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Des Vaters Tod veränderte die Lage der Familie noch um ein Wesentliches, denn was Samuel auch versuchte, das alte Willmar'sche Geschäft noch zu erhalten, es war jetzt vergebens. Wäre Willmar am Leben geblieben, so würde mancher Gläubiger noch länger Nachsicht geübt haben gegen den vieljährigen Geschäftsfreund und es würde gelungen sein, zu stützen und aufzurichten, was nun bei seinem plötzlichen Tode auch eben so plötzlich zusammenbrach.
Vergebens machte Samuel es geltend, daß er seit Jahren in dem Geschäfte gearbeitet, daß er Maßregeln getroffen und die Mittel in Händen habe, den Forderungen der dringlichsten Gläubiger gerecht zu werden, selbst die Wohlmeinenden wollten nun von keinem längeren Credite sprechen hören. Sie hielten ihm vor, daß in jedem Falle eine Schuldenmasse auf dem Geschäfte lasten bleibe, die zu tilgen oder durch viele Jahre zu verzinsen, seine Kräfte lähme, und daß es das einzig Vernünftige sei, den Concurs erklären zu lassen, um innerhalb desselben für die Familie zu retten, was zu retten wäre. Erst wenn man mit allen Gläubigern accordirt, wenn die Regulirung des alten Willmar'schen Geschäftes ganz erfolgt sei, könne Samuel daran denken, ein neues, unter der alten Firma, mit Aussicht auf Erfolg zu etabliren, und so wenigstens in diesem Punkte, dem Willen des Geschiedenen nachzukommen.
Diesen richtigen Vorstellungen mußte Samuel Folge geben. Er arbeitete mit eisernem Fleiße, er that, was er vermochte. Das Concursverfahren wurde in einem Vierteljahre beendet, aber das kleine Kapital, welches für die Frauen aus demselben übrig blieb, reichte bei Weitem nicht hin, ihnen auch nur ein bescheidenes Auskommen zu bereiten.
Sie waren nach dem Begräbniß zu Samuel's Vater auf das Land gegangen, weil sie in jenem Augenblicke an die Uebersiedlung nach Berlin nicht denken mochten. Wortkarg in der Stunde, da sie das Sterbehaus verlassen, fühlte Samuel sich noch mehr gepreßt, als er sie in seinem Vaterhause wiedersehen mußte, ihnen zu verkünden, wie beschränkt ihre Mittel für die Zukunft sein würden.
Drei kurze Monate des Grames hatten hingereicht, Frau Willmar, die noch eine hübsche Frau gewesen war, in eine Matrone zu verwandeln, und den letzten Rest der Jugendfrische von Adelens Wangen abzustreifen. Samuel konnte nicht ohne inneren Jammer das schnell ergraute Haar der Mutter, die eingefallenen Züge der Tochter sehen. Er hätte helfen mögen und war doch selber arm. Nur sich und seine Kraft und seinen festen Willen hatte er ihnen darzubieten, hätte Adele sich diesen anvertrauen wollen; aber er fühlte es an jedem Worte ihrer Dankbarkeit, daß sie ihm eben Nichts als Dankbarkeit zu geben habe, während sie ihm immer theurer wurde, wenn er die Selbstverläugnung gewahrte, mit der sie sich und ihren Kummer zu vergessen strebte, um der Mutter ein Trost und eine Stütze zu werden.
Adele war der Meinung, das kleine ihnen übrig gebliebene Vermögen dem Vetter zur Begründung seines eigenen Geschäftes anzuvertrauen. Es schien ihr dies die unerläßlichste Pflicht der Vergeltung für die Jahre voll Arbeit, welche er dem Hause geopfert; aber Frau Willmar, durch ein vor langen Jahren gemachtes Testament ihres Mannes zur alleinigen Erbin gesetzt, wollte von diesem Vorschlage Nichts wissen. Sie hatte früher die Nothwendigkeit des Verkaufs der Grundstücke vielfach eingeräumt, jetzt betrachtete sie denselben als die Ursache von Willmar's Tode, als die Ursache vom Untergange des Geschäftes; und trotz aller Gegenvorstellungen ihrer Tochter, beharrte sie bei dem Vorsatz, ihr letztes Habe selbst zu verwalten, und es in keinem Falle den kaufmännischen Unternehmungen eines Mannes zu überlassen, dessen gewaltsame Handlungen sie zu ihrem Nachtheil kennen gelernt zu haben meinte.
