Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Geschichte des Barbiergesellen.

Fernando Perez de la Fuente, mein Großvater – ich muß weit aushohlen – starb, nachdem er funfzig Jahre lang Barbier zu Olmedo gewesen, und hinterließ vier Söhne. Klaas, der älteste, bekam seine Stube, und setzte seine Profession fort. Bertrand, dem Zweyten, steckte der Kaufmann im Kopfe; er wurde ein Seidenhändler, und Thomas, der Dritte, Schulmeister. Was aber den Vierten anlangt, der Pedro hieß, der verkaufte ein Stückchen Land, das ihm in der Erbschaft zugefallen war, und zog, weil er sich für die schönen Wissenschaften geboren fühlte, nach Madrid. Dort hofft' er sich dereinst durch seine Geschicklichkeit und Geist hervorzuthun. Seine übrigen drey Brüder trennten sich nicht. Sie liessen sich zu Olmedo nieder, und verheiratheten sich daselbst mit Töchtern von Landleuten, 4 die ihnen wenig Vermögen, dagegen aber viel Fruchtbarkeit mit brachten. Diese Weiberchen gebaren recht um die Wette.

Was meine Mutter, die Frau des Barbiers, anlangte, so brachte sie in den fünf ersten Jahren ihrer sechs Kinder zur Welt, unter denen ich mich auch befand. Mein Vater lehrte mir bey Zeiten das Rasiren. Als ich funfzehn Jahre alt war, lud er mir den Sack, den Sie hier sehen, auf die Schultern, gürtete mir den langen Degen um, und sagte zu mir: Geh, Diego. Nunmehr kannst Du Dir selbst ein Brot verdienen; mußt auf die Wanderschaft, hinaus in die Fremde, damit Du kein Stockfisch bleibst, und was Rechts aus Dir wird. Die Fremde macht Leute. Geh, und kehre nicht eh'r wieder nach Olmedo zurück, als bis Du ganz Spanien durchzogen hast. Sonst komm mir nie wieder vor's Gesicht. Mit Endigung dieser Worte umarmt' er mich auf's herzlichste, und schob mich zur Thür hinaus.

Das war das Lebewohl meines Vaters. Meine Mutter, die weichers Herzens war, schien bey meinem Abschiede gerührter. Sie vergoß ein Paar Thränen, und drückte mir heimlich einen Ducaten in die Hand. So ging ich denn von Olmedo weg, und nach Segovien zu. Kaum hatt' ich zwey hundert Schritte gemacht, als ich stehen blieb, und meinen Sack 5 besichtigte. Ich war begierig, dessen Inhalt zu kennen, und meine Habseligkeiten genau zu wissen. Ich fand darin ein Futteral, worin zwey Schermesser steckten, womit zehn Generationen geschoren zu seyn schienen, so abgenutzt waren sie; einen Streichriemen, und ein Stück Seife; ausserdem noch ein ganz neues hänfnes Hemd, ein Paar alte Schuhe von meinem Vater, und – was mich mehr als all' das Uebrige freute – zwanzig Stück Realen in ein Läppchen gewickelt. Das war mein ganzes Wohl und Weh.

Sie sehen hieraus, daß Meister Klaas, der Barbier, mich für einen gar geschickten Burschen halten mußte, weil er mich mit so Wenigem hin in die Welt ziehen ließ. Gleichwohl konnt' es nicht fehlen, daß nicht der Besitz eines Ducatens und zwanzig Realen einen jungen Menschen, wie mich, der nie Geld in der Ficke gehabt, blendete. Ich glaubte, unerschöpfliche Reichthümer zu haben, und wanderte voller Jubel meines Weges, indem ich alle Augenblicke auf das Gefäß meines Degens sah, der mir bey jedem Schritte an den Waden schlug, oder zwischen die Beine kam.

Gegen Abend gelangt' ich, hungrig, wie 'n Wolf, in ein Dorf, Ataquines genannt. Ich ging in die Schenke, und forderte in so hohem Tone Abendbrot, als könnt' ich noch so viel aufgehen lassen. Der Wirth sahe mich eine Weile an, und da er merkte, mit was für 6 einem Kauz er zu thun hatte, sagt' er in sehr höflichem Tone zu mir: 'R Gnaden sollen mit mir zufrieden seyn, sollen bedient werden, wie 'n Prinz. Mit diesen Worten führt' er mich in ein Stübchen, wohin er eine Viertelstunde hernach mir ein Schwarzsauer von 'nem Kater brachte, das ich mit solchem Appetite aß, als wär's von 'nem Hasen oder 'nem Kaninchen gewesen. Zu diesem trefflichen Gerichte bracht' er mir noch 'nen Wein, der, wie er sagte, so gut sey, daß ihn der König nicht besser tränke. Nichts desto weniger merkt' ich, daß es der er ärmlichste Krätzer war; demungeachtet aber that ich ihm so viel Ehre an, als dem Katerschwarz.

Nach einem so prinzlichen Mahle ward mir ein eben so prinzliches Lager angewiesen; ein Bett, das eher Schlaflosigkeit erwecken, als vertreiben konnte. Stellen Sie Sich das allerschmälste Feldbett vor, so kurz, daß ich, Trotz meiner Kleinheit, meine Beine nicht ausstrecken konnte, worin statt der Matratz' und Federbetten, ein bloßer durchlöcherter Strohsack lag, mit einem doppelt zusammengelegten Bettuche bedeckt, das seit der letzten Wäsche vielleicht hundert Reisenden mochte gedient haben. Nichts desto weniger schlief ich in diesem unvergleichlichen Bette, den Magen mit dem Schwarzsauer und dem köstlichen Weine des Wirths angefüllt, Dank sey's meiner Jugend und meiner Natur, 7 recht fest und wohl, ohne durch Unverdaulichkeit belästigt zu werden.

Als ich den andern Morgen gefrühstückt, und mein herrliches Abendbrot gar gut bezahlt hatte, macht' ich mich auf den Weg, und in einem Striche hin nach Segovien. Ich war nicht lange da, so hatt' ich das Glück, eine Condition zu finden; ich bekam freye Station; doch servirt' ich daselbst nicht länger, als ein halbes Jahr. Einer von meinen Collegen, der nach Madrid wanderte, schlug mich breit, und ich ging mit. Ich kam dort eben so bald unter, als in Segovien. Mein Herr hatte sehr viel Kunden, wozu die Nachbarschaft der heiligen Kreuz-Kirche und des Prinzlichen Theaters nicht wenig beytrug. Kaum konnte mein Herr, zwey Gesellen und ich, alle die Bärte bestreiten, die uns unter die Hände kamen. Wir hatten deren von allen Ständen zu putzen, unter andern auch Komödianten- und Autoren-Bärte.

Eines Tages fanden sich zwey Personen vom letztern Schlage hier ein. Sie unterhielten sich von den dermahligen Poeten und poetischen Werken; und ich hörte etlichemahl meines Oheims erwähnet. Dieß machte mich auf ihr Gespräch aufmerksamer denn bisher. Don Juan de Zavalette, sagte der Eine, ist ein Autor, von dem, meines Bedünkens, das Publicum nichts erwarten kann. Ein 8 nüchterner Kopf, ohne die mindeste Einbildungskraft! Sein letztes Stück hat seinen Ruhm fast völlig zu Grunde gebohrt. Und Luis Velez de Guevara, hat der nicht jetzt dem Publicum ein herrliches Werk geliefert? fing der Andere an. Hat man wohl je was Elenders gesehen? Sie nannten noch ein ganzes Rudel Dichter, deren Nahmen mir allesammt entfallen sind, und alle mit 'nander – das erinner' ich mich wohl – mußten gar lästerlich Haar lassen. Allein mein Oheim wurd aus allen Prädicamenten gelobt, für 'nen Mann von Verdiensten von ihnen anerkannt.

