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Blond muß sie sein.


Ich saß in Karlsbad in der Laube vor meiner Wohnung, dem »König von England«, hoch oben auf dem Schloßberge, und las die »Neue Freie Presse«. Es regnete, aber die Laube hat ein mit Blech beschlagenes Dach, und man kann auch da während des Regens sitzen, wenn man, wie ich, durchaus atmosphärische Luft einatmen will.

Plötzlich stand ein hochgewachsener Mann vor mir, dicht vor mir, denn er war in die Laube eingetreten und fragte mich mit tiefer Stimme: »Kennst du mich noch?«

Nach einer Pause, welche nur von mir herrührte, sagte ich endlich: »Ja, du bist der ›Bär von dunnemalen‹ und wir haben uns wohl seit zwanzig Jahren nicht gesehen.«

Wir hatten nämlich zusammen studiert und mancherlei Schicksale miteinander durchgemacht, auch beschwerliche. Die riefen wir uns ins Gedächtnis, nachdem er sich zu mir gesetzt hatte. Er kürzte aber diese Erinnerungen ab mit auffallender Hast; er schien etwas Besonderes auf dem Herzen zu haben. Ich fragte danach.

»Ja,« sagte er, »ich hab' was auf dem Herzen, und du kannst mir behilflich sein. Vor einer Stunde erst hab' ich dich unten beim Marktbrunnen gesehen und dich augenblicklich erkannt. Du hast dich nicht verändert. Ich wollte auf dich zu, aber ein Schwarm von Brunnengästen, welche mit ihren Bechern eiligst zum Brunnen drängten, kam mir in den Weg, und als ich ihn endlich umgangen hatte, warst du verschwunden. Ich hatte aber deutlich, wenn auch aus der Ferne, gesehen, daß du mit einer Dame sprachst. Nach dieser Dame wollte und will ich dich fragen und in betreff derselben deinen Beistand in Anspruch nehmen.«

»Oho!« – rief ich – »solltest du einst so puritanisch gesinnter Burschenschafter, du ›Bär von dunnemalen‹, jetzt, etwas verspätet, schönen Mädchen nachlaufen? Denn die Dame heute morgens am Marktbrunnen war ein junges, beinahe schönes Mädchen.«

Es zuckte durch sein ernsthaftes Antlitz. Dann stellte sich ein eigentümliches Lächeln ein auf demselben. Ich wurde neugierig. Er war immer ein herber Geselle gewesen und hatte an unseren Gesprächen über Mädchen und Frauen nie teilgenommen. Lachend fragte ich also: »Bist du etwa damals ein burschenschaftlicher Duckmäuser gewesen?«

»Wenn du's so nennen willst« – antwortete er – »meinetwegen! Mein Herz ist auch damals nicht ganz leer gewesen. Aber ich habe nie etwas davon verlautbart, weil der Inhalt gar dünn und nebelhaft, weil er das war, was ihr romantisch nanntet, und weil das Romantische gar nicht zu mir paßte.«

»Du brummiger Bär, romantisch?!«

»Doch wohl. Um zu meinem Ziele zu kommen, muß ich ohnehin von meinem Herzen sprechen, und wenn du zuhören willst – es regnet ja immer ärger – so will ich dir kurz ansagen, wie es in der Gegend bei mir zugegangen ist, welche man kurzweg und wohl nicht immer richtig das Herz nennt. Die junge Dame vom Marktbrunnen wird am Schlusse in Frage kommen.«

»Ah!«

»Und du wirst, wenn du diesen verborgenen Teil meines Lebens kennst, imstande sein, zu raten und hoffentlich zu helfen. Da hast du eine feine und doch kräftige Zigarre, welche ich von draußen mitbrachte. Rauch' sie, damit du eine lohnende Beschäftigung hast, während ich meine kleine Romantik auskrame. Sie ist nur klein und wird nicht länger dauern als die Zigarre.«

»Also krame aus!«

»Als Bürgerschüler in meiner Vaterstadt hatte ich immer mit Erstaunen die Tochter eines Bäckermeisters betrachtet, welche man die schöne Pauline nannte. Die Jungen um mich herum waren alle in sie verliebt, nur ich war's nicht, obwohl ich zugab und bereitwillig zugab, daß sie ein liebreiches Antlitz hätte, welches sich geradezu einschmeichelte. Schön nannte man das, und doch tat es mir nichts. Wenn ich sie mir jetzt vorstelle, so muß ich sagen: Sie war ein reizendes Geschöpf, schlank gewachsen, anmutig in ihren Bewegungen. Das Gesicht wie Milch und Blut, noch gehoben durch dunkles volles Haar und durch ein gutmütiges Wohlwollen in den Augen. Sie starb plötzlich, und alle Welt war voll Trauer. Da fragte ich mich endlich: Warum hast denn du allein dich nicht in sie verliebt? Und die Antwort lautete zu meiner eigenen Überraschung: Blond muß die sein, welche du liebst, blond!

Ein fremdes Mädchen, welches zum Besuche in unsere Stadt gekommen, mochte wohl diese Antwort bei mir hervorgerufen haben. Sie war blond und hatte einen Zug im Gesicht, welcher mich herzhaft fesselte. Ich war auf dem besten Wege, mich in diese Auguste – so hieß sie – zu verlieben, ja ich war wohl schon verliebt in sie. Da packte mich mein Vater, der freilich davon nichts wußte, bei der Schulter und schob mich in den Wagen. Wir fuhren einen Tag lang und waren abends in Neisse, wo ich ins Gymnasium eingepfercht wurde.

Meine Geldmittel waren äußerst gering. Ich wohnte bei einem Schuster, und zwar in derselben Stube, welche seine Werkstatt war, zwei Treppen hoch, hinten hinaus auf einen engen Hof. Des Abends saß ich neben dem Schemel des Schusters und profitierte von seinem Lichte in der Glaskugel, um meine Aufgaben zu lernen. Wenn ich sage, neben seinem Schemel, so mein' ich damit den Schemel des Gesellen Schmidt, denn des Abends arbeitete der Meister nicht. Dieser Geselle Schmidt war ein munterer Kauz, dem es ganz erwünscht war, einen Zuhörer zu haben für sein Geschwätz. Er erzählte Schnurren und sprach mit Vorliebe von den Mädchen. Ich möchte nicht behaupten, daß er über dieses Thema passend gesprochen hätte für einen vierzehnjährigen Burschen, aber man läßt doch auch als so junger Bursch vieles in sich hineinrufen, was drinn' nicht haften bleibt. Seine Schilderung der feisten Köchin unten im ersten Stocke zum Beispiele, welche er begehrenswert fand, verlor sich in mir, aber ich wurde sehr aufmerksam, als er mich fragte, ob ich die kleine Blonde schon gesehen, welche mit ihrer Mutter auf unserm Flur vornhinaus wohnte. – ›Blond ist sie?‹ – ›Ja, und in Ihrem Alter natürlich – sie wird so alt sein wie Sie – dünn und mager. Machen Sie die Tür auf, da hören Sie, wie sie Klavier stupft und dazu kräht.‹ Ich tat's, fuhr aber zurück, denn auf dem Flur saß bei einem Lichtstumpfe eine alte Frau, welche eine Gans rupfte und mich durch eine Hornbrille unfreundlich ansah. – ›Das ist die Mutter; der sieht das Luischen glücklicherweise nicht ähnlich‹, sagte Schmidt.

Blond! Blond! Nun war ich gespannt, das Luischen zu sehen. Es gelang nicht, ich sah immer nur die Hornbrille. Eines Abends jedoch ereignete sich ein Wunder: es klopfte an unserer Tür, und Luischen trat bei uns ein in eigenster Person. Sie bat, ihr Licht anzünden zu dürfen an unserer Glaskugel. Die Mama wäre ausgegangen, und sie fände das Feuerzeug nicht. Herzhaft sprach sie das, und sie lächelte dazu. Herrgott, das war ein Engel, und wirklich ein blonder! Eigentlich fehlte um den Mund und um den Nasenflügel der verfängliche Zug Augustens, aber er fehlte doch nicht ganz, und das Wetter schlug ein bei mir; ich war verliebt und wurde verliebt bis über die Ohren.«

»Du warst sehr jung.«

»Ja. Und ich will auch kurz sein. Also, ich wußte mich einzuschlängeln in die zwei Zimmer, welche Mutter und Tochter vornhinaus bewohnten, und welche mir damals sehr vornehm erschienen. Ich wußte es sogar dahin zu bringen, daß die mürrische Mutter mir gestattete, einmal in der Woche, Donnerstags, mit ihr und Luischen zu speisen – man nannte das ›Einen Tisch‹ – und ebenso einmal in der Woche mit Luischen eine Unterrichtsstunde im Französischen zu haben. Ein wirklicher Franzose war der Lehrer. Ach, das war ein Verkehr von steigendem, immer steigendem Reize, denn Luischen war mutwillig. Die Mutter mit der Hornbrille war dies leider nicht, sie drängte mich gern vorzeitig zur Tür hinaus. Eine Mutter denkt bei jeder Mannesperson an den künftigen Schwiegersohn, und dazu paßte doch ein Schüler wie ich, nicht, welcher gerade so alt war, wie ihre Tochter. Sie sagte es geradezu: ein Ehemann muß nicht nur wohlhabend, er muß auch zehn Jahre älter sein als seine Frau, sonst geht die Ehe in die Brüche; was kümmerte uns diese Weisheit? Luischen und ich wurden doch gute Kameraden. Mehr wohl nicht; wenigstens nicht von ihrer Seite. Auf meiner Seite allerdings war es Reiz und Seligkeit erster Liebe.«

»Die Jugend ist darin genügsam.«

»Glücklicherweise. Jeder Tag erhielt sein Gepräge dadurch, ob ich sie einmal sehen konnte, wenn auch nur von der Gasse hinauf am Fenster des zweiten Stockes. Zu irgend einem Ausdrucke meiner Gefühle verstieg ich mich übrigens niemals, diese Verwegenheit lag mir ferne. Und doch war dies ultraplatonische Verhältnis der Sonnenschein meiner fünfjährigen Schulzeit innerhalb der Festungsmauern von Neisse.

