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Fünftes Kapitel

Im Allgemeinen überwinden Frauen geistige Aufregungen leichter als der Mann, weil sie ihnen schneller unterworfen, und sie also mehr gewohnt sind. Für Samuel war der Vorgang des Abends ein nie dagewesenes Ereigniß. Er hatte nie eine Frau in der unverhüllten Leidenschaft ihres Herzens vor sich gesehen, nie zu einer Frau von Liebe gesprochen, am wenigsten war er sich bewußt gewesen, daß er Adele liebte, und er konnte nicht ohne Schrecken daran denken, wie ihm heute das Geständniß seiner Liebe so entschlüpft war.

Sein ganzes Leben war Mühe und Arbeit gewesen, sein Temperament ruhig, und Vernunft und Sittlichkeit hatten diese Ruhe noch erhöht. Früher, als er die theologische Laufbahn verfolgt, hatte er wohl bisweilen daran gedacht, daß er sich eine Frau nehmen werde, wenn er in einer guten Pfarre gelandet sein würde. Das Bild eines stillen, arbeitsamen Weibes, die Vorstellungen von einer recht ruhigen Häuslichkeit, deren regelmäßiger Gang seinen Studien zu Gute kommen sollte, hatten ihn hie und da erheitert, wenn er auf seiner Stube an hellen Sonntags – Nachmittagen umhergegangen war, die lange Pfeife im Munde, das Rauchgekräusel mit Muße betrachtend. Indeß die Aussicht hatte ihm keine übermäßige Freude, die Entbehrung keinen sonderlichen Schmerz verursacht, und als er in das Willmar'sche Geschäft getreten war, hatte er sich solchen Vorstellungen nicht mehr überlassen, denn er wußte, daß es jetzt kaum eine Familie zu ernähren, geschweige denn für zwei ein Auskommen zu bieten vermochte. Er hatte überhaupt die letzten beiden Jahre nicht viel an sich zu denken Zeit gehabt, und im Grunde niemals viel auf sein Empfinden Acht gegeben. Das wurde ihm klar, als er nun in nächtlicher Einsamkeit über die Erlebnisse des heutigen Tages nachsann. Er begriff nicht, wie es möglich sei, daß er Adele liebte, denn Alles, was sie that, hatte ihm von Anfang an mißfallen. Er hatte sich immer zwingen müssen, sie nicht zu tadeln. Nur hübsch hatte er sie gefunden, sehr hübsch! und gutmüthig, sehr gutmüthig! Aber das hieß doch nicht ein Mädchen lieben, wenn man es wohlgestalt und guten Herzens fand?

Er ging ärgerlich auf und nieder. Mit einem Male blieb er stehen, schlug sich vor die Stirn und sagte: »Samuel! Samuel! sei doch kein solcher Thor! – Mit drei und dreißig Jahren! und ein Frauenzimmer, das so verkehrt ist! das Romane drucken läßt!« – Da er sich gerade vor dem Pfeifentische befand, griff er nach einer Pfeife, stopfte sie und fing zu rauchen an. Das beruhigte ihn. Sein Schritt wurde langsamer, seine Gedankengänge kamen in das gewohnte Geleise; aber je ruhiger er wurde, desto räthselhafter kam er sich selber vor.

Die Cousine hatte er immer jeder Thorheit fähig gehalten, er hatte auch gewußt, daß sie Hellwig liebte, daß ihr Sinn nach Erregungen stand, daß sie und die Eltern in ihr ein dichterisches Genie erblickten; wie konnte es ihn also befremden, wenn er sie auf dem Wege sah, den sie jetzt eingeschlagen hatte? Ihre Erziehung hatte sie ja von jeder vernünftigen Rücksicht entwöhnt, sie bestärkt in ihrer Selbstverblendung. Die Eltern trugen ganz allein die Schuld, Adele konnte man im Grunde nur bedauern, und er bedauerte sie, von Herzen bedauerte er sie. Was sollte aus ihr werden? Sie hatte, wie die Sachen standen, und bei des Vaters phlegmatischen Eigensinn, der das Nothwendige verhinderte, auf Vermögen nicht zu rechnen, sie hatte nichts Ordentliches gelernt, das heißt Nichts, was sich im Haushalt für eine Familie verwerthen ließ, denn sie war nicht wirthlich, nicht sparsam, und eine Dichterin war sie nach Samuel's Meinung vollends nicht. Die Proben, welche er im Litteraturblatt gesehen, liefen auf lauter Unklarheiten und schwache Nachahmungen aus. Was sollte aus ihr werden? Aus dem armen, übelgeleiteten, übelberathenen Kinde, das von Herzen so gut, das im Grunde so gescheidt und auch so hübsch war.

