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Die Menschen mögen thun was sie wollen, die Sonne geht gleichmäßig ihre Bahn, und wenn die Frühlingszeit da ist, erscheint sie höher und erweckt alle Keime, ob auch Leidenschaft und Krieg, Thorheit und Haß die Menschen verwirren und verblenden. Wer in der Stille wohnen und verbleiben kann, der hört lächelnd zu, wenn ihm nach Jahren erzählt wird: es habe sich erstaunlich viel auf der Erde verändert. Was bedeutet solche Veränderung neben dem immer wiederkehrenden, gebieterischen Gleichmaße der Natur!
Auch das Frühjahr 1632 war goldig grün emporgestiegen unter der höheren Sonne. Der Vorsommer mahnte schon mit üppig heißer Luft, und aus dem offenen Thore eines böhmischen Schlosses traten zwei Mädchen in leichten Sommergewändern. Es war ein glänzender, duftender Morgen. Alles war leicht und sonnig, nur in den Schloßhof hinter ihnen war die Sonne noch nicht gedrungen. Die Mädchen sahen sich um, weil aus diesem Schloßhofe eine Stimme rief. Die Stimme gehörte einem hochgewachsenen, starken Manne, welcher sich langsam und dem Anscheine nach mühsam auf ein Pferd schwang. Als er endlich im Sattel saß, blickte er in die Höhe und rief in groben Tönen befehlshaberisch einige Worte hinauf. Sie galten dem Koch des Hauses, welcher von der Gallerie herab horchte. Offene Arkaden nämlich liefen innen um das Schloß rings herum bis zu der Seite, welche den Thoreingang enthielt. Das Schloß umfing in viereckiger Gestalt einen mäßigen Hof, der wie ein Saal erschien. Die Gallerie oben ringsum erhöhte die Aehnlichkeit mit einem Saale. Das Viereck indeß war unregelmäßig: der breiten Thorseite gegenüber war eine viel schmälere, wol um die Hälfte schmälere Seite. In Böhmen, wo diese Form der großen Herrenhäuser sehr verbreitet ist, nennt man sie Harfenform.
Geräuschvoll hustend und pruhstend wie Einer, der sich Kehle und Brustkasten reinigt, ritt der kolossale Mann zu dem Thore heraus und hielt bei den harrenden Mädchen. Er hatte ihnen nichts zu sagen als einige plumpe Scherze, über welche er allein lachte. Aber er hatte sie in der Nähe sehen wollen, weil man junge Mädchen immer gern in der Nähe anschaut, auch wenn man schon ein grauer Sünder wäre.
Das war er, der alte Graf Tertschka von Lipa. Kurze, graue Borsten bedeckten dicht seinen großen Kopf und als starrer Bart sein fleischiges Angesicht, in welchem nur ein Paar sogenannte »Schweinsäugelchen« lachten, gerade so zu klein, wie der feiste Hals zu kurz war für den großen Leib, unter welchem das niederbeinige, starkknochige und breitkreuzige Roß stöhnte.
Er wollte nach Tupadel hinüber reiten, seinem eigentlichen Stammsitze, um ökonomische Befehle zu geben. Die Herrschaft Zleb mit ihrem alten malerischen Schlosse, aus welchem er eben kam, war erst in den Kriegswirren an ihn gelangt. Sie hatte einer Familie Wartenberg gehört, welche dem Winterkönige treu verblieben war. Der alte Tertschka war nicht minder stockböhmisch gewesen, aber er war nicht besonders sichtbar geworden und war im rechten Augenblicke wieder »katholisch« erschienen, als der Liechtenstein nach den Executionen in Prag sich umschaute um die Gerechten und Ungerechten im Lande, und so hatte der pfiffige Tertschka für ein Billiges die vogelfrei gewordene, schöne Herrschaft Zleb sich aneignen können. Dessen eingedenk und höchlich zufrieden mit seiner Verschlagenheit sagte er zu den beiden Mädchen: Nicht wahr, Zleb ist sauber?! – und ritt dann, mit faunischem Lächeln grüßend, nach dem Flusse hinab, welcher das gethürmte Schloß auf drei Seiten umkreist.
Die Mädchen schritten ebenfalls abwärts vom Schloßhügel bis zu einem Steg, der über den Fluß und dann aufwärts zu einem Eichenhain führte. Der Hain lag noch höher als das Schloß. Dort hatten sie sich einen Sitz eingerichtet, welcher eine liebliche Aussicht gewährte über das Hügelland des Czaslauer Kreises. Die Eine sah gern nach Süden und Osten, die Andere gern nach Norden und Westen. Sonst waren sie Freundinnen, welche während des Winters und Frühlings neben einander in Schloß Zleb gelebt und sich freundlich einander genähert hatten.
Die Eine, die mit lichterem Haar und feineren Zügen, war Magna von Sparr. Ihr Vater hatte sie nicht mitgehen lassen, als die Herzogin Isabella von Pardubitz aufgebrochen nach Wien und Bruck an der Leitha. Er hatte sie zur alten Gräfin Wanda nach Zleb gesendet, zu süßem Bedauern Leos, welcher beim Herzoge von Friedland verblieben und mit diesem nach Znaim gezogen war. Denn Znaim war noch im Winter die Residenz Waldstein's geworden. Von dort, in größerer Nähe, wurden die Unterhandlungen mit Questenberg, mit Eggenberg und dem Kaiser weiter geführt und die Vorbereitungen getroffen zur Schaffung eines neuen Heeres. Von dort war Leo auch mehrmals nach Zleb gekommen. Er hatte die letzte Rede der alten Gräfin Wanda keinen Augenblick vergessen, daß er willkommen sein werde und besten Dankes gewiß, wenn er Nachrichten vom Friedländer, gute Nachrichten zu bringen hätte. Was hätte ihm denn erwünschter sein können! Dabei sah er Magna, welche ihm tiefer und tiefer ins Herz geschienen. Er hatte das trefflich einzufädeln und fortzuspinnen gewußt, der naturalistische Diplomat. Dem Herzoge hatte er offen erzählt von jener letzten Rede der Gräfin, und hatte gar nicht genug zu sagen gewußt von der rührenden Anhänglichkeit der alten Frau an die Person des durchlauchtigen Herrn. Schönstens hatte er gebeten, ihr doch mitunter eine Freude zu machen! – Waldstein seinerseits wußte wohl, was er an der alten Dame besaß. Er würdigte vollkommen ihre politische Klugheit und rücksichtslose Energie. Es war ihm auch recht, daß ein Nest gegründet werde abseits von seiner persönlichen Residenz, ein Nest seiner vertrautesten Anhänger und Agenten. – Diese Leute müssen plappern von der Zukunft – pflegte er zu sagen – sie können nichts still erwarten. Sie meinen ein Ding nur zu haben, wenn sie's beim Namen nennen. – Dort auf dem seitwärts im Lande gelegenen Schlosse, meinte er, könnten sie schwatzen und verkündigen was sie wollten; es könnte nicht unmittelbar auf seine Rechnung gesetzt, es könnte nötigenfalls verläugnet werden. Und dann wären sie stiller in seiner Nähe. Er hatte sich überhaupt angewöhnt, im politischen Verkehr so wenig als möglich direct von sich ausgehen zu lassen. Mittelspersonen waren ihm Bedürfniß geworden. Als solch ein Hauptquartier für wichtige Mittelspersonen war ihm Zleb ganz genehm. Nicht weit von Prag, seinem natürlichen Centrum, und unter Obhut der über alle Probe hinaus zuverlässigen Gräfin war ihm dieser Centralpunkt für alle verfänglichen Unterhandlungen ganz gelegen. Er war also lächelnd auf Leos Bitte eingegangen, und hatte Leo selbst zum Botschafter benützt, weil er seine damalige Sendung an Arnimb gut ausgeführt, und die Zusammenkunft auf Schloß Kaunitz glücklich vermittelt hatte.
Seit sechs Wochen war Leo nicht mehr nach Zleb gekommen. Aus den Gesprächen im Schlosse hatte aber Magna deutlich entnehmen können, daß große Dinge vorgegangen seien mit dem Herzoge und durch ihn, ja daß die alte Gräfin ungeduldig einer wichtigen Nachricht entgegenharre. Jeden Tag, meinte also Magna, wäre Leos Ankunft zu erwarten, und deshalb fand sie seit einiger Zeit, daß der Eichenhain hier oben das schönste Ziel eines Spazierganges wäre. Von hier aus sah man jeden Reiter schon in großer Entfernung.
Das andere Mädchen hatte leider keine so nahe liegende Veranlassung zu diesem Spaziergange. Es war dies Marie von Loß. Sie hatte einen recht traurigen Winter hier verlebt. Die Wandelung war doch gar zu jäh und hastig gewesen für ein neunzehnjähriges Mädchen: die Heimat und all die Ihrigen mit einem Schlage zu verlieren und unter fremde, ganz anders geartete Menschen verschlagen zu werden. Selbst die Schwester Ludmilla, welche sie seit der frühesten Jugend nicht mehr wiedergesehen, war ihr fremd, und war ihr – sie gestand sich's kaum! – nicht glücklich ansprechend. Auch Ludmillas Sinn war ja so ganz abweichend von dem Gedanken- und Gefühlskreise, welcher in Gnadenfrei geherrscht hatte. Niemand, Niemand hier in Zleb wußte etwas von der stillen, wohlwollenden Denkweise, welche in Gnadenfrei den Grundton gebildet, und erst mit der einkehrenden Magna von Sparr war der armen Marie ein Wesen nahe getreten, welches doch einen leisen Widerklang gab von der Stimmung in Mariens Seele. Aber selbst dieser Widerklang hatte etwas Schmerzliches für Marien. Verborgene Neigung ist ja immer das Gemeinschaftliche unter jungen Mädchen, und Magnas Neigung war offenbar nicht unglücklich. Das fühlte Marie sehr heraus. Sie blieb also auch Magna gegenüber allein mit ihrer Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. Wenn sie Hansens erwähnen mußte, so hieß er Hans von Starschädel, und hieß ihr Pflegevater. Magna wenigstens nannte ihn so, und es war für Marien immer ein leiser Stich ins Herz, wenn sie diese Bezeichnung hören mußte. Diese Bezeichnung wäre ihr schon recht gewesen, wenn sie nur von ihr selbst ausgegangen wäre. Ihr Gedankengang hätte dabei schon ergänzt, was ihr Herz zu ergänzen hatte. Aber von Andern ausgesprochen war ihr das Wort kalt und trocken, und nicht nur das, es klang fast wie ein Vorwurf für sie. Eines Pflegevaters, meinte sie, müsse man milder und reiner eingedenk bleiben. Für den dürfe keine, wenn auch noch so leise Erbitterung vorhanden sein. Ach, und sie konnte sich doch eines leisen Unwillens nicht ganz entschlagen darüber, daß Hans sie so schnell und so kühl aufgegeben und fortgeschickt hatte; »'s war eben ein Irrthum deines unerfahrenen Herzens« – gestand sie sich unter leisem Weinen – »daß du immer gedacht, er wäre dir noch etwas Anderes als ein bloßer Wohlthäter, oder richtiger: du wärest ihm noch etwas Anderes, als ein Pflegekind, ein Irrthum! Wenn es nicht ein Irrthum gewesen, dann würde er doch nachgefragt und wenigstens einmal geschrieben haben!«
Darin nun irrte sie und mußte freilich irren. Hans hatte nachgefragt, hatte geschrieben. Sie hatte nur nichts davon erfahren, hatte den Brief nicht erhalten.
Hans war durch die Streitigkeit mit den lutherischen Geistlichen noch eine längere Zeit in Thüringen aufgehalten worden. Er hatte heftige Scenen in Weimar und Jena zu bestehen gehabt, wo Dunstan's wildes Erscheinen und Auftreten die Stimmung arg gereizt hatte. Er war in seiner gepeinigten Seelenlage ebenfalls heftiger und schneidender geworden als ihm sonst gewöhnlich war, und es hatte sich ein klaffender Bruch ergeben zwischen ihm und der Weimar'schen Regierung. Letztere hatte gewaltsam einschreiten wollen in Gnadenfrei, um diese heidnisch genannte Colonie den Maßnahmen des Professor Caucius zu überliefern; Hans hatte erklärt, in diesem Falle sein Regiment aus Böhmen zu holen und Gewalt mit Gewalt vertreiben zu wollen, und dieser Ausbruch war nur durch den jüngsten Prinzen des Hauses, durch Herzog Bernhard verhindert worden, welcher auf dem Durchmarsche nach Franken von Starschädel's Zerwürfniß gehört und den Seinigen angezeigt hatte, daß man solche »Stänkereien« bleiben lassen sollte gegen einen werthvollen Kriegsmann wie Starschädel. Bernhards Brüder, obwol nicht immer ohne Eifersucht auf den Kriegesruhm, mit welchem der jüngste die älteren Brüder, namentlich den sehr tüchtigen Wilhelm überstrahlte, hatten darauf doch angeordnet, daß mit dem Aeußersten eingehalten würde gegen Starschädel, und während dieses Waffenstillstandes war Hans nach Prag gegangen. Krieg und Schlacht war ihm in seinem Aerger fast Bedürfniß. Ein Wiedersehen Mariens war's ihm wol noch mehr. Aber in Prag war seine scrupulöse Empfindungsweise nur zu rasch wieder geweckt worden. Ludmilla besuchte von Zleb aus den Feldmarschall Arnimb und begegnete dort Hans. Sie trat ihm mit einer blos weitläufigen Freundschaft entgegen, welche ihn abstieß. Sie sprach – nur ganz nebenher – von der recht guten Existenz ihrer Schwester auf Schloß Zleb, und von dem Danke, welchen man ihm schuldig sei für sorgfältige Erziehung des sanft gearteten Kindes. Sie bot aber nicht eine Fingerspitze zu einem Besuche Starschädel's. – Hans seinerseits war ebenso empfindlichen Herzens wie Marie. Er konnte nicht vergessen, daß sie so glatt und still auf die Trennung von ihm eingegangen war. Ludmillens Benehmen weckte noch dazu die Frage in ihm auf: haben vielleicht beide Schwestern den Charakterzug ererbt, eine innere Vergangenheit in sich wegwischen zu können, wie man mit nassem Schwamme eine Kreideschrift wegwischt? – Kurz, er hatte gezögert, mit Marien eine Anknüpfung zu suchen. – Dennoch hatte er sich endlich entschlossen; er liebte seine Marie eben zu innig, um nicht ein Opfer bringen zu können. Er hatte den Bart-Conrad hinausgeschickt nach Czaslau. Dort im Städtchen, nahe bei Zleb, hatte er die Gelegenheit suchen wollen, Marien einmal zu sprechen, ihr Grüße zu bringen und genaue Kunde einzuholen von ihrem Befinden. Damals war's noch winterlich gewesen; die Mädchen waren nicht herausgekommen aus dem Schlosse, und als Conrad endlich stracks aufs Schloß zugegangen, war ihm der alte Graf Tertschka begegnet. Der hatte ihn kurz abgewiesen. Das oberösterreichische Wesen hatte dem böhmischen Edelmann, welcher die Deutschen nicht mochte, mißfallen, und Tertschka hatte Marien nichts davon gesagt, daß nach ihr gefragt worden sei. – Conrad war ärgerlich nach Prag zurückgekommen, und Hans hatte sich nun entschlossen, an Marien zu schreiben. Der Brief war einem Diener eingehändigt worden, als Ludmilla wieder hinausritt. Der Diener hatte zufällig seiner Lady davon gesagt und hatte ihr denselben eingehändigt, als sie bemerkt hatte: sie werde ihn selbst besorgen. Sie aber hatte ihn – vielleicht vergessen; kurz, sie hatte ihn nicht besorgt. Marie war ohne ein Lebenszeichen geblieben von Hans, seit sie Gnadenfrei verlassen. Hans hatte keine Antwort auf seinen Brief erhalten – sie waren einander nun ferner gerückt als je.
Denn nun hatten sich auch die Kriegsmassen wieder zwischen sie gelegt. Zwischen Schloß Zleb und Hansens Aufenthalt waren kaiserliche Truppen eingerückt. Waldstein's geheimnißvolles Walten in Znaim hatte sich im Frühjahre offenbart durch eine entstehende große Bewegung des kaiserlichen Heeres.
Während Waldstein von Znaim aus mit dem Kaiser unterhandelte, hatte sich plötzlich das Gerücht verbreitet: der Friedländer hat den Oberbefehl übernommen! Aber nur auf drei Monate. Er will nur ein Heer bilden. Führen will er es nicht. Dies war die erste Nachricht gewesen, welche Leo nach Zleb gebracht hatte. Die alte Gräfin Wanda hatte geschwiegen, aber nichts Mißbilligendes gesagt. Dahinter konnte das schlummern, was sie wollte. Wenn das Heer nach drei Monaten gesammelt war durch ihn, so gehörte es ihm. Wenn der Oberbefehl in Kaisers Namen abgelaufen war, konnte er ihn in seinem Namen wieder aufnehmen! – Sein großer Kriegsname, seine großen Geldmittel hatten gewirkt: zu Anfang des Frühlings war das Heer vorhanden gewesen. Spannungsvoll hatte man beobachtet und gehorcht: Was geschieht nun? Man hatte nichts Sicheres erfahren. Es hatte immer geheißen: seine Unterhandlungen mit Wien sind noch in der Schwebe, sind dem Zerreißen nahe; er fordert Unerhörtes, er fordert, was der Kaiser nicht gewähren kann.
Da war Leo zum zweiten Male auf Schloß Zleb erschienen mit der Nachricht: das ganze Friedland'sche Heer ist in Bewegung, es hat gestern Prag besetzt, welches die Sachsen geräumt haben. Das »Friedland'sche oder das kaiserliche Heer?« hatte Gräfin Wanda gefragt. Das entscheidet sich in den nächsten Tagen! hatte Leo geantwortet. Als ich fortritt – hatte er hinzugesetzt – ritt der Herzog nach der mährisch-österreichischen Grenze, um die letzte Zusammenkunft mit dem Fürsten Eggenberg zu halten. »Entweder – Oder!« sagt der Herzog. »Entweder unumschränkter Gebieter des Heeres oder volle Freiheit für mich!«
Gräfin Wanda hatte weder Mißbilligung noch Billigung geäußert. Jetzt erwartete sie Leos dritte Botschaft. Alle Welt war gespannt, was für eine Gestalt aus diesem geheimnißvollen Nebel hervortreten werde an der Spitze des auf sechzigtausend Mann geschätzten Heeres.
