Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Széchenyi und Nagy.

Wenn ich zu diesen beiden Namen noch die Ladislaus Pyrkers, Kisfaludi's, Himly's genannt, wenn ich des Reichskanzlers Reviczky gedacht, von den thätigsten Patrioten Georg Andrásy, Georg Karolyi, Bathyányi, Bezevédj, Csapó, Esterházy, Festetits, Keglevics, Somsich, Vay, Wesselényi namentlich aufgeführt, und als überaus erfahrenen, sanften, liebevollen Steuermann den Palatin, Erzherzog Joseph erwähnt habe, so steht das moderne Ungarn in seinen Hauptäußerungen vor uns.

Es hat seine neuen Interessen, seine neuen Zustände, seine neue Politik, neue Poesie wie das übrige Europa, aber das Mißverständniß wird unlösbar, wenn man dies Alles so ohne Weiteres 211 mit gleichen Voraussetzungen und Folgerungen dem übrigen sogenannten Modernen parallelisiren will. Was wir veraltet, was wir neu, was wir Bestehendes, was wir Opposition nennen, das wirrt und kreuzt sich in Ungarn auf eine ganz andere Weise. – Jahrhunderte lang war die Opposition in Ungarn für das Alte, Unwandelbare, und Oesterreich trat als Repräsentant des Modernen auf, die Opposition focht für eine vergelbte, lateinische Freiheit oder Herrschaft, Oesterreich für zeitgemäßere Form. Daß Letzteres nicht irgend einem humanistischen Naturrechte zu Gefallen sich ereignete, sondern aus gesunden, dynastischen Interessen, versteht sich von selbst. Um so merkwürdiger ist die Erscheinung, um so interessanter die Ironie der Situation, daß diese Zustände ihren Höhepunkt erreichten unter Joseph, welcher nach raschen Herzenstheorieen den Staat organisiren wollte, ein Vorläufer der Constituante. Er ignorirte die ungarische Verfassung und Nationalität im Interesse der Freiheit und einseitiger Emancipation; aber das entsetzte die Ungarn 212 eben so. – Heutiges Tags sagt der Magyar über Joseph II.: Sein Dasein war drückend, sein Dagewesensein ist gut.

Auch in Ungarn hat die französische Revolution moderne Interessen, Wünsche, Beziehungen geweckt, nicht plötzlich, nicht äußerlich. Eine gewöhnliche Parallele fand gar nicht statt: in Frankreich stand man gegen Adel und Geistlichkeit und gegen die hohen Steuern auf; in Ungarn war der Adel das Land, er und die Geistlichkeit zahlt keine Steuern, was nicht Adel ist, ist auch faktisch kein Moment des Landes. In Frankreich war ein verhaßter Hof, in der Burg zu Wien aber wohnte Kaiser Franz, den der Ungar besuchte und liebte, wie seinen Vater.

Der Abt Martinovics mit einigen stiefellosen Edelleuten, wie man die pauvre Gentry in Ungarn nennt, traten zwar 1795 zu einer Verschwörung zusammen, aber das war eine vereinzelte Erscheinung, die erst dadurch wichtig wurde, daß man die gesetzlichen Formalitäten überging, und hierdurch 213 dem Tode dieser Menschen einige Theilnahme erweckte.

Während der Franzosenkriege hielt Ungarn treu zu Oesterreich, Napoleon gestattete keine Zeit, über Konstitution und Operate zu verhandeln, die sogenannte Insurrektion des Adels, dieß ist das stehende Aufgebot, in welchem bis dahin aller Stolz und Trotz des Ungarns gelegen hatte, wurde in dem Getümmel ebenfalls über den Haufen geworfen: in der Schlacht bei Raab nämlich erlitt es eine schmähliche Niederlage.

So wurden allmählig die wichtigsten, inneren Institute einzelnen Ungarn fraglich, die Konstitutionszeit Europa's vom Jahre 1815 an hatte wohl auch ihren Einfluß geäußert, kurz, auf dem Reichstage der Jahre 25 – 27 sehen wir eine moderne Opposition in Ungarn, an deren Spitze Paul Nagy und Graf Széchenyi stehen, welche die geschichtliche Nothwendigkeit nicht bevorzugt sehen will neben den Vernunftanforderungen des Zeitbedürfnisses. Nur die Weisheit des Palatin leitete den Ungestüm des 214 ersten Angriffes ab, und brachte eine erfreuliche Ausgleichung zu Stande.

Hier findet sich nun einige Aehnlichkeit mit den Interessen unserer Staaten, aber auch von hier an ist ein Schematisiren noch immer sehr schwer, und die Reformen, welche auf dem Reichstage von 25 bis 27 beantragt wurden, und um welche sich noch der jetzige Reichstag bewegt, sind keineswegs ohne Weiteres der sonstigen Opposition in Europa an die Seite zu stellen.

