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Es bleibt immer etwas sehr Mißliches, Allgemeinheiten über ein Volk oder Land zu sagen, mit einigen kurzen Gedankenformeln eine solche millionenfache Existenz zu definiren.
Je bestimmter, ausschließlicher das Wort, desto größer ist der Irrthum, auch wenn das Wort von Wahrheit überfließt; so lange unser Wissen nicht um und um erfüllt ist, oder mit andern Worten, so lange wir Menschen bleiben, werden wir die Mannigfaltigkeit der Welt nicht in ein Urtheil zusammendrängen, es ist unser Geschick, immer auch gute Pflanzen mit dem Unkraute auszureißen.
Dieß soll hierbei in Bezug auf das Vorhergehende eingeschaltet werden, und auch den folgenden 185 Strichen über Ungarn zu Gute kommen. Es ruft zugleich eine bereits oben erwähnte Lieblingsmeinung der Wiener zurück, und schattirt selbige, die Meinung nämlich, daß nur derjenige richtig über Oesterreich schreibe, der allen Oesterreichern gefalle; denn sie setzen voll guten Muthes voraus, daß nur das richtig sei, was äußerst gefällig erscheine. Es charakterisirt ihre nationale Eigenthümlichkeit, daß sie immer und ewig des einfachen Glaubens bleiben, eine Nationalität ließe sich portraitiren wie ein Baum.
Mehr als eine Intuition kann und soll nicht gegeben werden.
Als ich auf den Donaukahn stieg, um mich von den schnellen Strömungen dieses Flusses hinabtragen zu lassen in das sonnengelbe Land, da war mir's um nichts mehr und nichts minder, als um einen solchen Einblick zu thun; ich sah mich vorübergleiten an den stolzen Uferfestungen, sah unser Schifflein todesbedroht dahinpfeifen zwischen den engen Felswänden der südungarischen Donauthore, sah 186 mich hinabschwimmen auf dem wieder breit und ruhig gewordenen Strome in's schwarze Meer.
Das ist mir nicht gelungen, und ich muß mit unvollständigeren Erfahrungsmitteln versuchen, eine Anschauung dieses Landes zu erschaffen.
Die Geschichte eines Menschen erklärt sein Gesicht und umgekehrt – vielleicht führt uns der halbe Reim dieser Worte auf die Bemerkung, daß überhaupt alle Reime eine gegenseitige innere Beziehung und Verwandtschaft ausdrücken.
Die ungarische Geschichte strotzt eben so von Kontrasten wie das Land heutigen Tages.
Das Land wurde früher von Daciern, Jazygen, Pannoniern bewohnt. Wie überall hin, so kam auch an die Donau das Römervolk; ein grelles Bild jener Völker und Kriege gewähren besonders die Kämpfe an der Oberdonau. Marc Aurel lieferte einmal im Marcomannenkriege den Jazygen eine Schlacht auf dem gefrorenen Flusse, deren glücklicher Ausgang ihm 100,000 römische Gefangene zurückgab. – In einem früheren Kriege ließ er 187 zwei Löwen als Vorposten und Schreckmittel durch die Donau schwimmen – sie wurden als große Hunde todt geschlagen. – Dauernd wurde die Wildheit dieser Völker und Länder auch von den Römern nicht bezwungen, und als die Völkerwanderung losbrach, wurde Ungarn der eigentliche Markt, die Schenke dieser asiatischen Völkerschaften. Der Arm der Gothen reichte von hier aus südlich bis Byzanz und westlich bis Rom. Hier von Ungarn aus rüstete Attila seine ungeheueren Reiterzüge nach Gallien und Italien; hier hielt er seinen hölzernen Hofstaat, hierhin zog der Nibelungensiegfried; hier soff sich der garstige, charaktergewaltige Etzel in einer kühlen Nacht zu Tode. Es folgten die Longobarden, und als diese nach Oberitalien gingen, die Avaren. Von den Letzteren stammen die großen »Ringe,« die meilenweiten Erdfestungen, von denen jetzt noch Spuren, in welchen ganze Stämme wohnten und sich gegen die stolzen Franken vertheidigten.
