Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Bey wem Gil Blas nach Don Mathias de Sylva Tode in Dienste kam.

Einige Tage nach Don Mathias Leichenbegängnisse wurden alle seine Domestiken abgelohnt und verabschiedet. Ich schlug meine Wohnung bey meinem Barbier auf, mit welchem ich auf einem höchst vertraulichen Fuß lebte. Ich versprach mir hier ein vergnügters Leben, als beym Melendez. Da es mir nicht an Gelde fehlte, so gab ich mir keine sonderliche Mühe um einen Dienst; überdieß war ich auch in dem Stück sehr ekel geworden. Bey Leuten von gemeinem Haufen wollt' ich nicht dienen, und hatte den Entschluß gefaßt, jeden Posten, den man mir anbieten würde, genau zu untersuchen. Das Beste, dacht' ich, ist nicht zu gut für mich; so überzeugt war ich, daß der Kammerdiener eines jungen Cavaliers jedem andern Bedienten vorzuziehen sey. 162

In Erwartung, daß mich das Glück zu einer solchen Herrschaft führen würde, als ich zu verdienen mir einbildete, dacht' ich meine Muße nicht besser anwenden zu können, als daß ich sie der schönen Laura widmete. Seit der drolligen Entkappung hatt' ich das liebe Mädchen mit keinem Auge wiedergesehen. Als Don Cesar de Ribera mich anzuziehen, wagt' ich nicht; man würde mich für einen Phantasten gehalten haben, wenn ich mich dieses Anzugs anders, als zur Verkleidung hätte bedienen wollen. Mein Habit war überdieß noch sauber genug, und in Schuhen, Strümpfen und Haaren war ich sehr nett. Mit Hülfe des Barbiers putzt' ich mich so heraus, daß ich ein Mittelding zwischen Don Cesar und Gil Blas wurde. In dem Zustande begab ich mich nach Arsenie'ns Hause.

Ich fand meine Laura in eben dem Saale, wo ich sie bereits gesprochen hatte, und zwar ganz allein. Ha! seyd Ihr's, rief sie, wie sie mich gewahr wurde. Ich dachte, Ihr hütet schon längst dem Pfaffen die Gänse. Es sind nun sechs, sieben Tage, daß ich Euch die Erlaubniß gegeben habe, mich besuchen zu dürfen. Wie ich sehe, mißbraucht Ihr die Freyheiten nicht, die Euch die Damen einräumen.

Ich entschuldigte mich mit meines Herrn Tode, mit vielen Beschäftigungen, und setzte auf eine galante Art hinzu: Mitten unter all' dem Trubel wär' mir meine liebenswürdige Laura 163 nicht aus den Gedanken gekommen. Ich nehme dieß für baar Geld an, sagte sie, und so keine Vorwürfe weiter! Ich muß Euch gestehen, ich habe auch an Euch gedacht. Kaum war mir des Don Mathias Unglück zu Ohren gekommen, so brütete ich ein Plänchen aus, das Euch vielleicht nicht mißfallen wird. Meine Herrschaft hat schon lange davon gesprochen, daß sie gern eine Art von Homme d'affaires haben möchte; einen Menschen, der gut die Oekonomie versteht, und die Gelder, die man ihm zur Bestreitung der Ausgaben anvertraut, pünctlich zu Buche bringt. Da hab' ich nun meine Augen auf Eure Herrlichkeit geworfen, und dächte, Sie sollten selbigen recht gut bekleiden. Ungemein gut, das fühl' ich, gab ich zur Antwort, ich habe die Oeconomica des Aristoteles gelesen, und das Buchhalten versteh' ich auf ein Haar.

Aber mein Kind, fuhr ich fort, Eins hält mich ab, in Arsenie'ns Dienste zu treten. Und das Eine ist? sagte Laura. So nenn' doch das Kind bey Nahmen. Der Schwur, nicht mehr bey Bürgerlichen zu dienen, erwiederte ich. Ein Schwur, den ich selbst beym Styx gethan habe. Da sich nun sogar Jupiter nicht unterstanden, diesen Schwur zu brechen, wie sollte ein armer Schäker von Bedienten ihn nicht heilig halten? Was nennst Du Bürgerliche, versetzte das Kammermädchen frostig. Wofür hältst Du die Komödiantinnen? 164 Für Advocaten- oder Procurator-Weiber? O wisse, mein Freund, Komödiantinnen sind adlich, erzadlich, durch die genauen Verbindungen, worin sie mit den vornehmen Herren stehen.