Ja, sagte der Eine, Don Pedro de la Fuente ist ein trefflicher Schriftsteller. In seinen Werken herrscht ein feiner Scherz, mit Gelehrsamkeit vermischt, und eben deßhalb sind sie so anziehend, so voll Salz. Kein Wunder, daß ihn Hof und Stadt schätzt, und daß ihm viele Große Pensionen geben. Er hat schon seit vielen Jahren die beträchtlichsten Einkünfte; der Herzog von Medina Celi gibt ihm Logis und Tafel; Depensen braucht er nicht zu machen, folglich muß er in den blühendsten Umständen seyn.

Ich ließ kein Wort von alle dem, was die Poeten von meinem Oheime sagten, auf die Erde fallen. Wir hatten wohl zu Hause von einigen Durchreisenden gehört, daß er zu Madrid mit seinen Werken Aufsehen machte, da 9 er aber gar nicht an uns schrieb, gar nichts mehr von uns wissen zu wollen schien, so bekümmerten wir uns auch nicht weiter um ihn. Mit Einem Mahle aber wallte das vetterliche Blut in meinen Adern auf, wie ich hörte, daß er im vollen Neste saß; und da ich nunmehr wußte, wo er wohnte, so wandelte mir die Lust an, ihn zu besuchen.

Eins ging mir aber noch im Kopfe 'rum, daß ihn die Versifexe Don Pedro genannt hatten. Das Don war mir verdächtig, und mir war bange, es möchte ein anderer Poet seyn, und nicht mein Oheim. Doch verlor sich diese Bangigkeit bald wieder; ich bildete mir ein, er könnte eben so gut ein Edelmann als ein schöner Geist geworden seyn, und nahm wir fest vor, ihn zu besuchen. Zu dem Ende zog ich mir eines Morgens, mit Bewilligung meines Herrn, meinen Bratenrock an, und ging aus unsrer Stube, ein wenig Stolz darauf, Neffe eines Mannes zu seyn, der sich durch sein Genie so vielen Ruhm erworben hatte. Der Hoffartsteufel fährt gar leicht in die Barbiere. Ich begann schon eine große Meinung von mir zu hegen, und brüstete mich nach dem Pallaste des Herzogs von Medina Celi hin.

Ich sagte dem Thürsteher, daß ich den Sennor Don Pedro de la Fuente zu sprechen begehrte. Er zeigte mir hinterwärts im Hofe ein kleines Treppchen. Das müßt Ihr 10 'naufsteigen, sagte er, und nachher an die Thür rechter Hand anklopfen. Ich stieg herauf, klopfte an. Ein junger Mensch machte auf, den ich frug: ob hier der Sennor Don Pedro de la Fuente wirklich logire? Das thät' er, antwortete er mir, aber jetzt können Sie ihn nicht sprechen. Und doch möcht' ich's gar zu gern, sagt' ich. Ich bring' ihm Nachrichten von seiner Familie. Und wenn auch vom Papste! erwiederte er. Diesen Augenblick kann ich Sie nicht auf sein Zimmer führen. Er ist in seinem Dichtertaumel, und ihn darin zu stören, das lass' ich wohl bleiben. Eher als auf den Mittag wird er nicht sichtbar. Machen Sie derweil einen Gang, und kommen Sie um die Zeit wieder.

Ich ging, spazierte den ganzen Morgen in der Stadt herum, und dachte an nichts weiter, als wie mich mein Oheim empfangen würde. Er wird mich ungemein gern sehen, sagt' ich. Ich schloß von meinen Empfindungen auf die seinigen, und machte mich auf die zärtlichste Erwiederung gefaßt. Ich eilte um die bestimmte Zeit nach seiner Wohnung zurück. Sie kommen gerade zu recht, sagte sein Diener, mein Herr wird eben ausgehen. Verziehen Sie nur einen Augenblick hier, ich will Sie sogleich melden. Mit diesen Worten ließ er mich im Vorzimmer stehen. Bald darauf kam er wieder, und führte mich in seines Herrn Studierstube. 11

Sein Gesicht hatte unverkennbare Familienzüge; ich glaubte den Oheim Thomas zu sehen, so viel Aehnlichkeit hatten sie mit 'nander. Ich macht' ihm den ehrerbiethigsten Bückling, und sagt' ihm: ich wäre der Sohn des Meister Klaas de la Fuente, des Barbiers zu Olmedo, hätte meines Vaters Profession ergriffen, conditionirte seit drey Wochen als Gesell hier in Madrid, und sey Willens, durch ganz Spanien zu wandern, um ein wenig Haar' auf den Zähnen zu kriegen. Während dieser Rede stand mein Oheim in tiefen Gedanken, unschlüssig, aller Wahrscheinlichkeit nach, ob er mich für seinen Neffen erkennen, oder ob er mich auf gute Art fortschaffen sollte; endlich entschloß er sich zum letztern, häuchelte eine freundliche Miene, und sagte zu mir: Nun, mein Freund, wie geht's Deinen Aeltern? Noch wohl auf, und in guten Umständen? Hierauf begann ich ihm die zahlreiche Fortpflanzung unsrer Familie zu beschreiben, nannte ihm Mädchen sowohl, wie Buben, und faßte sogar deren sämmtliche Pathen und Pathinnen in dieser Liste mit auf.

Dieser weitläuftige historische Bericht schien ihn nicht sehr zu erbauen, er suchte zum Zwecke zu eilen, und sagte: Ich billige es sehr, Diego, daß Du auf die Wanderschaft gehest. um in Deiner Kunst vollkommen zu werden, und rathe Dir, Dich nicht länger in Madrid aufzuhalten. Ein gar zu gefährlicher 12 Aufenthalt für junge Leute! Du könntest hier leicht zu Schaden kommen, liebes Kind. Besser, Du gehst in andere Städte, wo die Sitten weniger verderbt sind. Geh, und bist Du im Begriffe abzureisen, so komm wieder zu mir. Ich will Dir eine Pistole geben, damit Du um so besser Deine Tour durch Spanien vollenden kannst. Mit diesen Worten schob er mich sanft zur Thür hinaus, und gab mir den Laufpaß.

Ich guter Gimpel merkte nicht, daß er mich dadurch nur von sich zu entfernen suchte. Wie ich wieder zu Hause war, erzählt' ich meinem Herrn den ganzen Verlauf meines Besuches. Ihm leuchtete Sennor Don Pedro's Absicht so wenig ein, wie mir, und er sagte: Da denk' ich ganz anders, wie Sein Ohm. Statt Ihm das 'Rumwandern im Land' anzurathen, hätt' er, meines Erachtens, Ihn lieber zum Hierbleiben perschwadiren sollen. Da er so vielen Umgang mit vornehmen Leuten hat, kann er Ihm gar leicht in einem großen Hause anhelfen, und so nach und nach auf 'nen recht grünen Zweig.

Dieser Gedanke gefiel mir sehr, erweckte in mir die vergnügtesten Vorstellungen; ich ging zwey Tage nachher zu meinem Oheim, und that ihm den Vorschlag, mich durch seinen Credit bey einem von Hof' anzubringen. Das war kein Wasser auf seine Mühle. Ein stolzer Mann, der tagtäglich bei den Größten des 13 Reichs freyen Zutritt und sein Couvert fand, konnte unmöglich seinen Vetter am Gesindetische sehen, indeß er an herrschaftlicher Tafel saß. Der kleine Diego hätte den Sennor Don Pedro erröthen gemacht. Mithin schlug er mir's rund ab, und das auf die unfreundlichste Art: So willst Du, liederlicher Bube, Deine Profession aufgeben? sagte er in wüthigem Tone zu mir. Wohlan! ich überantworte Dich gänzlich denen Ahitophels, die Dir rathen. Geh' gleich, und wag' Dich mit keinem Schritte mehr hierher, sonst werd' ich Dich nach Gebühr züchtigen lassen.