Dieser leicht gesinnte Leo kam an jenem blühenden Sommermorgen allerdings auf Czaslau zu geritten. Aber in welcher Begleitung! Der kleine Mann neben ihm war ein so schlechter Reiter, daß Trab nicht zu wagen war. Die Versuche mit dieser Gangart brachten den kleinen Mann immer abwärts, das heißt an den Erdboden, nicht vorwärts. Das erheiterte den fröhlichen Leo ungebührlich. Dieser junge Mann war überhaupt unbedacht geworden durch das Glück, welches ihm Alles so leicht gemacht hatte seit seiner ersten Bekanntschaft mit dem Kammerdiener Rostok. In der That war es ihm spielend gelungen, als ein junges Factotum in unmittelbarer Nähe des Friedländers zu allem Möglichen verwendet zu werden. Er schwamm wie ein wachsender Fisch in einem herrlich strömenden Wasser. Kein Wunder, daß er sorglos ward und sich in allen Dingen auf sein gutes Glück verließ. Glück ist gewöhnlich eine tactvolle Geschicklichkeit oder ein geschickter Tact. Dieser Tact war ihm eigen. Er schrieb seine kurzen Berichte an den Marchese Carretto und an Herrn Tocke, das Gefährlichste was er thun konnte. Aber er ging dabei wie ein Nachtwandler auf des Daches Zinne, sicher und ohne Wanken. So lange den Nachtwandler Niemand anruft, so lange geht Alles gut. Und sein Tact bestand darin, daß er weder Carretto, noch Tocke etwas mittheilte, was der Herzog positiv verschwiegen haben wollte. Sein natürlicher Instinct ließ ihn darüber niemals im Stich. Er bedurfte dazu auch nicht eines directen Verbots, wie zum Beispiel bei der Mittheilung an Arnimb, daß Prag so gut wie offen stehe, nein! er empfand es gleichsam in den Fingerspitzen, daß Dies oder Jenes nicht ausgesprochen werden dürfte.
Welch eine mißliche Gewähr war aber doch selbst dieser Tact neben einem Waldstein! Welchen Gefahren ging der junge Mann entgegen mit seiner gefälligen Dienstbarkeit nach allen Seiten! Hier mit Herrn Tocke hatte sie ihm gleich einen Streich gespielt, dessen Folgen nicht abzusehen waren. Herr Tocke wußte recht gut, was die alte Gräfin Tertschka und ihr Schloß zu bedeuten hatten, er ahnte sehr deutlich, daß hier ein Herd sein möchte für antikaiserliche Umtriebe, und je weniger es ihm gelang, in die inneren Gemächer Waldstein's einzudringen, desto eifriger suchte er eine Gelegenheit, sich unter die näheren Anhänger des Herzogs mischen zu können. Sobald er also durch die unbefangene Offenherzigkeit Leos erfuhr, daß dieser eine »Post« nach Zleb zu bringen habe, da ließ er nicht nach mit Bitten, einmal mitgenommen zu werden in die Sommerpracht des Landes hinaus, in die Nähe, in das Innere des merkwürdigen Schlosses, welches einen Modellbau des altböhmischen Schloßstiles darstellen sollte und welches dem Kunstjünger so wichtig und ergiebig sein müßte.
Der Tact behütete Leo wol, Herrn Tocke anzuvertrauen, was er vom Herzoge auszurichten habe, und behütete ihn wol, das Schriftstück zu zeigen, welches er unter seinem Wamse trug. Aber er nahm ihn doch mit, den Aufpasser und Verräther! Und weil er diese Eigenschaften an ihm nicht kannte, so war er gar nicht in der Lage, vollständig auf seiner Hut zu sein.
Lachend ritt er mit ihm aus Czaslau heraus, der Morgensonne entgegen, in welcher Schloß Zleb vor ihnen erglänzte mit seinen viereckigen Thürmen grauen Gesteins. Lachend, denn er hatte es dahin gebracht, den Gaul Tocke's in kurzen Galop zu setzen, und der ängstliche Ausdruck des lichtblauen Männchens, welches mit der Hand krampfhaft in die Kammhaare des Gaules fuhr, ergötzte ihn. Das Ergötzen stieg, als vom Czaslauer Thore heraus eine scharfe Cavalcade gehört wurde und näher kam und dadurch Tocke's Pferd aufgeregt und in lebhaftere Bewegung versetzt, Tocke's ängstliche Lage also auf das bedenklichste erhöht wurde.
Die Cavalcade sauste vorbei, und Leo hatte kaum Zeit und Aufmerksamkeit genug, um zu erkennen, daß es die Generale Tertschka und Ilow waren, die auf Zleb zusprengten; Herrn Tocke's Schicksal nahm seine Augen ganz in Anspruch, denn Herrn Tocke's Gaul wollte in gleichem Tempo der Cavalcade folgen, und ehe Leo helfen konnte, trennte sich Herr Tocke unter den curiosesten Arm- und Beinschwenkungen von seinem Sattel und nahm Platz in einem Graben, der nicht ohne Wasser war, und zwar nicht ohne schmutziges Wasser. –
Zwischen Czaslau und dem Schlosse Zleb erhebt sich ein Hügelrücken. Auf dieser Erhöhung sahen jetzt Magna und Marie die Cavalcade Tertschka's und Ilow's erscheinen. Die Reiter sausten in gestrecktem Galop den Abhang herab nach dem Flusse Dombrawa, welcher den Ort Zleb von dem Schlosse trennt, und den Weg herauf, welcher zum Thore des Schlosses führte und welcher heutigen Tages durch einen bogenförmigen, bequemen Fahrweg ersetzt ist.
Magna fuhr von ihrem Sitze auf. Warum? Ein reiterloses Pferd folgte der Cavalcade und rannte hinter ihr ins Schloßthor hinein. Es war Tocke's Pferd. Magna, die Ankunft Leos erwartend, schien von dem Gedanken aufgeschreckt zu werden, daß der verunglückte Reiter Leo sein könnte. Marie fragte, Magna wich aus. Sie zeigte nur auf das eben verschwindende reiterlose Roß und machte Anstalt, nach dem Schlosse zu gehen und nachzufragen.
Sie ging auch. Marie aber blieb zurück. Der schöne Morgen that ihr wohl. Es war ihr angenehm, allein und ungestört sinnen und träumen zu können. Kein Lüftchen regte sich, die Lerchen stiegen überall jubelnd empor und schmetterten, Insecten und Käfer zeigten sich am Boden, wohin sie blickte, das leise Summen und Schwirren der ringsum schaffenden Natur erfüllte ihr Gehör wie ein Zeugniß, daß die Gottheit alle Kräfte in Bewegung setze zum Gedeihen der Erde – »nur dich vergißt sie!« flüsterte das arme Mädchen vor sich hin, und ein paar Waldtauben, welche in den hohen Eichen ihr Kollern und Gurgeln hören ließen, erhöhten ihre Traurigkeit. Bei Gnadenfrei im Walde waren ihr im letztvergangenen Frühjahr diese wunderlichen Töne noch so angenehm gewesen, so heiter verheißend, weil sie ihnen die Deutung untergelegt: der Vetter wird kommen!
Magna dagegen ward von ihrem Schrecken erlöst, noch ehe sie das Schloßthor erreicht hatte: Auf dem Hügelrücken jenseits des Oertchens erschien Leo hoch zu Roß.
Herr Tocke, ein höchst reinliches Menschenkind, hatte sich mit Entsetzen betrachtet, als er aus dem Graben gekrochen, und hatte trübselig erklärt: so könne er nicht im Schlosse auftreten. Er war nach Czaslau zurückgegangen, um zu trocknen und sich zu säubern. Er wollte später zu Fuße nachfolgen. Leo wollte dem Pferde nachtrachten und ihn erwarten.
Magna eilte nach dem Eichenhain zurück. Sie eilte und zögerte. Er sollte sie doch auch sehen, ehe sie unter den Schatten der Eichen kam. Er hatte sie längst gesehen und jagte herzu.
Was hatte er nicht Alles zu erzählen! Die Zukunft öffne sich wie unter einem prächtigen Regenbogen! Zunächst werde sich hier auf Zleb Alles zusammenfinden. Wahrscheinlich auch Magnas Vater und Lady Ludmilla, die Schwester des Fräuleins, und der Herzog selbst. Er habe in den letzten Tagen große Heerschau gehalten, sei sehr rüstig und komme von Chrudim. Das Heer setze sich in allen Massen gegen Westen in Bewegung, nach Baiern oder Franken, denn der bairische Kurfürst sende Boten über Boten an den Friedländer um Hilfe. Der ärgste Gegner des Herzogs, auf dessen Veranlassung er damals in Regensburg abgesetzt worden, kniee jetzt gleichsam vor ihm und ringe die Hände. Der Schwede hat sein Land überfluthet, der Schwedenkönig herrscht in München, der Untergang katholischer Regierung steht bevor, wenn der Friedländer nicht hilft mit seinem neu geschaffenen großen Heere. »Jetzt können sie bitten und flehen« – fuhr Leo fort – »jetzt zeigt sich's, wer den Ausschlag giebt in der deutschen Welt. Der Herzog von Friedland, unser Herr! Hier in Zleb wird sich's entscheiden, wohin der Ausschlag fällt. Alle Agenten, alle Vertraute des Herzogs sind hierher beschieden. Aus allen Himmelsgegenden kommen sie und, wie gesagt, wahrscheinlich der Herr selbst, vielleicht noch heute. Auch an Euren früheren Schutzherrn, Fräulein Marie von Loß, hab' ich einen Geleitsbrief senden müssen.« – Wie? fragte hoch aufhorchend Marie. – »Ja, der Herzog achtet ihn hoch und hat sich ihn vom Feldmarschall Arnimb erbeten, den Herrn Hans von Starschädel.« – Ah?! – »Ihr erschreckt ja fast! – Er ist ein so guter Mann und so tüchtig!«
Marie hatte nicht die entfernteste Absicht zu widersprechen. Sie schützte vor, der Schwester wegen Vorbereitungen treffen zu müssen, und ging ins Schloß. Wie hoch schlug ihr Herz! Sie sah und hörte nicht und mußte um jeden Preis allein sein. Magna und Leo hatten nicht das Mindeste dagegen einzuwenden und sahen ihr schweigend nach. Sie gedachten dabei gar nicht des scheidenden Fräuleins, sie dachten an sich, und sie schwiegen, weil ihre gegenseitige Neigung noch in dem Zeitraume gegenseitiger Erwartung stand. Auch der vorlaute Leo hatte noch nicht gewagt, seinem Mädchen Liebe zu erklären. Ihr gegenüber war er gegen seine sonstige Natur befangen. So schwiegen sie Beide eine längere Weile, denn sie waren fast in Verlegenheit über das Glück, welches ihnen so leicht ein einsames Nebeneinander gewährte in Gottes freier Natur! Nur darin folgten sie sogleich dem natürlichen Triebe ihrer Herzen, daß sie sich, langsam gehend, zurück wandten in den Schatten der Eichen. Man brauchte sie nicht zu sehen in der freien Natur!
Aber man sah sie doch! Man sah sie, ehe sie den Schatten erreichten. Sie freilich wurden es nicht gewahr, daß auf dem Hügelrücken ein einsamer Reiter erschien, der Vater Magnas, der verzweifelt ernsthafte Oberst Sparr. Sein graues Auge war scharf wie das eines Falken. Er erkannte das Paar und beschleunigte den Schritt seines Pferdes.
Leo versuchte vorsichtig das Schweigen zu brechen. Die alte Holzbank unter einer großen Eiche mußte eine wurmstichige Veranlassung bieten. Sie hatte den Schritt Magnas aufgehalten und der geistvolle Jüngling fragte, ob das Fräulein oft hier sitze? – Manchmal! antwortete sie kaum hörbar, und der Faden war wieder abgerissen. – Leo machte eine heftige Anstrengung und äußerte: der Blick in den Hain sei vielleicht noch schöner, als der Blick ins Freie. Schatten und Licht gaukelten da so wunderlich – das Fräulein möge es einmal versuchen und sich nach dieser Seite setzen!
Das Fräulein that es ohne Widerrede. Sie ahnte nicht, daß sie dadurch ihrem Vater die Ueberraschung erleichterte. Sie selbst fühlte sich im Gegentheile erleichtert, als sie saß und in das Sonnenspiel unter den Zweigen hineinsehen durfte. Das Sonnenspiel, welches betrachtet sein wollte, nahm keine breitere Antwort von ihr in Anspruch und entschuldigte, daß sie nur das Wort »wunderlich« wiederholte.
Sie faßte sich aber nun doch auch übrigens; denn sie war eigentlich eine recht klare, recht besonnene, junge Natur, und indem sie auf die schlanke, von Ritt, Wärme und innerer Bewegung erregte Gestalt Leos einen rasch zurückkehrenden Blick warf, fragte sie: »Werdet Ihr auch mitziehen in die Schlachten?« – Gewiß! gewiß! – entgegnete hastig Leo – ich muß mich ja hervorthun, ich muß ja etwas werden, um – »Um?« – Um Anspruch zu haben auf – kurz, um mit der Zeit – ein selbstständiger Mann zu werden. – »Wird man denn das nur durch Kriegsthaten?« – Heutigen Tages wol nur. Wenigstens am schnellsten. Und ich möchte doch so gern bald im Stande sein, mir ein – mir einen eigenen Herd zu gründen. – »In Kärnten oder Krain?« – Gleichviel wo! – »Gleichviel wo? Ihr würdet also dann wol Mutter und Großmutter zu Euch holen?« – Wie gern, wenn meine – wenn es angeht. – »Warum sollte das nicht angehen?« – Weil das nicht von mir allein abhängen würde, sondern auch – »Von Mutter und Großmutter?« – Ja auch! Und – wie denkt Ihr Euch denn, liebes Fräulein, Euer künftiges Leben am liebsten? – »O recht einfach.« – Das glänzende, reiche Wesen in den herzoglichen Palästen und Schlössern scheint Euch nicht unerläßlich zu Eurer Zufriedenheit? – »Gar nicht.« – Aber eine stattliche Stellung müßte doch wol Euer künftiger – »Gott bewahre!« – ergänzte sie rasch die Stockung – »unsere Familie stammt aus Schweden, wo man gar nicht reich ist. Wir sind nicht verwöhnt, und ich habe auch immer eine Vorliebe für den Norden behalten, für unsere großen, flachen Seen in Mecklenburg, wohin wir wieder zurückkehren, wenn's Friede wird. Ein Gut des Herzogs grenzt dort an unser Gütchen, und der Herzog hat meinem Vater Aussichten eröffnet: er würde ihm ein schönes Stück Wald und Feld davon, welches in unsere Aecker hineinschneidet, abtreten. Dort lebt sich's gar lieb und still – die Stadt Güstrow ist in der Nähe, und von der See her kommt allerlei Waare. Eure Mutter würde nur dort die Berge vermissen.« – Meine Mutter – oh, mein liebes Fräulein, meine Mutter und ihr Sohn würden jeden Morgen und jeden Abend den Himmel herniedersteigen sehen auf jenen See, wenn es – »Wenn es nicht so weit wäre bis nach Mecklenburg!« – rief von oben herab eine tiefe Mannesstimme dazwischen hinein.
Aeußerst erschreckt wandten sich die jungen Leute um, und Magna fuhr von ihrem Sitze auf. – Ihr Vater hielt zu Pferde einige Schritte hinter ihr. Der Moosboden hatte den Tritt des Pferdes gedämpft, und die Aufmerksamkeit der jungen Leute war ganz von den Hintergedanken befangen gewesen, für welche die Worte des Gesprächs nur einen Vorhang gebildet.
»Euer Hengst, junger Herr Steinwald« – fuhr Sparr fort – »ist da vorn ziemlich ungenügend an das Baumstämmchen geschlungen. Er wird Euch davon laufen. Und seid Ihr denn schon fertig mit Euren Aufträgen für die Gräfin Tertschka? Seid Ihr schon auf dem Rückwege?« – Nein, Herr Oberst, ich bin eben erst gekommen – »So? Habt Ihr Aufträge an meine Tochter?« – Nein, Herr Oberst. – »Also laßt Euch nicht länger abhalten, Eure Aufträge auszurichten. Guten Tag, junger Mann!«
Das war eine unangenehme Zerstreuung, welche Leo veranlaßte, seinen Hengst am Zügel hinüber zu führen ins Schloß. Und die Mittheilung, welche Vater Sparr bei dieser Gelegenheit seiner Tochter machte, hatte auch nichts Aufmunterndes.
Oberst Sparr war nicht geneigt gewesen, die Werbung des Marchese Carretto zu begünstigen, denn er war innerlich ein strenger Protestant, und die Wälschen widerstrebten ihm. Er war aber auch gar nicht geneigt, eine Liebelei mit dem jungen Burschen gleichgiltig anzuschauen. Denn – abgesehen von dessen noch ganz nichtiger Stellung im Leben – hatte er ihn im Verdacht der Zweizüngigkeit. Leos harmloser Verkehr mit aller Gattung von Menschen, auch mit denjenigen, welche Sparr für des Herzogs Widersacher hielt, hatte ihn mißtrauisch gemacht. Er erklärte also jetzt auf dem Wege zum Schlosse seiner Tochter in recht bestimmten Ausdrücken, daß er solch einen intimen Verkehr mit einem bedenklichen jungen Fant ungern sähe.