Da kam der Tag des Abschiedes. Ich verließ Neisse, um die Universität zu beziehen. Ach, war das ein Abschied! Die Welt ging unter für mich. Leider stand die Mutter dabei mit der nüchternen Hornbrille. Aber ich glaube, auch wenn Luise und ich allein gewesen wären, es wäre nichts Erkleckliches, auf Liebe Bezügliches, ausgesprochen worden. Wir haben uns während der fünf Jahre nicht einmal die Hand gegeben. Trotz alledem war ich gerührt bis zum Zerspringen, und als ich auf die Straße kam, habe ich – wie man in Schlesien sagt – geheult wie ein Schloßhund. Ich bitte dich, lache nicht!«

»O nein. Dies Gefühl ist ja das beste, was wir haben, weil es gründlich uneigennützig ist.«

»Richtig. Mich für Luisen opfern zu können, damit sie zu Glück und Freuden gelange, das wäre mir damals äußerst willkommen gewesen. Und das alles wegen des blonden Haares und eines gewissen Zuges im Antlitze, der nicht einmal vollständig war – wunderlich! Aber es ist so, und du wirst gleich hören, wie dies Wunderliche standhält in meinem Leben und endlich vollständig über mich hereinbricht, über einen alten Bären.«

»Das gehört zu unserm Blut und Hirn, es ist eine Grundfaser unserer Persönlichkeit.«

»Das glaub' ich auch. Nun weiter! Dennoch trat während der Studentenzeit das Bild der blonden Luise mehr und mehr zurück in den Schatten der Vergangenheit. Eine andere Welt und eine sehr bewegte ergriff mich, andere Sonnen beschienen mich. Nicht etwa weibliche! Ganz und gar nicht. Unsere burschenschaftlichen Grundsätze der Keuschheit mochten ihren Teil daran haben, daß ich der Frauenwelt gar nicht mehr nahe kam. Es vergingen Jahre – da überfiel mich diese Frauenwelt.

Ich war nach Berlin gegangen, um noch ein Jahr ganz andere Kollegien zu hören, als ich bisher gehört hatte. Eure sogenannte höhere Wissenschaft war mir lästig geworden –«

»Der Bär brummte.«

»Er folgte seinem Instinkte, und darin –«

»Hat man immer recht.«

»So mein' ich auch. Die sogenannten höheren Begriffe langweilten mich, paßten also nicht für mich. Ich meinte, näheren, festeren Boden unter mir zu brauchen, und hörte naturwissenschaftliche, national-ökonomische und landwirtschaftliche Vorlesungen. Das mochte wohl auch dadurch veranlaßt worden sein, daß meinem alten Oheim der einzige Sohn gestorben war, und daß er mich in Aussicht nahm zum Erben seines Landgutes. In dieser praktischen Vorbereitung weiterlebend, wurde ich wohl allmählich ein recht prosaischer Patron, welcher seiner blonden Luise gar nicht mehr gedachte. Da machte ich in der Weinstube die Bekanntschaft eines jungen Kaufmanns, oder vielmehr er machte die meinige, denn ich suchte keinen Verkehr. Er war ein eleganter, sehr hübscher und fröhlicher Mensch, welcher mich zuweilen aufzog wegen meiner schlichten Kleidung. Er wollte mich, wie er es nannte, durchaus elegantisieren, und erstaunte sehr, als ich ihn darüber auslachte. ›Sie verkehren gar nicht mit Damen,‹ sagte er, ›und verbauern deshalb. Ich will Sie meiner Frau vorstellen, die ist sehr gebildet und wird Sie erziehen.‹ Ich lehnte es ab, gab aber endlich nach, weil ihn meine Ablehnung zu verletzen schien. Er wollte Staat machen mit seiner Frau. So ging ich denn mit und fand eine stattliche Frau von einer Bildung, welche der seinigen überlegen war. Sie sprach sehr gut und lenkte gern das Gespräch auf wissenschaftliche Fragen, welche ihm fremd waren. Er verließ uns dann oft, wenn wir wieder in solch ein Thema gerieten, und ich war somit oft mit ihr allein. Sie war mir ganz angenehm, aber auch weiter nichts. Ich befand mich in einem Zustande vollkommener Gleichgültigkeit gegenüber dem weiblichen Geschlechte und bemerkte es gar nicht, daß ich sie immer höchst sorgfältig gekleidet fand, wohl auch ein wenig frei gekleidet. Sie war voll und schön gewachsen, hatte lebhafte Augen und reiches dunkelbraunes Haar. Dunkelbraun! Dadurch schon war sie geschützt vor meiner Aufmerksamkeit, und ich verstand es lange gar nicht, daß sie mir ungemein entgegenkam. Ich war blind und taub, und blieb selbst da unbefangen, als sie mich einmal umarmte und auf die Wange küßte. Das war mir Freundschaft mit lebhaften Manieren und erweckte mir gar keine Nebengedanken. Stockfisch! wirst du sagen, und hast ganz recht.«

»Ich denke an Joseph und die Potiphar.«

»Ich war leider nicht einmal ein Joseph! Sie wurde allmählich elegisch und beklagte sich halb scherzhaft über ihren Mann und über dessen Eitelkeit, die Eitelkeit eines schönen Mannes. Er vernachlässige darüber ganz und gar seine sonstige Ausbildung, sei für kein ernsthaftes Gespräch zu gewinnen und überlasse sie teilnahmlos der Hauswirtschaft und ihrer Lektüre. Über letztere lache er sogar. Das sei doch wohl nicht recht und mache das Leben armselig.

Sie war in der Tat eine ernste, gescheite Frau, noch inmitten der Zwanzig. Du siehst wohl, daß da eine Katastrophe nicht ausbleiben konnte. Diese kam denn, wie das herkömmlich sein mag, unter Tränen herbei. Ich fand sie eines Abends allein, ihr Mann war auf einen Ball gegangen. Sie saß in einem Winkel und weinte. Ich fragte, um trösten zu können. Sie zögerte mit der Antwort, am Ende kam denn aber, wenn auch mit halben Worten, zum Vorscheine, daß sie unverstanden sei und ein liebeloses Leben führe. Da ist man mit aller Gleichgültigkeit verloren. Man widerspricht, man soll beweisen, man kommt persönlich in Rede und Frage, man will nicht roh und gefühllos erscheinen, man sagt ein Wort zuviel, man ist gefangen, und das schöne Geschöpf fällt schluchzend in unsere Arme.«

»Bedauernswerter Bär, den man beneidet.«

»Beneidet, ja doch! Es war um mich geschehen seit jenem Abende, und ich war ein Liebhaber geworden, der ausgebildet wurde im Liebhaberfache und am Ende selbst an seine Liebe glaubte, obgleich sie im Grunde gar nicht vorhanden war und doch im Verlaufe der Zeit alle Formen und Folgerungen einer Neigung annahm. Joseph war viel praktischer mit der Potiphar umgegangen.«

»Die Zigarre ist zu Ende.«

»Brauchbar?«

»Rauchbar.«

»Also hier eine zweite. Eh' sie zu Ende geht, werd' auch ich zu Ende sein mit meinen Geständnissen. Jetzt regnet's auch noch immer und ich könnte nicht fort. Hör' also weiter.

Durch diese Liebhaberei mit der schönen Juliane – diesen Namen, der gar nicht nach meinem Geschmacke ist, hatte ich lernen müssen – war ich länger in Berlin festgehalten worden, als ich gewollt, und war den Demagogenriechern zur Hand, als wieder einmal eine Razzia gegen die alten Burschenschafter beliebt wurde. Man sperrte uns ein, mich natürlich auch. Du weißt wohl, wie gründlich mich das verstimmte. Ein ganzes Lebensjahr zu verlieren für die Torheit unserer Staatslenker! Ich war dadurch ganz ungeeignet geworden für jede sentimentale Regung, und als ich endlich losgelassen wurde, reiste ich sofort ab von Berlin nach der Heimat, nach Julianen gar nicht mehr fragend. Das war mindestens unhöflich, ja, aber ich war ein ganzes Jahr unhöflich behandelt worden und hatte alles satt.

