Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Geschichte des Don Alphonso und der schönen Seraphine.

Ich will Euch nichts verhehlen, mein Vater, so wenig, als jenem Cavalier. Nach dem Edelmuth, den er gegen mich geäußert hatte, wär' es höchst unbillig, Mißtrauen in ihn zu setzen. So will ich Euch denn meine Unglücksfälle erzählen. Ich bin aus Madrid, und mein Ursprung ist dieser.

Ein Officier von der Deutschen Leibwache, der Baron von Steinbach findet, wie er des Abends zu Hause kommt, auf der Treppe ein weißleinenes Päckchen liegen. Er hebt es auf und nimmt es in das Zimmer seiner Gemahlinn. Da fand es sich, daß es ein neugebornes Kind war, in sehr saubre Leinwand gehüllt, und dabey ein Briefchen, worin man versicherte, es gehöre Standespersonen, die sich dereinst würden zu erkennen geben, und stand noch darin, daß es getauft, auch Alphonso genannt sey.

Dieß unglückliche Kind bin ich, und das ist alles, was mir von meiner Geburt bekannt ist. Ein Schlachtopfer der Ehre oder der Untreue, weiß ich nicht, ob mich nicht meine Mutter bloß darum ausgesetzet hat, um ihre schändliche Buhlerey zu verbergen, oder ob sie, verführet durch 71 einen meineidigen Liebhaber in die grausame Nothwendigkeit gestürzet ward, sich meiner zu entäußern.

Dem sey nun wie ihm wolle, der Baron und seine Frau von meinem Schicksale gerühret, entschlossen sich, da sie selbst keine Kinder hatten, mich als das ihrige unter dem Nahmen Don Alphonso aufzuziehen. Je älter ich ward, je mehr gefesselt fühlten sie sich an mich. Mein zuthuliches, schmeichelndes Wesen erwarb mir jeglichen Augenblick neue Gunstbezeigungen. Kurz, ich hatte das Glück, mich bey ihnen beliebt zu machen. Sie hielten mir verschiedene Lehrmeister, und meine Erziehung ward ihr angelegentliches Geschäft. Weit entfernt mit Ungeduld auf die Entdeckung meiner Aeltern zu warten, schienen sie vielmehr zu wünschen, daß meine Geburt immer unbekannt bleiben möchte.

Sobald mich der Baron fähig fand, Waffen zu tragen, bracht' er mich in Dienste. Er wirkte für mich eine Fähndrichsstelle aus, schaffte mir die nöthige Equipage an, und um mich so mehr zu ermuntern, Gelegenheiten zu suchen, wobey Ruhm zu erwerben, stellt' er mir vor, daß die Bahn der Ehre jedermann offen stände, und daß ich mir im Kriege einen um so glorreichern Nahmen erwerben könnte, da ich ihn mir nur allein zu danken hätte. Zugleich entdeckte er mir das Geheimniß meiner Geburt, das er mir bisher verborgen gehabt hatte. 72

Da ich in Madrid für seinen Sohn galt, und auch bisher es wirklich zu seyn geglaubet hatte, so muß ich Ihnen gestehen, daß mich diese Entdeckung in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ich konnte ohne Scham daran nicht denken, und kann es auch noch nicht. Je mehr mir meine Gesinnungen versichern, daß ich von edler Geburt bin, desto mehr schäm' ich mich von denen weggeschläudert zu seyn, denen ich mein Leben zu danken habe.

Ich ging in den Niederlanden dienen, da aber bald nachher Friede geschlossen wurde, und Spanien keine Feinde mehr hatte, ob schon Neider in Menge, so kam ich wieder nach Madrid zurück, wo ich vom Baron und seiner Frau neue Beweise ihrer Zärtlichkeit erhielt. Ich war bereits zwey Monathe zurück, als ein kleiner Page ins Zimmer trat, und mir ein Briefchen überreichte.

Es war ungefähr des Inhalts: »Ich bin weder häßlich noch übel gebildet, und dennoch sehen Sie mich oft an meinen Fenstern, ohne den kleinsten Blick der Liebe auf mich zu werfen. Dieß Betragen stimmt zu Ihrer galanten Miene gar schlecht, und verdrießt mich so sehr, daß ich, um mich dafür zu rächen, Ihnen Liebe einzuflössen wünschte.«

Nachdem ich dieß Billet gelesen hatte, zweifelte ich gar nicht, daß es von einer uns gerade über wohnenden Witwe Nahmens 73 Leonore wäre, die in dem Rufe stand, sehr verbuhlt zu seyn. Ich quästionirte den kleinen Pagen, der anfänglich nicht mit der Sprache herauswollte, endlich aber für einen Ducaten meine Neugier stillte. Er belud sich sogar mit einer Antwort, worin ich seiner Sennora sagte: ich erkennte mein Verbrechen, und fühlte bereits, daß sie halb gerächet sey.

