Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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VI.

Der Makkabäer war am nächsten Morgen doch recht niedergeschlagen, als ihm Moritz das notarielle Eheversprechen, das er Fräulein Meta einst gegeben, mit den Worten überreichte:

»Hier sendet Meta dir zurück
Das Recht auf eignes Eheglück,
Und wirft's dir vor die Füße hin
Als stolze Makkabäerin.«

Dann schilderte er ihm mit knappen Worten den Verlauf seiner Unterredung, und neben dem Gefühl der keimenden Reue empfand Max eine unverhohlene Bewunderung für die vornehme Gesinnung, die seine Meta in dieser heiklen Situation an den Tag gelegt hatte.

Er seufzte tief auf, und echte Zerknirschung und Trauer sprachen aus seinem wehmütigen Blick . . .

Moritz redete ihm nicht tröstend zu. Er war gewiß keine schadenfrohe Natur, aber er gönnte dem verwöhnten Liebling des Glücks 74 eine empfindliche Züchtigung für seinen sträflichen Wankelmut.

»Nun, verehrter Freund,« sagte er endlich, »jetzt brauchst du deiner lieben Tante Ida die Kapitulationsbedingungen nur noch schriftlich zu bestätigen . . . . und das Geschäft ist in Ordnung . . . Aber beeile dich, denn es ist bereits halb zwölf, und wir müssen zur Börse . . . . Heute darfst du nicht zu spät kommen, sonst könnten leicht Börsengerüchte über deine Zahlungsunfähigkeit entstehen, die deinen Kredit unnötig schädigen würden . . .«

Der Rohrpostbrief an Fräulein Susemaus war schnell aufgesetzt.

Der Makkabäer erklärte sich darin mit allem einverstanden und bat um die Erlaubnis, seine Tante am nächsten Morgen zu dem besprochenen Gang nach der Deutschen Bank abholen zu dürfen . . .

Zwei Stunden später saß Tante Ida verdrießlich an ihrem Pult.

Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten vernachlässigte sie heute die geschäftliche Korrespondenz und durchlas dafür wohl schon zum zehnten Male die beiden Briefe von Max und Meta.

Sie war eine viel zu grundgescheite und grundgütige Frau, um nicht zu verstehen, welch 75 großes Opfer Meta ihrem Freunde gebracht hatte, und sie fühlte sich selbst durch den Ton der Epistel nicht im geringsten beleidigt oder gekränkt.

»Tapferes kleines Herz . . .« murmelte sie vor sich hin, und der Vergleich zwischen den beiden Briefschreibern, den sie im Geiste anstellte, fiel in diesem Augenblick nicht gerade zugunsten des lieben Neffen aus . . .

Verstimmt setzte sie sich zum Mittagessen nieder, das, wie immer, Schlag 2 Uhr aufgetragen wurde. Doch sie berührte die Speisen kaum, worüber die alte Fränze, die nun schon seit fast einem Menschenalter in ihren Diensten stand, ihren Unmut nicht unterdrücken konnte.

Aber die alte Dame fertigte sie kurz und unwirsch ab.

»Laß mich zufrieden, Fränze, ich bin heute nicht bei Appetit . . . Sieh' nur zu, daß der Kaffee Punkt vier Uhr auf dem Tisch steht und hole zwei Windbeutel . . .« Bei dem Worte »Windbeutel« fiel ihr unwillkürlich wieder ihr Neffe ein . . . »Und sobald Lene kommt, hole mich gleich aus dem Bureau.« –

Mit dem Glockenschlag war Fräulein Helene Malthus zur Stelle.

76 »Nanu? . . . . . Heute so feierlich im Salon? . . .« fragte sie lachend die alte Fränze, als sie, von dem Gang in der Sonnenglut etwas gerötet, von der Dienerin respektvoll in das gute Zimmer geleitet wurde . . .

»Ja«, erwiderte Fränze, »das haben das gnädige Fräulein selber so befohlen.« – Und schnell verschwand sie, um ihre Gebieterin von der Ankunft des Gastes zu benachrichtigen.

Lene Malthus war ein zierliches, feines Persönchen, mit einem prachtvollen Blondkopf, dessen blaue Augen unter den langen Wimpern schelmisch und fröhlich lächelten und strahlten.

