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Nach einem Aufenthalt in Kairo von nur wenigen Tagen gab mir mein Chef, General Clayton, den Auftrag, zu Faisal nach Arabien zurückzukehren. Das paßte mir wenig, und ich machte geltend, daß ich mich für diese Aufgabe durchaus ungeeignet fühlte. Ich erklärte, daß mir jede Art von Verantwortung zuwider wäre – zweifellos bedingte das Amt eines gewissenhaften Ratgebers ein hohes Maß von Verantwortung – und daß mich von jeher Dinge mehr interessiert hätten als Menschen und Ideen mehr noch als Dinge. Daher würde mir die Verpflichtung, mich bei Menschen durchzusetzen und sie auf bestimmte Zwecke hin zu beeinflussen, doppelt schwer fallen. Ich wäre nichts weniger als Soldat, verabscheute alles Soldatische, und außerdem hätte ja der Sirdar bereits telegraphisch in London aktive Offiziere angefordert, die die nötigen Fachkenntnisse zur Leitung des arabischen Feldzuges besäßen.
Clayton wendete ein, daß bis zu deren Ankunft Monate vergehen würden, inzwischen aber müßte Faisal fest an uns gebunden und sein Bedarf schnellstens nach Ägypten gemeldet werden. So blieb mir nichts übrig, als zu gehen.
Ich reiste also nach Janbo, jetzt der speziellen Operationsbasis von Faisals Armee. Als ich mich eben landeinwärts zu Faisal aufmachen wollte, kam die Nachricht von einer Schlappe der Türken. Eine ihrer Erkundungsabteilungen, aus Kavallerie und Kamelreitern bestehend, hatte sich zu weit in die Berge vorgewagt und war von den Arabern abgefangen und auseinandergesprengt worden. So brach ich also unter einem guten Vorzeichen auf, zusammen mit meinem Reisegespons, Scherif Abd el Kerim. Er war begleitet von zwei bis vier seiner Leute, alle gut beritten; und unsere Reise ging rasch vonstatten, denn Abd el Kerim, ein berühmter Reiter, setzte seinen Ehrgeiz darein, die Etappen in einem Drittel der üblichen Zeit zurückzulegen. Da ich nicht mein eigenes Kamel ritt und das Wetter kühl, bewölkt und regenverheißend war, hatte ich nichts dagegen.
Wir ritten drei Stunden ununterbrochen in scharfem Trab. Der hatte unsere vollen Wänste so gründlich durchgerüttelt, daß wir wieder etwas hineinstopfen konnten. Also hielten wir an und labten uns an Brot und Kaffee, während Abd el Kerim sich auf seinem Teppich in einer Art Hundekampf mit einem seiner Leute umherwälzte. Als er außer Atem war, setzte er sich auf, und nun erzählten sie sich Geschichten und trieben Possen, bis sie genügend verschnauft hatten, um aufzustehen und zu tanzen. Das geschah alles auf eine ungezwungene, gutgelaunte Art und keineswegs würdevoll.
Dann, nach erneutem Aufbruch, brachte uns eine einstündige tolle Hetzjagd an den Fuß einer mächtigen Bergkette. Um sie zu überqueren, ritten wir ein enges, gewundenes Tal hinan. Da es vor einigen Tagen Wasser geführt hatte, war der sandige Boden fest; doch der steile Anstieg zwang die schnaufenden Kamele, im Schritt zu gehen. Mir war das willkommen, aber Abd el Kerim war wütend; und als wir nach einer knappen Stunde die Höhe erreichten, riß er sein Tier wieder vorwärts, und nun ging's eine halbe Stunde in halsbrecherischer Jagd durch die Finsternis den Berg hinab (zum Glück war der mit Sand und Kieseln bedeckte Boden gut gangbar). Dann ebnete sich das Land, und wir gelangten zu den Außenplantagen von Nakhl Mubarak, den Hauptdattelkulturen der südlichen Djuheina.