Ich war gegen diese Art von Eroberung nicht unempfindlich, blieb den ganzen Tag zu Hause, und lauerte am Fenster um die Dame zu beobachten, die sich an den ihrigen zu zeigen nicht vergaß. Ich bediente mich der Mienensprache, sie antwortete mir in selbiger, und den folgenden Tag ließ sie mir durch ihren Pagen sagen: wenn ich mich künftige Nacht zwischen Eilf uns zwölf auf der Straße einfinden wolle, könn' ich mich an dem Fenster eines untern Saals mit ihr unterhalten.

Ob ich mich nun gleich gegen eine so feurige Witwe nicht sehr verliebt fühlte, so unterließ ich dennoch nicht eine sehr zärtliche Antwort zu senden, und die Nacht mit so großer Ungeduld zu erwarten, als wenn ich noch so viel für sie fühlte. Als es Nacht geworden war, ging ich in dem PradoPrado, der sich weit ausdehnende Königliche Thiergarten unfern Madrid. – A. d. Uebers. so lange auf und ab, bis die Stunde zum Rendezvous gekommen war. 74

Ich war noch nicht an Ort und Stelle, als ein Mann, der einen sehr schönen Gaul ritt, hart neben mir abstieg und mit Ungestüm zu mir sagte: Cavalier, sind Sie nicht der Sohn des Barons von Steinbach? Ja, antwortete ich ihm. So seyd Ihr es, der diese Nacht sich mit Leonore'n unterhalten wird. Ich habe ihre Briefe und Eure Antworten gesehen. Ihr Page hat sie mir gezeigt, und ich bin Euch diesen Abend von Eurem Hause bis hierher nachgefolget, um Euch zu sagen: daß Ihr einen Nebenbuhler habt, dessen Eitelkeit es verdrießt, mit Euch um Ein Herz zu streiten. Euch mehr zu sagen, glaub' ich, ist nicht nöthig. Wir sind an einem abgelegenen Orte, wollen uns schlagen, wofern Ihr nicht die Euch zugedachte Züchtigung, durch das Versprechen vermeiden wollt, allen Umgang mit Leonore'n aufzuheben. Opfert mir die Euch gemachten Hoffnungen auf, oder empfanget den Tod aus meiner Hand. Dieß Opfer, antwortete ich, mußte gebethen, und nicht gefordert werden. Euren Bitten hätt' ich es vielleicht zugestanden, allein Euren Drohungen verweigr' ich es.

Nun wohl, erwiederte er, nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte. so wollen wir uns schlagen. Es ziemt sich nicht, daß ein Mann meines Ranges sich so wegwirft, und einen Menschen Eures Standes bittet. Die meisten meines Gleichen würden sich sogar an 75 meiner Stelle auf eine weniger ehrenvolle Art gerächet haben.

Diese letzten Worte empörten mich heftig, und da ich sahe, daß er seinen Degen gezogen hatte, zog ich den meinigen auch. Wir schlugen uns mit solcher Wuth, daß der Streit nicht lange dauerte. Es sey nun, daß er zu hitzig auf mich eindrang, oder daß ich geschickter war, als er, genug ich versetzt' ihm eine tödtliche Wunde. Ich sah' ihn wanken und fallen. Bloß auf meine Rettung jetzt bedacht, setzt' ich mich auf sein Pferd und nahm den Weg nach Toledo.

Zurückzukehren zum Baron Steinbach, das wagt' ich nicht, weil ihn dieser Vorfall, wie leicht zu erachten, nicht anders als kränken konnte, und als ich mir die ganze Gefahr vorstellte, worin ich mich befand, so glaubt' ich mich von Madrid nicht schnell genug entfernen zu können.

In den traurigsten Betrachtungen ritt ich den übrigen Theil der Nacht und den ganzen Morgen durch; aber gegen Mittag mußt' ich still halten, um mein Pferd ein wenig ausruhen zu lassen, und die unerträglich werdende Hitze zu vermeiden. So blieb ich dann bis zu Sonnenuntergang in einem Dorfe, worauf ich mich wieder auf den Weg machte, in Willens, in Einem Strich nach Toledo zu reiten.

Schon war ich zwey Meilen über Illescas hinaus, als ich ungefähr um Mitternacht, 76 mitten auf dem Felde, von einem Gewitter überfallen wurde, das so heftig war, als das heutige. Ich näherte mich einer Gartenmauer, die ich einige Schritte von mir erblickte, und da ich keinen bequemern Schirm vor dem Wetter fand. so schmiegt' ich mich mit meinem Pferde so gut wie möglich an die Thür eines Lusthauses, das am Ende der Mauer lag, und einen Balkon hatte.

