Joseph von Lauff
Der papierene Aloys
Joseph von Lauff

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Siebentes Kapitel

Die nächsten Tage bimmelten mir so reichliche Glückseligkeiten zu, als hätte ich einen Blick in den Wunderstall von Bethlehem geworfen – vor mir die gebenedeite Jungfrau, mit einem Kränzlein aus sieben Sternen geschmückt, den Zimmermann Joseph aus Nazareth, das Kindlein in der Krippe, Ochs und Eselchen an mageren Raufen und über mir den übergoldeten Haar- und Schwanzstern, dem die Weisen aus Mohrland auf ihren schaukelnden Kamelen nachtroddelten, um das Heil der Erde und den Herzog aller Herzöge aufzufinden. Wäre mir dieses im hohen Alter zugestoßen, ich hätte mich so wunschlos gefühlt wie der heilige Vater auf seinem mit Decken, Fransen, Tröddelchen und silbernen Schellchen austapezierten Maultier in Avignon, angefächelt von einem sanften Rhonelüftlein, umgeben von knienden Menschen, von Rosen, die wie Gewürznelken duften, von Agavestauden und seltsamen Opuntien, überstrahlt von dem Himmelreich der schönen Provence, heimlich bewundert und ersehnt von dunklen Frauenaugen, wie sie nur die vollen und doch geschmeidigen Frauen haben, die in Avignon wohnen . . . und das alles eines eingehandelten, wenn auch prächtigen und in allen Farben des Regenbogens schillernden Täuberichs wegen.

Ja, ich hatte ihn wieder, diesen Flüchtling, diesen Ausreißer, der mir schon so viele Bedenken, Gewissensbisse und Qualen, soviel des Schönen, des Übersinnlichen und der Tränen eingebracht hatte. Unter Assistenz der haselierenden Magistergerte, Henn Pierentreckers und meines sanften Freundes Peter Hartjes war er mir aufs neue erb- und eigentümlich zugefallen. Ich schwamm wie ein großes, kreisrundes Fettauge in einer guten Bouillon. Ich sah nicht nur diesen Vogel allein, nein, ich gewahrte in meinem trunkenen Gesichtsfeld Legionen von geflügelten Wesen, hundert und aberhundert von taumelnden, rucksenden, pickenden, herumtrippelnden Tauben, denn die Traben-Trabacher Marie war auf den samaritanerhaften und ingeniösen Einfall gekommen, meinem geschwollenen Pascha aus ihren kargen Besitztiteln eine prächtige, liebeshungrige und überreichlichen Nachwuchs versprechende Gefährtin beizugesellen.

Henn Pierentrecker und ich zimmerten denn auch unter der selbstlosen Beihilfe des wackeren Schreinermeisters Wilm Henseler einen Schlag zusammen, der sich sehen lassen konnte. Von der Giebelwand unserer Scheune sah er recht stattlich und einladend in den reichlich mit Obstpyramiden bestandenen Blumen- und Nutzgarten hinein.

Nach etlichen Wochen – es war inzwischen Mitte September geworden – konnte ich dem bis dahin eingesperrten Pärchen die wohlverdiente Freiheit gestatten. Zu meiner unaussprechlichen Freude blieben sie heimatbeständig, turtelten in den stahlblauen Lüften herum und machten alsbald Anstalten, dem ersehnten Eierlegen näherzutreten. Meine überspannten Hoffnungen verstiegen sich ins Utopische, bewegten sich auf hyperbolischer Bahn, ähnlich dem ungeheuerlichen Besenstern, der bis zur heutigen Stunde meine ganze Seele durchlichterte.

Die Einbringung meines entwischten Kröpfers aus den Händen des Sommersprossigen war nicht so ganz einfach vonstatten gegangen. Aus ihr entwickelten sich Dinge und Geschehnisse, die für den Werdegang dieser Geschichte eine ganz besondere Note beanspruchen. Die Überführung selber zeitigte keine augenfälligen Erscheinungen, aber die Nebenumstände . . .

Also! anderen Tages nach dem getätigten kategorischen Edikt des hochzupreisenden Mesters Haan zogen wir um die dritte Nachmittagsstunde der Höfkensschen Windmühle zu: Henn Pierentrecker mit aufgekrempelten Ärmeln und majestätischem Biceps, der sanfte Peter Hartjes und ich.

Die Luft war voller Musik. Die Fernen gaben sich mit dem perlmutternden Scheinen und Gleißen von Atlasbändern. In den Garten standen die Stockrosen in voller Blüte, drehten die mastigen Sonnenblumen ihre schwefelgelben Räder dem warmen Schmeicheln des ewigen Tagesgestirnes entgegen. Ab und zu trudelte ein überständiger Jonasapfel zu Boden, lärmte eine Drossel von einem Pfirsichspalier, woselbst sie sich gütlich getan hatte.