Samuel, so bescheiden und selbstlos er auch war, konnte dies kränkende Mißtrauen, diesen ungerechten Vorwurf nicht verschmerzen. Er hatte nicht darauf gerechnet, das Erbe der Frauen in sein Geschäft zu ziehen, aber es war ihm eine Herzens – und Ehrensache gewesen, das Schwergerettete für sie zu verwehrten. Er beklagte sich nicht über Frau Willmar, er suchte Adele sogar zu beruhigen über das Unrecht, das ihm geschah, aber wo er schwieg, da sprach sein alter Vater. Mit dürren Worten hielt er es Frau Willmar vor, welche Opfer sein Sohn ihr gebracht, mit welchem schnöden Undank sie ihm lohnte. Samuel mußte sich versöhnend zwischen sie stellen, indeß das gute Vernehmen zwischen dem greisen Wirth und seinen Gästen war einmal gestört, und so fest Samuel darauf gebaut, den Frauen für den Rest des Sommers eine stille Zuflucht bei seinem Vater gesichert zu haben, trennte man sich, gegen einander verstimmt, nun schnell und plötzlich. Samuel ging nach seinem Wohnorte zurück, die Vorkehrungen für sein eignes Etablissement zu treffen, und Frau Willmar und Adele wendeten sich nach Berlin.
Es war im hohen Sommer, als sie dort hingelangten. Beide waren völlig fremd in der großen Stadt, Beide hatten niemals in einem so großen Orte gelebt, aber noch von des Vaters und des Großvaters Zeiten her, besaß die Familie mancherlei Verbindungen in der Residenz, und so oft man früher einer Reise nach Berlin gedacht, hatte man sich dieser Freunde erinnert, um sich von ihnen Theilnahme und Förderung zu versprechen.
An eine gewisse Geltung und ein dadurch bedingtes Auftreten in der Heimath gewöhnt, hatten sie sich nach angesehenen Gasthöfen erkundigt, und waren nach einem der großen Hotels der Friedrichsstadt gewiesen worden. Indeß so eifrig die elegante Dienerschaft beim Klingeln des Portiers zum Wagen eile, so schnell dieser Eifer nach, als man zwei Damen in einfacher Trauerkleidung fast ohne Reisepack aus dem Wagen hervorgehen sah. Ein lässiger Kellner führte sie drei Stiegen hinauf in ein einziges Hinterstübchen, der Hausknecht stellte den Koffer und die beiden Nachtsäcke auf den Boden, und da saßen sie nun, müde und erhitzt von der ungewohnten Nachtfahrt, vor sich die hohen Mauern eines Hinterhauses, ohne einen Strahl von Sonne, ohne einen Menschen, der sie willkommen geheißen hätte in der neuerwählten Heimath.
Man muß mit den Mitteln der Wohlhabenheit reisen und des Reisens sehr gewohnt sein, um die Ankunft in einem Hotel und in einem fremden Orte nicht höchst unbehaglich zu finden. Die beiden Frauen fühlten sich auch bedrückt davon, indeß Adele hatte es zu häufig sagen hören, daß der einfache Reisende in den großen Gasthöfen nicht sonderlich beachtet werde, um sich dadurch gleich entmuthigen zu lassen. Sie war mit dem festen Vorsatze nach Berlin gegangen, allen Widerwärtigkeiten muthig zu stehen, und sich und der Mutter durchzuhelfen um jeden Preis. Nun war sie da, und schnell entschlossen, wollte sie gleich den Anfang machen, indem sie sich und der Mutter die Stellung hier im Hause sicherte, die ihnen zukam. Sie schellte, ein Kellner erschien, sie forderte den Oberkellner selbst zu sprechen.
Dieser ließ lange warten, ehe er sich in das dritte Stockwerk hinauf bemühte, und trat dann mit der Frage in das Zimmer, ob den Damen Etwas fehle?
»Können Sie mir sagen, wo Graf Reinthal wohnt?« fragte Adele.
»Reinthal? Graf Reinthal?« wiederholte der Kellner, »soll das vielleicht der alte Gesandte sein?«
»Eben der! es ist ein Freund von uns!« bestätigte sie mit sicherem Tone.
