Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Funfzehntes Kapitel.

Gil Blas kleidet sich, wird von neuem beschenkt, und verläßt Burgos.

Man trug mir ein tüchtiges SalpiconSalpicon. »Dieß besteht aus kaltem Hammelfleisch, klein geschnitten, und mit Essig, Oehl, Pfeffer und Zwiebeln zurecht gemacht.« – D. Uebers. von Hammelsfüssen auf, das ich fast völlig 109 verzehrte. Eben so wacker hielt ich mich an die Weinflasche; hernach legt' ich mich nieder. Da ich ein ziemlich gutes Bett hatte, hofft' ich bald in einen tiefen Schlaf zu fallen. Gleichwohl konnt' ich kein Auge zuthun. Ich dachte in Einem fort, was für ein Kleid ich nehmen wollte.

Was soll ich nun anfangen? sagt' ich. Mein erstes Vorhaben befolgen, ein Licentiatenröckchen kaufen, nach Salamanka gehen, und mich da um eine Informatorstelle bewerben? Wozu aber der Licentiatenaufzug! Bin ich denn Willens, mich der Kirche zu weihen? Fühl' ich denn dazu innern Beruf? Nichts weniger denn das. Zum Weltmanne weit eher. Nun so will ich den Degen wählen, und mein Glück in der großen Welt zu machen suchen.

So entschloß ich mich denn, ein Cavalierkleid zu nehmen, überzeugt, daß ich in der Tracht einen ansehnlichen und einträglichen Posten erlangen würde. Ich erwartete den Tag mit äußerster Ungeduld, und kaum fielen seine ersten Strahlen in meine Augen, als ich aufsprang, und so im Wirthshause herumtobte, daß ich alles aus dem Schlafe weckte. Ich rief die Aufwärter, den Hausknecht, die noch im Bette lagen, und die mir mit einer Ladung Flüche antworteten. Gleichwohl mußten sie aus den Federn, und ich ließ ihnen nicht eher Ruhe, als bis sie mir einen Trödler hohlten. 110

Nicht lange, so erschien einer, zwey Bursche hinter sich, deren jeder ein großes grünleinwandnes Pack trug. Er grüßte mich ungemein höflich, und sagte zu mir: Ihro Gnaden haben wirklich nur von Glück zu sagen, daß man just mich un ke'nen andern gehohlt hat. Ich will meine Collegas gar nich in 'n übles Geschrey bringen, Gott bewahre mich, daß ich ihrem guten Nahmen nur irgend 'nen Klaks sollte anhängen duhn. Abers unter uns gesagt, keen enzger von ihnen hat 'n Gewissen. 'S sind alles weit ärgere Schinder wie die Juden. Ich bin noch der eenzige, der Gott un sein Gebot vor Augen hat, mit 'nem billigen Profite vorlieb nimmt, wenn er am Groschen 'nen Thaler, wollt' ich sagen, am Thaler 'nen Groschen verdient. Von Quinten un Flinten versteh' ich, Gott sey Dank gar nix.

Nach diesem Eingange, den ich Gimpel buchstäblich nahm, befahl er seinen Jungen die Packe aufzudecken. Man zeigte mir Kleider von allerhand Farbe. Ich verwarf sie verächtlich, weil sie mir zu modest schienen; sie waren bloß von Tuch, und ganz schlecht und recht. Endlich probte man mir eins an, das auf meinen Leib gemacht schien, und das, wiewohl es ein wenig abgetragen aussah, mir ganz die Augen blendete. Es war ein blausammtnes, goldgesticktes Wams mit aufgeschnittenen Aermeln sammt Beinkleidern und 111 Mantel von eben der Art. Ich mochte nicht weiter gehen, und feilschte um selbiges.