Im Mühlenbereich brauchte mein Freund und Schulkollege nicht mit derben Kapuzinaden aufzuwarten, die sonst in rauher Kutte einherstolzierten, denn der pfiffige Semmelfuchs stand bereits mit einem verschnürten Körbchen am Arm in der Nähe seiner häuslichen Penaten, griemelte uns schon von weitem entgegen, um dann in die Worte auszubrechen: »Ich täte ihn haben!«

»Das müßte auch sein,« ließ sich Henn Pierentrecker vernehmen, »sonst hätte es auch dreimal geschellt, ich sage dir, dreimal, aber nicht mit 'ne ordinäre Ladenbimmel, sondern mit die Feuer- und Wasserklock, wie sie Hübbers bedient bei Brand- und Hochwasserzeiten. Denn alles will seinen Awek und seine Ordnung besitzen . . . und nu können wir gehen, und wenn es erlaubt ist, will ich den Kröpper besorgen.«

»Nee,« sagte Jan, »das wäre meine Befugnis, denn ich müßte drauf sehen, daß einer nicht käme, um ins Körbchen zu kucken. Bei's zweite Mal Ausritschen bräuchte ich keinen Retourschein mehr geben, täte mein Vater mir sagen, um mir Moritzen zu lernen . . . und was mein Vater mir sagen tun täte . . .«

Na, das war dem Sommersprossigen auch nicht weiter zu verargen, denn er konnte es als sein gutes Recht beanspruchen, das strittige Objekt sicher und wohlbehalten an Ort und Stelle zu bringen.

Also zugestanden.

Irgendwoher vernahm ich das klägliche ›Mäh-mäh‹ meines eingetauschten Lämmelböckchens.

Mir krampfte sich etwas in der Kehle zusammen.

»Das täte sich freuen,« erläuterte Jan, »denn bei uns zu Hause bekäme es nur schieren Kleegrummet von uns beste Parzelle zu fressen, und der wäre so nobel wie der vom Lipperfurtsberg vom Herrn Baron Steengracht in Moyland.«

Das imponierte uns mächtig . . . und er, von uns dreien begleitet, marschierte nun wie ein Spendierer und Großmogul seinen elterlichen Mühlberg hinunter, an dem grasenden Esel vorüber und dem Kommunalweg zu, der in einer großen Schleife ans Kesseltor führte.

Umfriedete Gärten begleiteten uns zur Linken.

Vor einem der nettesten und gepflegtesten blieb er stehen, blinzelte mich an und begann dann mit dem listigsten Gesicht von der Welt die Melodie zu pfeifen: »Mädel, ruck', ruck', ruck' an meine grüne Seite,« meisterhaft wie ein Kanarienvogel, denn der Semmelfuchs war von jeher ein umsichtiger und auserwählter Könner in dieser musikalischen Betätigung.

Was es war, wußte ich nicht – aber ein gewisses Unbehagen, das sich mit diesem Garten verknüpfte, trat mir unversehens in den Sinn.

Ich sah über die sauber gestrichene Lattenzäunung hinweg, über sorglich nebeneinander gereihte Obstpyramiden, Erdbeerstreifen und Stachelbeersträucher.

»Das täte der vom Papierenen sein,« sagte Jan Höfkens in das plötzliche Schweigen.

Auch die Stille hat ihre Seufzer und ihr mahnendes Klingen. Ich wurde aufmerksam. Der Garten interessierte mich plötzlich. Eine liebevolle Hand wachte über dieses mit Fleiß und Einsicht verwaltete Grundstück. Die mit Buchsbaum eingefaßten Wege wiesen nicht die geringste Spur von Unkraut auf, die Gemüsezeilen lagen wohlgepflegt unter Spaten und Harke, auf den abgezirkelten Beeten standen Tausendschönchen und Nachtviolen so stramm aufgerichtet, als wären sie bei einem Unteroffizier des ersten Bataillons Garde zu Fuß in die Instruktionsstunde gegangen, und darüber hinaus, als Beschluß des mittleren Pfades, erhob sich eine aus Naturholz errichtete Laube, völlig überrankt von Feuerbohnen, die noch vereinzelte Fünkchen aufwiesen – Fünkchen wie brennende Liebessternchen.

Ich mußte an den papierenen Aloys denken, an sein unauffälliges Werken und Sinnieren, anspruchslos und doch die Herzen einnehmend, just so, wie es die Tausendschönchen und Nachtviolen an sich haben, die jetzt so schlicht und doch so eigenartig auf meine Sinne wirkten.

Jan Höfkens unterbrach mich in meinen Gedanken.

»Da drüben,« sagte er pfiffig, »hätte auch das schöne Hendrintje gestanden, als sie mit Nöllecke Giltjes die Frühkartoffeln ausmachen täte.«

Mir lief es kalt über die Seele.

»Jan, denke an Hübbers!«

Der Semmelfuchs lachte.

»Das schenierte nicht weiter,« fiel er ein, »denn es wäre mal so und Arbeit schändete nicht, weil sie 'nen ganzen Hümpel zusammengebracht hatten. Bald darauf täten sie sich zu's Ausruhen in die Fitzebohnenlaube verstechen, ganz stillkes, um später aufs neue ans Kartoffelausmachen zu gehen.«

Also wieder die dumme Geschichte – die von Hendrintje Teerling und Nöllecke Giltjes!

Ich warf einen langen Blick auf den verschwiegenen Garten mit seinen Spalieren und Stachelbeersträuchern, seiner verträumten Laube und ihrem Geheimnis, das mich ansah wie die weiße Nonne, die die Kerzen auslöschte, daß es Nacht über den Wassern wurde und der junge Königssohn ertrinken mußte.

Aloys, Aloys! Ich fürchtete ein Unglück für ihn, ein Unglück, das sich mit den weichen Pfoten einer schleichenden Katze über den Boden tastete.

