Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreyzehntes Kapitel.

Durch welchen Glücksfall Gil Blas aus dem Gefängnisse kommt.

Indeß ich mich durch meine Btrachtungen aufzuheitern bemühte, breiteten sich meine Abenteuer, so wie ich sie zum Protokolle gegeben hatte, in der Stadt aus. Es waren viele Leute neugierig, mich zu sehen. Deßhalb stellte sich einer nach dem andern vor das Fensterchen, durch welches Tageslicht in das Gefängniß fiel; nachdem sie mich eine Zeitlang betrachtet hatten, gingen sie weg. Dieser neue Auftritt befremdete mich. Seitdem ich gefangen saß, hatt' ich an diesem Fenster, das nach einem öden und grauerlichen Hof hinausging, nie ein Menschengesicht gesehen. Hieraus schloß ich, daß ich einiges Aufsehen in der Stadt machen müßte, wußte aber nicht, ob ich daraus gute oder schlimme Folgen prophezeihen sollte.

Einer der ersten, den ich erblickte, war mein Cantorlein von Mondonnedo, der sowohl wie ich aus Folterfurcht die Flucht ergriffen hatte. Er erkannte mich, so wie ich ihn; wir grüßten einander, und geriethen hierauf in eine lange Unterredung. Ich mußte meine Abenteuer von neuem erzählen. Sie brachten bey meinen Zuhörern eine doppelte 97 Wirkung hervor; Gelächter und Mitleid. Das Cantorchen erzählte mir seiner Seits, was sich in der Schenke zu Cacabelos zwischen dem Maulthiertreiber und der jungen Frau zugetragen, nachdem jene blinde Furcht uns aus einander gesprengt hatte. Kurz, er berichtete mir alles das, was unsre Leser bereits wissen. Hierauf nahm er von mir Abschied, mit dem Versprechen: ohne Zeitverlust an meiner Befreyung zu arbeiten. Nunmehr bezeigten alle diejenigen, die durch Neugier herzugelockt waren, daß ihnen mein Unglück sehr nahe ginge, und versicherten mir sogar, sie wollten sich mit dem kleinen Cantor vereinigen, und ihr möglichstes thun, mir die Freyheit zu verschaffen.

Sie hielten in der That Wort, und vertraten mich beym Corregidor, der nach des Cantor's Bericht nicht mehr an meiner Unschuld zweifelte. Nach drey Wochen kam er in's Gefängniß zu mir, und sagte: Gil Blas, wär' ich ein strenger Richter, so könnt' ich Dich noch länger hier behalten; allein ich mag die Sache nicht auf die lange Bank schieben. Geh', Du bist frey, kannst nunmehr hin, wo Du willst. Doch, fuhr er fort, sage mir, wenn man Dich in den Wald führte, worin die unterirdische Höhle war, getrautest Du Dir wohl, sie aufzufinden? Nein, Sennor, antwortete ich, das wäre mir unmöglich, denn zur Nachtzeit 98 ging ich hinein, und vor Tage wieder heraus.

Hierauf begab sich der Richter mit den Worten fort: Er würde dem Stockmeister anbefehlen mir die Thüren zu öffnen. Auch kam in der That einen Augenblick nachher der Kerkermeister, mit einem seiner Knechte, der ein leinenes Päckchen trug, in mein Loch. Mit gravitätischer Miene und ganz stockstill zogen sie mir Beyde mein leintuchnes und fast ganz neues Wams und Beinkleider aus, warfen mir einen alten Kittel über, und stiessen mich aus dem Gefängnisse.

Die Scham über meine jämmerliche Ausstaffirung minderte die Freude, die gemeiniglich Gefangene über ihre wiedererlangte Freyheit empfinden. Um mich den Augen des Pöbels zu entziehen, dessen Blicke ich kaum aushalten konnte, war ich Willens, die Stadt augenblicklich zu verlassen. Doch meine Erkenntlichkeit besiegte meine Scham. Ich bedankte mich bey dem kleinen Cantor, dessen so großer Schuldner ich war.

Er konnte sich bey meinem Anblicke des Lachens nicht enthalten. Ein artiger Aufzug! sagte er. Kaum hätt' ich Sie darunter erkannt. Die Gerechtigkeit, merk' ich, ist gar rechtschaffen mit Ihnen umgesprungen. Ueber die Gerechtigkeit beschwer' ich mich nicht, gab ich zur Antwort. Die ist sehr billig. Wenn 99 nur ihre Diener wackre Leute wären. Mein Kleid hätten sie mir wohl lassen können; mich däucht, ich hab' es nicht übel bezahlt. Zugegeben, antwortete er, allein man wird Ihnen sagen, daß dieß Formalitäten sind, die beobachtet werden müssen. Glauben Sie denn etwa, daß das Pferd seinen vorigen Besitzer wieder bekommen hat? Behüte, das steht jetzt im Stalle des Actuarius, der es als ein Beweisstück des Raubes in Deposito genommen hat. Nicht einmahl den Schwanzriemen, glaub' ich, wird der arme Edelmann zurückbekommen. Doch auf etwas anders! Was sind Sie Willens vorzunehmen? Wo gedenken Sie hin?