Der Kellner sah sie verwundert an. »Der ist ja schon auf seinen Gütern vor Jahr und Tag gestorben!« antwortete er.
»Mein Gott!« rief die Mutter, »und das haben wir nicht erfahren. Woran starb er denn? Er kann nicht alt gewesen sein! Er war nur wenig älter als der Vater!«
»Das weiß ich nicht, Madame! Haben Sie sonst noch Etwas zu befehlen?«
»Ja!« sagte Adele schnell, denn sie sah, daß der Kellner nach dem Thürdrücker griff, »ich möchte die Wohnung der Medicinalräthin Hernthal wissen?«
»Die wohnt hier nebenan! aber sie muß wohl auf Jahr und Tag verreist sein, denn sie hat das Haus an eine sächsische Herrschaft vermiethet, die wir hier vorigen Winter im Hotel gehabt haben. –»Befehlen Sie noch Etwas?« fragte er wieder mit der Bewegung des Davongehens.
»Wir haben hier viele Bekannte und Empfehlungen,« fuhr Adele fort, »aber wir wissen die Wohnungen nicht genau, ich habe mir die Liste unserer nothwendigsten Visiten gemacht, wollen Sie mir vielleicht – –«
»Den Lohndiener schicken?« unterbrach sie der Kellner mit wachsender Ungeduld.
»Nein!« rief Adele, denn man hatte sie eigens davor gewarnt, einen Lohndiener anzunehmen, »nein! ich wollte Sie nur bitten, mir aufzuschreiben – –«
»Aufschreiben? Das können Sie ja selber im Adreßbuch finden!« sagte der Kellner in unverschämtem Tone, und eilte davon, kaum noch Adelens Bitte beachtend, ihr also das Adreßbuch hinaufzusenden.
Die Mutter seufzte, als der Diener fort war, Adele lachte.
»Das wußten wir ja!« tröstete sie, »das hatte man uns ja Alles vorhergesagt. Solche erste Stunden sind immer unbehaglich, aber Du wirst sehen, schon heute Abend wird's ganz anders sein. Holting muß ja hier sein, und der kommt gleich, so wie er nur von unserer Ankunft hört!«
Die Mutter ließ sich beschwichtigen, man nahm ein kleines Frühstück ein, Adele schrieb sich den Auszug aus dem Wohnungsanzeiger, kaufte einen Plan von Berlin, zeichnete sich Wege und Straßen an, und machte sich auf den Weg.
Des Sommers trockne Oede lagerte über der Stadt, die Sonne brannte auf das Pflaster hernieder und strahlte blendend von den Mauern der langen Häuserreihen zurück. Wohin Adele sah, war Alles ihr fremd, Alles ihr überraschend, und gemacht, sie zu fesseln oder zu verwirren. Aber sie wollte sich durch Nichts zerstreuen, durch Nichts aufhalten lassen, um so bald als möglich einen Bekannten zu treffen, und mit einem befreundeten Menschen vor die Mutter hintreten zu können Man hatte es ihr beim Abschiede vielfach vorgehalten, daß sie eine Träumerin sei, daß sie sich nicht im praktischen Leben zurecht finden werde, für das die Fähigkeit ihr fehle. Jetzt wollte sie beweisen, daß die Liebe in ihr jede andere Fähigkeit zu ersetzen, und daß ein fester, ehrlicher Wille Jahre der Versäumniß nachzuholen vermöge. Sie fühlte es wohl, daß sie hier allein sei, daß Niemand sich um sie kümmere, indeß sie empfand es nur als eine Aufforderung, sich nun ruhig auf sich selber zu verlassen.
Sie war ganz stolz, als sie in einem der entlegenen Stadttheile die Klingel an der Wohnung des Geheimraths Wildner zog. Es freute sie, den Weg allein zurückgelegt, das Haus gefunden zu haben; aber der Geheimrath war verreist. Sie fragte den alten Diener, wann der Herr zurück erwartet würde? Er wußte es nicht anzugeben. Ob seine Schwester in der Stadt sei? Der Diener verneinte es, und fügte hinzu: »Sie werden jetzt schwerlich bei irgend Jemand ankommen können; im Sommer da geht Alles weg, wer nicht muß, der bleibt nicht in Berlin.«
Und er hatte Recht damit, denn wohin Adele kam, fand sie die Leute nicht zu Hause. Alles war auf dem Lande, auf Reisen, in den Bädern. Ein Buchhändler, mit dem ihr Vater früher in Verbindung gestanden, war der Erste, den sie antraf. Sie suchte ihn in seinem Geschäftslocale auf, man führte sie in ein Cabinet, das an den Laden stieß.