Indem ich mich an die Thür lehnte, merkt' ich, daß sie offen sey, was ich der Nachlässigkeit der Bedienten zuschrieb. Ich stieg ab, und weniger aus Neugier, als um besser vor dem unter dem Balkon mich noch immer belästigenden Regen gedeckt zu seyn, begab ich mich in's Lusthaus: mein Pferd zog ich am Zügel nach.

So lang das Ungewitter dauerte, bemüht' ich mich den Ort zu betrachten, wo ich mich befand, und ob ich gleich kein anderes Licht hatte, als das mir die schnell auf einander fallenden Blitze liehen, so merkt' ich doch, daß das Haus nicht Leuten geringen Standes zugehören konnte. Ich erwartete immer, daß der Regen aufhören sollte, damit ich wieder fortkönnte, doch ein großes Licht, das ich in der Ferne gewahrte, brachte mich auf einen andern Entschluß. Ich ließ mein Pferd im Gartenhause, dessen Thür' ich sorgfältig zumachte, und ging auf das Licht los, überzeugt, daß die Leute im Hause 77 noch auf seyn müßten, und fest entschlossen, sie um Nachtquartier zu bitten.

Nachdem ich durch etliche Alleen gegangen war, kam ich an einen großen Saal, dessen Thür gleichfalls offen stand. Ich ging hinein; und nachdem ich mittelst eines schönen krystallnen Kronleuchters, worauf etliche Wachslichter brannten, die ganze Pracht dieses Orts betrachtet hatte, zweifelt' ich nicht mehr, in einem vornehmen Hause zu seyn.

Der Fußboden war Marmor, die Wände sehr sauber getäfelt und künstlich vergoldet; der Karnies ungemein schöngearbeitet, und das Deckengemählde schien mir das Werk eines der geschicktesten Mahler. Was ich aber am aufmerksamsten betrachtete, war die große Anzahl Büsten Spanischer Helden, die ringsum im Saale auf kleinen Gestellen von striefichten Marmor befestiget waren. Ich hatte Zeit genug, das alles auf's genaueste zu betrachten; denn so sehr ich auch lauschte, konnt' ich doch Niemand weder hören noch sehen.

In der einen Seite des Saals befand sich eine bloß angelehnte Thür. Ich stieß sie auf und gewahrte eine lange Reihe von Zimmern, deren letztes bloß erleuchtet war. Was soll ich machen? sagt' ich jetzt zu mir selbst. Zurückgehen, oder kühn genug seyn, bis in jenes Zimmer zu dringen? Freylich fand ich, daß das Erstere weiser gehandelt wäre, allein ich konnte 78 nicht meiner Neugier widerstehen, oder um besser zu sagen, einem geheimen Zuge, der mich fortriß. Ich näh're mich, gehe durch alle Zimmer, komme endlich in das, worin sich das Licht befand; das will sagen, ein auf einem Marmortische stehendes Wachslicht in einem vergoldeten Leuchter.

Das Erste, was mir in die Augen fiel, war die sehr galante und saubre sommermäßige Ausmöblirung; aber gleich darauf fiel mein Blick auf ein Bett, dessen Vorhänge, der Hitze wegen, halb geöffnet waren, und ich sahe daselbst einen Gegenstand, der meine völlige Aufmerksamkeit fesselte – eine junge Dame, die, des heftigen Donnerwetters ungeachtet, im tiefen Schlafe lag. Ich schlich leise zu ihr heran, und mittelst des Schimmers, den mir das Licht lieh, entdeckt' ich Züge, eine Bildung, die mich ganz verblendeten.

Bey diesem Anblicke vergingen mir auf einmahl alle meine Sinne. Ich fühlte mich hingerissen zum höchsten Taumel des Entzückens; so sehr aber auch alles in mir brauste, so hinderte mich die Meinung, sie sey von edlem Geblüte, irgend einen verwägenen Gedanken zu fassen; meine Ehrerbietung besiegte meinen Affect. Indeß, daß ich mich in dem Vergnügen, sie zu betrachten, berauschte, erwachte sie.

Sie können Sich vorstellen, wie bestürzt sie war, mitten in der Nacht eine ganz unbekannte 79 Mannsperson neben sich zu sehen. Sie fuhr über diesen Anblick zusammen, und that einen großen Schrey. Ich bemühte mich, sie zu beruhigen, setzte ein Knie nieder auf die Erde und sagte zu ihr: Fürchten Sie nichts, Sennora. Ich bin nicht hergekommen, Sie im mindesten zu beleidigen.