Als wir näher kamen, sahen wir Flammenschein zwischen den Palmen hindurch und dann das Licht zahlloser Feuer, während das weite Tal widerhallte vom Brüllen tausender aufgeregter Kamele, von krachenden Schüssen und dem Rufen von Leuten, die in der Dunkelheit nach ihren verlorenen Kameraden suchten. Da wir in Janbo erfahren hatten, daß Nakhl geräumt war, so schien uns dieser Lärm verdächtig. Wir schlichen uns also am Rand einer der Anpflanzungen entlang und durch eine enge, von mannshohen Lehmmauern umsäumte Straße bis zu einer abseitigen Häusergruppe. Beim ersten dieser Häuser zur Linken drückte Abd el Kerim das Hoftor ein, führte die Kamele in den Hof und fesselte die niedergegangenen Tiere nahe der Wand, damit sie nicht gesehen wurden. Dann lud er eine Patrone in seine Flinte, und vorsichtig auf Zehenspitzen stahl er sich die Straße hinunter, um festzustellen, was los war. Wir blieben wartend sitzen in der kühlen Nacht, während unsere vom Schweiß des scharfen Rittes durchfeuchteten Kleider allmählich trockneten.
Nach einer halben Stunde kam er zurück und berichtete, daß Faisal mit seinem Kamelreiterkorps soeben eingetroffen sei und wir zu ihm hinabkommen sollten. So führten wir die Kamele heraus, saßen auf und ritten hintereinander eine schmale, dammartige Gasse hinab, von einzelnen Häusern besetzt und rechts begrenzt von einem tiefgelegenen Palmenhain. Dem Ende zu war sie vollgepfropft von einem Gewimmel von Arabern und Kamelen, das Ganze ein wüstes, brüllendes und schreiendes Durcheinander. Wir drängten uns hindurch, stiegen einen Hang hinab und sahen uns plötzlich im Flußbett des Wadi Janbo, einem weiten offenen Tal, dessen Ausdehnung man nur aus den zahllosen Wachtfeuern erraten konnte, die in wirren Linien weithin aufleuchteten. Auch war der Boden feucht und das Geröll mit Schlamm überzogen, Rückständen einer kurzen Überschwemmung zwei Tage zuvor. Unsere Kamele bewegten sich vorsichtig und unsicher auf dem schlüpfrigen Grund.
Doch waren wir jetzt nicht in der Lage, dies oder sonst etwas zu bemerken, außer den Massen von Faisals Armee, die das Tal von Uferrand zu Uferrand erfüllten. An Hunderten von kleinen Feuern aus Dornreisig und mitten zwischen dem Durcheinander der Kamele lagerten Araber, machten sich Kaffee, aßen oder schliefen gleich Toten, in ihre Mäntel gehüllt. Eine derartig große Anhäufung von Kamelen verursachte eine unbeschreibliche Wirrnis; über das ganze weite Biwakfeld lagen sie, auf die Knie gegangen, wo sie gerade standen, oder durch Fesseln niedergehalten; immer neue strömten hinzu, und die Gefesselten, auf drei Beinen sich aufrichtend, strebten brüllend vor Hunger und Aufregung zu ihnen hin. Patrouillen zogen ab, Karawanen wurden entladen, und im Mittelpunkt der Szene jagten Dutzende von ägyptischen Mauleseln wild bockend umher.
Wir ackerten uns mühsam unsern Weg durch das Getöse hindurch, und gerade in der Mitte des Talbettes, auf einem Eiland der Ruhe, fanden wir Scherif Faisal. Wir stiegen ab und banden unsere Kamele in der Nähe fest. Faisal saß auf seinem über die nackten Steine gebreiteten Teppich, zu beiden Seiten Scherif Scharraf, Kaimakam von Imaret und Taif, und sein Adjutant Maulud, der feurige alte Patriot aus Mesopotamien. Vor ihm kniete ein Sekretär, einen Befehl niederschreibend, während hinter ihm ein zweiter laut eine Meldung vorlas beim Schein einer silbernen, von einem Sklaven gehaltenen Lampe. Die Nacht war windstill, und die offene Flamme stand kerzengerade in der schweren Luft.
Faisal, ruhig wie immer, bewillkommnete mich mit einem Lächeln, während er das Diktat beendete. Dann entschuldigte er sich wegen des formlosen Empfangs und winkte seinen Sklaven, uns allein zu lassen. Als sie sich eben samt allen Umstehenden zurückgezogen hatten, stürmte ein scheu gewordenes Kamel bockend und trompetend auf den Platz vor uns. Maulud sprang auf und ergriff das Kopfhalfter des Tieres, um es wegzuziehen; statt dessen zerrte ihn das Kamel mit fort, dabei lösten sich die Seile der Futterlast auf seinem Rücken, und eine Lawine von Heu überschüttete den schweigsamen Scherif, seine Lampe und mich. »Gott sei gelobt«, sagte Faisal würdevoll, »daß es keine Butter war oder etwa Geldsäcke.« Dann erzählte er mir, was sich Unerwartetes an der Kampffront in den letzten vierundzwanzig Stunden ereignet hatte.
