Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Kapitel.

Gil Blas macht sich beym Grafen Olivarez beliebt.

Ich ermangelte nicht, den Nachmittag wieder zum Oberstaatsminister zu gehen, und mich nach seinem Intendanten zu erkundigen, der Ramon Caporis hieß. Kaum hatt' ich selbigem meinen Nahmen kund und zu wissen gethan, als er mich mit Zeichen der Achtung aufnahm, und sagte: Belieben Sie mir zu folgen, Sennor; ich will Sie in das Appartement bringen, das Ihnen in diesem Pallaste bestimmt ist.

Nach diesen Worten führte er mich eine kleine Treppe hinauf in das zweyte Geschoß eines Seitenflügels vom Hause, das aus fünf bis sechs hintereinanderweg laufenden Zimmern 27 bestand, die ganz schlecht und recht möblirt waren.

Das ist das Logis, hob er an, das Se. Exzellenz Ihnen eingeräumt hat, und Sie werden daselbst täglich eine Tafel auf sechs Couverts finden, durch Ihre eignen Leute bedient werden, und einen Wagen jederzeit zu Ihrem Befehl haben. Alles auf Kosten des Grafen. Und noch überdieß haben mir Se. Exzellenz auf's schärfste eingeknüpft, so viel Achtung für Sie zu haben, als wären Sie aus dem Hause der Guzmans.

Was Teufel hat das zu bedeuten? sagt' ich bey mir selbst. Wie soll ich alle diese Distinctionen nehmen? Sollte dahinter wieder eine Schalkheit stecken? Sich der Minister nochmahls eine Lust machen zu wollen, indem er mir so viele Ehre erzeigen läßt? Beynahe möcht' ich das glauben, denn genau erwogen, ziemt sich's wohl für einen Minister der spanischen Monarchie mir so zu begegnen?

Indeß ich in dieser Ungewißheit war, so von Furcht und Hoffnung umhergetrieben wurde, meldete mir ein Page: der Graf verlange mich zu sprechen. Sogleich eilt' ich zu ihm, und fand ihn ganz allein in seinem Cabinette.

Nun, Santillana, sagte er zu mir, bist Du mit Deinem Logis zufrieden, und mit den Befehlen, die ich an Don Ramon gestellt habe? 28 Die Güte von Ihro Exzellenz, versetzt' ich, scheint mir zu weit zu gehen, und nur mit Zittern nehm' ich sie an. Wie das? erwiederte er. Kann ich einen Mann zu viel ehren, den der König mir anvertraut hat, und für den er bestens gesorgt wissen will? Unstreitig nicht; ich thue nur meine Schuldigkeit, indem ich Dich auf eine ehrenvolle Art behandle. Erstaune deßhalb nicht mehr über das, was ich für Dich thue, und zähle darauf, daß Dir ein glänzendes und festes Glück nicht entrinnen wird, wofern Du Dich so an mich ankettest, wie an den Herzog von Lerma.

Doch aus Gelegenheit dieses Herrn, fuhr er fort, man sagt, Du habest auf einem vertrauten Fuße mit ihm gelebt. Ich bin begierig zu wissen, auf was Art Ihr mit einander Bekanntschaft gemacht habt, und was für Verrichtungen Dir dieser Minister aufgetragen hat. Bemäntle nichts. Ich fordere eine aufrichtige Erzählung von Dir.

Jetzt erinnert' ich mich der Verlegenheit, worin ich mich in einem ähnlichen Falle beym Herzog von Lerma befunden, und auf was Art ich mich aus selbiger gezogen hatte. Dieß setzt' ich noch einmahl in's Werk, und mit ungemeinem Glück; das heißt, ich glättete all' die rauhen, höckrichten Stellen in meiner Erzählung, und über das, was mir nicht Ehre brachte, hüpft' ich wie der Hahn über die 29 Kohlen. Auch schont' ich den Herzog von Lerma, obwohl ich vielleicht meinem Zuhörer mehreres Vergnügen gemacht, wenn ich dieß weniger gethan. Don Rodriguez de Calderon mußte aber dafür gar weidlich Haar lassen, alle die schönen mir bekannten Streiche, die er in seinem Handel mit Kommentureyen, Pfründen und Governadorschaften gespielt hatte, erzählt' ich haarklein.

Was Du mir vom Calderon sagst, unterbrach mich der Minister, stimmt mit gewissen Memorialen überein, die mir gegen ihn sind eingereicht worden, und die Anschuldigungen von noch mehr Belang enthalten. Sein Prozeß wird ihm bald gemacht werden. Wofern Du wünschest, daß er in dieser Sache unterliegen soll, möchte Dein Wunsch, glaub' ich, erhört werden.

Ich verlange seinen Tod nicht, versetzt' ich, obwohl es nicht an ihm gelegen hat, daß ich nicht den meinigen im Castelle zu Segovia fand, wohin ich durch seinen Betrieb gekommen bin, und so lange gesessen habe.

Wie, hob Se. Exzellenz mit Erstaunen an, Rodriguez ist an Deiner Verhaftung Schuld? Das war mir ganz unbekannt. Don Balthasar, der durch Navarro'n Deine Geschichte weiß, hat mir wohl gesagt, daß Dich der hochselige König dorthin bringen lassen, um Dich zu bestrafen, weil Du 30 den Prinzen von Asturien des Nachts an einen verdächtigen Ort geführt hast; mehr aber weiß ich nicht, und ich kann nicht errathen, was Calderon in diesem Stücke für eine Rolle gespielt hat.

Die Rolle eines sich bitter beleidigt fühlenden Liebhabers, antwortete ich, der dafür Rache nimmt. Zu gleicher Zeit erzählt' ich ihm diese Begebenheit der Länge nach; er fand sie so belustigend, daß er, trotz seiner Ernsthaftigkeit, sich nicht des Lachens, oder vielmehr der Freudenthränen erwehren konnte. Catalina, bald Nichte und bald Enkelinn, ergötzte ihn ungemein, sowohl als der Antheil, den der Herzog von Lerma an alle dem genommen hatte.

Als meine Erzählung geendigt war, beurlaubte mich der Graf mit den Worten: Morgen würd' er mir unfehlbar zu thun geben. Sofort eilte ich in Zuniga's Pallast, um mich beym Don Balthasar für seine gute Fürsprache zu bedanken, und um meinem Freunde Joseph von der Unterredung, die ich eben mit dem Minister gehabt, und von seiner günstigen Stimmung gegen mich, Nachricht zu ertheilen. 31

 


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