Meinen Oheim fand ich auf dem Sterbelager, noch obenein erzürnt über mein Demagogentum. Das fehlte noch! Aber er war verständig und ließ sich belehren. Er nickte zuletzt mit dem Kopfe zu meiner Staatsweisheit, übergab mir sein Gut und starb – friedlich und schmerzlos.

Nun hatte ich nichts mehr vor Augen, als praktische Wissenschaft, soweit sie meinem Felde und Walde dienen konnte. Ich las nützliche Bücher, säete und pflanzte, und wurde völliger Einsiedler. Mit den Menschen mochte ich nichts mehr zu tun haben.

Da kam ein Brief von Julianen. Natürlich voll Schmerz, daß ich – wohl von politischer Verstimmung übermannt – von Berlin fortgegangen, ohne sie aufzusuchen, während sie in peinlichem Scheidungsprozesse mit ihrem Manne gelegen. Dieser habe ihren Umgang mit mir erfahren und sei gröblich gegen sie geworden. Sie selbst habe auf Scheidung angetragen, indem sie seinen Vorwürfen keinerlei Ableugnung entgegengestellt. Jetzt sei die Scheidung vom Gerichte ausgesprochen worden, und sie sei in das schlesische Bad Warmbrunn gegangen, um ihre angegriffene Gesundheit wieder herzustellen. Ihre Stimmung sei eine traurige. Denn wenn sie auch meine jähe Abreise von Berlin auf meinen politischen Zorn schieben wollte, so bleibe ihr doch wohl keine Hoffnung übrig, daß ich sie aufsuchen und trösten wollte.

Beneidenswerter Joseph! dachte ich, du hattest doch keine solchen delikaten Verbindlichkeiten abzuwickeln mit deiner Madame Potiphar! Der Brief Julianens war – ich konnte mir's nicht leugnen – ein Appell an meine Ehrenhaftigkeit. Ich gab mir alle Mühe, ihn von mir abzulehnen. Es gelang nicht. Ehrenhaftigkeit war doch am Ende das einzige, was selbst ein egoistisch gewordener Einsiedler, wie ich, nicht abweisen durfte. Ohne sie wird das gesellschaftliche Leben roher, gemeiner Krieg. Ich mußte mir eingestehen, daß meine Liebschaft mit ihr die bürgerliche Existenz dieser Frau zerstört hätte, und daß ich ihr deswegen eine Rücksichtnahme schuldig wäre, Rücksichtnahme – so trocken und vertrackt lautete die Forderung in mir, und lediglich so. Denn die Erinnerung an eine Liebschaft, in welche ich hineingezogen worden, hatte gar keine wärmere Ader in mir.

Ein verspieltes Leben! sagte ich mir, denn die Rücksichtnahme drängt am Ende zu einer unerwünschten Heirat! In so ärgerlicher Stimmung machte ich mich auf die Reise nach Warmbrunn.«

»Armer, alter Bär, du bist also verheiratet?«

»Warte nur! – Der Weg nach Warmbrunn brachte mich zum ersten Male wieder seit einer Reihe von Jahren nach Neisse. Kurz vor den Wällen der alten Festung stieg ich aus dem Wagen und trat in das ländliche Wirtshaus, welches wir als Gymnasiasten an jedem Sonn- und Feiertage aufgesucht hatten, um die enge Festungsluft los zu werden. Dies Wirtshaus lag mir in freundlicher Erinnerung, und ich glaube, daß ich nur um dieses Wirtshausgartens halber auch an die blonde Luise dachte, welche ebenfalls mit ihrer Mutter Sonn- und Feiertags dorthin kam. Zunächst wollt' ich sehen, ob die feiste Karoline, die Wirtstochter, noch so leicht lachte wie ehedem. Wieder einmal lachen zu hören, schien mir ersprießlich zu sein.

Nun, Karoline existierte noch, und sie lachte noch, aber etwas gedämpfter. Vater und Mutter waren gestorben, sie führte das Wirtshaus allein, und es machte ihr Sorgen, da es verschuldet war. Sie hatte selbst von ihrer Feistigkeit etwas verloren, aber nichts von ihrer Redseligkeit. Sie erzählte von allen alten Bekannten, und da sagte sie denn auch: ›Wie schade, daß Sie die Luise nicht finden! Die fragt immer nach Ihnen. Sie ist zum Besuche auf dem Lande, und – ach, da fällt mir ein: Sie fahren nach Warmbrunn?‹ – ›Ja.‹ – ›Der Weg führt vorbei an dem schönen Garten von Schönlinde, und dorthin kommt Luise morgen. Ich fahre morgen auch hin und da könnten Sie – ach, das wär' herrlich! – da könnten Sie mit mir fahren. Luise würde sich königlich freuen, Sie einmal wiederzusehen. Sie hat dort in Schönlinde eine Zusammenkunft mit ihrem Bräutigam.‹ – ›Sie heiratet?‹ – ›Ja, den Rechnungsrat Silber. Sie müssen ihn ja kennen, er war mit Ihnen auf dem Gymnasium.‹ – ›Jawohl. Also fahren wir morgen zusammen.‹

Zu meiner Schande sei's gesagt, es ging gar nichts in mir vor bei dieser Nachricht von Luisen, am wenigsten Eifersucht. Vielleicht weil Warmbrunn und Juliane mir auf den Schultern lagen? Nein, ich meine der Liebestraum von Luisen war ausgeträumt in mir, obwohl sie blond war. Du schüttelst den Kopf? Du denkst, der Bär von dunnemalen ist gar keiner ordentlichen Liebe fähig, nicht wahr?«

»Ich denke gar nicht, ich rauche. Fahre nur fort, wie der Regen.«

»Ja. Aber ich bemerkte dir doch ausdrücklich, ich halte es für einen Irrtum, wenn du mir die Fähigkeit zur Liebe absprechen wolltest. Sie war doch da, war jahrelang da zu Luisen. Aber wir waren zu jung. Das grobe Leben hatte außerdem jahrelang auf mir gelegen, und – ich komme noch darauf – es fehlte der blonden Luise doch was. Sie muß nicht nur blond sein, welche – aber davon später. Du rauchst schnell, ich eile.

Wir kamen also nach Schönlinde und fanden Luise. Sie schrie vor Erstaunen laut auf, als sie mich so unerwartet vor sich sah. Ich war auch erstaunt, aber ruhiger, ich schrie nicht. Luise war, wie ich schon gesagt, gerade so alt wie ich, und ich war damals 28 Jahre. Das ist wohl etwas zuviel für ein junges Mädchen, und war's vielleicht auch für Luisen. Namentlich kamen mir ihre blonden Haare etwas zu hell vor. Denn wenn ich sage: Blond muß sie sein! so meine ich damit nicht hellblond, sondern fast dunkelblond. Außerdem fehlte – doch davon, wie gesagt, später! Trotz alledem gab's eine Viertelstunde herzlichen Austausches über all das, was uns beiden während so langer Trennung begegnet war. Zu meiner Verwunderung wußte sie alles, was ich getrieben, bis auf Kleinigkeiten, wie Paukereien. Sie wollte auch von Liebschaften wissen – ich verwahrte mich streng gegen dies Wort – sie war genau unterrichtet von meiner Gefangenschaft, und drückte recht warm ihre Betrübnis aus, daß ich gar nicht mehr nach Neisse gekommen.

All das, angenehm vorgetragen, machte mir einen angenehmen Eindruck. Aber nicht mehr. Ja, es störte mich eigentlich nicht, als man uns störte. Bräutigam und Freundinnen kamen herzu, und ich ging ins Haus, um verspätet zu frühstücken. Du siehst, ich war recht natürlich und gar nicht romantisch. Aber ich war auch mit dieser natürlichen Aufgabe noch nicht fertig, da stürzte die Romantik herbei. Karoline nämlich, welche unklare Klagetöne ausstieß. Was ist? Was gibt's? – Oh, oh! – Was ist denn geschehen? – Luise hat ihrem Bräutigam aufgesagt; plötzlich will sie ihn nicht heiraten.

Plötzlich?! Dies Wort hätte mir doch wohl einen Gedanken wecken sollen, sogar einen schmeichelhaften, nicht wahr?«

»Allerdings. Du hattest aber Julianen auf dem Halse, du Don-Juan-Bär.«

»Auch daran dachte ich nicht einmal, ich blieb gedankenlos. Der Bräutigam, Karoline und die Freundinnen jedoch überlieferten mir eine Aufgabe, welche augenblicklich auszuführen wäre: ich sollte doch Luisen zureden, daß sie diesen Bruch der Brautschaft unterlassen möge, denn er müßte ja ein unangenehmes Aufsehen erregen. Sie würde gewiß auf mich, den alten Jugendfreund, welchen sie so lebhaft begrüßt, hören. Sie laufe draußen unter den Bäumen umher.