Diese Worte, noch mehr aber der Ton, womit sie vorgebracht wurden, betäubten mich ganz, gingen mir so zu Herzen, daß ich ihn mit thränenden Augen verließ. Ein Springinsfeld war ich von Natur, und so trockneten meine Thränen bald ab. Der Kamm fing mir nachher wieder an zu schwellen, ich gerieth in Harnisch, und beschloß, mich nicht weiter um einen Rabenvetter zu bekümmern, ohne den ich bis dato zurecht gekommen war.

Ich befliß mich nunmehr meiner Kunst mehr denn je, fing mit dem mir von Gott verliehenen Pfund' an zu wuchern, schor den ganzen Tag durch Bärte, und des Abends lernt' ich, zur erlaubten Gemüthsergetzung, auf der Guitarre spielen. Mein Lehrmeister war ein alter Sennor Escudero, den ich zu rasiren hatte, 14 und der mich auch singen lehrte. Dieß verstand er vollkommen, weil er ehemahls Domcantor gewesen war. Er hieß Marcos de Obregon. Ein gescheidter Mann, der eben so viel Verstand als Erfahrung hatte, und mich als seinen Sohn liebte. Er war bey einer Doctorsfrau, die dreyßig Schritte von uns wohnte, als Führer und Aufseher in Diensten.

Alle Abende, wenn ich die Hitze und Last des Tages getragen hatte, ging ich zu ihm, setzte mich vor die Hausthür hin, worauf wir unser Concertchen begannen, das der Nachbarschaft gar nicht übel gefiel. Sehr anmuthig klangen unsre Stimmen zwar nicht, allein wir sangen beyde bey unserm Geklimper so nach dem Tacte, daß wir unsern Zuhörern viel Vergnügen machten; besonders der Frau des Arztes, der Donna Mergelina. Sie kam auf den Gang hinaus, um zuzuhören, und nöthigte uns unterweilen zu einem Dacapo von Arien, woran sie das meiste Behagen fand.

Ihr Mann wehrte ihr's nicht, diesem Zeitvertreibe beyzuwohnen. Zwar war er Spanier, und gar wohlbetagt, dennoch aber nicht im mindesten eifersüchtig; überdieß hatte er mit seiner Praxis alle Hände voll zu thun. Wenn er des Abends abgemattet von allen Krankenbesuchen nach Hause kam, legt' er sich früh zu Bette, ohne sich an die Aufmerksamkeit zu kehren, die seine Frau unsern Concerten schenkte. Vielleicht 15 glaubt' er auch nicht, daß sie gefährliche Eindrücke zu machen im Stande wären. Hierzu kommt noch, daß er nicht den mindesten Anlaß zu Besorgnissen zu haben vermeinte. Mergeline war zwar jung und schön, aber dabey so strengzüchtig, daß sie keinen Männerblick dulden mochte. Sonach macht' er ihr aus einem Zeitvertreibe, der ihm unschuldig und ehrbar schien, kein Verbrechen, und ließ uns singen, so lang es uns gefiel.

Wie ich eines Tages mich vor des Doctors Hausthür einfand, um unsere gewöhnliche Ergetzung vorzunehmen, fand ich den alten Escudero meiner erwarten. Er ergriff mich bey der Hand, und sagte zu mir: wir wollen vor unserm Concertchen ein wenig spazieren gehen. Hiermit führt' er mich in ein abgelegenes Gäßchen, und als er sich ganz unbehorcht merkte, sagt' er zu mir mit niedergeschlagener Miene: Ich habe Dir was ganz Besonderes zu erzählen, lieber Diego! Ich fürchte, ich fürchte, mein Kind, die Concerte, womit wir uns vor unsers Herrn Hausthür die Zeit vertrieben haben, werden uns reuen. Du weißt, ich bin Dir herzlich gut, habe Dich die Guitarre und das Singen mit dem größten Vergnügen gelehrt; hätt' ich aber gewußt, daß wir so arg in die Patsche kommen würden, wahrhaftig, und Gott, ich hätte Dir an 'nem andern Orte Lection drinn gegeben. 16

Ueber diese Rede ward ich nicht wenig stutzig, bath den Escudero, sich deutlicher zu erklären, und mir zu sagen, was wir zu besorgen hätten; denn ich war nicht der Mann, der Gefahren trotzt, und meine Wanderschaft durch Spanien war noch nicht zu Ende. Ich will Dir das erzählen, was du wissen mußt, erwiederte er, um die Gefahr ganz einzusehen, worin wir schweben.

Als ich bey dem Doctor in Dienste trat – und das ist jetzt ein Jahr – sagt' er eines Morgens zu mir, indem er mich zu seiner Frau führte: Sieh da Deine Herrschaft, Marcos, die Dame, die Du von jetzt an allenthalben hier begleiten sollst. Ich bewunderte die Donna Mergeline. Sie däuchte mir bildschön, ein Meisterstück der Natur, und die Anmuth in ihrem ganzen Wesen bezauberte mich vorzüglich. Wie höchst glücklich bin ich, Sennor, sagt' ich zum Arzte, zur Aufwartung einer so bezaubernden Dame bestimmt zu seyn. Meine Antwort mißfiel Mergeline'n, und sie sagte mit heftigem Tone zu mir: Seh' einer 'mahl den Kerl an! Was sich der für 'ne Gurke 'rausnehmen thut. Er kann mich ungeschoren lassen. Ich mag von dem dummen Schnak nichts wissen. Aus einem so schönen Munde solche Worte zu hören, nahm mich höchlich Wunder; ich konnte dieß gar nicht mit der Reinheit ihrer Gestalt reimen. 17

Ihr Mann war daran gewöhnt, und von ganzer Seele froh, eine Frau von so seltenem Schlage zu haben. Marcos, sagt' er zu mir, meine Frau ist ein rechtes Muster der Tugend. Als er hierauf sahe, daß sie ihren Mantel umnahm, und Willens war, in die Messe zu gehen, gab er mir den Auftrag, sie in die Kirche zu führen. Kaum waren wir auf der Straße, als uns Mannspersonen aufstießen, denen Donna Mergeline'ns schöne Bildung auffiel, und die ihr darüber – was gar nichts Ausserordentliches ist – im Vorbeygehen Schmeicheleyen vorsagten. Sie ließ sie nicht unbeantwortet; allein wie höchst albern und lächerlich ihre Antworten waren, kannst Du Dir nicht vorstellen. Sie stutzten hierüber nicht wenig, und konnten nicht begreifen, wie es ein Weib auf der Welt geben könnte, die nichts von Lobsprüchen wissen wollte.

Sennora, sagt' ich sogleich zu ihr, kehren Sie Sich lieber an all' dergleichen Reden nicht. 'S ist besser, man schweigt, als man sagt den Leuten Bitterkeiten. Nein, nein, antwortete sie, ich will den übermüthigen Kerls zeigen, daß ich mir nicht so dumm kommen lasse. Kurz, es entfuhren ihr so viele Unanständigkeiten, daß ich nicht umhin konnte, ganz frey von der Leber weg zu reden, ob das gleich in einem Wespenneste stören hieß. Indeß bracht' ich's ihr in einem so gelinden Säftchen, wie möglich, bey, 18 daß sie sich durch die Aufführung gar sehr im Lichten stünde, und daß man darüber all' das viele Gute, was sie hätte, ganz und gar vergesse. Ein sanftes und art'ges Weibchen, sagt' ich, gefällt auch ohne ein hübsches Lärvchen; da hingegen man sich aus 'ner schönen Frau, wenn sie nicht sanft und artig ist, gar nichts macht. Und so in dem Tone predigt' ich noch eine feine Weile fort. Ich hätte sie gar zu gern auf einen andern Weg gebracht.