Gleich darauf gingen wir weiter.

Als wir in Nähe des Kesseltores den Paternosterdeich erreichten, den mächtigen Damm, der sich in großer Kehre um die kleine Stadt zingelte, gesetzt, die Staufluten des Rheines vom Binnenland abzuhalten, sahen wir, wie sich ein dunkler Punkt auf der breitauslagernden Krone bewegte.

Er kam von Grieth und Wisselward her.

Als er in gehörige Sichtweite rückte, immer umrissener wurde und die nicht ferngelegenen Wassermühlen hinter sich ließ, wuchs er sich zu einem hohen, ungelenken und vierschrötigen Mann aus, der wie ein Großer seines Weges daherwandelte. Breitbeinig und schwankenden Ganges nahm er den Deich unter die Füße.

Henn Pierentrecker, als kundiger Thebaner und Pfadfinder, ein scharfsichtiger Seher und Sucher, murmelte zuerst etwas Verworrenes vor sich hin. Dann stieß er ein Indianergeheul aus wie die weiße Adlerfeder bei Ankunft des allwissenden Häuptlings in den unwirtlichen Schluchten der Rocky Mountains: »Der lange Moritz, der lange Moritz! Hurra und Vivat!«

Wir stimmten mit ein, denn wir kannten ihn alle, zählte er doch zu den markantesten Besitztiteln in der Flucht unserer jugendlichen Ereignisse und Begebenheiten.

Seinen Familiennamen hatten wir niemals gehört. Ein unentwirrbares Geheimnis war darüber gespreitet. Wir wußten nur, daß er ein kleines Häuschen ›Achter de Mur‹ bewohnte, aber nicht immer, nur zeitweilig, daß eine bejahrte, weitläuftige Anverwandte seinen bescheidenen Haushalt betreute, daß eine zierliche und adrette Nähterin sich bei ihm eingetan hatte, die zwei saubere Dachstübchen benutzte, gute Beziehungen zu ihrem Hausherrn hielt, immer freundlich, immer geschäftig, und sich Hannecke Brükers nannte. Im übrigen war er in der benachbarten Stadt bei einem kleinen Reeder in Stellung, dessen Kohlenschiff ›Miekske van Grieth‹ er von Ruhrort nach Rotterdam und dann wieder über Ruhrort hinaus bis nach Mannheim führte. So ständig auf Wasser, die teerigen Planken stets unter den Schuhen, suchte er nur dann seine engere Heimat auf, wenn die Transporte stockten und er sich genötigt sah, für längere Zeit in dem bescheidenen Rheinhafen zu Grieth vor Anker zu gehen. In ihm sahen wir das Ideal unserer Jugendjahre. Gutmütig bis in die Stiefelspitzen hinein, kinderlieb, wenn auch wortkarg und zurückhaltend, hielten wir ihn für einen Heros, einen Mann voller Einsicht und Tatkraft, der, falls er aufbegehrte, ein Hufeisen aus purem Handgelenk zu biegen vermochte, dazu seine Stimme erdröhnen ließ, daß davon die Akazienblätter in ein gelindes Zittern gerieten. Er hatte etwas von Bileams Eselin an sich, denn er sah den Engel Gottes immer frühzeitiger, als sein eigener Herr ihn gewahrte. Seine Rede war kurz und bestimmt, wie brüchiges Scheitholz. Er interessierte uns höchlichst, nicht nur als Mensch, sondern auch als Freund des papierenen Aloys. Auch bewunderten wir sein haarscharfes Spucken. Allzeit ein delikates Priemchen in der linken Backentasche, betrieb er dieses Geschäft aus bloßer ›Liebhaberei‹, wie er sagte. Er besaß darin eine solche Virtuosität, daß, wäre der bräunliche Saft eine Pistolenkugel gewesen, er totensicher auf fünf Schritt das Schüppenas aus der Karte herausgeschält hätte.

Also, der lange Moritz war mit seinem ›Miekske‹ im kleinen Hafen von Grieth vor Anker gegangen.

Noch immer dröhnte unser Irokesengeheul über den Paternosterdeich, als wäre uns geboten worden, den Heimkehrenden als den ›Großen Geist‹ unserer jugendlichen Tage zu begrüßen.

»Hurra und Vivat!«

Jetzt stand er vor uns, in strapazierter Velvethose, in ebensolcher Jacke, ein rotes Tuch um den Hals, das lederfarbige Gesicht verhutzelt, silberne Ankerringe in den Ohren, die Augen so milchblau wie die milchblauen Glasperlen am Schurz eines braunen Mädchens von den Freundschaftsinseln, die seidene Schirmmütze tief über den graumelierten Hinterkopf geschoben . . . aber die Größe, die Breite . . .!

Als wäre er aus dem verzauberten Reiche Brobdingnac gekommen, von dem der vielgereiste Gulliver aus Nottinghamshire gar verwunderliche Geschichten erzählt, just so breitschulterig und in den Himmel wachsend wie der ungeschlachte Pächter, der besagtem Gulliver zum ersten Male in dem närrisch-drolligen Lande begegnete, ebenso mächtig und übermenschlich stieg die Gestalt des langen Moritz von der Deichkrone auf, als gölte es für ihn, den hohen kanadischen Pappeln, die neben uns säuselten, auf die vollen Laubmassen zu spucken.