Der Buchhändler war ein Mann bei Jahren, und er war kurzsichtig geworden. Es dauerte eine Weile, ehe er seine Brille fand und aufsetzte, und da er mit Niemand sprach, den er nicht deutlich sehen konnte, ließ er Adele ruhig warten. Es kam ihr lange vor, denn sie war viel umhergegangen und war müde. Endlich, als die Brille ihm bequem auf seiner Nase saß, trat er ihr ein Paar Schritte entgegen und gab ihr seine Hand.
»Willkommen in Berlin!« sagte er freundlich, indem er sie zum Sitzen nöthigte, »obschon ich weiß, daß nichts Gutes Sie hierher geführt hat. Sie sind in Trauer, Ihr Herr Vater ist todt, es ist zum Konkurse gekommen, ich hab's auch zu empfinden gehabt! Und nun will der junge Mensch den alten Kredit eröffnet haben. Hat er denn selber Etwas?«
Adele sagte, daß Samuel ohne Vermögen sei, und rühmte mit Wärme seinen Charakter.
»Er heißt ja auch Willmar! Es ist ein naher Verwandter! Er ist noch jung!« fuhr der Buchhändler fort, indem er, wie es seine Art war, seine Fragen immer in die Form von Behauptungen kleidete.
»Er ist ein Vetter meines Vaters, und wenn Rechtlichkeit und – –«
»Rechtlichkeit!« wiederholte der Buchhändler, »rechtlich, das war der selige Papa gewiß! ein Ehrenmann, aber kein Geschäftsmann! Ich hab's empfinden müssen! Umsicht! Schnelligkeit! Das ist's! Immer auf dem Platze! Immer wissen, woher der Wind kommt! Sehen Sie, mit meinen vier und sechszig Jahren können Sie mich von früh bis spät hier im Locale finden. Der Papa war ein Gefühlsmensch, das führt zu Nichts. Der Vetter hat auch Frau und Kinder –«
»Nein!« unterbrach ihn Adele, der jeder Tadel gegen ihren armen verstorbenen Vater schwer zu Herzen ging, und die also froh war die Unterhaltung von ihm abzulenken, »mein Cousin ist unverheirathet!«
»So! So! –« sagte der Buchhändler gedehnt, »also ein Schwiegersohn inspe! das war's! das war vernünftig. Und Sie wollen nun hier warten, bis zur Hochzeit! ist vernünftig! Eine Braut ist auch ein Hemmniß bei der Arbeit.«
»Ich bin nicht die Braut meines Vetters!« sagte Adele, der die Unterredung immer quälender wurde.
»Nun, was nicht ist, kann werden!« lachte der alte Herr. »So Etwas macht sich schon, und ein Paar tausend Thaler müssen Ihnen ja geblieben sein, denn wir haben ja Alle tüchtige Opfer gebracht für den alten, guten Collegen.«
»Glauben Sie mir,« rief Adele, der die Röthe der Scham und des Schmerzes die Stirne färbte, »daß Nichts in der Welt mich hätte bewegen können, von irgend einem Gläubiger meines Vaters ein Opfer anzunehmen, stände ich allein; aber meine Mutter – –«
»Still! still! Sie müssen sich so Etwas nicht allzu nahe gehen lassen, das ist Handel und Wandel!« sagte der Buchhändler, der ein Mann von bestem Herzen und im Grunde großmüthig war, wenn er dem Kaufmann in sich erst Genüge gethan hatte. »Was wollen Sie denn hier beginnen?«
Adele faßte sich schnell, und sagte, sie wolle versuchen Unterricht im Zeichnen und in fremden Sprachen zu ertheilen. »Hier? in Berlin? wo alle die jungen Maler Nichts zu beißen und zu brocken haben, wo Leute von allen Nationen sitzen, mit Empfehlungen von aller Welt Enden und auf Schüler für fremde Sprachen lauern? Liebes Fräulein! das schlagen Sie sich um Gottes Willen aus dem Sinne, das ist ein unglücklicher Gedanke. Folgen Sie mir. Ihre Mutter muß ja zu leben haben, so viel muß ja geblieben sein, man kann sich billig hier einrichten! Meine Frau ist eine vortreffliche Wirthin, die wird Ihnen Alles angeben, und Sie – wenn Sie mir folgen, so suchen Sie eine Stelle als Bonne, als Gouvernante, bis der Cousin eben so weit ist, und um Ihretwillen, um meines alten Geschäftsfreundes willen, werde ich sehen, was sich dorten machen läßt! ich werde sehen!«
