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Hier lasset uns Hütten bauen. Benjamin noch immer zwischen Himmel und Erde, obgleich der Magister ins Zimmer rumpelt und scharf gegen umstürzlerische Ideen zu Felde zieht. Von Annalen und Regesten und den Emigranten im benachbarten Pfalzdorf. Desgleichen von einer beschaulichen Brautschaft und den Freuden des Ehestandes. Retardierende Momente. Ein Wechsel auf zukünftige Tage. Johanna in tiefer und doch schöner Bedrängnis. Die Rosen von Pästum unter einer sanften Kanarienrolle.
Hier ist es gut sein, hier laßt uns Hütten bauen.
Hier wohnte der Glaube, die starke Zuversicht, die Felsen verrücken, Ströme und Altwasser ablenken konnte. Ein tapferer, unbeugsamer Geist führte in diesen vier Pfählen Regiment und Zügel. Kein Stäubchen haftete den Dingen an, keine Fliege wagte es, ihre schmutzigen Punkte auf die Spiegelscheibe zu drücken. Hier wurden Unheilige heilig, Abwegige zielbewußt und Kranke gesund. In diesem Zimmer saß das Evangelium in einer beschaulichen Sofaecke, mit gescheitelten Haaren und die Hände gefaltet. Mit schmalteblauen Augen sah es auf die Straße hinaus, begrüßte alle, die vorübergingen, Ehrliche und Unehrliche, Gerechte und Ungerechte, und redete Sprüche der Weisheit und Duldsamkeit. Die Worte waren hart und brüchig, aber erbaulich. Wer sie hörte, segnete sich, nahm das Beste davon und ging getröstet nach Hause.
Es war so, als klänge es von den großblumigen Tapeten herunter: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.«
Evangelium Johannis, das erste Kapitel.
Benjamin Seraphikus Rückert kannte das Zimmer. Oft genug hatte er während seines zweijährigen Hilfspredigeramtes hier mit dem Alten sein Pfeifchen geraucht, sich Betrachtungen hingegeben, die sich mit politischen Angelegenheiten, den Nöten und Anforderungen der protestantischen Enklave und den jungen Setzlingen im Weinberge des Herrn befaßten. Das war jetzt anders geworden. Damals gab er sich unbefangener, vorurteilsfreier, stoischer, kühler, sah er die kleine Umwelt mit nüchternen Augen an, so wie sie war, in ihrer ganzen Schlichtheit und Aufmachung, nicht verfeinert durch die Brille des soeben Durchlebten.
Und dennoch: Benjamin wähnte bei einem regelrechten Wundermanne zu hausen.
Alles und jedes erschien ihm in einem ganz besonderen Lichte, gewissermaßen verklärt, illuminiert, mit einer Mandorla umkleidet, übersprüht von den zischelnden Garben und Sternchen eines bengalischen Feuers.
Das noch vor wenigen Augenblicken ihm Gewordene: das Strullen der rahmweißen Milch, die sanften himmelblauen Ziegen an den kristallenen Raufen, das fingerfertige Mädchen, die junonischen Formen, wenn auch schon früher erkannt, nur nicht in dieser übernatürlichen Darbietung, das Schreiben vom Rentamt, dessen verbindliche Form und gediegener, zukunftsfreudiger Inhalt ihm wie Selterswasserbläschen über den Rücken pritzelte – alles dieses machte ihn wirbelsinnig, erhob ihn zu höheren Sphären und bereicherte den einfachen Raum mit rosigem Filigran und fließendem Engelshaar.
Selbst die minderwertigen alten Kupfer, die gedrängt an den Wänden hingen, mußten es sich unter dieser Beleuchtung gefallen lassen, zu Meisterwerken des Grabstichels und der kalten Nadel zu werden. Der Baron van Klabasterboompjes hatte keine besseren Stücke. Die Stühle wurden zu Pfühlen des Maharadscha von Lahore, das Zimmer zu einem Traumgemach der Sultanin Scheherezade . . . und immer wieder tönte es von den großblumigen Tapeten herunter: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.«
Evangelium Johannis, das erste Kapitel.