Im Schloß selbst war überall geschäftige Bewegung entstanden. Der Sohn des Hauses, Adam Erdmann Tertschka, schien dafür die Parole mitgebracht zu haben. Sogar der Vater war eiligst von Tupadel heimgeholt worden. Ihm überließ die alte Gräfin Wanda das Hausregiment, nicht blos Stall, Gesinde und Keller betreffend, nein auch die Küche. Und der schnöde Alte wußte Alles in Trab zu setzen. Er wußte es selbst geistig zu beleben, obwol er selbst keinen Geist hatte. Er hatte eine praktische Pfiffigkeit, und Wanda, seine Frau, pflegte ihm für diese Pfiffigkeit den Inhalt anzugeben. So auch heute. Er sprach zu den Dienstleuten von einer Frühsommerfeier, die in alter böhmischer Zeit durch König Przemysl um diese Jahreszeit eingesetzt worden, da das Gras zum ersten Schnitt ausgewachsen sei. Das Gras wäre so weit, heute sollte die Feier gehalten werden.
Gräfin Wanda ihrerseits hatte den Caplan rufen lassen und eine kirchliche Feier veranstaltet. Dieser Caplan, ein alter Knabe, verstand sie recht schnell. Er gehörte seit Jahrzehnten zur Familie und hatte die verschiedensten Uebergänge getreulich mit durchgemacht. Was war zu thun gewesen, als man wieder katholisch werden oder die Güter, vielleicht noch mehr, verlieren mußte?! Man wurde eben auswendig katholisch. Auf den meisten Landsitzen blieb ein böhmischer Kirchenthurm immerdar der Schatz verschlossener Häuser. Nicht einmal verschlossener. Der Landmann wie das Gesinde wußten überall davon, es war ihnen der geheimnißvolle Nationalschatz, und sie waren mit Leib und Seele dafür. Gerade weil es geheimnißvoll, war es ihnen hochwürdig, und Verrath wäre ihnen gräßliche Gotteslästerung gewesen. Sein Eigenes, sein Besonderes zu haben ist dem Menschen immer von hohem Werthe, dem einsamen, ungebildeten Menschen ist es ein heiliges Kleinod. Die Form dieser aus der Hussitenzeit herrührenden böhmischen Kirche war so mannigfaltig, wie es die Secten selbst waren. In manchem Kreise Böhmens hatte jede Herrschaft in ihrer Schloßkirche ihre eigenthümliche Liturgie, und die von Zleb war eine der verehrtesten.
Als der Caplan ihr Zimmer verlassen, erschien Leo vor der alten Gräfin in dem eckigen Thurmzimmer, das sie bewohnte. Sie stand auf und ging ihm entgegen, schwarz gekleidet wie damals. »Nun, mein munterer Tauber aus der Arche Noah's« – rief sie – »bringst Du heute den richtigen Oelzweig? Darf ich heute endlich rothe Bänder ans weiße Haar stecken? – Was ist Dir denn? Du siehst ja nicht frei und lustig aus wie sonst? Und doch bringst Du heute, denke ich« – Ich bringe das Beste, liebe Frau Gräfin. Der Kummer im Gesicht gehört nur mir. – »Was hat ein junger Bursch wie Du für Kummer?! Ist Dein Mädchen untreu?« – O nein! – »Sie wär' auch albern! Lieb' doch ich Dich, die alte Frau. Sind die Aussichten auf ihren Besitz verregnet?« – Vielleicht. – »Kopf in die Höhe! Ich helf' Dir getreulich, wie ich Dir's versprochen. Absonderlich, wenn Du vernünftige Botschaft bringst von Deinem Herrn und unsere Sachen gut gehen und stehen. Komm' her! Setz' Dich zu mir! Berichte, erzähle, gieb! Der Abschluß des Herzogs mit dem – Kaiser hat leider stattgefunden, aber die raschen Soldaten sagen, er sei gut gerathen.« – Vortrefflich. – »Ja für Euren kurzen Sinn. Ich will zufrieden sein, wenn ich ihn leidlich finde. Ist der Herzog gut für mich? Schickt er mir mehr als unbestimmte Rede? Schickt er mir den Wortlaut, wie er mir von Znaim aus das letzte Mal versprochen, durch Dich?« – Er schickt den Wortlaut. – »Endlich! Wer hat's geschrieben?« – Ich selbst. – »Aus dem Kopfe?« – O nein. Der Herzog selbst hat's dictirt. – »Brav! Gieb, gieb!«
Leo zog die Schrift aus der inneren Brusttasche seines Wamses, wo sie neben dem veralteten Briefe seiner Mutter steckte. Die Gräfin nahm sie hastig und winkte Leo, daß er ins Nebengemach träte und ihr Zeit ließe. Sie wollte mit ungetheilter Aufmerksamkeit die wichtigen Artikel lesen. Das that sie denn und zwar sehr langsam. Als sie zu Ende war, las sie noch einmal und ließ dann die Hand mit dem Papiere auf ihren Schooß gleiten, voll tiefer, schwerer Gedanken vor sich hin sehend. Bald flackerte zornige Freude über ihr Angesicht, bald fragende Unsicherheit, bald wilde Entschlossenheit. Dann nahm sie das Blatt nochmals auf und las sich die Artikel mit halblauter Stimme vor: Erstens. Der Herzog von Friedland ist und bleibt nicht allein Römisch Kaiserlicher Majestät und des ganzen Hauses Oesterreich, sondern auch der Krone Spaniens Generalissimus.
»Spanien!« – flüsterte sie – »damit man ihm keinerlei Winkelzüge machen kann mit den Hilfstruppen. Recht!« – Zweitens. Das Generalat wird ihm ohne alle Bedingnisse übertragen. – »Bravo!« – Drittens. Der König von Ungarn darf weder bei dem Heer sich einfinden – »Bravo!« – noch weniger den Befehl über dasselbe führen. Wird Böhmen wiedererobert, so soll er in Prag residiren. Marradas mit zwölftausend Mann das Königreich schützen. – »Unsinn! Der König von Ungarn in Prag?! Warum nicht gar! Das brauchten wir in Böhmen mit dem dummen Marradas! Den wird er jagen! Redensarten!« – Viertens. Als Vergeltung ist dem Herzog ein österreichisches Erbland zuzusichern. – »Also doch. Kaum glaublich. Man wird das kleinste meinen, und er meint Böhmen. Das »»Erbland«« steht da und ich sollt' mich freuen – und ich freue mich nicht. Warum nicht? – Dergleichen giebt man nicht.« – Fünftens. Außerdem von den wieder einzunehmenden Ländern das höchste Regal im römischen Reiche. – »Was heißt das? Das höchste Regal ist ein Kurfürstenthum. Welches? Die Oberpfalz? Weil sie an Böhmen grenzt und Böhmen vergrößert. Waldstein sprach davon. Das wäre ein Backenstreich für den Baier. Die Unterpfalz? Die jetzt in den Händen der Spanier ist? Die Deutschen sehen die Spanier ungern in Heidelberg. Vielleicht deshalb. – Das Land um Amberg paßt uns besser.« – Sechstens. Ihm werden die Confiscationen im Reiche unbedingt, ohne jede Einmischung des Reichshofrathes oder des Kammergerichts, überwiesen. – »Einfach gut. Er weiß, was es einträgt.« – Siebentens. Ebenso kann er ohne die mindeste Beschränkung Verzeihung angedeihen lassen. Würde hingegen eine solche oder freies Geleit vom kaiserlichen Hofe bewilligt, so gewinnen beide Kraft einzig durch die Bestätigung des Herzogs. – »Sehr gut.« – Zudem darf jene (Verzeihung von Hofe) blos auf Leben und Leumund, nicht aber auf Besitz sich erstrecken. Diese kann ausschließlich durch den Herzog von Friedland gewährt werden – »Er weiß, was es einträgt!« – um nicht die Mittel zur Belohnung der Officiere und zur Befriedigung der Soldaten zu schmälern. – Achtens. In eine künftige Friedenshandlung soll der Herzog Mecklenburgs wegen inbegriffen werden. – »Natürlich! Damit er Mecklenburg behält.« – Neuntens. Er ist mit allen Mitteln und Auslagen zu fernerer Kriegsführung auszustatten. – Zehntens. Zu allfälligem Rückzuge sollen ihm sämmtliche Erbländer offen stehen. – »Das also ist's. Er hat Unglaubliches durchgesetzt. Ich muß es eingestehen. – Warum freu' ich mich doch nicht recht? Ich weiß es nicht. Oder doch! Es ist zu gut – und ist ein Blatt Papier.«
Endlich rief sie Leo wieder herein und ging ihm freundlich entgegen. Ja sie streichelte ihm die rothgold schimmernden Locken und küßte ihn auf die Stirn, milde sprechend: »Du hast Deine Sache gut gemacht, mein Leo, und sollst belohnt werden. Ist es denn wahr, daß Du unsere böhmische Sprache verstehst und redest? Wie hast Du das so schnell lernen können?« – Ganz leicht, Frau Gräfin. Die armen Leute um den Veldeser See, an dem ich aufgewachsen bin, sind slavischen Ursprungs. Man nennt sie Slovenen. Deren Sprache habe ich von Jugend auf verstanden und geredet, und weil sie mit der hiesigen verwandt ist, habe ich die hiesige leicht verstanden und in ein paar Monaten auch sprechen gelernt. – »Du sollst Deinen Weg machen, Junge, und zunächst in den Ritterstand erhoben werden!« sagte sie czechisch.
Er dankte in derselben Sprache und fragte schüchtern: wie das erreicht werden könnte?
Sehr einfach durch den Herzog, erwiderte sie. Er ist ja durch den Besitz von Mecklenburg ein unmittelbarer Herr im Reiche und kann seine Leute erhöhen wie er mag. Braucht's eine Bestätigung des Kaisers, so wird ihm die nicht fehlen. Am wenigsten für solche Kleinigkeit. – Bei dem Papiere, das Du mir gebracht von ihm, ist keine Zeile persönlicher Nachricht. Woher weißt Du, daß er heute hier eintreffen will? Du kommst ja von Prag und er ist, wie Du sagst, in Chrudim.
»Er hat mich vorgestern nach Prag geschickt mit dem Auftrage, Alles hierher zu bestellen, wo er heut' Abend eintreffen werde. Die Lady Ludmilla und den Raschin, welche beide aus Baiern kommen werden, den Grafen Wilhelm von Kinsky, der von Dresden, den Herrn von Starschädel, der von der sächsischen Grenze vom Heere Arnimb's kommt.« – Wahrhaftig, da kommt der lange Wilhelm herauf geritten! – rief die Gräfin, indem sie ans Thurmfenster eilte – die Elisabeth wird sich freuen! und die Maxa auch!
Elisabeth war Wilhelm Kinsky's Frau und war eine Tochter der Gräfin Wanda. Maximiliana, ihres Sohnes Erdmann Frau, war eine Schwester der Herzogin Isabella von Friedland. Beide wohnten jetzt in Zleb.
Leo ward verabschiedet. Gräfin Wanda liebte ihre Kinder leidenschaftlich, ja mit leidenschaftlicher Schwäche. Sie eilte, die Freude ihrer Tochter zu genießen beim Wiedersehen des lang entbehrten Gatten. Wilhelm Kinsky war als scharfer Oppositionsmann der kaiserlichen Herrschaft in Böhmen in der letzten Zeit genöthigt gewesen, den kaiserlichen Gebietern in Böhmen aus dem Wege zu gehen und seine Herrschaft Teplitz zu verlassen. Er war über die nahe sächsische Grenze gegangen und hatte sich in Pirna häuslich eingerichtet. Dorthin hatte er seine Frau holen wollen, wenn die böhmischen Zustände sich nicht ändern sollten. Mit Waldstein's neuer Herrschaft hatten sie sich geändert, und er kam nun, Bericht zu erstatten über seine Thätigkeit. Es war die Thätigkeit eines der sorgfältigsten Diplomaten Waldstein's. Wilhelm Kinsky nämlich, welcher allwöchentlich einige Male nach Dresden hineingeritten war von Pirna, betrieb die Unterhandlungen des Friedländers mit Frankreich. Ein Marquis von Feuquières bereiste im Interesse des Cardinals Richelieu die kurfürstlichen Höfe im Norden Deutschlands und war oft längere Zeit in Dresden. Mit diesem war Kinsky in Verbindung getreten, um eine Allianz Frankreichs mit Waldstein zu bewerkstelligen, denn Frankreich war überall zugänglich, wo die Macht des deutschen Kaiserthums zersplittert werden konnte, und ein selbstständiger König von Böhmen in der Person des Friedländers war ihm ganz willkommen, wenn sich der Friedländer zu gewissen Gegendiensten bereit erklärte.
Wilhelm Kinsky war ein hoch gewachsener Mann mit schmalem Kopfe, der auf der Gallerie außen seine Frau Elisabeth in die Arme schloß. Etwas Wildes und etwas Feines blitzte aus seinen lichten Augen, als er ins große Wohnzimmer trat und die schon zahlreiche Gesellschaft überflog. Sein Schwager Erdmann, Ilow, Sparr, die sanfte Schwägerin Maximiliane, der schreiende Schwiegervater Tertschka waren da, und die Schwiegermutter, die hoch von ihm verehrte Gräfin Wanda, trat eben ein. Alles war in aufgeregter Heiterkeit, denn die gemeinschaftliche große Angelegenheit war im besten Gange; nur Erdmann Tertschka's Frau, die blonde Maxa, Isabellas Schwester, erschien still in dem lauten Kreise. Sie ließ Alles über sich ergehen, aber sie war im Herzen gut kaiserlich wie ihre Schwester, und litt auch jetzt unter den lauten, oft wilden Aeußerungen ihres Mannes und ihres Schwiegervaters.
Letzterer schrie: man solle zum Speisen kommen, er habe es vom Besten vorgerichtet.
– Noch nicht! – sagte gebieterisch Gräfin Wanda – Der wichtige Tag sei wichtig und würdig eingeleitet! Es wartet unser ein feierlicher Gottesdienst. Sammeln wir uns und gehen wir in die Capelle. Maxa allein soll zurückbleiben. Sie ist nicht ganz wohl, und die Luft in der Capelle ist kalt.
Als sie hinaustraten auf die Gallerie, welch eine Verwandlung war da vorgegangen mit dem Schloßhofe! Dies dunkle, unregelmäßige Viereck zwischen hohen Steinmauern, an denen Epheu und wilder Wein emporrankte, war jetzt mit Menschen angefüllt Kopf an Kopf. Woher der Zulauf? Das war von lange her vorbereitet durch die alte Gräfin. Das letzte Stichwort hatte sie vor anderthalb Stunden dem Caplan gegeben, und aus den Dörfern in der Umgegend war Mann und Weib herbeigeströmt. Eine neue Kirche, ein neuer König, das heißt die alte böhmische Kirche, ein eigener böhmischer König! das war die stille Losung, welche Einer dem Andern zuraunte. In der Zleber Capelle wird die neue alte Herrlichkeit heute eingeweiht! hieß es – und »der König selbst, der große böhmische Kriegsfürst ist unterwegs und wird in Zleb erscheinen!« flüsterten besonders Kundige einander zu.
Auch ein neuer Huß wurde erwartet. Und nicht ohne Grund. Die alte Gräfin hatte erfahren, daß ein wandernder Mönch in den Städten Böhmens aufgetreten sei und gegen den Papst wie gegen Luther heftig predige. Obwol er deutsch predigte, galt dies doch sofort für Verkündigung der böhmischen Kirche, die gegen den Papst war und nicht von Luther stammte. Heute früh am Morgen hatte der Caplan gemeldet, der Mönch sei gestern in Kuttenberg gewesen, und alsbald hatte die Gräfin einen Boten gesendet, ihn einzuladen nach Schloß Zleb. Der Bote hatte nichts Dringenderes zu thun gehabt, als seinen Auftrag Jedermann mitzutheilen.
Dazu bestätigte es sich, daß das neue große Kriegsheer in Bewegung sei und durch den Czaslauer Kreis vordringe. Von überall her kamen Nachrichten, die von Ort zu Ort wuchsen. Das Heer sei nicht mehr kaiserlich, sondern friedländisch. Der Friedländer habe es nicht nur geworben, er bezahle es auch und beherrsche es unumschränkt. Der Kaiser habe kein Geld und keine Macht mehr. Der Friedländer habe Beides und habe den Kaiser genöthigt, ihm alle Herrlichkeit abzutreten. Eine ganz neue Zeit beginne. Ein Tertschka'sches Regiment sei heute Mittag in Czaslau eingerückt; es bestehe aus lauter böhmischen Leuten und erzähle wunderbare Dinge –
Unter solchen Umständen war es denn kein Wunder, daß die Leute an einem warmen Sonntage schaarenweise nach Zleb strömten.
Mitten in diese Schaaren war auch Herr Tocke gerathen, als er sich in Czaslau gesäubert und auf den Weg gemacht hatte nach dem Schlosse. Er steckte jetzt mitten unter der Masse, welche den Schloßhof anfüllte, und es war ihm eigentlich nicht ganz wohl zu Muthe. Er liebte das Massenwesen nicht, es war ihm unheimlich. Man wurde auch geschoben und gestoßen und in der Sauberkeit seiner Kleidung bedroht. Wenn man ihm aber ein wenig Raum gab in dem Gedränge, so beunruhigte ihn das noch mehr. Die Landleute thaten das nur, weil sie ihm ansahen, daß er nicht zu ihnen gehörte, daß er ausländisch, daß er fremd wäre. Das konnte ja Folgen haben, wenn die flüsternde, Gott weiß wovon bewegte Masse in eine Bewegung geriethe und Mißtrauen gegen ihn äußerte. Er hatte ein so feines Gewissen! Um nicht zu sagen: ein so schlechtes Gewissen. Und nun verstand er so wenig von den wenigen Worten, welche die Leute einander zuraunten. Die Worte waren slavisch-böhmisch, für ihn wildfremd. – Er wäre so gern aus der Mitte heraus an die Mauerseite gekommen, obwol man an der Mauerseite am Ersten beschädigt und zerquetscht werden konnte. An der Mauer gab's doch Thüren, und er wollte ins Innere hinein, um nach Herrn Steinwald zu fragen, und von diesem in Schutz genommen zu werden. Es war unmöglich! Da nahm Alles ringsum mit einem Male die Hüte und Kappen ab – oben auf der Gallerie erschien die Gräfin Wanda mit den Ihrigen und mit ihren Gästen. Herr Gott! den langen Cavalier erkannte Tocke auf der Stelle. Das war der Kinsky, den er in Dresden von Weitem gesehen und der in Wien als ein gefährlicher Feind der Kaiserlichen angeschrieben war. Der hier?! Da hat der Massenvorgang nichts Gutes zu bedeuten! – Das wäre ihm schon recht gewesen, denn da gab es was zu erfahren und zu berichten nach Wien. Aber in persönlicher Sicherheit mußte man sein!