Die Türken hatten die Vortruppen der arabischen Sperrstellung im Wadi Safra mittels eines Seitenpfades in den Bergen umgangen und ihnen dadurch den Rückzug abgeschnitten. Die von einer Panik ergriffenen Harb hatten sich in die Schluchten zu beiden Seiten verkrümelt und sich in Gruppen zu zweit oder zu dritt durch die Türken hindurchgeschlichen. Die türkische Reiterei strömte das nunmehr ungedeckte Tal hinab und stieß über den Dhifran-Paß gegen Bir Said vor, wo Emir Zeid, der jüngere Halbbruder Faisals, mit einer Abteilung der Harb stand. Zeid wurde von dem türkischen Angriff überrascht und geworfen. Seine Truppe zerstob in lose Haufen, die in wilder Flucht durch die Nacht auf Janbo jagten.
Damit lag für die Türken der Weg nach Janbo frei, und Faisal hatte sich, gerade eine Stunde vor unserer Ankunft, mit seinen fünftausend Mann hierher geworfen, um zunächst seine rückwärtige Verbindung zu decken, bis man geeignete Verteidigungsmaßnahmen getroffen hätte. Die Lage war ernst; jedoch Faisals Anwesenheit hier konnte möglicherweise den Feind heranlocken, und bei dem Versuch, Faisal und seine Armee abzufangen, verlor er mehrere Tage, während deren wir Zeit hatten, Janbo zu verstärken. Inzwischen tat Faisal in heiterer Ruhe sein möglichstes, und ich saß bei ihm und hörte zu, wie Meldungen kamen oder Gesuche, Klagen und Beschwerden vorgebracht wurden, die er summarisch erledigte.
Das dauerte so bis gegen halb vier Uhr morgens. Es war sehr kalt geworden, und die Feuchtigkeit des Tales drang durch den Teppich hindurch in unsere Kleider. Allmählich wurde es still im Lager, da Menschen und Tiere nach und nach ermüdet in Schlaf fielen; ein weißlicher Nebel lagerte sich weich darüber, und die Feuer wurden zu trägen Rauchsäulen.
Endlich hatte Faisal die dringendste Arbeit beendet. Wir aßen ein halb Dutzend Datteln, eine magere Stärkung, und streckten uns auf dem feuchten Teppich aus. Als ich noch fröstelnd dalag, bemerkte ich, wie sich die Biascha-Posten heranschlichen und ihre Mäntel sanft über Faisal breiteten, nachdem sie sich vergewissert hatten, daß er schlief.
Eine halbe Stunde später, in der feuchtkalten Dämmerung (zu kühl, um sich noch länger schlafend zu stellen), erhoben wir uns mit steifen Gliedern. Die Sklaven zündeten ein erwärmendes Feuer aus Palmstrünken an, während Scharraf und ich uns nach ein wenig Atzung und Brennmaterial umsahen. Von allen Seiten trafen Boten ein mit schlimmen Meldungen über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff, und im Lager drohte eine Panik. Faisal entschloß sich daher zu einem Stellungswechsel, teils, weil wir durch einen zufälligen Regenguß in den Bergen aus unserer jetzigen Stellung herausgeschwemmt werden konnten, teils, um die Gemüter seiner Leute zu beschäftigen.
Als die Trommeln zum erstenmal wirbelten, wurden die Kamele in Eile beladen. Auf ein zweites Signal stieg jeder in den Sattel und wich nach rechts oder links aus, um eine breite Gasse freizumachen. Durch diese ritt Faisal auf seiner Stute, einen Schritt hinter ihm Scharraf, und gleich danach kam Ali aus Nedjd, der Bannerträger, eine prachtvolle Erscheinung, dessen Falkenantlitz umrahmt war von jettschwarzen, seitlich der Schläfen herabfallenden Haarflechten. Ali war prächtig gekleidet und ritt ein besonders stattliches Kamel. Dahinter folgte der ganze Schwarm von Scherifs und Scheikhs und Sklaven – und meine Wenigkeit – bunt durcheinander. Die Leibwache zählte an diesem Morgen achthundert Mann.