Ihr Vater, der Herr Professor, war aus Mainz gebürtig, und die rheinische Lebensfreudigkeit schien auch ihr in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Wo sie sich sehen ließ, verbreitete sie Wohlbehagen und heitere Stimmung. Auf der Straße, in der Elektrischen, in der Hochbahn – wo immer Lenchen auftauchte, geschah es, daß selbst die ernsthaftesten Leute bei der Betrachtung des anmutigen Mädchenantlitzes freundlich lächelten und für einen Augenblick ihre Sorgen vergaßen . . .

Sie hatte das glückliche Talent, das Leben leicht zu nehmen und ihrer Umgebung leicht zu machen, und gerade das letztere war in ihrem 77 Vaterhause keine leichte Aufgabe. Denn der Herr Professor war durch seine fortgesetzten Mißerfolge unmutig, verärgert und ungerecht geworden. Er hielt sich für den verkannten großen Künstler, schimpfte auf die glücklicheren Kollegen und schüttete ganze Kübel von Bosheit über die Mitwelt aus. Sein Sohn Georg machte ihm auch wenig Freude, und die beiden gerieten oft hart aneinander. Da hatte denn Lenchen alle Hände voll zu tun, um die Gegensätze immer wieder auszugleichen und wenigstens eine äußerliche Versöhnung herbeizuführen.

Aber ihr löbliches Wirken ging noch weiter. Sie wußte, so weit es anging, die Sorgen um die materielle Existenz von ihrem Vater fernzuhalten, und da war Tante Ida ihre treue Alliierte, zu der sie flüchtete, wenn zu Hause alles drunter und drüber ging, und sie sich selbst keinen Rat mehr wußte. So war es denn mit der Zeit gekommen, daß Lenchen in Tante Ida eine zweite Mutter sah, und mit der ganzen Zärtlichkeit ihrer warmherzigen Natur an der alten Dame hing.

Als Tante Ida mit einem »Guten Tag, mein liebes Lenchen . . .« das Zimmer betrat, eilte Fräulein Malthus auf sie zu und drückte einen Kuß auf die Hand der alten Dame.

78 Tante Ida streichelte die erhitzten Wangen der Kleinen.

»Aber . . . du glühst ja . . . du bist wohl gar den weiten Weg zu Fuß gegangen?« –

Lene nickte.

»Immer sparen, Tantchen, das habe ich von dir gelernt . . .«

»Trink' ein Täßchen Kaffee, mein Liebling, das löscht den Durst, und setz' dich mir gegenüber . . . so . . . daß ich dir in die Augen sehen kann . . . Ich habe dir nämlich 'was zu sagen, 'was ganz Heimliches.«

»Mir? . . . Und noch dazu im Salon? . . . Was hast du denn mit mir vor? . . . Mir wird ja ganz angst und bange.«

»Vor mir brauchst du keine Furcht zu haben,« beruhigte Tante Ida ihren Gast, »du weißt ja, ich will nur dein Bestes . . . Aber erst iß und trink' . . .«

Lene rührte mit dem Löffel in der Tasse herum und beide schwiegen . . . Das junge Fräulein faßte sich zuerst ein Herz.

»Tantchen, die Neugier ist doch größer als der Durst . . . Was hast du mir zu sagen?«

Tante Ida zögerte ein wenig. Sie wußte nicht recht, wie beginnen . . . Endlich faßte sie den Entschluß, nicht viel Umschweife zu machen.

79 »Also, Lenchen, hör' mich mal an! . . . . Wenn man in mein Alter kommt, und es Gott sei Dank zu etwas gebracht hat, dann hat man nur noch den einen Wunsch, die paar Leutchen, die man im Leben gern gehabt hat, nach menschlichem Ermessen auch dann noch glücklich zu wissen, wenn man da draußen unter dem grünen Hügel ruht . . .«

»Aber, Tantchen«, versetzte Lene erschrocken, »was für schwarze Gedanken? . . . Fühlst du dich etwa krank?«

»Durchaus nicht,« entgegnete Fräulein Ida abwehrend, »im Gegenteil, ich fühle mich körperlich so rüstig, daß ich gern noch ein paar fröhliche Jährchen mit euch allen verleben möchte – und zu dem Glück kannst du mir verhelfen, mein Lenchen.«

In liebevoller Aufwallung stand Fräulein Malthus auf, ging zu Tante Ida und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf den Mund.