Er trat ans Fenster und betrachtete die Fuchsien- und Geranienstöcke.
Welch rare Gebilde! Niemals hatte er solche Blüten gesehen, niemals im Leben. Es waren überirdische Blumen, Lilien aus dem Paradiese. Sie hatten Engelsgesichter, Augen und Wangen gleich seligen Jungfrauen.
Er musterte sie mit heiliger Inbrunst, mit den gütigen Blicken eines Asketen, als auch schon der alte Banning aus schweren Schuhen über die Dielen rumpelte.
»Sieh' da, Reverende . . .!«
»Zum Gruß, Herr Magister.«
»Schön, daß Sie da sind . . . aber zuvor muß ich sagen . . . denken Sie nur: war ich da bei dem neugebackenen Lehrer und Kantor. Vermeinte da seelenheiter den Geschichtsunterricht im alten soliden Schulstil zu hören, und was wurde mir anpräsentiert? Eine Maulschelle bekam ich. Das Blut siedet mir noch. Predigt da der Mensch seinen acht- bis vierzehnjährigen Rangen von knallrotem Tuch, pfropft neuzeitliche ausgefallene Reiser auf haltlose Stämme und tut so, als wenn umstürzlerische Begebenheiten zu dem Inventar eines abgeklärten Geistes gehören. Kurz, wenn es erlaubt ist, zu sagen: verhimmelt da den römischen Cato, den athenischen Kleon, Sattlermeister und Gerber, um mit Robespierre und Danton diesen demokratischen Unsinn auf die Spitze zu treiben.«
»Nicht möglich!«
»Und das vor diesen halbwüchsigen Schnösels! Zeigt ihnen da propter reverentiam das Messerchen Guillotins und den triefenden Hanfsack, statt ihnen die Glorie Preußens näher zu rücken; denn hat nicht hier in der Grafschaft bereits der große Kurfürst seinen Pflugsterz gehandhabt, nicht der König mit den stahlblauen Augen da drüben in Pfalzdorf den protestantischen Glauben vor Anker gelegt, nicht Friedrich Wilhelm von Seydlitz in hiesiger Gegend den ersten Atemzug geschnauft?! Herr, so fuhr ich ihn an, Ihre Eloquenz hole der Satan! Was Sie vorbringen, ist getrommelter Unsinn, und Ihr schwarzhaarichter Galimathias, um es mit Respekt zu sagen, stinkt nach Zwiebeln und Ochsenfladen. Wischen Sie diesen Unrat erst von Ihrem Mundwerk herunter, bevor Sie einen ehrsamen Magister abgeben wollen.«
»Brav so!«
»Preußische Geschichte, die sollen Sie lehren, echte vaterländische Gesinnung in die jungen Herzen versenken – das sollten Sie treiben. Lassen Sie die Bengels Ladestöcke verschlucken, Achtung vor Thron und Zepter besitzen. Dulce et decorum est pro patria mori! Solches ist der beste Mahlschatz hienieden. Aber was sagte der Kerl mir? Die jetzige Zeit proklamiert neue Ideen. Die Errungenschaften der französischen Revolution sind nicht spurlos an uns vorübergegangen. Auch in den Bauernköpfen, in den Seelen schuldloser Kinder mait es und tagt es. Die Göttin der Vernunft beginnt sich zu regen und streut ihren Samen. Liberté, égalité, fraternité ou la mort . . . das wollen sie haben, selbst wenn sie dafür ins Sägmehl niesen müssen. So dieser Prahlhans und grinste dabei wie ein neumodischer Affe. Da aber ich . . . und seine Stimme schmetterte mit der Gewalt eines englischen Flügelhorns: »Herr, machen Sie keine jungen Herzen zuschanden. Treiben Sie Ihre Pfleglinge nicht aus dem Weinberge des Herrn, nicht aus dem königlichen Tempel, um sie dafür in die republikanische Arena zu peitschen. – Mit Ihrer sogenannten Freiheit ist absolut nichts zu machen, mit Ihrer liederlichen Gleichheit werden keine Krammetsvögel, mit Ihrer demokratischen Brüderlichkeit keine Wachteln gebraten. Nur Thron und Altar gewähren die Freiheit, schützen die Gleichheit, lassen die Brüderlichkeit grünen. Das sei unser Evangelium bis zum letzten Atemzug, Amen. So, und nun können Sie mich bei Ihrer vorgesetzten Behörde verklagen. Ich erwarte das Ende.«
Benjamin staunte.