Die nächsten zwei Tage verbrachte ich in Faisals Gesellschaft und bekam dadurch tieferen Einblick in die Art seiner Führung, und zwar gerade während dieses interessanten Zeitabschnittes, wo infolge der ständigen Alarmmeldungen und des Abfalls der nördlichen Harb der Geist seiner Armee schwer litt. Faisal wußte den Mut seiner Leute hauptsächlich dadurch wieder zu heben, daß er jedem in seine Nähe Kommenden etwas von seiner eigenen Zuversicht einflößte. Für alle war er zugänglich, die vor seinem Zelt standen und auf Beachtung warteten; nie, daß er Bitten oder Gesuche kurz abwies, selbst dann nicht, wenn ein ganzer Schwarm von Leuten kam, um rund um uns her in der Dunkelheit ihre Klagen in vielstrophigem Gesang im Chor vorzutragen. Stets hörte er aufmerksam zu; und wenn er nicht selbst entschied, rief er Scharraf oder Faiz herbei, um die Sache für ihn zu erledigen. Diese unendliche Geduld war eine weitere Lehre für mich, was Führerschaft über Eingeborene in Arabien bedeutet.
Gleich groß war aber auch seine Selbstbeherrschung. Als Mirzuk el Tikheimi, sein Haushofmeister sozusagen, von Zeid gesandt, ankam, um von ihrer schmachvollen Schlappe Bericht zu geben, lachte ihn Faisal vor allen Leuten einfach aus und hieß ihn beiseitetreten und warten, während er die Scheikhs der Harb und der Ageyl empfing, deren Nachlässigkeit hauptsächlich das Unheil verschuldet hatte. Diese behandelte er mit feinem Spott und zog sie auf mit diesem und jenem, was sie getan, und den Verlusten, die sie erlitten oder verursacht hatten. Dann rief er Mirzuk zurück und ließ die Zeltflagge niederholen: ein Zeichen, daß jetzt Privatangelegenheiten zur Verhandlung standen. Ich dachte an die Bedeutung des Namens Faisal (das im Niedersausen blitzende Schwert) und fürchtete eine Szene. Doch er machte auf seinem Teppich Platz für Mirzuk und sagte: »Komm. Erzähle uns noch mehr von euren ›Nächten‹ und wunderbaren Heldentaten. Erheitere uns.«
Faisal hatte eine klangreiche, melodische Stimme und wußte damit geschickt auf seine Leute zu wirken. Er sprach mit ihnen im Dialekt der Stämme, aber auf eine sonderbar zögernde Art, wie wenn er, innerlich nach dem rechten Wort suchend, nach jedem Satz mühsam tasten müsse. Der Gedanke mochte bei ihm vielleicht nur um ein Geringes dem Wort vorausgehen, denn der schließlich gewählte Ausdruck war stets von größter Einfachheit, was ihm etwas Aufrichtiges und zugleich Packendes gab. Fast schien es, so dünn war der Schleier der Worte, als könnte man seinen geraden und hochgemuten Sinn hindurchleuchten sehen.
Der Tageslauf unseres Lagerlebens war einfach. Unmittelbar vor Anbruch des Morgens pflegte der Armee-Imam einen aufschreckenden Gebetsruf loszulassen. Seine Stimme war rauh und so gebieterisch, daß wir uns aufgescheucht erhoben, sei es zum Beten oder Fluchen. Sobald er geendet hatte, begann der Imam Faisals vor dem Zelteingang sanft und melodisch zu rufen. Eine Minute danach kam einer von Faisals fünf Sklaven und reichte uns gesüßten Kaffee. Zucker für die erste Tasse hielt man in Rücksicht auf die Kühle des Morgens für angemessen.
Eine Stunde später wurde die Klappe zu Faisals Schlafzelt zurückgeschlagen: seine Einladung zum Eintritt für die nächste Umgebung. Meist waren vier oder fünf anwesend, und nach dem Austausch der Morgenneuigkeiten wurde eine Platte mit Frühstück hereingetragen. Der Hauptsache nach bestand es aus Datteln; aber bisweilen schickte uns Hedjris, der Leibsklave, irgendwelche seltsamen Kuchen oder Backwerk eigenster Erfindung. Nach dem Frühstück pflegten wir uns abwechselnd mit bitterem Kaffee oder süßem Tee zu erfrischen, während Faisal seine Korrespondenz erledigte und den Sekretären diktierte. Einer von diesen war Faiz, der Verwegene; ein weiterer der Imam, ein ernst aussehender Mann, berühmt in der ganzen Armee durch seinen bauschigen Regenschirm, der stets an seinem Sattelknopf hing. Gelegentlich wurde jetzt auch eine Privataudienz erteilt, doch nur selten, da das Schlafzelt des Scherifs ausschließlich seinem persönlichen Gebrauch vorbehalten blieb. Dieses, ein gewöhnliches Spitzzelt, war ausgestattet mit Zigaretten, einem Feldbett, einer leidlich guten kurdischen Wolldecke, einem schäbigen Schirazi und einem prachtvollen alten Belutsch-Gebetsteppich, auf dem er zum Beten niederkniete.