Seine milchblauen Lichter ruhten auf uns. Der laute Zuruf aus den Rocky Mountains schien ihm gefallen zu haben. Er beugte sich nieder und tätschelte uns mit seiner borkenrissigen Hand über die Köpfe.

»Na, Jungs,« fragte er gütig und mit einem behaglichen Lächeln, »noch immer mobil?«

»Moritz, noch immer.«

»Und der papierene Aloys?«

»Gleichfalls beiwege.«

Der Riese spuckte scharf auf die Seite: ein Strahl wie der aus einer feinmäuligen Spritze, aber sauciert, mit einem delikaten Geruch nach Makuba oder Superkargo- Krüllschnitt, bezogen aus der Manufaktur von Philipp Thoholte in Geseke.

»Brav so . . . gut so . . .! Müßt tüchtig was lernen . . . Rechnen und so . . . aber auch Turnen . . . Wir können's gebrauchen . . . Besonders der preußische König . . . hat Soldaten nötig . . . gute und brave Soldaten . . . Sonst ziehen die Demokraten schiefe Gesichter . . . spielen die Eiderdänen den Ausverschämten . . . Überhaupt diese Blase . . . Ordnung und Bajonette, die machen's . . . Kein Parlamentieren und so . . . Versteht ihr . . .

»Jawoll!« riefen wir alle.

Am lautesten Henn Pierentrecker. Als Sohn eines königlich preußischen Briefträgers fühlte er sich. Sein patriotisches Herz bibberte auf. Mit einem freundlichen Grunzen ließ er seinen Biceps spielen: »Moritz, sonder Besien – hondert Pond kann eck stämme!«

»Famos! So was – meine ganze Liebhaberei . . . meine totale . . . Gut so! Mußt mal königlich preußischer Unteroffizier werden . . . oder Sergeant . . . Überall Feinde . . . oben und unten . . . von Lee- und Luvseite . . . Hab's gehört . . . Blexem und Donnder! da drüben bei die Mynheers . . . aber nu kommt man . . .

Stolz wie die Spanjards, sichtlich bewegt, mit vorgestoßenem Kropf, gleich den Beamten in gehobener Stellung, marschierten wir an der Seite des Langen in die kleine niederrheinische Stadt ein, jeden darauf anblickend, ob er auch sähe, daß wir uns in einer solchen erhabenen Begleitung befänden. Derweilen erzählte er uns große Geschichten von seinen Fahrten zu Wasser und zu Lande, vom Rhein, den er kannte bis in seine tiefste Tiefe hinein, von seinen Bergen und Burgen, seiner Riesenarbeit, die er zu leisten hatte, wenn er die Steamer und Kohlenschiffe aus dem Ruhrgebiet wie ein Sackträger zu Tal und zu Berg schleppen mußte, stöhnend und doch sich seiner gigantischen Arbeit erfreuend, umwittert von den düsteren Zechenschwaden, dem lohen Feuer von Hochöfen und Eisenhütten, umtost von dem rhythmischen Takt der dröhnenden Dampfhämmer. Respekt bitte ich mir aus! und dann führte er uns über die Grenze, in die Betuwe und Veluwe hinein, wo sie hausen, die Kabeljaus, die Menschen mit den Polkahaaren und den langweiligen, aber verschmitzten Gesichtern, immer in Furcht und Sorge, Preußen würde sie bei Gelegenheit überschlucken, oder ihre Kolonien bekämen lange Beine und gingen eines frühen Morgens heidi und zum Teufel . . . und dazwischen zog er andere Saiten auf, ließ die Glockenspiele in Utrecht und Rotterdam klingeln, zeigte uns die sauberen Klinkergiebel mit den hohen Spiegelscheiben, die verschlafenen Grachten, die leckeren Meisjen, die so prächtig Schlittschuh liefen, so mit feinem Wiegen und Biegen, dem herausfordernden Schlenkern ihrer kurzen Röckchen, und dabei hub er an, leise vor sich hinzusummeln:

»Kaatje, kom aan,
Kom op de baan,
Lacht dan het eys op het Y je niet aan?
De gryzen by't vuur, maar op schaatsen de blonden,
Zoo wordt in den Winter de lente gevonden.«

So marschierten wir vorwärts, die breite Kesselstraße entlang, auf den Markt zu, denn dem braven Moritz sein erstes Vorhaben ging darauf hinaus, seinem Freunde Aloys die Flosse zu schütteln, ihm einen herzlichen Willkomm zu bringen, als uns zwischen den Häusern ein fröhliches Pinken und Panken entgegenhallte.

Es kam aus der Schmiede von Nöllecke Giltjes.

Er selber stand in voller Aufmachung vor der Einfahrt. Hinter ihm schlug ein lohes Feuer in den Schwalch hinein, dröhnte der Amboß, an dem sich sein erster Gesell damit beschäftigte, glühenden Hufeisen die richtige Form und Fassung zu geben. Neben ihm stampfte ein angehalfterter Percheron die Kopfsteine, daß es Funken setzte – ein gedrungener Muskatschimmel aus der Niederung, wiehernd und des Veschlagens gewärtig.

In aller Gemächlichkeit harrte der Meister auf Eisen und Rüstzeug.