Er wagte es nun, seinen Nachbarn anzudeuten, daß er da oben zu den Herrschaften gehörte und in die nächste Pforte wollte. Sobald ihn die Leute nur ungefähr verstanden, zeigten sie sich bereitwillig, ja unterwürfig. Einer sagte es dem Andern, und durch ein schmales Gäßchen, welches sich allmälig öffnete, kam er an die Mauer, kam er an eine Thür und schlüpfte ins Schloß.
Aber da war kein dienendes Wesen, war kein Geschöpf zu sehen, welches ihn hätte zu Herrn Steinwald führen können. Alles hatte die Capelle gesucht, um dort am Gottesdienste Theil zu nehmen. Er huschte wie ein verwünschter Geist auf den Treppen, in den Corridoren umher und wußte nicht wohin. Er wurde jetzt in der Verlassenheit ängstlich wie vorher im Gedränge. Und dabei stachelte ihn doch der Trieb der Neugier. Er wollte doch mit ansehen, was eigentlich vorginge. – Da führte ihn eine Stiege auf die offene Gallerie hinaus, und draußen auf der Gallerie begegnete er einer Dame.
Es war Marie, die aus ihrem stillen Zimmer herausgetreten war, um auszuschauen, ob – das Gedränge da unten ging ihr Herz nichts an; sie war eben auf dem Rückwege nach ihrem Zimmer und gab dem fragenden Tocke kurz Bescheid, wie er zur Capelle gelangen könne, nach welcher die Leute drängten.
Er fand sie jetzt. Und zwar den Zugang von oben, zu der »Empore«, wie man's nennt, welche in der Höhe eines Stockwerks eine Art Loge bildete für die Herrschaft. Hinter der alten Gräfin mit den Ihrigen blickte er plötzlich in die Capelle hinab. Betroffen stand er still. Aber die Gräfin mit den Ihrigen sah nicht rückwärts, sondern hinab auf den Altar, an welchem der Caplan das Abendmahl austheilte, Brot und Wein! Brot und Wein theilte er aus! Tocke konnte nur eine Ecke des Altars entdecken von der hohen Stufe an der Thür, innerhalb welcher er sich vorsichtig verhielt, um nötigenfalls zurückzutreten, die Thür zuziehen und verschwinden zu können. Aber just an dieser Ecke des Altars sah er einen kolossalen Mann – es war der alte Graf Tertschka – aus dem Kelche trinken. Es sind Calixtiner, dachte Tocke und freute sich der Entdeckung. – Dann erhob sich ein einstimmiger Gesang der Gemeinde, wie er ihn nie in einer Kirche gehört. Dann predigte der Caplan von der Kanzel, welche er nicht sehen konnte. Verstehen konnte er auch kein Wort, denn die Sprache war die slavisch-böhmische.
Schon fing er an, sich zu langweilen, weil keine weitere Ausbeute sich darbot für seine Angeberei nach Wien, als der ketzerische Gottesdienst, und neigte sein blondes Häuptlein etwas dreister nach vorn aus der Thürspalte, um ein Gespräch zu belauschen, welches Ilow und Sparr mit einander angeknüpft, da – fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. Zusammenfahrend wendete er sich und sah dicht an seinem Kopfe das große, lichte Auge – des Pater Dunstan. Wie abgemagert, wie gealtert auch dies Antlitz erschien, Tocke erkannte es auf der Stelle mit tiefem Schrecken. Denn er erinnerte sich sonnenklar, daß dieser alte Benedictiner ihn zu Wien mehrmals im Jesuitencollegium angetroffen. Ja, einmal sogar hatte Tocke sich hinreißen lassen, neben dem Pförtner in ihn hineinzusprechen, giftig mitzusprechen, als Pater Dunstan damals täglich gekommen war, um bei dem Provincial Athanasius vorgelassen zu werden. Ja, selbst der übereilten Worte, welche er damals gesprochen, erinnerte sich Tocke jetzt unter dem schreckhaften Auge des Greises Silbe für Silbe. Sie waren so gewesen, daß kein Zweifel übrig blieb über die innerste Parteinahme des Sprechenden für die polizeilichen Umtriebe des Provincials. Es überfiel Herrn Tocke ein starkes nervöses Zittern, daß die magere Hand Dunstan's auf seiner Schulter auf und nieder bewegt wurde. – Wenn dieser Greis so von ihm erzählte, wie sein Blick jetzt vernichtend auf ihm lag, erzählte hier unter den ketzerischen Böhmen, hier wo der Herzog jede Stunde erscheinen sollte – dann konnte die immer gefürchtete, schreckliche Wendung für Herrn Tocke ganz nahe sein, die Wendung zu Waldstein's: »Hängt die Bestie!«
Dunstan sprach kein Wort. Der Bote, welcher ihn von Kuttenberg geholt, sagte mit halber Stimme: dies sei die herrschaftliche Loge, in welcher die gnädigste Frau Gräfin – und Dunstan schob mit leisem Druck – ein solcher genügte – Herrn Tocke sammt der Thür zur Seite, um in die Loge hinabzutreten.
Er stand still auf der Stufe und horchte auf das, was in der Kirche vorging. Die Predigt war eben zu Ende und der Geistliche begann einen feierlichen Dialog mit der Gemeinde: er fragte, sie antwortete, und ein kurzer, begeisternder Jubelchor, von Allen gesungen, schloß diese eigene liturgische Form, an welcher Dunstan sofort erkannte, daß er die Kirchenform einer originellen Gemeinde vor sich habe. – Das freute ihn. Er nickte vor sich hin mit dem Haupte und murmelte einige Worte.
Diese Worte wurden gehört von den Herrschaften, die vor ihm in der Loge saßen. Sie wendeten sich um und die alte Gräfin winkte ihm: hinabzukommen an ihre Seite.
Er dankte mit der Hand und suchte mimisch auszudrücken, daß er den Gottesdienst nicht stören und das eben anfangende allgemeine Gebet nicht zerstreuen wolle. Auch diese Form gefiel ihm: Prediger und Gemeinde sprachen mit halber Stimme sehr langsam das Vaterunser.
Die hohe, nur vom Nacken aus gebeugte Figur des greisen Mönches in schwarzer, verschlissener Kutte nahm sich ehrwürdig aus auf dem Hintergrunde der weiß getünchten Capelle über den bunten Kriegsleuten, und der Ausdruck seines Antlitzes, nach welchem die alte Gräfin rückwärts hinaufspähte, hatte etwas wunderbar Mächtiges, man war zu sagen versucht: etwas verzweifelt Mächtiges. Und man traf mit dem Worte »verzweifelt« den wahren Punkt. Ein Greis von solcher Erfahrung und so gutem Herzen, der am Ende seiner Tage hoffnungslos geworden und nur noch darauf bedacht ist, diese letzten Tage um den Preis eines getäuschten Lebens zu verwerthen durch den Ausschrei seiner Seele, ein solcher Greis muß gleichzeitig erschrecken und bewältigen. Dies Erschrecken, welches von ihm ausging, hatte zu Wege gebracht, daß er auf seinem herausfordernden Gange durch Sachsen und Böhmen lebendig bis daher gelangt war. Die fanatischen Lutheraner in Sachsen hatten ihn wol fassen und vernichten wollen, aber das Grauen vor so wahrer Verzweiflung hatte sie doch im Innersten entsetzt. Niemand hatte gewagt, Hand an ihn zu legen. Er ist verrückt! Mit diesem weiten Worte hatte man sich abzufinden gesucht. Denn was uns in höheren Dingen widerspricht, ohne daß wir es verdächtigen und widerlegen können, das schieben wir gern dadurch aus unserer Verantwortung, daß wir es »verrückt« nennen. Selbst der staatsgewandte Hofprediger Hye in Dresden hatte sich nicht anders zu helfen gewußt, als Dunstan bis zum Kurfürsten gedrungen und bittere Vorwürfe in dessen lutherische Orthodoxie hineingeschleudert hatte. – Seht auf sein Kleid, durchlauchtigster Herr – hatte er gerufen – er gehört in den katholischen Kreis, der sich befreien gewollt und nicht gekonnt. Laßt ihn über die böhmische Grenze führen! Dort mag er nützen; hier stört er nur.
Das war geschehen. In Böhmen hatte er freiere Bahn gefunden. Das Hussitenland war immer geneigt, einem freien Prediger in der Wüste andächtig zuzuhören. Selbst in den deutschen Kreisen, welche allein Dunstan aufsuchte, da er nur dort mit seiner Sprache verstanden wurde. Als nun dort ruchbar geworden, der Friedländer trete wieder an die Spitze eines Heeres, und zwar mit ungeheurer Vollmacht, da richtete Dunstan sein Augenmerk auf den Friedländer, und wie ein messianischer Prophet in Israel einem der Vierfürsten zuzog, um bei diesem Gehör und Nachdruck für seine Weissagungen zu finden, so zog Dunstan dem heutigen Kriegsfürsten entgegen, um dessen Macht in Anspruch zu nehmen für eine wahrhafte Freiheit der Kirche. Deshalb war er der Einladung nach Zleb sofort gefolgt, da es überall hieß: der Friedländer komme des Weges daher, und deshalb war er jetzt im Innern erfreut, einen so eigenthümlichen böhmischen Gottesdienst anzutreffen. Er sollte ihm zum Wegweiser, zur Brücke dienen für den Mann, welcher jetzt offenbar Kirche und Staat in Händen hatte.
Milderen Sinnes also trat er die Stufe hinab, als das Vaterunser, und, wie es schien, hiermit der Gottesdienst beendigt war, um dem Winke der Gräfin zu genügen und auch in die Capelle hinab zu schauen. Ehe er aber sprechen konnte, trat etwas Befremdliches ein. Die Capelle verfinsterte sich mit einem Male, obwol es erst Nachmittag war, ja es wurde fast Nacht, und eine große Unruhe brach aus unter den Leuten da unten. Sie drängten nach der Thür; man sah die Gefahr, daß sie sich erdrückten, und der Lärm wurde lauter und schreiender.
Da trat Dunstan an die Brüstung der Loge und rief mit starker Stimme hinab: Fürchtet Euch nicht! Gott liebt die Menschen allewege.
Man sah empor, und die Erscheinung des schwarzen Mönches brachte nur neuen Schrecken. Ein Mönch im böhmischen Gottesdienste! – Dieser Schrecken aber wirkte lähmend. Man hörte auf zu drängen, die Menge entfernte sich langsamer, indem sie scheu emporblickte nach dem greisen Mönche.
»Was ist denn?« fragte die Gräfin. – Ein Gewitter zieht über das Land, so tief, daß die Kirchthürme mit ihren Spitzen in die schwarze Wolke ragen. Die Wolke entladet sich nicht, es fällt kein Tropfen Regen, und die Blitze spielen horizontal umher, als wollten sie sich gesammelt halten zu einem Hauptschlage. So war's auf meinem Wege hierher. Das Gewitter ist mit mir über Euer Haus gekommen. Es wird darüber hinwegziehen mit Gottes Hilfe. Ihr erwartet den Herzog von Friedland? – »Jede Stunde.«
Unter diesen Worten waren sie auf die Gallerie hinaus getreten. Ein Blitz, oder richtiger ein Feuermeer überleuchtete den dunkeln Schloßhof, und man sah, daß die aus der Capelle strömenden Landleute sich links und rechts zusammendrängten, um eine Gasse zu bilden vom Thore aus. Durch das Thor herein schien man einen Einzug zu erwarten.
Dies vollendete Herrn Tocke's heutiges Mißgeschick. Als Pater Dunstan in die Loge getreten, hatte er es für rathsam erachtet, dieser unangenehm erneuten Bekanntschaft keine weitere Folge zu geben, sondern sich so vorsichtig wie bestimmt aus diesem allerdings recht malerischen, ihm aber recht unheimlichen Schlosse zu entfernen. Selbst ohne Abschied von Leo Steinwald zu entfernen, den er ohnehin nirgends erblickte. Er suchte also seinen Rückweg über Gallerie und Stiege. Leider gerieth er auf eine Nebentreppe, welche nicht in den Hof, sondern ins Innere des Schlosses führte, und verlor dadurch einige Zeit. Als er endlich aus dem fast ganz finstern Gebäude in den dunklen Hof herausgetappt, da strömten auch eben die Leute aus der Capelle. Er ruderte nun eilig mit ihnen dem Hofthore zu, wurde aber auch mit ihnen dort gestaut. Von außen kam eine zahlreiche, glänzende Reiterschaar, und an der Spitze derselben – Allmächtiger, das fehlte noch! – dachte Tocke; – wenn der dich hier sieht und aufhält und mit jenem Mönch zusammentrifft und es zur Sprache kommt, daß ich – –! – Herr Tocke gab sich die größte Mühe, rückwärts unter die Landleute zu kommen. Das war nicht möglich. Die zusammengedrängten Leute standen bereits so eng wie eine Mauer und hielten seinen Versuch des Einkriechens immer nur für ein Zeichen, daß sie noch weiter zurückweichen, die Gasse noch breiter machen sollten. Er sah sich verurtheilt, in vorderster Reihe zu bleiben. Der schwarze Pferdekopf des vordersten Reiters pruhstete und wieherte eben aus dem Thorbogen herein in den Schloßhof, die schwarze Gewitterwolke goß ihre Feuermasse herab und beleuchtete grell den von den Landleuten abstechenden hellblauen Tocke, der verschämt und demüthig sein Köpflein nach dem Boden neigte, als suchte er eine verlorene Stecknadel – denn der lange Reiter auf hohem Rosse war der Mann, dem er jetzt durchaus nicht in die Augen kommen wollte, war der Herzog von Friedland.
Er erinnerte zum ersten Male wieder an jenen Waldstein, welcher über die Taborbrücke zum Krankenlager des Kaisers Mathias gesprengt war. Frei und kerzengerad, das Haupt nach dem Nacken zurück, keine Spur von gichtischer Krankheit an sich, saß er auf reich geschirrtem Rappen in der Tracht eines Feldherrn und Fürsten. Der rothe Sammetmantel mit Hermelin um die Schultern, das ledergelbe Wams vom großen Spitzenkragen bedeckt, die Aermel wie das Beinkleid roth mit Gold vernäht, der breitkrämpige, von Gold und Federschmuck flirrende Hut mit der rückwärts flatternden, breiten, rothen Feder – Alles das hob das fahlgelbe, magere Antlitz und ließ es vornehm, verächtlich vornehm erscheinen unter den dunklen Augenbrauen und dem wilden Augenschimmer, der Niemand eines Blickes zu würdigen schien, der aber wie ein Blitz traf, wenn er sich ausnahmsweise auf einen Gegenstand heftete. Der Blitz des Himmels spottete indessen gerade hier des menschlichen Stolzes: der Friedländer war kaum fünf Schritte weit in den Schloßhof herein, da verdichtete sich die elektrische Feuermasse der Gewitterwolke zu einem Keil und unter furchtbarem Donnerkrachen – es war der erste Donner dieses Gewitters – schlug dieser Blitzkeil in den Schloßhof, gerade in die geöffnete Gasse vor dem Herzoge. Man sah Staub und Schutt hoch auffliegen vom Boden, und der erschrockene Rappe des Herzogs knickte in allen vier Beinen so tief zusammen, daß die Steigbügel fast den Boden berührten. Ein Schrei des Entsetzens flog in den Donner hinein von all den Zuschauern. Mit diesem Schlage aber hatte sich auch der Wind entfesselt; in einem Nu war der Staub verweht und man sah den Friedländer wieder unverändert hoch zu Roß. Nur sah er nicht mehr in die Luft, nein, das gefürchtete Auge lastete auf dem fast knieenden Tocke, und er sprach: »Was machst Du hier?« – Der – junge – Steinwald hat mich – mitgenommen, um – »Um?« – Um mir das alter – alterthümliche böhmische Schloß – zu zeigen, welches – als Skizze – »Zeig' mir die Skizze, eh' ich fortgehe.«
Der Herzog war langsam fortgeritten während dieses kurzen Gesprächs und Tocke war genöthigt, nebenher zu keuchen.
Jetzt hielt der Herzog und stieg ab. Die Landleute öffneten durch Rückwärtsdrängen die Gasse zur Hauptstiege im hinteren Thurme, die Truppenführer Ilow, Tertschka, Sparr eilten ihm von da herab entgegen, Gräfin Wanda erwartete ihn oben an der Treppe. Stumm schritt er hinauf; hinter ihm ein Gefolge von höheren Officieren. Unter diesen der Marchese Carretto und der Oberst Piccolomini. Die alte Gräfin war starr vor Erstaunen darüber und ihre Begrüßung verwandelte sich sofort in die leise gesprochene vorwurfsvolle Anfrage: was es zu bedeuten habe, daß er seine geschworenen Feinde in seine unmittelbare Nähe ziehe?