»Wenn ich dir dazu verhelfen kann, dann weißt du, daß es nichts auf der Welt gibt, das ich nicht gern für dich tun würde.«

Tante Ida stockte . . . Diesem vertrauensseligen Geschöpf gegenüber wurde es ihr doppelt schwer, die Wahrheit zu sagen . . . Aber es mußte ja sein . . .«

80 »Du mußt heiraten, Lenchen! . . .« platzte sie endlich heraus.

»Ach wie gern! . . .« Lene klatschte in die Hände. »Aber«, fuhr sie etwas trister fort, »der, den ich mag, der hat nichts, und einen anderen kenne ich nicht.«

In den Augen der Tante Ida leuchtete es freudig auf . . . Sie hatte einen Anknüpfungspunkt gefunden, und so fuhr sie denn fort:

»Den Anderen, den kennst du auch, mein Liebling . . . Ein prächtiger Mensch, nicht mehr ganz jung, aber sehr nett und sehr vermögend.«

»Tantchen, machst du jetzt Scherz mit mir oder redest du ernsthaft? . . .«

»Ganz ernsthaft, mein Kind, und ich will dir auch gar keine Rätsel aufgeben . . . Es handelt sich um meinen Neffen Max Susemaus . . .« und dabei betonte sie den Familiennamen besonders stark, um dadurch ihren Worten einen größeren Nachdruck zu verleihen . . .

Lene, die gerade einen Schluck Kaffee zu sich genommen hatte, brach in ein so herzliches Lachen aus, daß sie sich verschluckte und erst eine Weile husten mußte, bis sie wieder zu sprechen fähig war.

»Max? . . .« fragte sie immer noch lachend. »Aber Tantchen! . . . Erstens ist Max, soviel 81 ich gehört habe, anderweitig gebunden . . .«

Tante drohte mit dem Finger.

»Wer hat dir denn das erzählt? . . . Das ist doch gar nichts für junge Mädchen . . .«

Lene erwiderte einfach:

»Natürlich Georg, wer denn sonst? . . . . Glaubst du, der geniert sich vor mir? . . . . Der erzählt noch ganz andere Sachen . . .«

»In meiner Jugend durften vor jungen Mädchen solche Dinge nicht erörtert werden,« brummte Tante Ida, »aber ich werde diese moderne Zeit nicht ändern . . . . Wenn du's weißt, na – dann gut . . . Da kann ich dir aber verraten, was dir Georg vielleicht noch nicht gesagt hat, daß diese Beziehungen gelöst sind, und daß Max durch mich um deine Hand wirbt . . .«

Da Lene keine Antwort gab, sondern entgeistert zur Decke sah, so benutzte Fräulein Susemaus die Gelegenheit, um schnell hinzuzufügen:

»Du mußt vernünftig sein, Lene, mit Max geht es so nicht weiter und mit euch erst recht nicht . . . Ihr kommt nicht aus den Verlegenheiten heraus, und ich will auch nicht, daß mein Geschäft nach meinem Tode in andere Hände übergeht . . . Zusammen könntet ihr ein frohes, 82 sorgenfreies Leben führen, und damit ist deinem Vater, dir und uns allen geholfen . . .«

Lene sah ein, daß es Fräulein Ida Susemaus bitter ernst war, und da war es ihr urplötzlich, als ob ihr jemand einen Dolch ins Herz stieße . . . Aber sie kämpfte mutig die Tränen nieder, die in ihre Augen drangen und hauchte ganz verschüchtert:

»Du weißt doch, Tantchen, daß ich Sieghard liebe . . .«

Tante Ida nickte.

»Ich weiß, daß du Sieghard liebst, und daß er dich wieder liebt . . . . Ich weiß aber auch, daß ihr euch nicht heiraten könnt, weil er nichts ist und du nichts hast . . . Eine Dreizimmereinrichtung für 600 Mark ist eine solidere Basis für eine glückliche Ehe als eine gegenseitige Leidenschaft ohne Pfennig . . . . Vernunft, mein Kind, muß sprechen, wenn zwei Leute zum Standesamt gehen wollen und nichts anderes . . . Und du mußt doppelt vernünftig sein – für dich und für deinen Vater! . . .«

Lenchen war erschrocken. Aber selbst in dieser Minute kam der Schalk wieder zum Vorschein, und sie lächelte.

