Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Die Mutter, welche Jenny vermißte, kam sie holen, damit ihre Abwesenheit nicht bemerkt werde. Hughes, dem sie den nächsten Tanz versprochen, hatte sie bereits gesucht und sich, seine Tänzerin erwartend, zu Erlau gesellt, der im Treibhause die Dekorationen für das nächste Bild anordnete.

»Wenn ich nur wüßte«, sagte er, »worin es lag, daß dieses Bild heute einen so mächtigen Eindruck auf mich machte, während das Original, trotz seiner Vorzüge, mich doch ziemlich kalt ließ.«

»Das will ich Ihnen sagen, teurer Sir!« antwortete Erlau, »und ich bilde mir nicht wenig darauf ein, mit dieser Aufstellung die Wirkung gemacht zu haben, die es heute auf jeden hervorgebracht hat. Sie haben heute zum ersten Mal trauernde Juden gesehen, während Bendemann trauernde Düsseldorfer in fremdartiger Kleidung gemalt hat!«

Hughes gab zu, daß Erlau recht haben könne.

»Gewiß habe ich recht. Ich hatte, als ich in dem Katalog der Ausstellung ›Trauernde Juden‹ von Bendemann las, eine rechte Herzensfreude. Ich liebe die Juden; sie sind nicht mehr das, was sie vor tausend Jahren gewesen sein mögen, aber es ist noch Originalität, Rasse in ihnen, und darum sind sie für den Maler interessant. Nun dachte ich, wenn ein Jude den Mut hat, Juden zu malen, wenn dieser Maler Bendemann ist, da muß es ein Stück Arbeit werden, das Hand und Fuß hat. Ich dachte, er würde sich köstliche Gestalten, üppige Weiber mit Flammenaugen gewählt haben – nicht doch! So weit reicht sein Mut nicht. Er nimmt ein Sujet aus dem Judentum, aber er tauft seine Juden samt und sonders, er übersetzt sie fein säuberlich ins Düsseldorfsche, und nun sitzen die deutschen Männer und Weibsen und sehen, so hübsch sie sind, doch nur aus wie Düsseldorfer Gärtner, denen die Raupen den Kohl aufgefressen haben.«

Hughes lachte.

»Was ist da zu lachen?« fragte Erlau, der ganz ernsthaft wurde, sobald es die Kunst galt, die er heilig hielt. »Gestehen Sie, es ist, wie ich sage. Ist schon irgendein Mensch so töricht gewesen, sich blonde, deutsche Modelle zu nehmen, wenn er neapolitanische Fischer malen wollte? Das tut niemand. Würde nicht alle Welt lachen, es abgeschmackt finden, wenn man Zigeuner mit der Physiognomie eines phlegmatischen Holländers malte? – Oder Parias mit goldblonden Locken und einer Lilienhaut? Auch dem Paria muß sein Recht werden, sonst laßt ihn lieber ungemalt und ungeschoren; und dasselbe verlange ich für die Juden. Sehen Sie einmal den Steinheim, die Jenny an; denken Sie an das junge Weib, das Sie heute im Tableau gesehen; sind das nicht Köpfe, die sich mit allen italienischen Modellen messen können?«

Hughes gab es zu, daß auch ihm, trotz der widerwärtigen Karikaturen, die man unter den Juden sähe, eine Menge wahrer Schönheiten sowohl unter Männern als Frauen aufgefallen wären.

»Das sage ich ja«, eiferte der Maler. »Es ist mit den Juden wie mit den Fürstenhäusern und dem hohen Adel, die sich auch so untereinander rekrutieren. Die Rasse artet aus ins Krüppelhafte oder sie veredelt sich. Sehen Sie die feinen Glieder, die schönen dunklen Augen, die Üppigkeit des Orients, die finden Sie heute noch oft bei den Juden, und die Beweglichkeit ihrer Züge empfiehlt sie dem Maler. Darum wählte ich heute das Bild und diese Personen zu dem Bilde; und ich wollte, Bendemann selbst hätte es gesehen. Da er sich hoffentlich nicht schämt, ein Jude zu sein, hätte er an dieser Darstellung vielleicht den Mut gewonnen, auch Juden zu malen; denn, unter uns gesagt, feig sind die Juden doch! –«

»Mowbray, du lügst!« rief Steinheims Stimme dazwischen, der, mit Eduard eintretend, die letzten Worte hörte.