Ein spöttisches Lächeln Waldstein's antwortete zunächst. Ohne Einhalt weiter schreitend nach dem geöffneten Saale des Schlosses, sagte er dann zu der neben ihm herschreitenden Gräfin: »Du nimmst Alles zu kurz und zu heftig, Wanda. Wer regiert, muß weiter sehen als die Leidenschaft und das Vorurtheil. Diese Italiener sind sehr begabte Leute und sind kriegswissenschaftlich gebildet. Das brauch' ich eben so dringend wie blinde Anhänglichkeit. Der Schwedenkönig bringt für Kriegswissenschaft manches Neue. Das muß man bemerken, dem muß man begegnen. Meine Haudegen sind dafür nicht besonders geeignet. Der junge Piccolomini namentlich, der sich mir ungerufen vorgestellt, ungerufen, obwol er meine Ungnade zu fürchten hatte, der hat mir ganz besonders gefallen. Es ist ein offener Kopf. In Prag ist er damals einfach commandirt gewesen, ohne zu wissen für welchen Zweck. Sie haben damals Alle keinen rechten Zweck gehabt. Allarmirt sind sie gewesen durch die Ankunft des Sachsen, dessen Heer im Anmarsche war, und rathlos mir gegenüber, der ich ja doch kein militärisches Commando gehabt. Carretto hat mir offen darüber gesprochen. Sei unbesorgt! Das liegt jetzt Alles anders. Jetzt bedeuten sie nur das, wozu ich sie mache. – Wie kommt der Mönch daher?« – Er sucht Dich. Es ist der Genosse des Zierotin Zdenko gewesen, der jetzt als Wanderprediger – »Pater Dunstan! Ich weiß. – Was willst Du von mir, Pater?«
Waldstein war an der gedeckten Tafel entlang bis ans Erkerfenster vorgeschritten und hatte sich da erst umgeschaut, den gewölbten tiefen Saal überblickend, in welchem gespeist werden sollte. Sämmtliches Gefolge war jenseits der Tafel zurückgeblieben, nur Dunstan kam langsam auf ihn zugeschritten. Ihn allein hielt kein irdischer Respect zurück, ihn trieben höhere Gewalten.
»Ich will Dein Ohr« – erwiderte er – »auf eine Viertelstunde, um Deine Macht für einen großen Zweck zu gewinnen.« – Eine Viertelstunde ist lang. Die Leute wollen hier speisen. Man kann das Wichtigste kurz sagen. Was ist's? – »Du sollst die Kirche entfesseln von den Pfaffen im bunten wie im schwarzen Rocke, Du sollst die Religion frei machen und nicht für eine Kirche fechten. Nur so wirst Du einen gründlichen Zweck haben für Deine großen Mittel, nur so wirst, nur so kannst Du neu und gewaltig werden, nur so kannst Du siegen und schaffen. Ohne diese größere Absicht verbleibst Du inmitten der Mittelmäßigkeiten, die Stückweises wollen, die Halbes wollen und die über Nacht zu den Todten geworfen werden, auch wenn sie zu siegen scheinen.« – Und wer wird mit mir fechten, wenn die Katholiken und Protestanten mich gleichmäßig als Feind ansehen müssen? – »Der Geist wird mit Dir fechten, welcher höher und mächtiger ist denn Rom und Wittenberg. Er wird den Sinn Deiner Feinde verwirren und wird alle edleren Kräfte Dir zuführen. Denn Du wirst als weiser Feldherr nicht sofort Dein Endziel zeigen. Du wirst in einer Wolke wandeln wie Moses. Deine Blitze werden immer nur einzelne Theile Deines Weges beleuchten, und erst wenn Dein Sinai in festem Gestein aufgebaut ist, wirst Du Dich enthüllen und die Tafeln der neuen zehn Gebote aufstellen vor aller Welt, ein Gründer neuer Weltordnung.« – Und Du glaubst Pater, daß die Menschen bestehen können ohne feste Kirche, auch die schwachen und gedankenlosen, welche die große Mehrzahl bilden? – »Ich glaube nicht, daß sie ohne Kirche bestehen können, und ich will es nicht. Die Kirche ist der nothwendige Stab in irdischer Finsterniß. Aber die Kirche soll weiter und größer werden als sie jetzt ist. Sie soll den Spruch der Schrift am Giebel tragen: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.« – Hast Du außer Gleichnissen und Bibelsprüchen auch einen festen Plan Deiner weiten Kirche! – »Den hab' ich.« – Eine organisirte, bis ins Einzelne ausgearbeitete Einteilung, wie man eine Regierung, eine Armada eintheilt in Aemter und Instanzen, in Regimenter und Stäbe und oberste Hauptmannschaft? – »Den hab' ich.« – So komm' heut' Abend zu mir um die zehnte Stunde und entwickle mir diesen Plan. – »Ich komme. Aber gieb' bestimmten Auftrag, daß man mich zu Dir lasse. Denn Deine Umgebung will nichts von dem, was ich will, und wird mich abweisen. Du hast nur Handwerker oder Ränkeschmiede um Dich und bist von Spionen der römischen Pfaffen umgeben.« – Du meinst? – »Ich weiß. Bin ich doch soeben erst hier im Schlosse einem Menschen begegnet, Namens Tocke, der schon vor zehn Jahren Spion und Zuträger der Jesuiten in Wien war, und zwar des schlimmsten Mannes unter den Jesuiten, des Provincials Athanasius.« – Tocke hieß er? – »So nannte ihn damals der Pförtner im Collegium.« – Rostok! rief Waldstein mit mächtiger Stimme über den Saal hinüber.
Kammerdiener Rostok antwortete sogleich aus der Tiefe hinter der harrenden Gesellschaft und eilte herbei, wenn auch nicht so glatt und leise wie im Prager Palaste. Denn der Fußboden des Saales hier war von Stein.
Waldstein sprach leise und schnell zu ihm und schloß mit den lauteren Worten: – Auch den Leo, welcher ihn hergebracht! – Dann wandte er sich verabschiedend zu Dunstan und sprach, indem er auf Rostok zeigte: – Bei diesem Manne melde Dich!
Die alte Gräfin hatte unterdeß angeordnet, daß ein gedeckter Tisch aufgestellt worden am oberen Ende der Tafel, abgesondert um einige Schritte von dieser. Er war für den Herzog bestimmt, welcher bei öffentlichen Mahlzeiten immer in solcher Form abgesondert speiste.
Jetzt trat sie wieder zu ihm und fragte, ob Durchlaucht erlauben wolle, daß angerichtet würde. Der Herzog machte eine ablehnende Bewegung. Die Tafelfreuden waren überhaupt kaum für ihn vorhanden und es sah ihn selten Jemand Speise oder Trank nehmen. – Für mich nicht – sagte er zerstreut, indem sein Auge die jenseits der Tafel versammelten Gäste musterte. Draußen regnete es in Strömen, seit er eingetreten. Im Saale herrschte Todtenstille unter seinem musternden Blicke, man hörte den Regen an die Fenster klatschen. Diener warteten im Hintergrunde mit Lichtern, denn die Luft war immer noch verfinstert.
»Raschin und Lady Ludmilla sind noch nicht da?« fragte er halblaut die alte Gräfin. – Noch nicht. Das Wetter wird sie genöthigt haben, unterwegs zu verweilen. – »Der Sachse auch noch nicht?« – Auch noch nicht. Man hat Dich erst zum Abend erwartet.
Langsam ging er an der Tafel entlang; die Gräfin Wanda neben ihm. – Holck! rief er, als er noch etwa zehn Schritte von der Gruppe seiner Officiere entfernt war. Die knochige Gestalt mit wüstem Kopfe kam zu ihm. – Die Direction nach Eger nehmen – morgen Früh!
Dann schritt er weiter; durch die Gruppe hindurch, welche sich vor ihm aufthat. Auf einen Wink der Gräfin öffnete der Haushofmeister die Thür und sandte Diener mit Lichtern voraus. Die Gräfin selbst begleitete den Herzog. Als sie in den Zimmern ankamen, welche für ihn bestimmt waren und in deren vordersten die Ordonnanzen und Boten mit Brieftaschen seiner schon warteten, öffnete sie eine seitwärts führende Thür und lud ihn ein, den Raum zu betrachten. Es war ein Thurmzimmer wie das ihrige. Eine Planetentafel mit allem Zubehör zur Beobachtung der Sterne war darin aufgestellt. Aus Neigung für ihren Abgott hatte auch sie dem Anschauen der Gestirne und der Deutung ihrer Constellation sich gewidmet.
»Rechten Glauben find' ich nicht daran!« – sagte sie lächelnd. – Das ist auch viel verlangt, erwiderte Waldstein, und ein seltenes Lächeln spielte um seine Lippen – rechten Glauben finden nur die Kinder. – »Und der unsrige ist Aberglaube.« – Vielleicht. Zleb wird ihn nicht nähren: es wird draußen ein Landregen und der Sternenhimmel wird heute Nacht nicht vorhanden sein. Geh' zu Deinen Gästen; sie schmachten nach der Mahlzeit. – »Und Du fragst nicht, Waldstein, was ich zu Deinem Pact mit dem Kaiser sage? Du willst Dein Lob nicht hören über solchen Erfolg?« – Nein. Dir ist's doch nie genug. – »Nicht genug? Mir ist's zu viel.« – Siehst Du! Eine neue Wendung des Tadels. Du bist unerschöpflich. – »Ich bewundere Deine Thätigkeit, Deine Zähigkeit, Deine Kraft und Geschicklichkeit, mit welcher Du dies Ungeheure erreicht. Es ist ein Zeichen des größten Genies, diese interimistische Uebernahme, um die Bildung des Heeres vorzubereiten und mit der vorbereiteten Waffe drohend solche Zugeständnisse zu erzwingen. Des größten Genies. Aber das Genie ist unklug gewesen, wenn es über seinen Zweck, über sein Ziel im Unklaren verblieben ist.« – Wer sagt das? – »Deine Miene sagt mir's. Du hast Dich noch nicht entschieden.« – Meinst Du? – Führen nicht viele Wege nach Rom? Und verzichtet man auf den Marsch, weil man prüfend erwägt, welchen man auswählen soll! – »Du bist noch gar nicht entschlossen, einen auszuwählen.« – Vielleicht morgen schon wirst Du anders sprechen. – »Da siehst Du: morgen! Also heute noch nicht.« – Weil Raschin, weil der Sachse noch nicht da sind! – »Und wenn sie dagewesen, wirst Du Neues vermissen. Das eine Gute hat aber Dein Pact mit dem Kaiser: er wird Dir nie vergeben.« – Was heißt das? – »Der Kaiser kann Dir nie verzeihen, ihm alle Macht aus den Händen gerungen, Dich thatsächlich zum Herrn des Reichs gemacht zu haben. Dies ist mein Zuviel. Wer so viel erringt, der muß auch den letzten Schritt wagen, sonst ist er verloren. Siegst Du für den Kaiser und legst Du ihm den Sieg einfach und ohne weiteren Anspruch in den Schooß, so wird man Dich sauersüß ablohnen und in der Ablohnung dafür sorgen, daß Dir nichts verbleibt von der ertrotzten Macht. Gefällt Dir das nicht und willst Du Dich widersetzen, so wird man Dich – ermorden, weil Du nicht anders herunterzubringen bist.« – Oho! – »So ist's, so muß es kommen. Dein Pact läßt dem Kaiser gar keine andere Wahl. Entweder muß er den Pact brechen oder er muß Dich brechen. – Siegst Du aber nicht, nun, dann brichst Du Dich selbst und der Pact wird von selbst hinfällig. Auf beiden möglichen Seiten bist Du verloren. Und diese Einsicht wird Dich nöthigen, die Macht, welche Du in Händen hast, auch ganz und voll für Dich zu gebrauchen. Ich fürchte nur, Du wirst Dich noch lange, wirst Dich zu lange dieser Einsicht versperren. Dann gewinnen die Intriguen gegen Dich Zeit und Raum und Deine »Wälschen« unterhöhlen Deine Macht. Ist das thöricht?« – Das ist es nicht. Aber es ist Alles daran extrem, wie es bei Weibern zu sein pflegt. Die Phantasie beherrscht Euch und leistet der Logik Vorspanndienste. Die politischen Dinge entwickeln sich aber nicht in extremen Wendungen. Bring' Deine Gäste zur Mahlzeit.
Sie ging. Keins reichte dem Andern die Hand. Waldstein liebte keinerlei körperliche Berührung.
*
Der Gußregen draußen, welcher alle Landleute fortgetrieben, war in einen stillen, leisen Regen übergegangen, als der wirkliche Abend mit dichter Finsterniß eingetreten war. Der Schloßhof war leer; zahlreiche Lichter in den Fenstern des Schlosses flimmerten unsicher durch die wasservolle Luft herab, schimmerten draußen matt ins Land hinaus.
Binnen zwölf Stunden vielleicht sollte in diesem alten Schlosse eine Wendung entschieden werden, welche für Kaiser und Reich und Kirche und Staat entscheidend werden mußte. Waldstein wartete sichtlich auf Gustav Adolphs letztes Wort. Lautete es zustimmend und klang es nur leidlich ehrlich, dann trat er wol mit ganzer Entschlossenheit in die Fußstapfen, welche Gräfin Wanda seit Jahren vor ihm ausgetreten, und der deutsche Krieg erhielt ein völlig verändertes Antlitz: der Kriegsfürst der Katholiken und der Kriegsherr der Protestanten stürzten das alte Kaiserthum und theilten sich in die deutsche Macht. Theilten! Darin lag es, darin liegt es, daß historischer Bestand so viel länger dauert als man ihm zutraut. Kein Mächtiger will theilen. Ganz oder gar nicht! ist eben der Athem seiner Macht.
Im Grunde dachte Waldstein auch nicht anders. Und nur darum, weil ihm neuerdings dringende Mahnungen zugegangen waren, den Schwedenkönig nicht zu unterschätzen in dessen vielfach neuer und dadurch überlegener Kriegführung, nur darum hatte sich Waldstein zu einer neuen Anknüpfung entschlossen. Gleichzeitig hatte er sich Sachsen mehr als je genähert. Der deutsch-patriotische Standpunkt sollte ihm unter allen Umständen die Wage halten gegen den »Gothen«. Arnimb hatte den Kurfürsten nun mit aller Kraft angehen müssen, sich vom »Gothen« zu trennen und sich dem deutschen Friedländer anzuschließen, welcher ihm die Lausitzen und volles Gleichmaß in der Kirchenfreiheit zusicherte.
Deshalb erwartete da oben im Thurmzimmer der düstere Herzog ungeduldiger als sonst den Raschin vom Westen, den Starschädel vom Norden. Beide Antworten mußte er neben einander haben, um seine Entscheidung treffen zu können.
Die eine war nahe. Raschin hatte sich durch den Gewittersturz nur eine Stunde aufhalten lassen, er kam jetzt in der regnerischen Finsterniß Schritt für Schritt dem Schlosse näher; er entdeckte bereits den matten Lichtschimmer in den Thurmfenstern; er ritt in den Schloßhof ein, er stieg ab. – Obwol triefend von Wasser, ließ er sich gleich zum Herzoge führen.
Rostok liebte es nicht, daß Feuchtigkeit eingeschleppt wurde in die Gemächer seines gichtischen Herrn. Aber er hatte Ordre und er war zerstreut. Er ließ den nassen Mann sogleich hinein.
Rostok war zerstreut um Leos willen. Die Neigung, welche er gleich von Anfang für den jungen Mann gefaßt, sie war stetig geblieben, sie war gewachsen mit der Zeit, er liebte Leo wie man ein junges Mädchen liebt. Und Leo schien ihm jetzt bedroht zu sein. Der Auftrag des Herzogs heute bald nach der Ankunft im großen Saale hatte Leo gestreift, wenn auch nur gestreift. Rostok wußte nur zu gut, was das zu bedeuten hatte bei seinem Herrn. Der Herzog hatte im großen Saale in der Nähe des Mönches leise befohlen: Oberst Sparr sollte sogleich einen sichern Mann nach Prag schicken; der Mann sollte fünfmal Pferde wechseln und in gestrecktem Galopp jagen, damit er am nächsten Morgen wieder zurück wäre in Zleb. In Prag aber sollte er sich Herrn Tocke's Zimmer öffnen lassen, sollte alle Briefschaften dieses Tocke in seine Ledertasche stopfen und dem Herzoge bringen. – Das hatte Rostok gleichgiltig gelassen – was kümmerte ihn Herr Tocke! Aber der Herzog hatte hinzugesetzt: Der Leo soll den Tocke hergebracht haben. Er ist also wol vertraut mit ihm. Darüber will ich Auskunft. – Dies war Rostok durchaus nicht gleichgiltig gewesen. Dazu war eine Aeußerung Sparr's gekommen, als Rostok diesem des Herzogs Auftrag ausgerichtet. Die Aeußerung hatte gelautet: Tocke's Briefschaften allein? Nicht auch des Steinwald Papiere? – Tocke's allein! hatte Rostok erschrocken geantwortet.
Seitdem war Rostok befangen, denn er war besorgt für seinen Liebling. Er hatte nach ihm gesendet. Die Antwort hatte gelautet: Herr Leo sitze mit an der großen Tafel, und dort gehe es laut und fröhlich zu. Man trinke stark und halte Reden. Ob man den jungen Herrn abrufen solle? – Das nicht! hatte Rostok erwidert. Er gönnte ihm die lustige Tafel und hätte es fast gern gesehen, daß der sonst mäßige junge Mann einmal etwas trunken würde. – Allmälig hatte es ihm aber doch zu lange gedauert und er hatte nochmals nachschauen lassen. – Jetzt hatte es geheißen: die Herrschaften hätten Plätze gewechselt und der junge Herr säße neben einer jungen, schönen Dame – Neben dem Fräulein von Loß? – Nein, die sei gar nicht da. Der leiste der alte Mönch auf ihrem Zimmer Gesellschaft. Die junge Dame sei das schöne Fräulein von Sparr, und ihr Vater, der Oberst, sähe drein, als ob der süße Wein eitel Essig wäre. – Der Herr Leo soll sogleich zum Herzog kommen! hatte Rostok gerufen.
Das war geschehen, kurz bevor Raschin eingetreten. Der zerstreute Rostok erwartete also Leo. Er schob im Zimmer umher, der Mann mit dem Pavianskopfe, als ob er nicht blos besorgt wäre. Man hätte ihn für einen entarteten Othello halten können, der von Eifersucht geplagt würde.