Ich ging hinaus. Richtig! Sie promenierte wie ein peripatetischer Philosoph und gestikulierte mit den Händen. Als sie mich sah, kam sie langsam zu mir und blickte mich an mit starrem Auge. Sie sagte kein Wort. Ich hielt ihr nun eine Rede voll bürgerlicher Weisheit und sprach so lange, bis ich nichts mehr wußte und auf ihre Erwiderung wartend aufhörte. Es entstand eine Pause, und in dieser Pause wurde mir unbehaglich, ich merkte, daß die Aufgabe, welche ich da übernommen, eine historisch unrichtige, für mich nicht passende wäre. Aber Luise löste die unbequeme Spannung; sie nickte ein paarmal mit dem Kopfe und sagte leise: ›Ich danke für guten Rat.‹ Dann kehrte sie um, ließ mich stehen und ging fort.

Was blieb mir übrig, als zu meinem unterbrochenen Frühstück zurückzugehen? Pfui! wirst du sagen. Ich hab' es, glaube ich, auch gesagt, denn ich konnte nichts mehr essen. Dem Bräutigam und Karolinen hatte ich erzählt, wie sich Luise benommen und was sie am Schlusse gesagt. Sie waren fortgelaufen, um sie aufzusuchen. Ich saß am Tische, den Kopf in der Hand, und haderte mit dem Schicksale, daß es mich immerfort zum Verkehre mit Frauenzimmern nötigte, während ich selbst gar nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Du wirst sagen, ich sei doch in der Tat eine tief prosaische Natur. Mein Gott, was sollt' ich denn tun? Ich war gedankenlos, weil ich eben nichts empfand. War das meine Schuld?

Nach einiger Zeit kam Karoline zurück und lobte mich für meine Beredsamkeit. Alles sei wieder in Ordnung mit dem Bräutigam; nur zeitiger heimfahren wolle Luise, sie habe Kopfschmerzen.

Der dankbare Bräutigam und Karoline hatten es so angeordnet, daß ich in demselben Wagen mit ihr fuhr, denn ihr Weg war auch der meinige nach Warmbrunn. Das war nicht angenehm für mich. Luise war sehr still, und das wenige, was sie sprach, das sprach sie sehr sanft. Unter dem wenigen fiel mir nur auf, daß sie mich glücklich pries, weil ich ein ganz ruhiges Gemüt hätte, ein Gemüt, welches von den wechselnden Vorfällen des Lebens nicht beunruhigt sein würde.

Der Abschied war freundlich, aber, wie mir's schien, nicht ohne Zwang. Erst als ich allein war in meinem Wagen, zuckte plötzlich ein Lichtstrahl durch meinen Kopf – recht spät! wirst du sagen – und dieser Lichtstrahl beleuchtete den Gedanken: Herr Gott, am Ende ist Luise unserer Jugendbekanntschaft treu geblieben, und sie liebt dich und hat deswegen den Bräutigam nicht mehr gemocht! Erst als du ihr zugeredet, den Bräutigam zu behalten, hat sie erkannt, daß du ihr gegenüber ein gleichgültiger Mann geworden. Du weißt, ich bin nicht eitel –«

»Wahrhaftig nicht!«

»Aber diesen Zusammenhang meinte ich doch nicht abweisen zu können. Er erfreute mich nicht, obwohl er nur schmeicheln konnte. Ich zuckte die Achseln und sagte: Das ist nicht zu ändern. Die Jugendphantasie ist eben verschwunden, und ihr Verschwinden beweist wohl, daß du für die Liebe nicht geschaffen, einer echten Liebe nicht fähig bist.

Diese Stimmung war für Warmbrunn und Julianen eine trostlose. Dorthin trieb mich eine Gewissenspflicht, und diese Gewissenspflicht würde mich – das sah ich voraus – zu einer Heirat nötigen.«

»Armer Bär!«

»Arm, dies ist das Wort. Juliane erkannte wohl schon an der Begrüßung, wie es mit mir stände. Aber sie überwand sichtlich diesen Eindruck, sie war freundlich, sanft, ja herzlich. Ihr Äußeres unterstützte sie darin bei mir. Sie hatte an Jugendlichkeit und Schönheit verloren. Daran war ja ich offenbar schuld, und dadurch erhielt sie um so mehr Anspruch an mich. Das sagte ich mir streng, und ich gab mir redliche Mühe, freundlich und entgegenkommend zu sein. Ich konnte mir indes nicht verhehlen, daß mir das nicht sehr gelang, und daß Julianens Stimmung matter und matter wurde. Es bleibt nichts übrig, sagte ich mir am Schlusse des zweiten Tages, als daß du ihr morgen anbietest, was sie erwartet, und was sie erwarten darf –«

»Die Heirat?«

»Ja. Der Verkehr mit mir hatte ihr bürgerliches Leben zerstört, ich mußte es ihr wieder aufbauen.«

»Aber von dir war ja doch das Liebesverhältnis nicht ausgegangen!«

»Nein, aber ich war doch ihr Liebhaber geworden. Ach, es war eine schwere Nacht. Mein künftiges Leben kam mir wie zugemauert vor. Der einzige Trost war: Sie liebt wenigstens dich. Mit diesem leidigen Trost stand ich am Morgen auf, kleidete mich an und ging in den Garten, wo wir zu frühstücken pflegten. Sie war noch nicht da. Es war ein schöner Sommermorgen; ich dachte an meinen Wald, an meine Wiesen, an – nun, sie ist zwar eine Stadtdame, aber sie wird das Landleben wohl erlernen!«

»Bär, bist du des Teufels, du hast wirklich geheiratet?«

»Warte nur. Damals am Frühstückstische mußte ich auch warten. Juliane kam nicht, und ich sagte endlich der Kellnerin, sie möchte nachfragen. ›Ja, wissen Sie's denn nicht? Die Dame von Nr. 7 ist heute morgen schon um 5 Uhr mit all ihren Koffern fortgefahren. Das Stubenmädchen hat eine Karte für Sie abzugeben; hat sie's nicht getan?‹ – ›Nein. Hol' sie mir!‹ – Die Karte in einem verschlossenen kleinen Kuvert wurde gebracht, und auf der Karte stand von Julianens Hand geschrieben: ›Du liebst mich nicht mehr, hast mich vielleicht nie geliebt, und ich will dir nicht zur Last fallen. Ich bin abgereist.‹«

»Gott sei Dank!«

»Vielleicht hab' ich das auch gedacht. Wenn auch erleichtert, so fuhr ich doch bekümmert nach Hause. Du bist nicht für die Frauen, sagte ich mir, du bringst ihnen Unglück, und die Frauen sind nicht für dich auf der Welt, denn du bist doch im Grunde ein liebloser Gesell.

Daheim betrieb ich nun, ein wortkarger Mann, meine Land- und Forstwirtschaft fleißig und gewissenhaft. Ich las eine einzige Zeitung, und nur über sie ärgerte ich mich mitunter. Sonst war's ganz ruhig in mir, wohl einförmig ruhig. Um die Einförmigkeit nicht überhand nehmen zu lassen, griff ich in den langen Winterabenden außer zu wissenschaftlichen Büchern wohl auch manchmal zu unseren klassischen Dichtern. Aber das Poetische erregte mich nicht mehr, und wenn ich Liebesleidenschaft geschildert fand, da lächelte ich und dachte: Übertreibung gehört wohl in dieser Kunst zum Handwerke. Werd' ich langweilig?«

»Ja. Und bedauernswert. Ich warte auf den Auftrag für mich.«

»Er kommt gleich; denn ich trotzte meiner alten Tante, welche das Hauswesen bei mir besorgte. Sie war eine gute, unbedeutende Person, diese Tante. Aber sie war doch ein Frauenzimmer. Die Frauenzimmer fühlen alle einen Beruf in sich, welcher wie eine geschlechtliche Pflicht in ihnen zu liegen scheint: sie meinen alle, kuppeln zu müssen. Jedes unverheiratete Geschöpf in ihrer Nähe beschäftigt sie mit der Spekulation, wie kann dies Geschöpf an den Mann gebracht, will sagen verheiratet werden? Nun gab's auf dem Nachbargute ein sehr hübsches, braves Mädchen. Sie hieß Marie, und die sollte ich absolut heiraten. Die Tante bestand darauf Tag für Tag, und ich sagte Tag für Tag nein, nein! obwohl ich zugestehen mußte, daß Marie ein schönes Geschöpf und mir auch recht angenehm wäre. Sie hatte schwarzes Haar – das sagt alles.

