Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Was Gil Blas und seine Gefährten nunmehr begannen; wie Ambrosio einen wichtigen Plan anlegte, und wie selbiger ausgeführt wurde.

Nachdem der Graf Polan die Hälfte der Nacht mit Danksagungen zugebracht und uns versichert hatte, daß wir auf seine Erkenntlichkeit zählen könnten, rief er den Wirth, um ihn zu befragen, auf was Art er wohl am sichersten nach Turis kommen könnte, wo er hinreisen wollte. Wir ließen diesen Herrn die hierzu nöthigen Maßregeln nehmen, machten uns aus dem Wirthshause, und schlugen den Weg ein, den Lamela zu wählen für gut befand.

Zwey Stunden waren wir unterwegs gewesen, als uns der Tag bey Campillo überraschte. Wir warfen uns schnell in die Gebirge, die zwischen diesem Flecken und Requena liegen, rasteten daselbst den ganzen Tag, und durchzählten alle unsere Barschaft, die sich durch das bey den Räubern gefundene Geld ansehnlich vermehrt hatte. Denn es waren mehr als dreyhundert Pistolen von allerley Münzsorten in ihren Taschen gewesen. Mit Anbruch der Nacht 231 setzten wir unsern Marsch weiter fort, und den folgenden Morgen kamen wir in dem Königreiche Valenzia an.

Wir eisten in das erste beste Gehölz, das wir erblickten, und immer tiefer und tiefer in selbiges hinein; endlich kamen wir an einen Ort, wo ein krystallheller Bach rann, der langsam zum Guadalquivir hinabschlich. Der angenehme Schatten, den uns hier die Bäume gaben, das Gras, die schöne fette Weide, die unsere Pferde hier fanden, würden uns bewogen haben, hier zu bleiben, wenn es auch nicht unser Vorsatz gewesen wäre.

Sonach stiegen wir ab, und nahmen uns vor, den Tag hier recht angenehm zuzubringen. Als wir aber frühstücken wollten, wurden wir gewahr, daß unser Proviant gänzlich zu Rande ging. An Brot fing es an zu gebrechen, und unser Schlauch war ein Körper ohne Seele geworden.

Die schönste Aussicht füllt nicht den Magen, sagte Ambrosio, und wenn die Sackpfeife nicht voll ist, so wissen Sie wohl, meine Herren, klingt sie nicht. Ich dächte, wir suchten unsern Proviant zu rekrutiren. Ich will deßwegen nach Xelva; eine ganz feine Stadt, die nur zwey kleine Meilen von hier liegt. Eh' die Katze ein Ey legt, bin ich wieder da. Nach diesen Worten belud er ein Pferd mit dem 232 Schlauche und dem Zwerchsack, sprang herauf, und jagte mit einer Schnelligkeit aus dem Gehölz, die eine baldige Rückkunft versprach.

Dessenungeachtet kam er, den wir jeden Augenblick erwarteten, nicht sobald wieder. Ueber die Hälfte des Tages verstrich, sogar die Nacht begann bereits ihre schwarze Fittiche über die Bäume auszuspreiten, als unser Schaffner, dessen Verzögerung uns bereits zu beunruhigen anfing, sich wieder sehen ließ. Er täuschte unsre Erwartung durch die Menge von Sachen, die er mitbrachte. Der Schlauch war nicht nur mit köstlichem Weine, der Zwerchsack mit Brot und allerley gebratenem Weidwerk angefüllt, sondern es befand sich auch noch ein starker Bündel mit Sachen auf seinem Pferde, den wir mit großer Aufmerksamkeit betrachteten.

Als er das gewahrte, sagte er lachend zu uns: Sie sehen diese Sachen mit Verwunderung an, meine Herren. Ich kann's Ihnen nicht verdenken. Sie werden nicht wissen, wozu ich das Zeug in Xelva gekauft habe. Sogar Don Raphael und die ganze Welt soll mir das nicht errathen. Mit diesen Worten öffnete er den Bündel, um uns Stück für Stück alles das zu zeigen, was wir so in Bausch und Bogen betrachtet hatten. Wir erblickten einen Mantel, einen langen schwarzen Rock, zwey Wämser mit dazu gehörigen Beinkleidern, ein 233 Aufschraubetintenfaß, Streusandbüchse und Pennal, ein Buch schönes weisses Papier, ein Vorlegeschloß nebst einem großen Petschaft, und grünem Wachs.