Er hätte auch seinem Lieblinge keinen übleren Dienst erweisen können, als ihn jetzt hierher in das Vorzimmer des Herzogs zu berufen. Leo war schon den ganzen Tag über in einem aufgeregten Zustande gewesen: die abweisende Behandlung, welche er von Sparr, die außerordentliche Aufmunterung, welche er von der alten Gräfin erfahren, hatten sein sonst so behagliches Gleichgewicht stark erschüttert. Als man nun zur Tafel gegangen und an derselben gegen alles Erwarten Magna nicht erschienen war, da hatte er sich mit einer Art von wilder Resignation dem politischen Gespräche und dem Erheben der Becher und Ausleeren derselben hingegeben, welches von diesen Gesprächen unzertrennlich war. Er hatte dabei zufällig eine Menge Wein verschluckt, was sonst gar nicht seine Gewohnheit war. Und zu diesem Rausche war ihm gar noch ein zweiter beschieden gewesen. Sparr nämlich war in der Stille von Gräfin Wanda gescholten worden, daß er seine Tochter nicht zur Tafel gebracht. – Junge Mädchen zähmen die Wuth des Trinkens und Prahlens bei den Officieren und die Loß Marie fehlt uns ohnedies, holt Eure Magna! hatte Gräfin Wanda gesagt. Das war dem Sparr ganz erwünscht gekommen. Erwünscht? Dem protestantischen Starrkopfe? Ja wol. Er hatte starre Gedanken, er hatte starre Formen, aber er war im Grunde des Herzens ein guter, ja weicher Mann. Und seine Tochter liebte er zärtlich. Sie war sein einziges Kind. Dies Kind aber war sich dieser väterlichen Zärtlichkeit sehr wohl bewußt und war nicht ohne Trotz, wenn Papa hart und streng gegen sie auftrat. Sie hatte von der verstorbenen Mutter einen festen Willen geerbt. Als der Vater ihr heute so hart entgegengetreten war in Bezug auf Leo, da hatte sie nach einiger Ueberlegung gefunden: das sei Unrecht, und sie hatte sich vorgenommen, Leo bei Tische zu sagen, ihr Vater wäre – nein! zu viel wollte sie ihm doch auch nicht sagen; aber ausgleichen wollte sie den Mißton doch, das war ihr fester Vorsatz. Nun hatte aber der Vater gar erklärt, sie sollte heute nicht mit zu Tische gehen! Das war zu arg. Da hatte sie sich in trotziges Schweigen gehüllt, und das war etwas, was Papa Sparr gar nicht vertragen konnte an seinem Augapfel. Deshalb kam ihm die Aufforderung der Gräfin so erwünscht, und er holte sogleich seine Tochter. – Für Leo ging hiermit die Sonne auf. Angefeuert war er schon in hohem Grade, und – was er sonst nicht gewagt hätte – er mischte sich tapfer unter die jungen Kriegsleute, welche aufsprangen, um das spät erscheinende Fräulein zu begrüßen und an die Tafel zu führen, ja er that sich so hervor in Keckheit, daß er den Platz neben ihr eroberte und daß er einen freien Fluß der Unterhaltung mit ihr begann, wie es ihm früher bei ganz nüchternem Zustande nie gelungen war. Den grimmig dreinschauenden Vater sah er gar nicht, er sah nur das überraschte und gar nicht ungnädige Lächeln des Fräuleins, welches in dem allgemeinen Tafellärm den muntern Burschen munter aufnahm. Denn sie war eigentlich auch munter und frisch, und Ungehöriges sprach Leo auch jetzt in seinem Rausche nicht, selbst wenn er manchmal nur flüsterte. In diesem Flüstern vertraute er ihr nur, daß Gräfin Wanda ihm die Erhebung in den Ritterstand verheißen habe, in den Ritterstand! was für seine – Zukunft doch höchst wichtig sei. –
In diesen Doppelrausch von Wein und Liebe war Rostok's Botschaft geblitzt: er sollte sogleich zum Herzog kommen! – Der Ritterschlag um Mitternacht! hatte Magna gerufen. Das wäre göttlich! hatte er in seiner Exaltation laut gesagt und hatte leise hinzugesetzt: dann singe ich heute Nacht unter Eurem Fenster das Karawankenlied, welches die Frau Herzogin Isabella so gern hörte! – Das werdet Ihr wol bleiben lassen! hatte sie entgegnet, aber der schelmische Blick ihres Auges hatte ihren Worten widersprochen, und er hatte nur auf ihr Auge gehört und nicht auf ihre Worte und war voll Rausch und Seligkeit davon geeilt.
So kam er jetzt zu Rostok, laut, lustig, ausgelassen. Er faßte den umher laufenden Kammerdiener bei beiden Händen, er schwenkte ihn, als wollte er mit ihm tanzen, er umarmte, er küßte ihn. Denn er hatte den »guten Pavian«, welcher ihm zugethan war, ganz gern, und das wollte er ihm deutlich bezeigen in dieser Stunde glücklicher Aufregung.
Rostok war diese ungewöhnliche Zärtlichkeit wol sehr willkommen, aber das laute Wesen erschreckte doch den Kammerdiener, der seinen Herrn, seinen furchtbaren Herrn im nächsten Zimmer wußte und der wußte, daß dieser Herr eine höchst heiklige Untersuchung mit seinem Lieblinge vorhatte. Und dabei rief Leo einmal um das andere laut: »Will mich der Herzog heut' noch zum Ritter schlagen, will er?« – Er denkt nicht daran! Um Gotteswillen leise, junger Herr! Im Gegentheil! Der Herzog hat Euch im Verdachte – »Daß ich ein Herz habe, ein zärtliches Herz?! Da hat er Recht, ganz Recht!« – Ach warum nicht gar! Daß Ihr – »Was denn?«
Das war's eben, was Rostok jetzt erst peinlich auf die Seele fiel. Wie sollte er fragen? Er war doch zu Anfang und zu Ende Diener seines Herrn, und zur Grundeigenschaft dieses Dieners gehörte es, die Absichten seines Herrn getreulich zu erfüllen und in keiner Weise zu verrathen. Ausholen und warnen wollte er Leo, aber er durfte ihn doch eigentlich nicht merken lassen, daß er auch schon verdächtig sei. Wie war das anzufangen?!
»Ihr kennt Herrn Tocke?« fragte er endlich kurz. – Versteht sich! Habe ja den ängstlichen Lichtblauen, den tapfern Reiter selbst hierher gebracht. – »Wozu?« – Wozu? Ihn zu unterhalten! Er will immer da sein, wo die Hauptpersonen sind, will hören was sie sprechen, besonders den Herzog, den er selten zu sehen und zu hören kriegt! – »Unglücklicher! Leise!« – Was? – »Weshalb will denn Herr Tocke den Herzog sprechen hören?« – Na, weil's immer merkwürdig ist, was der Herzog sagt. Der Tocke schreibt sich's auf – »Er schreibt?« – Freilich! Er ist ein Raritätenkrämer und macht sich wichtig damit in Wien, wo sie gern wissen mögen, was der Herzog ißt und trinkt und was ihm der Zenno prophezeiht aus den Sternen. – »Das wißt Ihr, Unglücklicher, und hindert ihn nicht?« – Im Gegentheil! Ich thu's auch –
Ach! schrie Rostok in Verzweiflung laut auf, und in dem Augenblicke trat der nasse Raschin heraus und die Stimme des Herzogs rief: Was ist, Rostok?
Raschin eilte ohne Aufenthalt durchs Vorzimmer; der Herzog erschien an der Thür seines Gemaches und wiederholte die Frage: Was giebt's hier? Warum schreist Du?
Rostok stammelte verlegen. Um keinen Preis wollte er seinen Liebling verrathen; aber in der Verlegenheit deutete er doch auf ihn.
»Was ist mit dem?« fuhr der Herzog fort. – »Komm' her! – was ist das? Du riechst nach Wein?! Auch das schon! Pfui! Trinker kann ich nicht brauchen. Geh' zu Bett!« Leo wollte sprechen, Waldstein aber rief kurz und scharf: »Marsch!« Leo mußte sich entfernen. »Herr von Starschädel noch nicht da?« – fragte der Herzog, indem er sich nach seinem Zimmer zurückwandte. – Noch nicht, Durchlaucht.
Nun ging Waldstein langsam in sein Zimmer zurück, die Thür hinter sich offen lassend. Es war ihm anzusehen, daß sein Geist ganz anderswo weilte als bei dieser häuslichen Scene. Tiefes Sinnen schwebte um Stirn und Augen, Unmuth um die Lippen. Die Nachricht Raschin's war auch diesmal nicht aufmunternd gewesen. Der Schwedenkönig hatte verlangt, Waldstein sollte gegen Wien marschiren und hatte einen Zug von fünfzehnhundert Schweden versprochen. Das klang fast wie Hohn. Es war nur zu deutlich: er traute dem Friedländer durchaus nicht. – Das war nun wol dem Friedländer, welcher dem Schwedenkönige ebenfalls nicht im Geringsten traute und welcher ihn nur schwächen und herunterbringen wollte, das war nun wol dem Friedländer nicht unerwartet. Er hatte die neue Anknüpfung nur unternommen dem Kurfürsten von Sachsen zu Gefallen. Dieser sollte hierdurch erfahren, daß von Gustav Adolph nichts zu erwarten sei für eine Beendigung des deutschen Krieges im Sinne deutscher Patrioten, und daß der Schwedenkönig eben nur das längste Schwert in Händen behalten wollte. Vielleicht werde das endlich den Kurfürsten überzeugen, daß er besser thue, sich vom Schwedenkönige zu trennen und sich dem Friedländer anzuschließen. Der Kurfürst litt bereits empfindlich unter der eisernen Hand Gustav Adolphs, welcher das sächsische Interesse als ein untergeordnetes behandelte – »aber«, murmelte Waldstein, indem er stehen blieb, »der Sachse beeilt sich nicht. Arnimb hat meine Einladung hierher zeitig genug gehabt; der Starschädel hätte mich hier schon erwarten müssen, wenn der Kurfürst bereitwillig gewesen wäre, und – er ist jetzt noch nicht da. Du bleibst allein. Du bedarfst aber des sächsischen Bündnisses, wenn etwas Ganzes und Volles erreicht werden soll. Dieses Bündniß allein bringt im Reiche den moralischen Eindruck hervor, daß die Frage des Reichs, die religiöse und politische durch mich zur Entscheidung kommt, nicht blos meine persönliche Frage. Das hebt und stärkt über alle Voraussicht hinaus. Das lähmt Wien im Innersten – ich kann's nicht entbehren.«
Während Waldstein dies dachte und zuweilen in einzelnen Worten murmelnd vor sich hin aussprach, war im Vorzimmer ein schwarz gekleideter Mann leise eingetreten. Ohne den immer noch bestürzten Rostok zu beachten, ging er lautlosen Schrittes auf das Zimmer des Herzogs zu, trat in dasselbe und näherte sich dem Herzoge, welcher abgewendet stand und die Annäherung nicht bemerkte.
Es war Zenno, der Astrolog. – Er hatte immer freien Zutritt, wenn er etwas Besonderes zu melden hatte. – Als der Herzog seiner ansichtig wurde, fuhr er unwirsch auf: »Was schleichst Du herbei wie ein Unglück! – Der schwarz verhangene Himmel bietet doch heut' keine Veranlassung!« – Er ist nicht mehr schwarz verhangen, großmächtiger Herr. Schau' hinaus! Ein Windstoß aus Süden hat die Wolkendecke zerrissen, und zwar für Dich. – »Was?!« – Gerade nur Dein Stern, der Saturn und seine Umgebung ist frei und sichtbar. In feuchtem Lichte schaut er herab und ruft uns. Zum Zeichen, daß etwas Wichtiges mit Dir bevorsteht. Das stimmt genau mit meinen Berechnungen. Sie treffen alle zusammen auf die ersten Sommertage des Jahres 1632. Auch des jungen Leo Facit ergiebt dasselbe Resultat, und der junge Mann rechnet exact wie eine neue, frisch geölte Maschine. Was Du heute erfährst, ist ein Schicksalsspruch. Horche auf! Sammle den Saft von dem, was Dir heute zugekommen, merke genau, was Dir noch zukommt! Der Tag hat noch reichliche zwei Stunden vor sich.
Waldstein sah dem Astrologen schweigend in die gespannten braunen Augen. Dann schritt er ans Fenster. Richtig! Ein kleiner Kreis am Himmel war frei von Wolken: der Saturn mit seinen Trabanten glänzte wunderbar durch die feuchte Luft herab. –
Waldstein war nicht frei von dem, was man Aberglauben nennt. Er meinte wol bei guter Lebenskraft, er sei diesem Sternenglauben nicht unterworfen, er sei ihm nur mehr oder minder zugethan. Aber die Beschäftigung mit einer sogenannten Wissenschaft, die so lange Beschäftigung mit der Deutung der Gestirne hatte sich doch eingegraben in seine Gedanken – in seine Gedankennerven, wenn man diesen Begriff und Ausdruck zugeben will. Es widerstrebt einem thätigen Geiste, das Wort »Zufall« gelten zu lassen und hinzunehmen. Die ewigen Gesetze, die unabänderliche Regelmäßigkeit in der Schöpfung können ja einem thätigen Menschengeiste nicht verborgen bleiben, und er trachtet ihnen beizukommen. Das Ueberlieferte genügt einem solchen Geiste nicht, denn er weiß, daß die Entwickelung nicht stille steht; die Hinweisung auf kirchlichen Glauben genügt ihm ebenso wenig, denn er hält den Inhalt des Glaubens eben auch nur für einen Theil der Ueberlieferung, wenn auch vielleicht für einen geweihten Theil. Da nimmt allmälig die sogenannte Wissenschaft einen gewissen Raum ein in seiner Seele. Er läßt sich nicht von ihr gebieten, wenn seine physischen und geistigen Kräfte im Gleichgewicht sind, aber er beachtet sie selbst dann und er giebt ihr nach, wenn er schwach ist, wenn die Fähigkeit des Entschlusses in ihm erlahmt. Sie überrascht ihn endlich, wenn sie ihm plötzlich grell entgegentritt in der Gestalt dessen, was die Welt einen »wunderbaren Zufall« nennt.
Einen solchen meinte er jetzt vor sich zu sehen. Er stand an der Pforte einer neuen Laufbahn: das Wort des Schwedenkönigs war eben angekommen, das Wort der sächsischen Macht war erwartet. Er wollte eben Zenno veranlassen, den Vortrag über die augenblickliche Lage seines Horoskops zu beginnen, da nahte sich ein unerwartetes neues Gewicht – Lady Ludmilla erschien im Vorzimmer und rief mit dringendem Accente: ob sie eintreten dürfe? Sie habe eine schwere Nachricht zu überbringen.
Sie war in Czaslau zurückgeblieben vor dem heftigen Regenwetter. Sie hatte sich so spät am Abende noch aufgemacht, als der Wind die Regenwolken gesprengt, um den Herzog noch zu sprechen.
Der Herzog winkte ihr mit der Hand und bedeutete Zenno mit den Augen, in das offenstehende Thurmzimmer zu treten, in welchem der astronomische Apparat der Gräfin Wanda aufgestellt war.
Zenno schritt durch die offene Thür hinein, ohne diese Thür hinter sich zu schließen. Lady Ludmilla schritt hastig auf den Herzog zu und sprach mit gedämpfter Stimme:
»Es betrifft nicht die Politik allein, Durchlaucht, was ich mitzutheilen habe. Obwol auch diese. Denn ich habe den König Gustav Adolph öfter, länger und vertraulicher gesprochen als Euer Raschin, welchem er nur das Nothwendigste sagt. Des Königs Bereitwilligkeit ist viel wärmer, als Raschin Euch sagen kann. Doch, wie gesagt, davon später. Was mich jetzt treibt, ist Folgendes: Vor einer Stunde hat mich ein Bote des Herzogs Bernhard von Weimar, den er mir nachgesendet, in Czaslau eingeholt. Die Botschaft betrifft Eure Person, Durchlaucht, Eure leibliche Person, welche in Gefahr schwebt. Der Herzog Bernhard hat an der bairischen Grenze einen spanischen Mönch aufgefangen, welcher die Geschäfte eines Spions versehen hat zwischen Spinola und der spanischen Partei in Wien. Unter Anderem hat man bei ihm deutliche Anzeichen gefunden, daß erstens in Eurer Umgebung zwei Männer seien, welche allwöchentlich Bericht erstatten an die Jesuiten in Wien über Alles, was Ihr thut, vorhabt und sprecht. Zweitens: daß diese zwei Männer jetzt bei Eurem Aufbruche mit dem Heere in Anspruch genommen würden für einen Arzt, der sich in den nächsten Tagen bei Euch einstellen werde. Sie sollen diesem Arzte angeben, ob es an der Zeit sei, Euch – zu lähmen. So laute das Wort. Es ist auf Eure gichtischen Anfälle angedeutet, und die Andeutung ist insofern unklar, ob mit Gicht und Lähmung nur ein Niederwerfen Eurer Person gemeint sei, oder – eine Tödtung. Die spanische oder jesuitische Macht, welche diese Fäden leitet, verhehlt in keiner Zeile, daß die große, Euch eingeräumte Vollmacht ein wahnsinniger Schritt des Kaisers sei und von Euch zum Aergsten gemißbraucht werden könne. Träte eine Spur dieses Mißbrauchs hervor, dann sollte jener Arzt unverzüglich handeln. Er sei Euch bekannt, ja vertraut, und werde deshalb gar keine Schwierigkeit des Zutritts finden. Genannt wird er – sicherlich mit falschem Namen! – Doctor Carlos –«
– Blandini! riefen gleichzeitig Waldstein und Zenno, welcher die lauter und lauter werdende Rede Ludmillas im Nebenzimmer gehört hatte. Er kam eiligst herbei und überreichte Waldstein ein Blatt Papier und lispelte mit zitternder Stimme: – Lest, Großmächtigster!
