Gustav Leutelt
Schilderungen aus dem Isergebirge
Gustav Leutelt

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Winter.

Es erregt stets mein Bedauern, wenn mir nicht vergönnt ist, das Schauspiel des ersten winterlichen Schneefalles genießen zu können. Schlage ich morgens die Augen auf und liegt statt der Düsterheit der Novemberfrühe ein ungewohnt bleicher Schein auf Decke und Wänden des Schlafzimmers, so bringt mir der Tag bereits die erste Enttäuschung entgegen; denn es ist nachtsüber Schnee gefallen, und die Eile, in der ich hierauf das Bett verlasse und dem Fenster zustrebe, ist nur von der schwachen Hoffnung hervorgerufen, noch ein Restchen von dem Flockengewimmel zu erhaschen. Umsonst! – auch nicht das kleinste Flöckchen will mehr niederfallen; die Talhänge aber leuchten bereits im Gewande des Neuschnees.

Anders ist es, wenn tagsüber die graue Wolkendecke zuerst vereinzelte, dann immer dichter niedergehende Flocken herabschüttelt. Mit glückstrahlenden Mienen ruft die liebe 50 Jugend: »Es schneit! es schneit!« und auch die Erwachsenen treten ans Fenster, um in das Gewirbel hinauszublicken. Die bislang so dunkel hinstehenden Wälder scheinen bald mit einem leichten Grau überzogen, als ob ein Rauch in ihrem Genadel haften geblieben sei. Dann, wie die Oberseite der Äste sich mehr und mehr in Schnee hüllt, entsteht auf der dunklen Fläche ein Durcheinander von abwärts geneigten, wagrechten und aufwärts zielenden, weißen Strichlein. Die fahlen Wiesenflächen verschwinden unter der weißen Decke; nur die längsten der stehen gebliebenen Grashalme ragen noch aus ihr empor und hier und da unterbricht die dunkle Stirn eines Steinblockes das allgemeine Weiß. Und immer dichter fallen die Flocken, das Gestrüpp füllt sich mit ihnen und jeder Pfahl und jede Steinsäule an den Straßen erhält eine weiße Haube, und siehe – der Winter ist da.

Wann ist der Erstschnee zu erwarten? Der Gebirgsbewohner weiß Antwort ans die Frage:

»Zu Kath'rn (Katharina)
Tut d'r Schnie flatt'rn,
Zu Andries (Andreas)
Kömmt a gewieß.«

Dem Isergebirgler ist es wohl gleichgültig, ob der Winter tags- oder nachtsüber seinen Einzug hält; aber auch er unterscheidet eine doppelte Einwinterung, und zwar eine trockene und eine nasse. Ist der Spätherbst nämlich frostreich, so friert das viele Naß des Erdbodens bis in ziemliche Tiefe hinab zu Eis und wird somit gebunden. Die rieselnden Wasserfädlein des Waldgrundes versiegen und die ehedem gefüllten Bachbette zeigen täglich geringere Wassermengen. Ein folgender, trockener Schneefall, bei dem kleinflockige, dicht niedergehende Massen herabgeschüttet werden, vollendet jene trockene Einwinterung, die von dem Gebirgsbewohner, der 51 auf Ausnützung von Wasserkräften angewiesen ist, geradezu gefürchtet wird. In solchen Wintern beginnt in den Schleifstuben das »Parten« (in Partien schleifen), weil die Wasserkräfte nicht mehr hinreichen, um allen den schwirrenden Schleifsteinen die nötige Geschwindigkeit zu verleihen.

Fällt zur Spätherbstzeit ausgiebiger Regen, so saugt der Waldboden die überschüssige Feuchte an sich. Aus den Maulwurfslöchern der Hangwiesen strömt esSolche zeitweilige Wiesenquellen werden im Isergebirge »Suhrgallen« genannt. und von den Wehren des Bachbettes herauf dröhnt der Donner der stürzenden Hochwasser, die schäumend und trüb gefärbt dahinjagen. Alles trieft vor Nässe und der großflockige, wässrige Erstschnee hat – zumindest in den Tälern – Mühe, sich zu behaupten. Ist im weiteren Verlaufe der Dinge die Schneedecke zu hinreichender Mächtigkeit gediehen, so kann der strengste Frost keine Bindung der Erdfeuchte mehr bewirken, und die Bäche führen auch wintersüber reichliche Wassermengen. Solch eine nasse Einwinterung ist begreiflicherweise den zahlreichen Wasserwerken hochwillkommen.

