Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Gil Blas wird von seinem Herrn verabschiedet, und kommt bey einem Stutzer in Dienste.

Wie wir aus dem Wirthshause waren, und von einander Abschied nahmen, ging mein Herr bey uns vorbey. Er sahe mich, und ich ward gewahr, daß er den Hauptmann mehr denn Einmahl betrachtete. Er schien sich zu verwundern, mich bey einem solchen Manne zu finden. Es ist nicht zu läugnen, Rolando's Aeußeres nahm nicht sehr zu seinem Vortheil ein. Er war lang, hatte ein hageres Gesicht und eine Habichtsnase, und obgleich seine Bildung nicht uneben war, so hatte sie dennoch etwas Widriges, etwas Erzspitzbubenmäßiges.

Ich hatte mich in meinen Vermuthungen nicht betrogen. Ich fand am Abend, daß dem Don Bernardo des Hauptmann's Figur sehr im Kopfe herumging, und daß er sich völlig in der Stimmung befand, all' die schönen Stückchen zu glauben. die ich von ihm hätte erzählen können, wenn ich hätte reden dürfen.

Wer war denn der große Schlagtod, Gil Blas, sagt' er zu mir, den ich vorher bey Dir fand? Ein Alguazil, antwortete ich ihm, und bildete mir ein, diese Antwort wurde ihn völlig befriedigen. Allein er fing an mich in 85 die Kreuz und die Quer zu quästioniren, und da er merkte, daß ich in Verlegenheit gerieth, weil ich an die mir frisch im Gedächtnisse liegenden Drohungen vom Rolando wieder dachte, so brach er plötzlich das Gespräch ab, und ging zu Bette.

Den folgenden Morgen, nachdem ich mein Amt, wie gewöhnlich, verrichtet hatte, zahlte er mir statt sechs Realen sechs Ducaten hin, und sagte zu mir: Da, mein Freund, nimm das für deine bisherigen Dienste. Du kannst Dir einen andern Herrn suchen. Ich mag keinen Bedienten, der so seine Bekanntschaften hat. Ich ließ es mir einfallen, ihm zu meiner Rechtfertigung vorzustellen. meine Bekanntschaft mit diesem Alguazil rühre daher, daß ich ihm während meines Doctorirens zu Valladolid habe manchmahl etwas verschreiben müssen. Allerliebst, erwiederte mein Herr. Eine sinnreiche Ausflucht. Das hättest Du mir gestern Abend sagen, und nicht so in Verwirrung gerathen sollen. Sennor, entgegnet' ich, ich pflege nicht gern aus der Schule zu schwatzen, und dadurch gerieth ich denn in Verlegenheit. Freylich, so etwas muß man auch nicht aus der Schule schwatzen! versetzte er, indem er mich sanft auf die Schulter schlug. Ich hielt Dich nicht für so schlau. Geh', mein Kind, Du hast Deinen Abschied. Ein Bursch, der's mit 86 Aguazil's hält, ist ganz und gar meine Sache nicht.

Ich ging sogleich zum Melendez, und brachte ihm diese schlimme Neuigkeit. Um mich zu beruhigen, gab er mir die Versicherung: er wolle mich in einem bessern Hause anbringen. In der That, sagte er einige Tage darauf zu mir: Sie können das Glück gar nicht vermuthen, lieber Gil Blas, das Ihnen bevorstehet; Sie werden einen trefflichen Posten bekommen. Ich will Ihnen bey dem Don Mathias de Sylva anhelfen; einem jungen Herrn vom vornehmsten Stande; einem von denen jungen Cavaliers, die man Stutzer zu nennen pflegt. Er erzeigt mir die Ehre, und nimmt Waaren bey mir aus, freylich auf Credit, allein bey solchen Herren kommt man nie zu kurz. Sie heirathen oft reich, und dann bezahlen ihre Weiber die Schulden. Geschieht auch dieß nicht, so schlägt ein Kaufmann, der nur ein Bißchen versteht quid juris, ihnen seine Waaren so hoch an, daß er immer geborgen ist, wenn er auch nur den vierten Theil seiner Forderungen ausgezahlt bekommt. Der Intendant des Don Mathias, fuhr er fort, ist mein vertrauter Freund. Wir wollen zu ihm gehen. Er selbst soll Sie seinem Herrn vorstellen, und Sie können darauf rechnen, daß er in Betracht meiner viele Achtung für Sie haben wird. 87

