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Sommerglut auf stillen Waldwiesen und schwebende, azurblaue Libellen; schläfriges Wipfelrauschen durch glutzitternde Lüfte und traumhaft nickende Halme zwischen großen, gelbstrahligen Blütenköpfen: – wahrlich, zu keiner Zeit und an keinem Orte ist unserer Phantasie der Schritt ins Märchenland so leicht gemacht, als im sommerlichen Walde. Die Sinne, sie schwingen sich unwillkürlich ein in jene wunderbar selige Träumerei, die sie tief eindringen läßt in das blaue Wunderland der Romantik.
Und unser Isergebirge hat – Gott sei Dank! – ein rechtschaffen Stück Wald über seine Höhen und Hänge gebreitet; freilich zwecks Träumespinnens der Naturschwärmer und Poeten just nicht, aber seine grüne Decke ist doch höchst geeignet, bei derlei Leutchen eine weltabgewendete Stimmung hervorzuzaubern. Wohl ruft auch der Aufenthalt auf uferloser 22 See oder der Blick von hohen Gebirgszinnen im Menschen weltflüchtige Stimmungen hervor, aber die Wucht der dort geschauten Bilder reißt den dessen Ungewohnten allzu gewaltsam los vom Alltäglichen und schafft ein niederdrückendes oder beklemmendes Begleitgefühl. Hingegen der Wald, und vornehmlich der Hochsommerwald unserer Berge mit seinen sanften Breitungen und stillen Waldwiesen, mit dem gründunklen Wipfelmeere und dem lieblichen, buntscheckigen Pflanzengesiedel darunter, mit dem Grau seiner Felskronen und mit all' dem Glanze des Sonnenlichtes darüber ist der alte, berückende Märchenwald noch heute, wenn du ihn – einsam und sinnenden Gemütes betrittst.
Um zur Sommerszeit gänzlich ungestörte Einsamkeit bieten zu können, dazu ist freilich auch der Isergebirgswald nicht groß genug. Selbstverständlich ist er in der Nähe der Ortschaften am belebtesten und wird desto menschenleerer, je tiefer man in ihn eindringt. Wer gar einigen Waldläufer-Instinkt besitzt und vermeint, auch ohne Wege und Wegmarken vorwärts zu kommen, der wird, falls er klüglich jene Richtungen vermeidet, aus denen die Axtschläge der Holzfäller erschallen, sich fast immer einer ungestörten Beschaulichkeit hingeben können.
Waldränder, Lichtungen und gewisse Teile der Holzschläge sind um diese Zeit am besuchtesten. Aus den rosenroten Honigkrüglein der Heidelbeerblüten sind nun Milliarden jener blauen Beeren geworden, die in Massen eingesammelt und entweder frisch verzehrt oder getrocknet für später aufbewahrt werden. Begreiflicherweise obliegen die Kinder dem Sammelgeschäfte am eifrigsten, und des Abends sieht man sie mit gefüllten Töpfen und Krügen scharenweis heimwärts ziehen, indes die vom Safte der Beeren blaugefärbten Hände und die oft schrecklich beschmierten Gesichter der Kleinen einen 23 drolligen Anblick gewähren. Manchmal trägt einer der Knirpse rote Schnüre in der Hand, die man bei näherem Zusehen als Erdbeeren erkennt, die an lange Grashalme gereiht sind, oder es humpelt ein altes Mütterchen hinterdrein, mit einem mächtigen »Beerkamme« bewaffnet, der Spuren fleißiger Benützung an sich trägt. Gegen das Ende des Sommers hin reift auch das Immergrün unserer Gebirgswälder, die edlere Preißelbeere, ihre roten Früchte, und in der Zwischenzeit bieten die sonnigen Lehnen der Holzschläge Gelegenheit, Himbeeren zentnerweise einzuheimsen, während die glänzend-schwarzen Brombeeren mehr als Näscherei für die Kinder 24 dienen, da sie zu vereinzelt vorkommen. Auf den Hochmooren des Isergebirges endlich wuchert die Moosbeere mit blaubereiften Früchten, von denen der Volksmund fabelt, daß sie erst unter der Schneedecke des Winters der Reife entgegengehen.