Reverenz vor Nöllecke Giltjes! Mit verschränkten Armen, voll Ruhe und Würde, ein straffer Tubalkain, Ende der Zwanziger, mit Sehnen und Muskeln wie Schiffstaue, einem scharfgehobelten, verrußten Gesicht, dessen Augen das Weiße fast gelb zeigten, gerierte er sich als Jan und allemann in Hecken und Hägen, verstand er sein Handwerk, kam es ihm nicht darauf an, seinen Partner im ›Waldkarnickel‹ über den Tisch zu wuchten oder an Kirmestagen die Weibsbilder auf der Tente zu schwenken, daß die Beiderwandröcke nicht mehr langten, ihre Blößen zu decken. Kurz, er war einer mit Ärmel, und dieserhalb: Reverenz vor Nöllecke Giltjes!

Als er uns kommen sah, rückte er seine Schirmmütze keck über die linke Ohrmuschel.

»Tag, Moritz, auch mal wieder im Lande?«

»Wie du siehst, mit allen zwei Beinen.«

»Prächtig! und gute Zeitung im Sack? Ich sollte doch meinen, du bist in Holland gewesen?«

»War ich.«

»Na und . . .? Man weiß ja: die Mynheers halten stets die Nase gegen den Wind, hören das meiste, wovon wir keine Ahnung besitzen, und klappern am lautesten.«

»Tun sie.«

»Dann darf man wohl die Löffel aufsperren?«

»Warum nicht?!«

Moritz trat näher heran.

»Die da drüben in Holland machen miese Visagen. Von wegen ihrer Absatzartikel.«

»Wieso das?«

»Es muffelt brandig. So nach Patronen. Über kurz oder lang kann's losgehn.«

»Was?! Doch nicht zwischen uns und die Jantjes?«

»Nee! aber mang die Dänen und Preußen.«

»Ist mir was Neues.«

»Ist auch was Neues,« und Moritz spuckte scharf auf die Seite, »und du – du hast doch auch mal beim Kommiß gestanden und des Königs Kuchen gefuttert?«

»Aber natürlich. Drei Jahre hindurch. Immer schlankweg bei die schweren Artolleristen in Wesel.«

»Und stehst jetzt bei's Landwehraufgebot Numero eins?«

»Auch dieses.«

»Na dann, dann kann ich dir sagen: Mache dich fertig; denn es muß doch 'ne wahre Liebhaberei für dich sein, wieder marschieren zu können und so'n bißchen Pulverodör in den Windfang zu kriegen.«

»Ich? Niemals.«

»Das wäre noch schöner!«

»Moritz!« und Nöllecke Giltjes zog ein Gesicht, nach Art eines Siechlings im Armenhaus. »Auf Ehre und Seligkeit, es sollte mir angenehm sein, so die blauen Bohnen sirren zu hören. Aber Gottverdammich noch mal!« und seine klobigen Fäuste lasteten dumpf auf dem mächtigen Brustkasten, »schon seit Wochen hindurch: hier sitzt das . . . in der Lungenpfeife . . . zwischen den Rippen. Immer das verfluchte Gehuste, als wär's an der Zeit, Wilm Henseler die Hobelspäne in Bestellung zu geben. Und dann meine Mutter . . .! Wie sollte die auskommen? Denn ich als ihr alleiniger Ernährer . . . Nee, Moritz, es geht nicht.«

»Mensch – du!« und eine eherne Pranke, gleich der eines Mannes in blauem Eisen, legte sich ihm schwer auf die Schulter, »du erzählst wohl Märchengeschichten?! Weißt du: es war mal ein Mannskerl, der konnte Steine wälzen, Mühlsteine und andere Steine, hatte aber die Kraft nicht, Spatzen und Hämperlinge aus den Erbsenrabatten zu jagen . . . oder so 'ne ähnliche Schose.«

»Also du meinst, mir säß' die Kurasch in der Buxe?«

»Papperlapapp! hier wird ernsthaft gesprochen. Was sagt denn die Kontrollkommischion dazu?«

»Bestens erledigt.«

«In Kleve erledigt?«

»Ja, in der Voruntersuchung.«

»Höhö!« lachte der Riese und ließ seine Pratze herunter, als wäre eine Verlähmung in sie gefahren. »Du bist wohl so bißchen titteriti . . . hier oben . . . so beiläufig im Koppe! Blexem! hätte ich in Kleve gesessen, als Kommissär oder so, ich kann dir nur flüstern: ich hätte dir schon des Königs Polka Mazurka mit allen Schikanen beigebracht, auch den langsamen Schritt, um dich dauernd glücklich zu machen.«

Er schüttelte bedenklich den ergrauten Schädel.

»Mit bestem Willen, ich kann's nicht klein kriegen. Ein Hüne wie du, imstande 'nen ausgewachsenen Bullen kurzerhand in die Knie zu schmeißen . . . und dann nicht für tauglich erachtet . . .

»Moritz, laß das aus dem Spiel.«

Seine Rechte fuhr gegen das Schurzfell, daß es aufrasselte: »Hier sitzt die infame Geschichte. Sonst: mit fliegenden Fahnen . . .«

Er verstummte vor den ernsten Blicken des Langen.

Der erste Gesell trat aus der Schmiede heraus, mit Handwertsgerät und abgeschreckten Hufeisen.