Jetzt also – der Regen läßt nach, deine Zigarre geht wieder zu Ende – bin auch ich am Schlusse. Es vergingen stille, einförmige Jahre, und es zeigten sich graue Spitzen an meinem Schopfe. Da sagte der Arzt, das käme von ungenügender Gallenabsonderung, und ich sollte nach Karlsbad gehen. Das ist geschehen, wie du siehst, und was ist mir hier begegnet, was? Erinnerst du dich, wie ich die junge Auguste, welche zum Besuche in meine Vaterstadt kam, beschrieben habe?«

»Jawohl.«

»Nun denke! Die leibhafte Auguste stand neulich vor mir unten am Marktbrunnen, plötzlich, plötzlich!«

»Das muß eine bejahrte Dame sein.«

»Gott bewahre! Ein junges Mädchen, vielleicht einige zwanzig Jahre alt. Mit demselben dunkelblonden Haare, mit demselben reizenden Zug um Mund und Nasenflügel, mit demselben schalkhaften Blicke des Auges, schlanken vollen Wuchses – Freund, der Funke war augenblicklich da und hat in mir gezündet, als ob ich wieder vierzehn Jahr alt wäre. Alles, alles möcht' ich aufbieten, um dies für mich zauberhafte Geschöpf an meiner Seite zu sehn!«

»Das ist der Liebe heil'ger Götterstrahl –«

»Freilich ist er das. So lange hab' ich darauf warten müssen. Lache nicht! Es ist mir ganz einerlei, wie du das erklären magst. Ob in jedem Menschen ein ganz eigener Geschmack geboren wird, der ihn zeitlebens beherrscht oder sonst was. Alles das ist mir einerlei. Ich weiß nur ganz bestimmt, und ich möchte es dir zuschreien: Dieses blonde Mädchen – Gott gebe, daß es noch Mädchen ist – mit seinem ganz eignen Angesichte ist mein Zauber, mein alles verschlingender Zauber. Ich, der ich die Liebe nicht kannte, ich hab' sie gefunden, sie ist der Himmel auf Erden, und kann ich mir dies für mich wunderbare Geschöpf nicht zueignen, so werd' ich unglücklich, tief unglücklich.«

»Bravo! Aber das kann dir begegnen.«

»Sag' das nicht! Du kennst sie, wie ich heute morgen gesehen, du mußt mir helfen. Wer ist sie? Und ist sie noch ledig?«

»Vor allem übrigen ist sie jung, und du leugnest selber nicht, daß du schon grau wirst.«

»Nur auswendig, nur auswendig. Innen bin ich jetzt ein junger Springinsfeld.«

»Weil du verliebt bist.«

»Ja doch! Antworte, antworte!«

»Nun, denn, ledig ist sie noch und arm ist sie.«

»Vortrefflich! Und arm. Um so besser. Wie heißt sie? Was weißt du von ihr?«

»Sie lebt im Hause eines alten Justizbeamten, der mein Freund und hier zur Kur ist mit seiner Frau. Bei ihnen ist deine Flamme, welche Auguste Worbner heißt.«

»Auguste! Auch noch Auguste! 's ist zum Verrücktwerden. Am Ende gibt's doch eine Vorherbestimmung.«

»Auguste Worbner also heißt sie und ist die Tochter eines Predigers in der Wüste.«

»In der Wüste?«

»Sein kleines Pfarrdorf liegt mitten in Wäldern, abgeschnitten von der ganzen Welt. Aber eine große Schar Kinder belebt sein Haus, und unter ihnen ist Auguste das heitere Prinzip. Sie hat eine fröhliche Laune, und jedermann hat sie gern.«

»Das versteht sich von selbst.«

»Wenn die Kur des alten Herrn hier zu Ende geht, dann kehrt sie in die Wälder zu ihrer Familie zurück.«

»Nein, mit mir soll sie zurückkehren, auf mein Landgut.«

»Alter Schwärmer!«

»Ich ein Schwärmer! Zum ersten Male also! Freund, Schriftsteller, Poet! Du hast so viel Geschichten erfunden und zu gutem Ende geführt, nimm mein Schicksal in deine erfahrene Hand. Und das gleich! Der Regen hat aufgehört, das ist ein gutes Zeichen. Sie wohnt im ›Weißen Hasen‹, das weiß ich, führ' mich in den ›Weißen Hasen‹ und stell' mich vor als alten Freund und ausgezeichneten Menschen.«

Der Regen hatte wirklich aufgehört, und die Sonne kam zum Vorschein. Bei guter Beleuchtung also betrachtete ich meinen »Bären von dunnemalen« eine Weile aufmerksam, ob er denn auch noch empfehlenswert erscheine für ein junges Mädchen. Stattliche Figur, gebräuntes, kräftiges Antlitz, schöne Zähne, große, ehrliche Augen, der Vollbart noch glänzend dunkel, das Haupthaar erst leise angegraut.

»Äußerlich kannst du mir nicht alles absehen« – rief er ungeduldig – »ich werde zuverlässig ganz jung neben der blonden Auguste, das weiß ich positiv, ich werde mit ihr lachen, wie ich nie im Leben gelacht habe, ich werde ihre Wünsche erfüllen, noch ehe sie dieselben ausgesprochen hat, ich werde unter ihren Pantoffel kriechen, so lang ich bin!«

»Nun, so komm!«

Der »Weiße Hase« steht auf der alten Wiese, welche bekanntlich gar keine Wiese mehr ist, sondern, wenn man so sagen will, der Boulevard von Karlsbad. Wenn man aus der inneren Stadt kommt, gibt es rechts eine lange Reihe von stattlichen Häusern, und diesen gegenüber alte, in den Kronen kurz gehaltene Kastanienbäume, unter denen man sich bei gutem Wetter niedersetzt, vorzugsweise zum Frühstück. Hinter diesen Bäumen folgt eine lange Reihe von Kaufläden. Jedes Haus hat unter den Kastanienbäumen seine Bank, und wir fanden vor der Bank des »Weißen Hasen« die Familie, welche wir suchten. Die Familie war uneins, ob man sich wegen des früheren Regens auf die Bank setzen dürfte, welche soeben erst unter Aufsicht Augustens abgewischt wurde. In diesen Streit hinein stellte ich meinen »Bären« vor. Ich sah, daß Auguste von der Bank zurückschaute und ihn aufmerksam betrachtete. Wahrscheinlich hatte sie schon bemerkt, daß er am Marktbrunnen oder sonstwo seine großen Augen stramm auf sie gerichtet hatte.

Der alte Herr der Familie schalt auf die Nässe, welche ihm Schaden brächte, und meinte, der neue Bekannte sollte im Zimmer begrüßt werden. Man ging also hinein in den »Weißen Hasen«.

Auguste und ich waren die letzten. An der Haustür schon fragte sie mich, wer denn eigentlich dieser große ältere Herr wäre.

»Das ist ein Freier, schönes Fräulein.«

»Ich bin kein schönes Fräulein, und ich verstehe nicht, was das heißt, er ist ein Freier.«

»Das heißt, dieser Mann will heiraten.«

»Etwas spät!«

»Ja. Er hofft aber, daß diejenige, welche er sich erwählt und welche er leidenschaftlich liebt, einen guten Verstand haben, seine ausgezeichneten Eigenschaften schätzen und von seiner leidenschaftlichen Liebe geschmeichelt sein werde.«

»Geschmeichelt! Und wer ist denn das Mädchen, welchem so viel zugemutet wird? Kennen wir es?«

»Ganz genau.«

»Ah!«

»Sie selbst sind es.«

»Warum nicht gar!«

»Lassen wir die oben ein wenig warten und gehen wir ein paar Minuten auf der Wiese hin und her! Ich will Ihnen rasch entwickeln, daß diese Angelegenheit kein Scherz, sondern eine hoch ernsthafte Sache ist.«

Sie lachte, ging aber mit mir.

Ich schilderte ihr nun meinen alten Bären so günstig als möglich und schilderte ihr auch sein schönes Landgut.

»Lassen wir das Landgut in Ruhe, aber sagen Sie mir um des Himmels willen, wie kommt denn der Mann auf den Gedanken, gerade mich zu heiraten?«

»Er liebt Sie!«

»Dummes Zeug! Er kennt mich ja gar nicht.«

»Ja, haben Sie denn nie davon gehört, daß man sich in ein Mädchen verliebt, welches man zum ersten Male sieht?«

»Verliebt! O ja. Aber was heißt denn das? Gar nichts. Und alle Welt, sowie der Spiegel, hat mir bisher gesagt, daß ich gar keine Schönheit bin.«

»Für ihn sind Sie's. Alle Welt und der Spiegel können sich ja auch irren. Für ihn sind Sie eine Schönheit. Und man verliebt sich auch nicht bloß in die Schönheit, sondern auch in den eigentümlichen Reiz, welcher von einem Mädchen ausgeht.«

»Da müßt' er mich doch wenigstens gesprochen haben.«

»Nein. Romeo liebte Julien, ehe er sie gesprochen.«

»Poetische Übertreibung.«

»Die Miene, das Auge, das ganze sichtbare Wesen eines Mädchens kann solche Liebe erwecken.«

»Und daraufhin gleich heiraten? Nein, werter Herr Doktor, dieser Herr Bär, wie Sie ihn nennen, mag ein leichtsinniger Mann sein, wenn er –«

»Mein Bär leichtsinnig! Er ist der ruhigste, besonnenste Mensch –«

»Auguste, komm doch herauf!« rief die Frau oben vom Balkon des »Weißen Hasen« zu uns herab.

Der »Weiße Hase« hat einen Balkon, und wir standen just unter ihm.

Ich konnte sie nur noch bitten, mir abends eine Stunde zu schenken, damit ich ihr ausführlich die wichtige Angelegenheit auseinandersetzen könnte. Aber es müßte heute geschehen, denn morgen reiste ich ab.