Neben der unterschiedlichen Einkehr des Winters hat der Isergebirgler seine Aufmerksamkeit auch den Arten des Schneefalles zugewendet. Drastisch, wie immer, bezeichnet er sie. Da »flammelt« es heute nur so und morgen »spreet's«, während es hinwiederum eines anderen Tages »sackt«, was herunter kann, oder es »stöbert«, daß es nur so eine Art hat. An den Bewohnern einer Schneegegend ist solch ein Unterscheidungsvermögen just nicht erstaunlich zu nennen; aber es deutet doch auf liebevolle Beobachtung der Natur hin. Noch heute denke ich jenes alten Holzhauers, der es gar so lustig fand, in das Schneegestöber emporzuschauen. Es machte dem Manne ein Vergnügen, die weißen Flocken 52 aus dem Grau des Himmels hervortanzen zu sehen. Nach solchen und ähnlichen Erfahrungen wird man in absprechenden Äußerungen über das Gemütsleben auch der untersten Volksschichten recht vorsichtig.

Sobald das reine Weiß allenthalben von den Hängen niederleuchtet, will es uns scheinen, als sei in die Gegend etwas Ernsthaftes, Feierliches gekommen. Die fleckenlose Reinheit des Schnees hat dabei etwas so Keusches an sich, daß feiner empfindende Naturen sich förmlich angewidert fühlen, wenn der Schnee in der Umgebung der Häuser durch allerlei Abfälle des Haushaltes verunreinigt wird. Die Pracht auch nur annähernd zu schildern, die ein Wintersonnentag über die frischbeschneiten Hänge ausgießt, ist unmöglich. Von dem rosigen Schimmer, den die aufgehende Sonne über die weißen Flächen zaubert, bis zum schmerzhaft scharfen Schneeglanze der Mittagsstunden, vor dem die Augen sich unwillkürlich zur Hälfte schließen müssen und dem Widerscheine des Abendrotes, sowie jenen bleichen, bleifarbenen Lichtern, die zur Dämmerungszeit über die Schneefläche huschen, ist feenhafte Pracht und Herrlichkeit überall ausgegossen, und wird der Frost erst zum Mithelfer, und streut er seine Eiskristalle über die Hänge, so scheinen diese frühmorgens mit leuchtenden Brillanten besät.