Seine aufgerissenen Augen blühten wie Sterne.
»Das haben Sie prächtig gemacht,« sagte er in tiefer Bewegung.
»Will ich auch meinen. Alles meinem Gott und meinem königlichen Hause zu Ehren. Ich kann nicht von heute zu morgen mein persönliches Ich in den Orkus versenken, nicht meine Gesinnung wie das Fell eines Wald-, Feld- und Wiesenhasen abledern, nicht in dieser Woche meinen Eid auf die bestehende Verfassung ablegen, um in der nächsten wieder die Schwurhand für 'ne andre zu heben. Heute weniger denn je, wo unruhige Köpfe sich unterfangen, mit unlauterer Schaufel auf der Tenne zu stehen und minderwertigen Erdrusch unter die Leute zu tragen. Quosque tandem . . .! Nur im verbrieften Gesetz, bei einer diktatorischen Faust, unter dem Zepter der preußischen Könige liegt das Heil und der Fortbestand eines wohlgeordneten Staates. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in obengemeldetem Sinne – rein lachhaft, utopisch. Käm' es dazu, wäre der Mensch ein verfahrener Karren, ein Garnichts, höchstens berufen, auf dem Bauch vor Seiner Majestät dem Pöbel zu liegen. Da bewahre uns Gott vor. Fertig! Genug von der Sache. Aequam memento rebus in arduis servare mentem. Und nun zu Ihnen, Carissime . . .« und die Hände des Alten legten sich dem bis in die innerste Seele Erregten schwer auf die Schultern.
»Also wirklich! Der liebe Gottesgelehrte beehrt so aus blauem Himmel herunter meine karge Behausung? Und das unter sotanen Umständen, zu dieser ungewöhnlichen Stunde? Da muß was passiert sein.«
»Ist es, Herr Banning: ich kann es nicht leugnen!«
Benjamins Stimme jubelte.
Er hatte im Überschwange seiner Gefühle Robespierre und Danton, das Messerchen Guillotins und den blutigen Hanfsack mitsamt den bedrohlichen Auslassungen des neumodischen Lehrers vergessen.
Der Alte aber rief mit dem Wohllaut einer siderischen Orgel: »Also der Jonkheer hat sich entschlossen?«
»Ja und nein, mein lieber Magister. Aber wenn ich so alles bedenke . . . Mit Gottes Fügung und Beistand scheint er gesonnen, meine innigsten Wünsche und Zukunftsträume dem rosigen Morgenlicht der Erfüllung näher zu bringen.«
»Näher zu bringen?! Schön, sehr schön! und wie ich annehme, ist es bereits petschiert und unterfertigt. Dann heraus mit dem Schriftsatz, auf den Tisch des Hauses damit,« und er wandte sich und rief durch die Türe: »Drei Tassen Kaffee, Johanna! Völlig gemessen. Der Adjunktus gibt sich die Ehre. Du wirst Erfreuliches hören. So!