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In einem besonderen Raum harren die Pagen der ihnen zukommenden Befehle. Eine ganze Schar sitzt auf den rings den Wänden entlang laufenden Bänken. Doch dieses Sitzen ist kaum ein Ruhen. Den Oberkörper vorgebeugt, die Rechte auf dem Knie, die Füße sprungbereit, so warten sie auf den Aufruf ihrer Nummer.
In der Mitte des Raumes, auf erhöhtem Posten, thront der Chef der Pagen, der »headbellboy«, das Haupt der Klingeljungen. Vor ihm steht eine Liste und eine Telefonanlage. Er drückt die Muscheln abwechselnd an seine Ohren, macht Zeichen auf der Liste und ruft Nummern.
»28, Empfang.«
»Jawohl, Herr.«
28 springt.
Er weiß, ein neuer Gast ist angekommen, er wird einen kleinen Koffer tragen, er wird zehn Cents bekommen, vielleicht, wenn er Glück hat, einen Vierteldollar, wenn er Pech hat, nichts. Dann wird er zurückrennen in die Zentrale und wird wieder auf seine Nummer warten. Er wird sich beeilen, denn er weiß, der Bleistift des Chefs berechnet genau die Zeit.
»35, 1228.«
35 springt.
»Jawohl, Herr.«
Die Pagen unterhalten sich auch sehr leise miteinander. Sie haben ihre besondere Technik, fast unhörbar zu sprechen, die Lippen kaum bewegend.
Die »Jungens« sind nun beileibe nicht alle jung, aber sie sind alle schmal, schlank und behend. Einer fällt auf: mit silberweißen Haaren und unwahrscheinlich blauen Augen. Es ist unmöglich, sein Alter zu erraten. Er sitzt in genau derselben Haltung, sprungbereit wie die anderen, nur flüstert er nicht mit ihnen.
Die Jungens aber erzählen und necken sich unhörbar.
»Gestern ruft mich einer – ich glaube es war im 15. Stockwerk –, er liegt angezogen auf dem Bett, das Gesicht blaurot, blinzelt mich an, fragt, ›der wievielte ist heute?‹ Ich sag's ihm. ›Und welcher Tag?‹ Dienstag. ›Weck mich am Donnerstag ‹ – und beginnt gleich zu schnarchen. Vergißt natürlich mein Trinkgeld.«
»12, Empfang.«
»Jawohl, Herr.«
Ein Hellblonder, mit zarter, mädchenhafter Haut, fast noch ein Kind, flüstert:
»Wenn einer das Trinkgeld vergißt, ist es noch nicht so schlimm, aber jetzt läßt mich immer einer rufen. Nummer 1625, ich hab Angst vor ihm. Er macht so komische Augen, und seine Hand, hu, ganz mit Haaren bewachsen, tastet immer nach mir. Jedesmal gibt er mir einen Dollar.«
»8, 925.«
»Jawohl, Herr.«
Der Hellblonde flüstert weiter.
»Ich bin so müde, ich schlafe zu Hause auf einem Sofa, das zu klein ist; ich kann mich nicht richtig ausstrecken.«
»40, Empfang.«
»Jawohl, Herr.«
»Mich ruft einer, der ist schon ganz blau am Vormittag, fragt mich: ›Junge, wo kann man hier Frauen bekommen?‹ Ein Provinzonkel.«
»Du hättest ihn fragen sollen: Wo kann man keine bekommen?«
»Ja, wenn du Geld hast. Ohne Pinke lassen sie dich sitzen. Warten nur auf einen, der ihnen mehr bietet.«
Salvatore ist heute in übler Stimmung. Wenn er an Shirley denkt, hat er einen bitteren Geschmack im Mund. Außerdem aber hat er diesen Vormittag schon sechzehn Gänge hinter sich und hat noch keinen Dollar verdient. Was sich die Leute nur denken, die Frauen mit den vielen Täschchen, die Männer mit ihren ausgefallenen Besorgungen, daß sie ihn einfach übersehen, wenn es ans Bezahlen geht. Seine Arme schmerzen schon, die »porter«, die das schwere Gepäck tragen, beklagen sich auch, daß man sie vergißt. Sein Kopf ist schwer, er mag nicht an Shirley denken, er könnte ja alles stehenlassen hier, aber –
»16, 825.«
Das »Jawohl, Herr« kommt nicht sofort zurück. 16 ist jener mit den schneeweißen Haaren und den unwahrscheinlich blauen Augen.
16 ist in Gedanken versunken. Er denkt daran, daß man hier nicht denken darf. Sie müssen alle immer in Bewegung sein, wie Flugzeuge, die nie in der Luft halten können, für die Stillstehen Absturz und Tod bedeutet.
»16, 825.«
Jetzt kommt erst zögernd die Antwort.
»Jawohl, Herr.«
»Schläfst du? Meinst du, du wirst bezahlt, um hier zu träumen?«
Der Chef der Pagen kann nicht lange schimpfen, die Telefone klingeln, immer ruft er neue Zahlen in den Raum; 16 ist schon längst fort.
Aber wieder geschieht etwas, um ihn aus der Ruhe zu bringen. 8 antwortet nicht.
»8, 1625.«
Kein »Jawohl«, nur das Kichern der Jungen.