Ist der Erstwinter auch bei jung und alt wohl gelitten, so sieht doch niemand im Gebirge dem ersten Schneefalle so sehnsüchtig entgegen, als der »Holzrücker«. Dieser hat auf der Herbstversteigerung einen bestimmten Posten geschlagenen Holzes zur winterlichen Talbeförderung übernommen und wünscht begreiflicherweise je eher, je lieber, seinen unentbehrlichen Mithelfer, den Schnee, herbei, der die Unebenheiten des Waldbodens ausgleicht und die Verwendung des leichtgleitenden Schlittens ermöglicht. Die Holzfahrer scheiden sich in 53 Fuhrleute, die Pferde als Zugtiere benützen, und in die eigentlichen Holzrücker, die sich selbst vor ihren Handschlitten spannen müssen, und deren Zahl sich größtenteils aus den Holzschlägern rekrutiert, die sommersüber in den Wäldern Beschäftigung finden. Im Morgengrauen ziehen sie hinaus auf die verschneiten Schläge, wo die Holzstöße oft tief unter der weißen Decke vergraben sind, so daß in besonders schneereichen Wintern mit langen Stangen nach ihnen gesucht werden muß. Da die Fahrbahnen fast immer sehr abschüssig sind, so werden vor der Talfahrt eine Anzahl Holzscheite (Hunde) an die beladenen Schlitten gehängt, um im Nachschleifen hemmend zu wirken, oder es wird auch ein »Unterwurf« (Hemmkette) unter die Kufen gelegt. Die angeketteten »Hunde« vertiefen die Fahrbahn bald zu einer Rinne, die gegenseitiges Ausweichen der Fahrzeuge zur Unmöglichkeit macht. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß die Holzrücker eine genaue Fahrordnung einhalten müssen, so daß zum Beispiel kein beladener Schlitten talwärts geht, wenn ein leeres Gefährt noch im Aufwärtsklimmen begriffen ist. Wer jemals gesehen hat, mit welcher Schnelligkeit die beladenen Schlitten in den vielen Krümmungen der Fahrbahn hinuntersausen, der begreift die unbedingte Notwendigkeit dieser Maßregel. Unfälle kommen bei dem Holzfahren verhältnismäßig selten vor, da die starken, behenden Gesellen die drohenden Gefahren gut abzuschätzen und zu vermeiden wissen. In den Abendstunden bewegen sich ganze Karawanen von Schlittengefährten heimwärts, in denen durch seine absonderliche Form der »Krüppl« auffällt. Letzterer, ebenso stark wie ein großer Fuhrschlitten gebaut, ist jedoch unverhältnismäßig kürzer als ein solcher und wird zum Schleppen von Langhölzern verwendet. Ist der Krüppl unbeladen, so muß seine lange Deichsel zurückgelegt werden, damit er im Gleichgewichte verbleibt. Den 54 Fuhrknecht gewahrt man gewöhnlich in malerischer Haltung an die Deichsel gelehnt, indes seine Füße auf einer der Schlittenkufen platzgenommen haben. Kette, Hebebaum und der halbgeleerte Futtersack ruhen in friedlicher Eintracht neben ihm, während er sein Pfeifchen hervorholt, es umständlich stopft und entzündet. Darauf zieht er die alten, mit mannigfachen Flecken benähten Fausthandschuhe über die schwieligen Hände und nun geht es unter abwechselndem »hott« und »hüh« so rasch vorwärts, als der alte Klepper nur laufen mag, indessen die von der kräftigen Holzknechtlunge hervorgestoßenen Rauchwolken rückwärts flattern wie zergehendes Nebelwerk vor dem Sturme. 55

Die Kinder holen beim Eintritte des Winters eiligst ihre »Schleifen« und Schlittchen vom Dachboden, um sodann unter Freudengeschrei die steilsten Hänge hinabzurutschen. Neuerdings sind auch »Schneeschuh« und »Rennwolf« im Isergebirge heimisch geworden und überall sieht man infolge dessen die weiße Schneedecke der Hänge durch die Spuren der Fahrenden geschrammt. Die langen Winterabende über ist auch die Jugend meist zur Seßhaftigkeit verurteilt, und der Sitz hinter dem Ecktische wird manchem Büblein zur Marterbank, wenn es in den Füßen vor lauter Bewegungslust krabbelt, während die Fingerlein farbige Glasperlen an Fäden reihen müssen. Die Erwachsenen feilen unterdessen die blitzenden kleinen Kügelchen ab und das Geräusch der ritzenden Stahlfeilen durchgeistert die Stube wie Heimchengezirp: Sssi, sssi – frrr, frrr – knick! und die gelöste Perle rollt in den Schoß hinab zu den Genossinnen. Währenddem erzählt Großmütterlein heimatliche Sagen vom Nachtjäger und vom Drachen, vom Totenglöcklein und von der alten »Mahds-Threse«, die den Tod beschwören konnte, und ihre Stimme klingt fast zu traut für alle die gruseligen Sachen. Sssi, sssi – frrr, frrr, geht es zwischendurch und die Lichtfünkchen auf all' dem Perlentand werfen Reflexe selbst in die düsterste Stubenecke, so daß ein seltsam zitterndes Huschen an den Wänden ist, als ob Irrwische einander deckauf, deckab jagen würden. Sssi, sssi – frrr, frrr – knick! – Da, während die Hausfrau kurze Zeit abwesend ist, öffnet sich leise die Tür und es kollert und poltert ein Etwas herein, das aber bei den Kindern eher alles andere, denn Schreck hervorruft. »Das Christkindl hat eingeschmissen!« rufen die Kleinen jubelnd und purzeln mehr, als sie laufen hinter den Äpfeln und Nüssen her, die ihnen so unverhofft beschert worden sind. Und wenn dann die Mutter nach einer verdächtig langen Pause wieder erscheint, so 56 vernimmt sie höchlichst erstaunt, was Prächtiges während ihrer Abwesenheit geschehen ist. Großmütterlein ist nun abgetan mit ihren Geschichten und der Jubel der Kinderwelt läßt sich nicht eher eindämmen, bis der Hausvater die Pfeife ins Fenstereck lehnt und Schlafenszeit ansagt. Und wenn dann die Lampe verlöscht ist und der Traumgott sich auf die jungen Augen gesenkt hat, so tönt es wieder durch die Stube: sssi, sssi – frrr, frrr; der Nachtjäger schaut zum Fenster herein und der Drache steckt im Ofenloch und sprüht Funken in die Stube, so daß die Kleinen hell aufschreien und vom Mütterlein mit linden Worten wieder beruhigt werden müssen; und dann steht plötzlich ein deckenhoher Christbaum im Zimmer mit einem großen, goldenen Stern obenauf und die kleinen Hausgeisterchen sind eifrig bemüht, ihn zu schmücken. Ja, ja! so ein langweiliger Winterabend! . . . .