Wie wir auf dem Wege nach dem Pallaste des Don Mathias waren, sagte der Kaufmann: Mich dünkt, es wird gar rathsam seyn, daß ich Ihnen den Character des Intendanten kennen zu lehren suche, damit Sie Sich darnach richten können. Er heißt Gregorio Rodriguez. Unter uns gesagt, es ist ein Kerl hinterm Zaune her; da er fühlte, daß er für Geschäfte gemacht sey, so folgt' er seinem innern Berufe, und ist in zwey zu Grunde gegangenen Häusern, wo er Oberaufseher war, reich geworden. Hochmüthig ist er über die Maßen, das steck' ich ihnen; sieht's gern, wenn all' die übrigen Domestiken vor ihm kriechen. Sie müssen sich gleich gerad' an ihn wenden, wenn sie von ihrem Herrn nur das Mindeste verlangen; ist die Sache nicht durch seinen Canal gegangen, so weiß er sie krebsgängig, oder ganz zu Wasser zu machen.

Merken Sie Sich das, Gil Blas. Machen Sie dem Sennor Rodriguez fleißig Cour, und das noch eher, als Ihrem Herrn; wenden Sie alles an, Sich ihm gefällig zu machen. Seine Freundschaft wird Ihnen sehr viel helfen. Er wird Ihnen Ihr Salarium genau auszahlen, und wenn Sie pfiffig genug sind, Sich völlig bey ihm einzuschmeicheln, kann er Ihnen auch wohl ein Knöchelchen zum abknaupeln zuwerfen. Hat er doch deren die Menge. Don Mathias ist ein junger Herr, der auf 88 nichts denkt, als sich zu vergnügen, sich um seine Angelegenheiten gar nicht bekümmern mag. Ist solches Haus nicht eine Fundgrube für einen Oberaufseher?

Als wir nach dem Pallaste angekommen waren, fragten wir nach dem Sennor Rodriguez. Es hieß, er befände sich auf seinem Zimmer. Da trafen wir ihn auch wirklich, und bey ihm eine Art Landmann, der einen blauleinewandenen Sack mit Geld in der Hand hielt. Der Intendant, der mir weit fahler und gelber schien, als ein Mädchen, die des ehelosen Standes überdrüßig ist, rannte mit offenen Armen auf Melendez los, dieser breitete die seinigen aus, und sie umarmten sich beyde mit Freundschaftsäußerungen, die mehr Kunst als Natur verriethen. Hernach war die Rede von mir.

Rodriguez untersuchte mich vom Kopf bis zu Fuß, und sagte nachher mit vieler Höflichkeit: Er fände gerade in mir den Mann, den Don Mathias brauchte, und er nähm' es mit Vergnügen auf sich, mich diesem Herrn vorzustellen. Sodann gab Melendez zu erkennen, wie warm er sich für mich interessirte, bath den Intendanten, mich seines Schutzes zu würdigen, und ließ mich nach vielen großmächtigen Complimenten bey ihm.

Wie er fort war, sagte Rodriguez zu mir: Sobald ich diesen ehrlichen Landmann 89 abgefertigt habe, will ich Sie meinem Herrn aufführen. Mit diesem Worte näherte er sich dem Landmanne, und sagte, indem er ihm den Sack abnahm: Laß uns zusehen, Talego, ob fünf hundert Pistolen darin sind. Er zählte die Summe selbst, fand sie richtig, quittirte hierüber, schickte ihn fort, und steckte das Geld wieder in den Sack. Hierauf wandt' er sich zu mir, und sagte: Nun können wir vor den gnädigen Herrn. Er wird eben aufgestanden seyn. Gegen Mittag pflegt er sich gemeiniglich aus dem Bette zu erheben. Es ist beynahe Eins. Jetzt macht er Tag.