Im neunten Jahrhunderte kamen aus dem mittlern Asien, die eigentlichen Ungarn, nahmen das 188 Land in Besitz, und nannten es Magyar Ország. Diese Magyaren scheinen wie die Polen eine glänzende Heroenvölkerschaft in Asien gewesen zu sein – Gott weiß unter welchem Palmen- oder Zedernwalde ihre Zelte gestanden sind, die Historiker wissen's nicht – es ist ein schöner Menschenschlag von der cirkassischen Raçe. Man stößt noch auf hundert neue Volkszusätze in diesem Lande, aber noch heute ist der reine Magyar zu erkennen am dreisten asiatischen Blick, an der saftigen Gestalt.
Auf den Grenzen siedelten sich nach und nach allerlei Völker an, die immer tiefer eingedrungen sind, und auf diese Weise ein beispielloses Gemisch hervorgebracht haben. Es kamen Slaven, Deutsche, Italiener, Kroaten, Bulgaren, Walachen. Vier Hauptstämme umfassen jetzt die meisten Spielarten, zuerst: wirkliche Ungarn, deren man ungefähr vierthalb Millionen annimmt. Unvermischte Exemplare giebt es freilich viel weniger, obwohl sich der Magyar immer als Herrn und Sultan gerirt, und nur den Magyar sich ebenbürtig gehalten hat. Der 189 Gute ist zu sehr den Leidenschaften unterworfen, um nicht über den Stamm hinaus zu lieben. Die sinnliche Liebe ist ihm so national, daß er bei'm Gastmahle, süßen Tokayers trunken, für den Gast keinen bessern Wunsch weiß als: Wünsch' ich Ihnen noch mit 80 Jahren eine kräftige Liebe zu schönem Mädchen!
Der Magyar wohnt in der Ebene, er ist ein Reiter, das Gebirg ist ihm zuwider, die Stadt fremde, er sucht sie nur etwa, um mit »gutem Freunde« ein Glas zu trinken, und sich Zeitungen erzählen zu lassen.
Zweitens: Slaven, die zahlreicher sind als die Ungarn, und in zahlreiche Nebenzweige sich zersplittern.
Drittens: Deutsche, Sachsen und Schwaben genannt, Städtebewohner, im ganzen Reiche zu finden. Vor 900 Jahren hatten die Ungarn einen so gewaltigen und für uns unangenehmen Zug nach unsern Gegenden und Fleischtöpfen, daß wir sie 190 todtschlagen oder fortjagen mußten; seit neunhundert Jahren aber belohnen wir diese Zuneigung mit Einwanderungen in Ungarn, mit Unterwerfung und Beherrschung des Landes. Ein historisches Visitenverhältniß.
Von den Deutschen werden die sogenannten »Schwaben« am Ersten Ungarn, oft schon in der zweiten Generation, nur die Schnurrbärte bleiben noch eine Zeitlang blond, und die Energie steigt noch nicht so schnell zu Pferde.
Der vierte Hauptstamm, der Walachische, wohnt im Süden, und leitet seinen Ursprung direkt von den dacischen Römern her, seine Sprache ist noch halb lateinisch, und sie nennen sich selbst Rumunyi. Es ist ein tüchtiges, durch Sklaverei verdorbenes Volk.