Ich wollte fortfahren, sie war aber zu erschrocken, um mich anzuhören. Sie rief zu verschiedenen mahlen ihre Leute; da aber Niemand antwortete, warf sie ein leichtes Nachtkleid um, das zu den Füßen ihres Bettes lag, sprang schnell auf, eilte durch all' die Zimmer, wo ich durchgekommen war, und rief noch immer ihren Mädchen und einer jüngern Schwester, die unter ihrer Aufsicht stand.

Ich war jeden Augenblick gewärtig, alle ihre Bedienten auf mich zustürmen zu sehen, und mußte besorgen, unangehört von ihnen gemißhandelt zu werden. Allein zum Glück für mich, kam, so viel und stark sie auch rief, Niemand weiter zum Vorschein, als ein alter Bedienter, der ihr, falls etwas zu befürchten gewesen wäre, nicht viel würde geholfen haben. Nichtsdestoweniger machte seine Gegenwart sie dreister, und sie fragte mich mit Stolz, wer ich sey, auf was für Art und weßhalb ich die Kühnheit gehabt habe, in ihr Haus zu kommen.

Ich begann nunmehr meine Rechtfertigung, und kaum hatt' ich ihr gesagt, daß ich die 80 Lusthausthür offen gefunden habe, so rief sie in eben dem Augenblick: Gerechter Himmel! was für ein Argwohn schießt mir in die Gedanken!

Mit diesen Worten nahm sie das Licht vom Tische, durchsuchte alle Zimmer des Hauses, fand aber weder ihre Mädchen, noch ihre Schwester, zu gleicher Zeit merkte sie, daß sie alle ihre Sachen mitgenommen hatten. Jetzt schien sie völlig Licht zu haben. Kochend kam sie zu mir zurück, und sagte zu mir: Treuloser, geselle nicht Verstellung zur Verrätherey. Das Ungefähr hat Dich nicht hierher geführet. Du gehörest zum Gefolge des Don Fernando de Leyva, und hast an seinem Verbrechen Theil. Hoffe aber nicht mir zu entrinnen. Ich habe noch Leute genug hier, Dich fest zu halten.

Vermengen Sie mich nicht mit Ihren Feinden, Sennora, sagt' ich zu ihr. Ich kenne den Don Fernando de Leyva nicht; mir ist so gar unbekannt, wer Sie sind. Ich bin ein Unglücklicher, den eine Ehrensache aus Madrid getrieben, und schwör' Ihnen bey allem, was heilig ist, ich würde nie zu Ihnen gekommen seyn, wenn mich nicht das Ungewitter unterwegs überraschet hätte. Fällen Sie sonach ein günstigers Urtheil von mir; halten Sie mich nicht mehr für einen Mitschuldigen des Verbrechens, das Sie beleidiget, sondern glauben Sie mich vielmehr völlig bereit, es zu rächen. 81

Diese letzten Worte, und der Ton, womit ich sie aussprach, besänftigten die Dame, die mich nicht mehr als ihren Feind zu betrachten schien; als aber ihr Zorn nachließ, bekam ihre Betrübniß freyen Ausbruch. Sie weinte bitterlich. Ihre Thränen machten mich weich, und ich war nicht weniger niedergeschlagen wie sie, ob ich gleich noch nicht die Ursache ihrer Niedergeschlagenheit wußte. Ich ließ es nicht dabey bewenden, mit ihr zu weinen, sondern voll Ungeduld, ihre Beschimpfung zu rächen, überfiel mich eine Art von Wuth; und ich rief:

Sennora, wer hat Sie beleidiget? Sprechen Sie! Meine Rache vermählt sich von jetzt mit der Ihrigen. Wollen Sie, daß ich hinter Don Fernando'n hereile; und ihm das Herz durchbohre? Nennen Sie mir alle diejenigen, die Sie Ihrer Rache wollen aufgeopfert wissen. Befehlen Sie! Was für Hindernisse, was für Gefahren auch im Wege liegen, so wird doch dieser Fremde, den Sie für einen Spießgesellen Ihrer Feinde halten, sich selbigen gern aussetzen.

Ueber dieß warme Theilnehmen erstaunte die Dame und hemmte ihre Thränen. Ah! Sennor, rief sie, verzeihen Sie meinen Verdacht meiner jetzigen drangvollen Lage. Dieß edelmüthige Anerbiethen reißt Seraphine'n aus ihrem Irrthume; benimmt mir sogar die Scham, einen Fremden zum Zeugen des ihrer Familie erwiesenen Schimpfs gehabt zu haben. Ja, edler 82 Unbekannter, ich sehe meinen Irrthum ein, und verwerfe Ihren Beystand nicht. Doch verlang' ich Don Fernando's Tod nicht.