Er sah aber in diesem Augenblicke nur nach seiner Uhr, und das in einer Weise, die Adele zum Aufstehen nöthigte. Sie mußte ihn bei seinem Glauben lassen, daß sie die Braut des Vetters sei, denn zu Gegenreden gönnte er den Personen, mit denen er sprach, niemals die Zeit. Er war immer eilig, hielt sich auch stets für wohl orientirt, wenn er seine Behauptungen ausgesprochen, und aus diesen seine Folgerungen gezogen hatte. Es fiel Adelen unmöglich ihm zu sagen, daß ihre Mutter keineswegs die Mittel zu einem Auskommen besäße, und Alles, was sie aus seinen Worten Tröstliches entnehmen konnte, war das Versprechen, daß seine Gattin ihnen bei der ersten Einrichtung behülflich sein wolle. Sie fragte, ob sie sie besuchen und wann sie ihr gelegen kommen dürfte?
»Meine Frau ist auf dem Lande, in Freienwalde, Sie wissen wohl, bei Neustadt!« sagte der Buchhändler. »Sie wird es sehr bedauern, grade jetzt nicht hier zu sein. Ich besitze dort ein kleines Haus, da bleibt sie mit den Töchtern immer bis in den halben October. Ich fahre selbst aber heute auf ein Paar Wochen hinaus! Sie sollten uns draußen einmal mit der Mutter besuchen. Es ist eine Partie von einem Tage, und mit ein Paar Thalern bequem gemacht. Ich käme gern zu Ihrer Frau Mutter, müßte ich nicht gleich zum Bahnhof. Aber in vierzehn Tagen, längstens in drei Wochen, bin ich zurück, dann wollen wir weiter davon reden!«
Er hatte sich während dieser Worte auf den Weg gemacht, und stand mit Adelen vor der Thür seines Hauses, vor der sein Wagen hielt. Sie empfahl sich ihm, und er wollte sie auch gehen lassen; mit einem Male schien er sich zu bedenken und sagte: »Warten Sie, wo wohnen Sie, ich werde Sie nach Hause fahren!«
Adele nahm das dankbar an. Sie war müde bis auf's Aeußerste, die Ruhe im Wagen stärkte sie, und es war doch ein Mensch neben ihr, der ihr den ersten Dienst geleistet, der ihr Rath, wenn auch nicht den erwünschten Rath gegeben hatte. Sie stieg ganz erheitert aus, als die prächtige Equipage vor dem Gasthofe hielt, und die Kellner, sich vor dem bekannten, reichen Manne ehrfurchtsvoll verneigten. Erst als sie die Mutter in der kleinen dunklen Stube sitzen sah, als diese sie fragte, was sie ausgerichtet habe, besann sie sich, daß Nichts geschehen, und Alles noch zu thun sei. Sie wollte der Mutter ihre Unterredung mit dem Buchhändler wiederholen, indeß sie fand nur zu bald, wie wenig diese Mittheilung geeignet sei, die Mutter aufzurichten, und war froh, als ein Klopfen an der Thür sie in der Erzählung unterbrach. Es war der Freund, dessen Kommen sie so zuversichtlich angekündigt, und dem sie geschrieben hatte, noch ehe sie ausgegangen war.
»Ich wußte, daß Sie kommen würden!« rief sie ihm entgegen, und beiden Frauen that die Herzlichkeit wohl, mit welcher Doctor Holting sie willkommen hieß.
Er war noch jung, ein Landsmann der Frauen und seit mehreren Jahren Mitarbeiter einer geachteten Zeitung in Berlin. So oft er in seine Vaterstadt zurückgekehrt, hatte er immer eine freundliche Aufnahme im Willmar'schen Hause gefunden, und er war es gewesen, der durch seine Schilderungen des Berliner Lebens beständig den Wunsch in Adele rege erhalten hatte, sich auch einmal in weiterem Kreise zu bewegen.