Gegen acht Uhr morgens pflegte Faisal seinen Galadolch umzugürten und nach dem Empfangszelt hinüberzugehen. Hier setzte er sich in den Hintergrund des Zeltes, dem Eingang gegenüber, während wir uns längs der Wände im Halbkreis um ihn gruppierten. Die Sklaven beschlossen den Zug und stellten sich rings um die offene Seite des Zeltes auf, um die Masse der Bittsteller zu überwachen, die im Schatten des Zelteingangs oder weiter entfernt im Sande lagen und warteten, bis die Reihe an sie kam. Wenn irgend möglich, wurde die Arbeit bis Mittag erledigt, da der Emir sich um diese Zeit zu erheben liebte.
Wir von der Umgebung sowie einige Gäste versammelten uns dann im Wohnzelt, und Hedjris und Salem trugen die Platte mit dem Mittagessen herein, das aus so vielen Gerichten bestand, als die Gelegenheit jeweils erlaubte. Faisal war ein außergewöhnlich starker Raucher, aber schwacher Esser; und er pflegte zum Schein mit den Fingern oder einem Löffel in Bohnen, Linsen, Spinat, Reis und süßen Kuchen herumzustochern, bis er glaubte, daß wir satt waren, worauf nach einem Wink seiner Hand die Platte fortgetragen wurde und andere Sklaven erschienen, um am Zelteingang Wasser über unsere Finger zu gießen. Fette Leute, wie Mohammed ibn Schefia, gerieten in drollige Nöte bei den raschen und kärglichen Mahlzeiten des Emirs, und später, wenn sie allein waren, pflegten sie das Versäumte aus ihren eigenen Vorräten nachzuholen. Nach dem Essen schwatzten wir ein wenig, schlürften zwei Tassen Kaffee und genossen zwei Gläser eines sirupartigen Tees. Danach blieb bis zwei Uhr nachmittags der Vorhang des Zeltes herabgelassen, was bedeutete, daß Faisal schlief, las oder Privatgeschäfte erledigte. Nachher saß er wieder in dem Empfangszelt, bis er alle, die etwas von ihm wollten, abgefertigt hatte. Niemals sah ich einen Araber sein Zelt unbefriedigt oder gekränkt verlassen – ein Zeugnis für seinen Takt und sein Gedächtnis; denn nie schien er zu zögern, weil ihm eine Tatsache entfallen war, oder über eine verwandtschaftliche Beziehung zu stolpern.
Wenn nach der zweiten Audienz noch Zeit war, pflegte er mit seinen Freunden spazierenzugehen. Zwischen sechs und sieben Uhr wurde das Abendessen gebracht, zu dem alle im Hauptquartier Anwesenden von den Sklaven gebeten wurden. Es entsprach ungefähr dem Mittagsmahl.
Mit dieser Mahlzeit endete der Tag, außer daß ein barfüßiger Sklave unauffällig und in verlängerten Zwischenräumen ein Brett mit Tee herumreichte. Faisal pflegte erst sehr spät zu schlafen und verriet niemals den Wunsch, unsern Besuch abzukürzen. Den Abend widmete er der Erholung und vermied vermeidbare Arbeit. Nur selten spielte er auch einmal Schach, dann aber glänzend und mit dem unbekümmerten Draufgängertum eines Fechters. Bisweilen gab er, vielleicht mir zu Ehren, etwas von seinen Erlebnissen in Syrien zum besten, hie und da auch ein Kapitel aus der türkischen Geheimgeschichte oder Familienaffären. Ich lernte viel aus seinem Munde über Personen und Parteien im Hedjas.
Eines Tages überraschte mich Faisal mit der Frage, ob ich nicht während meines Aufenthaltes im Lager arabische Kleidung tragen wollte so wie er. Ich würde es selbst angenehm finden, denn da ich wohl oder übel hier als Araber leben müßte, wäre diese Kleidung am geeignetsten. Außerdem würden dann die Stämme wissen, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten hätten. Die einzigen in Khaki Gekleideten, mit denen sie zu tun gehabt hätten, wären türkische Offiziere gewesen, gegen die sie eine instinktive Abwehrstellung eingenommen hätten. Trüge ich aber Mekka-Kleidung, so würden sie sich zu mir stellen, als wäre ich wirklich einer der Führer; und ich könnte in Faisals Zelt ein und aus gehen, ohne Aufsehen zu erregen, und ohne daß er Neuankommende jedesmal wieder darüber zu beruhigen brauchte.
