Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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VIII.

Meta packte ihre Koffer, um, wie alljährlich um diese Jahreszeit, nach Paris zu reisen und die Modelle für die kommende Wintersaison einzukaufen.

Diesmal war ihr die Gelegenheit, Berlin den Rücken kehren zu können, doppelt erwünscht. Sie fühlte sich elend und krank. Tiefe Ränder umschatteten die trüben Augen, aus denen die frühere Lustigkeit gewichen schien, und ihre Hände zitterten nervös, während sie ihre Toiletten sorgsam zusammenfaltete.

Moritz, der jetzt jeden Abend bei ihr zubrachte, sah ihr mitleidig und nachdenklich zu.

»Ich nehme diesmal Irma mit,« sagte sie in müdem Tone. »Das Mädchen hat einen guten Geschmack, ist willig und sympathisch, und ich fürchte mich vor dem Alleinsein. . . .«

»Sehr verständig,« pflichtete ihr Moritz bei. »Aber mir ist jetzt schon bange nach Ihnen . . . 99 Was werde ich hier ohne mein Sorgenkind anfangen? . . . Mein ganzer Lebenszweck besteht jetzt darin, Sie zu trösten und Ihnen beizustehn, und der wird mir nun durch Ihre Abwesenheit vereitelt. . . .«

»In vierzehn Tagen spätestens bin ich wieder daheim,« gab Meta freundlich zurück, . . . »aber glauben Sie es mir, ich sehne mich geradezu danach, andere Gesichter zu sehen und in ein anderes Milieu zu kommen. . . . Es ist so schwer,« setzte sie seufzend hinzu, »sich nach zehn Jahren urplötzlich in eine neue Situation finden zu müssen . . . Ich bin mit einem Schlag Witwe geworden und stehe ganz allein, hilflos und verlassen auf der Welt. . . .«

Mutig kämpfte sie die aufsteigende Rührung nieder, denn Irma trat herein und stellte einen Krug schäumenden Pilsener Bieres auf den Tisch.

»Danke schön, blonde Blüte der Konfektion,« sagte der Berg-Hirsch, »na, wie kommen Sie sich denn vor? . . . So eine Fahrt nach Paris, das ist fein, was? . . .«

Irma lächelte verbindlich.

»Ich glaube, ich werde mich da sehr wohl fühlen . . . Es war immer mein sehnlichster Wunsch, mang die Boulevards und die Pariser Eleganz zu kommen. . . .«

100 »Und Georg? . . .« unterbrach sie Moritz, »wie wird er die Trennung ertragen?«

»Georg? . . . .« erwiderte sie verächtlich, »zwischen uns ist alles aus. . . . Den überlasse ich seinem neuen Schwager. Mit die Familie will ich nischt mehr zu tun haben. . . .«

»Bravo, mein Kind« . . . versetzte Moritz.

»Ein treuer Knecht ist Irma,
Die hält zu ihrer Firma.« . . .

Als sie hinausgeschwebt war, füllte Meta den Becher mit dem kühlen Naß und überreichte ihn dem Freunde.

Dann setzte sie sich neben ihn und sagte schmeichelnd:

»Und jetzt, Moritz, erzählen Sie mir einmal die ganze Verlobungsgeschichte.«

Moritz tat einen tiefen Zug. Dann begann er:

»Gestern vormittag um 10 Uhr trat Max Susemaus pünktlich bei Professor Malthus an: Gehrock, Lackstiefel, Zylinder. Der Alte schloß ihn sofort gerührt in die Arme, da er ja bereits durch Lene und Tante Ida informiert war. . . . »Machen Sie meine Lene glücklich!« . . . rief er sodann im Tone eines Heldenvaters auf einer Wanderbühne in Meseritz, worauf sich der glückliche Bräutigam auf die Lippen biß, um nicht 101 in eine stürmische Heiterkeit auszubrechen, die in diesem Augenblick unangebracht gewesen wäre . . . Auf das Stichwort erschien Lene aus dem Nebenzimmer, und diskret verschwand sofort ihr Erzeuger. . . .

Nun standen sich die beiden gegenüber. . . .

Max strich in grenzenloser Verlegenheit mit dem Aermel seinen Zylinder glatt, ließ dabei die Handschuhe fallen und bückte sich, um sie aufzuheben. . . . Das war für Lenchen die willkommene Gelegenheit, geschickt einzuhaken. . . .