Der Frühsommer lockt auch bereits den Pilzsucher in den Wald, wenn auch erst Hoch- und Spätsommer ihm den reichsten Ertrag versprechen. Ich rede hier nicht von dem zahllosen Heere jener Sammler, welche diese nützlichen Gewächse um des schnöden Gewinnes willen einheimsen; ich habe nur jene Wackren im Auge, die aus rein sportlicher Leidenschaft weder zerrissene Kleider, noch Schwielen und Hautaufschürfungen scheuen, um in das gelobte Land der Pilzsucher, die widerborstigsten Dickichte einzudringen, die angefüllt sind mit den Fußangeln des Wurzelwerkes und den Rutengeißeln zurückschnellender Äste. Ein solcher Mann läßt sich nur anfangs herab, auch minderwertige Sorten zu sammeln; auf dem Höhepunkte der Sammelzeit (Juli–August) aber blickt er mit kühler Verachtung auf all' die »Gelbhühnel«, »Butterpilze«, »Rotkappen« und andere Plebejer herab. Sein Sehnen geht allein nach dem König unserer Waldschwämme, dem Herrenpilze, und sein kühnster nächtlicher Traum ist der, er habe ein Exemplar seines Lieblings von so fabelhafter Größe gefunden, daß er es auf dem Heimwege als Regenschirm benützen konnte. Die Verachtung aller nur dem Nutzen huldigenden Pilzsammler hat bei ihm eine nahezu aristokratische Färbung. Mit spöttischem Lächeln sieht er auf seinem späten Ausgange die glücklichen Finder mit gefüllten »Hocken« nach Hause wandern und denkt dabei innerlich: »Ich finde meine Sache noch, und wenn ihr auch zehnmal an meinen Plätzen vorübergegangen wäret.«
Und er hat recht. Seine genaue Kenntnis der Fundstätten ist erstaunlich und sein Auge indianerhaft geschärft. Es kommt nie vor, daß er, auch auf ziemliche Entfernungen 25 hin, sich durch das täuschend ähnliche Aussehen eines anderen Thallusträgers verlocken ließe. Er ist der Weidmann unter den Schwammsuchern.
Hat er gemächlichen Ganges sein Revier, »Pilzplatzel« genannt, erreicht, so wirft er schnell einen Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, daß kein Unberufener in der Nähe sei; dann (ich bitte die schönen Leserinnen inständigst um Verzeihung) dringt er mit jener Seite seines Körpers, auf der das Antlitz nicht befindlich ist, in die Dickung ein; die Zweige schlagen hinter ihm zusammen und schwanken ein wenig, dann ist Ruhe. Nichts mehr ist von ihm zu hören, so lautlos windet er sich, oft auf allen Vieren kriechend durch den Jungwuchs, und im Hocken nimmt er die ausgewachsenen Exemplare von Boletus edulis bereits auf Entfernungen wahr, auf die hin ein blödes Laienauge nichts als den braunen Waldgrund erblickt. Er versichert sich auch keineswegs schnell seines Fundes. Gott bewahre! Mit Argusaugen durchspäht er vielmehr den Zwischenraum, der ihn von demselben trennt, und seinem Scharfblicke entgeht nicht die elfenbeinweiße Färbung des jungen Schwämmchens, das sich erst anschickt, den Boden zu durchbrechen, und nicht das winzigste Stück, das sich unter Laubstreu oder zwischen Heidelbeerbüscheln verbirgt. Alle erntet er mit schmunzelndem Behagen ein, und als belesener und vorbedachter Mann versäumt er nie, den Pilz knapp über der Erde abzuschneiden, damit das triebkräftige Mycelium dem Boden erhalten bleibe. Einige Handbewegungen noch, um die weiße Schnittfläche mit Waldstreu zu bedecken, und der abgeputzte Schwamm wandert in das mit den Zipfeln zusammengebundene Tuch, das seit Urväters Zeiten die Sammeltasche des Pilzsuchers ist.
