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Es ist in Wien sehr schwer, Leute zu finden. Man darf dort nicht etwa an jene Viertelabtheilung, an die bequemen Hausnummern, an den stets hilfreichen Adreßkalender, an das ganze zum Nachschlagen so bequeme Büreauwesen Berlins denken; nein, durch eitel Romantik hindurch geht der Weg. Grillparzer, wo bin ich überall hingerathen, um Dich zu finden! – erster Hof, zweite Stiege, dritter Stock, vierte Thür! Es wirbeln mir noch die Beschreibungen im Kopfe. Nach einer vormittäglichen Suchjagd stand ich endlich in einer schmalen, öden Gasse vor einem großen schweigsamen Hause; meine Tritte hallten wieder auf der steinernen Treppe, an der gewölbten Decke. Klosterstille und Kühle 136 umgab mich, draußen lag ein heißer Tag, ich dachte an das Schloß des alten Borotin in der Ahnfrau; an die ganze schauerliche Einsamkeit dieses Stückes. Es trat auch so schauerlich einsam in der Literatur auf, nur in den sterbenden Augen trug es etwas von jener poetischen Lebenswärme, die es noch eine Zeitlang vor dem Vergessen schützen wird; sonst war es kalt wie eine Leiche.
Ein eisernes Gitter hemmte meine Schritte, die Thüre war verschlossen, nirgends ein Mensch zu sehen oder zu hören; – der alte Borotin liegt im Sterben, dachte ich. Eine schwere, rostige Klingel gab einen schrillen, gespenstigen Ton. – Niemand regte sich, noch einmal schellte ich; wieder umsonst.
So stand ich wohl eine Viertelstunde, und hatte Zeit zu überlegen, was Grillparzer für ein Dichter sei. Vor der Klingel fürchtete ich mich, machte aber doch einen letzten Versuch. Nach einer Weile hörte ich einen langsamen Frauentritt schlürfen, eine Gestalt mit fast ganz verhülltem Kopfe näherte sich 137 – die Ahnfrau, wie sie leibt' und lebte, fragte nach meinem Begehre und Namen.
Jaromir von Eschen, heiß ich, und wünschte Herrn Grillparzer zu sprechen.
Er ist nicht zu Hause. – Ich mache hier keine Geschichte, sondern es fügte sich wunderlich genug in der That so, wie ich erzähle, die arme Ahnfrau mochte Zahnschmerzen haben.
Kaum hatte ich den Muth, dieser mittelalterlichen Wehgestalt eine moderne Karte anzubieten.
Nun blieb noch der »Stern« übrig, eine tief in den Winkel gekauerte Wiener Kneipe, wo sich die Poeten des Abends zusammenfinden sollten. Früher geschah dieß in der sogenannten »Ludlamshöhle,« aber die poetischen Possen und das Bundesartige, was sich dort herausgestellt hat, sind dem Gubernio mißfällig geworben, und man hat die Höhle verschüttet. Freie Künste, Bund und Höhle sind bedenkliche Ingredienzien, und »hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiele,« man darf den Teufel nicht an die Wand malen &c. kurz, man hat 138 Gründe gehabt, die uns nichts angehen, und ich mußte nach dem »Stern« fragen, einem kleinen Filial der untergegangenen Ludlamshöhle.
Nach einigen unerschrockenen Versuchen fanden wir ihn, Gutzkow und der Starost waren mit auf dieser Expedition. Eine einfache Wiener Speisekneipe stellte sich dar; an einem gedeckten Tische, wo etwa Zehn sitzen konnten, saßen drei Personen; – dort wollten wir uns ansiedeln. Einer der drei Herren bedeutete uns aber sehr artig, daß der Tisch einer bestimmten Gesellschaft angehöre, – es war Grillparzer, und er hieß uns freundlich willkommen, als wir unsern Gewerbsspruch anbrachten, und uns als Leute vom Handwerk legitimirten. Zu der Erzählung meines Besuchs in seinem Hause lächelte er; aber er lächelt höchstens. Er ist ein sanfter, ernster, tragischer Mann, ein zerschlagener Baum, der sich traurig umsieht nach seinen Aesten, nach seiner Krone, die zersplittert seitab liegen. Diese fragenden blauen Augen waren mir rührend – 139 »er hatte weder Glück noch Stern,« ist nie zum Lachen kommen. –
Manche Leute werden sagen: Grillparzer ist an Oesterreich gestorben, – sie haben Unrecht; Grillparzer hatte von Hause aus den Tod im Herzen; auf der Sonnenseite war es verschlossen. Von jeher hat er mit Hingebung Royalist sein wollen; er hat den rechten Weg nicht gefunden; man hat ihn verkannt; den Bankbanus hat er geschrieben, »den treuen Diener seines Herrn,« der sich treten läßt wie ein Hund im zweifellosen Eifer, in unergründlicher Treue für seinen Herrn, umsonst; er hat Gedichte producirt, sie sind mißdeutet worden.