»Galt dieser Kniefall mir oder den Handschuhen, lieber Onkel Max?« . . . fragte sie scheinbar naiv, indem sie auf den »Onkel« besonderen Nachdruck legte. . . . Dieser Zwischenfall brachte den Aermsten von neuem außer Fassung, so daß nunmehr auch der Zylinder auf das Parkett rollte . . . Flink sprang sie hinzu, hob ihn auf und überreichte ihn dann Max mit den Worten: »Ich verstehe die feine Symbolik: Du legst mir statt des Herzens den Verstand zu Füßen. . . . Unsere Verlobung steht somit im Zeichen der »reinen Vernunft«, und in diesem Sinne nehme ich deinen ehrenvollen Antrag an. . . .«

Und ohne ein Wort der Erwiderung abzuwarten, eilte sie zur Türe und rief:

102 »Lieber Vater, ich habe mich soeben mit Onkel Max verlobt. . . .«

Meta lachte herzlich auf, und Moritz fügte lustig hinzu:

»So endete für Max und Lene
Die heitere Verlobungsszene.«

»Tante Ida,« fuhr Moritz fort, »wurde telephonisch von dem glücklichen Ereignis in Kenntnis gesetzt, und nächsten Sonntag findet in der Fischerstraße das Verlobungsdiner statt, zu dem ich als der beste Freund des Bräutigams ebenfalls geladen bin . . .«

»Und wie denkt Max – sonst? . . .« forschte Meta weiter. »Wie ist seine Stimmung? . . .«

»Seine Stimmung? . . .« erwiderte Moritz, – »weiter sehr fest für Kanada! . . . Noch hat er scheinbar sein Herz für den Gurkenhandel nicht entdeckt . . . Nachdem er von Tante Ida fünfzig Mille mehr erhalten hatte, als er zur Deckung der Differenzen brauchte, war seine erste Tat, sein Engagement in Kanada bei den jetzigen gedrückten Kursen um tausend Stück zu erhöhen . . . Er spricht Tag und Nacht nur von Kanada . . .«

»Und gar nicht mehr von mir?« . . . fragte Meta zaghaft.

103 »Abgesehen von seinen Spekulationen – nur von Ihnen,« erwiderte Moritz herzlich. »Wissen Sie, ich erkenne ihn gar nicht mehr wieder . . . Seine gute Laune ist weg, er ist schweigsam geworden, in sich gekehrt, mürrisch . . . An der Börse sogar, wo doch Keiner Zeit hat, sich um den andern zu kümmern, fällt die Veränderung in seinem Wesen auf . . . Aber wenn wir beide zusammen nach Hause gehen, dann muß ich ihm immerfort von Ihnen erzählen . . .«

Es klopfte an die Tür . . .

Irma trat ein und tuschelte Meta etwas ins Ohr.

»Gleich . . . gleich . . .«

Sie erhob sich.

»Entschuldigen Sie, lieber Freund . . . mein Vater! . . . Sehe ich Sie noch vor meiner Abreise? . . .«

»Aber selbstverständlich, ich komme auf den Bahnhof.«

Er küßte ihr die Hand und empfahl sich, um Herrn August Pietschke Platz zu machen . . .

Metas Vater befand sich in sichtlicher Aufregung . . . Der immer noch stattliche Mann mit dem grauen, struppigen Vollbart und den roten ausgearbeiteten Händen, aus dessen wettergebräuntem Antlitz unter den buschigen Brauen 104 etwas verschwommene Augen zwinkerten, trat mit wuchtigen Schritten ins Zimmer.

Er holte aus der abgegriffenen Brusttasche eine zerknitterte Zeitung hervor, warf das Blatt heftig auf den Tisch und schrie, ohne weiter seine Tochter zu begrüßen:

»Hast de heite jelesen im »Lokal-Anzeiger« unter de Familiennachrichten, dat sich der Herr Max Susemaus mit Freilein Lene Malthus verlobt hat? . . .«

Meta nickte.

»Du hast es natierlich wohl schon frieher gewußt?«

»Gewiß, Vater.«

»Aber mir hast de nischt davon gesagt . . . Ick bin ja man bloß der olle Mann vom Andreasplatz, den die eenzige Tochter, die ja ville klüger is als ihr Vater, nich erst zu fragen braucht . . . Du hast mir vor zehn Jahren ja ooch nich gefragt, wie du den feinen Kavalier kennenjelernt hast . . . Aber ick habe doch so'n jewisses Anrecht druff, zu wissen, wat vorjeht . . . Also polk' mir mal die Anjelejenheit auseinander.«

Meta nötigte den alten Vater mit aller Herzlichkeit, Platz zu nehmen. Dann bot sie ihm ein Glas Bier an und war schon sehr erfreut, 105 als er sich nicht abgeneigt zeigte, einen Schluck zu sich zu nehmen.