Der Trödler merkte, daß es mir anstand, und sagte: Ich hätte einen exzellenten Geschmack. Wahrhaftig un Gott! rief er, man sieht's, daß der Herr 'n Kenner sind. Sie müssen wissen, eener der größten Herren im Königreiche hat sich's machen lassen, un es knapp dreymahl am Leibe gehabt. Fühlen Sie mahl den Sammt an. Schönern giebt's gar nich. Un die Stickerey! Sie werden mir einräumen müssen, daß kapitalre Arbeit nich zu finden is. Wie viel verlangen Sie dafür? fragte ich ihn. Sechzig Ducaten, sagte er. Wo ich sie nicht schon habe dafür einstreichen können, will ich keen ehrlicher Mann seyn. Der darauf gesetzte Trumpf überzeugte mich. Ich both ihm fünf und vierzig; es war vielleicht nicht die Hälfte werth. Ihro Gnaden müssen wissen, ich schlage niemahls vor, antwortete der Trödler frostig. Da, fuhr er fort, und wies mir die Kleider, die ich verworfen hatte, nehmen Sie die hier, die will ich Ihnen wohlfeiler lassen.

Hierdurch macht' er mich nur noch auf den gefeilschten Anzug erpichter, und da ich mir einbildete, er würde nichts herunterlassen, so zählt' ich ihm die sechzig Ducaten auf. Als er sahe, daß ich das Geld wie einen Pappenstiel weggab, so, glaub' ich, mocht' es ihm, 112 so sehr er auch Gott und sein Geboth vor Augen hatte, sehr leid thun, nicht mehr gefordert zu haben. Gleichwohl ging er herzlich vergnügt fort, weil er am Groschen einen Thaler gewonnen hatte. Seine Leute waren nicht vergessen worden.

Sonach hatt' ich einen sehr artigen Mantel, Wams und rechte nette Beinkleider. Nun mußt' ich noch auf die übrigen Kleidungsstücke bedacht seyn. Dieß beschäftigte mich den ganzen Vormittag. Ich kaufte Wäsche, seidne Strümpfe, Schuhe, Hut und Degen. Hierauf kleidet' ich mich an. Welch Vergnügen empfand ich, mich so wohl ausstaffirt zu sehen. Ich konnte an meinem Anzuge meine Augen nicht genug weiden. Nie schaute ein Pfau selbstgefälliger auf sein Gefieder herab.

Denselben Tag legt' ich bey der Donna Mencia einen zweyten Besuch ab, die mich wieder mit ungemein liebreicher Miene empfing, und sich von neuem für den ihr geleisteten Dienst bedankte. Hierüber wurden von beyden Seiten mächtige Complimente gewechselt. Hernach wünschte sie mir alle mögliche Glückseligkeit, sagte mir Lebewohl, und begab sich fort, ohne mir etwas anders gegeben zu haben, als einen Ring für dreyßig Pistolen, den sie mich als ein Andenken von ihr zu behalten bath. 113

Ich blieb mit meinem Ringe ganz verduzt stehen, denn ich hatte auf ein beträchtlicheres Geschenk gerechnet. Sonach macht' ich mich, wenig vergnügt über die Großmuth der Dame und tief in Gedanken in mein Wirthshaus zurück. Kaum befand ich mich daselbst, als ein Mann, der mir auf der Ferse gefolgt war, in den Flur trat, den Mantel, den er über die Nase geworfen hatte, zurückschlug, und einen großen Sack unter dem Arme gewahr werden ließ. Bey Erblickung eines Sacks, der voller Geld zu seyn schien, macht' ich sowohl als die Gegenwärtigen große Augen, und glaubte eine Seraphimsstimme zu hören, als der Mann, der den Sack auf den Tisch setzte, zu mir sagte: Sennor Gil Blas, einen Empfehl von der Frau Marquese, und hier schickt sie Ihnen das.

Ich machte dem Träger tiefe Bücklinge, überhäuft' ihn mit Höflichkeiten, und sobald er aus dem Wirthshause war, schoß ich über den Sack her, wie ein Falk' über seinen Raub, und damit in meine Stube. Ich band ihn ohne Zeitverlust auf, und fand tausend Ducaten darin. Eben hatt' ich sie alle aufgezählt, als der Wirth, der des Trägers Wort gehört hatte, hereintrat, um zu wissen was in dem Sack sey. Der Anblick meiner auf den Tisch ausgekramten Barschaft stach ihm gewaltig in die Augen. Teufel! das nenn' ich viel Geld! 114 sagt' er. Sie wissen, fuhr er mit einer schalkischen Miene fort, die Weiber beym rechten Fleckchen zu fassen, ihnen die rechten Fettfedern auszurupfen. Sind kaum vierundzwanzig Stunden in Burgos, und setzen schon Marquesinnen in Contribution.

