Woche später mit dem Nachmittagszug gefahren und – wissen Sie, es is doch allerhand, was, die Bequemlichkeiten, die man heutzutage auf der Eisenbahn hat – in Amerika, mein ich, nicht im Ausland. Jemand, der jeden Zoll in Europa kennt, hat mir erzählt, daß es dort über die ganze Länge und Breite vom Alten Land nichts gibt, was man wirklich nen bequemen Zug nennen könnte. Aber hier –
Da sitz ich im Clubwagen, mit jeder Bequemlichkeit und allem Luxus – alkoholfreie Getränke (ich persönlich finde immer, daß das beste Getränk im Pullman n Loganberry-Soda is) – und das kann man haben, indem man ganz einfach auf nen Knopf drückt, und ne richtige Bibliothek mit Gratis-Magazinen und allem, vor allem der Saturday Evening Post, die, alles in allem, meine Lieblingszeitschrift is, besonders die Inserate, jetzt seitdem sie in Farbdruck gebracht werden.
Ja! die sollen sich von mir aus ihre alten Meister nur behalten; ich will nicht mehr als n paar von den Inseraten!
Jawoll Herr, es is einfach wunderbar, was für Fortschritte das Inseratenwesen in den letzten paar Jahren gemacht hat. Natürlich bewunder ich die wirklich führenden und großen amerikanischen Schriftsteller – Mrs. Rinehart und Peter B. Kyne und Arthur Brisbane Drei hervorragende amerikanische Romanciers im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts. – aber ich weiß nicht, ob sogar die an die Leute rankönnen, die heute diese Inserate verfassen. Und das war ne unerhört gute Idee – ich hab keine Ahnung, wer der Erste war, aber ich meine diese Idee, in alle Inserate Mädels mit hübschen Beinen reinzubringen; nicht nur in Strumpfinserate, sondern auch in Autoinserate, wo man sieht, wie sie in den Wagen steigt; und bei allen anderen Gelegenheiten. Jawoll Herr, wenn einer die Vereinigten Staaten verstehen will, dann braucht er sich nur die Inserate in der Saturday Evening Post ansehen, und dann wird er schon merken, warum wir die fortgeschrittenste Nation und auch die individuellste der Welt sind.
Es gibt ja ne Menge Meckerfritzen, die behaupten, daß Amerika normalisiert is, aber –
Also, um ein Beispiel zu nehmen, nehmen wir mal – also, bloß zum Beispiel, nehmen wir mal den Herren, mit dem ich geluncht hab, bevor ich in den Zug eingestiegen bin – nehmen wir bloß mal die Unterschiede zwischen ihm und mir. Wir sind beide im Athletic-Club, wir sind beide in Logen, wir haben unsere Geschäftslokale im gleichen Block, unsere Wohnungen sind nicht weiter als ne Viertelmeile voneinander entfernt, wir haben beide was für Golf und für ne nette lustige Jazzmusik im Radio übrig. Und doch sind wir beide – der Herr heißt Babbitt, G. F. Babbitt, er is Häuser- und Grundstücksmakler – wir sind so verschieden wie Moses und Gene Tunney Ein berühmter Sportsmann, auf den G. Bernard Shaw nicht ohne Einfluß geblieben ist..
Während diese armen Teufel von Europäern am Boden liegen und nicht die Möglichkeit haben, ihre Charaktere durch die große und weite Freizügigkeit, die so typisch für das amerikanische Leben is, zu entwickeln, können George und ich miteinander befreundet und doch so ganz verschieden sein.
Also, zum Beispiel: ich fahr einen Chrysler, und Babbitt nicht. Ich bin Kongregationalist, und Babbitt kann mit nichts anderem was anfangen als mit seiner alten Presbyterianer-Kirche. Er trägt diese großen runden Brillen, und mich könnten Sie nicht dazu bringen, was anderes zu tragen als nen Kneifer – viel würdiger, meiner Ansicht nach. Er is so, daß er Golf an und für sich gern spielt, und ich geh lieber fischen, alle Tage. Und – und so weiter. Jawoll Herr, es is einfach wunderbar, wie die amerikanische Zivilisation, die, könnte man sagen, in der modernen Reklame ihren Ausdruck findet, wie ein Redner vor kurzem im Kiwanis gesagt hat, das freie Spiel des Individualismus unterstützt.
Aber was ich sagen wollte –
Um ein Langes kurz zu machen, wir sind richtig zu Vetter Walter in Troy gekommen und haben dann weiter gemacht nach New York –
Aber wissen Sie, Walt hat uns hochfein aufgenommen – ich muß sagen, ich bin zur Ansicht gekommen, daß er schließlich gar nicht so n schlechter Kerl is. Und er hat ein neues Haus, das, und ich bin der allererste, der das zugibt, das genau so modern is wie meins. Ein modernes anheimelndes Heim. Staubsauger und Gaswäschetrockner und einer von den modernen geräuschlosen elektrischen Kühlschränken –
Mensch, is das mal ne Annehmlichkeit! Ich hab nie begreifen können, warum man so viel mit Babe Ruth Ein professioneller Fußballspieler. hermacht, oder von mir aus auch mit nem richtigen Pionier der Wissenschaft wie Lindbergh, wo wir doch noch gar nichts dazu getan haben, das unerhörte Meistergenie anzupreisen, das den elektrischen Kühlschrank erfunden hat.
Denken Sie doch bloß an, was der leisten kann! Liefert Ihnen alle Arten von Eisdessert! Macht den Eismann, der Dreck an den Hintereingang bringt, überflüssig! Liefert Eiswasser, so daß man Tag und Nacht ein erfrischendes Getränk haben kann! Ich sage immer: die sollen sich nur ihre großen Bibliotheken, ihre schönen Kunstgalerien, ihre Privatorgeln und ihre Rosengärten behalten, wenn sichs um praktische Dinge handelt, die das Haus verschönern und zu ner gemütlichen Sache für ne wirkliche Familie machen, dann will ich meinen elektrischen Kühlschrank haben!
Und ich kann auch nicht leugnen, daß Walts Radio meines ein ganz klein bißchen in den Schatten stellt. Und es gibt nicht viel, was die soziale Stellung und Gehobenheit eines Menschen besser zeigt als sein Radio.
Und das is vielleicht ne Erfindung! Was für eine Erfindung! Wenn man von Wundern redet –
Denken Sie bloß an! Da sitzen Sie zu Hause in Ihrem guten alten gepolsterten Lehnstuhl, glücklich und zufrieden wie ne Muschel bei Ebbe (oder is es bei Flut? – na is ja egal). Sie sitzen da und rauchen Ihr Pfeifchen und drehen am Knopf und was kommt dann? Denken Sie an! Direkt da zu Hause bei Ihnen hören Sie die beste Jazzmusik im ganzen Land, Orchester in den besten Hotels von Chicago und die wunderbare Kapelle in Zion City! Und alle Hockeywettspiele, während sie gespielt werden! Witze von den besten Schauspielern im Land –
Übrigens hören Sie, da hab ich grade erst gestern nen fabelhaften im Radio gehört. Also, da sitzen n paar Leute im Pullman und unterhalten sich, genau so wie wir jetzt. »Hab ich Sie nicht mal in Buffalo gesehen?« sagt der eine zum anderen, und der andere sagt: »Ich bin nie in Buffalo gewesen«, und da sagt der Erste wieder: »Ich auch nicht – müssen zwei andere gewesen sein!«
Jawoll Herr! Und dann denken Sie doch mal an die belehrenden Vorträge, die Sie im Radio kriegen – übrigens, gestern hab ich gehört, daß das Auge der gewöhnlichen Stubenfliege, mehrere tausend warens, glaub ich, einzelne Linsen hat. Haben Sie das schon gewußt?
Und dann die Predigten am Sonntagvormittag. Ja, das allein schon würde das Radio zu einer der weltumstürzendsten Erfindungen machen, die die Welt je gesehen hat.