»Ja, lieber Vater,« sagte sie stockend, »es blieb mir nichts anderes übrig, als in die Trennung einzuwilligen . . . Mein Bräutigam hatte eine große Summe an der Börse zu zahlen, und seine reiche Tante hat ihm das Geld nur unter der Bedingung vorgestreckt, daß er Fräulein Lene Malthus heiratet . . .«

»So, so,« brummte Vater Pietschke, »wat hat denn die Tante det jekostet?«

»200 000 Mark,« seufzte Meta.

»Na . . . damit is der Junge reichlich bezahlt . . . dat is er unter Brüdern nich wert . . . und wat is denn nu mit det Eheversprechen?«

»Das habe ich ihm zurückgegeben,« versetzte Meta einfach.

»So einfach zurückjejeben . . . so for nischt und wieder nischt? . . . Ick habe immer jewußt, dat ick 'ne sehr noble Dochter habe . . . und nu läßt er dir einfach sitzen und heiratet 'ne andere, und du loofst nu als jewesenes Verhältnis in de Welt rum . . . det is dat Ende . . . Aber uff mir hast de ja nich jehört . . . Na, da wird mir wohl nischt übrig bleiben, als mit dem feinen Herrn nu die Auseinandersetzung zu haben, die ick schon vor zehn Jahren haben wollte, wo mir 106 dann sein Freund, der Herr Moritz, dazwischengekommen ist . . .«

Er machte mit dem rechten Arm eine Bewegung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.

»Tu mir die einzige Liebe, Vater, nur keinen Skandal und keine Gewalttätigkeiten! . . .«

Aber der Alte ließ sich von seiner vorgefaßten Idee nicht so leicht abbringen.

»Ick bin ja Jottseidank wejen Körperverletzung noch nich vorbestraft! . . . Und in Anbetracht von die mildernden Umstände werde ick als oller Mann wohl mit 'ne Jeldstrafe fortkommen . . . Dann weiß ick wenigstens, wozu ick mir meine paar Jroschen erspart habe . . . Diesmal macht Aujust Pietschke, wat Aujust Pietschke will! . . . Dadran is nu nich mehr zu tippen.«

Nun wurde Meta heftig.

»Wenn du das tust, Vater, dann sehe ich dich in meinem ganzen Leben nicht wieder, . . . das kann ich dir heute schon sagen! . . . Am Ende geht doch die ganze Sache nur mich an und keinen anderen! . . . Ich bin selbständig . . . Ich habe niemandem Rechenschaft abzulegen . . . Ich lebe von dem Geld, das ich ehrlich verdiene und kann mir daher mein Leben einrichten, wie ich will . . .«

107 Der alte Mann war über diesen Ausbruch seiner Tochter etwas verwundert . . . Diesen Ton hatte sie ihm gegenüber noch nie angeschlagen. und das machte ihn ein wenig verdutzt . . . Daher sagte er gelassener:

»Wie ick jung war und vor dreißig Jahren aus meinem Sonntagsrock de Flecken mit Benzin rausjemacht habe, da habe ick ooch noch nich jeahnt, daß de Leute mal mit det Zeug spazieren fahren würden, und daß det dat Ende von die Droschken sein würde . . . Und wie ick dir vor dreißig Jahren de Flasche jejeben habe, weil deine Mutter notwendig mit eenem Andern nach Amerika fahren mußte, da habe ick ebensowenig jeahnt, dat meine eenzige Dochter mir mal Schande machen würde . . . Na,« schloß er, indem er sein Glas Bier austrank, »denn nich! . . . Da werde ick von jetzt ab jeden Abend in de Stammkneipe een par Nordhäuser mehr drinken, und da wird's mit dem ollen Pietschke eben een paar Jahre frieher zu Ende jehn . . . Rausgeschmissen haste mir ja nu ooch – wat kann mir nu noch ville passieren? . . .«

Er erhob sich, um hinauszugehn.

Aber Meta eilte ihm nach.

