Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die zehnte Dithyrambe

                    Es steht der Dichter hoch im Preise,
Wenn er sich gleich ins Mittel legt,
Wenn er in seiner Art und Weise
Die Frauenseele tief bewegt,
Wenn er wie Schiller rote Rosen
Vom ersten besten Strauche bricht
Und sie mit minniglichem Kosen
Den Damen um die Schläfen flicht.
Denn solche Sitte pflegt ein jeder,
Der nur im Dichten lebt und leibt
Und durch Apoll mit Geist und Feder
In Lyrik macht und Oden schreibt,
Der oft mit königlichem Walten
Beschwor die Geister in der Flut
Und stets in seinem Arm gehalten
Ein Weib, das gern in Liebe tut.
Nur solcher kann ein Weib ergründen,
Sei's aus dem Dorf, sei's aus der Stadt,
Weil meistens er noch keine Sünden,
Auch nichts auf seinem Kerbholz hat.
Die Frau, er weiß sie wohl zu nehmen,
Bald hier bald dort, bald dort bald hier,
Und gierte sie nach Diademen –
Du lieber Gott! er schenkt sie ihr.
Er weiß, was hinterm engen Törchen
Ihr Herzchen puppert, pocht und lacht,
Wenn ihr beim niedlichen Enkörchen
Der Gatte »Killekille« macht.
Das Kleinste bleibt ihm nicht verborgen;
Stets ankert er im sichern Port,
Und selbst die schlimmsten Hausstandssorgen
Fängt er ihr wie die Fliegen fort.
Er weiß zu modeln, weiß zu schlichten;
Nicht das geringste wird versäumt,
Selbst die verwickeltsten Geschichten
Sind baldigst von ihm aufgeräumt.
Gewiß, der Fall lag hier verfänglich,
Erforderte den besten Mann;
Drum etwas zögernd, etwas bänglich
Trat an die Lösung er heran.
Und doch – er mußte durch zum Ziele,
Obgleich's fast unerreichbar war;
Denn alles stand hier auf dem Spiele:
Die Martinsgans war in Gefahr.
Drum nicht gesäumt und nicht gezattelt!
Wer wagt, kommt auch in Abrah'ms Schoß!
Schon stand das Flügelroß gesattelt;
Er schwang sich drauf und legte los.
Erst sah er sich umher im Kreise,
Wie Dichter es gewöhnlich tun,
Und dann vertat er seine Weise
Wie Perlen aus gefüllten Truh'n.
Fern allem Staub und Zimmerkalke,
Fern dem Profanen, das er mied,
Ein stolzer, königlicher Falke,
Gen Himmel ruderte sein Lied:

    »Hie will ich nun sinnen und minnen,
    Und geben des Köstlichen viel;
    Will silberne Fäden spinnen
    Mit tönendem Saitenspiel.
    Will jubeln und singen und sagen,
    Will glücklich den Frauen mich nahn,
    Will meine Harfe schlagen,
    Wie einst in verklungenen Tagen
    Die Troubadoure getan.
        Schweig stille, mein Herze!

    Ich preise vor allem die Frauen
    Am heimischen Moselstrom.
    Sind Blumen auf mailichen Auen,
    Sind Lichter am Himmelsdom.
    Sind Düfte und seltene Narden,
    Sind selige Wonnen bei Nacht
    Und haben von Trier bis Karden
    Schon manchen begeisterten Barden
    In Irrsinn und Elend gebracht.
        Schweig stille, mein Herze!

    O ihr Frauen, ihr Moselfrauen,
    Von Gott uns zur Freude gesellt,
    Ihr holt uns den Himmel, den blauen,
    Schon jetzt auf die irdische Welt.
    Denn was ihr im neidischen Mieder
    Verheimlicht mit keuschem Gefühl,
    Das wiegende »Auf und Nieder«
    Ist immer und immer wieder
    Der Liebe hochheiligstes Pfühl.
        Schweig stille, mein Herze!

    Gleichviel ob im raschelnden Röckchen
    Daheim ihr den Haushalt verseht,
    Ob ganz ohne Höschen und Söckchen
    Dickwadig zum Wingert ihr geht,
    Ihr ähnelt den plaudernden Wellen,
    Verborgen im Brombeergesträuch . . .
    Wie die Hirsche nach plätschernden Quellen,
    So schreien die Junggesellen,
    So schreien die Männer nach euch.
        Schweig stille, mein Herze!