Sollte sie nicht darüber sprudeln und toben, daß du ihr so muthig das Geschwür ausgestochen hast? dacht' ich darauf bey mir selbst. Sie that es aber nicht, sondern ließ alle meine Reden zu dem einen Ohre herein, und zu dem andern wieder aus. Und so machte sie's auch mit alle dem, was ich noch in der Folge ihr vorzupredigen dumm genug war.

Ich ward endlich des ewigen und fruchtlosen Hofmeisterns satt, und ließ sie dahingehen in ihrem störrischen, wilden Sinne. Indeß, solltest Du's wohl glauben? diese murrköpftige, hochmüthige Frau hat sich seit zwey Monathen ganz und gar geändert, ist höflich gegen Jedermann, hat das artigste Betragen; ist gar die Mergeline nicht mehr, die die größten Verbindlichkeiten der Mannspersonen mit Ungezogenheiten erwiederte; verschmähet die Lobsprüche nicht mehr, die man ihr gibt, läßt sich gern vorsagen, daß sie schön sey, und daß keine 19 Mannsperson sie ohne Verlust seiner Freyheit ansehen könne, findet Behagen an Schmeicheleyen; kurz, sie ist nun völlig, wie andere Weiber. Eine beynahe unbegreifliche Verwandlung, die – was Dich noch mehr Wunder nehmen wird – niemand anders bewirkt hat, – als Du.

Ja, mein lieber Diego, fuhr der Escudero fort, Du bist es, der Donna Mergeline'n so umgeschaffen, aus einem Tieger ein Lamm gemacht, mit Einem Worte, ihre ganze Neigung sich erworben hat. Ich habe dieß mehr als einmal bemerkt, und als ein guter Weiberkenner die Beobachtung gemacht, daß ihre Liebe zu Dir äußerst heftig ist. Das ist die Hiobspost, die ich Dir zu bringen habe, mein Sohn, und das ist die kritische Lage, worin wir uns befinden.

Darüber seh' ich noch nicht, daß wir uns so zu betrüben brauchten, antwortete ich, noch was das für 'n Unglück für mich ist, von 'ner schönen Dame geliebt zu werden. Ah! Diego, antwortete er, du urtheilst als ein junger Mensch; siehst wohl den Köder, aber nicht die darunter befindlichen Fußangeln; wirst nichts gewahr, als Vergnügungen, ich aber die am Ende lauernden Unannehmlichkeiten. Nichts ist so klein gesponnen, es komt endlich an die Sonnen. Singst Du ferner vor unsrer Thür, so wird Mergelina nur noch größere Neigung zu Dir gewinnen, vielleicht alle Zurückhaltung, verlieren, und dem 20 Doctor ihre Schwachheit merken lassen. Jetzt ist er zwar äußerst gefällig, weil er keine Ursache zur Eifersucht zu haben vermeint; aber alsdann wird er Gift und Galle speyen, sich an ihr rächen, und wir beyde möchten auch 'nen gar harten Stand bekommen.

Ich lasse mich ja bedeuten, lieber Sennor Marcos, sagt' ich; will Ihrem Rathe gern folgen. Sagen Sie mir nur, wie der Karren wieder aus dem Kothe gezogen werden kann? Auf die Art, mein Sohn: wir machen keine weitern Concerte; Du läßt Dich nicht mehr vor der Donna sehen. Aus den Augen, aus dem Herzen, weißt Du wohl. Bleib bey Deinem Herrn; ich will zu Dir kommen, und da wollen wir ohn' alle Gefahr die Guitarre spielen. Von Herzen gern, sagt' ich; ich will mit keinem Gebeine mehr zu Ihnen kommen. Ich nahm mir auch wirklich vor, nicht mehr vor des Doctors Thür zu musiciren und zu singen, sondern mich hinfort auf der Stube eingeschlossen zu halten, weil ich merkte, daß ich so ein gefährlicher Mensch war, wenn ich mich sehen ließ.

Indeß erfuhr der gute Marcos, ungeachtet all seiner Klugheit, daß er durch seinen Pfiff in Mergeline'ns Flamme nicht Wasser, sondern nur noch mehr Oehl hereingegossen hatte. Da uns die Dame die Nacht darauf nicht singen hörte, frug sie, weßhalb wir unsre 21 Conzerte eingestellt hätten, und weßwegen sie mich nicht mehr zu sehen bekäme. Er gab zur Antwort: ich hätte soviel zu thun, daß mir kein Augenblick Zeit zu Ergetzungen übrig bliebe. Sie schien durch diese Entschuldigung befriedigt, hielt noch ganze drey Tage meine Abwesenheit aus, allein nach deren Verlauf verlor sie die Geduld, und sagte zu ihrem Escudero: Marcos, Du hintergehst mich. Diego bleibt nicht ohne Ursache weg; es liegt ein Geheimniß hierunter, das ich an den Tag haben will. Sprich, ich befehle Dir's! Sprich! und das ohn' allen Hehl.

Er fertigte sie mit einer andern Ausflucht ab, und sagte: Weil Sie denn den rechten Grund wissen wollen, Sennora, so muß ich Ihnen nur sagen: wenn er nach unsern Conzerten zu Hause kam, hat er mehr denn Einmahl schon reinen Tisch gefunden. Nu will er's nicht mehr wagen, ungegessen zu Bette gehen! »O der arme Junge! Eile sogleich zu ihm, Marcos, sag' ihm, heut Abend soll er herkommen; sag' ihm, er solle nie ungegessen nach Hause gehen; solle hier stets für sich gedeckt finden.«

Was hör' ich, sagte der Escudero, und nahm die Miene der Verwunderung an. Hilf Himmel! Welche Veränderung! Sind Sie's, Sennora, die diese Sprache führt? Ey, seit wann so mitleidig, so gefühlvoll? Seit Ihr im Hause seyd, fiel sie ihm mit Heftigkeit ein, oder 22 vielmehr, seitdem Ihr meine Sprödigkeit getadelt, und Euch bemüht habt, meine rauhen Sitten zu mildern. Aber ach! fuhr sie in zärtlicherm Tone fort, ich bin von einem Abweg auf den andern gerathen. Das stolze fühllose Ding, das ich sonst war, ist zu sanft, zu zärtlich geworden. Ich liebe Euren jungen Freund Diego, und kann dieser Liebe nicht widerstreben; seine Abwesenheit, weit entfernt, meine Neigung zu mindern, scheint ihr vielmehr neue Kräfte zu geben. Ist es möglich, erwiederte der Alte, daß Sie eine so heftige Neigung für einen jungen Menschen hegen, der weder wohlgebildet, noch schön gewachsen ist. Ich ließ es noch gelten, wenn's ein Cavalier wäre von glänzenden Verdiensten, der . . . . .

Ah! Marcos, unterbrach ihn Mergeline, ich bin entweder nicht wie andre Weiber, oder Du kennst, trotz Deiner langen Erfahrung, unser Geschlecht sehr wenig, wenn Du glaubst, daß sie bey ihrer Wahl auf Verdienste Rücksicht nehmen. Blindlings ergeben sie sich, nach mir zu urtheilen, der Liebe. Liebe ist die Zerstörerinn des Verstandes, die uns wider unsern Willen zu einem Gegenstande hinreißt, und an selbigen fesselt; ist eine Krankheit, die uns befällt, wie Tollheit die unvernünftigen Thiere. Weg also mit Deinen Vorstellungen, daß Diego meiner Liebe nicht werth sey! Es ist hinlänglich, daß ich ihn liebe, um tausend schöne 23 Eigenschaften an ihm wahrzunehmen, die Euch nicht in's Auge fallen, und die er vielleicht auch nicht besitzt. Sag' mir immerhin, seine Gesichtszüge, sein Wuchs verdienen nicht die geringste Aufmerksamkeit, mir scheint er dennoch gemacht, um zu entzücken, und schön wie der Tag. Ueberdieß hat seine Stimme einen so holden, seeleinschleichenden Klang, und sein Spiel auf der Guitarre einen ganz eignen Zauber. Bedenken Sie aber nur, Sennora, erwiederte Marcos, wer Diego ist. Sein geringer Stand . . . Ich bin nicht viel mehr wie er, unterbrach sie ihn, und wär ich es auch, wär' ich auch die erste Dame im Reiche, so würde dieß mich nicht kümmern.