Und wenn das Glück ihm wohl will und er ein ganzes »Nest« seiner geliebten Schwämme entdeckt und überallher 26 zwischen den Stämmchen und Steinen der wohlbekannte braune Farbton der Herrenpilze ihn anlacht, dann bleibt er wohl eine Zeit in den Anblick versunken, ehe er das Taschenmesser aufklappt und seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht.
Währenddem lockt von drüben eine Drossel und warnt nebenan ein keckes Meislein, und in den Wipfeln der jungen Nadelhölzer über ihm summen tausende von Bienen und Wespen, die von den hochaufgeschossenen »Maien« süßen Honigseim sammeln; und die Sonne blickt so neckisch durch das Gitterwerk der Zweige, und der Weihrauch unserer Wälder, das Harz, duftet stärker, und die Poesie des Waldfriedens, sie erfaßt den Guten und er ist glücklich, sehr glücklich!
Die Kinder rufen den heiligen Prokop, den Schutzherrn der Pilzsucher, an. »Heiliger Prokopl, bescheer mir ock a Poor Pilzl!« murmeln sie während des Suchens, um ihre Ungeübtheit im Sammeln durch die Hilfeleistung des angerufenen Heiligen wett zu machen; vom Übel ist hiebei lautes SprechenMan sieht, wie das Volk praktische Lebensregeln mit dem Mäntelein des Aberglaubens umkleidet, um sie eindringlicher zu machen. In diesem Falle sollen zur Fundstelle nicht andere Leute gelockt werden, die den Ertrag schmälern können., weil der erblickte Pilz dann sofort verschwindet. Jeder Pilz hat ferner seinen »Noppr« (Nachbar), und es bewahrheitet sich diese Regel in den meisten Fällen; endlich ist – sicher von einem Schalk – der Glaube verbreitet, daß es um das weitere Wachstum eines jeden Pilzes geschehen sei, auf welchem der Blick des Menschen einmal geruht habe.
An die Beeren- und Pilzsucher schließen sich die Sammler des »Buschfutters« an, die das würzige Gras der Holzschläge ernten und in mächtigen Bürden stundenweit nach Hause tragen. Dieser beschwerlichen Arbeit unterziehen sich jedoch nur Häusler und jene kleinen Feldgärtner, deren 27 Grundstücke nicht imstande sind, die nötige Menge Heu fürs Vieh hervorzubringen. Ihre abenteuerlichen Gestalten sind an Spätsommerabenden auf allen Waldwegen häufig zu treffen und die hoch über die Köpfe ihrer Träger hinausragenden Lasten getrockneter Waldgewächse strömen im Vorüberhuschen einen balsamischen Geruch aus. Die Leute traben mit stark eingebogenen Knien eilfertig von Rastort zu Rastort, und jeweilig kommt der unter dem Arme getragene Knüppel als Stütze der Heulast dort in Verwendung. Oben ist an letzterer der unvermeidliche Kaffeekrug befestigt, mit dem der »Futtermacher« frühmorgens auszog.
Die Gestalten der »Harzkratzer« und »Ameisler«, die früher im Isergebirge heimisch waren, sind infolge der sorgfältigeren Überwachung der Wälder verschwunden, dagegen ist der Kräutersammler noch häufig zu sehen und Arnika und Bitterklee, Gundermann und Bärwurzel werden von ihm den sorgsamen Hausfrauen gegen klingende Münze zugetragen. An bestimmten Wochentagen trifft man im Walde die »Klaubholzleute«. Diese sind im Frühsommer bei den Waldkulturen beschäftigt worden und haben dafür die Erlaubnis erhalten, gegen ein geringes Entgelt dürre Äste in den Forsten sammeln zu dürfen. Dieses »Klaubholz« wird auf sogenannten »Raaften« (Rückentragen) zu Tal befördert, und viele Familien bringen nur auf diese Weise den Brennstoff für die Winterheizung zustande.