Darin liegt etwas wirklich Tragisches, ein ehrlicher, bürgerlicher Liebhaber zu sein, der für einen Widersacher angesehen wird. Ich kann mir jenen Abend und den Anblick Grillparzers nicht zurückrufen, ohne still vor mich hin zu sagen: Armer Grillparzer! Er präsidirte an dem bescheidenen Tische, trug ein grünes Röcklein, war sehr einfach und 140 ein wenig pressirt höflich. Sein Gesicht wäre nicht leicht aus der Menge herauszufinden, wenn man nicht den Namen dazu wußte. Er ist übrigens wohl geformt, hat eine tadellos gut gerathene Nase, eine Andeutung der österreichischen Unterlippe, welche man noch specieller die Leopoldslippe nennt, und einen stillen, sanften Ausdruck der Züge, der, wie gesagt, nicht frei von Melancholie ist. Um die äußeren Augenwinkel ruht nämlich manch' herbe Besorgniß. Er spricht mit einem weichen, geschmeidigen Organe. Es wurde über die Europe litéraire gesprochen, welche ein junger Mann mit ältlichem, verdrießlichem Gesichte vor sich hatte, und aus welcher er von Zeit zu Zeit einzelne Passagen mittheilte. Dieser junge Mann mit einer großen Brille war Bauernfeld, der Schriftsteller, aus dem er vorlas, Heine, und zwar enthielt das Heft den zweiten Abschnitt von dessen Raisonnements und Erzählungen über die deutsche Literatur vorletzter Zeit.
Das Gespräch haftete, wo Racine und Euripides in Schutz genommen werden gegen die Schlegel. 141 Grillparzer nahm sehr lebhaft Partei für Euripides und beklagte sich wie die Schrift, welche vorlag, über Vernachlässigung und Hintansetzung desselben. Gutzkow stimmte mit ein, und Bauernfeld bildete eine unbedeutende, nergelnde Opposition, die mehr den Racine vorschob, und das Lob desselben mißbilligte.
Grillparzers Vorliebe für Euripides ist äußerst natürlich. Jene Rhetorik der Gedanken, ich möchte selbst sagen Rhetorik der Empfindung, welche namentlich auf die Franzosen übergegangen ist, und welche das Herz Grillparzer'scher Muse ist, stammt vom Euripides. Ich bin während jenes Gesprächs die im Schnürleib bacchantisch tanzenden Worte der Ahnfrau nicht los geworden:
Ja, ich bin's, Du Unglücksel'ge!
Ja, ich bin's, den Du genannt,
Bin's, den jene Wälder kennen,
Bin's &c.
Bin's &c.
Bin's &c.
142 Das Gespräch war aber auch bedeutungsvoll, da man Euripides von einer andern Seite beziehungsreich für unsere Gegenwart anschauen konnte. Mit Aeschylus und Sophokles war ebenfalls eine Schiller- und Göthezeit in Griechenland vorüber, alte Sitten und Formen waren in Gährung, die Auktorität der Götter war in Frage gestellt, das Volk war auf einem Höhepunkte, von welchem eine neue glänzende Zeit oder ein Ende beginnt.
Das sind Attribute, womit wir jetzt eine moderne Epoche bezeichnen; Mangel an Pietät gegen die alten Götter, die er herabzog, war wie jetzt eine Hauptanklage des Euripides, Vermischung des herkömmlich Poetischen mit dem kecken Neuen, – und so finden sich Berührungen in Fülle; vor der Hand fehlt uns noch der derbe Parodist Aristophanes, und es wird uns hoffentlich die Nachkommenschaft des Euripides fehlen, welche nichts taugte und ihn zum letzten griechischen Dichter machte.
Wahrhaftig, er war ein Dichter, sagte Grillparzer ganz im Feuer, – Bauernfeld konnte es 143 den ganzen Abend nicht verschnupfen, daß Heine den Racine gelobt habe.
Abgesehen von den politischen Ansichten, deren Diskussion hier nicht am Orte war, und die er natürlich nicht theilen mochte, sprach Grillparzer ein sehr großes Interesse für Heine aus, und bei Gelegenheit Tiecks, welchen Heine auch zur Sprache bringt, bezeigte er sich in vielen Dingen erfreut über die Urtheile. Namentlich über dasjenige, welches den meisten neueren Novellen Tiecks Triviales und Ordinaires, Mangel an Poesie zum Vorwurfe macht.