Das Ende vom Liede war denn, daß der Escudero, weil er wohl merkte, daß er jetzt nichts ausrichten würde, die Hartnäckigkeit seiner Gebieterinn zu bestreiten aufhörte, so wie ein geschickter Steuermann dem Ungewitter nachgibt, das ihn fern vom Hafen treibt, den er zu erreichen sich vorgenommen hat. Er that noch mehr, um seine Patroninn zu befriedigen; er suchte mich auf, führte mich bey Seite, erzählte mir alles, was zwischen ihnen beyden vorgefallen war, und sagte: Du siehst, Diego, wir müssen unsre Conzerte vor Mergeline'ns Thür durchaus fortsetzen. Diese Dame muß Dich platterdings wiedersehen, Freundchen, sonst möchte sie eine Thorheit begehen, die 24 ihrem guten Nahmen schädlicher seyn könnte, als alles Uebrige.

Ich spielte nicht den Grausamen, antwortete ihm: Ich würde mich gegen Abend mit meiner Guitarre bey ihm einstellen; er könne diese angenehme Nachricht seiner Herrschaft hinterbringen. Er that dieß, und diese feurige Liebhaberinn ward über die Zeitung: daß sie heut' Abend das Vergnügen haben sollte, mich zu hören und zu sehen, in's höchste Entzücken versetzt.

Bey einem Haar hätt' ein unangenehmer Zufall ihre Hoffnung zu Wasser gemacht. Ich konnte von meinem Herrn vor Einbruche der Nacht nicht wegkommen, und diese war meiner Sünden halber stockpechdunkel. Ich tappte mich durch die Straße durch, und hatte beynahe den halben Weg zurückgelegt, als man ein Gefäß über meinen Kopf ausleerte, das nicht nach Essenzen duftete, und wovon, möcht' ich sagen, nichts verloren ging, denn ich war gar fein zugedeckt worden.

Nun wußt' ich meinem Leibe keinen Rath. Zurück in unser Haus zu gehen, das wäre für meine Kameraden ein recht gefundnes Fressen gewesen! Und jedermann würde mich alsdann damit gefoppt haben! In dem saubern Zustande mich Mergeline'n zu nahen, wollte mir auch nicht recht in den Kopf; gleichwohl entschloß ich mich zu dem Letztern. Ich fand den alten Escudero an der Thür' auf mich warten. 25 Er sagte, Doctor Oloroso habe sich eben zu Bette gelegt, und wir könnten uns ungestört ein Vergnügen machen. Ich gab ihm zur Antwort: eh' meine Kleider nicht rein gemacht wären, könnt' ich mich nicht sehen lassen, und erzählt' ihm zu gleicher Zeit meinen Unfall. Er schien Antheil zu nehmen, und führte mich in einen Saal, worin sich seine Herrschaft befand.

Sobald diese Dame meinen Zufall wußte, und mich in der schmutzigen Pökel sahe, beklagte sie mich so, als wenn mich das größte Unglück betroffen hätte; zog alsdann auf denjenigen los, der mich so zugerichtet und rief tausend Flüche über sein Haupt. Mäßigen Sie Sich, Sennora, sagte Marcos. Bedenken Sie, daß es ein bloßes Ungefähr war. So weit muß man in seiner Rache nicht gehen. Wie kann ich kalt bleiben. Marcos, schrie sie im hitzigsten Tone, wenn man dieß unschuldige Lamm beleidigt, diese gallose Taube, die sich über die empfangne Beleidigung nicht einmahl beklagt? Ha! warum bin ich nicht in diesem Augenblicke Mann, um ihn rächen zu können!

Sie sagte mir noch eine unendliche Menge Sachen, die mir auf's deutlichste bewiesen, wie weit ihre Liebe ging; ihre Handlungen gaben sie nicht weniger zu erkennen; denn in der Zeit, da Marcos mit dem Serviette mich abzutrocknen bemüht war, lief sie in ihr Zimmer, und brachte aus selbigem eine Schachtel mit allerhand 26 Räucherwerk und Sprengwässern angefüllt. Sie warf allerhand Wohlriechendes in's Feuer, und durchräucherte damit meine Kleider. Nachher goß sie Essenzen in Menge über selbige weg. Als nun die Beräucherung und Besprengung vorbey war, ging das mitleidige Weib selbst in die Küche und hohlte Brot, Wein und den Ueberrest eines Hammelbratens, den sie meinetwegen bey Seite gesetzt hatte. Sie nöthigte mich zu essen, machte sich das Vergnügen, mich selbst zu bedienen, und legte mir bald Fleisch vor, bald schenkte sie mir zu trinken ein, so sehr Marcos und ich sie auch daran zu verhindern suchten.

Als ich abgespeist hatte, hoben die Herren von der Kapelle an ihre Kehlen und Guitarren zu stimmen. Wir machten ein Conzert, das Mergeline'n bezauberte. Die Wahrheit zu sagen, so sangen wir Lieder, deren Inhalt ihrer Liebe schmeichelte, und ich – was nicht zu vergessen ist, denn das Spiel fing an mir zu gefallen, ließ während des Gesanges manchmahl einen Seitenblick auf sie fallen, und so steckt' ich sie vollends in Brand.

Obgleich das Conzert eine feine Weile gedauert hatte, so wurd' ich dessen doch nicht satt. Die Dame anlangend, der die Stunden Augenblicke däuchten, so hatte sie uns gern die ganze Nacht zugehört, wenn nicht Marcos, dem die Augenblicke Stunden wurden, sie erinnert hätte, es sey schon spät. Sie machte ihm die Mühe, 27 wohl zehnmahl zu wiederhohlen; allein sie hatte mit einem Manne zu thun, der des Wiederhohlens nicht überdrüssig wurde. Er ließ ihr nicht eher Ruhe, als bis ich fort war.

Da er seine Herrschaft sich so ganz einer thörichten Leidenschaft überlassen sahe, besorgt' er als ein kluger Mann, daß uns ein Strich möchte durch die Rechnung gezogen werden. Es wies sich bald aus, daß seine Besorgniß nicht ungegründet gewesen war. Der Arzt, (es sey nun, daß er von der Intrike was merkte, oder daß der Eifersuchtsteufel, der ihn so lange verschont hatte, in ihn gefahren war,) ließ sich's einfallen, auf unsre Conzerte zu schmälen. Ja, er ging noch weiter, verboth sie auf's strengste, und ohne Gründe von seinem Verfahren anzugeben, erklärte er: er wolle hinfort keine Fremden in seinem Hause mehr aufgenommen wissen.

Marcos meldete mir dieß, was mir nicht wenig wehe that, weil's mich insonderheit betraf. Es ging mir nahe, Hoffnungen, güldene Hoffnungen fahren lassen zu müssen. Nichts desto weniger, um als ein treuer Historicus zu erzählen, faßt' ich mich – das muß ich gestehen – in Geduld. Nicht so Mergeline, die ward um so hitziger.