Mit den Klaubholzsuchern dürfen nicht jene Holzträger verwechselt werden, die um die Abenddämmerung aus den Wäldern hervorkommen. An ihren gewaltigen Lasten sind Säge, Holzaxt und das in ein Tuch gebundene Eßgeschirr befestigt. Mit schweren, müden Schritten stampfen die knochigen Gesellen heimwärts und blasen dabei aus ihren kurzen Stummelpfeifen so dichte Wolken, daß die Mückenschwärme entsetzt 28 höher steigen und der begegnende Tourist hustend und kopfschüttelnd enteilt, wenn der beizende Rauch seine Geruchsnerven beleidigt. Das sind die »Holzschläger«. Sie kehren allabendlich heim, wenn die Schlagplätze in der Nähe liegen; sind letztere jedoch weit entfernt, so kommen die Leute erst am Samstag abends nach Hause und nächtigen die Woche über in Rindenhütten, die von ihnen am Schlagorte hergestellt werden. Ihre Tätigkeit ist eine allbekannte.
Da hat man jahraus, jahrein, sobald vom Schreibtisch weg der Blick ins Freie schweifte, die wohlbekannte Waldschneide vor Augen gehabt, und die Vorsprünge und Einschnitte ihrer Zackenlinie sind uns so vertraut, daß wir ihr beständiges Aussehen selbstverständlich finden. Da kommt einst der Tag, wo wir, ans Fenster tretend, in der gewohnten Linie eine Störung entdecken. Es fehlt jene Baumgruppe, die wir so oft nach Sonnenuntergang, wenn der Wald schwarz gegen den glutenden Abendhimmel stand, mit einem stolzen, zweitürmigen, gotischen Münster verglichen haben, und wir ahnen sofort das Schicksal des ganzen Waldstreifens. Öfter als sonst richtet sich unser Blick tagsüber bewußt nach jener Richtung und es faßt uns wie eine Trauer, wenn wir des baldigen Verlustes der schönen Horizontlinie gedenken. Noch ist keine Lücke in dem Waldmassiv zu bemerken; aber schon nach einigen Tagen sind hier und da zwischen den Stämmen schmale Lichtstreifen zu sehen, die zunehmen und sich so lange ausbreiten, bis der ganze Bergrücken kahl daliegt, und statt des gewohnten, schwärzlichen Grüns ein mattes Braun von jener Stelle zu Tale blickt. Wenn endlich die Rauchsäule, die dort täglich zum Himmel strebte, geraume Zeit hindurch ausgeblieben ist, steigen auch wir hinauf. Noch liegen die entrindeten Stämme in regellosem Durcheinander wie ein leuchtendes Gitterwerk zwischen den Baumstumpfen hingebreitet; 29 abseits jedoch sind die »geschälten Klötzer« bereits zu mächtigen Stößen geschichtet. Es geht ein beständiges leises Knistern durch diese toten, in der glühenden Sommersonne dörrenden Pflanzenleiber. Zahlreiche feine Sprünge des Holzes, oft schraubenförmig längs eines ganzen Stammes verlaufend, machen die Entstehung des Geräusches erklärlich. In Scheite gesägtes Fichten- und Buchenholz steht lang gereiht da, und die einzelnen Meterlagen sind durch eingetriebene Pfähle augenfällig gemacht. Der Fachmann unterscheidet diese Stöße in Schindel- und Scheitholz, Prügel- und Astholz. Er schenkt wohl auch den Rindenstößen einige Aufmerksamkeit und bückt sich hier und da, um die Nummernzahlen zu lesen, die in die Hölzer mit eisernen Stempeln eingeschlagen worden sind. Das Reisig der Fichten hat, insoweit es nicht durch Holzklauber fortgetragen worden ist, keine Verwendung gefunden. Die großen Aschenhaufen, die über die Schlagfläche verstreut sind, enthalten die Überreste desselben. Es ist an Ort und Stelle verbrannt worden und die vom Tale aus gesehenen Rauchsäulen gingen von jenen Reisigfeuern empor.