»Nein, Vater, so nicht! . . . Ich habe ja auf der ganzen Welt nur dich, und grade in 108 diesen schweren Stunden darfst du mich nicht verlassen! . . . Ich habe dich doch immer von Herzen lieb gehabt, . .  das kannst du doch nicht in Abrede stellen? . . . Ich war immer bei dir, wenn du mich haben wolltest, und habe alles getan, um dir dein Leben so erträglich wie möglich zu machen . . . Ich kann doch am Ende nicht dafür, daß alles so gekommen ist . . .«

Sie fing an zu weinen und zu schluchzen.

Der Alte wurde ganz weich. Seine vergnügte und lustige Tochter Meta weinen sehen – das konnte er nicht vertragen.

»Na, denn wollen wir mal wieder vernünftig reden,« meinte er gutmütig und ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder.

»Sieh mal, Meta, ick bin doch een oller Mann . . . Ick hatte mir dazumal dat mit meen eenzigstes Kind janz anders jedacht . . . Ick habe dir jesehn als Jattin von eenem tüchtigen Handwerker mit ville Arbeet und noch mehr Kinder, . . . und ick hätte sogar zwee Kinderwagen mit rausjeschoben am Sonntag nach de Laubenkolonie. . . . Det hätte mir mehr Freude jemacht als hier der janze Jlanz . . .«

Er seufzte tief auf.

»Det is nu allens anders jekommen, und ick seh' ja selbst ein, daß du for eenen Handwerker 109 ville zu schade jewesen wärst . . . Aber«, fügte er mit Stolz hinzu, »daran bin ick – mehr schuld wie du – mit meenem Fummel von die feine Erziehung, die ick dir jejeben habe . . . Und nu werd' ick dir mal wat sagen . . . Du kannst noch immer 'ne feine Partie machen, und ick versprech' dir ooch, daß ick deinen Max nich vertobacken werde . . . aber es muß nu Schluß zwischen euch sein, und er darf dich nich nachsagen, daß er dir vor deine Liebe irgend wat bezahlt hat . . . Du mußt ihm allens zurückgeben, was du von ihm jekriegt hast, und dat werde ick ihm hintragen und vor de Füße schmeißen . . . Dat is das Eenzigste, wat ick janz bestimmt von dich verlange . . .«

Meta wußte genau, daß weitere Konzessionen von dem Alten nicht zu erlangen sein würden, und sie fügte sich in das Unvermeidliche.

»Abgemacht, Vater, aber du mußt mir versprechen, daß du nicht heftig werden wirst, und daß es zu keiner erregten Szene zwischen euch kommt.«

»Dat verspreche ick dir, meene Dochter, und nu jib mal her! . . . Die drei Ringe mit die roten und die blauen Steine und det joldene Armband mit die Rheinkiesel und die Brosche mit die Brüljanten und dann vor allem die joldene 110 Kette mit det Medaillon, wo dem Kerl sein Bild drinne is . . .«

Meta ging an ihren Toilettentisch und holte aus einer Kassette die verlangten Schmuckgegenstände.

Dann tat sie, als ob sie etwas suchte, was sie nicht finden konnte . . .

»Ich weiß nicht«, stammelte sie, »wo das Medaillon mit der Kette geblieben ist . . . Das habe ich wohl in der ersten Wut fortgeworfen und weiß nicht, wohin . . .«

Sie wußte es aber ganz genau, denn sie trug es unter dem feinen Spitzenhemdchen auf ihrer weißen Brust, und nicht für eine Million hätte sie es hergegeben . . .

»Na«, meinte der Alte, »dat war ja ooch jrade dat Wenigste, dadruff kommt et ja jarnich an . . .«

Er packte die Juwelen sorgsam ein und ließ sie in seine Tasche gleiten.

»Wann reist du denn, Meta?«

»Heute Abend, Vater.«

»Na, denn jlückliche Reise! . . . Schreib' ooch mal 'ne Ansichtskarte, und wenn du wiederkommst, dann laß mir dat jleich wissen, damit ick dir von de Bahn abholen kann . . . Na, . . . 111 und jräme dir man nich zu doll um den faulen Jungen, . . . der is keene Träne von meine Meta wert . . .«

Dann trat er auf sie zu und drückte ihr einen Kuß auf die Wange . . . Und der knallte, wie die Peitsche, die er jahrelang auf dem Bock seiner Droschke geschwungen . . . 112

 


 


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