Lachend erwiderte sie: »Ich kann nicht an den Ernst solcher Wunderlichkeit glauben, aber Sie Fabulisten anzuhören, wird mir eine Unterhaltung sein. Also heute abend zwischen fünf und sechs Uhr im Kaiserparke! Dorthin fahre ich mit den Herrschaften. Spätestens halb sieben Uhr fährt der alte Herr zurück, weil sich da schon die Sonne hinter den Wald verkriecht und er die Abendkühle scheut. Ich geh' dann mit Ihnen allein auf dem Faulenzerwege zurück und höre zu, wie Sie Ihr Romankapitel vortragen. Einverstanden?«

»Sehr einverstanden. Und wenn Sie« – sagte ich noch auf der Stiege – »kein Ideal im Herzen tragen und keinen ganz echten Grund haben, auf dies Ideal zu warten –«

»Das Ideal und der Grund sind kaum ganz echt«, schob sie ein und lächelte beinahe.

»Dann sehen Sie ehrlich zu, ob Ihnen mein Bär leidlich angenehm ist, denn alsdann ist er für Sie eine annehmbare Partie.«

»Nicht doch! Nicht doch!«

»Unter allen Umständen ist er ein Ehrenmann.«

»Anschauen verpflichtet ja nicht zum Kaufen«, sagte sie mit schelmischem Ausdrucke um Mund und Nasenflügel, wohl mit dem Ausdrucke, welcher ein Verhängnis geworden für den Bären, und öffnete die Zimmertür.

Der Bär sah erhitzt aus. Er disputierte mit dem alten Justizmanne über Agrargesetze und schwieg betroffen still, als Auguste mit mir eintrat.

Sie blickte auf ihn mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben könnte. Nein, es war kein Blick, es war ein Blicken, welches gar kein Ende erwarten ließ, und auf ihrem Gesichte meinte ich zu lesen: Und den Mann soll ich –? Nein.

Die Pause war beängstigend, und ich hob sie auf mit der Bemerkung, es sei wohl Speisenszeit für die Familie Haacke – so hieß der Justizmann. Ja sagend erhob er sich, und wir gingen.

Mein Bär hatte kein Wort mit Augusten gesprochen. Dies war das Ergebnis seiner Zusammenkunft mit ihr. Für mich lautete das Ergebnis dahin: So scheint denn der Wetterstrahl echter Liebe auf den älteren Mann gerade so zu wirken, wie auf den Jüngling. Es macht jenen wie diesen stumm, verlegen, aller Kräfte beraubt. Der Begriff Liebe scheint eben doch, wie die Dichter behaupten, die stärkste Macht zu sein, welche die Natur über den Menschen ausübt. Die Natur! Die blanke Natur! Denn mein Bär hatte ja doch von dieser Auguste keinen andern Eindruck behalten, als den Eindruck ihres Anblickes. Von einer Wirkung des Geistes oder Gemütes konnte ja keine Rede sein; er kannte von ihr gar nichts, als die äußere Erscheinung. Sind wir Sklaven der Natur! Und verschwenden wir unnütze Redensarten!

Mir gegenüber war derselbe Bär jetzt, welcher ihr gegenüber kein Wort gefunden hatte, unbeschreiblich wortreich; er war wie berauscht. »Ich muß sie immer sehen« – rief er – »auch wenn sie einem andern angehört!«

»Oho!«

»Du hast recht,« flüsterte er, »du hast recht. Nein, das geht nicht. Die Eifersucht würde mich zum Othello machen. Und doch wieder nein. Nicht zum Othello. Ihr könnte ich nichts antun, wie jener Mohr seiner Desdemona, nichts, gar nichts. Aber ihn, den andern, würde ich ermorden. Richtiger ausgedrückt, sage ich: Ich muß sie immer sehen, auch wenn sie mir nicht angehört.«

Als ich ihm nun mitteilte, daß ich mit ihr gesprochen, und was sie erwidert habe – da wurde er sehr traurig. Ich glaube, das Wasser trat ihm in die Augen.

»Hast du was dagegen,« sagte ich, »daß ich ihr heute abend allein mit ihr auf dem Faulenzerwege deine ganze Lebens- und Liebesgeschichte –«

»Liebesgeschichte gibt's ja nicht!« unterbrach er mich.

»Doch!« sagte ich. »Die kleine Auguste in deiner Vaterstadt, der platonische Aufschwung des Gymnasiasten für Luisen, die Leblosigkeit aller Empfindung, bis du jetzt sie, die erwachsene Auguste Worbner gesehen – das sind positive und negative Liebesgeschichten. Darf ich sie ihr schildern?«

»Alles, was du für zweckmäßig hältst. Aber ich darf doch mit hinausgehen in den Kaiserpark?«

»Das darfst du. Du darfst auch endlich mit ihr reden.«

»Wenn ich nur kann!«

»O Bär von dunnemalen! Wo ist deine Courage hin, welche du so oft auf der Mensur betätigt hast?«

»Dahin! dahin! Ich bin ein Kind geworden.«

Der Kaiserpark ist ein Kaffeegarten mitten auf einer langen Wiese, welche von der Tepl bespült wird. Die Wiese ist rings eingeschlossen von hohen Waldhügeln; man sitzt da wie in einer abgeschiedenen stillen Welt, und ist geneigt zu philosophieren oder Verse zu machen.

Hier fand der Bär denn auch einige Worte für seine Blondine, schüchtern vorsichtig, äußerst sanft betonte Worte, welche kaum passend schienen für die sonore Baßstimme des stark gebauten Mannes. Sie schienen auch Augusten zu verwundern, und sie antwortete resolut prosaisch, indem sie auf unpassend lustige Wendungen losging. Dies verblüffte ihn sehr, und es mußte ihm gelegen kommen, daß der alte Haacke bemerkte: »Da da! Die Sonne verschwindet hinter dem Waldberge. Auf! auf! Nach Hause!«

Meinem Winke folgend, fuhr der stöhnende Bär mit dem Haackeschen Ehepaar nach Karlsbad, und ich wandelte mit Augusten demselben Waldberge zu, über welchen in sehr mäßiger Steigung der Faulenzerweg führt. Er trägt eben wegen seiner mäßigen Steigung den Namen »Faulenzerweg« und führt durch hohen und mittleren Schwarzwald zu Aussichtspunkten, welche an eine Schweiz ohne Gletscher erinnern.

Auf einem solchen Punkte ließen wir uns nieder, und ich erzählte getreulich, was mir der Bär am selben Vormittag in der Laube des »Königs von England« unter Regenwetter erzählt hatte.

Sie hörte aufmerksam zu und unterbrach mich mit keinem Worte. Als ich zu Ende war und mit den Worten schloß: »Sie sehen, daß Sie meinem Bären Fritz vom Schicksale bestimmt sind«, da machte sie eine ablehnende Armbewegung und sagte erst nach einer Pause: »Fritz heißt er?«

»Ja, Fritz.«

»Kurz und bündig, aber spitz. Die ganze Sache ist für mich zu spitzfindig. Auf solchen Zufall hin kann man doch vernünftigerweise keine Ehe gründen. Und dabei ist nur von ihm die Rede: für mich ist er ja fremd, wildfremd.«

»Was hindert Sie, ihn kennen zu lernen? Je näher, desto mehr wird er gewinnen. Sie haben mir ja heute mittag gesagt, daß einer Neigung für ihn kaum ein echtes Ideal entgegenstünde. Was heißt das: kaum

»Gustav heißt es, welcher in unserem Hause aufgewachsen ist.«

»O weh, es gibt einen Gustav?!«

» Kaum, hab' ich gesagt. Er hat oft von seiner Neigung für mich deklamiert und hat erklärt, daß ich ihn heiraten müßte. Ich hab' dazu gelächelt. Jetzt ist er draußen als Ingenieur gut angestellt, und meine Schwester erwartete immer – jetzt schreibt sie mir aber gestern: er mache in Liegnitz einer jungen reichen Witwe die Cour.«

»Nun also! Das ist weniger als kaum

»Ach, darum handelt es sich ja nicht! Sondern darum, daß ich gar nicht ans Heiraten denke. Meine Eltern werden alt und schwach, und ich muß die Wirtschaft übernehmen, als die älteste. Ich muß für Unterbringung meiner Geschwister sorgen. Deshalb geh' ich jetzt nur noch auf ein paar Tage mit Haackes nach Breslau und dann nach Hause in unsere Wälder.«

»So gestatten Sie wenigstens, daß Fritz Sie in Breslau besucht, und daß er Sie auch in Ihren Wäldern aufsuchen darf.«

»Das kann ich nicht hindern. Mein alter Vater wird sich sogar freuen, einen Gesellschafter zu kriegen, wenn dieser Schach spielen kann.«

»Das kann er.«

Dazu lachte sie, und ich setzte hinzu: »Sie sollten mir schreiben, wie Ihnen mein Fritz nach einiger Zeit vorkommt!«

»Ach nein, an einen Schriftsteller schreibt man nicht gerne. Der kritisiert zu scharf. Aber es wird kalt. Marschieren wir nach Karlsbad hinunter! – Und Sie gehen wirklich schon morgen fort?«

»Ja. Und ich schreibe Ihnen. Schon aus Höflichkeit müssen Sie mir antworten; ob –«

»Ach, lassen Sie doch die abenteuerliche Geschichte ruhen!«

Mit diesem wenig versprechenden Ergebnisse war mein alter Bär, zu meinem Erstaunen, nicht unzufrieden. Daß ich einen Besuch und sein Aufsuchen im elterlichen Hause angekündigt und keinen Widerspruch gefunden hatte, das war ihm sehr tröstlich.