Nun die stolzen Wipfel gesunken sind, gewahrt man erst die gewaltige Menge der Felsblöcke, die bislang unbeachtet zwischen den Stämmen niedergeduckt erschien. Die Schattengewächse der Moose, die sich auf und zwischen den Steinen angesiedelt hatten, sind jetzt dem Waldesdüster entzogen und verdorren. Der Wind verweht ihren Staub und die Regenfluten des Herbstes waschen die länger haftende, dürftige Erdschicht von den Blöcken herunter, bis wieder das nackte, bleiche Gestein zum Himmel emporschaut. Die Sonnenglut des Sommers sinkt auf dasselbe hernieder, der Schneesturm des Winters umtost es und der Frost packt mit stählernem Griffe seine Außenseite und lockert die glänzenden Flitterchen und die fleischfarbigen Körnchen seines Gefüges, so 30 daß diese oft mit geringer Mühe aus den Blöcken gelöst werden können. Ihre lehmhaltigen Verwitterungsstoffe erzeugen wieder den Dünger für nachfolgende Baumgeschlechter, während der stahlharte Quarz des granitnen Gesteines der Zerstörung am längsten widersteht, überall an der Oberfläche des Felsens in zahllosen Spitzen und Zacken hervorsteht und dieser hauptsächlich zu ihrer Rauhigkeit verhilft. Jahre vergehen, ehe die neuangelegten Kulturen so weit herangewachsen sind, daß vorerst die niedrigsten Felsblöcke durch sie überdacht werden. Nach einem Menschenalter vielleicht ragt aus dem wieder alles deckenden, säuselnden Wipfelmeere nur noch ein Felszacken hervor und erglänzt dem Auge der Talbewohner in goldigem Frühlicht, oder glüht purpurn im Widerschein des Abendrotes, bis auch ihn die aufstrebenden Wipfel einhüllen und die gründüstere Decke der Nadelhölzer sich wieder ohne Unterbrechung bis zur Kammhöhe hinauf ausbreitet. Wenn wieder Jahre nach Jahren vergangen sind, wiederholt sich der beschriebene Vorgang, nur mit dem Unterschiede, daß andere Menschen die Urheber und Beobachter desselben sind; oder es treten jene furchtbaren Abweichungen von der Regel ein, die man Windbrüche und Waldbrände nennt; oder ein klein-winziges Käferlein tötet die Baumriesen, noch bevor das blanke Eisen des Holzschlägers ihrem Leben ein Ende macht. Und trotz Elementen und Menschenhänden zieht das Wipfelrauschen unaufhörlich von Höhe zu Höhe, dringt hinab in die Täler und steigt gegen die Wolken empor, so daß unser herrliches Gebirgsmassiv mit Recht walddurchrauscht genannt werden kann allerorten. –
Da der Frühsommer des Gebirges nach der Heuernte einsetzt, so sind um diese Zeit die Wiesen fahlgelb und reizlos; nur die Kartoffeläcker sowie spärliche Haferfelder breiten ihr Grün dazwischen aus. Einiger Blumenflor ist noch an 31 den Waldrändern zu finden, daher es auch dort von honigsaugenden Insekten wimmelt. Am meisten fallen daselbst die schönen, purpurnen Blütenköpfe der Stacheldisteln ins Auge, die auf ihren schlanken, bewehrten Stengeln über die Wirrnis der Labkräuter und die gelbdoldigen Johanniskrautgewächse emporragen. Leider trifft man diese ebenso nützlichen als schönen Gewächse nur an abseits liegenden Stellen unverstümmelt; denn jeder gertentragende Knirps pflegt sie mit Wonne zu köpfen. Ich habe selbst ernste Männer dieses Nachrichteramt betreiben sehen und meine, daß solch gedankenloses Zerstören recht sehr zu bedauern ist. In der Trachtpause, die auf die Heumahd folgt, bieten gerade jene Gewächse ihre nie versiegenden Honigbrünnlein dar. Wenn es auch begreiflich ist, daß man auf Wiesen ihre zahlreichen Samen nicht zur Reife kommen lassen will, so sollte man die Anspruchslosen doch an den Waldrändern ungestört wuchern lassen. Der lieben Immen wegen sei an dieser Stelle für die Vielverfolgten eine Lanze gebrochen.