Nachdem er dieß alles ausgekramt hatte, sagte Don Raphael scherzend zu ihm: Wahrhaftig und Gott! Herr Ambrosio, ich muß gestehen, da haben Sie einen recht guten Kauf gethan. Darf man nicht wissen, was Sie damit machen wollen?

Wunderdinge, Herr, Wunderdinge, antwortete Ambrosio. Die ganze Geschichte kommt mich nicht mehr als zehn Dublonen, und sie soll uns versichert mehr denn fünfhundert eintragen. Darauf können Sie Sich verlassen. Ich bin der Mann nicht, der sich mit unnützem Takelzeuge behängt; einen Kram von Mäusezäumen und Katzenhufeisen anlegen wird. Und damit Sie sehen, daß Sie keinen Narren zu Markte geschickt haben, will ich Ihnen das Project erzählen, das ich ausgeheckt habe, und das unstreitig so sinnreich ist, als es nur jeder menschliche Witz herausbringen kann. Ich bin gewiß, daß es Ihnen ungemein gefallen wird, wenn Sie's hören werden. Und nun wohl aufgemerkt!

Nachdem ich mich mit Brot verproviantirt hatte, fuhr er fort, ging ich zu einem Garkoch, dem ich sechs Rebhühner und eben so viel Kaninchen und Hühner an den Spieß zu stecken 234 befahl. Derweil dieß Flügelwerk briet, kam jemand voller Zorn herein, und beschwerte sich bitterlich über die Begegnung, die ihm von einem dasigen Kaufmanne widerfahren war.

Bey Sanct Jago! sagte er zum Garkoch, 's gibt doch in ganz Xelva unter allen Kaufleuten keinen so unverschämten Schlingel, als den Simon Samuel. Jetzt eben hat er mich vor allen Leuten in seinem Laden beschimpft. Nicht einmahl sechs Ellen Tuch wollt' er mir creditiren, der alte Knicker! und kennt' mich doch als 'nen Professionisten, der vor den Daumen schieben kann, weiß recht gut, daß er bey mir nichts an's Bein binden wird. Was sagt Ihr von solchem alten Esel? Standespersonen, denen creditirt er gern, soviel Risco auch dabey ist. Aber einem rechtschaffnen Bürger, bey dem er nichts riskirt, einen Gefallen zu erweisen, das läßt er wohl bleiben. Ein rasender Kerl! Wollte Gott, daß der Blitzjude mahl recht tüchtig über's Ohr gehauen würde! Vielleicht wird mein Wunsch noch einmahl erfüllt! Wieviel Kaufleute würden das nicht mit mir gern sehen!

Indem ich diesen Handwerksmann so sprechen hörte, der noch viel mehr erzählte, wandelte mir die Lust an, ihn zu rächen, und dem Samuel Simon einen Streich zu spielen. Mein Freund, sagt' ich zu dem Manne, 235 der sich über diesen Kaufmann beschwerte, was ist denn das für eine Art Mensch, von dem Sie sprechen?

O ein erzschlechter Kerl, antwortete er mir hitzig. Der ärgste Schinder und Schaber, den es jemahls gegeben hat, so ehrlich und gewissenhaft er sich auch anstellt; ein Jude, der zwar unsre Religion angenommen hat, im Herzen aber ein noch weit ärgrer Jud' ist, als Pilatus, denn man sagt, er soll bloß aus Interesse Christ geworden seyn.