»Meister, es wäre so weit.«

»Einen Momang noch. Moritz, auf Sterben und Seligkeit! wenn ich bloß könnte, ich ginge lieber heute als morgen.«

Der Riese gab keine Antwort.

Dafür aber der Sommersprossige, der sich eifrigst damit beschäftigt hatte, dem angehalfterten Muskatschimmel die Hinterbacken zu tätscheln: »Aber Nöllecke, du tätest doch arbeiten!«

»Hondert Pond kann eck stamme!« rief Henn Pierentrecker dazwischen.

»Richtig, mein Junge. Indessen, ich kann's nur aus 'nem schwachen Handgelenk heraus, ohne den richtigen Schwung zu betreiben.«

Er lachte.

»Ja . . . aber Frühkartoffeln ausmachen, das könntest du gut . . . und das mit Hendrintje Teerling im Garten . . . und dann tätest du mit ihr ins Bohnenhäuschen verschwinden . . .«

Uns stolperte das Herz in die Hosen.

»Himmel Gewitter, du niederträchtiger Stänker!«

Nöllecke Giltjes taumelte hoch.

Er hatte dem Gesellen einen Hammer entrissen.

Das Gelbe seiner Augen war noch gelber geworden.

»Du kleine Bestie von Lügenmarkör!« und bevor Moritz es noch zu hindern vermochte, pfiffen Stiel und Eisen haarscharf an den Schläfen des Unbesonnenen vorbei und klirrten weit in die Straße.

Mit einem Sperberschrei waren wir auf und davon, spurlos in den nächsten Gassen und Gäßchen verschwunden, während Moritz . . .

»Pfui Deibel noch mal!«

Er trat einen Schritt vor. Der dröhnte wie eine zu Boden gestolperte Kette.

»Erbärmlich, so 'ne ausgestunkene Infamie zu verzapfen!«

»Moritz, diese hundsföttische Lüge!«

»Lüge oder nicht Lüge – ich sage dir, Junge, da ist was nicht richtig. Die Juden hassen das Munkeln und die Ratzen den Lärm zwischen ihren Nestern.«

Er packte zu mit der Kraft eines Starken, umgriff das Handgelenk seines Widersachers und schnürte es wie in einem eisernen Schraubstock.

»Mensch – du, ich denke meinen bösen Gedanken nicht mal zu Ende. Will ihn nicht zu Ende denken, aber er jagt mein Blut und meinen Atem bis zum Heißlauf . . .« und er zischelte ihm zu, als wäre ihm alle Galle, die er im Leibe hatte, zwischen die Zähne geraten: »Hier tun Windzeit und Wolfszeit das Maul auf. Hier geht ein Gespenst um. Wenn das die Kinder schon sehen! Wenn das die Spatzen schon von den Dächern herunterpfeifen! Was ist das? Was ist das mit Hendrintje Teerling?«

Seine Augen standen dicht vor denen des Gegners, flammten ihn an, bohrten sich ein mit der Gewalt von glühenden Stahldornen.

»Lasse mich aus – du. Ich bin keinem Rechenschaft schuldig. Auch dir nicht. Da könnte jeder kommen und mich nach meinem Vaterunser befragen. Ich rühre den Stunk nicht auf. Gottverdammich, ich nicht.«

»Aber ich! Mann, hier ist Andacht vonnöten, 'ne Andacht auf den Knien, 'ne Andacht mit Striemen und Geißelhieben. Zeige deine echte Visage, und in diese Visage hinein schrei' ich dir zu: Verbiesterst du mir zwei junge Menschenleben . . . sein Leben und ihr Leben . . . dividierst du ihnen nur ein Spierchen von ihrem Honnör fort . . . machst du mir Ferkelgeschichten . . .« und er schleuderte Nölleckes Handgelenk verächtlich aus seinem Schraubstock: »Salviere dich. Mach' keine Fisimatenten. Sonst – Blexem und Donnder! hier dieser krumme Finger bricht dir den Nacken.«

Schwer stapfte Moritz über die Steine.

Sein Blut rauschte.

Er hörte nicht mehr, daß ein unterdrückter Fluch hinter ihm herlief: »Du Saukerl!«, daß der Percheron aufwieherte mit dem Schrei eines mißhandelten Tieres, dem ein Nagelschuh in die Flanke hineinstolperte.

»Was nu!« und seine Gedanken jagten sich.

»Wer sich die Ohren verstopft, um nicht hören zu brauchen, und wer sich die Augen verkleistert, um nicht sehen zu wollen, dem wäre es besser . . .«

Er verschluckte den Rest.

Als er sein Ziel erreichte, fand er Hendrintje und Aloys vergnüglich in der Werkstatt zusammen.

Er begrüßte sie kurz. Dann sagte er mit gerunzelten Brauen: »Hendrintje, laß uns allein. Ich hab' mit ihm ein kleines Wörtchen zu reden.«

Da erhob sich das junge Weib und verließ den Arbeitsraum, nicht ohne dabei einen fragenden Blick auf Moritz zu werfen.