In den Hochsommer fällt die Blütezeit der Linde. Dieser schöne Baum wird meist in der Nähe der Häuser oder an den Wegen gepflanzt, wo er die aus den heimischen Wäldern geholte Eberesche zu verdrängen droht. Seine duftbegabten Blüten werden zu schweißtreibenden Aufgüssen verwendet, und die vielgestaltige Welt der Honigsauger müht sich in den Morgenstunden unter lebhaftem Gebrumm und Gesumm um ihre Kelche. Ein ergiebiges Arbeitsfeld bieten diesen Tierchen nun auch die sonnenseitigen Holzschläge, allwo das Weidenröschen millionenfach aufstrebt und mit der Menge und Leuchtkraft seiner Purpurblüten jede andere Farbe aus dem Felde schlägt.
Nun ist die Zeit da, wo eine Hitzewoge um die andere auf unsere Berge niedersinkt, und man sehnsüchtig den 32 vereinzelten Wolkenschatten nachblickt, die über die Wälder hingleiten. Wiederum beginnt, wie nach der Schneeschmelze, die Luft über den Feldern um die Mittagszeit zu flirren; aber der kühlende Anhauch von damals fehlt dabei, und ein atembeklemmender Dunst schlägt dem Wanderer ins Gesicht, wenn er schweißbedeckt durch den grellen Sonnenschein hinschreitet.
In den niedrigen, hölzernen Stuben der Gebirgshäuser herrscht gleichfalls erschlaffende Schwüle, und der Petroleumdunst von den darin aufgestellten Blasetischen ist ganz geeignet, Leute mit empfindlichen Geruchsnerven zurückzuscheuchen. Der Unkundige meint dann, es sei diesem Übelstande leicht durch das Öffnen der Fenster abzuhelfen; aber er irrt. Bei dem Blasen der Glasperlen, welche Hantierung in den meisten dieser Häuschen vor sich geht, muß jeder Luftzug ferngehalten werden, weil sonst die Spitzflamme der Lampe ins Flackern gerät und das Arbeiten unmöglich wird.