Don Mathias war in der That eben aufgestanden. Er befand sich noch im Schlafrocke, hingestreckt in einem Lehnstuhle, auf dessen einem Arme sein Bein lag; er schaukelte sich, indem er Tabak rapirte, und sich mit einem Lakayen unterhielt, der ad interim Kammerdienerstelle vertrat, und völlig dienstfertig da stand. Gnädiger Herr, sagte der Intendant zu ihm, hier nehm' ich mir die Freyheit, Ihnen diesen jungen Menschen vorzustellen, um in die Stelle des vorgestern Weggejagten zu treten. Melendez, Ihr Kaufmann, haftet für ihn, versichert, es sey ein recht geschickter Bursch, und ich glaube auch, daß Sie mit ihm zufrieden seyn werden.

Ihr führt ihn mir auf, versetzte der junge Herr, und das ist hinlänglich; ich nehm' 90 ihn ohne weiters in meine Dienste; mach' ihn zu meinem Kammerdiener. Und so wäre das abgethan. Und nun zu etwas anderm, Rodriguez! Sie sind recht à propos gekommen. Eben wollt' ich zu Ihnen senden. Ich habe Ihnen schlimme Neuigkeiten zu sagen, lieber Rodriguez. Verwichene Nacht schlug mir das Spiel gar nicht ein; ich verlor nicht nur die hundert Pistolen, die ich bey mir hatte, sondern auch noch hundert dazu auf's Wort. Sie wissen, wie viel Standespersonen daran liegt, dergleichen Schulden abzutragen. Es sind in der That die einzigen, die die Gesetze der Ehre pünctlich zu bezahlen uns anbefehlen; auch nehmen wir's mit Bezahlung der übrigen so genau eben nicht. Sie müssen mir also sogleich zweyhundert Pistolen schaffen, und sie der Gräfinn Pedrosa senden.

Das läßt sich leichter sagen, als thun, antwortete Rodriguez. Wo soll ich denn, mit Ihrer Erlaubniß, diese Summe hernehmen? Von Ihren Pächtern bekomm' ich keinen Maravedis ein, ich mag drohen, toben, wie ich will, gleichwohl muß ich Ihre Domestiken standesmäßig unterhalten, mich zerplacken und zerplagen, um nur Ihre Ausgaben zu bestreiten. Bis dato hab' ich, dem Himmel sey Dank! noch immer Rath zu schaffen gewußt, aber nun weiß ich nicht mehr, an welchen Heiligen ich mich wenden soll; ich befinde mich in der 91 äußersten Klemme. Schnikschnak, und weiter nichts, Herr! erwiederte Don Mathias. Eure Salbadereyen ennüjren mich. Soll ich etwa, Euch zu gefallen, meine Lebensart ändern, Rodriguez, und zum Amüsement meine Einkünfte zu verwalten anfangen? Wahrlich! ein gar artiges Amüsement für einen solchen Sohn der Freude, wie ich!

Nur Geduld! versetzte der Intendant, nach dem Gange zu urtheilen, den jetzt Ihre Sachen nehmen, werden Sie dieser Sorge bald auf immer überhoben seyn. O, überlästiges Geschöpf! rief der Cavalier aufgebracht, Ihr bringt mich noch um. Laßt mich doch zu Grunde gehen, ohne daß ich's merke. Ich brauche zwey hundert Pistolen, sag' ich Euch. Ich brauche sie.

So will ich mich denn, sagte Rodriguez, an das alte Männchen wenden, das Ihnen schon Geld auf starke Zinsen vorgeschossen hat. Meinethalben an den Teufel! rief Don Mathias. Was kümmert mich das weiter, wenn ich nur die zwey hundert Pistolen habe.

In eben dem Augenblicke, da er diese Worte mit einer ärgerlichen und zornigen Miene ausstieß, verließ der Intendant das Zimmer, und Don Antonio von Centelles, ein junger Herr von Stande, trat herein. Was fehlt Dir? sagte er zu meinem Herrn. Was für ein Nebel liegt auf Deinem Gesichte? 92 Deine Miene, Dein Auge verräth Zorn. Was hat Dich so übellaunisch gemacht? Ich will darauf wetten: der Schuft, der mir an der Thür begegnete. Eben der! antwortete Don Mathias. Es ist mein Intendant, der mir eine mißvergnügte Stunde macht, so oft er mit mir spricht. Immer unterhält er mich von meinen Angelegenheiten; sagt, ich würde noch Haus und Hof durch die Gurgel jagen . . . Der Schlingel! Sollte man nicht denken, er hätte selbst Verlust dabey?