»Nach Burgos. Ich will die Dame aufsuchen, die ich gerettet habe. Sie wird mir wohl etliche Pistolen geben, dafür will ich mir einen neuen Reiserock kaufen, und nach Salamanka gehen, wo ich mein Latein werd' an Mann zu bringen suchen. Nur das Einzige macht mich verlegen, daß ich noch nicht in Burgos bin; und leben muß man doch unterweges. Sie wissen wohl, es setzt gar schmale Bissen, wenn man auf Reisen kein Geld hat.« Ich verstehe, erwiederte er. Meine Börse steht zu Diensten. Freylich hat sie ein wenig die Schwindsucht, doch ein Cantor ist, wie Sie wissen, kein Bischoff. Zugleich zog er den Geldbeutel heraus, und drückt' ihn mir auf so gute Art in die Hand, daß ich nicht umhin 100 konnte, ihn so anzunehmen, wie er war. Ich dankte ihm dafür, als hätt' er mir alle Schätze der Welt geschenkt, und erboth mich zu allen möglichen Gegendiensten, die ich aber nie ihm zu leisten Gelegenheit gehabt habe. Hierauf verließ ich ihn und die Stadt, ohne die Uebrigen zu besuchen, die zu meiner Loslassung beygetragen hatten. Ich begnügte mich, sie in meinem Innersten tausendmahl zu segnen.

Das Cantorlein hatte Ursache gehabt, mir von seinem Beutel nicht viel Rühmens zu machen; ich fand herzlich wenig darin, und noch dazu lauter kleine Münze. Zum Glück war ich seit zwey Monathen an ein sehr sparsames Leben gewöhnt, daher hatte ich noch einige Realen übrig, als ich in dem Flecken Ponte de Mula unfern Burgos eintraf. Dort macht' ich Halt, um mich nach der Donna Mencia zu erkundigen.

Ich kam in eine Schenke, deren Wirthinn ein rohrdünnes, lebhaftes und knurriges Weiblein war. An ihrer unfreundlichen Miene merkt' ich gleich, daß ihr mein Kittel gar nicht behagte, welches ich ihr herzlich gern verzieh. Ich setzte mich an einen Tisch, aß Brot und Käs' und that etliche Schlücke von dem elenden Krätzer, den man mir gebracht hatte. Während dieser Mahlzeit, die sich zu meiner Kleidung ziemlich reimte, wollt' ich mich mit der Wirthinn in eine Unterredung einlassen, sie gab mir aber 101 durch eine verächtliche Miene zu erkennen, daß sie einem solchen Lump nicht Rede stände.

Ich bath sie, mir zu sagen, ob sie den Marques de la Guardia kennte, ob sein Schloß nicht weit von hier läge, und ob sie nicht wüßte, wo seine Gemahlinn, die Marquese hingekommen sey. Er frägt auch nach dem Teufel und seiner Großmutter, antwortete sie mir mit sehr stolzer Miene. Gleichwohl berichtete sie mir, aber höchst unfreundlich, Don Ambrosio's Schloß läge nur eine kleine Meile von Ponte de Mula.

Nachdem ich abgegessen und getrunken hatte, gab ich, weil es bereits Nacht war, der Wirthinn zu verstehen, daß ich zu Bette gehen wollte, und verlangte eine Stube. Wie käm' Er denn und eine Stube zusammen? sagte die Wirthinn mit krauser Nase. Für Leute, deren ganze Abendmahlzeit aus einem Stückchen Käse besteht, hab' ich keine Stuben. Alle meine Betten sind versagt. Ich erwarte noch einige ansehnliche Cavaliers, die diese Nacht hier logiren wollen. Mit weiter kann ich dem jungen Herrn nicht dienen, als mit einer Schlafstelle auf der BanseBanse bey den Niedersachsen die Scheuer. – A. d. Uebers.. 'S wird, bild ich mir ein, nicht das erstemahl seyn, daß er auf Stroh liegt. Sie mochte nicht denken, daß sie die 102 Wahrheit so genau getroffen habe. Ich antwortete ihr nicht, sondern faßte den gescheidten Entschluß, mich auf den Heuboden zu machen, wo ich, der Strapatzen längst gewohnt, bald einschlief.

 


 << zurück weiter >>