– Tannenduft und Wachsgeruch durchwehen die Räume des Hauses; der Lichtglanz des Wunderbaumes leuchtet hinein in die Herzen der Menschen und strahlt wider aus ihren Augen: Weihnacht ist da. Der »heilige Abend« vereint die Familie bei einem Mahle, das altem Gebrauche zufolge aus Pilzsuppe, Hirse und Mohnmilch bestehen muß. Nach dem Essen wird ein Spielchen gemacht, bei dem Nüsse den Einsatz bilden, oder man unterhält sich in anderer Weise, bis die Stunde der »Christnacht« herannaht. In der Kirche prangt der große Luster in blendendem Lichtglanze. Hell strahlen die Kerzen der Altäre, es flimmern die Wachsstöcklein der Andächtigen und die Lichter der Musikerempore machen die Zinnpfeifen der alten Orgel wie pures Silber erglänzen. Sanft beginnt es zu tönen. Zarte Hirtenmelodien leiten hinüber zu jenem Liede, das gesungen wird, so weit die deutsche Zunge klingt:

Stille Nacht, heilige Nacht . . . . 57

Die alten Gebräuche des »Christkindlmachens« und »Dreikönigsingens« nehmen mehr und mehr ab. In einigen Gegenden des Gebirges ist noch der Glaube verbreitet, daß in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Christmeß-Läuten die Toten ihre Christnacht feiern. Neugierige, die sich zu jener Zeit in die Kirche gewagt haben, seien geistig gestört wiedergekehrt und bald darauf gestorben. Wetterpropheten müssen die Zeit der »Zwölfnächte« im Auge behalten, die vom ersten Weihnachtsfeiertage bis zu Dreikönig reicht. Ebenso, wie das Wetter an diesen Tagen erscheint, wird es in den entsprechenden Monaten des neuen Jahres sich gestalten.