Mein Kind, erwiederte Don Antonio, ich befinde mich gerad' in dem nähmlichen Falle, habe einen Homme d'affaire, der nicht vernünftiger ist, als Dein Intendant. Wenn der Bärenhäuter auf wiederhohlte Befehle mir Geld bringt, thut er so, als ob er's von dem Seinigen hernähme; führt ein Geschwätz ohne Ende. Gnäd'ger Herr, sagt' er, Sie rennen in Ihren Abgrund. All' Ihre Einkünfte sind in Beschlag genommen. Ich seh' mich genöthigt, ihm in's Wort zu fallen, damit nur des albernen Gewäsches ein Ende wird!

Schlimm, sagte Don Mathias, daß wir die Leute nicht entbehren können. Sie sind ein nothwendiges Uebel! So ist's! antwortete Centelles. Doch halt! eben komm' ich auf eine ganz drollige Idee! Hier brach er in ein lautes Gelächter aus. Der glücklichste Einfall von der Welt! Wir können die ernsthaften Scenen, 93 die wir mit ihnen haben, komisch machen, und statt Aerger uns Belustigung verschaffen. Hör' nur. Ich fordere künftig von Deinem Intendanten all' das Geld, das Du brauchst. Und so machst Du es mit meinem Homme d'affaires. Laß sie alsdann Schnikschnak halten, so viel sie wollen, wir werden sie mit kaltem Blute anhören. Dein Intendant wird mir seine Rechnungen ablegen; mein Homme d'affaires Dir die meinigen. Ich werde bloß von Deinen Verschwendungen hören, und Du nur von den meinigen. Nicht wahr, ein reichhaltiger Stoff zum Vergnügen?

Diesem Einfalle folgten unzählig andere, eben so launichte, wodurch die Unterredung einen fröhlichen, äußerst lebhaften Schwung bekam. Die Wiederkunft des Gregorio Rodriguez unterbrach das Gespräch. Er hatte ein altes Männchen bey sich, auf dessen Haupte man fast kein Haar mehr erblickte, so sehr kahl war es. Don Antonio wollte fort. Lebewohl, Don Mathias, sagte er. Ich lasse Dich bey diesen Herren. Ohne Zweifel habt Ihr eine sehr ernste Sache mit einander abzumachen. Nicht doch! antwortete mein Herr, bleib nur, Du bist uns nicht überlästig. Dieser rechtschaffene Alte, den Du da siehst, borgt mir Geld für zwanzig Prozent. Wie, für zwanzig Procent? rief Centelles mit der Miene der Verwunderung. In der That! da bist Du in gute Hände gerathen. 94 So wohlfeil komm' ich, bey Gott! nicht durch. Ich muß das Geld mit Golde aufwägen; muß gemeiniglich vierzig Procent geben.

O, mehr denn jüdischer Wucher! rief der alte Wucherer. Was das für Schelmzeug ist! Das muß nicht Seel, nicht Seligkeit glauben! Nun wundr' ich mich nicht mehr, wenn man über die Pfänderleiher so loszieht. Der himmelschreyende Profit, den einige von ihrem Gelde ziehen, bringt uns um Ehre und guten Nahmen. Dächten all' meine Mitbrüder so, wie ich, so würden wir nicht in so üblem Rufe stehen; denn ich, meiner Seits, verleih' mein Geld bloß aus christlicher Liebe. Ach! wären die Zeiten noch so gut, wie vor diesem, wahrlich, meine Casse stünde Ihnen ohne Interessen zu Dienste; ja, ich mache mir fast jetzt sogar, so hochbeinig, so eisern auch die Zeiten sind, ein Bedenken daraus, zwanzig Procent zu nehmen. Allein man sollte beynahe sagen, daß das Geld sich ganz in die Eingeweide der Erde verkrochen habe; ein so seltener Gast ist es. Wäre das nicht, so würd' ich dieß nicht auf mein so zartes Gewissen nehmen.