Ich stimmte sofort hocherfreut zu. Auch Hedjris war entzückt und schwelgte förmlich darin, mich mit prächtigen weißseidenen und golddurchwirkten Hochzeitsgewändern auszustatten, die Faisal vor kurzem (war es ein Wink?) von seiner Großtante in Mekka erhalten hatte. In dieser mir neuen lockeren Kleidung machte ich einen Gang rings um die Palmgärten, um mich an das Gefühl zu gewöhnen.
Wie die Dinge standen, konnte die Stellung Faisals bei Nakhl Mubarak nur eine vorübergehende sein; und ich hielt es für besser, wenn ich nach Janbo ginge, um die Land- und Seeverteidigung dieses Hafens zu organisieren, da sich unsere Flotte zur jederzeitigen Mitwirkung bereit erklärt hatte. Es wurde abgemacht, daß ich mich mit Zeid in Verbindung setzen sollte, um alles Nötige mit ihm gemeinsam zu veranlassen. Faisal stellte mir für die Rückreise ein prachtvolles dunkelbraunes Kamel zur Verfügung. Wir nahmen einen anderen Weg, den Wadi Messarih durch die Agida-Berge, da die direkte Straße durch türkische Patrouillen bedroht war. Bedr ibn Schefia begleitete mich. Wir legten die Strecke bequem in einem Ritt von sechs Stunden zurück und erreichten Janbo vor Morgengrauen. Ermüdet von drei anstrengenden Tagen mit wenig Schlaf und fortwährenden Alarmierungen, ging ich sofort zu dem leerstehenden Hause Garlands (er selbst wohnte an Bord eines Schiffes im Hafen) und schlief auf einer Bank ein. Bald darauf aber wurde ich wieder geweckt durch die Nachricht, daß Scherif Zeid ankomme, und ich ging hinunter, um mir den Einzug der geschlagenen Truppen anzusehen.
Es mochten an die achthundert Mann sein; sie waren still, aber sonst in keiner Weise von ihrer Schmach bedrückt. Zeid trug eine noble Gleichgültigkeit zur Schau. Als er die Stadt betrat, wandte er sich an den neben ihm reitenden Stadtgouverneur, Abd el Kadir, und rief: »Was sehe ich! Eure Stadt ist ja ganz verfallen! Ich werde bei meinem Vater telegraphisch vierzig Maurer bestellen, um die öffentlichen Gebäude auszubessern.« Das tat er denn auch wirklich. Ich hatte an Kapitän Boyle (als den ältesten der englischen Marineoffiziere im Roten Meer) telegraphiert, daß Janbo ernstlich bedroht wäre, und Boyle hatte umgehend geantwortet, seine Flotte werde binnen kurzem in Janbo sein. Diese Bereitwilligkeit war ein Trost zur rechten Zeit, denn am nächsten Tage kamen schlimme Nachrichten. Die Türken waren mit einer starken Abteilung von Bir Said gegen Nakhl Mubarak vorgestoßen und hier mit Faisals Streitkräften in dem Augenblick zusammengestoßen, als diese noch in Bewegung waren. Nach kurzem Kampf brach Faisal ab, räumte das Feld und zog sich auf Janbo zurück. Der letzte Akt unseres Krieges schien begonnen zu haben. Ich nahm meine Kamera und machte von der Brustwehr des Medina-Tors aus eine schöne Aufnahme der beiden einziehenden Brüder. Faisal hatte annähernd zweitausend Mann bei sich, aber es fehlten die Stämme der Djuheina. Das sah nach Verrat und sogar Abfall aus, eine Möglichkeit, an die weder Faisal noch ich überhaupt gedacht hatten.
Ich besuchte ihn gleich darauf in seinem Hause, und er erzählte mir, was vorgefallen war. Die Türken hatten mit drei Bataillonen, einer Abteilung auf Mauleseln berittener Infanterie und Kamelreiterei angegriffen. Mit dem ersten Vorstoß gelangten sie über den Wadi Janbo hinweg bis in die Palmenkulturen und bedrohten so die rückwärtige Verbindung der Araber nach Janbo. Gleichzeitig konnten sie Nakhl Mubarak mit ihren sieben Geschützen ungehindert unter Feuer nehmen. Faisal ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen, sondern schickte die Djuheina auf seinen linken Flügel vor, um sich den Türken in dem breiten Tal entgegenzuwerfen. Mit seinem Zentrum und rechten Flügel hielt er Nakhl Mubarak und entsandte die ägyptische Artillerie, um die Straße nach Janbo den Türken zu sperren. Dann eröffnete er mit seinen beiden Fünfzehnpfündern das Feuer.
