Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Santillana legt dem Oberstaatsminister von dem gehabten Auftrage Bericht ab, und erhält von ihm den Befehl, Lukrezie'n nach Madrid kommen zu lassen. Sie kommt sammt ihrer Mutter.

Bey meiner Zurückkunft in Madrid fand ich den Graf-Herzog höchst ungeduldig, den Erfolg meiner Reise zu wissen. Gil Blas, sagte er, hast Du die Komödiantinn quästionis gesehen? Lohnt's der Mühe, sie nach Hofe kommen zu lassen? Gnädiger Herr, antwortete ich, Fama, die gemeiniglich schöne Leute noch schöner posaunt, sagt von der jungen Lukrezia nicht Gutes genug; es ist ein ganz 120 bewundernswürdiges Frauenzimmer, sowohl was Schönheit, als was Talente anlangt.

Ist es möglich, rief der Minister, mit einem Auge, worin ich sein inniges Wohlgefallen sich mahlen sahe, und dieß brachte mich auf die Gedanken, er habe mich für seine Rechnung nach Toledo gesandt. Ist es möglich! rief er, daß sie so liebenswürdig ist, als Du sagst?

»Wenn Ihro Excellenz sie sehen werden, werden Sie eingestehen müssen, daß das hochgespannteste Lob nie bis zu ihr hinaufreichen kann.«

»Santillana, lege mir einen treuen Bericht von Deiner Reise ab, ich werde selbigen mit Vergnügen anhören.«

Nunmehr nahm ich das Wort, um meinen Herrn zu befriedigen, erzählte ihm alles, sogar Laure'ns Geschichte mit eingeschlossen; sagte ihm, Laura habe Lukrezie'n mit dem Marques de Marialva, einem portugiesischen Titulado erzielt, der während seines Aufenthalts zu Granada sich in jene Schauspielerinn verliebt gehabt. Nachdem ich dem Minister alles ausführlich erzählt hatte, was zwischen den beyden Komödiantinnen vorgefallen und verhandelt worden war, sagte selbiger zu mir:

»Mir ist's sehr angenehm, daß Lukrezie die Tochter eines Mannes von Stande ist, dieß interessirt mich noch mehr für sie, man muß sie 121 hieher ziehen. Doch, mein Freund, fahr so fort, wie Du begonnen; das will sagen, misch mich da nicht mit hinein, laß alles auf Gil Blas's Rechnung laufen.«

Ich ging zum Carnero, und sagte zu ihm: Se. Excellenz verlangten, er solle einen Befehl ausfertigen, mittelst dessen der König, Stella'n und Lukrezie'n, zwey Mitglieder der Toledischen Gesellschaft unter seine Gesellschaft aufnähme.

Sehr wohl. Es soll geschehen, antwortete Carnero mit einem schalkischen Lächeln, und das sogleich, weil Sie Sich allem Anschein nach sehr für die beyden Damen interessiren. Im Uebrigen hoff' ich, daß das Publicum bey der Erfüllung Ihres Wunsches auch seine Rechnung finden wird. Zu gleicher Zeit setzte dieser Secretär den Befehl auf, und händigte mir ihn ein, um ihn an die Behörde zu fördern. Sogleich sandt' ich damit den Bedienten zu Stella'n, der mich nach Toledo begleitet hatte.

Acht Tage darauf kamen Mutter und Tochter zu Madrid an. Sie traten in einem Gasthof ab, der von dem Schauspielhause nur etliche Schritte ablag, und ihr Erstes war, daß sie mir ihre Ankunft durch ein Billet wissen liessen. Ich eilte auf der Stelle zu ihnen. Nach unendlichen Dienstversicherungen von meiner Seite, und eben so vielen Danksagungen von der ihrigen, verließ ich sie, damit sie sich zu ihren 122 Antrittsrollen vorbereiten konnten, worin ich ihnen den glänzendsten Beyfall wünschte.

Sie standen auf den Anschlagezetteln als zwey neue Actrisen angekündigt, welches die Truppe auf königlichen Befehl aufgenommen habe, und traten zuerst in einem Stück auf, das sie mit Beyfall in Toledo zu spielen gepflegt.

In welchem Orte auf der Welt liebt man nicht das Neue im Schauspielwesen! An diesem Abend war im Comödienhause ein ausserordentlicher Zusammenfluß von Zuschauern. Leicht zu erachten, daß ich bey dieser Vorstellung nicht fehlte. Mir war nicht wenig bange, eh' das Stück anging. So sehr eingenommen ich auch für die Talente der Mutter und Tochter war, so zitterte ich dennoch aus warmer Theilnehmung vor ihnen. Kaum hatten sie aber den Mund geöffnet, so benahm der von allen Seiten her tönende Beyfall mir alle Bangigkeit.

Man hielt Stella'n für eine vollkommene komische Actrise, und Lukrezie'n für unerreichbar in Liebhaberinnenrollen. Diese Letzte entführte Aller Herzen. Einige bewunderten die Schönheit ihrer Augen, andern drang die Lieblichkeit ihrer Stimme in's innerste der Seele, und jeder, auf den ihre Annehmlichkeiten und der blendende Glanz der Jugend den lebhaftesten Eindruck gemacht hatte, ging von ihr ganz bezaubert weg. 123

Der Graf-Herzog, der an dem Debüt dieser Schauspielerinnen mehr Antheil nahm, als ich glaubte, war in der Komödie gewesen. Ich sah' ihn aus selbiger herausgehen, sehr befriedigt, wie's schien, mit den beyden Schauspielerinnen. Um zu wissen, ob er in der That von ihnen erbaut worden sey, folgt' ich ihm nach in seinen Pallast, und schlüpfte in sein Cabinett, worein er sich eben begeben.

Nun, gnädiger Herr, sagt' ich, sind Ihro Excellenz mit der kleinen Marialva zufrieden? Meine Excellenz, antwortete er lächelnd, müßte sehr schwierig seyn, wenn sie sich weigerte, zu den Stimmen aller Zuschauer die Ihrige zu geben. Ja, mein Kind, Deine Reise nach Toledo ist nicht fruchtlos gewesen, Deine Lukrezie gefällt mir ungemein, und ich zweifle nicht, daß der König sie nicht mit Vergnügen sehen sollte.

 


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