    Doch eure – sie gleichen den Spatzen
    Am staubigen Straßenrain,
    Wenn jählings die Habichte platzen
    In den Spatzensonntag hinein.
    Dahin ihr Vergnügtsein und Bechern,
    Ihr Segel hängt traurig und schlaff . . .
    O macht doch den trüblichen Schächern
    Mit Girren und Kirren und Fächern
    Ihr Segel erneut wieder straff!
        Schweig stille, mein Herze!

    So kommt denn zum fröhlichen Reigen,
    Zum traulichen Stelldichein
    Und beut uns mit Nicken und Neigen
    In Züchten den perlenden Wein!
    Begeistert vom Safte der Reben,
    Gemeinsam im duftigen Kranz,
    Von lieblichen Frauen umgeben,
    Am Herzen der spendenden Heben
    Schmeckt schöner die Martinsgans.
        Schweig stille, mein Herze!

Was nun geschah . . . Nicht lichtumwoben
Bin ich zum Lorbeerzweig geeilt.
Ich will mich selber hier nicht loben;
Doch folgendes sei mitgeteilt.
Arion nicht, der Vielummimte,
Von Gott einst nach Korinth gesandt
Und dort mit Wieprecht, wie sich's ziemte,
Auf Freundschaft und auf Prosit stand,
Der Sänger nicht vom heil'gen Grabe,
Nicht Sophokles, der edle Greis,
Nicht Rudolf aus dem Wuppertale,
Der doch gewiß zu singen weiß,
Selbst Goethe nicht bei seinem Streben,
Nicht Voß bei seinen Reimerei'n,
Sie hatten je in ihrem Leben
Solch unerhörtes Dichterschwein.
Denn das, was kurz zuvor dem Feste
Was Kakophonisches verliehn,
Das rauschte jetzt durch alle Gäste
In vollerblühten Euphonien.
Dahin die quälenden Gedanken,
Der Gott der Freude kam zurück;
Der Schleier fiel, die Flore sanken,
Und freundlich lächelte das Glück.
Und sie, die Frau, die gute, zarte,
Sie lag versöhnt, in Leid und Lust,
Dem Richter mit der Keilerschwarte
An der gestärkten Männerbrust.
Frau Wieprecht wies die Männerhöschen
Jetzt von sich ab und schob sich warm
Mit Muff und Hut und Schirtingröschen
Dem Herrn Gebieter in den Arm.
Da flog sein Herz der guten Seele
Begeistert zu und jauchzte hell:
»Du bist die schönste Raphaele,
Ich bin der beste Raphael!
Vor Freude – wolle nur begehren –
Ich lege gleich ein Gänseei
Und tanz' mit dir in allen Ehren
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei!«
Und kaum gesagt – da schlug der Kleine
Sich lustig auf das linke Knie;
Er schlenkerte die kurzen Beine
Und hob sie auf und schwenkte sie.
Doch kaum, daß er sie richtig schwenkte,
Da sah er schon, wie schlank und schmal,
Frau Hubaleck die Schritte lenkte
Zum leise schluchzenden Gemahl.
Im Pelzwerk von den feinsten Nerzen,
Sie rauschte vor, sie war ihm nah;
Doch nicht um Liebe zu verscherzen,
Nein, Liebe suchend stand sie da.
In ihrem Augenpaar, dem feuchten,
Das kurz zuvor noch starr und kühl,
Welch morgentaudurchperltes Leuchten,
Welch unbegrenztes Mitgefühl!
Und duftig wie ein Frühlingswieschen,
Das voll der blausten Veilchen stund,
Sie drückte jetzt zwei Prachtradieschen
Ihm auf den richterlichen Mund.
Und dieser Kuß – er war der Rufer
Von einem donnernden Applaus;
Er krachte bis ans Moselufer
Und rüttelte am ganzen Haus.
Und auch der Doktor, zum Exempel,
Er rief mit Inbrunst und Pläsier:
»Gerettet ist der Freudentempel!«
Und: » In hoc signo siegen wir!«
Herrn Brixius stand die Coiffüre
Vor Wonne wie 'nem Stachelschwein;
Sein Ruf ging mächtig durch die Türe:
»Bringt gleich die zweite Gans herein!«

Die zweite Gans . . .! – Da kam die zweite,
Ein Prachtstück aus der Vogelwelt;
Sie wurde duftig auf der Spreite
Dem ersten Gänschen zugesellt.
Da, während man den Gurt schon lüftet,
Sich alles hin zum Teller neigt –
Vom feinsten Bratenhauch umdüftet,
Die letzte Dithyrambe steigt.


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