Nun wohlan, Sennora, sagt' ich, worin kann ich Ihnen denn dienen? Sennor, antwortete Seraphine, so vernehmen Sie die Beleidigung, die man mir zugefüget hat. Don Fernando de Leyva ist in meine Schwester Julie verliebt, die er von ungefähr zu Toledo, unserm gewöhnlichen Aufenthalte, sahe. Vor drey Monathen hielt er bey dem Grafen Polan, meinem Vater, um sie an. Dieser schlug sie ihm ab, wegen einer alten Feindschaft, die zwischen unsern beyden Häusern herrschet. Meine Schwester ist noch nicht funfzehn Jahr. Sie wird so schwach gewesen seyn, dem übeln Rathe meiner Mädchen zu folgen, die Don Fernando ohne Zweifel gewonnen hat, und dieser Cavalier, unterrichtet, daß wir uns hier ganz allein auf diesem Landhause befinden, muß diese Zeit genutzt haben, Julie'n zu entführen.

Ich wünschte wenigstens zu wissen, wohin er geflüchtet ist, damit mein Vater und mein Bruder, die sich für zwey Monatchen zu Madrid aufhalten, ihre Maßregeln darnach nehmen können. Um Gotteswillen, fuhr sie fort, geben Sie Sich die äußerste Mühe, in der Gegend um Toledo Nachforschung anzustellen; suchen Sie dem Entführer auf die Spur zu 83 kommen. Legen Sie den Meinigen diese Verbindlichkeit auf.

Die Dame bedachte nicht, daß dieser Auftrag einem Manne gar nicht angemessen war, der nicht schnell genug sich aus Castilien entfernen konnte; doch wie hätte sie darauf können Rücksicht nehmen, da ich es selbst nicht that. Entzückt von dem Glücke, mich dem liebenswürdigsten Weibe unter der Sonne nothwendig machen zu können, übernahm ich diesen Auftrag mit der größten Freude, und versprach: mich dessen eben so eifrig als schnell zu entladen. Auch erwartete ich nicht einmahl den Anbruch des Tages, um mein Versprechen zu erfüllen, sondern verließ sogleich Seraphine'n, nachdem ich sie beschworen, mir den ihr verursachten Schreck zu verzeihen, und ihr versichert hatte, daß sie bald von mir hören sollte.

Ich nahm denselben Weg zurück, den ich gekommen war, doch so voll von der Dame, daß ich leicht einsehen konnte, wie sehr ich bereits gegen sie entbrannt war. Noch mehr aber merkt' ich es an dem Drange, den ich fühlte, ihretwegen umherzustreifen, und an den verliebten Hirngespinsten, die ich mir machte. Ich stellte mir vor, Seraphine würde mitten in dem Schmerze, worin sie versenkt war, meine entglimmende Liebe gemerket, und sie vielleicht mit einigem Vergnügen wahrgenommen haben, ich bildete mir sogar ein, wenn ich ihr von 84 ihrer Schwester zuverlässige Nachrichten bringen konnte, und wenn die Sache nach ihrem Wunsche ausschlüge, so würd' ich allein die Ehre davon haben.

Hier brach Don Alphonso den Faden seiner Geschichte ab, und sagte zum Einsiedler: Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Vater, wenn ich zu voll von meiner Leidenschaft mich über Umstände auslasse, die Ihnen nothwendig lange Weile machen müssen. Das thun sie nicht, mein Sohn! erwiederte der Anachoret, mir ist es vielmehr lieb zu wissen, wie sehr Ihr für diese junge Dame eingenommen seyd, um darnach meinen Rath einrichten zu können.

Angefeuert durch diese schmeichelhaften Bilder, fuhr der junge Mann fort, sucht' ich Julie'ns Räuber zwey ganze Tage lang: so äußerste Mühe ich mir aber auch in diesen Nachforschungen gab, so war es mir doch nicht möglich, die geringste Spur von ihm zu finden. Höchst mißvergnügt, daß alle meine Bemühungen fruchtlos gewesen waren, kehrt' ich zu Seraphine'n zurück, die ich mir in der äußersten Niedergeschlagenheit dachte. Indeß war sie ruhiger, als ich glaubte.

Sie sagte: sie sey glücklicher gewesen als ich, hätte den Aufenthalt ihrer Schwester entdecket, ja sogar von Fernando einen Brief erhalten, worin er ihr gemeldet: er habe Julie'n sich heimlich antrauen lassen, und sie darauf in ein 85 Kloster zu Toledo gebracht. Diesen Brief hab' ich meinem Vater gesandt, fuhr Seraphine fort, und ich hoffe, daß die Sache soll gütlich beygelegt werden, und daß eine feyerliche Vermählung den Haß dämpfen wird, der unsre Häuser schon so lange Zeit trennt.