Trauter Marcos, sagte sie zu ihrem Escudero, von Dir, von Dir allein erwart' ich Hülfe. Ich bitte Dich, mir eine geheime Zusammenkunft mit Diego'n zu verschaffen. Was 28 verlangen Sie von mir, sagte der Alte aufgebracht. Bisher bin ich nur mehr denn zu gefällig gegen Sie gewesen. Durch meine Beyhülfe soll nicht, zur Befriedigung Ihrer unsinnigen Brunst, mein Herr entehrt, und mein guter Nahme gebrandmarkt werden. Bis dato bin ich noch immer unbescholten gewesen. Lieber will ich aus Ihrem Hause, als auf eine so schändliche Art länger darin dienen.

Ah! Marcos, fiel ihm die Dame ein, voller Schreck über diese letzten Worte, Du durchbohrst mein Herz, wenn Du von Weggehen sprichst. So bist Du gesonnen, Grausamer, mich zu verlassen, nachdem Du mich in einen solchen Zustand gesetzt? Wohlan! so gib mir zuvor meinen Stolz wieder, und jene Wildheit, die Du mir nahmst. Hätt' ich sie doch noch, diese glücklichen Fehler, so wär' ich jetzt ganz ruhig, statt, daß Du durch Deine unbesonnene Ermahnungen allen Frieden aus meiner Seele gebannt hast. Du verdarbst meine Sitten, indem Du sie bessern wolltest . . . . Doch was sag' ich Unglückliche? fuhr sie weinend fort. Wozu diese ungerechte Vorwürfe gegen Dich? Nein, mein Vater, Du bist nicht der Stifter meines Unglücks. Fülle des Jammers war das mir vom Verhängniß bestimmte Loos. Ich beschwöre Dich: achte nicht die unsinnigen Reden, die mir entfahren. O! meine Leidenschaft greift mein Gehirn an. Hab' Mitleid mit meiner 29 Schwäche. Du bist mein einz'ger Trost, und ist Dir mein Leben theuer, so versage mir Deinen Beystand nicht.

Bey diesen Worten verdoppelten sich ihre Thränen dermaßen, daß sie nicht weiter reden konnte. Sie hüllte das Gesicht in ihr Schnupftuch, und sank nieder auf den Stuhl, als wenn sie unter der Bürde ihrer Leiden erliegen würde. Einen so rührenden Auftritt konnte der alte Marcos nicht aushalten; er ging ihm durch Mark und Bein.

Er weinte sogar mit, und sagte im Tone der Weichmüthigkeit zu ihr: Ah! Sennora, wie verführerisch sind Sie! Ihrem Schmerz kann ich nicht widerstehen; er besiegt meine Tugend. Ich verspreche Ihnen meinen Beystand. Nun wundr' ich mich nicht mehr, daß die Liebe Sie aus Ihrer Pflicht treiben kann, da bloßes Mitleid mich die meinige vergessen macht.

Auf die Art verpflichtete sich der alte Marcos, so unbescholten er auch bisher sich aufgeführt hatte, Mergeline'ns Leidenschaft zu dienen. Eines Morgens kam er zu mir, erzählte alles, was vorgefallen war, und sagte beym Weggehen: er sänne jetzt darauf, wie er mir eine geheime Unterredung mit der Dame verschaffen wollte. Dadurch ward meine Hoffnung wieder angefeuert, allein zwey Stunden hernach erhielt ich eine gar schlimme Nachricht. 30 Einer meiner Kunden, ein Apothekerbursch aus der Nachbarschaft kam, um sich den Bart abnehmen zu lassen.

Derweil' ich mich zum Rasiren parat machte, sagte er zu mir: Was laßt Ihr denn Euren Freund, den alten Marcos de Obregon anfangen? Wißt Ihr wohl, daß er vom Doctor Oloroso wegkommen wird? Nein, antwortete ich. 'S hat aber seine Richtigkeit, sagte er. Noch heute kriegt er seinen Abschied. So eben hat sein Herr mit dem meinigen, in meiner Gegenwart, davon gesprochen. Ihre Unterredung war folgende. Ich habe eine Bitte an Sie, Sennor Apuntador, sagte der Arzt. Ich bin mit dem alten Escudero, den ich im Hause habe, nicht zufrieden, und möchte gern meine Frau der Aufsicht einer treuen, strengen und wachsamen Duenna anvertrauen. Ich verstehe, erwiderte mein Herr. Sie brauchen die alte Melancia, die ehmahlige Aufseherinn meiner Frau, die seit den sechs Wochen, daß ich Witwer bin, sich noch bey mir befindet. Zwar ist sie mir in meiner Wirthschaft sehr nützlich, dennoch will ich sie Ihnen überlassen; Ihre Ehre liegt mir zu sehr am Herzen. Nunmehr ist Ihre Stirn völlig geborgen, lieber Doctor. Sie ist die Perle der Duenna's; ein wahrer Drache, um das goldne Vlies der Keuschheit zu bewachen. Seit den 31 zwölf Jahren, daß sie bey meiner Frau gewesen ist, – sie war ein junges, schönes Weibchen, wie Sie wissen – hab' ich keinen Schatten von 'nem Galan in meinem Hause gesehen. Wahrhaftig und Gott! vor der durfte sich keiner wittern lassen! Sie würd' ihm heimgeleuchtet haben! Ich muß Ihnen sogar sagen, anfänglich war meine sel'ge Frau stark zur Koketterie geneigt, aber Frau Melancia dämpfte ihre Hitze, und brachte sie auf den Weg der Tugend. Kurz, diese Guvernante ist ein wahrer Schatz, wofür Sie mir nicht genugsam werden danken können. Der Doctor war hiermit ungemein zufrieden, und traf mit Sennor Apuntador die Abrede, daß noch heute die Duenna an des Escudero's Stelle kommen sollte.

Diese Nachricht, die ich für wahr hielt, wie sie's denn auch wirklich war, zerstörte alle die vergnügten Vorstellungen, woran ich mich bereits zu weiden anfing, und der alte Marcos, der den Nachmittag zu mir kam, schlug sie vollends in die Flucht, indem er die Erzählung des Apothekerburschens bestättigte. Ich freue mich, mein lieber Diego, sagte der wackere Escudero, daß mich Doctor Oloroso aus seinem Hause gejagt hat. Er hat mich vieler Mühseligkeiten überhoben. Ausserdem, daß ich wider meinen Willen ein Schandgeschäft übernommen hatte, hätt' ich unaufhörlich auf Pfiff' und Ränke denken müssen, um Dir zu 'ner geheimen 32 Unterredung mit der Donna Mergelina zu verhelfen. Nunmehr aber bin ich, Dank sey dem Himmel, von der Last frey, und von allen den beschwerlichen Sorgen, und der damit verknüpften Gefahr. Was Dich nun anbelangt, mein Sohn, so mußt Du Dich wegen des Verlustes einiger süßen Augenblicke trösten, die vielleicht von unzähligen Verdrießlichkeiten würden sein begleitet worden.

Da für mich nichts mehr zu hoffen war, schluckt' ich des Marco's moralisches Säftchen geduldig hinter, und gab das ganze Spiel auf. Ich muß gestehen, ich war nicht von jenem Schlage Liebhaber, die durch Hindernisse nur noch immer hitziger werden, und wär' ich's auch gewesen, so hätt' ich dennoch meine Prise fahren lassen. Kannst sie doch nicht sicher vor dem Weibe in den Hafen bringen, dacht' ich. Denn an der Klippe – so arg hatte man mir die Duenna abgeschildert – muß auch der kühnste Galan scheitern. Mit was für Farben man sie mir aber auch gemahlt hatte, so erfuhr ich doch ein Paar Tage nachher, daß die Frau Doctor'n diesen Argus entweder eingeschläfert, oder dessen Treue bestochen hatte.