»Sie wird mich nicht mehr los!« war sein letztes Wort, als ich in den Reisewagen stieg.

Ich erfuhr lange nichts von meinem brennenden alten Bären. Endlich kam ein Brief. Haackes und Auguste seien noch zwei Wochen in Karlsbad geblieben, er natürlich auch. Täglich hätte er sie aufgesucht, mit ihnen gespeist, mit ihnen promeniert. Ein erklärendes Wort, eine eigentliche Liebeserklärung an Auguste hätte er aber noch immer nicht gewagt. Haackes hätten wohl gemerkt, daß nicht sie der Magnet wären für die beflissene neue Bekanntschaft, und hätten dazu gelächelt. Die Auguste finde Anwert, hätte Frau Haacke gesagt; zu Anfang der Kur sei auch ein sehr zierlicher und fescher Jüngling aus Breslau dagewesen, welcher sichtlich Feuer gefangen, aber der sei zu reich, und sie hätte Augusten nicht nach ihm gefragt. Der alte Haacke aber hätte jetzt in betreff seiner – des Bären – Augusten zugeredet, die gute Partie anzunehmen, und da hätte Auguste leider ganz ernsthaft die guten Ratschläge abgewiesen.

»Ich lasse aber nicht los,« fuhr der Brief fort, »und bin mit nach Breslau gefahren. Weiter gekommen bin ich freilich auch hier nicht. Nur eins habe ich erreicht: ich habe Augusten und Haackes zu einem Besuche auf meinem Gute gewonnen. All meine Pferde hab' ich anspannen lassen, vierspännig hab' ich sie selber gefahren! Auch gemeine Prahlerei habe ich, wie Du siehst, nicht verschmäht. Umsonst! Augustens Gleichgültigkeit weicht nicht. Nur einmal schien sie einen Augenblick lang interessiert zu sein. In meinem kleinen Parke habe ich auf einem Hügel eine junge Eiche gepflanzt in Gegenwart Augustens, der Haackes und meiner alten Tante, welche übrigens – nebenher bemerkt – Augusten sehr annehmbar findet, und da hab' ich in einer sehr kurzen Rede gesagt: Diese Eiche sollte Auguste heißen, wenn Fräulein Auguste eine Schaufel Erde zuschütten möchte. Zitternd gab ich ihr die Schaufel in die Hand, sie wurde rot und – sie tat es. Das war ein herrlicher Tag! – Weitere Folgen hatte er allerdings nicht. – Jetzt will sie nach Hause reisen, und ich hab' mir ein Herz gefaßt und sie gefragt, ob ich sie begleiten dürfe? – ›Warum nicht gar!‹ hat sie heftig ausgerufen, ›was würden die Leute, was würden die Meinigen dazu sagen!‹ – Sie würden sagen, erwiderte ich, daß Sie in mir einen treuen Freund besitzen. – ›Nein!‹ schloß sie, und so ist sie abgereist.

Ich folge ihr aber doch, ich lasse sie nicht los. Du solltest ihr ein paar aufmunternde Worte schreiben.«

Das tat ich. Erst nach einigen Wochen antwortete sie. Der Brief war voller Unruhe. Der Herr Fritz hätte die Dreistigkeit gehabt, seinen Besuch bei fremden Leuten damit zu entschuldigen, daß er dem Vater geradeaus gesagt: Er liebe mich und wünsche mich zu heiraten. »Unglaublich« – hieß es weiter – »mir hat er es nicht gewagt, das zu sagen. Zornig hab' ich ihn zur Rede gestellt, und da hat er gestammelt, er hätte mir gegenüber keine Courage! Jetzt hab' ich nun die liebe Not. Meine ganze Familie ist lächerlich erbaut von dem Antrage, und meine Schwester flüstert unaufhörlich in mich hinein, der Gustav sei ja doch treulos. Ach was, Gustav! An den denk ich gar nicht, und ich finde auch neben ihm den Herrn Fritz viel besser, weil er solider und gebildeter ist. Aber daß er das blonde Luischen vergessen und sich mit der leichten Juliane einlassen konnte, das spricht doch auch für ihn nicht. Man tut gewiß besser, keinem Mann anzugehören, wenn man nicht verliebt ist. Sie sind alle schlimme Gesellen, auch wenn sie – denken Sie! mein Vater zieht mich völlig auf, indem er mir geradezu sagt: Gustel, verstell Dich nicht, Du bist ihm schon lange gut, denn es ist eine Naturerscheinung, daß junge, gescheite Mädchen sich gern einem älteren Manne anschmiegen, zum Unterschiede von Witwen, welche das nicht tun. Und – setzt er hinzu – was Du schlimme Gesellen nennst, das sind immer nur die jungen, ein Mann über die vierzig ist treu wie Gold. So geht's mir! Es ist ganz unglaublich, wie er meine Eltern und Geschwister für sich eingenommen hat, es ist eine völlige Verschwörung gegen mich. Der Vater hat eine Baumschule. Da ist denn Herr Fritz obenauf. Er weiß viel mehr Botanik als der Vater, und das ist dem Papa – man sollt' es nicht denken – ersichtlich willkommen. Sonst nimmt man so was übel. Abends spielen sie Schach miteinander, und dieser schlaue Herr Fritz läßt den Vater immer gewinnen, obwohl er viel besser spielt. Mit mir hat er das auch versucht, aber ich habe die Figuren umgestoßen und habe gerufen: Sie schmeicheln, Sie sind nicht ehrlich! – Mit der Mutter verkehrt er in der Küche und im Obstgarten, und zeigt ihr, wieviel besser es wird, wenn man das rohe Fleisch länger liegen läßt, und wie man das Obst durch chemische Hilfsmittel vorteilhafter einsieden kann. Mit meiner Schwester – sie hat Talent zum Zeichnen – spricht er erzählend über fremde Länder und Monumente, und er zeichnet sie auf, er zeichnet sehr gut. Da ist sie denn Aug' und Ohr für ihn. Mit meinem kleinen Bruder Ludwig aber spielt der große Mann wie ein Kind, neulich ist er in der Stadt gewesen und hat ihm von da einen kleinen Pony mitgebracht. Jetzt lehrt er ihn reiten, und der Junge umarmt und küßt ihn in einem fort. 's ist unausstehlich! Alle sind entzückt von ihm und nennen mich unverständig, daß ich solch einen Ausbund von Menschen nicht gerne haben möchte. Letzteres ist nun nicht einmal wahr. Ich habe gar nichts gegen ihn, als daß er mich heiraten will. Schreiben Sie ihm, daß er fortgehen möchte, sonst geh' ich fort. Haackes haben mich wieder eingeladen.«

Ich hütete mich wohl, ihm das zu schreiben. Die Dinge schienen mir jetzt in guten Gang zu kommen. Mir schien's, als kapituliere Auguste. Welch' ein Irrtum! Nach acht Tagen kam ein verzweifelnder Brief vom Bären. »Sie ist entflohen« – schrieb er – »sie ist fort! Drei Tage lang hat mir's die Familie verschwiegen. Da hieß es, sie wäre in die Stadt gefahren, um einige Einkäufe zu machen. Als ich endlich ungeduldig wurde, gestand mir die Mutter: ›Sie ist nach Breslau, Frau Haacke hat keine Ruhe gegeben, obwohl sie ihr die Hauptsache verschwiegen und nur mir anvertraut hat. Sie findet dort zu ihrer eigenen Überraschung – Ihnen darf ich's nicht länger verschweigen – eine glänzende Partie. – Was?! – Ja, eine brillante Partie, fassen Sie sich nur! Ein junger Millionär, welcher meine Tochter vor Ihnen in Karlsbad gesehen, wird der Bräutigam. Der steinreiche Vater hat lange nein gesagt zu der Absicht seines Sohnes, jetzt aber – schreibt mir Frau Haacke – hat er die Heirat zugegeben.‹ – ›Diesen Artur reiß ich in Stücke!‹ schrie ich. – ›Nicht doch,‹ fuhr die Mutter fort, ›das wäre ja unchristlich. Sie sind ja ein Christ, ergeben Sie sich geduldig in Ihr Schicksal! Wir haben das Unsere redlich getan für Sie, denn Sie sind uns lieb und wert, und wären uns als Schwiegersohn eigentlich lieber als jeder andere. Aber wir müssen uns doch auch eingestehen, daß der große Reichtum des Herrn Artur manche Erleichterung bringen wird für unsere Familie. Am Ende konnten wir doch auch Augusten nicht zu Ihnen zwingen, Jugend will eben Jugend.‹

Da stand ich – ich war vernichtet. Meiner Losung gemäß fahre ich morgen nach Breslau. Ich lasse sie nicht los, wenn es auch Mord und Totschlag mit sich bringen sollte. Kommt's darauf an, ob ein Artur mehr oder weniger in der Welt ist?!«