»Tante, du bist und bleibst eben die ›praktische Berlinerin‹. Weißt du, wie mir das alles 83 vorkommt? Wie eine Heiratsannonce: »Suche für meinen Neffen, Anfang der 40er, stattliche Erscheinung, gut konserviert, mit glänzend gehendem Geschäft, eine treue Lebensgefährtin von angenehmem Aeußeren. Vermögen nicht beansprucht. Zuschriften gefälligst an Fräulein Ida Susemaus, Fischerstraße.«

Tante Ida wurde ärgerlich.

»Du verkennst, mein liebes Kind, den Ernst der Situation . . . Ich habe mir alles reiflich überlegt und weiß, daß mein Entschluß zu euer aller Besten ausgehen wird.«

Aber Lenchen ließ sich nicht beirren und fragte ein wenig mokant:

»Darf ich dich wenigstens fragen, seit wann dein Neffe sein Herz für mich entdeckt hat? . . . Seine Werbung kommt mir etwas überraschend, da ich nach seinem Benehmen in den letzten Monaten auf diese Kundgebung seiner erwachenden Zuneigung wirklich nicht gefaßt war . . .«

Jetzt war Tante Ida verlegen.

»Na ja,« meinte sie gedehnt, »er hat es vielleicht selbst nicht so empfunden, und ich habe ihn erst darauf bringen müssen . . . Aber daß er eine aufrichtige Verehrung für dich hat, das steht ganz außer Frage . . .«

Lene blieb unerbittlich.

84 »Hat er dir zuerst von dieser »aufrichtigen Verehrung« gesprochen, oder sind etwa Umstände in seinem Leben eingetreten, die dich veranlaßt haben, ihm diese »aufrichtige Verehrung« einzureden?«

Fräulein Susemaus fühlte sich in die Enge getrieben.

Sie merkte wohl selbst, daß sie nicht mehr Herrin der Situation war, und da tat sie das Ungeeignetste, was sie tun konnte: sie verriet sich.

»Max«, stammelte sie unsicher, »hat sich mir in einer geschäftlichen Angelegenheit anvertraut, und bei dieser Gelegenheit . . .«

Lene triumphierte.

»Sprich dich doch deutlicher aus, Tantchen, du mußt doch nicht vergessen, daß mein Bruder Georg auch an der Börse ist und mir von den Verlusten von Max schon längst erzählt hat . . . So was bleibt in der Burgstraße ja nicht geheim . . . Jetzt können wir doch auch viel klarer miteinander sprechen . . . Max hat dich angepumpt, und du hast ihm das Darlehen unter der Bedingung zugesagt, daß ich seine Frau werde . . . Das hättest du mir doch wirklich gleich sagen können . . .«

85 Hilfesuchend blickte Tante Ida im Zimmer umher, aber nirgends nahte sich ein rettender Souffleur, um ihr etwas Kluges vorzuflüstern . . . Sie raffte sich also endlich zu der kurzen Entgegnung auf:

»Na ja, Lenchen, wenn du es also weißt – so ist es . . .«

Lene trat ans Fenster und trommelte mit den zarten Fingerchen gegen die Scheiben. Sie ließ sich auch in dieser Beschäftigung nicht stören, als Tante Ida durch mehrfaches Räuspern ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken suchte.

Endlich fragte Fräulein Susemaus gemütlich:

»Lenchen, trinkst du vielleicht noch eine Tasse Kaffee . . .«

»Danke sehr«, erwiderte Lenchen, aber sie wandte sich doch um und setzte sich wieder an den Tisch.

Nach einer kleinen Weile sagte sie launig:

»Eigentlich müßte ich sehr stolz auf deinen Vorschlag sein . . . Niemals hätte ich meine Person für wichtig genug gehalten, um in dem Drama Susemausscher Hauspolitik und des Berliner Gurkenhandels eine führende Rolle zu spielen . . . ›Kabale und Liebe‹ in der 86 Fischerstraße . . . Luise: Fräulein Lene Malthus als Gast . . .«

»Du bist doch eine merkwürdige Person,« bemerkte Tante Ida verwundert, »ich wünschte, ich könnte das Leben auch so leicht nehmen wie du . . .«

Lene sah mit ihren großen Augen das alte Fräulein liebevoll und zärtlich an.

»Ich nehme es ja gar nicht so leicht . . . Aber du kennst doch am besten die Situation zu Hause . . . Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt . . . So mit achtzehn habe ich schon alles durchschaut . . . Da hatte ich nun die Wahl: Entweder weinen oder lachen . . . Findest du es nun gar so dumm, daß ich mich für das letztere entschieden habe . . .?«

Das kam so treuherzig heraus, daß Tante Ida nichts Besseres wußte, als den kleinen Blondkopf zu streicheln.