« und er drehte sich wieder auf seinen klobigen Schuhen herum, um sich mit seinem Gast zu befassen, ihn aufs Sofa zu komplimentieren und in gehobener Stimmung zu sagen: »Gedulden wir uns, bis meine einzige Tochter . . . Auch für sie dürfte es von einem gewissen Interesse sein, Ihren Expektorationen zu lauschen. Alles hat seinen regulären Gang. Es fällt kein Spatz vom Dache, es sei denn, der Herr wüßte darum, hielte es in seiner Allweisheit für opportun, besagten Spatz von der Rinne purzeln zu lassen. Nun weiß ich zwar nicht, was ich mit diesem Spatz anfangen könnte, denn es ist doch völlig belanglos, ob obengemeldeter Sperling sitzen bleibt, oder sich bemüßigt fühlt, auf den Boden zu stolpern. Aber es bleibt immer eine Sentenz, ein Brücklein geeignet, von einem Thema auf das andere überzuleiten. Oder, Reverendissime, sind Sie gegenteiliger Ansicht?«
»Keineswegs, Herr Magister. Derartige Sentenzen sind dienlich. Ich weiß das zu schätzen, besonders, wenn ich mich auf der Kanzel befinde.«
»Optime! und wenn es erlaubt ist zu reden . . . Falls meine Sinne mich nicht täuschen, sagten Sie noch vor einigen Tagen: Gott gab Euch eine wundersame Tochter. Ich bin nicht stolz und eitel darauf. Darf es nicht sein. Unter keiner Bedingung. Muß aber dartun: es liegt ein kleines Körnlein Wahrheit darinnen.«
»Ein bedeutsames Körnlein, dem ich noch hinzufügen möchte: diese Tochter scheint auch gesegnet mit irdischen Gütern,« und Benjamins Augen wanderten über das saubere Mobiliar in der Stube, noch immer so begehrenswert für ihn wie das des Maharadscha von Lahore. »Ein sichtlicher Wohlstand!«
»Mit nichten!« unterbrach ihn der Alte. »Herr Kandidat, da muß ich doch bitten. Ich und mein Haus wandeln nicht auf den Höhen bemittelter und habereicher Menschen. Wir sind keine Nabobs und Timokraten, nicht aus Peru oder Golkonda gekommen. Dafür aber mit anderen Dingen überreichlich gesegnet. Exempla trahunt! Drüben, mein Lieber, auf der sandigen Berglehne, die sich von Xanten bis nach Nymwegen hinzieht, liegt Pfalzdorf, meine engere Heimat, und wie Ihnen aus den Annalen und Regesten bekannt ist, wurde selbiger Ort Anno Domini 1741 durch Pfälzer Emigranten unter dem Protektorat des großen Königs von Preußen gegründet – bei schweren Mühseligkeiten, allzeit die Hand an den Pflug und die Blicke zum Allerhöchsten gerichtet. Arbeit, dein Name war Gebet und Entsagung! Einer dieser Exulanten nunmehr ist meines Blutes gewesen, ein Mann voller Gottvertrauen und Einfalt, stündlich bereit, Steine zu wälzen und die trockene Heide umzulegen . . . und als er durch Gottes Hilfe und Zutun, aber habelos und zerbrochen, den ersten Fuß bei Reeser Schanz auf Neuland setzte, wallfahrte er mit seinen Glaubensgenossen, mit Männern, Weibern und Kindern, mit Bresthaften und Nichtbresthaften besagter Hügellehne zu und sang dabei mit tönender Stimme:
Herr, wie du willst, ich schick' mich drein,
Bei dir will ich verbleiben,
Ich will auch gern den Willen dein
Geduldig unterschreiben . . .!