Wie viel brauchen Ihro Gnaden? fuhr er fort, indem er sich gegen meinen Herrn wandte. Zweyhundert Pistolen, antwortete Don Mathias. Ich habe hier vierhundert bey mir, versetzte der Wucherer, davon darf ich Ihnen nur die Hälfte abzählen. Zu gleicher 95 Zeit zog er unter seinem Mantel einen blauleinwandenen Sack hervor, der mir der nähmliche zu seyn schien, welchen der Landmann Talego dem Rodriguez sammt den fünfhundert Pistolen ließ. Ich merkte nun bald, was die Glocke geschlagen, und fand, daß Melendez gar mit Recht gesagt hatte: der Intendant sey mit allen Hunden gehetzt.

Der Alte leerte den Beutel aus, schüttete das Geld auf einen Tisch, und fing an zu zählen. Dieser Anblick machte meinen Herrn lüstern; die ganze runde Summe stach ihm gewaltig in die Augen. Sennor Descomulgado, sagte er, ich habe eben reichlich nachgedacht, und finde, daß ich ein rechter Dummkopf bin. Ich fordere nur gerade so viel, als nöthig ist, mein verpfändetes Wort auszulösen, ohne mich zu besinnen, daß ich keinen Heller weiter habe. Ich müßte doch morgen wieder meine Zuflucht zu Ihnen nehmen. Am besten also, ich streiche die ganze vierhundert Pistolen ein, so brauch' ich Sie nicht wieder her zu bemühen.

Sennor Cavallero, antwortete der Alte, ich hatte die Hälfte dieses Geldes einem wackern Licentiaten zugedacht, der ansehnliche Landgüter geerbt hat, die er aus christlicher Liebe dazu anwendet, junge Dirnen dem Getümmel der Welt zu entziehen, und ihre einsamen Zellen köstlich und niedlich auszumöbliren. Weil Sie aber die ganze Summe bedürfen, so steht 96 sie zu Befehl; Sie dürfen mir nur einige Sicherheit darüber geben. Einige Sicherheit? unterbrach ihn Rodriguez, die sollen Sie haben, und das recht gute. Hiermit zog er ein Papier aus der Tasche. Hier ist eine Anweisung, fuhr er fort, die Sennor Don Mathias nur zu unterschreiben braucht. Sie lautet auf fünfhundert Pistolen, die Ihr von einem seiner Pächter, dem reichen Ackersmanne zu Mondejar, dem Talego, heben könnt. Sehr wohl, versetzte der Wucherer. Ich bin der Mann gar nicht, der Schwierigkeiten macht; sind die Vorschläge, die man mir thut, nur halbweg billig, so nehm' ich sie sogleich ohn' alle Umstände an. Hier brachte der Intendant meinem Herrn eine Feder, der das Billet pfeifend ungelesen unterschrieb.

Wie dieß Geschäft abgethan war, nahm der Alte von meinem Herrn Abschied, der auf ihn zulief, ihn umarmte, und zu ihm sagte: Bis auf Wiedersehen, Herr Wucherer, ich bin ganz der Ihrige. Ich weiß gar nicht, weßhalb man Euch gute Leute für Schelme hält. Meines Erachtens, seyd Ihr die nothwendigsten Bürger im Staate, der Trost tausend Kinder von Familie, und der Hülfsquell aller der Cavaliere, deren Depensen ihre Renten übersteigen.

Da hast Du Recht, rief Centelles, die Wucherer sind rechtschaffene Leute, die man nicht 97 genugsam ehren kann. Laß mich also diesen würdigen Mann, wegen seiner zwanzig Procente, umarmen. Mit diesen Worten stellt' er sich, als wollt' er ihn umarmen, und nunmehr machten sich die beyden Stutzer die Lust, und spielten mit ihm Fangball, indem sie ihn einer dem andern zuwarfen. Nachdem sie ihn lange genug gefangballt hatten, liessen sie ihn sammt dem Intendanten gehen, der diese Umarmungen, ja wohl noch etwas anders, verdiente.