»Leider lügt er nicht«, sagte Eduard ernsthaft, »wenn er von moralischem Mute spricht. Denn jene sogenannte Courage, die jeder Raufbold in sich erzwingt, um während eines Duells oder sonst einer Viertelstunde Parade zu machen, die schlage ich sehr gering an. Der Feigste, wenn er nur eitel genug ist, sich zu schämen, bringt das zustande. Aber der moralische Mut, der fehlt uns. Jahrhundertelang hat die Sklaverei auf uns gelegen und das Volk so gedrückt, daß es sich glücklich fühlt, Ruhe zu genießen, anstatt mit aller Kraft die Rechte zu fordern, die man uns vorenthält!«

»Wahr ist's«, bekräftigte Hughes, »und um so auffallender, als man nicht leugnen kann, daß es verhältnismäßig eine Menge von Fähigkeiten und Talenten unter Ihrem Volke gibt. Mich wundert, daß diese sich nicht durch die ganze Erde vereinen, daß sie nicht alle ihre Mittel aufbieten, um zum Ziele, zur Gleichstellung zu gelangen.«

»Weil sie das nicht tun, nannte ich sie feig«, sagte begütigend Erlau, dem es unangenehm war, jene Äußerung getan zu haben.

»Und mit Recht«, war Eduards Anwort. »Was du nur über Bendemanns ›Trauernde Juden‹ neulich sagtest, war vollkommen wahr; indes so machen sie es alle. Michael Beer, der die Schmach der Unterdrückung auch sehr lebhaft fühlte, den es drängte, die Ungerechtigkeit darzustellen, machte ein Trauerspiel daraus. Aber er schilderte nicht das Elend seines Volkes; damit hätte er auch daran erinnert, daß er selbst Jude sei, er malte lieber die Unterdrückung sub rosa, er schrieb den ›Paria‹ und dachte, vielleicht versteht man meine Meinung, und ich habe doch nichts gesagt, wenn man sie nicht verstehen will. Das ist Feigheit.«

»Und Torheit obendrein«, sagte Steinheim. »Die Geschichte hat bis jetzt kein Beispiel, daß irgendeine Unterdrückung aufgehoben worden wäre, weil der Unterdrücker in großmütiger Laune sagte: ›Car tel est mon plaisir‹, außer der Bertha im Tell, die abgehend ihr ›und frei erklär' ich alle meine Knechte‹ ausruft. Es heißt im Christentume: ›Bittet, so wird euch gegeben, klopfet an, so wird euch aufgetan‹, und es wäre Zeit, daß die Juden tüchtig anklopften, wenn das Bitten nicht hilft, und die Christen zeigen müßten, ob sie den Spruch ihres Heilandes zu erfüllen bereit sind.«

Erlau hatte während der Unterhaltung nicht nach den Vorbereitungen zu dem nächsten Bilde gesehen. Ein Diener kam ihn daran zu erinnern, meldend, daß die Herren und Damen bereits angekleidet wären. Das machte dem Gespräch ein Ende, weil Erlau die Herren bat, ihn zu verlassen. »Aber wir kommen nächstens auf dies Thema zurück, das gerade auch für den Unparteiischen eine psychologisch interessante Seite unsers Jahrhunderts zeigt«, sagte er, als die andern davongingen. Da blieb Steinheim stehen und sprach: »›Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, und wo ihr's packt, da ist's interessant!‹«

Zehn Minuten später öffnete sich das Treibhaus der Schaulust aufs neue, und einige glücklich gewählte Bilder folgten rasch aufeinander. Den Beschluß machten Jenny und der Hauptmann mit der Szene aus dem Ivanhoe; und als eben der Vorhang vor dem letzten Bilde gefallen war, schlug die letzte Stunde des alten Jahres.

Einen Augenblick schwieg alles in ahnender Ungewißheit, in Rückerinnerung und Erwartung; dann ging ein fröhliches Leben an. Glückwünsche und Scherze flogen von Mund zu Mund; Freunde suchten sich gegenseitig, Eltern und Kinder hatten sich, wenn auch nur für einen Augenblick, vereint, und ganz natürlich hatten auch Reinhard und Jenny sich gefunden, um den Anfang des neuen Jahres, mit dem für sie ein neues gemeinsames Leben beginnen sollte, gemeinsam zu begrüßen.