Die Hauptpunkte betreffen Folgendes: Ein Theil Dalmatiens und der dalmatinischen Inseln soll Ungarn einverleibt werden, eben so ein Grenzdistrikt Siebenbürgens; sogar Galizien und Lodomerien wird gleicher Weise beansprucht. Der Salzpreis soll verändert, die ungrische Hofkammer faktisch unabhängig gemacht werden von der kaiserlichen; die ungrische Sprache soll mehr begünstigt werden, ein Punkt, wo Oesterreich mit der größten Liberalität entgegenkommt.

215 Ferner: Die Verleihung der Fiskalgüter weniger dem Meistbietenden als dem Verdienteren zu gewähren, gegen anonyme Angeberei strenge Gesetze zu erlassen, vor Allem aber – und dieß ist ein Lebenspunkt – das Mauth- und Handelssystem auf strenge Reciprocität mit den übrigen Erbstaaten zu basiren.

Die Ungarn wollen auch Schlagbäume gegen Oesterreich haben; es ist ihnen der Wahrheit gemäß erwidert worden, daß dieß mit dem Systeme der Monarchie nicht übereinstimme – monarchiae systemati haec non congruere – und dieß hiermit angeregte Verhältniß, was alles Bisherige in Frage und auf die Spitze stellt, erheischt die größte Umsicht und Billigkeit von beiden Theilen.

Nur die exaltirten Ungarn verlangen übrigens eine unbeschränkte Handelsfreiheit, welche bei den sonstigen Zuständen für die übrigen Erbländer lebensgefährlich wäre, die besonnenen erklären bereits: Ungarn ist nicht mehr garçon, unsere politische Ehe mit den Erbstaaten ist in Sakrament.

216 Es ist zu verhoffen, daß sich Auswege öffnen werden.

Paul Nagy gilt für den beredtesten Deputirten der Opposition.

Der thätigste Ungar in Sachen moderner Industrie und sonstiger Anregungen ist seit mehreren Jahren der Graf Széchenyi, – sein ganzes Leben ist auf Erweckung von Nationalität, Thatkraft und Einigkeit unter den Ungarn gerichtet. Dieß versuchte er besonders durch Schriftstellerei: zum ersten Male ist durch ihn die ungarische Sprache zu Witz, Sarkasmus, geschmeidiger Prosa gebraucht worden; er ist als vorzüglichster Stifter der »sprachbildenden Gesellschaft« zu betrachten; für die Ausbildung der ungarischen Sprache hat er eine Stiftung von 60,000 Gulden Conventionsmünze gemacht, was zu irgend einer ungrischen Thätigkeit erweckt werden kann, das erweckt er, er ist jetzt das bewegende Element des Landes.

Ein gewisses sanguinisches Zuviel ist oft bei ihm zu finden, er schreibt über juridische Gegenstände, 217 und gesteht, daß er darin Dilettant sei, er versichert bei jeder Gelegenheit: wenn Ihr dieß oder dieß thut, so werdet Ihr steinreich, sein Calcul ist nicht immer sehr streng, – aber er wirkt rastlos. Das Wettrennen, das Casino in Pesth, die Dampfschifffahrt auf der Donau sind von ihm gegründete Einrichtungen; er ist es, welcher den endlichen Bau einer stehenden Brücke bei Pesth betreibt, der jetzt mit Sprengung der Felsen beim schwarzen Thore beschäftigt ist. Das Gelingen dieser beiden Unternehmungen ist von unberechenbarer Folge: wegen Mangels jener Brücke ist die Kommunikation zwischen West- und Ostungarn im Wesentlichen oft Monate lang gehemmt, sobald der Winter die Existenz der Schiffbrücke nicht gestattet; Ofen und Pesth sehen sich über den breiten Strom wie getrennte Welttheile an, die Zahl derer, welche von Nothwendigkeit gedrängt, sich mit dem Kahne übersetzen lassen, und welche verunglücken, ist betrübend groß, und jene schwarzen Thore machten die Beschiffung der Donau bis ins schwarze Meer äußerst bedenklich.

218 Aus diesen geringen Andeutungen ist zu erkennen, von welcher unschätzbaren Wichtigkeit der Graf Széchenyi für sein Vaterland ist. Er hat in der Jugend mit Auszeichnung im kaiserlichen Heere gedient, und dann auf Reisen, besonders in England mannigfache Bildung erstrebt; – der Name Széchenyi ist übrigens alt in der ungrischen Geschichte durch Patriotismus und Opfer: der Primas Georg Széchenyi verwendete unter Leopold I. drei Millionen auf geistliche, literarische und militärische Stiftungen, sein Neffe Paul war Friedensvermittler mit Rákóczy, Franz, der Vater des jetzigen, ist der Stifter des ungrischen Museums, das er mit seiner unschätzbaren Bibliothek, Münzen und Antikensammlung dotirte; – wenn sich also der Adel einer Familie forterbt und äußert, dann ist allerdings wie hierbei zu sagen: der Name Széchenyi ist ein Kulturmoment des Landes. 219

 


 


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