Rasim, ein Syrier und früherer Batteriechef in der türkischen Armee, kommandierte die beiden Geschütze und erzielte mit ihnen eine großartige moralische Wirkung. Sie waren eine Gabe aus Ägypten, auf jeden Fall unbrauchbarer Plunder, aber noch gut genug, meinte man, für die wilden Araber. So hatte Rasim keine Visiere, keine Entfernungsmesser, keine Schußtabellen und kein Brisanzpulver.
Die Entfernung mochte etwa viertausend Yard betragen, aber die Zünder an den Schrapnells – Antiquitäten aus dem Burenkrieg – waren voller Grünspan, und wenn sie überhaupt krepierten, dann entweder gleich nach dem Abschuß oder erst im Aufschlag. Da er jedoch sowieso keine Möglichkeit hatte, die Munition fortzuschaffen, wenn's schief ging, ließ Rasim herausfeuern, was das Zeug hielt, und wollte sich schieflachen über diese Art, Krieg zu führen. Als die Stämme den Kommandanten so vergnügt sahen, faßten sie Mut. »Bei Allah«, rief einer, »das sind richtige Kanonen, die krachen!« Rasim schwor, daß die Türken reihenweise fielen, und auf sein Wort hin gingen die Araber beherzt zum Angriff vor.
Die Sache stand gut, und Faisal hoffte schon auf einen entscheidenden Erfolg, als plötzlich der linke Flügel im Tal stutzte, anhielt, gleich darauf kehrtmachte und sich in Unordnung zum Lagerplatz zurückzog. Faisal galoppierte zu Rasim im Zentrum und rief ihm zu, die Djuheina wären davongelaufen und er sollte die Geschütze in Sicherheit bringen. Rasim ließ aufprotzen und trabte davon; Faisals Scharen strömten hinterdrein. Er selbst bildete mit seinem Gefolge die Nachhut, und in geordnetem Zuge rückten sie auf Janbo ab, die Djuheina unter ihrem Führer, Scherif Abd el Kerim, meinem einstigen Begleiter, samt den Türken auf dem Schlachtfeld zurücklassend.
Während wir noch über den schlimmen Ausgang sprachen und dem Verräterpaar, den beiden Brüdern Beidawi, fluchten, erhob sich Lärm draußen vor der Tür; gleich darauf drängte sich Abd el Kerim durch die Sklaven, trat zum Hochsitz, küßte zur Begrüßung die Kopfschnur Faisals und setzte sich neben uns. Faisal sah ihn mit sprachlosem Staunen an und sagte: »Wie denn?« und Abd el Kerim berichtete von ihrer Bestürzung über die plötzliche Flucht Faisals, und wie er und sein Bruder mit ihren tapferen Leuten die ganze Nacht hindurch ohne Artillerie gegen die Türken gekämpft hätten, bis die Palmenhaine nicht mehr zu halten waren und sie ebenfalls zurück mußten. Sein Bruder rücke soeben mit der Hälfte der Mannschaft in die Stadt ein. Die andern hätten sich den Wadi Janbo aufwärts verkrümelt, um Wasser zu suchen.
»Und warum habt ihr euch mitten während der Schlacht nach dem Lagerplatz hinter uns zurückgezogen?« fragte Faisal. »Nur um uns eine Tasse Kaffee zu kochen«, sagte Abd el Kerim. »Wir hatten seit Sonnenaufgang gekämpft und es war Abend, wir waren sehr ermüdet und hatten Durst.« Faisal und ich lehnten uns zurück und lachten. Dann machten wir uns auf, um zu sehen, was zur Verteidigung der Stadt geschehen konnte.
Janbo lag auf einem abgeflachten Korallenriff etwa zwanzig Fuß über dem Meeresspiegel und war auf zwei Seiten von Wasser umgeben. Vor den beiden anderen Seiten erstreckten sich weite Sandflächen, stellenweise feucht, doch auf Meilen hin ohne jede Bodenbedeckung, und nirgendwo gab es Trinkwasser. Bei Tage war der Platz, mit Artillerie und Maschinengewehren verteidigt, allem Ermessen nach uneinnehmbar.