Lange bevor, ehe Falb seine Theorie der kritischen Tage veröffentlichte, wußte der Gebirgsbewohner bereits, daß zu bestimmten Zeiten Wetterstürze in Aussicht stehen. So spricht er von einem »Königssturz, Lichtmeß- und Fastnachtssturz« weil in den Tagen dieser Feste sich fast immer Schneestürme einzustellen pflegen. Solch ein »Stöberwetter« beginnt gewöhnlich in den Vormittagsstunden. Zuvörderst scheint es, als begännen die Berge zu rauchen, da der Wind dort oben den lockeren Schnee in die Lüfte entführt. Der Talbewohner sieht, wie die Wipfel der Hangwälder sich nach einer Richtung neigen und er vernimmt das immer stärker werdende Rauschen und Brausen ihres Geästes. Noch ist es im Tale ruhig und nur die spärlich niedertanzenden Flocken sind in Bewegung. Da stäubt die erste Schneewolke vom Dache, der bald eine zweite, dritte folgt und nun beginnt der Tanz. Wie eine weißgraue, vom Himmel herabhängende Wolkenwand rückt es heran und das Niedergehen der Flocken wird dichter. Letztere taumeln nicht mehr gleichsam schläfrig zu Boden, sondern schießen fast wagrecht durch die Luft und schmerzhaft empfindet die Haut des Gesichtes ihr Anprallen. Nun heult und pfeift es in den Lüften und bläst in den Schnee der Flächen, so 58 daß er sich aufbäumt und im tollen Wirbel dahinjagt. Und dann strömt es von unten nach oben, von oben nach unten, von der Seite zur Seite im rasenden Durcheinander. Die Dinge der Umgebung sind verschwunden; man sieht nichts als das weiße Wirbeln ringsum und hat in den Ohren das Dröhnen des Sturmes, der die Luft vom Munde entführt, so daß der Wanderer oft stehen bleiben und dem Drange den Rücken kehren muß, um etwas Atem zu erkämpfen. So dauert es oft tagelang, und der fliegende Schnee begräbt Fahrbahnen und Wege unter seiner Decke und häuft sich an den Fenstern, so daß kaum das geringe Tageslicht den Weg in die Stube findet. Und wenn dann die Nacht hereinbricht, der tobende Sturm das Haus erzittern macht und durch Schornsteine und Türfugen heult und pfeift, dann ist der warme Ofen ein prächtiger Geselle und wenn auch mitunter sein Feuer erschrocken zusammenzuckt vor dem Wüten der ungebändigten Luftmassen draußen, so hält er doch tapfer stand und brummt und prasselt nachher umso lebhafter. Der Vater erzählt von dem großen Schneesturme, der einmal war und der drei Tage dauerte. Des Nachbars Holzscheuer hatte er umgestürzt und gar manche Hausdächer unter der Menge des Schnees eingedrückt; auch Menschenleben waren zugrunde gegangen. Die Kleinen fürchten sich ein wenig und schrecken bei jedem stärkeren Knacken des Gebälkes zusammen. Es ist ihnen aus der Seele gesprochen, als der Hausvater, der vor dem Zubettgehen noch einmal im Freien ausgeschaut hat, so hinwirft, daß die Kinder morgen wohl nicht in die Schule gehen können, da keine »Stufe Bahn« mehr zu sehen sei.

Ist solch ein Wetter vorübergebraust, so sind an vielen Stellen die weißen Hügel der »Windweben« (Windwehen) zu sehen, die in ihren mannigfachen Gestaltungen an die Dünen der Meeresküste erinnern. Gekrönt sind sie alle von einer 59 scharfen, oft überhängenden Kante, die in einer Wellenlinie verläuft, und über die beständig windbewegte Schneekörnchen niederrieseln. Naturgemäß treten Wehen in der Nähe von Häusern, Felsblöcken oder dichtem Gestrüpp am häufigsten auf, weil an solchen Orten die Gegenbewegung der abprallenden Luft ihrem Entstehen günstig ist. Diese Schneebildungen erreichen mitunter eine Höhe von mehreren Metern und nur zu häufig lagern sie sich quer vor die Türen der Gebirgshäuschen, so daß deren Insassen frühmorgens die weißen Wälle durchbrechen müssen, ehe sie mit der Außenwelt in Verbindung treten können. Glasschleifer und Holzfuhrleute haben ebenfalls unter den Wirkungen des Schneesturmes zu leiden. Erstere müssen die Wassergräben der »Schleifmühlen« von den verstopfenden Schneemassen reinigen; letztere haben alle Mühe, nach den Holzschlägen Bahn für ihre Schlitten zu brechen. –

Im Isergebirge wird der Monat Jänner der »große Horn« genannt, weil er in der Regel das stärkste Frostwetter aufweist. Dann seufzt und knarrt unter den Fußtritten des Wanderers der Schnee, von den Dachrinnen hängen die glashellen Eiszapfen hernieder und nachts »platzen« die Nägel der Schindeldächer mit lautem Knalle. Mitunter kommt es nach solcher Kältezeit vor, daß in den oberen Luftschichten eine bedeutende Erwärmung eintritt, indes unten an der Erdoberfläche das Frostwetter andauert. Geht dann ein feiner Regen hernieder, so gefriert er an der Oberfläche des Schnees und überzieht diese mit einer Eisschicht, so daß die Hänge wie verglast dastehen und allerlei seltsame Lichter und Reflexe zeigen. Dauert eine solche Glatteisbildung an, so haben Baum- und Strauchwerk schwer unter ihr zu leiden. Die Birke läßt ihre elastischen Zweige tief herabhängen, die zähesten Buchenäste splittern und brechen und selbst der trotzige Fichtenbaum wird von der Wucht des Eises, das in seinem Genadel haftet, zum Falle 60 gebracht. Der Mensch tut dann Steigeisen an die Füße und der Schmied hat alle Hände voll zu tun, um die Hufeisen der Pferde zu schärfen, ehe diese Tiere vor den Schlitten gespannt werden.