Wie ich aus dem Hause kam, um einen von meinen Nachbarn barbieren zu gehen, hielt mich ein altes Mütterchen auf der Straße an, und frug mich, ob ich Diego de la Fuente hieße. Ich antwortete ihr ja. Nu, so bin ich 33 vor die rechte Schmiede gekommen, versetzte sie. Finden Sie Sich heute Abend vor Donna Mergeline'ns Hausthür ein, und geben Sie sich durch irgend ein Zeichen zu erkennen. Aufgemacht soll Ihnen gleich werden. Wir müssen aber, sagt' ich, das Zeichen mit 'nander verabreden. Ich kann die Katze sehr gut nachmachen, ich will zu verschiedenen Mahlen miauen. Dabey soll's also bleiben, sagte die Liebesbothschafterinn; ich will Ihre Antwort hinterbringen. Ihre Dienerinn, Sennor Diego, der Himmel sey mir Ihnen auf allen Ihren Wegen und Stegen! O was für ein lieber süsser Junge! Bey der heiligen Agnes! ich wünschte, ich wär' erst funfzehn Jahr, ich wollte Sie gewiß nicht für andre suchen. Mit diesen Worten entfernte sich die dienstfertige Alte von mir.

Sie können Sich wohl vorstellen, daß mich diese Bothschaft in keine kleine Wallung setzte. Gute Nacht Moral des Marcos! Ich erwartete den Abend mit der heißesten Ungeduld, und wie ich den Doctor Oloroso eingeschlafen glaubte, begab ich mich vor seine Hausthür. Hier fing ich ein Gemiaue an, das man schon von weiten hören mußte, und das dem Meister, der mich in einer so schönen Kunst unterrichtet hatte, gewiß Ehre machte. Einen Augenblick darauf kam Mergeline selbst, öffnete ganz 34 leise die Thür, und schloß sie eben so leise wieder zu, wie ich herein war.

Wir gingen in den Saal, worin wir unser letztes Conzert gehalten hatten; er war bloß durch ein Lämpchen erhellet, das im Kamine stand. Wir setzten uns Beyde nieder, um uns unterhalten zu können; wir zitterten beyde an jedem Gliede, bey ihr kam's aber bloß von der Freude her, mich wieder zu sehen, bey mir hingegen hatte die Furcht einigen Antheil. Umsonst versicherte mir meine Liebhaberinn, daß ich von Seiten ihres Mannes nichts zu besorgen hätte, ich fühlte einen Schauder, der mein ganzes Vergnügen störte.

Wie haben Sie die Wachsamkeit Ihrer Aufseherinn hintergehen können, Sennora? sagt' ich. Nach der Beschreibung, die man mir von Melancie'n gemacht, hielt ich's für unmöglich, daß Sie mir auf irgend eine Art würden Nachricht von Sich geben können, vielweniger, mich insgeheim sprechen. Donna Mergeline antwortete lächelnd: Wenn ich Ihnen werde erzählt haben, was zwischen mir und der Duenna vorgefallen ist, werden Sie Sich über unsre heutige nächtliche Zusammenkunft nicht mehr wundern. Als die Frau in's Haus kam, machte ihr mein Mann tausenderley Caressen, und sagte zu mir: Ich übergebe Dich der Aufsicht dieses wackern Frauenzimmers, eines Inbegriffs aller Tugenden; eines Spiegels, den Du immer 35 vor Augen haben mußt, um in aller Zucht und Ehrbarkeit wandeln zu können. Diese vortreffliche Frau ist zwölf Jahr hinter einander die Führerinn einer Apothekersfrau von meinen Freunden gewesen; eine Führerinn, wie's keine mehr giebt. Sie hat eine Art von Heilige aus ihr gemacht.

Diese Lobsprüche, die zu dem Amtsgesichte der Frau Melancia stimmten, kosteten mir viele Thränen und brachten mich zur Verzweiflung. Ich stellte mir die Lectionen vor, die ich von Morgen bis zum Abend würde anhören müssen, und die Verweise, die ich täglich würde auszustehen haben; kurz, ich war in der Erwartung, das unglücklichste Weib auf dem Erdboden zu werden. Diese Vorstellung machte, daß ich, sobald wir allein waren, auf das stürmischste gegen die Duenna herausplatzte: Ohne Zweifel macht Ihr Euch gefaßt, mich rechtschaffen zu quälen, ich sag' Euch aber zur Nachricht, meine Geduld reißt leicht, und ich werde meinerseits Euch alle ersinnliche Kränkungen verursachen. Ich erkläre hiermit, daß in meinem Herzen eine Leidenschaft haftet, die alle Eure Ermahnungen nicht werden ausrotten können. Wonach Ihr Euch zu richten habt. Verdoppelt Eure Wachsamkeit, denn Ihr müßt wissen, ich werde keine Mühe sparen, sie zu hintergehen. 36

Ich glaubte, die Alte sauertöpfische Duenna würde nunmehr ihr Probestück ablegen, und mir den Text gar weidlich lesen, stattdessen aber entrunzelte sie ihre Stirn, und sagte zu mir mit lachendem Munde: Ihr Humor gefällt mir sehr, liebe Donne, und Ihre Freymüthigkeit fordert die meinige auf. Ich sehe, wir sind völlig für einander gemacht. Ah! schöne Mergeline, wie schlecht kennen Sie mich, wenn Sie mich nach all dem Guten beurtheilen, was der Herr Doctor von mir gesagt hat, oder nach meinem griesgramigen Gesichte. Ich bin nichts weniger als eine Feindinn des Vergnügens, und werde bloß darum das Werkzeug männlicher Eifersucht, um den niedlichen Weiberchen desto besser dienen zu können. Schon lange versteh' ich die große Kunst, mich zu verstellen, und ich muß gestehen, daß ich dadurch doppelt glücklich bin; ich nehme so die Herrentage der Sünde mit, und den guten Nahmen, den die Tugend gibt, oben drein. Unter uns gesagt, die Welt ist nur auf die Art tugendhaft. Wirklich tugendhaft zu seyn, das wird einem zu sauer, heutigen Tages ist man zufrieden, wenn man nur den Schein hat.

Lassen Sie mich nur machen, fuhr die Gouvernante fort. Wir wollen dem Doctor Oloroso gar art'gen blauen Dunst vormachen. Es soll ihm bey meiner höchsten Treue nicht besser ergehen, wie dem Sennor Apuntador. Vor einer Doctorstirn hab' ich nicht mehr 37 Respect, wie vor 'ner Apothekerstirn. Der arme Apuntador! was haben ich und seine Frau ihm für Streiche gespielt! Wie liebenswürdig diese Dame war! So 'n gutes herziges Weibchen! Der Himmel hab' sie selig! Ich steh' Ihnen dafür, sie hat ihre Jugend ganz artig zugebracht. Sie hatte Liebhaber die Hüll' und die Fülle, die ich alle in's Haus zu practisiren wußte. Sehen Sie mich also mit günstigern Augen an, liebe Sennora, und seyn Sie überzeugt, daß Sie nicht beym Wechsel verlieren sollen, so viel Geschicklichkeit Ihr alter Escudero auch mag gehabt haben. Vielleicht werd' ich noch nützlicher seyn, wie er.