»Seit mehreren Wochen,« sagte er, »habe ich Ihre Ankunft erwartet, weil Fräulein Adele mir im Frühjahr schrieb, daß Sie zu Anfang Juni hier einzutreffen dächten. Ich hatte mich sogar ordentlich herausgearbeitet, um doch Etwas für Sie leben und Ihnen zu Etwas nützen zu können. Nun kommen Sie aber vier Wochen später, unser Redacteur, unsere tüchtigsten Kräfte sind verreist, und ich habe die ganze Zeitung auf den Schultern. Ich muß mich wegstehlen, wenn ich einen Menschen sehen will, und ich bin in Verzweiflung, aber ich kann Ihnen in diesem Augenblicke wirklich nicht den geringsten Dienst anbieten.«
Mutter und Tochter dankten ihm für seinen guten Willen, denn es leuchtete aus allen seinen Aeußerungen unverkennbar hervor, daß er es ehrlich meinte, und Adele fragte, ob er sie nicht an irgend einen verläßlichen Menschen weisen könnte, ihnen bei dem Miethen einer Wohnung und bei ihrer Einrichtung zu rathen.
Holting bedachte sich und sagte dann nach einer Weile: »Ich weiß wahrhaftig nicht, wen ich Ihnen empfehlen sollte. Es ist Alles auf dem Lande! und wären die Leute zu Hause, so wär's auch fast dasselbe. Liebe Freundinnen! Sie kennen die großen Städte nicht! Jeder für sich und Gott für Alle!«
»Das ist aber trostlos!« meinte die Mutter.
»Gar nicht!« entgegnete der junge Journalist, und sah sie mit seinen klaren Augen freundlich an. »Wer hier durchkommen will, der muß sich rühren und sich selber helfen. Es fragt freilich Niemand den Fremden: was fehlt Dir? was brauchst Du? – sondern man fragt: was bist Du? was hast Du für uns? Aber wer in einer großen Stadt den Menschen nur Etwas zu bieten hat, wer Etwas ist, der fühlt sich nirgend behaglicher als hier. Wer hat, dem wird gegeben!«
»Wer aber Nichts hat, wer einsam herkommt, wie wir Beide!« wendete die Mutter bedenklich ein.
»O!« rief Holting, »Sie werden nicht lange einsam bleiben. Ich führe Ihnen bald alle meine Freunde zu, und Fräulein Adele ist für diese Alle schon durch ihren Roman ein Gegenstand des Interesses. Daß er Hellwig so in Wuth versetzte, hat uns Alle für Ihre Fahne gewonnen, und es ist Ihnen auch wirklich durch seine Handlungsweise sehr großes Unrecht geschehen. Sie haben in der That ein ganz hübsches Talent, Sie müssen es nur cultiviren, Anschauungen, weiteren Blick gewinnen. – Sie können auf mich und auf alle meine Freunde zählen.«
Er glaubte Adelen damit die größte Ermuthigung bereitet zu haben, und war erstaunt, zu sehen, wie ihr Antlitz sich verdüsterte.
»Ich werde keinen Roman mehr drucken lassen!« sagte sie.
»Keinen Roman drucken lassen? Aber was haben Sie denn vor? was wollen Sie denn hier beginnen?« fragte der junge Schriftsteller ganz verwundert.
Adele sagte, daß sie gekommen sei, um Unterricht zu geben, und daß es auf das stillste Leben mit der Mutter abgesehen sei. Sie habe zu schmerzliche Erfahrungen gemacht, um nicht vor jedem neuen Eintritt in die Oeffentlichkeit zurückzuschrecken.
Holting versuchte diese Bedenken zu bekämpfen; indeß noch mitten in seinen Vorstellungen sprang er empor, als er die Glocke schlagen hörte. Er mußte eilen, auf das Redactionsbureau zu kommen, und entfernte sich mit dem Versprechen, seine Hauswirthin zu senden, die Frau eines Subalternbeamten, von der sie mehr Dienste und zweckmäßigeren Rath zu erwarten hätten, als von den vornehmen Leuten, auf die sie sich verlassen hatten.