Ich hörte den Handwerksmann auf's sorgfältigste an, und unterließ nicht, beym Fortgehen aus der Garküche mich nach Samuel Simon's Wohnung zu erkundigen. Man zeigte sie mir, ich durchlief mit flüchtigem Auge seinen Laden, untersuchte alles genau, und meine allzeitfertige Einbildungskraft gab mir einen SchnellerSchneller. In dem figürlichen Sinne, worin Lessing dieß Wort seinem Paul Werner in den Mund legt, für eine rasche Berückung find ich es im Adelung nicht, wohl aber im Spate oder Stieler S. 1890. Da es viel milder als Prellerey ist, so glaubt' ich ihm hier einen schicklichen Platz anweisen zu können. – A. d. Uebers. ein, den ich gar wohl verdaute, ganz 236 in Saft und Kraft verwandelte, und dessen sich, meines Bedünkens, der Diener vom Sennor Gil Blas nicht zu schämen braucht.

Ich gehe in eine Trödelbude, und kaufe daselbst die Sachen, die ich mitgebracht habe. Das eine Kleid soll den Inquisitor, das andre den EscribanoBedeutet hier einen Gerichtsschreiber., und das dritte den Alguazil machen helfen. Das waren meine Verrichtungen, meine Herren, und das hat meine Zurückkunft ein wenig verzögert.

Ah! trauter Ambrosio! unterbrach ihn hier Don Raphael ganz ausser sich vor Freude. Ein vortrefflicher Einfall! ein herrlicher Plan! Ich beneide Dich um die Erfindung. Gern gäb ich den größten Meisterstreich meines Lebens hin, wenn ich mich eines so glücklichen Geniezugs rühmen könnte.

Ja, Lamela, fuhr er fort, ich sehe den ganzen Reichthum Deines Plans zur Genüge ein. Sey nicht wegen der Ausführung besorgt. Du brauchst zwey gute Acteurs zur Unterstützung, und die sind bereits gefunden. Mit Deiner Kopfhängermiene wirst du den Inquisitor recht gut machen. Ich nehme den Escribano auf mich, und Sennor Gil Blas, wenn's ihm gefällig, die Rolle des Alguazils. So 237 wären die Personen ausgetheilt; morgen wird das Stück gespielt, und es fällt gewiß gut aus, wenn sich nicht einer von jenen Querfällen ereignet, die oft die bestabgekartesten Anschläge zernichten.

Noch konnt' ich das Project, das Don Raphael so herrlich fand, nicht so ganz fassen; doch bey der Abendmahlzeit erklärte man mir's deutlicher, und ich fand es gleichfalls sinnreich. Nachdem wir unserm Wildprete wacker zugesprochen, und unserm Schlauche gar reichlich adergelassen hatten, streckten wir uns auf's Gras aus, und waren bald eingeschlafen. Unser Schlaf dauerte aber nicht lange, denn eine Stunde hernach, noch vor Anbruch des Tages, störte ihn der unbarmherzige Ambrosio.

Auf, Kinderchen! auf! rief er. Der schlafende Fuchs fängt kein Huhn, und Leute, die was Großes ausführen wollen, müssen nicht hungern. Verdammt! Herr Inquisitor! rief der plötzlich aus dem Schlafe fahrende Don Raphael; Sie sind sehr munter! Sennor Samuel Simon wird in's Teufels Küche kommen, merk' ich. So hoff' ich, erwiederte Lamela. Ueberdieß muß ich Dir sagen, fuhr er mit lachendem Munde fort, mir träumte heut Nacht, ich rupfte ihm sein Barthaar aus. Gelt, ein übler Traum für ihn, Herr Escribano? 238

Auf diese Schäkereyen folgten noch viele andre, die uns insgesammt in die lustige Laune versetzten. Wir nahmen fröhlich unser Frühstück ein, und machten uns hierauf zu unsern Rollen fertig. Ambrosio legte den langen Rock und Mantel an, sodaß er völlig wie ein Commissar der heiligen InquisitionEin Commissar der heiligen Inquisition »(welches allezeit ein Priester seyn muß) ist einer ihrer Diener, die sie in allen Theilen Spaniens hat, und deren sie sich zu geheimen Nachrichten, Untersuchungen, Gefangennehmung und andern Aufträgen bedient.« – D. Uebers. aussahe. Don Raphael und ich kleideten uns auch so an, daß wir den Escribanos und Alguazils nicht übel glichen.