Der »kleine Horn« (Februar) erscheint, und Prinz Karneval steigt ins Gebirge. Die Zeit seiner Herrschaft wird dort noch mit dem guten deutschen Namen »Fastnacht« benannt; aber die alten, ehrlichen »Mummereien« haben sich längst schon zu Kostümkränzchen und Maskenbällen verfeinert (!!) und der wurzelständige, heimatberechtigte »Fosnachts-Norr« ist eben im Aussterben begriffen. Vorzeiten genügten dem Gebirgler noch die »Bierabende« an denen man tanzte, daß die Wände zitterten. Damals wurde nämlich in den Schenken und »Kratschn« (Kretschams) nur gebranntes Wasser verzapft und bloß an besonderen Festen wagten es die Schenkwirte, auch ein Fäßlein Bier anzuschaffen. Dieses »noubliche« Getränk hat den genannten Vergnügungen zu ihren Namen verholfen. Das Bier wurde in Rahmtöpfe abgezogen, in den »Schenksims« (Kredenz) gestellt und nach Bedarf wurden die Gläser der Gäste damit gefüllt. Ob so behandelter Gerstensaft uns auch heute munden würde? . . . Ein Überbleibsel aus dieser alten Zeit sind die mitunter stattfindenden »Holzmacher-Bierabende«, an denen allerlei überlieferte Schwänke und derb-komische Scherze für einige Nachtstunden aufleben.

Jetzt beginnt die Zeit, da der Wärmezustand der Luft plötzlichen Schwankungen unterliegt. Noch entzünden die Strahlen der Frühsonne auf den frosterstarrten Schneeflächen ein Feuerwerk von Glitzern und Leuchten; aber schon in den Vormittagsstunden weicht die Bläue des Himmels einem lichten, gleichmäßigen Grau. Bald schwimmt ein milchiger Dunst um die Hänge und schleiert sie ein, dichter und dichter. Die weißen Schneepolster fallen von den Bäumen herab und der Wald schaut wieder dunkel und düsterdrohend aus den 61 Dunstschleiern. Staubfein niedergehender Sprühregen netzt die Oberfläche des Schnees und feuchtet die kahlen Äste der Alleebäume, so daß an deren Knospen gleich mattschimmernden Glasperlen die klaren Tropfen hängen. Selbst nachts deutet das Donnern der Schneemassen, die von den Dächern niedergehen, sowie das Klatschen des stärker gewordenen Regens an den Fenstern auf ein Fortschreiten des Tauwetters hin. Am nächsten Morgen ist der Glanz der Hänge verschwunden und hat einer weißgraulichen Färbung Platz gemacht. Die Fläche des Schnees weist dabei allerlei seltsam gewundene, dunkel gefärbte Furchen auf, die talwärts zielen und in denen Wasserfädlein rinnen. Die lockere Decke trägt nicht mehr, daher hat jeder Schritt vom Wege ein tiefes Einsinken zur Folge. Der Forstmann bindet »Reifen« an seine Füße und geht ins Revier, um nach dem Hochwilde zu sehen, das während des starken Tauens ernsten Gefahren ausgesetzt ist. Mit ihren schlanken Läufen brechen diese Tiere bei jedem Sprunge durch den weichen Schnee und erschöpfen ihre Kraft derart, daß sie elend umkommen, wenn sie nicht schon vorher vom Fuchse, der leichtfüßig über die Flächen eilt, erreicht und niedergerissen worden sind. Bringt der grimmige Gebirgswinter auch allen freilebenden Tieren gewisse Gefahren, so ist doch besonders einer der beschwingten Wintergäste beständig vom Tode umlauert. Es ist dies der Krammetsvogel, oder, wie er hierzulande genannt wird, der »Ziemer«. Wohlweislich hält sich der Vogel so lange in den Wäldern verborgen, als die Früchte der Eberesche dort reichen wollen. Sind diese jedoch aufgezehrt, so treibt der bittere Hunger das scheue Tier hinaus in die Ebereschen-Alleen der Dörfer, wo man bereits sein Erscheinen erwartet. Dann schießt man den ganzen Tag mit und ohne Erlaubnis in die Hungrigen hinein, wenn sie sich blicken lassen, und mancher Gebirgler, der keine Ebereschen in der Nähe des 62 Hauses besitzt, hängt schon in später Herbstzeit ein Büschel der roten Beeren an das »Keilende« (Dachgiebel), um dadurch die Tierchen anzulocken. Freilich, er wird auf eine bezügliche Frage hin einen solchen Zweck nicht zugestehen, sondern unter listigem Augenzwinkern meinen, daß er die Beeren nur hingehängt habe, damit sie in der Winterkälte ihre Herbigkeit verlieren sollen und für die Küche brauchbar werden. Es ist aber hundert gegen eins zu wetten, daß irgendwo in einer dunklen Ecke des »Vorhauses« ein geladenes Gewehr lehnt, damit es sofort zur Hand ist, wenn die Ziemer »einfallen«. – Volksschliche, – was sonst . . . .