und setzte den ersten Spaten an, sichtete und rodete, säte und erntete, um für des Tages Ernst und Notdurft zu wirken. Ist auch alles gewesen. Arbeit und Gottseligkeit. Dies, Reverende, ist sein einziges Vermächtnis geblieben, solches auch das meine und das meiner alleinigen Tochter. Aber glücklich der Mann, der die Prüfung bestanden hat. Doch stille!«
Johanna brachte den Kaffee, jetzt im Sonntagsgewand, im dunklen Beiderwandrock, das Haupt erhoben, mit bescheidenem Goldschmuck, selbstgefällig, die junge Brust wie eine sanfte, aber doch merkliche Dünung unter einem Gewirr von Spitzen geborgen – und als sie eingeschenkt, Sahne und Zucker dargereicht hatte, den offenen Blicken des Kandidaten mit ihren samtbraunen Augen ruhig begegnet war, räusperte sich Kosman Theophil Banning und sagte: »Johanna, wenn es erlaubt ist zu reden . . . Unverhofft ist ein Wörtlein von tiefster Bedeutung. Dem einen schlägt es zum Guten, dem andern zum Nachteil aus. Vielfach jedoch kann es der Würdige mit ›preislich‹ bezeichnen. Das ist nun hier der Fall. Der Herr Adjunktus befindet sich nämlich in einer gehobenen Stimmung, für die man schicklich noch ein prägnanteres Epitheton ornans einsetzen könnte, und wenn ich richtig vermute, möchte er diese gehobene Stimmung auch auf uns übertragen. Selbstverständlich – wir sind ihm dankbar dafür, nehmen wir doch regen Anteil an allem, was seine Person betrifft und dazu beiträgt, seine jetzige Position in höhere Sphären zu rücken.«
»Ja,« pflichtete Johanna ihm bei, »schon lange warten wir auf einen ersprießlichen Ausgang, und allen hiesiger Kirchengemeinde ist es unverständlich, daß er bis zum heutigen Tage . . .«
»Greifen wir nicht vor,« unterbrach sie der Alte. »Ab ovo usque ad mala ist eine lange Strecke zurückzulegen. Also, Reverende, ich bitte.«
Benjamin, sichtlich bewegt und noch immer unter dem Banne der schönen Galactine und der himmelblauen Ziegen stehend, entnahm das Schreiben mit hastigen Fingern seinem schwarzen Habit und hub an, mit einer gewissen Erregung zu lesen: »An den Predigtamtskandidaten Herrn Benjamin Seraphikus Rückert dahier. Gruß und geziemende Ehrerbietung zuvor. Mein gnädiger Herr und Gönner, der hochwohledle und hochwohlgeborene Baron Dirk Negels van Klabasterboompjes, Erbherr aus Aldekerk, haben sich bewogen gefühlt . . .«
»Was hat der Erbherr?« fiel Banning mit gerunzelter Braue dazwischen.
»Haben sich bewogen gefühlt . . .«
»So, so!«
»Sie am 28. hujus,« las Benjamin weiter, »auf sein Schloß zu entbieten . . .«
»Gewillt, sich mit Ihnen wegen der vakanten Predigerstelle in hiesiger Kirchengemeinde ins Einvernehmen zu setzen. Ich ersuche Sie daher . . .
»Ersuchen, ersuchen?!« echote Kosman Theophil Banning und hing seinen Worten einen schweren Magisterseufzer an. »Ich habe nichts mit einem Robespierre- und Dantonschwärmer gemeinsam, noch weniger mit einem Verfechter ihrer sogenannten Freiheitsideen, aber dieses dürfte doch nach Leibeigenschaft schmecken. Also wirklich ›ersuchen‹?«
»Ja, ersuchen, Herr Kantor. Wohl nur die übliche Redeweise vornehmer Herren, ein Kurialstil aus verflossenen Zeiten . . . und da ich mich nur als Petent und gewöhnlicher Laie betrachte, meine Bescheidenheit mir nicht immer gestattet . . .«
»Herr, zäumen Sie den Karrengaul nicht am Schwanz auf,« donnerte Banning. Die kurfürstliche Nase schnupperte erregt durch die Luft. »Das Wort Gottes hat auf hohem Berge zu stehen und weithin zu leuchten. Wer es mit einem irdenen Topfe bedeckt, sei es aus Bescheidenheit oder aus einem anderen Grunde, bringt sich um Ehre und Reputation und das Ansehen des auserwählten Priesterstandes. Aber man weiter.«
»So ersuche ich Sie, sich punkt zwölfe obengemeldeten Tages zur Audienz ohne besondere Formalitäten zu melden. Im Auftrag: Rinse van Bommel, Rentmeister auf Aldekerk, Ritter des Ordens vom niederländischen Löwen am blauen Bande mit der Devise: Je maintiendrai.«
»Je maintiendrai ist gut,« lachte der Alte.