Mit unsern Vermummungen ging viele Zeit hin, und es war bereits schon über zwey Uhr Nachmittags, als wir das Gehölz verliessen, um uns nach Xelva zu begeben. Zu eilen hatten wir nicht nöthig, weil unsre Farse nicht vor Anbruch der Nacht sollte vorgestellt werden. Deßhalb ritten wir auch nur Schritt für Schritt, und machten sogar vor dem Stadtthore Halt, um daselbst den Abend abzuwarten. 239

Sobald es dunkel war, ließen wir daselbst die Pferde unter Alphonso's Huth, der sehr zufrieden war, daß er keine andre Rolle zu spielen hatte. Don Raphael, Ambrosio und ich gingen nicht gleich zum Samuel Simon, sondern zu einem Weinschenken, der zehen Schritte von seinem Hause wohnte.

Der Herr Inquisitor trat zuerst in's Haus, und sagte gravitätisch zum Wirthe: Mein Freund, ich möcht' Euch gern ein Paar Worte allein sagen. Ich habe in Sachen der heiligen Inquisition, folglich in Sachen von sehr vielem Belang, mit Euch zu reden. Der Wirth führte uns in einen Saal. Als sich Lamela hier mit ihm und uns allein sahe, sagte er zu ihm: Ich bin ein Commissar des heiligen Amts. Bey diesen Worten erblaßte der Weinschenke, und antwortete mit bebender Stimme, er glaubte der heiligen Inquisition nicht Ursache gegeben zu haben, sich über ihn zu beklagen.

Auch wird sie Euch kein Haar auf Eurem Haupte krümmen, erwiederte Ambrosio mit sanfter Stimme. Gott bewahre sie dafür, daß sie zu rasch mit Strafen den Unschuldigen mit dem Verbrecher verwechseln sollte; sie ist streng, aber stets gerecht. Mit Einem Worte, sie wird einen nie unverdient mit Strafe belegen. Euretwegen komm ich also nicht nach Xelva, sondern wegen eines gewissen Kaufmanns, der 240 Samuel Simon heißt. Der Bericht, den man uns von ihm und seinem Wandel abgestattet hat, klingt nicht allzufein. Er sey noch immer Jude, heißt es, und habe bloß aus menschlichen Bewegungsgründen sich zum Christenthume bekannt.

Ich befehle Euch im Nahmen des heiligen Amts mir das zu sagen, was Ihr von ihm wißt. Hütet Euch aber als sein Nachbar, und vielleicht als sein Freund etwas zu seinem Besten kehren zu wollen, denn ich erkläre Euch hiermit, wenn ich in Eurem Zeugniß auch nur die geringste Partheylichkeit für ihn wahrnehme, so seyd Ihr selbst ein Kind des Todes.

Wohlan, Sennor Escribano fuhr er fort, thun Sie was Ihres Amts ist! Der Herr Escribano, der Tintefaß und Papier bereits in der Hand hatte, setzte sich an einen Tisch, und machte sich mit der ernstesten Miene von der Welt fertig, die Aussage des Wirths niederzuschreiben, der seiner Seits betheuerte: er würde reinen Wein einschenken.

Wenn das ist, sagte der Commissar der Inquisition, so können wir immer anfangen. Antwortet bloß auf meine Fragen; mehr verlang' ich von Euch nicht. Seht ihr den Samuel Simon oft in die Kirche gehen? Darauf hab' ich nicht Acht gegeben, antwortete der Weinschenke. Ich erinnere mich aber nicht, 241 ihn drinne gesehen zu haben. Gut, rief der Inquisitor, schreibt nieder: man sähe ihn nie in der Kirche. Das sag' ich just nicht, entgegnete der Wirth. Ich sage bloß, ich habe ihn nicht darin gesehen. Er kann wohl in einer Kirche gewesen seyn, wo ich auch war, ohne daß ich ihn bemerkt habe.