In Beziehung auf die Bauart dieser Häuschen, die zu einer Hälfte aus Holz, zur anderen aus Stein aufgeführt sind, wird von durchreisenden Fremden vielfach die Meinung gehegt, es seien bei deren Erbauung die Wärme und Kälte der Jahreszeiten in Betracht gezogen worden; im Sommer würden die Inleute wahrscheinlich die kühlere Steinhälfte, im Winter den wärmenden Holzbau bewohnen. Diese Ansicht ist unrichtig, oder wird wenigstens in den allerseltensten Fällen die auf sie gemachte Probe bestehen. Der Kenner weiß, daß in dem Steinbau die Stallung des Häuslers untergebracht ist, bei der es sich verbietet, Holz als Baumaterial zu verwenden, da selbes infolge der herrschenden Nässe bald faulen würde. Wenn dem entgegengehalten würde, daß es zahlreiche Häuschen dieser Bauart gibt, in denen keine Ställe vorkommen, so ist darauf zu erwidern, daß im Gebirge die 33 Viehzucht früher bedeutender war, als heute, und ihr Erträgnis bei dem Fehlen der nun hoch entwickelten Industrie damals die namhafteste Einnahmsquelle der Bewohner bildete. Ein Stall war daher fast in allen Häusern zu finden. Als später die Hausindustrie sich ausbreitete und die stetig sich mehrende Bevölkerung nicht mehr aus der Viehzucht den Haupterwerb zog, wurden bei auftretendem Platzmangel die Ställe entfernt, und die Steinhälften der Häuser zu Wohnungen eingerichtet. Auch heute greift man neben den immer mehr in Aufnahme kommenden Ziegelbauten mitunter auf obige Bauweise zurück; es geschieht dies aber mehr aus alter, liebgewordener Gewohnheit, oder etwa aus dem Grunde, weil der Eigentümer selbst ein Wäldchen besitzt und daher mit dem ihm gehörigen, billigen Materiale rechnet. Dem Auge des Malers werden diese Gebirgshäuser übrigens selten Befriedigung gewähren, da sie großenteils Nützlichkeitsbauten nüchternsten Stiles sind.
Das »Fahrtgehen« – wie man im Isergebirge den Besuch der sommerlichen Kirchenfeste nennt – nimmt mehr und mehr ab. In früheren Zeiten, da die Verkehrsmittel noch viel zu wünschen übrig ließen, der Agent noch nicht bis in die kleinste Dorfhütte vordrang und den Insassen derselben die Erzeugnisse seines Hauses sozusagen auf den Tisch lieferte, besaßen die mit den Kirchenfesten verbundenen Kaufgelegenheiten noch größere volkswirtschaftliche Bedeutung. Wenn irgendwo das Fehlen eines Stückes Hausrat sich fühlbar machte, so wurde die Hausfrau mit dem Hinweis auf die kommende »Fahrt« vertröstet, und die Anschaffung dann gemacht. In der Jetztzeit wird der Einkauf gelegentlich in der nächsten Stadt besorgt, wenn nicht bereits im Orte selbst Händler ihre Läden hinter großen Spiegelscheiben aufgetan haben sollten. Das Fahrtgehen ist zum großen Leidwesen der Krämer vielfach zum bloßen Spazierengehen geworden. 34 Wie leicht erklärlich, hat sich der Volkswitz auch bereits mit der Benamsung der Kirchenfeste beschäftigt. Man spricht von einer »Gurkenfahrt«, »Pflaumenfahrt«, »Bornfahrt«, je nachdem man entweder die dort zum Verkauf gelangenden Früchte oder andere örtliche Eigentümlichkeiten ins Auge faßt.
Zieht endlich der Spätsommer ins Gebirge, so wird das »Grund« (Grummet) geerntet, und bald darauf erklingen Herdenglocken und Hirtenrufe und an den »Kiertn-Liedln« erproben die »Hütejungen« ihre Lungenkraft. Die Urwüchsigkeit mancher dieser Vierzeiler gestattet eine Veröffentlichung nicht; nur einige Proben seien hier mitgeteilt:
1. | »Strieme! Strieme! 's rumplt uff d'r Bühne, 's rumplt uff d'r Schnietebank, 'n Kiertn wird dö Zeit su lang.« |
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2. | »Traule! Traule! Mohds-Hons ös d'r Faule. Wär' a ne su faul gewast, Wär' a ehndr raus gewast. Tralla la la naäh!« |
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3. | »Horioh, dö Rute! Dö Mutter gibt m'r nischt zum Brute; Dö Kase macht se klejne, Dö Pott'r frißt se allejne.« |
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oder: | ||
»Dö Milch, dö macht se himmelblou; Ich bleib' kej Viertljuhr mieh dou!« |
Und mit diesen Hirtenliedchen wollen wir die Betrachtungen über den Sommer im Isergebirgslande schließen. 35