Auf dem Fuß, meine Infantinn, sagt' ich, kann ich die mir zugedachte Stelle annehmen. Ich vergebe mir also dadurch nichts? Nicht das mindeste, gab sie zur Antwort. Aus den Diensten eines Petitmaitre's in die Dienste einer Theaterheldinn treten, heißt immer in Einer Welt bleiben. Die Standespersonen haben nicht Einen Schritt vor uns voraus; wir halten Kutsch' und Pferde, wie sie, eben so gute Tafel und im Grunde kann man uns im gemeinen Leben mit einander verwechseln. Du darfst nur mahl einen Marques und einen Komödianten einen Tag über gegen einander halten; 's ist fast Maus wie Mutter. Erhebt sich der Marques drey Viertel des Tags über den Komödianten, so erhebt sich der Komödiant in dem noch übrigen Viertel über den Marques durch eine Kaiser- oder Königs-Rolle, die er vorzustellen hat. Auf die Art steigt, meines Bedünkens, unsre Wagschale so hoch, wie der Hofleute ihre, und wir sind an Größ' und Adel nicht um ein Quentchen leichter wie sie. Wahrlich nicht! erwiederte ich, wie ich habe einsehen lernen. Verdammt! die Komödianten sind doch nicht solch Lumpenzeug, wie ich geglaubt habe, und Du hast mir große Lust gemacht, so braven Leuten zu dienen. Nu, so 165 komm nur in zwey Tagen, sagte sie. Mehr Zeit verlang' ich von Dir nicht, um meine Herrschaft dahin zu bringen, daß sie Dich annimmt, ich will Dich schon anpreisen; ich habe einen guten Stein bey ihr im Brete, es soll ganz gewiß gehen.

Ich dankte Laure'n für ihren guten Willen; bezeigte ihr, wie mein Herz vor Erkenntlichkeit überflösse. Die Ausbrüche meines Danks waren so feurig, daß sie daran zu zweifeln gar nicht Ursache hatte. Wir unterhielten uns ziemlich lange, und würden es noch länger, wenn nicht ein kleiner Lakey gekommen wäre, und meiner Prinzeßinn gesagt hätte, Arsenie verlange sie. Wir mußten uns sonach scheiden. Ich verließ das Haus der Komödiantinn in der süßen Hoffnung, dort bald unter Dach und Fach zu seyn, und fand mich nach zwey Tagen wieder pünctlich ein.

Ich wartete auf Dich, sagte Arsenie'ns Kammermädchen zu mir, um Dir die Versicherung zu geben, daß Du nunmehr unser Haus- und Tischgenosse bist. Ich will Dich meiner Herrschaft vorstellen. Mit diesen Worten führte sie mich durch fünf bis sechs Zimmer, die hintereinander wegliefen, und deren eines immer reicher möblirt war, als das andre.

Welcher Luxus! welche Pracht herrschte hier! Ich glaubte bey einer Viceköniginn zu seyn; ober besser zu sagen, ich bildete mir ein, 166 alle Reichthümer der Welt an Einem Orte aufgehäuft zu sehen. Es lagen hier wirklich die Reichthümer vieler Nationen, und man konnte dieß Zimmer den Tempel einer Göttinn nennen, der jeder Reisende einige Seltenheiten seines Landes zum Opfer darbringt. Die Göttinn saß auf einem mit einem großen atlassenen Küssen bedeckten EstradoEstrado, ein etwas erhöhter Platz in den Visitenzimmern der Spanier, mit Fußdecken und schönen Polstern belegt, wo die Damen sitzen und ihre Visiten annehmen – D. Uebers, feist durch den Geruch der Opfer, und voll lieblichen Zaubers; gehüllt in ein galantes Nachthabit. Ihre schönen Hände beschäftigten sich mit Verfertigung eines neuen Kopfzeugs für die heutige Rolle.

Madam, sagte ihr Kammermädchen, das ist der bewußte Haushofmeister. Ich kann Ihnen versichern, ein beß'rer ist nicht zu finden. Arsenie faßte mich scharf in's Auge, und ich hatte das Glück, ihr nicht zu mißfallen. In der That, Laura, sagte sie, ein recht schmucker Junge! Ich merk' es zum Voraus, daß ich mit ihm zufrieden seyn werde. Hierauf wandte sie sich zu mir. Mein Kind, sagte sie, Ihr gefallt mir, und ich habe Euch nur das Eine Wort zu sagen: Ihr werdet mit mir zufrieden seyn, wofern ich es mit Euch bin. Ich würde mir alle Mühe geben, es dahin zu bringen, gab ich 167 zur Antwort. Als ich sahe, daß die Sache ihre Richtigkeit hatte, ging ich sogleich hin, meine Sachen zu hohlen, und kam wieder, um von meinem Posten in diesem Hause Besitz zu nehmen.

 


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