Mein Freund, erwiederte Lamela, Ihr vergeßt, daß Ihr bey diesem Interrogatorio dem Simon nichts zum Besten kehren sollt. Ich habe Euch die Folgen gesagt. Ihr müßt bloß das berichten, was wider ihn ist, und kein Wort zu seinem Vortheile.

Ja auf die Art, Sennor Licenciado, antwortete der Wirth, wird Ihnen meine Aussage nicht viel helfen können: ich kenne den Kaufmann, von dem hier die Rede ist, viel zu wenig, kann ihm also weder Liebes noch Leides nachsagen. Wollen Sie aber ganz genau wissen, wie's in seinem Hause zugeht, so will ich Ihnen seinen Ladenburschen, den Gaspar, hohlen lassen. Er kommt manchmahl mit seinen guten Freunden hieher, und poculirt. Der hat ein tüchtiges Maulwerk, das kann ich Ihnen versichern, und wird Ihnen soviel aus der Schule schwatzen, als Sie nur haben wollen, wird Ihnen seines Herrn Aufführung haarklein erzählen, und dem Herrn Escribano ein hübsches Stückchen Arbeit machen. 242

Eure Offenherzigkeit gefällt mir, sagte hierauf Ambrosio, und es ist ein Beweis Eures Diensteifers für das heilige Amt, daß Ihr mir einen Menschen zuweist, der von Simon's Sitten völlig unterrichtet ist. Ich werd's der Inquisition zu rühmen wissen. Laßt also den Gaspar auf's hurtigste herüberhohlen. Macht's aber ja fein geschickt, damit sein Herr nichts davon merkt. Der Weinschenke entledigte sich seines Auftrages mit eben so vieler Schnelligkeit als Klugheit, und brachte Simon's Ladenburschen mit.

Es war in der That ein gewaltiger PlaudergernPlaudergern, der eine überwiegende Neigung zum Plaudern hat. Dieß Wort ist nach der Analogie von Tadelgern, Trinkegern, Habegern, Spielgern, Zankgern u. s. w. gemacht. Adelung, der gegen den komischen Ausdruck einen so tödtlichen Haß hegt, wie gegen den hohen poetischen, lobt diese Zusammensetzung mit gern. – A. d. Uebers., und grade so, wie wir ihn brauchten. Willkommen, mein Sohn, sagte Lamela zu ihm, Ihr seht in mir einen vom heiligen Amte ernannten Inquisitor, der vom Samuel Simon, welchen man des Judenzens beschuldigt,. Erkundigung einziehen soll. Ihr haltet Euch bey ihm auf, folglich müßt Ihr von seinen 243 meisten Handlungen Augenzeuge seyn. Ich halte es für unnöthig Euch zu sagen, daß Ihr verbunden seyd, mir alles, was Ihr von ihm wißt, frey herauszusagen, wenn ich Euch im Nahmen der heiligen Inquisition befehle, es zu thun.

Da sind Sie gerade vor die rechte Schmiede gekommen, Sennor Licenciado, antwortete der Kaufmannsbursch. Ich bin schon so völlig bereit, Ihnen alles zu sagen, was Sie wissen wollen, ohne daß Sie mir's erst im Nahmen des heiligen Amtes anbefehlen dürfen. Ich weiß, mein Herr würd' es nicht um ein Haar mit mir besser machen, wenn man ihn auf mein Kapitel brächte. Deßhalb will ich ihn eben so wenig schonen. Sie müssen also wissen, er ist ein Schleicher, von dem man nicht herauskriegen kann, was er eigentlich im Schilde führt; ein Mann, der sich stellt, als woll' er allen Heiligen die Füße abbeissen, und an dem doch im Grunde nicht ein gutes Haar ist. Alle Abend' geht er zu einem gewissen . . . Jüngferchen . . . . .