8 ist der Hellblonde er schläft. Seine rechte Hand ruht auf dem Knie, der Körper ist vorgebeugt und vorschriftsmäßig sprungbereit, aber der Kopf ist auf die Brust gefallen. Er läßt sich nicht leicht wecken. Seine Nachbarn rütteln an ihm, aber er schläft. Alles kichert. Da schreckt er auf.
Das Lachen wird stärker.
Er weiß im ersten Augenblick nicht, wo er ist.
»He, Junge, wenn dir noch einmal was Ähnliches passiert, wirst du gefeuert. 8, 1625.«
»Verzeihung, wie war die Nummer?«
»Hör, mein Junge, jetzt ist's höchste Zeit, daß du wach wirst – eintausendsechshundertfünfundzwanzig.«
»Jawohl, Herr.«
»44, 1025.«
44 ist Salvatore und 1025 ist Herr Fish.
Herr Fish wandert in seinem Zimmer auf und ab. Er ist etwas nervös, er kann es nicht leugnen, dieser Mangel an Kaltblütigkeit ärgert ihn. Er sagt sich, daß die Hauptbedingung eines Sieges Nerven sind. Und sonst hat er sie doch; er will sie auch heute behalten, er will siegen, seinen Plan genau ausarbeiten.
Salvatore steht vor ihm und wartet.
Herrn Fishs Hand steckt in der Hosentasche und klimpert mit Münzen.
Salvatore sieht ihn an und denkt ganz scharf, denkt an nichts anderes: Keine Münze, verstehst du, keine Münze, Papier. Bald ist der Vormittag um und noch kein Dollar verdient. Keine Münze – Papier!
Herr Fish scheint Salvatores dringenden Wünschen nachzukommen – so meint wenigstens Salvatore, denn 1025 zieht ein Bündel Banknoten aus der Tasche.
Na also, denkt Salvatore befriedigt.
Aber die Banknote, die Herr Fish herauszieht, ist nicht für Salvatore, und seine Wünsche sind komplizierter Art.
»Höre, mein Junge, du gehst hier in den Blumenladen des Hotels, kaufst Blumen – verstanden? – und bringst sie einer Dame, die hier in demselben Stockwerk wohnt. Der Name ist Marjorie Strong, und hier hast du auch ihre Zimmernummer. Du sagst nicht, von wem die Blumen sind. Verstanden? Du weißt nichts. Man hat sie dir in der Halle übergeben. Aber es kommt nicht auf die Blumen an; deine Aufgabe ist, paß mal gut auf, herauszubekommen, wohin diese Dame heute mittag geht. Wie du das anstellst, ist deine Sache. Du siehst schlau aus, Junge, du wirst es schon schaffen. Dann kommst du sofort zurück und berichtest mir, verstanden?«
Salvatore denkt nur: du Schuft, und keine Banknote für mich.
Herr Fish scheint diesen Gedanken Salvatores zu erraten, denn er sagt: »Wenn du deine Sache gut machst, vergesse ich dich nicht. Los, Junge, spring.«
Unweit Herrn Fishs Tür trifft Salvatore Shirley. Sie blickt in die Luft und tut so, als sähe sie ihn nicht.
Salvatore hat keine Zeit, sich zu ärgern; er hat auch keine Zeit, lange Celestina anzuhören, die jetzt auch aufgetaucht ist, gleich nach Shirley. Sie hält einen Eimer, Bürsten und Scheuertücher in der Hand und muß aufpassen, ob nicht irgendwo Frau Magpag erscheint, und außerdem will sie auch Shirley nicht aus den Augen lassen, soweit es ihr möglich ist. Keine leichte Aufgabe.
Nun versucht sie, in Salvatore einen Verbündeten zu bekommen. Sie muß endlich wissen, was Shirley vorhat. Sie schmeichelt Salvatore, er sei ein so kluger Junge, er könne alles herausfinden, was er nur wolle.
Oho, er hätte gar nicht die Absicht, etwas über Shirley herauszufinden. Er wisse nur, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben, das genüge. Er laufe keinem Mädchen nach, das ihn von oben herab behandele und das scheinbar jetzt eine bessere Gesellschaft ihm vorziehe.
Aber das ist es ja, was auch Celestina erfahren möchte: wer eigentlich diese bessere Gesellschaft sei.
Weil Salvatore es eilig hat und weil Celestina ihn so bittend ansieht, verspricht er seine Beihilfe. Heute nachmittag ist er frei, er hat Abenddienst, vielleicht gelingt es ihm, einiges zu erfahren.
Aber auch Shirley hat ihre Pläne. Sie ahnt, was die Mutter mit Salvatore bespricht. Sie sucht sich gleichfalls eine Verbündete: Ingrid.
Diese ist eifrig bei der Arbeit, hat aber nichts gegen ein kleines Gespräch mit Shirley.
»Ingrid, weißt du, mir scheint, du gefällst Salvatore.«
»Nein, das ist nicht wahr, du willst mich nur ärgern.«
»Höre, Ingrid, du hast heute Abenddienst und bist nachmittags frei, genau wie Salvatore. Du kannst es ja so einrichten, daß ihr euch begegnet, und du wirst selbst herausfinden, ob ich recht habe.«