»Wie meinen Sie?«
»Oh! ich meinte bloß so. Rinse van Bommel und der niederländische Löwe passen zusammen wie Hase und Trommelfell, und ich möchte nur wissen, wie er es fertig brachte, sich die Gunst Seiner Majestät des Königs von Holland ins Knopfloch zu fingern. Im übrigen aber« – und die Hand des Sprechers fuhr seinem Partner schwer auf die Knie – »seien Sie zufrieden, Reverende. Der Nußknacker ist da, um die Walnuß zu brechen. Es ist vieles erreicht, sehr vieles, aber beileibe nicht alles. Sotane Angelegenheit bedarf noch des Hammers und der Feile. Sie haben das Eisen zu schmieden. Mir steht immer das geflügelte Wort vor Augen: Credat Judaeus Apella. Ich kenne den Jonkheern. Er ist ein geschmeidiger Mann, einer von denen, die das Gras wachsen hören, und solche sind mit Winkelzügen behaftet.«
»Aber Vater, man sollte doch annehmen . . .«
»Gewiß sollte man dieses, und ich versteife mich nicht darauf, das Niedergelegte ohne weiteres von mir zu rücken. Eine Edelmannsparole hat noch immer gegolten. Nur, Reverende, es ist Obacht geboten. Möglich, seine Präsentation verknüpft sich mit einem niedlichen Puderquästlein . . . einer gewissen Klausel . . . einer verzwickten Bedingung, von der ich zurzeit noch nicht weiß, wie sie sich auswirken dürfte.«
»Wollen Sie nicht deutlicher werden, Herr Kantor. Ich verstehe so recht nicht. Ihren Worten haftet etwas Sibyllinisches an, etwas Dunkles und Wehes, mehr oder weniger dazu angetan, einen ängstlich zu machen.«
»Was ängstlich?! Utopien! Mit Ängsten hat sich kein veritabler Mann zu befassen. Nein, mein Bester – sine ira et studio: keinem zu Liebe und keinem zu Leide. Ich bin nur ein schlichter und einfacher Sterblicher, auf trockener Ackerkrume fußend, ohne die feineren Usancen und Spitzfindigkeiten des Lebens verkostet zu haben. Ohngeachtet dessen habe ich meine Erwägungen stets auf den diesbezüglichen Schleifstein gebracht, um sie weidlich zu schärfen. Principiis obsta! Herr Kandidat,« und er nahm die Hand wieder von dem Knie seines Gastes, »große Herren belieben zu geben, mit einer offensichtlichen Pose zu geben . . . mit Vorbehalt . . . mit einer versteckten Reserve. Ein Schnirkelschneckchen, eine Gegenleistung ist damit vielfach verbunden. Vielfach, nicht immer. Aber nehmen wir an, setzen wir die Möglichkeit voraus . . . und sollte sich dabei ein Sauschwanz ergeben, dann bitte: seien Sie ein Mann, ein Josua, der die Amoriter schlug mit der Schärfe des Schwertes. Packen Sie zu und exstirpieren Sie diese Gegenleistung, diesen Sauschwanz fundatim. Wer im Glanze Jerusalems stehen will, muß auch den Mut aufbringen können, den Rauchaltar zu bedienen und mit den silbernen Schellchen eines Leviten zu klingeln.«
Dabei machte er ein Gesicht, als sei er gewillt, das Messer für die vorgeschlagene Operation auf den Tisch des Hauses zu legen.
»Indessen,« fuhr er gemäßigter fort, »schütten wir das Kind nicht mit dem Bade aus. Gewißlich: in aristokratischen Köpfen nisten oft seltsame Vögel. Was sie aushecken, ist oftmals schwer zu bestimmen. Es können delikate Entvögel sein, aber auch unnütze ölige Rohrhühnchen. Doch abgesehen hiervon: manches ist erreicht, und falls Sie noch mit kernigen Worten Ihre wohlbegründeten Ansprüche vertreten, dürfte aus dem ordinierten Adjunkten ein gesetzter Prediger herausspringen, zu Ihrem Heile und dem unseres protestantischen Gemeindewesens.«
»Das füge der Himmel!« seufzte Benjamin, wobei er Gelegenheit nahm, einen liebevollen Blick über Johanna streifen zu lassen.