Zigeuner giebt es zu 30,000 zerstreut im Lande. Sie ziehen mit der Geige und ihrer verschmitzten Galanterie auf Hochzeiten umher und machen die Musikanten, Rathgeber und Wahrsager. – Was 191 hat man sich für Mühe gegeben, dieser Völkerschaft eine ursprüngliche Heimath zu suchen! Am Ende hat man's bei Egypten beruhen lassen, weil denn einmal das Dunkelbraune, Geheimnißvolle, Halbgarstige dort zu Hause ist. Der Franzose, der bekanntlich erst durch Napoleons Kriege Geographie gelernt hat, besitzt noch aus der früheren Zeit eine hübsche Abwechselung für die Zigeunerin: wenn nicht Egyptienne, so nennt er sie Bohémienne. Als ob Böhmen und Egypten so von einerlei Kaliber wären. Das europäische Heimatsland der Zigeuner anlangend, könnte er sie gewiß richtiger Hongarienne benennen; hier haben diese unmosaischen Juden ihr europäisches Absteigequartier. Unglücklich Volk! Es mag irgend ein verirrter Stamm seyn, der bei den letzten Zuckungen der Völkerwanderung hereingeschleudert worden ist in unsern Welttheil, den nomadischen Jugendtik, die bequemen Anschauungen über Eigenthum mag er nicht lassen, und so bleibt er mit dem schwarzbraunen Gesichte, den südlichen Ringen um die Kohlenbrand-Augen, mit 192 der wilden Geschmeidigkeit seiner Gliedmaaßen ein einsamer, geflohener Fremdling unter uns.
So mannigfache Reste finden sich in diesem Ungarlande, das einer alten Speisekammer gleicht, in welcher von den großen Völkergelagen Allerlei übrig geblieben ist.
Wir jammern mit Recht, eine ausgestoßene Klasse unter uns zu sehen, ein Geschlecht der Parias, die Juden; Ungarn hat deren vier: Juden, Zigeuner, Walachen und Ruthenen. Letztere sind ein verwahrlos'ter slavischer Stamm. –
– Der Magyar ist von seiner Einwanderung an der Herr geblieben. Sein Herzog Stephan hat im Jahre 1000 das Land zum Königreiche arrondirt, Siebenbürgen, was bis dahin einem besonderen ungarischen Stammhaupte Juhutum gehörte, unterworfen. Sein tüchtiges Regiment hat den Namen Stephan geheiligt, und Mantel, Strümpfe und Schuhe von ihm sind noch heute Reichskleinodien. Ich kann nicht verbürgen, ob diese 193 Kleidungsstücke seit 800 Jahren ohne weiteres Zuthun konservirt sind, bekanntlich hatten ja aber alle Heiligen eine sehr dauerhafte Garderobe.
Unter Ladislaus und Colomann ward Slavonien und Kroatien, endlich auch Dalmatien unterworfen, ja Servien und Bosnien, eine Zeitlang auch Galizien gehörten dazu, und in jene Zeit gingen die Rechtsansprüche auf die Grafschaft Zips zurück, welche Maria Theresia bei der Theilung Polens zum Vorschein brachte. Der geldbedürftige Kaiser Siegmund hatte 1412 die 16 Zipfer Städte an Polen verpfändet.
Mit Andreas III. stirbt der Arradische Stamm aus, und von 1301 – 1526 werden Könige aus mehreren Häusern gewählt. Zu Anfang dieses Zeitraums sind die Ungarn sogar einmal Herrscher von Alexanders Reiche, von Macedonien; aber 1309 schwimmt der Türke durch den Hellespont, betritt Europa, und es beginnt die blutige Epoche der Türkenkriege, die Epoche der abgeschnittenen Ohren und abgeschlagenen Köpfe.
194 Ungarn's Größe bleibt indessen noch im Steigen, Ludwig I. wird 1370 auch König von Polen, und die ungarische Herrschaft geht also vom baltischen bis zum adriatischen Meere.