Ich kann Ihnen sagen, das is ne richtige geistige Erhebung für nen armen Teufel, der die ganze Woche, abgesehen vielleicht vom Kiwanis-Lunch, sich mitten im Staub der Alltagsdinge plagen und placken muß und alles Höhere vergißt. Klar! Ich werd nie eine Predigt vergessen, die ich nie hätt hören können, wenn ich kein Radio hätte, s war ganz weit weg in Youngstown, Ohio – Reverend Wayo, er hat darüber gesprochen, daß er nicht sagen möchte, daß jeder Atheist n Schnapspascher is, daß man aber sein süßes Leben wetten kann, daß jeder Schnapspascher n Atheist is!
Blendende Idee für ne Predigt, was? Und –
Jawoll Herr, s hat noch nie was gegeben, was dem gesunden Internationalismus so gut dient, was die destruktivistische und ruchlose Propaganda der Bolsche- und Pazefisten so zunichte machen kann wie das Radio, und ich für meine Person stell es als Ansporn für die neue Ära auf eine Stufe mit den Kartotheken.
Also, wie gesagt, Walts Radio war mindestens genau so gut wie meins, und wir haben n paar blendende Autofahrten in die Umgebung von Troy gemacht und ne große Biergesellschaft am Sonntagabend gehabt – der einzige Abend, an dem wir lang aufgeblieben sind – und ich hab mich kolossal gefreut zu sehen, daß Walt noch immer regelmäßig lebt und so gegen zehn in die Falle kriecht.
Ich kann Ihnen bloß sagen, Sprichwort Wahrwort: »Morgenstunde hat Gold im Munde« – ich für meine Person hab das richtig gefunden – und wir sind auch auf ein paar Runden Golf rausgefahren –
Also jetzt nehmen Sie mal Golf. Weiß Gott, wenn mir vor fünfzehn Jahren einer gesagt hätte, daß ich auf m Golfgrund draußen sein und ner kleinen weißen Kugel nachrennen werd, dem hätt ich glatt erklärt, bei Ihnen piepts, aber ich muß Ihnen sagen, ich bin dahintergekommen, daß Golfspielen ne ausgezeichnete Methode is, Kunden kennenzulernen, und dann hab ich auch gesehen, was für n Schlappschwanz ich früher gewesen bin, jetzt bin ich so weit, daß ich das Spiel selber ganz gern hab – Sie sehen ja, dort in Troy hab ich gespielt, obwohl ich keine wertvollen Bekanntschaften gemacht hab – und sogar obwohls ziemlich kalt war, und –
Mir scheint, es is wirklich wärmer geworden als damals, wie wir Jungs waren. In den Zeitungen kann man ja lesen, daß sichs nicht wesentlich geändert hat, aber man kann mir sagen, was man will, können Sie sich nicht mehr erinnern, wie hundemäßig kalt s immer am Morgen war, wenn wir aufstehen und in die Schule toben mußten, und jetzt siehts doch so aus, als wenn wir überhaupt keine altmodischen Winter mehr hätten – vielleicht is das mit n Grund dafür, warum die Jungs heutzutage nicht mehr soviel Zutraun zu sich selber haben wie wir seinerzeit –
Aber ich will nicht abschweifen. Wie gesagt, der Aufenthalt bei Walt hat mir ganz entschieden mehr Freude gemacht, als ich erwartet hatte, besonders was er vom Krieg erzählt hat, er hat nämlich einen ganz ausgezeichneten Einblick gehabt, er war Leutnant im Truppenausbildungslager in Devon –
Sie wissen ja, s gibt ne ganze Menge von so falschen Ansichten über den Krieg. Ich will ja nicht Kritik üben an General Pershing – ich weiß, er gehört zu den größten Generälen, die wir gehabt haben, auf eine Stufe mit Grant und Lee und Israel Putnam, aber trotzdem, was wir hätten tun sollen, was ich getan hätte, wenn ich was zu sagen gehabt hätte, das war: direkt durchmarschieren bis nach Berlin und die Deutschen tüchtig leiden lassen – so leiden, wie wir gelitten haben.
Das hab ich auch meiner Frau erklärt, und da sagt sie: »Aber Lowell T. Schmaltz«, sagt sie, »schämst Du Dich denn nicht! Wir kennen doch n paar Deutsche, die schrecklich nette Leute sind!«
»Du kennst die Deutschen nicht wie ich«, hab ich zu ihr gesagt, »sie haben gar keine fortschrittlichen Ideen. Sie sind für Regierung durch Tyrannei und Despotismus und Gewalt und alles das, und wenn sie unsere demokratischen Ideen nicht begreifen, dann sollten sie eben dazu gezwungen werden. Jawohl, das sollten sie und nichts andres!« hab ich zu ihr gesagt. »Aber trotzdem, eins muß man ihnen lassen – sie haben sich nach dem Krieg feste ran gemacht an die Arbeit. S war ganz gut, wenn unsere Arbeiter so arbeiten würden, statt immer auf die Uhr zu schauen und die ganze Zeit über Lohnerhöhungen nachzudenken!«
Aber um ein Langes kurz zu machen, unser Aufenthalt in Troy war wirklich schön, und dann sind wir nach New York weitergefahren. Trotzdem, ich war die ganze Zeit, die ich in New York war, schief gewickelt. Die verdammten New Yorker – hoffentlich is keiner der Herren aus New York – die scheinen sich ja einzubilden, daß sie an der Spitze der Nation stehen, und ich sage immer, in Wirklichkeit is das die provinziellste Stadt im ganzen Land. Da lob ich mir allemal mein Chicago.
Sehen Sie, wenn ich nach Chicago komme, da steig ich erstens immer im Grand Imperial Palace Hotel ab, das is n nettes, ruhiges kleines Haus, und dort kennen mich alle Leute und geben sich Mühe, zuvorkommend zu mir zu sein, aber in den großen New Yorker Hotels, da sind die Leute ja so unfreundlich, man könnte meinen, daß sie einem nen Gefallen tun.
Und dann das Geschäft –
In Chicago hab ich das Hauptgeschäft, könnt man sagen, mit Starbright, Horner und Dodd; und Billy Dodd kümmert sich selber um mich, und wissen Sie, das is mal n Mensch, mit dem es ne Freude is Geschäfte zu machen, n richtiger ganzer Kerl, und immer hat er ne nette Geschichte und ne feine Zigarre für einen und benimmt sich so, daß man glaubt, er freut sich einen zu sehen, und er gehört auch nicht zu den Leuten, die alle möglichen Zicken machen, wenn einer mal vielleicht augenblicklich nicht ganz bei Kasse is und nen kleinen Aufschub von n paar Tagen oder nem Monat oder so haben will. Jawoll Herr, und wie oft hab ich mit Billy im alten Palmer House geluncht, bevor es niedergerissen worden is, und obwohl natürlich das neue Palmer House n richtiger Palast genannt werden kann, trotzdem, wissen Sie, das alte Lokal hat so ne Art Atmosphäre gehabt, und ich kann Ihnen sagen, dort haben sie gewußt, wie man n Steak mit gerösteten Zwiebeln macht, grade recht, nicht zuviel und nicht zuwenig durch. Mm! Und Austernragout. Aber in New York –
Die ganze verdammte französische Luxusküche, und Preise –
»Du lieber Gott«, hab ich zu einem von den ganz feinen Oberkellnern gesagt, oder vielleicht war er auch so ne Art Geschäftsführer, auf jeden Fall wars der Kerl, der die Bestellung aufnimmt und dann dem richtigen Kellner weitergibt. »Du lieber Gott«, hab ich zu ihm gesagt, wie ich die Preise auf der Speisekarte gesehen hab, »ich bin nur hergekommen, um zu essen«, hab ich gesagt, »ich will nicht das Hotel kaufen!«
Und genau dasselbe in der Geschäftswelt.
Ja, was sagen Sie dazu, die Firma, die diese neuen Hektographiermaschinen hat, da sagen mir die Leute, sie können mit den Bestellungen nicht nachkommen und mir nicht sofort liefern. Ach, is ja ganz schön und ganz gut, hab ich ihnen gesagt – Sie können ja meinen Auftrag annehmen und wen andern warten lassen.