Nachdem mich die Dame vom Schicksal ihrer Schwester unterrichtet hatte, sprach sie von der vielen Ungelegenheit, die sie mir gemacht, und von der Gefahr, worin sie mich so unvorsichtiger Weise gestürzt habe, indem sie mich, ohne zu bedenken, daß ich wegen einer Ehrensache auf der Flucht sey, genöthigt hätte, einen Räuber zu verfolgen. Sie entschuldigte sich auf's verbindlichste gegen mich. Da ich der Ruhe bedurfte, führte sie mich in den großen Saal, wo wir uns beyderseits niederliessen. Sie hatte einen weißtaftnen schwarzgestreiften Schlafrock an, und ein Hütchen von eben dem Zeuge mit schwarzen Federn auf; woraus ich schloß, sie könne Witwe seyn. Allein sie schien mir so jung, daß ich nicht wußte, was ich denken sollte.

War ich begierig hierin Licht zu haben, so war sie es nicht weniger, zu wissen, wer ich sey. Sie bath mich, ihr meinen Nahmen zu entdecken, denn, sagte sie, aus dem Adel in meiner Mien' und Wesen, noch mehr aber aus der edelmüthigen Wärme, mit der ich ihr Interesse über mich genommen habe, schlösse sie, daß ich aus einer ansehnlichen Familie sey. 86 Diese Frage machte mich verlegen. Ich ward roth, verwirrt, und da mir hier, ich muß es gestehen, eine Lüge weniger schädlich dünkte, als die Wahrheit, so gab ich zur Antwort: ich sey der Sohn des Baron Steinbachs, Officiers von der deutschen Leibwache.

Sagen Sie mir doch, warum Sie Madrid verlassen haben? erwiederte die Dame. Ich biethe Ihnen zum Voraus das ganze Ansehen meines Vaters und meines Bruders, Don Gaspar an. Das kleinste Zeichen der Erkenntlichkeit, das ich einem Cavalier geben kann, der, um mir zu dienen, sein Leben so in die Schanze schlug. Ich machte mir kein Bedenken, ihr alle Umstände meines Streits anzuführen. Sie gab dem Cavalier, den ich getödtet, Unrecht, und versprach mir, ihr ganzes Haus solle sich für mich verwenden.

Als ich ihre Neugier befriedigt hatte, bath ich sie um Befriedigung der meinigen. Ich fragte, ob ihre Hand frey, oder bereits verschenkt sey. Gewesen, antwortete sie. Vor drey Jahren vermählte mich mein Vater an den Don Diego de Lara, und seit funfzehn Monaten bin ich Witwe. Welcher unglückliche Zufall, Sennora, sagt' ich, hat Ihnen sobald Ihren Gemahl entrissen? Das sollen Sie sogleich erfahren, Sennor, erwiederte die Dame; ich will mich Ihnen anvertrauen, so wie Sie Sich mir. 87

Don Diego de Lara, fuhr sie fort, war ein sehr wohlgebildeter Cavalier; allein so heftig er mich liebte, so sehr er auch alle die Künste anwandte, deren sich nur der zärtlichste Liebhaber bedienen kann, um sich seiner Geliebten angenehm zu machen, so reich er auch an guten Eigenschaften war, so konnt' er dennoch mein Herz nicht rühren. Die Liebe ist nicht allezeit die Wirkung zärtlicher Bemühungen, noch des erkannten Verdienstes; leider! fügte sie seufzend hinzu, bezaubert uns Jemand, den wir nicht kennen, beym ersten Anblick. Ich konnte ihn also nicht lieben. Mehr betreten, als entzückt über die Beweise seiner Zärtlichkeit, und genöthigt, selbige zu erwiedern, fand ich mich, wenn ich mich unterweilen der Undankbarkeit beschuldigte, auch sehr zu beklagen. Zu seinem und meinem Unglücke besaß er noch mehr Delicatesse als Liebe. Er forschte die geheimsten Triebfedern meiner Handlungen und meiner Reden aus; las im innersten meiner Seele. Er beklagte sich jeden Augenblick über meine Gleichgültigkeit, und hielt sich um so viel unglücklicher, mir nicht gefallen zu können, da er nur zu gut wußte, daß ihm kein Nebenbuhler im Wege stand. Denn ich war kaum sechzehn Jahr alt, und er hatte, eh' er mir seine Hand gegeben, durch meine von ihm gewonnene Mädchen die Versicherung erhalten, daß ich noch nie eine Neigung gegen irgend jemand geäußert habe. 88

Seraphine, sagte er unterweilen zu mir, ich wünschte, daß mir bey Ihnen jemand zuvorgekommen wäre, und daß das nur Ihre Fühllosigkeit gegen mich veranlaßte. Meine Zärtlichkeit und Ihre Tugend würden diese Leidenschaft besiegen; so aber verzweifl' ich Ihr Herz zu gewinnen, da alle die Aeußerungen meiner Liebe es so weit nicht haben bringen können. Müde, das ewige Einerley von Vorwürfen zu hören, sagt' ich zu ihm, er würde besser thun, wenn er, anstatt seine und meine Ruhe durch zu viel Delicatesse zu stören, der Zeit die Sorge überließe, die er sich nähme.