Das ist mir lieb zu vernehmen, sagte Ambrosio, und ich ersehe hieraus, wie ruchlos sein Lebenswandel ist. Doch beantwortet mir all' die Fragen, die ich Euch vorlegen werde, ganz genau. Mein Auftrag geht hauptsächlich dahin, Erkundigung einzuziehen, wie es mit seiner Religion beschaffen ist. Sagt mir doch, wird in Eurem Hause Schweinefleisch gegessen? 244

Ich denke, das Jahr über, das ich nun bey ihm bin, werden wir's nicht über zweymahl gehabt haben, antwortete Gaspar. Sehr wohl, erwiederte der Herr Inquisitor. Schreiben Sie, Herr Escribano, daß beym Samuel Simon niemahls Schweinefleisch gegessen wird. Dagegen, fuhr er fort, wird Zweifelsohne bisweilen Lammfleisch gegessen? Ja, unterweilen, sagte der Ladenbursch: zum Exempel letzte Ostern aßen wir ein Lamm. Ah! da haben wir's! rief der Commissar; hingeschrieben, Herr Escribano, daß Samuel Simon das Osterfest feyert. Das geht gut. Mich dünkt, daß wir Gravamina in Menge gegen ihn bekommen.

Sagt mir doch, mein Freund, fuhr Lamela fort, habt Ihr nicht bemerkt, ob Euer Herr kleinen Kindern liebkos't, und sich mit ihnen zu schaffen macht? O unzählige mahl, antwortete Gaspar. Wenn kleine Jungen bey unserm Laden vorbeykommen, so hält er sie auf, und streichelt und schmeichelt sie.

Niedergeschrieben, Sennor Escribano, fiel der Inquisitor ein, daß dieser Samuel Simon gar sehr in Verdacht steht, Christenkinder an sich zu locken, um ihnen die Gurgel abzuschneiden. Ein trefflicher Proselyt! Herr Simon, Herr Simon, auf mein Wort, Sie werden einen gar harten Stand gegen das 245 heilige Amt bekommen. Bilden Sie Sich nicht ein, daß Ihnen Ihre barbarischen Opfer so ungeahndet hingehen sollen. Weiter, mein eifriger Gaspar, sagte er zu dem Kaufmannsburschen, eröffnet mir alles, was Ihr wißt. Ueberführt uns noch völlig, daß dieser Maulkatholik den jüdischen Gebräuchen und Ceremonien mehr zugethan ist, als je. Seht Ihr nicht, daß er einen Tag in der Woche ganz und gar nichts thut?

Das hab' ich noch nie bemerkt, antwortete Gaspar. Das weiß ich wohl, daß er sich manche Tage in sein Cabinett einschließt, und sehr lange drinne bleibt. Nu, da ist's ja ganz klar, rief der Commissar. Er hält den Sabbath, so wahr ich Inquisitor bin. Notiren Sie auf, Herr Escribano, notiren Sie ja auf, daß er das Sabbathsfasten auf's pünktlichste beobachtet. O, der abscheuliche Mensch. Ich habe nur bloß noch Eine Frage an Euch zu thun. Spricht er nicht auch oft von Jerusalem?

Ueber ein Handweilchen, antwortete der Bursch. Er erzählt uns die Geschichte der Juden, und wie ihr Tempel zu Jerusalem ist zerstöret worden. Richtig, richtig! rief der Inquisitor. Laßt Euch diesen Umstand ja nicht entwischen, Herr Escribano. Schreibt mit großen Lettern, daß Samuel Simon's 246 Dichten und Trachten Tag und Nacht auf die Wiedererbauung des Tempels und auf die Wiedervereinigung und Emporbringung der jüdischen Nation gerichtet ist. Weiterer Fragen bedarf es gar nicht. Die Aussage, die der wahrheitsliebende Gaspar gethan hat, wäre hinlänglich, eine ganze Judengemeine zum Feuer zu verurtheilen.

Nachdem der Herr Inquisitionscommissar den Kaufmannsburschen solchergestalt vernommen, sagte er zu ihm: Er könne nun gehen, schärfte ihm aber dabey im Nahmen des heiligen Amtes ein, seinem Herrn von dem, was vorgefallen war, kein Wort zu sagen. Gaspar versprach es ihm und ging. Wir folgten ihm bald nach, verließen das Wirthshaus eben so gravitätisch, als wir hineingegangen waren, und klopften an Samuel Simon's Thür.