Nee Herr, sagen die, das können sie nicht tun. Die haben natürlich bloß meckmeck gemacht, und wie ich ihnen auseinandergesetzt hab, daß sie bei der Klasse und dem Umfang von meinem Geschäft bereit sein müßten, n bißchen entgegenzukommen, also da haben die sich benommen wie n Haufen Eiszapfen. Ich werd aber nochmal an die New Yorker Zeitungen nen Brief schreiben und ihnen Bescheid sagen, was n richtiger Mannsamerikaner aus m Mittelwesten von ihrer Stadt hält –
Der Lärm, und der Verkehr is so dicht, daß man überhaupt nirgends hinkommen kann, und die ausverschämten Preise –
Und gar kein häusliches Leben. Alle Leute gehen am Abend aus, in diese Nachtclubs und so. Jetzt nehmen Sie mal zum Beispiel uns, wenn wir bei uns daheim zu Haus sind. Am Abend, wenn ich nicht grade in der Loge bin oder bei irgendeiner Comitezusammenkunft im Kiwanis, oder wenn nicht vielleicht Delmerine oder Robby im Kintopp sind oder bei ner Gesellschaft oder sonst wo, dann setzen wir uns alle ums Radio rum und haben nen richtigen altmodischen gemütlichen Familienabend. Aber in New York? Nee Herr! Ich schwöre Ihnen, ich weiß nicht, wohin die Nation kommt –
Und zuviel Ausländer – Leute mit allen möglichen komischen Namen – Und die korrumpierte Politik –
Übrigens wissen Sie, da wir grade von Politik reden, will ich mich selber einen Augenblick unterbrechen, wenn ich mir erlauben darf von meiner Geschichte abzuschweifen, und Ihnen erzählen, was ich grade erst vorige Woche beim Kiwanis-Lunch gehört habe. Unser Abgeordneter, und ich kann wohl sagen, daß man ganz allgemein zugibt, sogar in Washington selber, daß er einer der fähigsten Köpfe im ganzen Parlament is, also der ist von einer ausführlichen Studienreise durch ganz Europa zurückgekommen – er war zusammen sechs Wochen in Deutschland, Frankreich und Italien und hat uns seine wohlbegründete Ansicht mitgeteilt, daß alle diese Länder jetzt so wohlhabend sind, daß wir ganz entschieden auf die volle Bezahlung unserer Schulden drängen müssen! Ja, er hat auch erzählt, daß man in den besseren Hotels in diesen Ländern genau so gutes Essen kriegen kann und fast genau so teuer wie in New York selber. Und die klagen darüber, daß sie arm sind!
Aber um auf meine Geschichte zurückzukommen, ich war nicht so begeistert von New York, obwohl wir einen blendenden Abend hatten. Wir haben in der Hotelhalle ein paar Leute von zu Hause getroffen, und da sind wir alle zusammen in ein chinesisches Restaurant gegangen, und dort haben wir uns das beste Hühnerfrikassee zu Gemüte geführt, das ich in meinem ganzen Leben gegessen hab, und dann sind wir in nen Film gegangen, von dem ich wußte, daß er gut is, weil ich ihn nämlich schon in Zenith gesehen hab – Hoot Gibson in nem fabelhaften Wildwestfilm.
Aber Delmerine hat New York gefallen und, du meine Güte, was hat das Mädel gequengelt und gequärgelt und angegeben –
Sie wollte durchaus in so nen Nachtclub gehen. Ich hab ihr erklärt, daß sie sich mit ihrer Mutter den ganzen Tag, während ich arbeiten und mit allen möglichen Firmen reden muß, amüsieren kann, wie sie will – in ne Matinee gehen oder sich die Läden ansehen und ne Kleinigkeit kaufen (obwohl ich ihnen gar nicht zugeredet hab, viel zu kaufen – »Warum denn nicht warten, bis ihr wieder zu Haus seid – die Läden sind dort genau so modern wie hier in New York, soviel ich sehen kann«, hab ich ihnen erklärt). Aber sie hat nicht nachgegeben, und ihre Mutter hat mehr oder weniger auch wollen, na, und da hab ich sie also mal in nen blendenden Nachtclub geführt, den mir einer von den Boys im Hotel empfohlen hat. N gehauter Bengel, die Stadt hat er gekannt wie seine Westentasche.
Na, hab ich mir gedacht, das wird ja n belämmerter Abend werden, aber ich kann nicht leugnen, daß ich mich geirrt hatte. Nicht vielleicht, daß es nicht teuer war, und ich würde ja auch in so n Lokal nicht öfter als ein- oder zweimal im Jahr gehen, aber ich kann Ihnen sagen, das war vielleicht n Lokal!
Zuallererst, da waren wir alle n bißchen enttäuscht. Wir bleiben da vor nem Haus in einer von den fünfziger Straßen stehen, hat ganz gewöhnlich ausgesehen, und alles finster.
»Das kann nicht hier sein«, sag ich zum Chauffeur.
»Doch, hier is schon richtig«, sagt er.
»Wissen Sie das genau?« sag ich.
»Ganz genau, klar«, sagt er. »Ich hab schon ne ganze Menge Leute hierhergefahren. Klingeln Sie nur da an dem Knopf, wo Suterreng steht, dann wird man Sie schon reinlassen«, sagt er.
Na, ich dachte mir, er wird ja wohl sein Geschäft kennen, und so klabustern wir alle, meine Frau und Delmerine und ich, aus der Taxe raus, und ich geh hin und drück auf den Knopf an der Suterrengtür – na ja, Suterreng hats geheißen; in Wirklichkeit wars eigentlich das Erdgeschoß, aber das war eins von den Häusern, wies so viele in New York gibt, oder wenigstens bis vor einiger Zeit gegeben hat, obwohl jetzt recht viele davon niedergerissen werden, um für moderne Häuser Platz zu schaffen – Grausteinhäuser heißen sie, und von der Straße geht man ne Treppenflucht zur Eingangstür hinauf, so daß dieser Suterreng, wie er heißt, wirklich sozusagen unter dieser Treppe ist, und doch praktisch im Erdgeschoß, nur geht man natürlich in so ne Art Kellergang hinein, der vielleicht ein oder zwei Stufen unterm Pflaster liegt, aber auch nicht mehr, wenn ich mich recht erinnere, und dort war so ne Art eiserne Gittertür, aber wie ich schon gesagt habe, s war gar kein Licht dort oder irgend was, was wir sehen konnten, und ich hab mir nochmal überlegt, ob der Chauffeur sich nicht vielleicht doch geirrt hat –
Aber ich hab geklingelt, und ziemlich bald, s hat gar nicht lang gedauert, is die Tür aufgegangen, und so n Kerl in einer von den komischen Lord-Großadmiral-Uniformen gekommen, und ich sag zu ihm: »Ist das der Nouvelle Desire –« So hat nämlich das Ding geheißen, was wir gesucht haben – »Ist das der Nouvelle Desire?« hab ich gefragt.
»Allerdings, aber ich habe nicht den Vorzug, Sie von Angesicht zu kennen«, sagt der drauf – wissen Sie, so ne geschwollene Antwort. Na, ich hab n bißchen Meckmeck mit ihm gemacht – ich hab ihm gesagt, daß mein Angesicht gar nicht so schwer zu kennen is, wenn man sichs mal aufmerksam ansieht. Delmerine – sie is direkt hinter mir gestanden, und ich muß sagen, Gott, vielleicht wars auch bloß, weil sie meine Tochter is, aber sie hat so n hellila Kleid angehabt mit glitzernden Füttern und Goldschuhchen, und ich muß Ihnen sagen sie hat genau so elegant ausgesehen wie irgendwer anderer dort an dem Abend, und meine Frau war auch gar nicht so übel für n Mädel aus dem Mittelwesten und –
Aber was ich sagen wollte, Delmerine is ganz nahe bei mir gestanden, und auf einmal flüstert sie mir ins Ohr: »Hör mal, Du solltest keine solchen Witze mit den Dienern machen.«
Aber ich wußte, daß der Kerl in der Uniform gar kein gewöhnlicher Diener war, und ich wollt ihm zeigen, daß ich das Amüsierleben genau so gewohnt bin wie sonst wer (ich hab natürlich meinen Frack angehabt) und –
Na, auf jeden Fall hat er einen rangeholt, den ich für den zweiten Geschäftsführer gehalten hab – war n ganz gut aussehender Kerl im Frack, n bißchen dunkel, n Italiener, glaub ich, aber er hat ganz anständig geredet.