In der That befand ich mich in einem Alter, worin ich die Spitzfindigkeiten einer so schwer zu befriedigenden Leidenschaft noch nicht einsehen konnte, und der Entschluß, den ich Don Diego'n zu ergreifen angerathen, war der, den er hätte nehmen müssen. Doch da er sahe, daß ein ganzes Jahr verflossen, und er noch nicht weiter war, als den ersten Tag, so verlor er die Geduld, oder vielmehr den Kopf. Er gab vor, daß er am Hofe eine Sache von Belang abzumachen habe, und begab sich nach den Niederlanden, wo er als Freywilliger Dienste nahm, und bald in den Gefahren das fand, was er suchte – das Ende seines Lebens und seiner Qualen.

Nachdem die Dame ihre Erzählung geendet hatte, gab der sonderbare Character 89 ihres Mannes den Stoff zu unserer Unterredung her. Ein Courier, der Seraphine'n einen Brief von ihrem Vater, dem Grafen Polan, überbrachte, unterbrach uns. Sie bath mich um Erlaubniß, diesen Brief lesen zu dürfen, und ich bemerkte, daß sie beym Lesen erblaßte und an jedem Gliede zitterte. Nachdem sie das Schreiben gelesen hatte, hob sie die Augen auf gen Himmel, stieß einen tiefen Seufzer aus, und in einem Nu schwamm ihr Gesicht in Thränen. Ich konnte ihren Schmerz nicht gelassen ansehen; ward unruhig, und als ob ich den Schlag vorhergesehen hätte, der mich treffen sollte, bemächtigte sich ein tödtlicher Schreck aller meiner Sinne.

Darf ich fragen, Sennora, sagt' ich mit halberstickter Stimme, was für ein Unglück Ihnen dieß Billet zu wissen thut? Da, Sennor, antwortete Seraphine ganz traurig, indem sie mir den Brief gab, lesen Sie selbst, was mir mein Vater schreibt. Es betrifft Sie, betrifft Sie leider nur mehr denn zu sehr.

Ein Schauer überfiel mich bey diesen Worten, ich nahm den Brief zitternd hin, und fand darin Folgendes: »Don Gaspar, Euer Bruder, schlug sich gestern im Prado. Er bekam einen Stich, woran er heute starb; beym Sterben sagte er aus: der Cavalier, der ihn getödtet habe, sey ein Sohn des Baron Steinbach's, Officiers von der deutschen 90 Leibwache. Zur Vermehrung meines Kummers ist mir der Mörder entronnen. Doch er mag geflohen seyn, wohin er will, ich werde nichts sparen, ihn auszukundschaften. So eben schreib' ich einigen Gouverneurs, die ihn gewiß anhalten werden, wenn er durch ihren Gerichtssprengel kommt, auch werd' ich ihm durch noch andre Briefe, alle Wege aus dem Reiche zu kommen, vollends versperren.«

Graf Polan.

Stellen Sie Sich vor, wie zerrüttet meine Sinne durch diesen Brief wurden. Ich blieb einige Augenblicke unbeweglich, und war nicht vermögend zu sprechen. So zu Boden geworfen ich auch war, sah ich doch ein, welch unübersteigliches Hinderniß Don Gaspar's Tod meiner Liebe in den Weg legte. Dieß trieb mich zur wildesten Verzweiflung.

Ich warf mich Seraphine'n zu Füßen, reichte ihr meinen Degen und sagte: Sennora, sparen Sie dem Grafen Polan die Mühe, einen Menschen zu verfolgen der sich ihm vielleicht entziehen könnte. Rächen Sie Ihren Bruder selbst. Bringen Sie ihm seinen Mörder mit eigner Hand zum Opfer dar. Stoßen Sie zu. Lassen Sie den Stahl, der ihm das Leben geraubt, seinen unglücklichen Feind treffen.

