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Des Menschen irdische Geschicke Sind meist betrüblich anzusehn; Man kann in jedem Augenblicke Vor gänzlich Unerforschtem stehn. Der eine glaubt, den Gott zu fesseln, Der ihn mit ew'gem Lorbeer schmückt, Bis er gewahrt, daß eitel Nesseln Der Schalk ihm auf das Haupt gedrückt. Der geht, die Fische zu besprechen, Vor Tau und Tag aus seinem Haus Und schmeißt an erlumbuschten Bächen Mit Emsigkeit das Würmchen aus. Schon bibbert's an der Angelruten; Er hebt und zieht und wirft im Nu Und wirft, weiß Gott! nur aus den Fluten 'nen abgelebten Bauernschuh. Ein Dritter nimmt, da just es maite, Sich Weib und Haus und Ingesind, Und sieh, die Jungfer, die er freite, Hat von 'nem andern schon ein Kind. Betrüblich zwar, doch nicht zu ändern, Denn solches kommt ja öfters vor. Ihm bleibt nichts übrig, als zu bändern Den Hut mit einem Trauerflor. Und viele, viele, ach! so viele, Die froh dem Stammtisch sich gesellt, Sie sitzen fromm beim Kartenspiele Und wähnen glücklich alle Welt. Doch haben sie den Skat erledigt, Sich brav entfernt mit Heil und Gruß, Die grimmigste Gardinenpredigt Verhagelt ihnen Grus und Mus. Noch trauriger, wenn zwei im Roggen Die Ähren selig umgelegt, Und ungestüm wie Englands Doggen Das Bauernvolk dazwischen fegt. Dann wettert's Flüche, setzt es Hiebe, Denn so ein Rüpelkorps vergißt, Wie zart und süß der Gott der Liebe Zumeist im hohen Kornfeld ist. Am traurigsten, wenn edle Männer, Nachdem des Tages Lasten ruhn, Sich stillvergnügt als brave Kenner Des Moselweins zusammentun, Um froh ihr Gänsefest zu feiern – Wenn dann mit kaum gehörtem Schritt Und gleichsam wie auf faulen Eiern Die Nemesis ins Zimmer tritt; Denn proper wie 'ne Frau aus Delfte, Wie Milch und Blut, so frank und frei, Erschien vor uns die bess're Hälfte Des Amtsgerichtsrats Num'ro zwei. Im Pelzwerk von den feinsten Nerzen, Sie rauschte vor, sie war uns nah; Doch nicht zum Liebeln und zum Scherzen, Nein, kampfgewärtig stand sie da. So mochte Juno einst, die hehre, In lichterlohem Aufruhr sein, Als sie den Gatten, bar der Ehre, Erwischt bei einem Stelldichein. In ihren Augen – welch ein Blitzen! In ihrer Haltung – welch ein Bann! Gleichwie mit scharfen Nadelspitzen Sah sie auf den verstörten Mann. Und er, der Pfeiler der Familie, Sonst sprachgewaltig, er blieb stumm, Und wie der Stengel einer Lilie Fiel dieser stolze Pfeiler um. Er wollte rufen: »Gebt mir Flügel, Ihr Götter, laßt mich nicht im Stich! Wenn nicht, ihr lieben Moselhügel, Fallt über mich, fallt über mich!« Er konnt' es nicht . . . der Ernst der Stunde, Er war zu schmetternd, war zu groß, Und auch die sonst beherzte Runde War dieses Mal ganz fassungslos. Ja, selbst die Damen, froh entstiegen Dem heit'ren Glas, sie waren's auch; Bekreuzten sich, und stillverschwiegen Vergingen sie in Schall und Rauch. Nur Wieprecht, dieser wack're Degen, Ja, dieser selbstbewußte Pfau, Er stürzte vor und sprach verwegen: »Ei guten Abend, gnäd'ge Frau!« »Was – guten Abend?! – Guten Morgen! Das steht euch besser,« hub sie an, »Und wähnst du selber dich geborgen. Bist du im Irrtum, lieber Mann. Ja, warte nur, du flotter Tänzer, Historischer Pastetenkoch, Du Allerweltsherumscharwenzer, Es schlägt auch dir die Stunde noch. Auch du mit deiner Dichterleier . . . Trät' deine Frau hier plötzlich ein, Du kröchst bei dieser Gänsefeier Ins nächste Mauseloch hinein. Was ich ertrug, was ich erduldet, Was ich durchlebte feuchten Blicks, Das nur allein hast du verschuldet, Denn alle Dichter taugen nix. Und du, mein Doktorjunggeselle, Du hältst natürlich immer still, Denn, falls die Schwester hier zur Stelle, Die sagte nur: »Wie ›Er‹ es will.« Und du, und du . . .« sie rückte näher, Der Zorn riß sie zum Gatten fort, Und hoch am Hut den flotten Häher, Ergriff energisch sie das Wort. Ihr Busen flog, der Häher nickte, Im Herzenskämmerchen war Sturm, Und wie 'ne weiße Henne pickte Sie nach dem armen Unglückswurm: »So muß ich hier in Pein und Plage Als Dulderin jetzt vor dir stehn, Dich hier beim sündigen Gelage Als abgefeimten Schlemmer sehn! Du bist mir schon das rechte Männchen, Das, wenn auch ehrlich mir getraut, Viel lieber in sein Deckelkännchen Als in den Blick der Gattin schaut. Warum denn ohne Zaum und Trense Trieb's in die Ferne dich hinaus? Ich weiß: die dümmsten Wirtshausgänse, Die liebst du mehr als die zu Haus. Bei Brixius die Kellerschwellen, Die feucht vom Moselweine sind, Die Flaschen und die Spießgesellen Stehn höher dir als Weib und Kind. O diese Zucht! Wohin mich wenden, Wenn so wie hier das Unglück kreist, Wenn unter den frivolen Händen Mein schönster Lebenstraum zerreißt?! Wer bessert mir den lieben Sünder, Der zweifellos ein guter Christ Und hier als Stammtischmitbegründer Zudem noch Amtsgerichtsrat ist?! Bei dieser dummen Gansgeschichte Und dem infamen Kandelbrett – Mensch, hast du keine Ehepflichten? Und denkst du nicht an Tisch und Bett?! Ich sehe schon die schwarzen Pferde, Den schwarzen Leichenwagen – du . . .! Denn nur in gutgeweihter Erde, Da findet meine Seele Ruh.« Sie sprach's in schweren Bitternissen, Zu dem, was Wieprecht hier verhandelt, »Na, Freundchen,« sprach die neue Schöne, »Genug, genug! – Sind wir noch Männer, Gefahr in Sicht! – Gefahr vorhanden! |