Als Rodriguez mit seinem treuen, ewigen ScherwenzelScherwenzel bezeichnet »einen willfahrigen, geschäftigen Menschen, welcher sich zu allem brauchen läßt.« – A. d. Uebers. fortgewandert war, sandte Don Mathias durch den Bedienten, der sich nebst mir im Zimmer befand, der Gräfinn Pedrosa ihre Pistolen, und steckte das Uebrige in eine lange, goldgestickte seidene Börse, die er gewöhnlichermaßen bey sich trug. Höchst zufrieden, nun wieder im Vollen zu seyn, sagte er mit fröhlicher Miene zum Don Antonio: Was werden wir heute beginnen? Laß uns hierüber zu Rathe gehen. Ein gescheidter Einfall! antwortete Centelles. Das wollen wir auch. Indem sie nachsannen, was sie heute noch anfangen wollten, kamen noch zwey Cavaliere, Don Alexo Segiar, und Don 98 Fernando de Gamboa, beyde ungefähr in meines Herrn Alter, das heißt, acht und zwanzig bis dreyßig Jahr.

Diese vier Cavaliere umarmten sich so lebhaft, als hätten sie sich seit zehn Jahren nicht gesehen. Hierauf sagte Don Fernando, ein drallerDrall, wohl bey Leibe und dabey von verhältnißmäßigen Gliedmaßen. Lessing hat bekanntlich dieß vortreffliche Niedersächsische Wort dem Hochdeutschen einverleibt. Der Herr Professor Heinaz erklärt es fälschlich für schlank, und will es wegen seines schwankenden Gebrauchs nicht in die Schriftsprache aufgenommen wissen; allein er ist, in Betreff dieses Wortes, ganz in Irrthum. Der Begriff von Condensität sticht überall daraus hervor, man mag es vom Menschen, von Thieren, vom Regen, von der Kleidung gebrauchen. Sonach wird die vertrauliche Sprechart sich diesen Ausdruck so wenig als das Kraftwort glau, wieder entreissen lassen. – A. d. Uebers., sehr munterer junger Mann, zum Don Mathias und Don Antonio: Wo speisen Sie denn heute, meine Herren? Sind Sie noch nicht versagt, so will ich Sie in eine Auberge führen, wo Sie Götterwein trinken sollen. Ich suppirte gestern Abend dort, und verließ sie erst diesen Morgen zwischen fünf und sechs Uhr. Wollte Gott, rief mein Herr, 99 ich hätte die Nacht auch so weislich zugebracht, so hätt' ich mein Geld nicht eingebüßt.

Was mich anlangt, sagte Centelles, so macht' ich gestern Abends ein neues Divertissement ausfindig. Ich liebe Veränderung in meinen Vergnügungen. Auch ist das Abwechselnde in den Ergetzungen das Einzige, was das Leben angenehm macht. Einer meiner Freunde schleppte mich zu einem von denen Herren, die Steuern und Gaben eintreiben, und sich mit dem Fette gar artig zu beträufeln wissen, das in des Fürsten Pfanne triefen soll. Ich fand daselbst Pracht, Geschmack, und die Mahlzeit schien mir sehr gut eingerichtet; allein bey den Eignern des Hauses fand ich ein Lächerliches, das mich sehr ergetzte. Der Zöllner, der unter der ganzen Gesellschaft der größte Spießbürger war, wollte den Mann vom Stande vorstellen, und seine Frau, ein wahres Fratzengesicht, eine Schönheit. Sie sagte tausend Albernheiten durch einen Bißkaischen Accent gewürzt, der selbige erhöhte. Dazu denken Sie Sich noch eine Gruppe von vier, fünf Kinder mit ihrem Informator, und nun urtheilen Sie, ob dieß Familiensoupe nichts Ergetzendes für mich haben mußte.

Und ich, meine Herren, sagte Don Alexo Segiar, speiste gestern Abend bey einer Komödiantinn, bey Arsenie'n. Es befanden sich unser sechs an der Tafel. Arsenie, 100 Florimonde, eine ihrer Freundinnen, ein kokettes Ding, der Marques von Ceneta, Don Juan de Moncade, und Dero Knecht. Wir zechten, und rissen die ganze Nacht durch Zoten. Was für Wollust wir genossen! Zwar hat weder Arsene noch Florimonde viel Geist; sie sind aber in all' den lieben, losen Künsten von Mutter Venus und Vater Priap so bewandert, daß man ihnen gern jenen Mangel übersieht. Ein Paar lustige, weelige, ausgelassene Dinger. Mir tausendmahl lieber, als Eure steife, abgezirkelte Zierpuppen von Damen, die mit ihrem Verstande und ihrer Tugend immer und ewig daher prunken.

 


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