»Aloys,« und der Riese fuhr sich schwer über die Stirne, »mir ist soeben die Geschichte von den verstopften Ohren und verkleisterten Augen durch die Sinne gelaufen. Mir stehen sie offen, aber ob dir . . . und besonders das mit den Augen . . .? Ich kann es nicht in Beurteilung nehmen . . . bin auch nicht dafür, Ohren und Augen überall herumlaustern und herumvigilieren zu lassen, aber bei extraordinären Notlagen, wo es drauf ankommt, richtiges Fahrwasser zu kriegen oder versaufen zu müssen, wo einem so 'ne lelke Trift schon bis an die Kehle gurgelt . . . Aloys,« und er ließ das Abgehackte beiseite und sprach ruhig und ausholend, »in diesem Falle jedoch, da muß ein übriges geschehen, und drum sage ich dir: Befindest du dich in der Verfassung des alten Tobias, dem eine sonst ganz niedliche und amüsante Mehlschwalbe die totale Sehkraft verschweinigelte, daß seine Pupillen zu kurz kamen, will ich mir die Haut des Engels und die des jungen Tobias zulegen, um mit der Galle aus 'ner regulären Fischblase dir die Augen zu streicheln, damit sie wieder Leben und die alte Helligkeit empfangen. Indessen beileibe nicht: ich biege die Sache nicht um, male sie nicht grau in grau an die Wand, sondern biege und male nur das, was ich um deinetwillen für erforderlich einschätze,« und nun erzählte er in schlichter und treuherziger Weise sein kurz zuvor Erlebtes, seine Bedenken und Befürchtungen, um mit den stillen Worten zu schließen: »Man soll sich nicht um andermanns Geschichten bekümmern, denn man bekommt selber 'nen Knick davon; aber um deine Geschichten . . . schon um der Reinlichkeit wegen oder, um klare Bahn zu schaffen und 'nem Viechskerl das Wasser abzugraben, habe ich dies für nötig erachtet. Auf 'nem häuslichen Tabernakel darf sich kein Staub absetzen. Daß dieses nicht ist, dafür sollst du mich als Mittler ansprechen. Sonst für gar nichts. Verstanden?«

Aloys erhob sich.

Auch der Riese.

»Wir verstehen dich, Moritz.«

Der Puls hämmerte ihm bis in den Hals hinein. Ein Nebel lag vor seinen Augen, ein fester, diesiger, fröstelnder Nebel, um jäh zu verschwinden.

Die beiden standen Seite an Seite im Raum.
Die rote Abendsonne fiel schräg durch das Fenster.

»Wir danken dir, Moritz.«

»Dann mach' deine Sach' und suche in reines und sichtiges Wasser zu kommen. Ich erwarte dich im ›Waldkarnickel‹. Also bis gleich denn.«

Dann ging er.

Das Haus war still geworden, aber nicht lange.

Aloys zerrte die Tür auf und schrie durch den Hausflur: »Hendrintje!«

Der Ruf kletterte bis in den obersten Söller.

Über ein kleines erschien sie, gefaßt wie immer und ohne Erregung.

»Warum diese Stimme?« fragte sie unbefangen. »Konnte es nicht leiser geschehen? Ich bin doch allzeit zu haben. Das weißt du.«

»Davon ist jetzt nicht die Rede. Beschönige nichts. Weiche nicht aus. Gib Antwort: Trägst du noch den Namen Teerling, oder trägst du ihn nicht mehr?«

Sie sah ihn fassungslos an, in ein weißgewordenes Gesicht, dem jeder Blutstropfen fehlte.

»Was ist dir?« meinte sie ängstlich.

»Gib Antwort,« kam es zurück. »Ist die Ehre des Hauses Teerling noch unangetastet geblieben, oder ist sie es nicht mehr?«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Es ging Einer durch die Niederung hin,« sagte er nach einigem Schweigen, »und sah Eine zwischen den Ackerfurchen stehen, die just abgeerntet waren . . . und war barfuß, im kurzen Rock, aber schön und sittsam von Gestalt und Wesen . . . und beugte sich im Schweiße ihres Angesichtes, wie Ruth, die Moabitin, es tat, um die verstreuten Ähren aus den Stoppeln zu heben. Auch sah er, daß sie anstellig war, gefällig und schmiegsam und sich mit dem zufrieden gab, was die lässigen Knechte nicht eingebracht hatten, und da sagte er sich: Die oder keine, denn sie ist die Rechte, dir die Öde des Tages zu nehmen, deinem Anwesen vorzustehen, mit dir die Mühen der Arbeit zu teilen, dir die Nächte zu Nächten zu machen, die köstlich sind, als wären es Geschenke aus der Hand des Ewigen. Und er führte sie in sein Haus, ein Heiligtum in Gestalt eines Weibes, und freute sich ihres reinen Leibes und ihrer Seele, bis ihm eine innere Stimme sagte . . .«

Die junge Frau straffte sich hoch.

Ihre Augen begehrten auf. In dem Samtbraun stand eine plötzliche Helle.

»Und diese Stimme – sie ist die deiner Mutter, denn sie nur allein . . .«

»Hendrintje . . .

Er war bei ihr.

Seine Rechte packte zu, umgriff ihr Handgelenk.

»Bis eine innere Stimme ihm sagte: Du irrtest, dein Heiligtum ist kein Heiligtum mehr, ein giftiger Tau ist darüber hingefallen, denn das Weib ist abwegig geworden und stellt sich auf die Straße hinaus, um fahnenflüchtig zu werden.«

»Und das bin ich, willst du sagen?!«

»Hendrintje . . .

Die Linke zog einen scharfen Strich über die Kehle.