Von da beginnen Theilungen, und nur Mathias I. vereinigt noch einmal Alles, und bringt das Reich auf den höchsten Gipfel der Blüthe. Unter ihm war die Moldau und Walachei, war Mähren, Schlesien, die Lausitz und ein großer Theil Oesterreichs den Ungarn mehr oder weniger unterthan, es hieß im 14ten und 15ten Jahrhunderte »das große Reich,« und umfaßte 12000 Quadratmeilen, so viel, wie das jetzige österreichische Kaiserthum. Mit Mathias Tode 1490 sank es zusammen. Der blutige Türkensieg bei Mohács 1526 knickte seine letzte Kraft, und von da an haus'te der Moslem 160 Jahre in größerer oder geringerer Ausdehnung. In keiner Nacht war man vor den türkischen Reiterschwärmen sicher, welche den Männern die Köpfe abschnitten, die Weiber raubten. Diese Periode hat sich mit noch 195 sichtbaren Fußtapfen dem Lande eingedrückt, wüste, verlassene Ebenen, das Fugitive, Wilde des Landmannes zeugt noch von der Türkenzeit. –
Insurrektion, Losreißung Siebenbürgens, die Herrschaft Oesterreichs folgen einander. 196
Ich habe Ungarn das Land der Kontraste genannt, betrachten wir sein Aeußeres.
Wenn man von meiner Heimath Schlesien, oder von Mähren hinein reis't, so geräth man in die rauhe Karpathennatur, der Boden ist steinig, und erweicht sich erst weiter südlich zu lehmiger Substanz. Die Luft ist kalt, die Vegetation äußerst spärlich, der arme slavische Bewohner bringt es kaum zu Haferbrod, vom Krivan, von der Komnitzer und Käsmarker Spitze dräut ein ewiger Schnee, tiefer in den Karpathen haus't noch der Bär.
Kommt man dagegen von der Türkei herauf durch das Bannat, die sogenannte Militärgrenze, eine Mauer von 800,000 Menschen, so wandelt 197 man in der Gluth des Südens, mitten durch Reisfelder.
Diese Militairgrenze ist eine Kriegskolonie gegen die Türken, von Laudon, oder wie man ihn modern schreibt, Loudon, angelegt, wenn ich mich recht erinnere. Die Bewohner lebten fortwährend im Lagerzustande, ein häusliches Kriegerleben; jetzt ist der Türke matt und zerbrochen, und die Büchsen rosten im Bannat.
Neben den hohen Bergen des Nordostens und den Höhenzügen im Lande hat Ungarn zwei ungeheure Ebenen. Die eine, worin der Plattensee, umfaßt 1000 Quadratmeilen, die andere, weiter im Norden, 200. Das sind die Meere von Ungarn, so weit das Auge trägt, sieht man platte, ungestörte Fläche, kein Baum tritt in den Weg; aus Mangel an Holz muß trockner Mist gebrannt werden; denn Bäume anzupflanzen, ist unerhört, hat's doch weder der Vater, noch der Großvater gethan.
198 Dagegen findet man in anderen Theilen den schönen Eibenbaum, die so seltene, weiße Linde, dunkle, duftige Ahornwälder. Man findet Wälder, durch die man Tag und Nacht fährt, ohne einen Ausgang zu sehen, wie den Bakonyer Wald, der 12 Meilen lang und 2 bis 5 Meilen breit ist.
Ein drittes Ungewöhnliches sind die endlosen Haiden, die nicht verwechselt werden dürfen mit den Ebenen und den Wäldern, Haiden von weißem, Augen tödtendem, Sandboden ohne Grashalm, die mehrere hundert Quadratmeilen des Landes bedecken. Dahin gehören die Ketskemeter Haide und große Strecken im Bannat. Als ob die alten Magyaren Wüsten aus Asien mitgebracht hätten. Hier und in den Ebenen begegnet es Einem noch oft, daß fern vom Horizonte sich in gleichmäßiger, schneller Langsamkeit etwas herbewegt, dem man gern ausweichen möchte: das ist der Wolf mit seinem steten Hunger und seinen immer bereiten Zähnen.
Ein Viertes ist jene bewegliche, schwimmende Gegend zwischen der Wieselburger und Oedenburger 199 Gespannschaft, sechs Quadratmeilen groß, und der Hanság genannt. Aufgestautes Wasser aus dem Neusiedlersee hat ihn geschaffen, trügerisch wachsen auf dem nachgiebigen Moraste Erlen-, Birken- und Fichtenwäldchen, welche den Wanderer verlocken. Der Boden weicht unter den Füßen, und der Getäuschte sinkt in bodenlosen Schlamm. Umsonst sind bisher vereinzelte Bestrebungen gegen diese Moräste geblieben; während ich dieß schrieb, beginnt man wieder neue Versuche.