Sennor, antwortete mir Seraphine, durch meine rasche That etwas bestürzt, ich liebte den Don Gaspar. Ob Sie nun gleich als ein 91 braver Mann ihn niederstiessen, und ob er gleich sich selbst sein Unglück zugezogen hat, so können Sie doch überzeugt seyn, daß ich meines Vaters Gesinnungen theile. Ja, Don Alphonso, ich bin Ihre Feindinn, und werde alles gegen Sie anwenden, was die Bande des Bluts und der Freundschaft nur von mir fordern können. Doch mißbrauchen werd' ich ihr Unglück nicht, wenn es mir gleich Sie in die Hände liefert. Bewaffnet mich gleich die Ehre gegen Sie, so verbiethet sie mir doch, mich auf eine niedrige Art an Ihnen zu rächen. Die Rechte der Gastfreyheit müssen unverbrüchlich seyn, und ich will den mir geleisteten Dienst nicht mit einem Meuchelmord vergelten. Fliehen Sie! Entrinnen Sie, wo möglich, unsern Verfolgungen, und der Strenge der Gesetze, und retten Sie Ihren Kopf aus der über ihn schwebenden Gefahr.

Wie, Sennora, sagt' ich, Sie können Sich Selbst rächen, und Sie stellen Ihre Rache den Gesetzen anheim, die selbige vielleicht täuschen können. Ah! durchbohren Sie lieber einen Elenden, der keine Schonung von Ihnen verdient. Verfahren Sie nicht so edel, so groß mit mir! Wissen Sie wohl, wer ich bin? Nicht der Sohn des Baron Steinbach's, wofür mich ganz Madrid hält, sondern ein Unglücklicher, den er aus Mitleid aufgenommen hat, der nicht einmahl weiß, wem er das Leben zu danken. 92

Was liegt daran, fiel mir Seraphine schnell in's Wort, gleich als wenn die letzten Worte sie von neuem geschmerzt hätten, und wären Sie auch der Geringste unter allen Menschen, so werd' ich doch thun, was mir die Ehre vorschreibt.

Nun dann, gnädige Frau, sagt' ich, da der Tod eines Bruders Sie nicht anreitzen kann, mein Blut zu vergießen, so will ich Ihren Haß durch ein neues Verbrechen vermehren, dessen Kühnheit, hoff' ich, Sie mir nie verzeihen werden. Ich bethe Sie an. Ich konnte Ihre Reize nicht sehen, ohne durch selbige geblendet zu werden, und weidete mich, trotz meiner dunkeln Herkunft, an der Hoffnung, einst noch der Ihrige zu seyn. Ich war verliebt, oder eitel genug, mir zu schmeicheln, daß der Himmel, der mir vielleicht aus Milde meine Herkunft verhehlt, sie mir eines Tages offenbaren würde, und daß ich Ihnen alsdann meinen Nahmen ohne Erröthen würd' entdecken können. Werden Sie noch nach diesem Sie äußerst beleidigen müssenden Geständnisse Anstand nehmen, mich zu bestrafen?

Zu einer andern Zeit, erwiederte die Dame, würde mich dieß verwägne Geständniß ohne Zweifel beleidigen, allein dem Aufruhre, worin sich Ihre Sinne befinden, verzeih' ich es. Ueberdieß bin ich jetzt selbst in einer solchen Lage, daß ich wenig auf das achte, was Sie sagen. Noch einmahl, Don Alphonso, fügte sie mit 93 Vergießung einiger Thränen hinzu, reisen Sie! Entfernen Sie Sich aus einem Hause, das Sie mit Jammer anfüllen; jeder Augenblick, den Sie hier zubringen, vermehrt meine Pein.

Ich widerstehe nicht länger, Sennora, sagt' ich. Ich muß mich entfernen. Doch glauben Sie nicht, daß ich zur Erhaltung eines Ihnen verhaßten Lebens einen Ort suchen werde, wo ich sicher wäre. Nein, nein, ich überlasse mich ganz Ihrer Rache. Ich will nach Toledo, und daselbst mit Ungeduld das Schicksal erwarten, das Sie mir bereiten, und indem ich mich ganz Ihren Verfolgungen Preis gebe, will ich das Ende meines Elends selbst beschleunigen.

Mit Vollendung dieser Worte eilt' ich hinweg. Man gab mir mein Pferd, und ich ritt nach Toledo, woselbst ich acht Tage blieb, und in der That mir so wenig Mühe gab, mich zu verbergen, daß ich nicht begreife, wie man mich nicht fest genommen hat; denn ich kann nicht glauben, daß Graf Polan, der darauf bedacht ist, mir jeden Paß zu verschließen, nicht vermuthet haben sollte, daß ich durch Toledo gehen könnte. Endlich verließ ich gestern diese Stadt, voll Ueberdrusses – so schien es – daselbst länger in Freyheit zu leben, und ohne Steg und Weg zu halten, als ein Mensch, der nichts zu befürchten hat, kam ich an diese Einsiedeley. Das, mein Vater, liegt mir auf dem Herzen. Ich bitte Euch, mir mit Eurem Rathe beyzustehen. 94

 


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