»Eigentlich hast du ganz recht, mein Töchterchen . . ., danke deinem Schöpfer, daß er dir dieses Talent gegeben hat . . . Aber nun antworte mir einmal vernünftig auf meinen Vorschlag.«

»Nimm es mir nicht übel, liebes Tantchen«, erwiderte Lene, »daß ich mich zu deiner Theorie von der Vernunft noch nicht ganz 87 durchgerungen habe . . ., das kommt gewiß später, wenn ich alte Jungfer oder – Frau Susemaus geworden bin . . . Und nun zur Sache! . . . Sieghard liebt mich, und ich liebe ihn . . . Max hat mich sehr gern als . . . angenommene Nichte . . . Du hast für meine Familie soviel Gutes getan, daß ich dir danken werde . . . bis an mein Lebensende . . . Damit ist meine Antwort gegeben. Wenn es dein Wunsch ist, so heirate ich eben Max Susemaus . . .«

»Du tust ja gerade so«, warf Tante Ida ein, die jetzt wieder Oberwasser bekam, »als ob ich von dir das unerhörteste Opfer verlangte . . .«

»Ich habe das Wort ›Opfer‹ nicht in den Mund genommen«, entgegnete Lenchen, »aber ich kann doch jetzt nicht aufspringen, frohlocken, jubeln und in die Welt hinausschreien, daß es für mich das größte Vergnügen ist, Frau Max Susemaus zu werden . . . Aber wenn du das verlangst, so mache ich es eben auch . . .«

Und damit sprang sie auf, hüpfte im Zimmer umher und rief: »Hurra! . . . Ich werde Frau Max Susemaus . . .«

Dann aber endigte plötzlich das Lachen mit einer schrillen Dissonanz. Die lange zurückgedrängten Tränen brachen gewaltsam hervor, so daß der guten Tante Ida ganz bange zumute 88 wurde, und sie nicht wußte, was sie beginnen sollte . . .

Aber auch dieser Anfall ging vorüber.

Fünf Minuten später war Lenchen wieder ganz ruhig, und ein Zug von Energie, der ihr allerliebst zu Gesichte stand, machte sich in ihren Zügen bemerkbar . . . Freundlich gab sie der alten Dame die Hand.

»Sei nicht böse, Tantchen, aber ich konnte nicht anders . . .«

Fräulein Susemaus glaubte, daß das Ende der Krisis eine günstige Wendung herbeigeführt habe. Sie plauderte also ganz ungeniert weiter:

»Jetzt haben wir Ende August, so um Weihnachten herum könnt ihr heiraten . . . Und dann macht ihr eine schöne Reise nach Italien oder noch weiter nach Algier, und da werdet ihr euch gegenseitig kennen und schätzen lernen, und du wirst mal sehen, es wird alles gut – so gut, wie es eben die alte Tante Ida mit euch allen meint.«

Lenchen schüttelte den Kopf.

»Eine kleine Bitte, Tante Ida, die einzige . . . Ich will's versuchen . . . aber rücke den Termin der Hochzeit bis zum Mai hinaus . . . Ich muß mich doch erst an den Gedanken gewöhnen . . . Ich muß« – hier zitterte ihre 89 Stimme ein klein wenig – »doch auch erst entsagen lernen . . . Es wäre nicht gut für Max, es wäre auch nicht gut für mich . . . Seine Erinnerungen müssen etwas verblassen – die meinigen auch . . . Nicht wahr, Tantchen, das gewährst du mir . . .?«

»Na, wenn du durchaus willst«, versetzte Tante Ida, die sich jetzt wie eine großmütige Siegerin vorkam, »so habe ich nichts dagegen.«

Lenchen sah nach der Uhr.

»Schon halb sieben! . . . Da ist es die höchste Zeit, daß ich nach Hause komme, um das Abendbrot für Vater zu richten . . . Er wird sich wegen meines Ausbleibens schon ängstigen.«

Der Abschied war kühl und traurig, und Tante Ida verzichtete hinterher gänzlich auf das Abendbrot, worüber Fränze ganz verzweifelt war, denn das war in den letzten dreißig Jahren nicht ein einziges Mal vorgekommen. 90

 


 


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