Die Sonne hebt sich täglich höher über die Waldrücken und der graue Winterhimmel weicht immer öfter dem Blau des Firmamentes. Der März zeitigt nur mehr selten die vorher häufigen Nebel und wetterkundige Alte merken besonders auf sie, da je hundert Tage nach ihrem Eintreten eine Flut folgen soll. Mitunter gibt es noch Schneewetter, das reinliche, weiße Hüllen über die dunklen Wälder und den schmutzig gewordenen Schnee der Breitungen wirft. Kaum aber lacht die Sonne wieder herunter, so rutschen die Schneelagen von den Zweigen herab. Geht man zu dieser Zeit im Walde umher, so sieht man überall die weißen Bächlein herabrieseln und gewahrt das Emporschnellen der entlasteten Zweige. Man erschrickt wohl auch gelegentlich, wenn solch eine Miniaturlawine sich heimtückisch in den eigenen Nacken verirrt und macht einen Satz zur Seite; aber man lächelt doch zu der Überraschung und ist stillvergnügt über die liebe Sonnenwärme, die sich eben anschickt, die Natur aus ihrem Schlummer zu wecken. Von den Baumstämmen und Steinblöcken, wie von den Mauern der Häuser scheint der Schnee zurückzuweichen, so daß man bereits den Erdboden, oder die fahlen Gräser, oder die braune Decke der abgestorbenen Fichtennadeln 63 heraufschimmern sieht. Wohl blickt das Auge noch lange vergeblich nach den wohlbekannten Stellen, an denen die ersten Sommerflecke erfahrungsgemäß sich zeigen. Die Schneeschicht ist noch zu mächtig und es bedarf des warmen Südwindes und der Regengüsse des April, bis diese Anzeichen des Vorfrühlings sich an den Südhängen einstellen. Die Kinderwelt läßt sich nicht abhalten, die schneefreien Stellen aufzusuchen, um sich dort zu tummeln. Jedes schüchterne, noch halb schlaftrunkene »Gänseblieml«, das eben erst im Entfalten begriffen ist, wird bewundert und will es das Glück, daß einer der kleinen Kobolde ein Schneckenhäuslein im braunen Grasfilze entdeckt, so erheben sie alle ein Freudengeschrei und fangen an zu singen:

»Schnecke, Schnecke, Schniere,
Recke deine Viere . . . . . .«

Und die Sonne glüht die kleinen, lebendurchpulsten Körperlein an, rötet die Bäcklein ihrer Angesichter, und der milde Anhauch der Luft, der kräftige Erdgeruch, der von den Maulwurfshügeln aufsteigt und die Ahnung, daß nun die lange Winterhaft zu Ende ist, versetzen die Knirpse in eine Art wohligen Rausches, so daß sie die rufende Stimme der Eltern überhören und fortjauchzen bis zur sinkenden Sonne.

―――

Und um des Glückes der fröhlichen, lärmenden Kinderschar willen, das der Schreiber dieser Blätter einem geneigten Leser noch vor Augen geführt, möge es diesem nicht leid tun, bis hierher gefolgt zu sein; denn auch ihn leitet vielleicht Erinnerung zurück in die eigene Jugendzeit, da auch er in Ahnung der kommenden Frühlingswonne jubelte und hüpfte im seligen Reigen. 64

 


 


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