Es ist nun freilich eine andere Frage, ob Grillparzers rhetorischer Richtung darüber ein kompetentes Wort zugestanden werden darf.
Im Allgemeinen erschien Grillparzer bei allen Urtheilen sehr liebenswürdig. Im Kontraste zu den meisten älteren Dichtern sprach er sich mild, schonend und mit mancherlei Hoffnungsgedanken über die junge Generation aus.
144 Bauernfeld gehört im Grunde zu dieser, und seine Komödien hatten mir weit besser gefallen, als er selbst mir gefiel. Er hatte in seinem langen Philisterkittel, in seiner ganzen abschmackenden Weise viel Störendes. Das soll indeß nicht mit Nachdruck gesagt sein; ich habe ihn nur an jenem Abende gesehen und gesprochen. Der liebenswürdigste Mensch kann aber manchen langen Abend unausstehlich sein, wenn ihm ein Rendez-vous fehlgegangen, ein Mittagessen im Magen sitzen geblieben, ein Produktionsversuch mißlungen ist.
Damals war Bauernfelds »Helene« an der Reihe; ein Schauspiel à la Kotzebue, aber voll Reiz. Die Lebenszustände und Verhältnisse sind nicht einseitig, bornirt, leidenschaftlich gestempelt, sondern alle die kleinen Schattirungen des Gefühls, der schüchterne Anfang, der halbe Wille, selbst die Indifferenz sind geschickt und treu verbraucht, wie sie sich finden. Hieraus erwächst die Anziehungskraft der Aechtheit, welche die Dramatiker immer 145 verlieren, so lange sie nur aus vollem Halse zu schreien wissen.
Dazu kommt, daß Bauernfeld die reizende und erlaubte Koketterie des Roman's versteht; die Leute glauben nicht, daß sie sich nöthig sind, der Zuschauer aber weiß es, weil er sie besser kennt, sie machen Anstalt, für immer von einander zu gehen, und der Zuschauer bebt, die Nachtwandler zu wecken. So gedeiht eine Spannung voll Interesse, und bricht das Geheimniß endlich durch, so geschieht es mit einer kräftigen Kindlichkeit, welche den Antheil nicht endigt, sondern nur erfüllt. Dieß Alles ist mit einem feinen, geschmackvollen Kolorit übergossen; es ist ein artiger, rascher, fesselnder Styl, welcher über etwaige Dehnungen täuscht und hinweghebt. Die französische Sprache hat ein prägnantes Beiwort für solche Erscheinung, sie nennt sie souple.
Durch spätere Produktionen hat Bauernfeld zu unserer Freude unverkennbar bewiesen, daß er unser talentvollster moderner Komödiendichter ist.
146 Es waren noch andere Literaten aus Wien zugegen, ich habe außer dem Witthauer's, der ein redliches, tüchtiges Trachten bekundet, aber ihre Namen vergessen. Es waren gute, freundliche Leute, wie denn meist die Schriftsteller am liebenswürdigsten sind, so lange sie noch keinen Namen haben. Sie kämpfen dann für die Existenz, bieten alle Fähigkeiten auf, bewerben sich, – und wenn man nicht gar zu viel Essig und Galle in sich hat, so ist man in solchen Bräutigamsschuhen am brauchbarsten für den Umgang. Freilich giebt es auch Gemüther, welche erst nach dem Durchbruch zu genießen sind, welche Anerkennung nöthig haben, um zu existiren.
Ungefähr Mitternacht mochte es sein, als wir den Stern verließen und in Begleitung Grillparzers und eines solchen Kandidaten der Literatur noch eine Strecke durch die Straßen gingen. Jener war still geworden; sein Haupt neigte sich sinnend nach der Brust, das Abschiednehmen und seine natürliche Höflichkeit schreckten ihn noch einmal auf – dann 147 sah ich ihn leise fortschreiten im Mondschein. Sitzend im Sterne war er mir ziemlich lang gewachsen erschienen, jetzt bewies er sich aber nur von mittlerer Größe. Ich hörte in der stillen Nacht noch eine lange Weile sein sanftes Organ; wie ein Schatten verschwand er in den engen Gassen, im unsichern Lichte des Mondes. – Dichter der Ahnfrau, mondbeschienener Poet, schlaf wohl, die Nacht und der Schmerz interessiren Dich am meisten, es ist Dir schwer zu helfen, schlafe wohl! 148