Wenn auch nicht von dieser ärgsten Beschaffenheit, so finden sich doch außerdem noch gewaltige Moraststrecken vor; sie nehmen noch gegen 100 Quadratmeilen ein, auf welcher eine halbe Million Menschen wohnen könnte. Dazu kömmt die arge Hitze, welche ungestört in diesen Flächen ruht und glüht, die abscheulichsten Ausdünstungen erzeugt und von eiskalten Nächten abgelös't wird. Deßhalb heißen viele Theile von Ungarn noch heutiges Tags das Grab der Deutschen.
200 Hier sind wir bei einem sicheren Zeichen mangelhafter Kultur; – der Mensch erzieht auch rückwärts die Erde, Deutschland war zur Zeit des Drusus ein Waldsumpf ohne Ende.
Und aller Vorzug, alle Ausbeute des Landes ist in Massen vorhanden: man producirt jährlich über 300,000 Zentner Tabak, der fünf Millionen Gulden bringt. – Die deutschen Raucher, an Varinas und Justus gewöhnt, mögen darüber nicht die Nase rümpfen, es ist ein feiner, origineller Tabak, dieser ungarische, und wenn man ihn eine Zeitlang nach österreichischer, ungarischer und türkischer Sitte aus kleinen irdenen Köpfen geraucht hat, dann will der stark gebeizte, gröber materielle Tabak unsers Geschmacks gar nicht mehr behagen; es ist in jener südlichen Rauchmethode mehr Duft, Aether und Geist.
Ungarn – um in der Massenaufzählung fortzufahren – producirt neben Frankreich den meisten Wein der Welt, es führt an 100,000 Ochsen aus, es besitzt Heerden von Truthühnern, hat die 201 fischreichsten Flüße. Das Sprichwort sagt zum Beispiele von jenem mäandrisch gewundenen Flusse, der Theis: Der dritte Theil der Theis sind Fische. Auch Schwärme spanischer Fliegen finden sich zum Trost für Allopathen, Zahnschmerzen und Apotheker. Sogar Büffel giebt es noch, und wer zählt die Heerden Schweine, die in den Wäldern umherschnobbern! Ein weiß gewesenes Stück Zeug hat der Walache um die Glieder geschlagen, welcher mitten unter ihnen liegt, und ohne Traum schläft, oder ohne Gedanken mit ödem, fraglosem Blicke in den Himmel sieht; – er hat nichts zu hoffen auf der Welt, und Prügel zu fürchten, wenn eins seiner unreinlichen Thiere verunglückt.
Die Schweine kommen aus dem Süden, wo sie wie Pilze aufwachsen; ich glaube, der Islam ist ihnen aus diätetischen Rücksichten auch nicht günstig, und spedirt sie wohlfeil zum Christenthume herüber. Ich wollte, wir thäten sie auch in den Bann, und ließen höchstens einige rohe Schinken gedeihen, denn sie haben ein grünes, unreifes Fleisch, was selbst 202 für die zehrende Nordluft noch zu dreist ist. Ein gebildeter Mensch muß kein Schweinfleisch essen; das wäre nun freilich vor der Hand ein Unglück für die Ungarn.
Wahrlich, keines Landes äußere Gestalt wird solcherweise durch die Geschichte desselben erklärt, als Ungarn's, man sieht die Leidenschaften über das Antlitz laufen und die tiefen Furchen hinter sich zurück lassen. Ich will nur in wenigen Strichen das Historische dieses Landes weiter skizziren, und alle Steppen und Wüsten des Landes werden dem Leser erklärt sein; denn er wird nicht viel mehr sehen als Partei gegen Partei, Reiterhaufen gegen Reiterhaufen.