Er hatte geglaubt, sich ganz von seinem früheren Ideengange zu entfernen, und plötzlich befand er sich auf dem Punkte, von dem er ausgegangen war. Das erschreckte ihn.

»Also doch!« – sagte er. »Also doch!« – Und damit beschloß er denn, die Sache als ein Factum anzusehen. Ja! er liebte Adele! und er war aus seinem Mitleide mit ihr in diese Liebe gefallen. Er liebte sie, das stand fest. Aber was nun weiter, da sie ihn nicht liebte.

»Es war vorauszusehen, ich habe einmal kein Glück!« dachte er, und wollte sich mit dem altgewohnten Loose trösten; indeß es that ihm doch viel weher als wohl sonst. Mit seiner Schwäche allein wäre er wohl fertig geworden, hätte er nicht ein Gefühl von Beschämung zu bekämpfen gehabt; denn Adele wußte um diese Schwäche, und morgen konnten Willmar und seine Fraun auch darum wissen. Wie sollte er vor ihnen erscheinen? Gleichgültig? Die Sache konnte das für Keinen von ihnen Allen sein. Gedemüthigt? Das verdiente er nicht, denn es war nicht Eigennutz, es war reines brüderliches Mitleid, das ihn zu Adele hingezogen hatte, und er konnte nicht dafür, daß es ohne sein Wissen und Willen sich in Liebe verwandelt hatte.

Am besten war es, er vermied es für's Erste ganz, den Hausgenossen zu begegnen. Die Michaelismesse war vor der Thür. Er sollte am Donnerstage nach Leipzig gehen. Jetzt war's Dienstag früh. Alles war für seine Reise vorbereitet, grade darum hatte er die Aufnahme in der Fabrik am vorigen Tage noch zu vollenden gewünscht; jetzt konnte er zu jeder Stunde fort. Er brauchte nur das Verlangen vorzuschützen, seinen Vater auf der Reise zu besuchen, um auf einem schicklichen Auswege das Haus gleich heute zu verlassen. Wußten Adelens Eltern dann auch schon, was zwischen ihm und ihrer Tochter vorgegangen, so war's doch eben mit einem kurzen Abschied abgethan, er gewann Zeit, sich die Sache innerlich zurecht zu legen, und Adele – Adele würde sie und ihn ja bald genug vergessen haben.

Als er den Entschluß gefaßt hatte, war es ihm leichter um's Herz. »Man muß doch Alles einmal erleben!« dachte er, »aber es ist nicht Alles angenehm, was man erlebt! Was thut's indeß! jede – –«

Seine Lampe knisterte schon eine ganze Weile, er hatte es gehört, ohne es zu beachten. Jetzt flammte sie noch einmal zuckend in die Höhe, knisterte noch einmal, es zitterte eine glühende Schnuppe am Dochte, dann fiel sie nieder und erlosch.

Samuel befand sich im Dunkeln. Er trat an's Fenster, öffnete die Laden; es schimmerte mit weißem, stumpfem Scheine in sein Fenster, der Tag brach an.

»Jede Nacht geht doch vorüber!« sagte er, als wäre es diese alltägliche Bemerkung gewesen, die er vorhin im Sinne gehabt hatte. Es war die erste Nacht, die er zwecklos durchwacht, wie er es nannte. Er machte sich einen Vorwurf daraus. Er brauchte seine gesunden Kräfte, es verdroß ihn, daß er sie verschwendet, und als die ersten Wagen in das Thor einfuhren, deren Rädergepolter er auf dem unebenen Pflaster hörte, legte er sich nieder und schlief fest und traumlos ein paar Stunden lang.