»Dann aber, Carissime,« hieb der Alte blitzsauber nach, »nicht lange gefackelt. Ich für meine Person will nicht allzeit auf einem und demselbigen Hammel herumexerzieren, nicht immer das Thema berühren, das ich noch vor wenigen Tagen auf Ihrem Zimmer des längeren ausführte. Das Wiederkäuen gehört nicht zu den menschlichen Errungenschaften, ist in jeder Beziehung ein Anhängsel tierischen Bestehens; im Hinblick jedoch auf den abgeschiedenen Paster hujus loci . . . Selbiger blieb zeit seines Lebens leider ein Eigenbrödler, ein verstockter Zölibatär, ohne der Wohltat einer ordnenden Hand teilhaftig zu werden. Ehre seinem Angedenken. Aber, aber Herr Kandidat, er liebte es, in der Finsternis seine Gedanken zu spinnen, höchstens bei einer trübseligen Rübsenöllampe die Fäden einer sonntäglichen Predigt ineinander zu haspeln, und siehe: sie roch nach Docht und Lichtputzschere und hatte nicht den Gesang eines freien Waldvogels an sich, nicht das Walten und Schalten eines freundlichen Wesens. Oh!« und seine Stimme gefiel sich in dem Klang einer siderischen Orgel, »wie schön ist die Ehe, wie erhaben über die Maßen! Sie mildert die Sitten, säubert das Bücherrepositorium und läßt eine Predigt mit dem Wohllaut einer Lerche in den Himmel hineinklettern. Nun aber die Kehrseite der Medaille, besonders in Anwendung auf die jüngeren Kleriker! Denken Sie an. Ich habe mal in einer alten Chronik gelesen, und wenn es erlaubt ist . . .«
Er stockte und sah auf den Boden, als wenn eine höhere Kraft ihm geböte, die letzten Triarier für seine Beweisführung in den Dielenritzen mobil zu machen und sie zum Kampfe aufzurufen.
»Darf ich, Carissime?«
»Aber ich bitte, Herr Kantor.«
»Da las ich: Bei der Ehelosigkeit dieser jungen Kleriker, ihrer ungebundenen Freiheit und der geringen Delikatesse im wechselseitigen Benehmen der Geschlechter kann man von Stunde zu Stunde die Gradationen wahrnehmen, die unvermittelt in den Abgrund eines verfehlten Lebens hineinführen. Und wer lockt in die Tiefe? Bacchus und Venus, und wisset: ersterer löset nur zu oft die schwach gebundenen Zungen, letztere die ebenso lockeren Gürtel . . . In einer ersprießlichen Ehe jedoch . . .«
Benjamin unterbrach ihn mit einem freudigen Aufschrecken.
Seine Lippen bebten, seine Augen glichen feurigen Zungen.
»O ja, Herr Magister, ich verstehe, höre genau und sehe Neuland auftauchen. Ihre Worte schmecken wie Manna, und sagten Sie nicht vor einigen Tagen: Ein Weib ist wie ein Rebstock über der Türe? Nicht Christoph Martin Wieland, aber Wolfgang von Goethe, dieser Liebling der Götter und der Musen, wußte dieses Axiom in die zuständigen Worte zu kleiden, ihm Myrrhen und Honigseim unter die Zunge zu legen. Wie redet doch der junge Bruder Martinus im Götz? Ja so: Wohl dem, der ein tugendsam Weib hat! Des lebet er noch eins so lange. Ich kenne keine Weiber, und doch war die Frau die Krone der Schöpfung.«
Der Alte knarzte: »Na also!«
Und Benjamin: »Ich dachte daran. Es ist mir nicht aus den Sinnen gekommen. Aber dann wieder: Wo ist ein solches Wesen zu finden?«
»Oho!« fiel der Alte lachend ein, indem er sein eckiges Kinn mit Daumen und Zeigefinger schabte und zupfte, »ich höre die Nachtigall laufen . . . und setzt da nicht Meister Löffelmann seine Pfähle und Kegel?! Dieserhalb brauchen wir uns keine grauen Haare wachsen zu lassen. Dem wäre leichthin beizukommen,« und mit einem Ruck warf er sich auf die andere Seite: »Nicht wahr, Johanna, darüber ließe sich reden?«
Die Angerufene gab keine Antwort. Totenblaß vor Erregung, wagte sie nicht aufzuschauen. Ihre junge Brust aber suchte die Heftel zu sprengen, die ihr Spitzentüchlein faßte. Sie sah in den Schoß, und ihre Augen standen voll Tränen.