Mir mißfiel diese Rede nicht; fast war ich gesonnen, den Majuelo in seinem Irrthume zu lassen, der für mich etwas schmeichelhaftes enthielt. Nun wundre ich mich nicht mehr, wenn junge Leute so gern für Busenlieblinge der Damen wollen angesehen seyn. Indeß kämpfte meine Unschuld meine Eitelkeit zu Boden. Ich half dem Wirth aus dem Traume, erzählt' ihm die Geschichte der Donna Mencia, die er sehr aufmerksam anhörte, und sagte ihm, wie jetzt meine Sachen lägen. Da er in mein Interesse zu treten schien, bath ich ihn, mir mit Rath an die Hand zu gehen.

Er sann eine Weile nach, und sagte darauf ganz ernsthaft zu mir: Sennor Gil Blas, ich bin Ihnen recht gut, und da Sie mir so reenen Wein ingeschenkt un Ihr Herz ganz gegen mich ausgeschüttet haben, will ich doch gegen Sie nich hintern Berge halten und Ihnen Grade 'raus sagen duhn, wozu ich Sie für tüchtig halte. Sie scheinen wir für den Hof geboren. Gehen Sie uf mein Wort dahin, und suchen Sie Sich bey 'nem großen Herrn inzuschmeicheln; sein Geschäftsträger zu 115 werden, oder sein Maitre des plaisirs. Sonst kommen Sie in Ewigkeet nich vom Fleck. Ich kenne die Großen; uf den Diensteifer un uf die Anhänglichkeit 'nes rechtschaffnen Kerls achten sie nicht 'nen Pfiff. Nur aus denen machen sie sich was, die sie brauchen können, wie die Scherwenzel.

Sie, lieber Sennor, haben noch 'ne andre Zwickmühle, fuhr er fort. Sie sind 'n junger, wohlgemachter Herr, und hätten Sie auch nicht so viel Grütz' im Brägen, wie Sie haben, so wäre jenes beydes schon hinlänglich, 'ne reiche Witwe, oder 'n übelverheirathetes, junges, niedliches Weibchen in sich vergafft zu machen. Zwar richtet die Liebe Leute von Vermögen zu Grunde, dafür hilft sie aber auch welchen empor, die keenen Pfennig haben. Ich rath' Ihnen also, nach Madrid zu gehen; aber ohne Domestiken dürfen Sie dort sich nich sehen lassen. Der Schein gilt dort so gut, wie überall. Je mehr Wind Sie machen werden, desto angesehener werden Sie seyn. Ich will Ihnen 'nen Bedienten verschaffen, 'ne so treue gute Seele, als es nur eene in ganz Spanien giebt; kurz, so gut, als wär' er von meiner eegnen Zucht. Koofen Sie zwey Maulesel, eenen für Sich un eenen für ihn, un machen Sie Sich sobald als möglich uf den Weg. 116

Dieser Rath behagte mir zu sehr, als daß ich ihn nicht hätte befolgen sollen. Sonach kauft' ich des folgenden Tages zwey tüchtige Maulthiere, und miethete den Knecht, von dem mir der Wirth gesagt hatte. Es war ein Kerl in die Dreyßig, und hatte eine einfältige und fromme Miene. Er hieß, wie er sagte, Ambrosio von Lamela. Mir kam es gar sonderbar vor, daß er, anstatt so stinkend eigennützig zu seyn, wie andre Bedienten, garnicht daran dachte, sich ein gutes Lohn auszumachen. Er äusserte vielmehr gegen mich: mit dem fürlieb zu nehmen, was ich ihm zu geben die Güte haben wollte.

Ich kaufte noch Stiefeletten und ein Felleisen, worein ich meine Wäsche und meine Ducaten schloß. Hierauf befriedigt' ich meinen Wirth, und verließ den folgenden Tag, wie kaum der Morgen graute, Burgos, um mich nach Madrid zu begeben.



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