Auch bekamen wir die nötige artilleristische Verstärkung von See; denn Kapitän Boyle, wie immer mehr haltend als er versprochen, hatte in weniger als vierundzwanzig Stunden fünf Schiffe in Janbo konzentriert. Den Monitor M 31, seines geringen Tiefganges wegen dazu geeignet, legte er in die innerste südöstliche Bucht des Hafens, von wo aus seine Sechszöller die vermutliche Anmarschrichtung der Türken bestreichen konnten. Crocker, der Kapitän von M 31, brannte schon darauf, diese bissigen Geschütze spielen zu lassen. Die größeren Schiffe wurden so verteilt, daß sie mit erheblicher Schußweite über die Stadt hinwegfeuern oder vom nördlichen Hafen aus die andere Flanke des Feindes bestreichen konnten. Die Scheinwerfer von »Dufferin« und M 31 kreuzten über die Ebene jenseits der Stadt.
Die Araber, begeistert über die Menge der Schiffe im Hafen, waren bereit, auch ihr Teil zur nächtlichen Verteidigung der Stadt beizutragen. Sie gaben uns die Versicherung, daß keine Panik mehr ausbrechen würde; doch bedurften sie zur völligen Beruhigung irgendeines Verteidigungswalls mittelalterlicher Art. So errichteten wir dicht vor dem zerbröckelten und durch das ausgewaschene Salz durchlöcherten Stadtwall einen zweiten Damm, packten Erde dazwischen und verstärkten diese vorsintflutlichen Bastionen, bis sie wenigstens gegen Gewehrfeuer und möglicherweise auch gegen die türkischen Gebirgsgeschütze schußsicher waren.
Außerhalb der Brustwehr zwischen den unmittelbar vor der Stadt liegenden Zisternen ließen wir Stacheldraht ziehen. An geeigneten Stellen der Verschanzung wurden Maschinengewehre eingebaut und mit ausgebildeten Schützen aus Faisals Truppe besetzt. Die Ägypter, gleich allen anderen, denen ein Platz im Verteidigungswerk angewiesen wurde, waren glücklich wie Kinder. Garland, ein Offizier der Festungsartillerie, den uns der Sirdar zur Verfügung gestellt hatte, wurde technischer Leiter der Verteidigung und erster Berater.
Nach Sonnenuntergang durchzitterte die Stadt verhaltene Erregung. Tagsüber hatten sich die an der Verschanzung Arbeitenden durch Geschrei, Freudenschüsse und wilde Begeisterungsausbrüche ermuntert; nun, beim Dunkelwerden, gingen sie in die Häuser, um zu essen, und Schweigen senkte sich über die Stadt. Kaum einer schlief in dieser Nacht. Gegen elf Uhr gab es Alarm. Unsere Außenpatrouillen waren nur drei Meilen von Janbo auf den Feind gestoßen. Garland ging, begleitet von einem Rufer, durch die wenigen Straßen und alarmierte die Garnison. Alles eilte aus den Häusern heraus und begab sich in tiefstem Schweigen an die zugewiesenen Plätze, ohne daß man einen Ruf oder Schuß hörte. Die Matrosen oben auf den Minaretts gaben Warnungssignale an die Schiffe; diese begannen, mit ihren vereinigten Scheinwerfern Stück für Stück des Vorfeldes abzuleuchten und tasteten mit strahlenden Lichtkegeln in alle Niederungen und Mulden, die ein feindlicher Angriff durchqueren mußte. Jedoch nichts rührte sich, und vergeblich warteten wir auf das Erscheinen des Gegners, um das Feuer zu eröffnen.
Später erfuhren wir, daß den Türken der Mut gesunken war, angesichts der schweigsamen Stadt und der Fülle der erleuchteten Schiffe im Hafen, während die unheimlichen Strahlen der Scheinwerfer ihnen die völlige Deckungslosigkeit des weiten Vorfeldes enthüllten, das sie beim Angriff hätten durchschreiten müssen. Also machten sie kehrt; und in dieser Nacht, glaube ich, haben sie ihren Krieg verloren. Ich selbst war auf der Suva, um unbehindert zu sein, und habe nachher endlich einmal wieder prächtig geschlafen, so daß ich allen Grund hatte, dem Feind für seine Mutlosigkeit dankbar zu sein; denn für diese acht Stunden ungestörter Nachtruhe hätte ich gern noch viel mehr drangegeben als selbst einen glorreichen Sieg, den wir vielleicht erfochten hätten.