Der hat mir erklärt, daß der Nouvelle Desire n Club is, und daß sie niemanden reinlassen können, der nicht dazugehört, aber ich hab ihn der Frau und Delmerine vorgestellt und ihm erklärt, daß wir aus Zenith sind und nur so ungefähr ne Woche in der Stadt bleiben, und hab ihm meinen Ausweis von der Elk-Loge gezeigt, und dann hat er sich uns genau angesehen und gesagt, er könnts vielleicht einrichten – die reguläre Mitgliedschaft kostet zweihundert Dollars pro Kopf und Jahr, aber schließlich hat er uns als zeitweilige Mitglieder für die eine Woche gegen nur fünf Dollars pro Nase aufgenommen.
Und so sind wir alle richtig reingekommen und –
Draußen hat man ja gar kein Licht sehen können, aber drinnen, Junge, Junge! Da war alles so elegant eingerichtet, als wenns der Ballsaal bei Vanderbilts wäre. Das ganze Erdgeschoß wars – das heißt, das Stockwerk über dem Suterreng, ich glaube, die Küche und alle die Sachen waren im Suterreng –
Und dann war da noch ne komische Sache: der zweite Geschäftsführer – wir sind recht gut miteinander geworden; er hat mir gesagt, ich soll ihn Nick nennen, und ich wollte, daß er Low zu mir sagt, aber er hat gemeint, das is gegen die Regel – also Nick hat mir etwas erzählt, was Sie vielleicht ebenso überraschen wird, wie es mich damals überrascht hat, meine Herren, er hat mir erzählt, daß sie dort alles nur elektrisch kochen!
Und dann, wie gesagt, war der Ballsaal da. Bis zur Hälfte hinauf war die Wand ganz aus rotem Sateng oder Seide oder so was, mit ner ganzen Menge von so Sachen, die moderne Kunstdekoration genannt werden, oder wenigstens hat Nick sie so genannt – so alle möglichen Zickzacksachen und große Blumen, und alles in Gold; und dann waren die Wände darüber ganz mit Blumen behängt. Ich hab dann gemerkt, daß es künstliche Blumen waren, aber sie haben so echt ausgesehen, daß mans nicht geglaubt haben würde, wenn man sie nicht angefaßt hätte. Und n paar Tische waren in so ner Art Nischen, die so hergerichtet waren, daß sie ausgesehen haben wie Weinlauben und so ne Sachen. Und am Ende von dem Raum waren n paar riesengroße gelbe Marmorsäulen – ausgesehen hats wie echter original Marmor, obwohls vielleicht gar keiner war – vor denen hat das Orchester gespielt – und ich kann Ihnen sagen, die Jungs in ihrem Orchester, das waren Ihnen vielleicht Jazzbabies eins a. Alles Schwarze, aber erstklassig musikalisch ausgebildet, hat Nick mir später erzählt, und der Kerl, der auf dem Saxophon geblasen hat – ich kann Ihnen bloß sagen, wenn Paul Whiteman Der Ysaye und Toscanini Amerikas. nen besseren hat, als der war, dann will ich den bloß mal hören, weiter nichts – Wissen Sie, der hat aus dem ollen Saxophon Töne rausgebracht, wie aus nem Nebelhorn oder aus ner kranken Kuh, also einfach alles, was er wollte.
Also, bevor wir uns richtig niedergesetzt haben – s waren noch nicht viel Leute da – hat Nick mich auf die Seite genommen und mir gesagt, daß sie oben ne richtige tadellose altmodische Bar haben, und er könnts schon so einrichten, daß ich raufgehen und n bißchen ordentlichen Schnaps kriegen könnte. Die Clubregeln, so hat er wenigstens gesagt, die Clubregeln schreiben vor, daß jeder an seinem Tisch Wein konsumiert, und daß zum Fizz natürlich auch nur großartiger erstklassiger Wein verwendet wird, aber, hat er gesagt, dasselbe wie n richtiger Herzstärker is das doch nicht.
Also, um ein Langes kurz zu machen, er is abgeschoben und hats so eingerichtet, daß wir in die Bar hinauf konnten.
Ich wollte, daß Delmerine und ihre Mutter n bißchen Ingwerbier oben trinken, aber scheinbar hatten sie für so ne sanften Getränke keine Meinung, denn Delmerine hat ganz einfach zu schreien angefangen.
»Ich will nen Cocktail haben«, hat sie gesagt, »und Mama will sicher auch einen, wenn sie aufrichtig is. Wer weiß, wann wir wieder mal in nen Nachtclub kommen«, hat sie gesagt. »Und außerdem«, sagt sie, »hast Du mich mal zu Haus nen Schluck von Deinem Cocktail kosten lassen. Und dann denk doch bloß, was meine Freundinnen sagen würden, wenn ich nach Haus komm und ihnen erzähl, daß wir in nen Nachtclub gegangen sind und ich keinen Cocktail gekriegt hab. Ich bin ja kein Kind mehr«, hat sie gesagt.
Also ich hab mich gewehrt und ihr klargemacht, daß ihre Mutter gar keinen will – meine Frau is ne große Anhängerin der Prohibition – aber ihre Mutter hat sich doch, verflucht noch mal, hingestellt und mich im Stich gelassen und gar nicht in die Seite getreten – Bloß so n bißchen gekichert hat sie und gesagt, ihr würde einer auch nichts schaden, das eine Mal. Also, um ein Langes kurz zu machen, wir haben jeder nen Cocktail getrunken – Muttchen hat nen Bronx genommen und Delmerine n Brautomobil, wenn ich mich recht erinner, und ich hab mir nen Martini bestellt, und dann hab ich gesagt: »Herr Gott, jetzt muß ich aber nen Manhattan haben. Muß schon fünf Jahre her sein, daß ich nen Manhattan-Cocktail getrunken hab. Na, und ich hab meinen Manhattan auch gekriegt. Und dann hab ich mir n paar Whisky-Sodas eingeflößt, während Muttchen und das Mädel auf der Damentoilette waren, und dann war ich so weit, daß ich gewußt hab, es wird n feiner, großartiger, blendender Abend.
Und ich muß sagen, da kann man von New York denken, was man will, so n Abend is es auch geworden.
Nick hat uns nen hübschen kleinen Tisch fast direkt an der Tanzfläche angewiesen.
Wir haben uns so umgeschaut, und es waren ganz nett aussehende Leute da – sie kamen grade so einer nach dem anderen rein. Delmerine sagte eben: »Ach, wenn wir hier nur jemand kennen würden – ich werd keinen Menschen zum Tanzen haben, außer Dir, Papa«, und ich klärte sie grade auf, daß man mich im Golfclub für nen recht anständigen und guten Tänzer hält, und da – Also wissen Sie, ich hab gemeint, mich laust der Affe! Also tatsächlich, ich hör auf einmal ne bekannte Stimme, und was meinen Sie, wer steht da? Sam Geierstein von der Mammut, Herren- und Damenkleidung, in Zenith – n Mensch, den ich oft im Athletic-Club getroffen hab.
Nun gibts ja ne ganze Menge Leute, die ich lieber seh als Sam. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, ganz unter uns, sein Ruf ist nicht grade der allerbeste, und dann habe ich auch n paar sehr, sehr merkwürdige Geschichten darüber gehört, wie er und seine Frau sich in aller Heimlichkeit aufführen. Aber trotzdem – Sie wissen ja, wies is, wenn man von zu Hause weg is – besonders in ner Stadt wie New York, wo so ne ganze Menge kalte Bolzen rumlaufen: über jedes bekannte Gesicht freut man sich.
Na, wir fordern also Sam auf, sich zu uns zu setzen, und wissen Sie, eines muß ich ja zu seinen Gunsten sagen, er hat wirklich darauf bestanden, seinen Teil am Wein zu zahlen und dann selber auch noch welchen aufzufahren. Und tanzen kann er auch. Sein Aussehen hat mir ja nie gefallen – n bißchen zu dunkel und hübsch, und so ne großen schwarzen Augen, wie man sie eigentlich an nem richtigen männlichen Mann nicht gern sieht, aber das muß ich sagen, er hat Delmerine und sogar die Frau tadellos gesteuert. Und ich, wissen Sie, nachdem ich n bißchen Sekt in den Knochen hatte, wissen Sie, ich glaube, ich hätt mir kaum was merken lassen, selbst wenn er Delmerine geküßt hätte –
Nicht daß er so was getan hätte, verstehen Sie; er hat sich benommen wie n vollendeter Gentleman, verstehen Sie; und einmal, wie ich mit Muttchen getanzt hab und so n bißchen ausgerutscht bin und beinahe der Länge nach hingeschlagen wäre – der Fußboden war eigentlich viel zu glatt – ja, da hat Sam mich gepackt und aufgefangen, daß ich nicht hingefallen bin.