In diesem erhabenen Augenblick fühlte sich der gesunde Zölibatär aufs neue in das Reich der Fee Kristalline versetzt. Er sah das Milchmädchen wieder, den rubinenen Melkeimer, die gläsernen Raufen. Er hörte die silbernen Schellchen der himmelblauen Ziegen, das Strullen der Milch, das melodische Meckern . . . und mußte nun wahrnehmen: Galactine und Johanna waren ein und dieselbe.
Prinz Biribinker!
Sein Geschick erfüllte sich.
Schon wollte er sprechen.
Er legte hierzu die große, aber doch wohlgestaltete Hand auf die Herzgrube und tat einen Seufzer, so recht aus tiefstem Grund seiner Seele, gewillt, eine schöne und bindende Verlobung in die Wege zu leiten, als Johanna unvermittelt aufstand, ihn gütig ansah, um höchst beseligt, wenn auch schmerzlich bewegt, sich unter irgendeinem Vorwand zu verabschieden.
Hinter ihr seufzte die Tür ein.
Benjamin sah ihr nach wie ein Gerbermeister, dem alle Felle wegschwammen.
»Oho! Nicht so stürmisch, Reverende,« schmunzelte der Alte, »nicht zu stürmisch, Geliebter. Alles mit Maßen. Rom wurde nicht in einem Tage gebaut, auch nicht der Tempel von Ephesus, geschweige denn eine gedeihliche Brautschaft. Sie müssen zuvor die Eierschalen eines ordinierten Adjunkten hinter sich haben.«
Er lachte.
»Jawoll, das müssen Sie haben. Wer Hahn werden will, befleißige sich in oberster Linie des Krähens. Erst aus dem gröbsten heraus, und dann in das Licht der allbelebenden Sonne. Propter reverentiam: seien wir weise, gefügig und duldsam. Ihre Aussichten scheinen mir wohlfundierte zu sein. Sie werden und müssen zur Reise gelangen. Aber vorsichtshalber bemerkt: nur im Ehrengewand eines angestellten Predigers werden Rosen gebrochen.«
Kosman Theophil Banning gab sich mit dem salbungsvollen und einschmeichelnden Wesen eines Bischofs in partibus infidelium.
Seine Lippen trieften von Myrrhen und sonstigen Spezereien.
Benjamin sah das alles und fühlte das alles.
Mit offenen Augen stand er vor dem Wunder der Liebe.
Seine Seele beugte sich, klebte am Boden, und doch: seine Seele wurde gen Himmel getragen.
Er griff nach der Hand des Magisters.
»Lassen wir uns Freunde sein, Freunde für immer. Wie köstlich und zukunftsfreudig sind Ihre Worte gewesen, wenn auch mit Einschränkungen, die ich vollauf verstehe. Auch hierfür bin ich dankbar, und gerne und willig füge ich mich Ihren weisen Anordnungen. Nur im Ehrengewand eines Priesters darf ich meine Hände erheben. Ich harre und warte, und warten und harren will ich, bis ich wert und würdig bin, Rosen zu brechen.«
Und er lispelte ernst vor sich hin: »Rosen! Flammendrote und weiße Rosen . . . Rosen von Pästum . . . Rosen von Pästum . . .!«
Dann verstummte er plötzlich.
Der Kanarienvogel aber nahm das Wort wieder auf und klingelte in einer seltsamen und verwunschenen Rolle: »Rosen von Pästum . . . Rosen von Pästum . . .!« und zwei glückliche Menschen saßen noch lange beisammen.