»Bis hier steht die Unruh'. Verstehst du: bis hier schon.«

Sein bisher fahles Gesicht starrte vor Blut.

»Ja, bis hierhin, Hendrintje, und drum frage ich dich: Bist du immer allein im Garten gewesen . . . damals . . . in unserm Garten da draußen?«

»Was bezweckst du damit?«

»Ich will es nur wissen.«

»Nun denn: ja, immer allein. Nur einmal . . . da war einer bei mir . . . der hat mir geholfen.«

»Wer hat geholfen?«

»Nöllecke Giltjes.«

»So! und weshalb gerade Nöllecke Giltjes?«

»Es ist aus Freundschaft geschehen. Du weißt doch: du und er, ihr waret ja immer gute Bekannte.«

»Also aus Freundschaft geschehen?! Auch 'ne Ausrede! und dann seid ihr in die Laube geschlichen.«

»Geschlichen . . .?!«

Nun begannen auch ihre Pulse zu stürmen.

»Ich . . . mit ihm . . . in die Laube geschlichen?! Du willst also sagen . . .?!«

»Weib – du! ich spreche doch deutlich. Oder willst du es leugnen? Sieh in den Spiegel. Aber sieh genau hin, ob dir der Spiegel nicht vorhält: Ich bin durch Sünde gegangen.«

Sie begegnete ihm mit funkelnden Augen.

»Also das meinst du?! Ich eine Dirne?! Ich, ich, ich . . .

Ein Schrei stieß gegen ihn an.

Sie prallte zurück, bis ihr die Wand gebot, nicht weiter zu taumeln.

Sie glättete ihr Haar. Mit stummer Gewalt preßte sie ihre Schläfen zwischen den Händen. Sie stierte ihn an.

»Also das meinst du?!«

Etwas Dämonisches wuchs aus ihrem Leibe heraus. Das Weib im Weibe war lebendig geworden. Und jählings – mit gebreiteten Armen stürzte sie vor, umschlang ihn, riß ihn an sich, stammelte unter Schluchzen und Weinen: »Wie kannst du nur?! Wo nimmst du die Stirn her, mich unter die Füße zu treten, mich, dein Weib, so unter die Füße zu treten?! Aber ich schwöre dir zu: Aloys, nichts ist geschehen. Und wenn ich fehlte, wenn ich die Vorsicht außer acht ließ – gut, ich fehlte, ließ die Vorsicht außer acht . . . aber nichts ist geschehen, so wahr mir Gott helfe! Noch immer sind die Nächte mir heilig, deine Nächte und meine Nächte, und wenn ich abirrte, so ist es nur ein böses Träumen gewesen . . . aber Ruth, die Moabitin, bin ich dir immer geblieben: Ruth auf dem Felde . . . Ruth in deinen Armen . . .« und er spürte das heiße Zucken in ihr, das brustwarme Leben, die ganze Herrlichkeit der Hingebung in ihr, die ihn so oft überschauerte, wenn sie beim traulichen Kerzenlicht die Haare löste, sich entkleidete, ein Stück nach dem andern fallen ließ – eins nach dem andern.

Es streichelte über ihn fort, mit dem feinen Spielen einer züngelnden Flamme . . . und ein Duft umnebelte ihn, der war wie der starke Duft von schwülen Kartäusernelken, und schläferte seine Sinne ein mit dem Hauch von süßen Aromen.

Da glitt er über ihren Scheitel, küßte sie mit dem Kuß der Vergebung und meinte nach tiefem Schweigen: »Hendrintje, geh' auf die Kammer. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.« – – –

Das letzte Glühen des Tages verlor sich am Turmhelm von Sankt Nikolai.

Aloys tat einen langen Atemzug, den Atemzug der Befreiung.

Als der ›Engel des Herrn‹ über die Stadt läutete, suchte er die Gaststube des ›Waldlarnickels‹ auf.

Moritz erwartete ihn.

Er trat näher heran und setzte sich zu ihm.

Dann sagte er schmerzlich: »Moritz, ist das nötig gewesen?«

»Auch eine Frage,« versetzte der Riese. »Du wirst deine Gründe haben. Deine Augen sehen vielleicht schärfer als meine. Ich fühle: Freigesprochen ist freigesprochen. Das ist Gesetz. Das muß man in Rechnung stellen. Dem darf sich niemand entziehen. Auch ich nicht. Gratuliere, denn Irren ist menschlich. Die Hühner krakeln oft, ohne zu wissen, was sie eigentlich damit bezwecken. Weiber und Hühner . . . Na, überhaupt so. Hast du dein Glück und deinen Frieden wieder gefunden – mir soll es recht sein. Lelkes Wasser verkehrt sich oft in gutmütiges Wasser. Das lehrt die Erfahrung. Nur, so'n Schleusenwerk muß man unter Beobachtung halten und den Schleusenmeister besonders. Denn ich kenne welche, die sollte man an den ersten besten Schleusenpfahl knüpfen, den Kopf zu unterst, die Beine nach oben. Also – paß Achtung! und daß es geschieht: Aloys, drauf wollen wir uns ›eine‹ genehmigen, aber eine mit 'nem langhalsigen Proppen. Im übrigen: nix für ungut, mein Junge!«

Er schlug auf den Tisch.

»Holla, Markör! 'ne Bouteille mit Rotspon!«

 


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