Obwohl ich sagen muß, daß es mir gar nicht gefällt, wie er sich immer um unser Haus rumtreibt, seit wir wieder in Zenith sind – er hat irgendwo ne Frau, sie leben bloß getrennt. Delmerine sagt einfach, ich bin verrückt. Sie sagt, sie redet mit Sam nur über Musik – er scheint ne ganze Menge davon zu verstehen. Aber s will mir gar nicht gefallen, daß sie immer so lang ausbleibt am Abend –
Ach, ich bin wohl n alter Dussel. Aber Del is so jung, und sie glaubt, sie weiß alles, aber dabei is sie so unschuldig wie n Baby, aber – Ach, ich bin n richtiges Kamel. Na, auf jeden Fall haben wir an dem Abend allerhand in uns hineingeschüttet – Abend, hat sich was! Ich kann Ihnen sagen, da waren wir mal pikfeine Leute! Ich geh jede Wette ein, daß es drei Uhr war, und wir sind noch nicht in der Klappe gelegen. Ich weiß noch –
War das komisch! Da war Muttchen – das is meine Frau – angeblich ne gute anständige Dame, und ich, n Kirchendiakon, und wir kommen um drei Uhr früh den Broadway lang und singen: »Vor morgen früh gehen wir nicht heim!«
Sie müssen wissen, Sam – frech is der Kerl wie der Deibel – hat n Paar aus Fort Worth, Texas, rangeschleift (die Frau war Ihnen vielleicht ne Nummer; die war allen den richtigen New Yorkerinnen da überlegen), und irgendwie, ich weiß nicht mehr genau wie, sind wir noch mit nem Paar bekannt geworden, die waren aus San José, Kalifornien, n Herr aus der Obstzuchtbranche mit seiner Frau und seinem Sohn, der hat sich in Delmerine verguckt; und oben in der Bar bin ich mit nem Herrn und ner Dame aus Kansas City, Missouri, ins Gespräch gekommen – oder s kann auch Kansas City, Kansas, gewesen sein. Ich weiß nicht mehr genau, es war schon sehr spät – und wir alle miteinander haben uns aufgeführt, als wären wir schon alte Bekannte, und haben getanzt und gelacht und uns zugeprostet und gesungen und getrunken und überhaupt angegeben – allerhand! Aber wenn ich dran denke, was mich der Spaß gekostet hat, wird mir anders. Aber wie ich meiner Frau gesagt hab, so gehts nun mal in New York.
Aber ich brauche den Herren wohl nichts von New York zu erzählen. Wahrscheinlich kennen Sies besser als ich, und Sie wollen, daß ich Ihnen mein kleines Lied singe und fertig werd und weiter komm nach Washington und zu meinen Erlebnissen im Weißen Haus. Jawoll Herr, je weniger man von New York sagt, desto besser. Geldverrückt, das sind die New Yorker.
Wenn ich andere Dinge opfern wollte, die mehr wert sind, wie unser häusliches Leben und unsere Freundschaften und das Lesen von Literatur, die es wert ist, und ne gute Angeltour in jedem Sommer – Sie können mir glauben, man kann von Kanada sagen, was man will, aber wenn mir einer bessere Stellen zum Angeln zeigen kann, als ich oben in Nord-Michigan hab, nicht mal ne ganze Nachtfahrt von Zenith entfernt, der soll mir die dann bloß zeigen, mehr will ich nicht!
Aber ich bin der Ansicht, man muß selbstverständlich wohlhabend sein, für die Familie und wegen der eigenen Position in der Gemeinde, aber das Geldverdienen kann auch übertrieben werden, und ich sage immer: Erst die Ideale, dann die Dollars, allemal.
Das is also meine Ansicht über New York, und – Und dann haben wir gepackt und sind nach Washington gefahren, und wissen Sie, Delmerine hat ja so getan, als obs ihr ganz egal wäre, aber das Mädel war so aufgeregt bei dem Gedanken, daß sie mit dem Präsidenten reden wird, daß sie im Zug kaum stillsitzen konnte. Na, ich war genau so aufgeregt – ich hatte Cal ja so viele Jahre nicht gesehen. Ich mußte immer denken, vielleicht könnt er uns zum Lunch oder zum Abendessen einladen, aber ich wußte natürlich, daß das unvernünftig war – wo er doch so viele Leute empfangen muß – Diplomaten, Logenfunktionäre und so weiter – aber ich werd wohl ziemlich ebenso aufgeregt gewesen sein.
Ich weiß nicht, ob die Herren Washington gut kennen, aber der neue Bahnhof dort is sehr hübsch und in jeder Hinsicht modern, mit nem großen freien Platz davor – Plaza heißt er, glaub ich; und, was ich gar nicht gewußt hatte, die Kuppel vom Kapitol kann man sehen, wenn man direkt vorm Bahnhof steht. Ich kann Ihnen sagen, das hat nen kolossalen Eindruck auf mich gemacht.
Also Muttchen wollte, daß wir uns zuerst im Hotel n Zimmer nehmen und uns waschen, aber ich hab gesagt: »Nee Herr, erst wollen wir den Präsidenten aufsuchen und hören, was er vor hat; wir werden die Taxe ganz einfach warten lassen, s soll mir nicht drauf ankommen, wenns eineinhalb Dollar kostet, s passiert einem ja nicht oft im Leben, daß man bald bei nem Präsidenten der Vereinigten Staaten sitzen wird!«
Wir klettern also in ne Taxe und fahren ganz aufgeregt los, und plötzlich sage ich zu meiner Frau: »Du, is Dir an der Taxe nichts Besonderes aufgefallen?«
»Wieso, nein«, sagt sie, »ich weiß nicht; mir kommts ganz richtig vor, warum?«
»Mir kommts ganz richtig vor!« sag ich. »Na selbstverständlich! Willst Du mir sagen, daß Dir an der Taxe weiter gar nichts Besonderes auffällt?«
»Wieso, nein«, sagt sie.
»Also, was is das für n Wagen?« sage ich.
Natürlich muß da Delmerine ihre Nase in den Senf stecken. »Das is doch n Studebaker, nicht?« sagt sie.
»So, so, Fräulein Ganzgescheit!« sag ich. »Mein Gott, und Ihr wollt mir was von Fahren erzählen! Das is kein Studebaker, und es is kein Cadillac, nee, und es is auch nicht irgend n Klapperkasten, n Buick is es. Wißt Ihr, was das bedeutet?«
Na, die beiden glotzen mich an – konnten natürlich gar nicht begreifen, worum sichs dreht – na ja echt Weiber, und wenn sie die Klügsten sind.
»Begreift Ihr denn nicht?« sag ich. »Da habt Ihr den Buick, den bestverkauften Sechszylinderwagen der Vereinigten Staaten, wenn nicht der ganzen Welt. Und trotzdem, wie oft seht Ihr ne Buicktaxe? Nicht sehr oft. Habt Ihr schon mal drüber nachgedacht? Jawoll Herr, ne sehr merkwürdige Sache is das, und ich weiß wahrhaftig und tatsächlich nicht, warum das so is. Wenigstens bin ich praktisch davon überzeugt, daß das n Buick is, natürlich mit ner Taxenkarosserie drauf – ich hab das Schild am Kühler nicht gesehen, aber nach dem Aussehen vom Armaturbrett – auf jeden Fall –«
Ich klopf also ans Fenster, und der Chauffeur, wahrscheinlich hat er gedacht, wir sind nichts weiter als gewöhnliche Touristen, die sich die Stadt ansehen wollen, wir sind grade an irgendnem Gebäude vorbeigekommen, und da dreht er kaum den Kopf um und sagt: »Das is das Pensions Building.« (Oder es kann auch das Patent Building gewesen sein – ich hab nicht genau acht gegeben, ich war so durcheinander und aufgeregt, von wegen dem Besuch beim Präsidenten, und ich kann mich an diese Einzelheit wirklich nicht mehr erinnern.)