Sie können leicht denken, Diego, fuhr Mergeline fort, wie vielen Dank ich der Duenna für eine so freymüthige Entdeckung wußte. Ich hielt sie für die größte Strengzüchtlerinn. So schief beurtheilt man die Weiber. Ihre Aufrichtigkeit gewann mir sogleich das Herz ab, ich umarmte sie mit der freudigsten Aufwallung, woraus sie abnehmen konnte, wie lieb mir eine solche Gouvernante war; hernach offenbart' ich ihr meine geheimsten Empfindungen, und bath sie, auf's ehste eine heimliche Zusammenkunft mit Ihnen einzuleiten. Sie bracht' es endlich so weit. Heute Morgen ließ sie die Alte herumpatroulliren, die mit Ihnen gesprochen hat; eine Pfiffmacherinn, deren sie sich bey der Apothekersfrau öfters bediente. Das 38 Schnurrigste aber bey der ganzen Geschichte, fuhr sie lachenden Mundes fort, ist, daß Melancia, der ich gesagt, mein Mann pflege des Nachts sehr ruhig zu schlafen, sich zu ihm gelegt hat, und in diesem Augenblicke meine Stelle vertritt.

Um so schlimmer, Sennora! sagt' ich zu Mergeline'n, diese Erfindung hat gar nicht meinen Beyfall. Wie leicht kann nicht Ihr Mann aufwachen, und den Betrug merken. Das wird er nicht, fiel sie mir hastig ein. Seyn Sie deßhalb unbekümmert, und lassen Sie Sich nicht durch eine vergebliche Furcht in der Freude stören, welche die Gegenwart einer jungen, Ihnen wohlwollenden Dame in Ihnen erregen muß.

Als die Frau des alten Doctors merkte. daß diese Reden meine Furcht noch nicht vertrieben, so suchte sie Alles hervor, wodurch sie mir nur Muth einzuflößen hoffen konnte. Sie schlug so vielerley Wege ein, daß es ihr endlich gelang. Ich dachte nunmehr an weiter nichts, als die Gelegenheit zu nutzen; allein eben als Gott Amor, im Geleite aller Götter der Freude, im Begriffe war, mich glücklich zu machen, hörten wir an die Hausthür' donnern. Sogleich flog der Gott der Liebe mit seinem Gefolge davon, wie schüchterne Vögel durch ein starkes Geräusch plötzlich verscheucht werden. Husch! verbarg mich Mergeline unter einem im Saale 39 stehenden Tisch; blies die Lampe aus, und begab sich nach der mit der Gouvernante genommenen Abrede, falls ihnen ein solcher Querstrich sollte durch die Rechnung gemacht werden, an ihres Mannes Schlafkammer.

Indeß donnerte man so heftig an die Thür, daß das Haus davon dröhnte, und der Arzt plötzlich aus dem Schlafe fuhr. Er rief: Melancia! Wips! war die aus dem Bette, obgleich der Doctor, der sie für seine Frau hielt, ihr zurief: sie sollte nicht aufstehen; sie verfügte sich zu ihrer Herrschaft, die, als sie selbige neben sich merkte, auch Melancia rief, und ihr sagte: sie möchte doch zusehen, wer anklopfte. Hier bin ich, Sennora, rief die Gouvernante. Belieben Sie Sich nur immer wieder niederzulegen. Ich will schon sehen, wer da ist.

Unter der Zeit hatte sich Mergeline entkleidet, und legte sich zum Doctor in's Bett, der von dem Betruge nicht den mindesten Argwohn schöpfte. Und wie konnt' er auch? Der Auftritt ward im Stockdunkeln gespielt, von Actrisen, deren eine unvergleichlich war, und wovon die andre viele Anlage hatte, es zu werden.

Bald darauf erschien die Duenna, ein Nachthabit übergeworfen, und einen Leuchter in der Hand. Wollen Sich der Herr Doctor wohl aufbemühen? sagte sie. Unsern Nachbar, 40 den Buchhändler, Fernandez de Buendia, hat der Schlag gerührt. Sie möchten so gut seyn, und zu ihm kommen, und ihm zu helfen suchen. Der Arzt zog sich über Hals und über Kopf an, und ging fort. Seine Frau kam im Schlafkleide sammt der Duenna in den Saal, worin ich mich befand. Sie zogen mich mehr todt als lebendig unter dem Tische hervor.

Du hast nichts mehr zu besorgen, lieber Diego, sagte Mergeline. Erhohle Dich. Zugleich berichtete sie mir mit zwey Worten was vorgefallen war. Hierauf wollte sie den zerrissenen Faden unsrer Unterhaltung wieder anknüpfen, allein die Gouvernante setzte sich dagegen. Vielleicht findet Ihr Herr Gemahl den Buchhändler schon todt, und kommt gleich wieder zurück, sagte sie. Ueberdieß, fuhr sie fort, indem sie mich vor Furcht halb erstorben erblickte, was wollen Sie mit dem armen jungen Mann anfangen? Heute ist er nicht im Stande Ihnen fernere Gesellschaft zu leisten. Besser ist's, man schickt ihn zurück, und verschiebt die Partie bis Morgen. Donna Mergeline willigte höchst ungern darein, so weit lieber war ihr ein Hab-ich, als zehn Hätt-ich, und ich glaube, es kränkte sie ungemein, daß sie ihrem Manne nicht das neue Baret aufsetzen konnte, das sie ihm zugedacht hatte.

Ich meines Orts war weniger betrübt über das verscherzte kostbare Glück der Liebe, als 41 erfreut, daß ich der Gefahr entronnen war, und kehrte zu meinem Herrn zurück, woselbst ich den Ueberrest der Nacht hindurch Betrachtungen über mein Abenteuer anstellte. Eine Zeitlang war ich zweifelhaft, ob ich mich die folgende Nacht zu dem Rendezvous einfände. Diese Fahrt, dacht' ich, kann so ablaufen, wie die erste, allein der Teufel, der uns immer besitzt, oder vielmehr nur bey dergleichen Gelegenheiten, stellte mir vor, ich müßte ein Erzdummkopf seyn, wenn ich auf so schönem Wege stehen bliebe; zu gleicher Zeit zeigte er mir Mergeline'n mit neuen Reitzen umgeben, und erhob den Werth der mich erwartenden Vergnügungen. Ich entschloß mich daher, fest bey der Klinge zu bleiben. In den Gedanken, standhafter zu seyn, wie's vorigemahl, begab ich mich in dieser guten Stimmung an des Doctors Hausthür. Es war zwischen elf und zwölf; der Himmel stockdunkel; kein einz'ger Stern schimmerte. Ich miaute zwey- bis dreymahl, um meine Gegenwart zu erkennen zu geben, und da mir hierauf Niemand öffnete, fing ich nicht nur wieder von neuem an, sondern begann alle die verschiedentlichen Katzenschreye nachzuahmen, die mir ein Schäfer von Olme gelehrt hatte.

Ich traf sie so gut, daß ein Nachbar, der eben zu Hause kam, mich für eins der Thiere hielt, deren Miauen ich nachäffte, und deßhalb einen vor ihm liegenden Stein aufraffte, und aus 42 Leibeskräften auf mich zuwarf mit den Worten: Ueber den Zeterkater! Der Wurf traf meinen Kopf, und betäubte mich dermaßen, daß ich bey einem Haare zu Boden gefallen wäre. Ich fühlte mich stark verwundet, und dieß war hinlänglich, mir die ganze Liebesgeschichte zu verleiden; mit dem Blute floß meine Liebe zugleich weg.

Ich eilte nach Hause, wo ich jedermann aus dem Schlaf und aus den Betten jagte. Mein Herr besichtigte und verband meine Wunde, die er für gefährlich hielt. Gleichwohl hatte sie keine weitre übeln Folgen, und nach Verlauf von drey Wochen war nicht mehr das Geringste davon zu sehen. Die ganze Zeit über bekam ich nichts von Mergeline'n zu hören. Es läßt sich vermuthen, daß ihr Melancia, um sie von mir abzuziehen, zu einer andern guten Bekanntschaft verholfen hat. Ich kehrte mich aber daran weiter gar nicht, weil ich, nachdem ich wieder vollkommen geheilt war, Madrid verließ, um meine Reise durch Spanien zu machen. 43

 


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