Waldstein las. Es waren nur einige Zeilen. Sie machten ihm einen Eindruck, und er sagte zu Ludmilla mit einem innerlich erregten Stimmtone, welcher selten an ihm bemerkt wurde: »Morgen Weiteres, Mylady. Ich danke Euch. – Euer Freund Hans wird erwartet; das freut Euch vielleicht«, setzte er in anderem Tone hinzu. – Hans von Starschädel? – »Allerdings.« – Ich danke für die Nachricht. Sie veranlaßt mich – also morgen Weiteres! – Hastig und wie mit einem Entschlusse beschäftigt, ging Ludmilla.
Der Herzog blieb regungslos stehen und las das Blatt noch einmal. Es war sein jetziges Horoskop, welches Zenno vorzulegen gekommen war, und lautete:
»Deine Feinde von rechts und links stellen sich freundlich. Trau' ihnen nicht: es sind Nebelbilder. Die Feinde links bedrohen Deine Freiheit. Die Feinde rechts bedrohen Dein Leben. Letztere in der Stille der Nacht und durch Leute, denen Du eitel Wohlthaten erwiesen hast.«
»Hast Du die Berechnungen dieses Facits mitgebracht?« – Dort auf dem Tische liegen sie. – »Leg' sie mir vor und zwar vom Anfange bis zum Ende!« – Das ist eine Arbeit von zwei Stunden. – »Arbeiten wir zwei Stunden. Klarheit ist einer größeren Anstrengung werth. – Rostok! – Schließen! Kein Mensch wird vorgelassen.«
Rostok schloß die Thür. Nach einer Viertelstunde erschien Pater Dunstan im Vorzimmer. Er wurde abgewiesen.
*
Ein warmer, bedeckter Tag folgte auf die Gewitternacht. Das Leben im Schlosse erwachte spät; aber die Kunde verbreitete sich bald: es sei etwas Absonderliches vorgegangen im Cabinet des Herzogs. Dergleichen dringt wie atmosphärische Luft durch alle Ritze. Jedermann fragte, und wer irgend ein Anrecht hatte, eilte ins Vorzimmer zu Rostok. Dieser ließ sogar ins Vorzimmer Niemand eintreten: er wies schon außen auf der Gallerie Jedermann zurück, selbst die Gräfin Wanda. Der Herr schlafe noch – war seine Rede – er sei erst gegen Morgen zur Ruhe gekommen.
Er selbst, Rostok nämlich, war traurig. Es ahnte ihm Schlimmes für seinen Leo, und er trat zum öfteren an die Brüstung der Gallerie, um in den Hof hinab zu schauen. In jedem Hufschlage, der von unten herauf schallte, fürchtete er den Eilenden zu hören aus Prag. Er wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn der Herzog »gestreckten Galopp« befahl. Das kostete Pferde, brachte aber Nachrichten wie mit der Windsbraut. Da – da klang ein Hufschlag herauf! – Nein! Das kam nicht, das ging. Lady Ludmilla ritt mit ihrer Schwester zum Thore hinaus.
Ludmilla entführte die arme Marie, damit sie Hans nicht antreffen möchte auf dem Schlosse.
Jetzt aber, jetzt –! Freilich! Das war der bewußte Galopp, unter welchem die Funken stoben, es war der Eilende, welcher aus Prag zurückkehrte und die Beute aus Herrn Tocke's Zimmer brachte.
Die Beute erschien sehr klein. Sie bestand in einem einzigen Briefe. Man hatte in Tocke's Zimmer nur harmlose Papiere gefunden, und der Haushofmeister war schon im Begriff gewesen, den Reitenden ohne Ausbeute abzufertigen, da hatte der Portier gemeldet, es liege seit gestern ein Brief für Herrn Tocke im Portierzimmer. Er sei abgegeben worden, als Herr Tocke eben aufs Pferd gestiegen, mit dem Bedeuten, ihn sogleich abzugeben. Das habe er, der Portier, auch thun wollen, aber Herr Tocke habe ein so unruhiges Pferd gehabt, oder sei wenigstens so ganz und gar mit demselben beschäftigt gewesen, daß er vom Zurufen und Zureichen des Portiers gar keine Notiz genommen.
Diesen Brief trug Rostok zitternd zum Herzoge hinein. Wie gern hätte er ihn unterschlagen! Aber der Dienst war ihm doch heiliger als irgend eine Neigung.
Der Herzog saß aufrecht in seinem Bett und hatte eine Landkarte vor sich. Rostok erschrak. Dies war sonst gar nicht die Gewohnheit seines Herrn, welcher zeitig aufzustehen und sich sogleich ankleiden zu lassen pflegte. Rostok erkannte an dem düster brennenden Auge des Herzogs, daß er gar nicht geschlafen, und an dem rasch ausgestreckten Arme, daß er auf nichts gewartet als auf die Beute aus Prag.
Rostok reichte ihm den Brief und erzählte, daß sonst nichts des Mitnehmens Werthes vorgefunden worden sei.
Der Herzog zeigte eine leichte Bewegung beim Anblick der Adresse. Er schien die Handschrift zu erkennen. Er öffnete. – Richtig! er ist's! sprach er.
Es war die Schrift Pater Norberts, und die Worte lauteten folgendermaßen:
»Eure Mittheilungen über den Mann fließen sehr sparsam; zu sparsam. Der junge Leo weiß mehr und meldet Dinge, die eigenthümlicher sind. Haltet Euch näher zu ihm, damit Ihr mehr erfahrt. Ich werde den jungen Mann auffordern, Euch ins Heer- und Hoflager mitzunehmen. Denn jetzt sind die Stunden gezählt; das Aergste kann jeden Augenblick vor sich gehen. Ihr müßt zur Hand sein und einen Tag um den andern Nachricht senden. Medardo ist schon dort. Er wird Euch die Couriere stellen. Auch Doctor Blandini ist auf dem Wege. Meldet Euch bei ihm und gebt Euch zu erkennen. Jede Wahrnehmung, auch die kleinste, habt Ihr ihm stets sogleich anzuzeigen.« Das Schreiben hatte keine Unterschrift. Waldstein faltete es ruhig zusammen und reichte es Rostok mit den Worten: »In den kleinen Kasten!« Dann saß er unbeweglich da. Sein blaßgelber, magerer Kopf, die dichtbehaarte Brust, welche aus dem offenen Hemdschlitz herausstarrte, und die auf der Bettdecke ausgestreckt liegende, lange, knochige Hand erschienen so regungslos, als ob sie einem Todten angehörten. Einem Todten! Ihn todt zu machen war der Inhalt dessen, was er da vor sich hatte, der Inhalt wenigstens für ihn.
Dem armen Leo geschah dabei bitteres Unrecht. Er wußte jetzt noch nichts von dem Auftrage, Herrn Tocke abzuholen und mitzunehmen. Er hatte es ganz zufällig gethan. Schweigend stand endlich der Herzog auf und ließ sich ankleiden. Als dies geschehen war, sagte er ruhigen Tones: Tocke rufen! Und erst wenn er hier ist, den Leo!
Rostok fühlte keinen Boden mehr unter sich: die Gefahr für Leo schien ihm unzweifelhaft, obwol er noch nichts Näheres wußte und vom Inhalte des Schreibens keine Kenntniß erhalten hatte. – Er schickte nach Tocke.
Man fand ihn draußen am Eichenhain, von wo er versuchte das Schloß zu zeichnen. Nicht ohne Schwierigkeit, denn als ausübender Künstler war er von geringer Uebung; eine schöne Handschrift nur war sein unbestrittener Stolz. Gut aufgelegt war er auch nicht, obwol ihm Leo eine bequeme Lagerstatt in seinem Zimmer angewiesen hatte; die Scene mit dem Herzoge unter Donner und Blitz war ihm schwer auf die Nerven gefallen. Seine Nerven hegten nun einmal eine außerordentliche Scheu vor dem Friedländer. Diese Scheu wurde auf das Unangenehmste gesteigert, als er jetzt gerufen wurde. Der Herzog konnte doch nicht erwarten, daß jetzt schon die Skizze vollendet sei – was um Gottes willen konnte es also bedeuten, daß er vorgeladen wurde?!
Bei Rostok fand er auch keine Aufmunterung. Im Gegentheile. Dieser sah in dem blauen Männchen den Verführer Leos und schob ihn unsanft in das Zimmer des Herzogs.
Tocke zitterte wie Espenlaub und hatte gar nicht die Kraft, von der Thür ab weiter ins Zimmer hinein zu schreiten. – Der Herzog saß in der Nähe des Fensters und hatte wieder die Landkarte vor sich. Er winkte mit der Hand, und der Wink bedeutete unverkennbar, daß Tocke näher kommen sollte. Tocke versuchte das zu bewerkstelligen. Es ging sehr schlecht.
»Bist Du lahm?« fragte der Herzog. Tocke stotterte etwas Unverständliches. »Rasch! Hierher!«
Wie unter dem Blicke der Klapperschlange stand Tocke endlich vor ihm, und vor seinem inneren Auge – denn außen sah er jetzt nicht einen Strich – lag im Sonnenscheine der Wäschplatz an der Neisse in Görlitz, der Spielplatz seiner Jugend. Hättest du ihn doch nie verlassen aus thörichtem Ehrgeize! schlotterte es in ihm eintönig auf und nieder.
»Hast Du die Zeichnung angefangen?« Mechanisch zog Tocke das Blatt hervor, welches er draußen eilig ins Wams geschoben. »Das ist so mittelmäßig, daß man glauben sollte – wo hast Du denn zeichnen gelernt?« – In Görlitz – »Und das ist Dein Lebensberuf?« – Theorie mehr – Durchlaucht – Theorie! Und – Geschmack – Geschmack! – »Wer hat Dich denn an mich empfohlen?« – Der verstorbene – Graf Harrach – bald nachdem er Graf geworden – »In guter Laune meinst Du. – Woher kannte er Dich?« – Von – – vom Bilderkauf. – »Graf Harrach war lange todt, als Du zu mir kamst. Du irrst Dich. Warum bist Du denn so erschrocken? Du mußt Dich an mich gewöhnen. Ich erinnere mich, daß Du eine schöne sächsische Handschrift schreibst. Die brauch' ich im Felde, da es viel an Potentaten zu schreiben giebt. Du magst also mitziehen in meiner Kanzlei. Melde Dich bei Wessely. Gott befohlen!«
Tief aufathmend schob sich Tocke unter Bücklingen hinaus. Das war ja ein Resultat, welches er nicht zu hoffen gewagt. Der Kurzsichtige! Waldstein hatte ihm in die Eingeweide gesehen und hatte nur die Probe vorbereitet, welche – den Strick rechtfertigen sollte.
Wessely ward gerufen und dahin instruirt, daß dieser Herr Tocke von nun an nicht einen Schritt thun könnte, der nicht beobachtet würde, nicht die kleinste Handlung, welche nicht aufgehalten würde.
Unterdessen war Leo im Vorzimmer angekommen und hatte mit Rostok zu scherzen versucht. Seine gute Stimmung war nicht zu zerstören gewesen durch die gestrige Herbigkeit des Herzogs. Die junge Hoffnung auf Liebesglück durchleuchtete ihn ganz und ließ ihm Alles rosig erscheinen. Es störte ihn nicht, daß Freund Rostok gedrückt war und einen Versuch um den andern machte, ihn zu warnen, ohne doch sein Dienergewissen bei dieser Warnung zu verletzen, es störte ihn nicht, als der Herzog bei Entlassung Wessely's scharf herausrief: Leo sollte eintreten.
Der Herzog selbst zögerte diesmal mit dem Verhöre. Sicher machen wollte er auch ihn wie den Tocke, um die Gelegenheit nicht abzuschneiden für weitere Verrätherei, die gefaßt werden könnte in flagranti. Aber hier war dem Herzoge doch ganz anders zu Muthe. Diesen jungen Burschen hatte er innerlich sehr gern. Bei all' seiner Gleichgiltigkeit für andere Menschen war es ihm geradezu schmerzlich, dies junge, fröhliche Blut in Zukunft entbehren und für Verrath strafen zu müssen. Eine ungewöhnliche Regung in ihm wünschte, daß dem Jungen die Ausrede erleichtert, daß die Uebelthat in Unbedachtsamkeit verwandelt werden könnte.
»Bist Du dem Tocke begegnet?« fragte er also scheinbar gleichgiltig. – Ja, Durchlaucht! Er war sehr glücklich, dem Hof- und Heerlager folgen zu dürfen. – »Du magst ihn; – Du bist ihm befreundet?« – O ja; er hat was Drolliges und reitet so schlecht, daß man lachen kann. – »Woher kennst Du ihn?« – Der Marchese Carretto und Pater Norbert haben mich damals an ihn gewiesen, als ich Zutritt suchte bei Eurer Durchlaucht. – »Wie?! Carretto und – Norbert? – Diese Beiden kanntest Du schon?« – Ja, Durchlaucht. – Zum Unglück für Leo fragte der Herzog nicht weiter: wann er die Beiden kennen gelernt, zerstreute also den Gedanken nicht, daß der junge Mann von Hause aus als ein Instrument seiner Widersacher eingeführt worden sei. »Hast Du Dir die Gunst Deiner beiden Patrone, des Marchese und des Paters, in meinem Dienste nicht verscherzt?« – Ich glaube nicht. Sie sind mir immer freundlich verblieben. – »Woher weißt Du das?« – Vom Herrn Marchese mündlich, seit er wieder in der Nähe Eurer Durchlaucht erschienen ist, und vom Herrn Pater – »Schriftlich?« – Ja. Damals in Podiebrad hatte ich ihn zwar verletzt, als ich die Sachsen frei machte. Aber er hat eingesehen, daß ich ja doch dem Befehle Eurer Durchlaucht gemäß handeln mußte. – »Und die Sendung zu Arnimb betreffend?« – Von der hab' ich ihm nichts gesagt. Das war ja ein geheimer Auftrag. – »Du machst also einen Unterschied in meinen Aufträgen?« – Allerdings, Durchlaucht! – »Je nach Deinem Gutdünken –?« – Je nach der Art des Auftrags. Geheime Politik verlangt eben Geheimniß.
Waldstein betrachtete den naiven Gesellen mit Erstaunen. Das Erstaunen war sogar größer als der Aerger, solch einen schwatzhaften Patron in seine Nähe gezogen zu haben. Aber der Aerger stieg und das Mißtrauen gesellte sich dazu, das Mißtrauen, ob nicht auch solche naive Offenherzigkeit gemacht und berechnet sein könnte. Leos Stellung war von diesem Augenblicke an total verändert, ja sie konnte furchtbar bedroht werden, wenn dem Herzoge das kleinste Zeichen entgegentrat, daß die unglaubliche Albernheit – denn als solche erschien dem Herzoge die Handlungsweise Leos – nicht blos Albernheit wäre.
Die Meldung Rostok's war nur zu sehr geeignet, die schlimme Stimmung Waldstein's schlimm zu steigern. Rostok meldete: Herr Doctor Blandini wartet im Vorzimmer!
»Blandini?!« rief der Herzog. – »Also wirklich? Und so schnell!« sprach er halblaut vor sich hin. Die Nachricht des spanischen Mönches bestätigte sich wie Blitz und Donner.
Der Friedländer war frei von gewöhnlicher Furcht. Aber er war nicht unvorsichtig. Er schwieg eine Zeit lang auf die Meldung Rostok's. Dann trug er Leo eine Arbeit auf, einen Bericht an Questenberg über Stand und Bewegung des Heeres. In ruhiger Rede gab er den Inhalt an. Bis Mittag sollte Leo ihn vorlegen und den Schluß offen lassen.
Leo ging. Der Herzog schritt durch das Gemach zum Fenster und sah in den sonnenlosen Sommertag hinaus.
»Durchlaucht können das Fenster öffnen, es ist warm und windstill draußen!« sagte Rostok, der an der Thür geblieben war.
Der Herzog öffnete nicht, sondern wendete sich nach dem Zimmer und sprach: »Komm' her!« Mit ruhiger Stimme gab er nun diesem seinem Kammerdiener Verhaltungsbefehle an, vor welchen Rostok wie ein Handtuch erbleichte und dergestalt erschrak, daß er nach einer Stuhllehne griff, um sich aufrecht zu erhalten. – Sie betrafen den Koch, den Mundschenk und zwei Diener; sie betrafen Tocke, Leo und den Doctor Blandini. Es war ein Feldzugsplan im Kleinen. Das Wichtigste war, daß Doctor Blandini ganz in der Nähe des Herzogs wohnen und stets allein speisen sollte, stets von den Gerichten, die für den Herzog bestimmt wären, und stets eine Stunde vor der Tafelzeit des Herzogs. Während er jetzt beim Herzoge wäre, sollten Scherffenberg und Sparr ins Vorzimmer gerufen werden. – Vorwärts! und genau! schloß der Herzog mit kräftigem Tone, der für den wankenden Rostok nöthig war.
Doctor Blandini trat ein. Er hatte sich nur wenig verändert seit dem Gespräche mit Pater Athanasius im Wiener Jesuitenhause. Etwas feister war er geworden, und das feine schwarze Kleid, welches er wie damals trug, zeigte nicht mehr eine so schmale Taille. Auch etwas gelblicher in der klaren Gesichtsfarbe. Sonst machte er noch wie damals den Eindruck eines sauberen Mannes, welcher sich täglich glatt rasirt, welcher sein dünnes Haar geschickt stutzen läßt, und in zurückhaltendem Betragen halb an einen Cleriker, halb an einen Hofmann erinnerte. Behagen, Ruhe, stille Sicherheit, immer geweckte Aufmerksamkeit und bewußte Höflichkeit traten deutlich entgegen. Und über alle dem ein sinniges, nachdenkliches Wesen, welches Vertrauen zu dem Arzte einflößte, weil man diesem Arzte abzusehen meinte, daß er Natur und Leben unablässig beobachtete. Das große, schwarzbraune Auge war wunderbar ruhig, als ob es nur zum Aufnehmen vorhanden wäre, zum Ausgeben gar nicht.
Waldstein trat ihm freundlich entgegen und fragte höflicher, als er sonst zu thun pflegte: was den berühmten Doctor nach Böhmen führe?