»Nein«, ruf ich raus, »ich will was andres wissen: Is das ne Buicktaxe?«
»Ja«, sagte er.
»Also!« sag ich zu den Weibern. »Was hab ich Euch gesagt?«
Also, wir sind zum Weißen Haus gekommen und –
Ja, sogar die Herren von Ihnen, die in Washington gewesen sind und das Weiße Haus gesehen haben, werden vielleicht nicht wissen, daß die Büros und auch das Privatbüro des Präsidenten in Flügeln untergebracht sind, die von beiden Seiten des alten Hauptgebäudes ausgehen. Die Flügel sind neu, nehm ich an, und so niedrig, daß man sie, wenn man auf der Straße vor ihnen steht, kaum sieht – man weiß kaum, daß es sie gibt, wenn man nicht wie ich den Vorzug hat, sie betreten zu können.
Wir sind also die Avenue zu dem berühmten alten Platz lang gekommen –
Ich sage Ihnen, es war schon erhebend, an die berühmten Männer zu denken, die in diesem Gebäude gewohnt haben. Grant und McKinley und Hardy und Garneid und alle! Ja, wie ich bei meiner Rede über diese Reise im Kiwanis-Club gesagt habe, das ist ein erhebender Gedanke. Denn was ist schließlich erhebender als die Lebensläufte unserer Helden –
Dabei fällt mir ein, daß ich erst vor kurzem – ja, richtig, es is bloß n paar Abende her, da waren n Nachbar und ich n bißchen zusammen, und da fragt er mich: »Lowell, was meinen Sie, wer waren seit 1900 die größten Helden und Genies der Vereinigten Staaten?«
Na, so ne Frage bringt einen wirklich zum Nachdenken, und da haben wir beide, er und ich, angefangen, uns Listen zu machen, und zufällig hab ich meine tatsächlich bei mir in der Tasche, und hier können Sie hören, welche führenden Geister ich dabei rausgebracht habe:
Coolidge, Harding, Wilson (obwohl ich Republikaner bin), Ford, Lindbergh, Billy Sunday Der protestantische Papst., Pershing, Roosevelt, John Roach Straton Wer diese Persönlichkeit war, konnte der Herausgeber nicht feststellen., Richter Gary und –
Ja, und hier hab ich n paar Namen, die die Herren vielleicht überraschen werden, vielleicht haben Sie die Sache nie so angesehen. Ich bin der Meinung, daß das, was man vielleicht die Künste nennen könnte, vertreten sein muß, und so habe ich Anne Nichols reingenommen – wissen Sie, die Verfasserin von nem Stück wie »Dreimal Hochzeit«, das fünf Jahre laufen kann, kann meiner Ansicht nach – vielleicht is es überspannt und unpraktisch, die Sache so anzusehen, aber meiner Meinung nach kann man sie mit jedem Industriemagnaten vergleichen, und außerdem soll sie genau so viel Geld verdient haben wie Jack Dempsey. Ein berühmter Schauspieler.
Und hier habe ich einen Namen, der Sie noch mehr überraschen wird. Samuel Gompers!
Ja, ich wußte ja, daß Sie das überraschen wird; daß ich einen Mann da hereinnehme, von dem viele Leute glauben, daß er sich nur für Gewerkschaftswesen und Arbeiterunruhen eingesetzt hat. Aber dieser Gompers – jemand, der Professor von irgend was is, hat uns das erst vor kurzem im Kiwanis-Club erklärt – der Gompers war immer direkt gegen Arbeiterunruhen. Er hat gelehrt, daß die arbeitenden Menschen ihr Recht haben müßten, und das wird wohl auch wahr sein; aber so wie er die Dinge angesehen hat, wollte er, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die ganze große Öffentlichkeit sich die Hände reichen, in einer großen Brüderschaft zum Ruhm der Vereinigten Staaten und zur Erstreckung unserer Märkte in Länder, die jetzt auf ganz gemeine Weise von England und Deutschland monopolisiert werden. Jawoll Herr!
Also, wie gesagt, wir sind zum Weißen Haus gefahren –
Ich hatte dem Chauffeur gesagt, er soll direkt beim Haupteingang vorfahren, genau so, wie ich erwarten würde, daß Cal Coolidge direkt zu meinem Haupteingang kommt, wenn er nach Zenith zu mir auf Besuch käme. Ich wußte eben damals noch nichts von der Einteilung im Weißen Haus.
Aber da war so ne Art Polizist am Tor, und der sagte: »Was wünschen Sie, bitte?«
»Was ich wünsche, Wachtmeister?« sagte ich. »Was ich wünsche? Also, ich wünsche bloß dem Präsidenten einen Besuch zu machen!« sag ich. »Ich bin ein alter Freund von ihm, nichts weiter!« sag ich.
Also, ich erkläre, und er erzählt mir, daß man rumgehen muß zum Büroeingang, und da sag ich ihm, is recht; ich wäre der Letzte, sag ich zu ihm, ich als Freund des Präsidenten, vernünftige Vorschriften zu mißachten.
Also, um ein Langes kurz zu machen, schließlich waren wir da, in einem von den Wartezimmern, die zu den eigenen Büros des Präsidenten gehören, und ein Herr kam herein – fein hat er ausgesehen, ganz angezogen wie am Sonntag vormittag, Cutaway mit gestreiften Hosen, der war wohl eigentlich der erste Hauptsekretär des Präsidenten, und ich hab ihm meine Frau und Delmerine vorgestellt und ihm alles erklärt, vom Präsidenten und mir, daß wir Jahrgangskollegen waren und so.
»Ich weiß, daß der Präsident sehr viel zu tun hat, aber ich möchte den alten Jungen gern mal sehen«, sag ich zu ihm, »und möcht natürlich auch ganz gern, daß meine Frau und meine Tochter ihm die Hand drücken.«
Na Herrschaften, der hat alles begriffen.
Sofort is er reingegangen und hat mit dem Präsidenten gesprochen – hat mich nicht eine Minute warten lassen, nee Herr, kaum eine Minute.
Na und dann is er zurückgekommen und hat gesagt, es täte dem Präsidenten schrecklich leid, daß er uns nicht sofort in der Sekunde empfangen kann, er war mit ner wichtigen internationalen Konferenz beschäftigt über – ich glaube wegen Genf, hat er gesagt – und ich möchte warten. Der Sekretär war auch kolossal nett; er hat uns nicht dort sitzen lassen wie Holzklötze; er hat sich zu uns gesetzt und mit uns unterhalten, und so hatte ich Gelegenheit, richtige Informationen über sehr viele von den Ansichten und Absichten des Präsidenten zu bekommen. Aber ich muß Sie bitten, meine Herren, daß davon nichts in die Zeitungen kommt.
Ich hab den Sekretär gefragt, Mr. Jones hat er geheißen – ich hab zu ihm gesagt: »Was hält der Präsident von der Entwaffnung, Mr. Jones?«
»Ja, der Zufall will es«, hat er gesagt, »daß ich Ihnen die eigenen Worte des Präsidenten darüber wiederholen kann. Ich war dabei, wie er mit dem Staatssekretär gesprochen hat«, sagt er – wissen Sie, das hat mir vielleicht Spaß gemacht, so dazusitzen, als wärs in einer Konferenz zwischen dem Präsidenten und dem Staatssekretär! Na ja: »Ich war dabei, wie er mit dem Sekretär gesprochen hat«, erzählt mir Mr. Jones, »und er hat gesagt: ›Offen gesagt, große Schiffe kosten ne Menge Geld, und ich bin der Ansicht, daß es eine Ersparnis wäre, wenn wir die einzelnen Nationen dazu bringen könnten, weniger zu bauen.‹«
»Ja, ja, freut mich außerordentlich, das zu hören, Mr. Jones«, hab ich gesagt, »das bestätigt nur meine eigenen Ansichten über die Entwaffnung. Hören Sie, sagen Sie mal«, hab ich dann gefragt, »wie lebt der Präsident so in seinem Privatleben? Was ißt er zum Frühstück?«
Na, Mr. Jones hat mir auseinandergesetzt, daß der Präsident ein ganz einfaches Frühstück ißt, so wie wir alle – bloß n bißchen Kaffee und Toast und Eier und Porridge und so weiter. Ich war kolossal stolz und froh zu hören, daß Cal von seinem ganzen Ruhm unverdorben geblieben und noch immer genau so einfach und grade is wie früher, wie wir noch Kollegen waren.