Da ich des Bären Charakter von früherher genau kannte, so geriet ich in ernste Besorgnis. Wenn seine Energie einmal aufgeregt war, so hatte man das Gewaltsamste von ihm zu befahren. Ich fürchtete mich vor dem nächsten Briefe. Er kam und lautete wie folgt:

»Es ist so, wie die Mutter gesagt, das Äußerste steht bevor. Der alte Gastwirt, bei welchem ich immer absteige und welcher mit Haacke verkehrt, erzählt mir, daß heute abend in der Haackeschen Wohnung die Bombe platzt. Große Gesellschaft, der Salon ausgeräumt zum Tanzen, um Mitternacht Souper, und da bringt der alte Haacke den Toast aus, welcher die Verlobung proklamiert. ›Schade um das hübsche Mädchen‹ – setzte mein Gastwirt hinzu – ›schade! Ja, sie wird unmenschlich reich. Der Vater Arturs hat ein Kohlenwerk in Oberschlesien und gewinnt dort die schönste Glanzkohle. Da muß man wohl Millionär werden, und der Artur kann seine Frau in Samt und Seide kleiden. Aber glücklich machen wird er sie nicht. Er ist eine leichte Fliege und verliebt wie ein Maikäfer. Hundert Liebschaften hat er schon gehabt, und im ersten Jahre schon wird er seiner Frau untreu werden.‹

›Und dabei ist er ein Wicht, ein Geck,‹ frage ich, ›nicht wahr?‹ –

›Ja, nichts weiter,‹ sagt er.

›Was braucht der zu leben!‹ sage ich.

Der Wirt lachte und erwiderte: ›Das weiß ich auch nicht.‹

Ich ziehe meinen Frack an und gehe heute abend hin.

Freund! Ich will lieber hingerichtet werden, als Augusten entsagen. Sie bedeutet ja den Inbegriff meines Lebens, was ist das Leben wert, wenn es keinen Inhalt hat?«

Ich wollte augenblicklich nach Breslau reisen, um ihn zurückzuhalten. Aber ich mußte mir sagen: Du kommst ja doch zu spät. Am Tage hatte er den Brief geschrieben, der brauchte seine zwölf Stunden bis zu mir, du brauchst auch zur Reise Zeit, und abends schon wollte er hingehn, der Racheengel. Es geht nicht. Allah kerim! sagte ich, wie wir als Studenten zu sagen pflegten, wenn ein Schicksalsschlag nicht abzuwenden war; Allah kerim!

Meine peinliche Spannung dauerte zwei Tage. Da kam der letzte Brief meines Bären von dunnemalen. Er lautete:

»So mag's sein, wenn ein Gespenst erscheint, als ich in die erleuchteten Zimmer bei Haackes eintrat. Frau Haacke erblaßte, als sie mich sah und rief eiligst ihren Mann herbei. Er kam lachend auf mich zu, streckte mir seine Hand entgegen und rief: ›Bravo, so benimmt sich ein Held.‹

Ich nahm die Hand nicht, sondern erwiderte halblaut – es kochte in mir –: ›Sie werden den Helden kennen lernen, wenn es wirklich zu dem Toaste kommt, welchen Sie vorhaben.‹

Dabei ließ ich die beiden stehn und ging in den Tanzraum, und zwar mitten durch die Tänzer hindurch, Augusten suchend. Da saß sie niedergeschlagenen Auges. Ein junger, eleganter Stutzer mit hellrotem Lockenkopfe neben ihr. Ich fragte einen Herrn: ›Ist dies dort Herr Artur?‹ – ›Jawohl‹, erwiderte er. Nun schritt ich stracks zu dem Paare. Als ich nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, blickte sie in die Höhe und stand hastig auf. Herrgott, war sie bleich oder wurde sie bleich! Aber sie streckte mir wie Herr Haacke die Hand entgegen. Ich ergriff diese Hand und drückte sie – zum ersten Male. Sie erwiderte den Druck – zum Abschiede in dieser Welt.

›Die Eltern lassen grüßen‹, sagte ich mühsam nach einer kleinen Pause, setzte aber resolut hinzu: ›Ich möchte Ihnen was sagen.‹

Da rasselte die abscheuliche Klaviermusik einen neuen Anfang des Tanzes, und Herr Artur faßte sie um die Taille und flog mit ihr von dannen.

So wurde sie von der Antwort erlöst. Mir drehte sich auch alles im Kreise. Sollst du diesen Artur Kelden, welcher dein Lebensglück stiehlt, beim Kragen fassen und zur Tür hinauswerfen, wenn er vorüberwalzt? dachte ich und dachte ich, bis mich andere Tänzer zur Seite stießen und ich in ein Nebenzimmer gedrängt wurde.

Dies Zimmer war nur schwach beleuchtet, es war das Garderobezimmer für die Gäste. Dort fiel ich auf einen Stuhl und dachte weiter. Mit welchem Rechte, dachte ich, willst du dreinhauen, wenn sie diesen Artur will?

Da hörte im Tanzraume die Musik auf und man rief: Platz machen! Platz machen! Es wird fürs Souper gedeckt.

Das Souper! Da wird ihre Verlobung proklamiert; der alte Haacke, ein erfahrener, kaltblütiger Justizmann, wird sich den Teufel aus deiner Drohung machen. Was also? Du bist ohnmächtig.

Ich hielt meinen Kopf in der Hand, als müßte ich das kreisende Hirn zusammenfassen. So wurde ich es nicht gewahr, daß jemand eintrat. Ein Geräusch, endlich ein Seufzer veranlaßten mich, die Hand wegzunehmen. Herr des Himmels, was sah ich! Auguste stand vor mir, nur einige Schritte entfernt. Ich fuhr jählings in die Höhe. Sie sah mich an, sie sah mich an, es blieb mir kein Zweifel trotz des nur schwach erhellten Zimmers; ihre Augen waren voll Wasser. Sie schwieg aber. Gerührt zum Zerspringen sagte ich endlich kurzweg, wie ich nie getan. ›Auguste!‹

Da, Freund, da kam sie rasch auf mich zu, fiel mir an die Brust, schluchzte und sprach: ›Retten Sie mich!‹

›Retten?‹ stöhnte ich.

›Retten vor diesem Gecken!‹

›Das könnte ich ja nur‹ – bewundere mein Kriegstalent – ›das könnte ich ja nur, wenn Sie mich heiraten wollten.‹

Und denke, denke! und schrei auf! Sie hob das blonde Köpfchen, sah mit ihren feuchten Augen in die meinigen und sagte ganz einfach. ›Natürlich!‹

Freund! Natürlich! sagte sie ganz einfach, und hiemit flog all meine Schüchternheit in die Lüfte, ich Verwegener küßte sie auf die nassen Augen, und sie wehrte es gar nicht. Nein, sie flüsterte. ›Ihr habt mich zu Hause so bestürmt, daß ich eigensinnig wurde, und hier hat mich die Haacke überrumpelt, ich sei es meinen Eltern schuldig; man ließ mich gar nicht zu Worte kommen, und jetzt erst, als Sie zu mir traten, wurde mir's plötzlich sonnenklar, daß –‹

›Was denn?‹

›Daß –‹ sie fing an zu lachen.

›Also daß –‹

›Daß mir der Fritz doch lieber sei, als –‹

›Als dieser Artur?‹

›Ach der! Lieber als jeder andere.‹

Du kannst dir denken, daß es mir nun an gar keiner Courage mehr fehlte. Arm in Arm mit ihr suchte ich Herrn Haacke auf und sagte ihm sanften Tones. ›Ich eben bin der Held, dessen Namen in den Toast gehört, wenn Sie einen solchen noch ausbringen wollen, denn diese Dame ist meine Braut!‹

›Gratuliere!‹ sagte er stockernsthaft und blickte auf das hellrote Lockenhaar des neben ihm stehenden Herrn. Dieser schüttelte sein schön frisiertes Haupt und entfernte sich.

Das alles geschah gestern, an einem Sonnabend. Heute, Sonntag, werden wir – der Telegraph ist eine gute Erfindung! – in meinem Pfarrdorfe aufgeboten und fahren hinaus auf mein Gut. Mein alter Gastwirt fährt mit als Ehrenwächter, um draußen Auguste meiner alten Tante anzuvertrauen. In vierzehn Tagen ist Hochzeit. Du kommst doch? Mutter und Schwester und der kleine Ludwig kommen auch. Wieder Telegraph. Um die junge Eiche ›Augusta‹ wird getanzt werden. Das verlangt die eigensinnige Auguste. Und nun frage ich schließlich: ›Was scheltet ihr ewig auf die Schicksalstragödien? Ist mein ›Blond muß sie sein!‹ nicht eine Schicksalskomödie vollständiger Art? Es muß doch was dran sein an dem Schicksale. Nicht?«

Ich hatte nichts dagegen. Wer streitet mit einem Bären, welcher vom Glücke trunken ist, wenn er ästhetisch frevelt.


Druck von Hesse & Becker in Leipzig.

 


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