»Ich bin auf dem Wege nach Carlsbad« – antwortete er – »ich will das dortige Mineralwasser studiren und an mir selbst probiren. Euer Durchlaucht haben ja, so viel ich weiß, vor einigen Jahren dort selbst eine Cur versucht, und Eure Durchlaucht sind ein feiner Beobachter der Natur. Ich wäre sehr dankbar für einige Bemerkungen. Man ist zu Wien im Streit über die Wirkung des Carlsbader Wassers und nur darüber einig, daß es Leuten wie uns heilsam sei, deren Leber und Galle eine kräftige Belebung brauchen. Fürst Eggenberg namentlich möchte wissen, ob ich ihn hinschicken könnte.«
Waldstein behandelte den Doctor mit einer Artigkeit, welche man sonst kaum an ihm kannte, welche aber für den Doctor selbst nichts Auffallendes hatte. Blandini wußte, daß Waldstein eine große Achtung für wissenschaftliche Männer nicht nur zur Schau trug, sondern wirklich zu hegen schien; er wußte, daß Waldstein den kargen Beamtengehalt für einen Gelehrten zu verfünffachen pflegte und einen Mann des Geistes niemals mit dem alltäglichen Maße bemessen ließ; er wußte endlich, daß Waldstein wirkliche Wißbegier fühlte für naturwissenschaftliche Kenntniß, und deshalb erschien ihm die Artigkeit des Herzogs ganz natürlich. Er war stets ausgezeichnet worden durch den Friedländer, ja oft mit reichem Geschenk von ihm überrascht worden, wenn er ein längeres Gespräch mit ihm geführt. Es überraschte ihn also auch jetzt nicht im Mindesten, als der Herzog sein Bedauern äußerte, daß er nur Carlsbads wegen den berühmten Doctor sehen, und wahrscheinlich nur kurze Zeit sehen sollte.
»Man vermuthet« – erwiderte Blandini – »daß der Heereszug Eurer Durchlaucht gegen Westen gerichtet sein wird. Das Ziel meiner Reise geht in ähnlicher Richtung. Wenn Durchlaucht es gestatten, kann ich demnach einige Tage in Eurer Nähe verbleiben.«
Dies Anerbieten bestätigte Waldstein's Verdacht vollständig. Er zeigte dies mit keiner Miene und bot dem Doctor mit freundlicher Miene seine Gastfreundschaft an. Er that dies leicht und nebenher und ging sogleich auf die Frage über: was der Herr Doctor für neue Erfahrungen gemacht habe in seiner Wissenschaft?
Blandini zuckte mit den Achseln und beklagte sich über seine Landsleute, die Italiener, welche sich vorzugsweise mit Absonderlichkeiten abgäben. –
»Damit meint Ihr wol die Opiate, die Gifte und dergleichen gewaltsame Mittel?« sagte mit großer Harmlosigkeit der Herzog, indem er sich setzte und den Doctor durch ein Zeichen aufforderte, sich ebenfalls niederzulassen. – Das auch! – erwiderte Blandini – obwol nicht allein. Ich meine die specifischen Mittel überhaupt, nach denen man jagt, Mittel, die unter allen Umständen helfen sollen. Ich meine, man muß jeden Einzelnen einzeln curiren. Man muß die Persönlichkeit genau kennen und nach ihr die medicinische Behandlung einrichten. Gerade so wie man im Umgange den moralischen Menschen, den eigenthümlichen Charakter kennen muß, um zu gefallen, um auf den einzelnen Menschen günstig wirken zu können. So ist die Gicht Hauptkrankheit unserer Zeit, und man verbraucht so und so viel specifische Mittel gegen dieselbe. Das halt' ich für unrichtig. Ich meine: sie hat bei dem Einen diesen Punkt, bei dem Andern jenen Punkt zur Ursache, will sagen zur entscheidenden Ursache. Gegen diesen eigenen Punkt muß man beim Einzelnen wirken, um zu heilen. Eure Durchlaucht zum Beispiele hab' ich im Verdachte der Galle. – »Das heißt?« – Die Bereitung und Verwendung der Galle, mein' ich, ist bei Euch die entscheidende Ursache gichtischer Umstände. Ich will einige Tage zuschauen, ob sich mir diese Meinung bestätigt. Bestätigt sie sich, dann würde ich Durchlaucht ein unscheinbares Mittel vorschlagen. Es ist in Italien sehr gebräuchlich und doch benützt es dort kein Arzt gegen die Gicht. Man greift nur darnach bei deutlichen Gallenerscheinungen. Es ist eine orientalische Pflaume, Tamarinde genannt, die sonst gar keinen medicinischen Charakter hat, also unter allen Umständen unschädlich ist. Sie hat aber ein Liebesverhältniß mit der Galle. Das heißt: sie wirkt unter allen Umständen günstig auf die Entwicklung der Galle. Es steht gar nichts im Wege, daß Ihr das Mittel täglich nehmt, auch wenn Ihr im Felde liegt. Es ist keine eigentliche Medicin, es verlangt keine sonstige Vorsicht oder Diät. Ich bereite es Euch als ein Mus, eine Latwerge, ganz wie gewöhnliches Pflaumenmus, und Ihr nehmt früh Morgens und spät Abends, wenn der Magen frei ist, ein kleines Löffelchen von diesem steifen Brei.
Waldstein nickte beifällig. Er fand, daß der kluge Mann ungemein schnell und geschickt zu der Form einer unscheinbaren Vergiftung gelangt sei.
»Eure Gesichtsfarbe« – sagte er unter einem curiosen Lächeln – »hat übrigens auch, seit ich Euch nicht gesehen, etwas gallicht angezogen.« – Sehr wahr. Und das war in diesem Frühjahre sehr arg. Ich hab's mit Tamarinde bekämpft, und sehr erfolgreich bekämpft. – »Ah, Ihr schluckt das Mus ebenfalls? Das ist ja ganz artig. Ihr kämt dann des Morgens und des Abends zu mir, und wir schluckten Beide aus demselben Topfe!«
Das sagte, indem er aufstand, Waldstein lachend. Das Lachen war ihm aber so ungewöhnlich, daß es vielleicht deshalb abscheulich klang.
Es schien ihm außer Zweifel zu stehen, daß man ihn vergiften wolle.
Doctor Blandini kannte den Herzog seit zwölf Jahren – dies Lachen war ihm neu an dem sonst so ernsthaften Manne, war ihm neu und unheimlich. Er meinte, bei der Verabschiedung einen grimmigen Ausdruck im Auge des Friedländers entdeckt zu haben.
Nachdenklich schritt er durchs Vorzimmer an Sparr und Scherffenberg vorüber, welche hinter ihm eintraten beim Herzoge, um in den Plan des Hausfeldzuges gegen die »Verräther und Giftmischer« eingeweiht zu werden. Nachdenklich erfuhr er von Rostok, wie genau bereits vorgesorgt wäre für ihn, seine Wohnung betreffend und seine Mahlzeiten. Ist das lauter Höflichkeit? dachte er – oder ist's Mißtrauen? Das Lachen des Friedländers klang ihm in den Ohren nach und unterstützte den Gedanken an Mißtrauen.
Auf der Gallerie außen klirrte es und schwirrte es von Kriegsleuten, die sich um Holck, Ilow und Erdmann Tertschka gruppirten. Auch Pater Dunstan lehnte in einem Winkel. Der alte Mann sah tief erschöpft aus. Als aber der wilde Holck einmal vor ihm stehen blieb und eine freche Spottfrage an ihn richtete, da blitzte die alte Kraft in ihm empor, und es erfolgte an den protestantischen Renegaten eine Antwort, welche diesen in Wuth versetzte. Ein neuer Ankömmling trat dazwischen und führte den alten Pater ins Vorzimmer zu Rostok.
Dieser neue Ankömmling war Hans von Starschädel. Rostok bat ihn, sich niederzulassen. Er warte nur das Herauskommen der Herren Sparr und Scherffenberg ab, um ihn einzuführen. Der Herzog erwarte ihn seit gestern.
Das gab Gelegenheit zu kurzem Gespräch zwischen den alten Freunden. Umsonst bat Hans von Neuem, Dunstan möge dies gefahrvolle, aufreibende Wanderleben endigen und nach Gnadenfrei heimkehren, wo jetzt wieder Stille und Ruhe eingekehrt sei. Umsonst setzte er ihm auseinander, daß der Friedländer ganz und gar nicht der Mann für eine religiöse Reform sei. Die politische Aufgabe erfülle ihn allein, und in kirchlichen Dingen sei er für feste Formen, weil er keinen Sinn habe für die Schmerzen der gottbedürftigen Menschen. –
»Wer weiß!« – erwiderte Dunstan – »ich wenigstens habe nichts Besseres zu thun, als den Mächtigsten seiner Zeit anzutreten und anzuschreien. Und wenn nur ein Wort als Samenkorn einfällt, so hab' ich meinem Berufe ein Genüge gethan. Im Innern eines solchen Herrschers ist ein einziger Halm, der aufwächst und in die Aehre treibt, von unabsehbarem Segen.
Endlich fragte Hans nach Marien.
»Sie ist fort.« – Fort?! – »Die schlimme Schwester hat sie heut' Morgen entführt. Vielleicht hat sie gewußt, daß man Dich erwarte. Sie ist Euer böser Genius. Das arme Kind weiß nicht, was es denken, was es hoffen, was es wünschen soll. Du hast sie kalt hinausgestoßen in die Fremde –« – Ich?! – »Du. Sie sagt es nicht, sie verhüllt ihr Herz –« – Hat sie wirklich eins? – »Thor! Das eines Engels. Du aber bist von Empfindlichkeiten und Aeußerlichkeiten regiert, Du hast Dein Glück verkannt und verlierst es wie ein eitler Knabe. Wenn Du gestern Abend kamst – ich war bei ihr und labte mich an ihrer Milde, ja an ihren Thränen – wenn Du nur heut' mit der Sonne kamst, da war es noch Zeit. Die Schwester war noch nicht da. Jetzt ist's zu spät. Jenes Weib ist eifersüchtig, und wird sie vor Dir verbergen, wie der Geizhals seinen Schatz verbirgt. Vielleicht – reite ihr sogleich nach! Jetzt ist die Spur noch frisch, jetzt kannst Du ihrer vielleicht noch habhaft werden, reite sogleich!« – Unmöglich. Der Herzog harrt meiner Botschaft. Sie ist von Wichtigkeit für die deutsche Welt. Mein Wort, meine Erklärung, meine Ueberredung gehören dazu – aber Conrad ist mit mir, er versteht sich auf solch eine Aufgabe, ihn will ich auf der Stelle senden. –
Da traten Sparr und Scherffenberg aus dem Zimmer des Herzogs, und Hans ward gerufen. Er flüsterte noch Dunstan eilig zu: dieser möge Conrad unten in den Ställen aufsuchen und beauftragen – der Herzog stand schon an der Thürschwelle und winkte ihm.
»Ihr laßt warten, Freund« – begann der Herzog – »das deutet auf nichts Gutes.« – Das ist nicht Arnimb's und nicht meine Schuld, Durchlaucht. Der Kurfürst hat uns verzögert. Es kommt, wie ich in Prag vorausgesagt. Mit dem selbstständigen Herzoge von Friedland hätte er wahrscheinlich rasch ein Bündniß geschlossen, mit dem Feldherrn des Kaisers nimmt er Anstand, ein Bündniß gegen den Kaiser zu schließen. Das Gewissen des Reichsfürsten steht uns jetzt im Wege. – »Macht es kurz! Was bringt Ihr? Das Verhängniß entscheidet sich in dieser Stunde. Meine Geduld ist am Ende; binnen einer Stunde geb' ich die Parole zu entscheidender Kriegshandlung. Was bringt Ihr?« – Ich bringe Bedingungen. Der Kurfürst hält sich für verpflichtet, nicht ohne seinen Verbündeten, nicht ohne den Schwedenkönig mit Euch, Durchlaucht, zu unterhandeln und abzuschließen. Habt Ihr ein Document, daß Ihr mit diesem einig seid, so möchtet Ihr mir dasselbe vorzeigen, und auf Grund desselben bin ich beauftragt – »Was geht mich der Schwedenkönig an, dieser erobernde Fremdling im deutschen Reiche?!« – Er hat den Kurfürsten in Kenntniß gesetzt, daß Ihr ihm Anerbieten gemacht – »Er hat gelogen. Schwert und Feuer ist mein Anerbieten für ihn. Ihr bringt also nichts. Denn diese Combination ist nichts. Basta! So sagt Eurem Kurfürsten, daß ich ihm binnen acht Tagen beweisen will, am eigenen Leibe beweisen will, was sechzigtausend frische Truppen unter dem Friedländer für Sachsen bedeuten. Sie werden einrücken im Laufe dieser Woche ins Kurfürstenthum von Osten, Süden und Westen, und der kurfürstlichen Herrlichkeit ein Ende machen, ehe die Gerste reif wird zum Merseburger Bier für den dicken Herrn Kurfürsten. Gott befohlen!« – Gott erleuchte Euch, Durchlaucht, zu der Einsicht, daß dies der unglücklichste Weg ist für Eure Zwecke. – »Das wollen wir abwarten.« – Dann bleibt Ihr zeitlebens des Kaisers Diener, abhängig bis zu einer zweiten Absetzung. Der mögliche Bund mit den evangelischen Reichsfürsten ist für immer zerrissen. Wir sind genöthigt, auf Tod und Leben mit den Schweden verbündet zu bleiben, und die erste Schlacht, die Ihr verliert, ist Euer Untergang in Wien. Ihr habt dort den Bogen überspannt, die Sehne reißt, sobald der kleinste Unfall über Euch kommt. Solch ein Unfall ist aber wahrscheinlicher als Ihr denkt. Ihr kennt die evangelischen Heere nicht seit ihrer Vereinigung mit dem Schwedenkönige. Ihr seid Jahre lang nicht auf dem Schlachtfelde gewesen gegen uns und habt Breitenfeld nicht erlebt. Tilly verstand den Krieg, er hat aber in diesen Euren Feierjahren keinen Sieg mehr erfochten und ist am Lech in Niederlage und Tod geworfen worden. Sein Grab in Ingolstadt kann Euch erzählen, daß die evangelischen Heere nicht mehr die sind von Lutter am Barenberge und von der Dessauer Brücke, und daß Ihr Alles aufs Spiel setzt, wenn Ihr mit der Vernichtung Sachsens beginnt. Das bedenkt! Laßt Ihr uns aber Zeit, den Kurfürsten für Euch zu gewinnen, dann bleibt Euch und uns Patrioten eine Hoffnung übrig. – »Gott befohlen!«
Hans ging. – Der Herzog ließ die Generale hereinrufen, die auf der Gallerie harrten.
Ehe sie eintreten konnten, ging der rasche Proceß in ihm vor, daß er sein großes Vorhaben plötzlich änderte. Bei der langsamen Reife, welche er seinen Entschlüssen angedeihen ließ, hätte man meinen sollen: solch eine plötzliche Wandlung wäre ihm gar nicht eigen. Das wäre aber ein Irrthum gewesen. Er war doch zuerst und zuletzt Kriegsmann. Ein solcher erhält sich nach allen Vorbereitungen Kopf und Hand offen für das unmittelbare Ereigniß, welches der Moment gebären kann. Waldstein war nur äußerlich rechthaberisch, innerlich war er's gar nicht, sondern hörte und benützte jede neue Belehrung. Starschädel's Hinweis auf die neue Kriegsweise der Protestanten war tief in sein Ohr gefallen, denn derselbe Gedanke hatte den vorsichtigen Friedländer schon lange beschäftigt. So lautete denn die Parole, welche er jetzt den Generalen austheilte, ganz anders, als er soeben Starschädel angekündigt hatte. Sie lautete: das ganze Heer rückt gegen Nordwesten. Der Kreis von Eger, die Grenze der Oberpfalz ist das nächste Ziel.
Die Oberpfalz war ein Land des baierischen Kurfürsten. Ging er also doch diesem seinen alten Widersacher zu Hilfe gegen den Schwedenkönig? – Allerdings stieß der Egerer Kreis auch an das sächsische Voigtland, und eine Schwenkung nach Norden konnte seine Drohung gegen Sachsen immer noch wahr machen. Aber wahrscheinlich war das nicht mehr. Wahrscheinlich war, daß der Zug dem Schwedenkönige galt, der in Baiern hauste und dessen Verbindung mit Sachsen auf diesem Wege glatt durchschnitten wurde. Also der Zweikampf zwischen den beiden mächtigsten Kriegsfürsten begann, denn Gustav Adolph mußte nun herab von der südlichen Hochebene, und es war vorauszusehen, daß sich die Gegner in Franken treffen würden.
Diesen Eindruck hatten die Generale, welche sogleich entlassen wurden, um ihre Truppen in Bewegung zu setzen. Für die Wälschen war der Eindruck ein angenehmer; es war der Kampf gegen den Erzfeind des Kaisers und des katholischen Glaubens. Für die Waldstein'schen war es ein unangenehmer: Hilfe für den verhaßten Baier.
Scherffenberg und Sparr waren die Letzten, welche das Zimmer verließen. Sie zögerten, weil ihre Instructionen in Betreff Tocke's, Leo's und Blandini's nun einer Ergänzung bedurften. Sie waren für den Fall gegeben worden, daß der Herzog länger auf dem Schlosse verbliebe.
Der Herzog verstand dies Zögern und winkte ihnen. – »Es bleibt bei meinen Bestimmungen auch auf dem Marsche« – sagte er. »Die Patrone bleiben in meiner Nähe. Der Leo und Tocke sind Dir übergeben, Sparr, und Du verfährst kriegsscharf gegen sie wie Spione, sobald die geringste Bestätigung eintrifft. Der Blandini Dir, Scherffenberg, und Du meldest mir's, wenn die That sich nähert.«
»Durchlaucht!« – rief Scherffenberg – »das ist zu gefährlich! Er ist der feinste Schlaukopf und überlistet uns, wenn ihm so viel Spielraum bleibt. Was nützt es uns, ihn hinterher zu fassen, nachdem das Unglück geschehen ist?!«
»Es bleibt bei meiner Anordnung!« schloß der Herzog.