Er öffnete sie uns selbst, und erstaunte, drey solche Figuren, als wir, eintreten zu sehen, noch stutziger aber ward er, als Lamela, der das Wort führte, mit einem gebietherischen Tone zu ihm sagte: Samuel, ich befehle Euch im Nahmen der heiligen Inquisition, deren Commissar zu seyn ich die Ehre habe, mir sofort den Schlüssel Eures Cabinettes einzuhändigen. Ich will sehen, ob darin nichts vorhanden ist, das die gegen Euch eingereichten Gravamina justificiret. 247

Den Kaufmann brachte diese Rede so außer aller Fassung, daß er zwey Schritte zurücktaumelte, als hätte man ihm einen Schlag vor den Magen gegeben. Weit entfernt, dahinter einen Betrug zu argwöhnen, glaubte er vielmehr ganz treuherziglich, ein heimlicher Feind müsse ihn beym heiligen Amte angegeben haben, oder vielleicht hatte er Ursache, sich vor einer solchen Untersuchung zu fürchten, weil er sich bewußt war, auf wie schwachen Füßen sein Christenthum stand. Wie dem auch seyn mag, so hab' ich doch nie Jemand betroffner gesehen, als ihn. Und da man vor König und Inquisition den Mund halten muß,Ein bekanntes spanisches Sprüchwort. gehorchte er ohne Widersetzlichkeit, mit all' der Ehrerbiethung, die ein inquisitionsfürchtiger Mann nur äußern kann, und öffnete das Cabinett.

Wenigstens, sagte Lamela beym Hineintreten, wenigstens bezeigt Ihr Euch gegen die Befehle des heiligen Amts nicht widerspänstig. Allein, setzte er hinzu, begebt Euch in ein anderes Zimmer, und laßt mich mein Amt frey und ungehindert verwalten. Samuel lehnte sich gegen diesen Befehl so wenig auf, als gegen den ersten. Er ging in seinen Laden, und wir alle Drey in sein Cabinett, wo wir ohne alles 248 Säumen seine Batzen suchten. Wir fanden selbige bald; sie lagen in einem offenen Koffer, und es waren deren weit mehr, als wir fortbringen konnten.

Der Koffer enthielt eine große Menge auf einander geschichteter Säcke, worin aber lauter Silbergeld war. Gold hätten wir freylich lieber gehabt, da's aber nun nicht zu ändern war, machten wir aus der Noth eine Tugend. Wir füllten unsre Taschen, unsre Beinkleider, ja sogar alle Orte, wo wir nur etwas verbergen konnten, damit an. Kurz und gut, wir beluden uns tüchtig, doch so, daß es gar nicht zu sehen war. Und das alles durch Ambrosio's und Raphaels Geschicklichkeit. Nunmehr sah' ich recht gut ein, daß Klappern zum Handwerk gehört.

So wohlbespickt verliessen wir das Cabinett, und nunmehr zog der Inquisitor – der Leser kann leicht errathen weßhalb – sein Vorlegeschloß hervor, hing es vor die Thür, und verpetschirte sie. Hierauf sagte er zu Samuel Simon, ich verbiethe Euch im Nahmen der heiligen Inquisition dieß Vorlegeschloß anzurühren, so wenig als dieß Siegel, das Ihr als das Siegel der heiligen Inquisition respectiren müßt. Morgen um eben die Zeit komm' ich wieder, um es abzunehmen, und Euch neue Befehle zu überbringen. 249

Mit diesen Worten ließ er sich die Hausthür öffnen, und wir gingen einer nach dem andern die Straße ganz lustig herunter. Kaum hatten wir so ein funfzig Schritte gemacht, so begannen wir so schnell und behend hinwegzustreichen, daß wir unsrer schwere Bürde ungeachtet, kaum den Boden berührten. Wir waren bald aus der Stadt, warfen uns auf unsre Pferde, und sprengten nach Segorbien, indem wir dem Gott Merkur für einen so glücklichen Erfolg dankten. 250

 


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