Als er dann an sein Geschäft ging, war es klar in seinem Sinne, aber er empfand eine Art von Leere, die er nie gekannt. Willmar begegnete ihm wie sonst, er wußte auch von Nichts, Adele hatte sich nur der Mutter mitgetheilt. Ueber Samuel's früheres Abreisen trafen die Männer schnell die nöthige Uebereinkunft, und um Mittag ging er, Frau Willmar Lebewohl zu sagen. Es kam ihm vor, als entfernte sich Adele, da er klopfte, das konnte ihm aber nur willkommen sein.

Die Mutter empfing ihn auf eine Weise, die ihm nicht nur seine Fassung, sondern eine Art von heiterer Laune gab. Sie war stets zuvorkommend gegen ihn, heute aber bestrebte sie sich offenbar, ihre ohnehin weiche Stimme noch weicher ertönen zu lassen. Es lag ein freudiges Mitleiden in ihrem Blicke und in ihrer Stimme. Er mußte fast lachen, als er sie hörte, als die Bezeichnung des freudigen Mitleidens in ihm auftauchte, aber er fand keine andere. Sie verstand es, die Unterhaltung so zu wenden, daß sie ihm von dem Vertrauen sprechen konnte, welches sie zu ihm hegte. Sie wisse, wie verläßlich er wäre und wie treu. Sie sagte, daß er aber auch in allen Fällen auf sie zählen könne, und bat ihn, er möge sich nur an sie wenden, wenn er bei ihrem Manne irgendwo auf Widerstand gegen seine geschäftlichen Ansichten stoßen sollte. Er könne wirklich überall und immerdar auf sie zählen! wiederholte sie ihm, als er sich dann entfernte, und obschon sich ihre ganze Unterredung nur auf das Geschäft bezogen, hatte Samuel doch herauszuhören gemeint, daß sie ihm auch auf anderen Bahnen nicht entgegentreten würde. Das wirkte auf seine Stimmung sonderbar zurück, als er sich's in der Ecke des Postwagens überlegte.

Er hatte sich Adele nie als Hausfrau, geschweige denn als seine Frau gedacht, und da er's that, schreckte er vor der Vorstellung zurück. Er mochte nicht der Mann einer Schriftstellerin werden, denn eine berühmte Frau kam ihm wie eine drückende Last, eine unbedeutende, vom Publikum nicht geachtete, von der Kritik getadelte Schriftstellerin, als das größte Unglück eines Mannes vor.

»Gott soll mich davor bewahren!« rief er aus, so daß der einzige, neben ihm sitzende Passagier ihn verwundert und lächelnd ansah.

»Bloß daran zu denken,« sagte sich Samuel, »macht einen vernünftigen Menschen schon lächerlich, wie ich eben merke. Sie müßte sich's aus dem Sinne schlagen, den litterarischen Beruf, und das wird sie nicht! das wird sie nicht! Also muß ich's mir aus dem Sinne schlagen! Fort mit dem tollen Einfall! Wie kam ich nur darauf! Was soll mir auch 'ne Frau! und nun vollends noch Adele!«

Er war entschieden, nicht mehr daran zu denken, aber grade die Festigkeit seines Nichtwollens bannte ihn an den Gedanken fest, und Alles, was er von sich erlangte, war eine Entsagung, die ihm wehe that.

Seine Geschäfte in Leipzig waren nicht der Art, ihn zu erheitern. Der Willmar'sche Verlag hatte nicht viel Glück gemacht, da die neueren Werke, bei der Zurückgekommenheit der Handlung, nur von untergeordneten Verfassern ausgegangen waren, und die älteren, sonst viel benutzten Verlagsartikel für Schulen, durch bessere Schulbücher allmählich verdrängt zu werden begannen. Ein baarer Credit, mit dem man neue, große Unternehmungen hätte angreifen können, war nicht zu erlangen. Wollte man nicht schon bei diesem Jahresschluß in unabweisliche Verlegenheit gerathen und sich der Möglichkeit der Insolvenzerklärung aussetzen, so blieb eben nur der alte, viel besprochene Ausweg, die Papierfabrik und die xylographischen Anstalten so bald als möglich zu verkaufen, die Druckereien zu erweitern, sie zum Druck von fremden Verlagsartikeln einzurichten, und den eigenen Verlag für's Erste möglichst zu beschränken.


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