»Was hält der Präsident von der Lage in China?« fragte ich Mr. Jones.
»Ja, ich glaube, ich kann, ohne das Siegel eines Geheimnisses zu lüften, sagen, daß der Präsident im Gegensatz zur Ansicht gewisser Senatoren der Meinung ist, daß die Lage in China ernst und in der Tat nahezu kritisch ist, und daß – aber das darf auf keinen Fall in die Öffentlichkeit dringen«, sagte mir Mr. Jones, »er ist ganz entschieden der Meinung, obwohl die Rechte und das Eigentum der Großmächte sichergestellt werden müssen, müssen wir in Geduld und Billigkeit auch an die Rechte der Chinesen selbst denken.«
»Ja, es ist entschieden von Interesse für mich, das zu hören«, sagte ich zu ihm. »Das steht ganz außer Frage. Genau so denke ich selbst.«
Sie sehen, ich hatte sozusagen eine ganz besondere Gelegenheit, ganz offiziell über die chinesische Lage und den bolschewistischen Einfluß dort informiert zu werden. Übrigens hab ich einen Missionar, der erst vor kurzem von dem Herd der Unruhen aus China zurückgekommen is, bei einem Freitagabendsouper in unserer Kirche sprechen gehört – Pilger-Kongregationalistenkirche von Zenith – Dr. G. Prosper Edwards heißt der Pastor, n sehr berühmter Kanzelredner, wahrscheinlich haben Sie ihn schon im Radio gehört, er kommt jeden zweiten Sonntag um elf fünfzehn auf Welle WWWL, n ausgezeichneter Redner und auch n fabelhafter Gelehrter, aber sehr liberal. Wie er immer sagt, er is mehr als bereit, mit jeder christlichen Gemeinschaft zusammen zu arbeiten, da können die Unterschiede in der Theologie noch so groß sein, vorausgesetzt, daß sie bloß auf dem Boden der fundamentalen und unbestreitbaren Elemente des Christentums stehen, nämlich der jungfräulichen Geburt und der bewiesenen Tatsache des Lebens nach dem Tod.
Bei der Gelegenheit kann ich Ihnen ja auch sagen, was ich über Religion denke. Ich selber bin Kongregationalist, und das durchaus nicht nur, weil ich zufällig als solcher geboren bin, wie mir einer von diesen ganz gescheiten Ungläubigen mal hat beweisen wollen, sondern ganz einfach wegen meiner tiefen Verehrung für die großen Führer unserer Kirche wie Jonathan Edwards und Roger Baldwin – nee, warten Sie mal, halt, das war doch n Baptist, nicht, der mit Rhode Island?
Na is ja ganz egal; heute is es genau so: Leute wie Newell Dwight Hillis und S. Parkes Cadman Der protestantische Erasmus, doch umfassender gebildet und dogmatischer., die im Krieg ebensoviel zum Sieg im Kampf um die weltumspannende Demokratie beigetragen haben wie jeder Soldat, dadurch, daß sie die geheimen Pläne Deutschlands zur Weltherrschaft aufgedeckt haben – und die Zeitungsartikel, die Dr. Cadman schreibt; ich kann Ihnen sagen, der weiß einfach alles und kann Ihnen alles erklären, obs nun ne unheilbare Krankheit is oder wer Shakespeare geschrieben hat – jawoll Herr, n richtiger großer typischer amerikanischer Führer.
Aber trotzdem, meiner Meinung nach, die anderen Kirchen – die Methodisten und Baptisten und Presbyterianer und Campbelliten – alle arbeiten ja zusammen, um ein größeres und reineres Amerika zu schaffen.
Unsere Generation hat ja wohl noch immer ne ganze Menge Sündhaftes in sich. Ich, das will ich gar nicht leugnen, ich rauche und trink manchmal n Schluck – aber ich besauf mich nie; wenn mir was ekelhaft ist, dann is es n Mann, der seinen Alkohol nicht vertragen kann – und ich mach gern ne hübsche Spazierfahrt am Sonntag, und manchmal fluch ich so n bißchen, und hübsche Beine guck ich mir immer gern an, darüber bin ich auch jetzt noch nicht hinaus. Aber ich bin fest überzeugt – vielleicht haben die Herren die Sache noch nie von der Seite angesehen – wenn wir nur die Kirchen unterstützen und den Predigern Möglichkeiten geben, dann wird eine Generation kommen, die so ne Sachen nicht einmal wollen wird, und dann wird Amerika an der Spitze der Welt stehen als eine Nation, wies noch nie eine gegeben hat, jawoll Herr, und es is mir ne kolossale Freude, mit Methodisten zusammen zu arbeiten oder mit –
Aber wissen Sie, von der Christian Science und von den Sabbath-Adventisten und von den ganzen anderen, da halt ich nicht so viel. Die treibens zu weit, und ich bin gegen jede Übertreibung; und was die Katholiken angeht – hoffentlich is keiner von den Herren Katholik, dann würd ich nicht näher drauf eingehen, aber ich war immer der Überzeugung, daß die Katholiken zu tolerant sind gegen Trinken und Rauchen, und deshalb sind sie auch kaum richtige echte typische Amerikaner, könnt man sagen.
Und Religion so im allgemeinen, s soll ja heute ne ganze Menge von Obergescheiten geben, die die Wahrheit des Christentums in Frage stellen. Ich bin ja vielleicht kein Theologe, aber ich möcht mal bloß einen von den Kerlen sprechen, und glauben Sie mir, ich würd ihm schon den Kopf zurechtsetzen.
»Sehen Sie mal«, würd ich ihm sagen: »erstens mal is es doch klar, nicht wahr, daß Leute, die ganz speziell in Theologie ausgebildet sind, wie die Prediger, mehr wissen als wir Laien, oder nicht? Und dann zweitens, wenn die christliche Religion zweitausend Jahre bestanden hat und heute stärker is als je – denken Sie doch bloß zum Beispiel an die Wolkenkratzerkirche, die jetzt in New York gebaut wird – is es dann wahrscheinlich, daß ne kleine Handvoll von Euch Klugscheißern was dran ändern kann?«
Ich glaube, daran haben die Leute noch nie gedacht. Das Dumme mit so nen Leuten wie Atheisten ist, daß man sie ganz einfach nicht dazu bringen kann, mal nachzudenken und ihren Verstand zu gebrauchen!
Und was haben sie, was sie an die Stelle der Religion setzen können? Wissen Sie, was mit den Leuten ist? Sie sind zerstörend, und nicht aufbauend!
Aber wie gesagt, unsere Kirche hat jeden Freitagabend n Souper vor der Gebetsandacht, und wissen Sie, die Damen von der Kirche, die servieren Ihnen ein tadelloses erstklassiges Essen, und kostet nur vierzig Cents – Hamburger Steak mit spanischer Sauce, oder Sahnenbraten, oder Corned Beef mit Kohl, und manchmal Eiscreme zum Dessert, alles eins a. Und gewöhnlich haben sie dort einen Sprecher, und an dem Abend, von dem ich spreche, war der Sprecher, der über China gesprochen hat, Missionar, und der hat uns genaue Aufschlüsse über China gegeben und uns erzählt, daß es einfach teuflisch war, wie die Chinesen sich aufführen, und weder ihre Handelsverträge einhalten – und das war vielleicht n verdammter Blödsinn, weil sie doch da die Möglichkeit hatten, mit Amerika und England in Berührung zu kommen und zivilisiert zu werden und mit der Götzenverehrung Schluß zu machen – aber er hat einen echten christlichen Geist gezeigt. Er hat gesagt, obwohl die Chinesen ihn eigentlich hinausgeschmissen haben, glaubt er, daß man ihnen nochmal ne Möglichkeit, ihr eigenes Land zu regieren, geben soll.