Als Ludwig II. 1526 bei Mohács mit der ungarischen Blüthe in den Tod gesunken war, stand der Thron leer, das Reich offen. Jener gebührte nach dem Erbrechte dem Habsburger Ferdinand I., denn des gefallenen Ludwigs Gemahlin Anna war Ferdinands Schwester. Aber es müssen alte Sagen und Erinnerungen vom Wahlrechte der Nation in 203 den asiatischen Völkerschaften schlummern, diese Sagen und Erinnerungen haben die Polen vernichtet, die Ungarn zerbrochen. Mit den Habsburgern beginnen unter jenem Vorwande die Gegenkönige und Insurrektionen; gleich dem ersten, Ferdinand, tritt der dreiste Zápolya gegenüber, läßt sich krönen, und beginnt den Faktionskampf, welcher hundertundsechzig Jahre im Lande herumtobt. Am 3. Februar 1528 verließ Ferdinand Ofen, und 223 Jahre hindurch bis auf Maria Theresia herab sah kein habsburgischer König die Hauptstadt Ungarns wieder.
Zwei Hauptmomente sind herauszuheben, wo Alles im Umsturze begraben zu werden schien: der erste ist Ferdinand's II. Regierungsantritt 1619. Der dreißigjährige Krieg war ausgebrochen, alle Staaten waren in Aufruhr und zum Theil, wie Böhmen und Mähren, völlig abgefallen, aus der Tiefe von Ungarn zog Bethlen Gabor herauf bis Preßburg, wenige Meilen von Wien, wo er zum Könige von Ungarn ausgerufen wurde. Aber der unbeugsame Charakter Ferdinands, den Bethlen eben 204 so fürchtete, wie Gustav Adolph, jener Charakter, aus welchem die Worte kamen: ich will lieber mit meiner Familie vor den Thüren betteln, mit Brod und Wasser ein elendes Leben fristen, oder unter Martern und Qualen es aushauchen, als eine der wahren Kirche von Ketzern zugefügte Beleidigung in meinen Staaten dulden; jener stahlfeste Charakter überdauerte alle Stöße, der gewaltige Bethlen starb, der unerfahrne Georg Rákóczy, welcher dessen Rolle aufnehmen wollte, ward zum Frieden getrieben.
Aber auch Ferdinand starb; Lobkowitzens Eingriffe in die ungarischen Herkömmlichkeiten begannen, die große Verschwörung bildete sich, zu welcher selbst Weselényi, Nadasdy, Zrinyi, Franz Rakoczyi gehörten, und welche geradezu das Reich den Türken unterwerfen wollte. Sie wird entdeckt, unterdrückt, drei junge ungarische Magnaten werden von österreichischen Richtern zum Tode verurtheilt und zu Wien und Neustadt hingerichtet, die standschaftliche Verfassung wird für aufgehoben erklärt, und 205 es entstehen nun die ununterbrochenen Insurrektionen der sogenannten Kuruczen, unter denen sich die renommirtesten Familien, die Esterházy, Pálffy, Bathyányi befinden, an deren Spitze Teleky und Tököly treten. Ludwig XIV. und die Pforte unterstützen, der Krieg mit den Türken bricht aus, und Kara Mustapha dringt bis unter die Thore Wiens im Jahre 1683.
Dieß ist jener zweite Hauptmoment, der Alles bedroht.
Der Polenkönig Sobieski erscheint, der Türke wird zurückgeworfen; aber eine der schwersten Zeiten bricht für Ungarn herein, die Zeit der Denunciationen und Hinrichtungen unter Leopold I. Caraffa, genannt der Alba von Ungarn, zeigt Verschwörung über Verschwörung an, läßt zu Eperies ein stehendes Blutgerüst auf dem Markte aufschlagen, und nimmt dreißig Henkersknechte in Sold zum Köpfen, Rädern, Spießen und Viertheilen. Der unglückliche Kaiser wurde in steter Täuschung und Spannung über seine Völker erhalten, er war im Leben und 206 Tode das Opfer eines Systems, das wie ein Netz über ihn geworfen wurde. Bekanntlich suchte man ihn mit Wachskerzen zu vergiften, deren Dochte in Arsenik getränkt waren, und er war nicht einmal im Stande, den Ritter Borri, welcher es entdeckte, vor ewigem Gefängnisse in der Engelsburg zu retten.