»Nächsten Sylvester sind wir allein in unserm Hause«, flüsterte Reinhard in Jennys Ohr, ihre Hand in der seinigen drückend, als der Vater sie zu holen kam. Er trat mit Jenny und Reinhard in die Mitte des Zimmers und sprach zur Gesellschaft gewendet:

»Erlauben Sie mir, meine Freunde, Ihnen beim Beginn des neuen Jahres ein neues Mitglied meiner Familie vorzustellen. Herr Reinhard und meine Tochter sind seit acht Tagen verlobt, und ich empfehle dies junge Paar Ihrer Freundschaft.«

Größeres Erstaunen hätte die unerwartete Ankunft des Großsultans nicht erregen können als diese einfachen Worte. Des Fragens, Wunderns, Glückwünschens war kein Ende; und mancher junge Mann sah mit Neid auf Reinhard, an dessen Arm Jenny, noch im Kostüm der Rebecca, durch die Zimmer ging. Sie sah schön aus in der prachtvollen Kleidung, das Haar mit Brillanten durchflochten, den weißen Turban auf die schwarzen Locken gedrückt; und Reinhard konnte nicht unterlassen, sie nochmals zu seiner Mutter zu führen, um auch von ihr zu hören, wie schön seine Jenny sei. Niemand wollte erlauben, daß sie sich entferne, um ihre Kleidung zu wechseln. Einige ältere Damen, die neben der Pfarrerin standen, hielten die holde Braut mit freundlichen Worten zurück; da trat auch Erlau glückwünschend hinzu und sagte leise: »So ganz unrecht hatte ich also neulich doch nicht, als ich von dem Einfluß und der Erlaubnis eines gewissen Theologen sprach?«

»Sie sind ein arger Spötter und haben mir damals eine traurige Stunde bereitet!« entgegnete ihm Jenny und mußte dann der Pfarrerin erzählen, was Erlaus Worte zu bedeuten hätten.

Den Zeitraum benutzte der Maler, Reinhard in seiner gewohnten Art zu gratulieren. »Dir, du Mann Gottes, hat es der Herr wahrhaftig im Schlafe gegeben«, sagte er. »Da setzt sich der Mensch hin und langweilt das arme Kind zwei Jahre lang mit alten, unnützen Geschichten, nach denen kein Hahn mehr kräht, und hat gewiß wacker auf den gottlosen Paris geschimpft, der die Helena entführte und den braven Menelaus mit langer Nase stehenließ. Nun aber, ehe man sich's versieht, hat er selbst die Schönste am Arme, geht mit ihr davon und läßt uns à la Menelaus zurück. Ich glaube, auch meine Nase muß sich in diesem kritischen Moment ein wenig verlängern und Steinheims und des armen Josephs Riechwerkzeuge wachsen gigantisch. – Halt, glückseliger Bräutigam«, fuhr er fort, als Reinhard davongehen wollte, »so kommst du mir nicht los! Daß du mich neulich veranlaßt hast, dem schönen Mädchen eine traurige Stunde zu machen, das mag dir Gott vergeben! Und künftig machst du den Templer, wenn Jenny es will, du seltener Tugendritter! – Mit der Keuschheit und der Armut wird's nun bald ein Ende haben, wie der feurige Brillant an deiner Brust, den ich jetzt erst bemerke, und deine noch feurigern Blicke mir deutlich beweisen; aber das dritte Gelübde – Gehorsam, dazu kann Rat werden. Ich wünsche Dir nur so viel Geduld, als du Glück hast! Denn das Kommandieren und Wollen verstehen Fräulein Jenny und Papa Meier aus dem Fundament. Hätten sie mir nur befohlen, dich zu allen Teufeln zu jagen und statt deiner die holde Rose von Saron zu freien, du hättest sehen sollen, ob ich's nicht getan hätte!«

Ohne auf Reinhards Ungeduld zu achten, drehte sich der Wildfang dann plötzlich zu Jenny und sagte: »Auf mein Wort, Fräulein! Wenn Reinhard nicht der beste Gatte wird, ist's seine Schuld. Ich habe ihm seine Pflichten strenge vorgehalten und verlange zum Lohn nur die Gunst, die künftige Frau Pfarrerin in diesem Kostüme malen zu dürfen, um den Pastor stets zu erinnern, daß er, so gescheit er ist, doch mehr Glück als Verstand hat.«

Mit diesen Worten eilte er lachend davon. Aber seine Rede ließ ein unangenehmes Gefühl in Reinhards Brust zurück, der es sich nicht verbergen konnte, wie man ihm den Besitz Jennys für ein nicht zu erwartendes Glück anrechne und sich allgemein darüber wundere.

*


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