Ja also, das war doch sehr anständig, und es hat mich wirklich interessiert, zu erfahren, daß der Präsident diesen Standpunkt teilt, und dann hab ich Mr. Jones gefragt –
»Mr. Jones«, hab ich gesagt, »wie stehts in Wirklichkeit mit dem Angeln des Präsidenten? Ist er ein guter Angler?« hab ich gefragt.
»Einer der besten. Sein Fang ist, im Vergleich zu den anderen, immer verhältnismäßig gut, wenn er sich darauf konzentriert, aber Sie müssen bedenken, daß ihn ständig die Sorgen um den Staat niederdrücken«, hat mir Mr. Jones gesagt.
»Ja, das kann ich verstehen«, hab ich ihm gesagt, »und ich für meine Person finde, es is eine Schande, daß n paar Zeitungen nichts Besseres zu schreiben wissen, als sich über ihn lustig zu machen. Hören Sie, noch etwas«, hab ich ihn gefragt, »gehört der Präsident zu einem Service-Club – Rotary oder Kiwanis oder so?«
»Nein, in seiner Stellung«, hat mir Mr. Jones erklärt, »in seiner Stellung dürfte er nicht einen einzelnen davon bevorzugen, aber ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß der Präsident die größte Bewunderung für die großartigen Leistungen und Ideale aller dieser Organisationen hegt.«
Na, ich hab mich kolossal gefreut, das zu hören, und ich glaube, die Herren werden sich auch freuen, ob Sie nun Mitglieder sind oder nicht. Denn schließlich, welche Organisationen tun heute mehr Gutes und schaffen mehr wirkliche Zufriedenheit als die Service-Clubs, alle durch die Bank, obwohl ich persönlich Kiwanianer bin und der Ansicht sein muß, daß unsere Organisation wohl den anderen voraus is – wir sind nicht so verdammt »feun« wie die Rotarianer und doch nicht so gewöhnlich, möcht man sagen, wie die Civitaner und die Löwen und – jawoll Herr!
Denken Sie bloß an, was diese Clubs schaffen. Sie geben den verantwortungsvollsten und fortschrittlichsten Männern der Stadt Gelegenheit, einmal in der Woche zusammenzukommen und sich nicht nur fabelhaft zu amüsieren, die ganze Würde unserer Stellungen wird an der Tür abgelegt, und wir rufen uns bei den Vornamen – Bedenken Sie, was das bedeutet! Sagen wir mal, da is so n großmächtiger Richter; in dieser Zeit sag ich »Pete« zu ihm und klopf ihm auf den Rücken und zieh ihn mit seiner Familie durchn Kakao, und es is ja klar, daß jeder Mensch sich freut, wenn er Gelegenheit hat, sich gehen zu lassen.
Und dann das Gute, was wir tun! Also wissen Sie, erst im letzten Jahr haben unsere Zenither Kiwanianer nicht weniger als hundertdreiundsechzig Straßentafeln im Umkreis von vierzig Meilen um Zenith aufgestellt, und den Kindern aus nem Waisenhaus haben wir ne blendende Autofahrt mit freier Verköstigung gestiftet. Und glauben Sie mir, das war eine feine Reklame für die Kiwanianer, weil wir nämlich die Kinder auf Lastwagen verladen haben, und auf jedem Wagen war groß in roten Buchstaben aufgemalt: Kostenlose Spazierfahrt für die unglücklichen Kinderchen, kostenlos gestiftet vom Zenither Kiwanis-Club.
Ganz zu geschweigen von den feinen Sprechern, die wir jede Woche haben – den Bürgermeister und Krebsspezialisten und Schriftsteller und Operettenkünstler und alle möglichen Leute. Und diese Affenköpfe erlauben sich dann noch –
Aber davon abgesehen, s hat mir ne kolossale Freude gemacht, zu hören, daß der Präsident so spricht, und seine richtigen eigenen Ansichten zu erfahren, und dann hab ich Mr. Jones noch gefragt: »Was, äh – was denkt der Präsident über das Steuerwesen, wenn es erlaubt ist, das zu fragen?«
Die Herren wird es natürlich sehr interessieren, zu erfahren, was mir Mr. Jones gesagt hat, denn das is selbstverständlich eine der wichtigsten Angelegenheiten des Tages, und Jones hat, ohne zu zögern, frei von der Leber weg geredet:
»Ich weiß positiv«, hat er mir gesagt, »daß der Präsident der Ansicht ist, daß die Steuerlasten so gleichmäßig verteilt werden sollten, daß sie den Armen und Unglücklichen keine unbillige Last auferlegen, daß sie aber trotzdem gleichzeitig in keinem Sinn die ehrlichen Geschäftsinteressen schädigen oder den notwendigen Verlauf und Ausdehnungsprozeß des Handels behindern dürfen.«
Und da behaupten so n paar dahergelaufene Kaffern noch, daß der Präsident kein tiefer Denker is.
Und dann – Delmerine is bei der Aussicht, mit dem Präsidenten zu reden, die ganze Zeit auf Nadeln und Kohle gesessen; sie hat kaum still bleiben können auf ihrem Stuhl. Mr. Jones war kolossal nett zu ihr, und ich war sehr stolz darauf, wie ordentlich eines von unseren einfachen Mädels einem Mann in seiner öffentlichen Stellung antworten konnte.
»Sie sind also aus Zenith«, fragte er sie. »Gefällts Ihnen dort?«
»Na klar«, sagt sie. »Meiner Ansicht nach is Zenith einfach die netteste Stadt von Amerika. Natürlich würd ich lieber in New York leben, aber wissen Sie, daß wir das beste Parksystem in den Vereinigten Staaten haben?«
»Was Sie nicht sagen!« sagt er. »Nein, das hab ich nicht gewußt. Und wahrscheinlich tanzen Sie gern Charleston«, sagt er. »Oder sind Sie für den Black Bottom? Tanzen Sie den gern?«
»Und ob!« sagt sie. »Junge, Junge! Ich würds Ihnen zeigen, aber ich glaube, das is kaum der Platz dafür.«
»Nein, ich fürchte, das ist nicht der Platz dafür«, sagt er, und wir platzen alle vier auf einmal raus und fangen an zu lachen – so ne komische Idee – im Büro des Präsidenten Charleston tanzen!
Ich wollte Mr. Jones grade fragen, wie der Präsident über den Sozialismus denkt, aber da is n Botenjunge reingekommen und hat ihn rausgeholt, und dann is er n paar Minuten weggeblieben, s kann nicht mehr gewesen sein, und dann is er zurückgekommen, und ich kann Ihnen sagen, er hat wirklich traurig ausgesehen.
»Ich habe schreckliche Nachrichten für Sie«, sagte er mir. »Der Präsident wollte Sie eben empfangen, aber der englische Gesandte ist mit wichtigen Amtsangelegenheiten gekommen, die einige Stunden in Anspruch nehmen werden, und dann muß er eiligst hinaus zur Mayflower – das ist seine Yacht – und wird ungefähr vier, fünf Tage wegbleiben, es handelt sich um eine wichtige Geheimkonferenz. Aber er hat mich extra hergeschickt, um Ihnen zu sagen, daß er todtraurig ist, weil er Sie nicht sehen kann, und er hofft, Sie werden bei ihm vorbeikommen, wenn Sie das nächste Mal in Washington sind.«
Sie können also sehen, meine Herren, daß es keinem Zufall, sondern wirklichem Denken und kollegialem Empfinden zu verdanken is, daß Präsident Coolidge – ja, oder irgendein anderer unserer letzten Präsidenten – seine Stellung innehat, und hoffentlich hab ich Sie nicht gelangweilt, und jetzt will ich mal meine Klappe zumachen und jemand anderen reden lassen und –
Aber nur über den Sozialismus möcht ich noch einen Augenblick reden. Ich bin gern bereit, jedem Menschen anständig und gerecht entgegenzukommen, aber wenn verlangt wird, daß n Haufen von Nichtstuern unterstützt wird, dann bin ich der Ansicht, die aufbauenden, praktischen Leute, wie wir, die das Land beherrschen, sollten, man könnt sagen –