Nur einen Augenblick wurde es versucht, die Gräuelthat den Ungarn aufzubürden. – Der Ungar ist zu einfach für solche Kultur. – Prinz Eugen von Savoyen berichtet darüber, daß der Pater Prokurator der Jesuiten zu Wien die Lieferung der Wachskerzen besorgt habe.
Leopold hatte um jene Zeit – er war im dreißigsten Jahre – keinen männlichen Leibeserben, das französische Kabinet Ludwig's XIV. wünschte einen solchen Successionskrieg 30 Jahre früher.
Kurz vor Leopolds Tod entzündete sich der letzte und für das Haus Oesterreich gefährlichste Krieg mit Ungarn, dessen Hauptheld Franz Rákóczy II. war. Er wurde geschürt durch die tyrannischen Maaßregeln des Grafen Sigbert Heister, welchen 207 die Ungarn ihren letzten Peiniger nennen, zog sich durch die ganze Regierung Josephs I., eines überaus wackern und nach Versöhnung trachtenden Regenten, und konnte nicht beendigt werden, obwohl auch Rákóczy, voll Sehnsucht nach Frieden, ohne Ehrgeiz und ein ganz und gar edler Charakter war. So übermächtig werden die äußeren Umstände, wenn der innere Sanitätsverband einmal gelös't ist.
Dieser Krieg stand mitunter für Oesterreich so bedenklich, daß der Kaiser in der Nähe von Wien nicht wagen konnte, auf die Jagd zu gehen, weil die Ungarn unter dem blinden Botyani und Ocskay bis an die Vorstädte Wiens streiften.
Rákóczy, Herzog und Führer der Konföderation, konnte sich die ungarische Krone aufsetzen, man huldigte ihm als Fürsten von Siebenbürgen, man bietet ihm die polnische Krone an; aber er weis't Alles ab, dringt fortwährend auf Ausgleichung, und stirbt am Ende still und einsam in Beßarabien.
Der Charakter dieses Insurrektionschefs darf nicht mit dem des ehrgeizigen Emerich Jökölyi verwechselt 208 werden, welcher nach viel unrühmlichen Schicksalen um jene Zeit in Kleinasien starb. Diese asiatischen Völkerschaften haben so viele Insurrektionschefs, wie Frankreich Marschälle oder Journalisten.
Unter Karl III. vernichtete Johann Pálffy endlich die völlige Ausgleichung. 1715 wurde das stehende Heer eingeführt, und somit die Adelsinsurrektion gebrochen, da der Bauer jetzt Waffen erhält, und 1723 wurde die Verfassung modificirt; wie sie jetzt noch besteht. Mit dem Auftritt Marien Theresiens ist die alte stürmische Ungarnzeit zu Ende, die Bewaffnung zu ihrem Gunsten, als die schöne Frau den 11. September 1741 auf dem Reichstage erscheint, und den Beistand der Magnaten aufruft für den kleinen Joseph, den sie auf den Armen trägt, diese Bewaffnung war das letzte Aufflackern des ungrischen Adels.
Von hier an datirt in Oesterreich der Begriff magyarischer Treue. – Der ungarische Adel ist nicht mehr in Masse zu Pferde gestiegen.
209 Aufgeregt wurde Ungarn noch einmal durch Josephs II. Jäh angekündigte Reformen, besonders dadurch, daß er die Reichskrone aus dem Preßburger Schlosse nach Wien fahren ließ und in alle Geschäfte die deutsche Sprache einzuführen befahl. Aber die Aufregung war nur ein Fieber, das zu keiner Krisis, zu keinem Ausbruche kam. 210