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Es war ein klarer Mittag; die Sonne schien; die Luft wehte in milder Frische von hohen Bergen, welche fernher einen See umsäumten. Die Maronenbäume, welche ein Haus am See ringsum einschlossen, zeigten die gelbe, den Herbst ankündigende Färbung, aber der Wärmegrad in der Atmosphäre schien der späteren Jahreszeit zu widersprechen. Er bezeugte das glückliche Klima der Landschaft in einem Winkel Oberkrains, welcher damals noch ganz vereinsamt, nur von vereinzelten Slovenenfamilien bewohnt, und dürftig angebaut war. Erst inmitten des neunzehnten Jahrhunderts hat die Welt, ja hat selbst Wien erst erfahren, daß da oben am See von Veldes eine wunderbar schöne Luft wehe über einen malerischen Abhang der südlichen Alpen, Karawanken genannt.
Vor jenem Hause am See, welches vornehm abstach von den zerstreuten, ärmlichen Hütten der slovenischen Bauern, saßen zwei Frauen unter den Maronenbäumen, eine Greisin und eine von mittleren Jahren. Sie arbeiteten an einem Fischernetze, und die Jüngere stand zuweilen auf und ging rasch auf eine kleine Anhöhe. Die Hand über die Augen haltend, um dem Sonnenstrahle zu begegnen, blickte sie nach Osten hinüber, nach der Richtung, in welcher jenseits des »Wurzen«-Berges Klagenfurt liegt im Kärntnerlande. Sie erwartete Jemand. »Er ist noch nicht zu sehen!« sagte sie, ans Netz zurückkehrend und fing wieder an zu stricken.
Sie war noch eine schöne Frau in ihrer ländlichen Kleidung. Die Greisin war ihre Mutter, und auch diese war noch stattlich und frisch. Gesprochen wurde nichts weiter zwischen ihnen; beide schienen stille, ruhige Naturen zu sein.
Sie waren vor einigen zwanzig Jahren hier eingewandert, zwei einzelne Frauen mit einer rüstigen Magd, und hatten das Haus gekauft sammt einer ziemlichen Fläche von Aeckern und Wiesen. Von einem verarmten Edelmanne, der in den Krieg gezogen war. Sie selbst waren einem Kriege in Ungarn aus dem Wege gegangen und hatten ein stilles Plätzchen gesucht. Nicht aus Menschenscheu oder besonderer Furchtsamkeit, nein! sie waren gesunde, muthige Frauen; aber die Mutter hatte gesagt: Es wird doch hier zu arg in dem Ungarlande mit den immerwährenden Kriegshorden, oben in den Bergen Innerösterreichs wird's friedlicher sein. Dein Vater, welcher mich aus der Steiermark geholt hat, ist leider todt; es hält uns hier nichts mehr. Wandern wir! Unser kleines Vermögen reicht hin, uns anzukaufen. So kriegt Dein kleiner Leo eine gesicherte Wohnstatt und Heimat.
Das hatten sie gethan, und gemächlich suchend nach einem hübschen, verkäuflichen Grundstücke waren sie bis da heraufgekommen unter die karnischen Alpen. Jenen kleinen Leo, welcher indessen ein großer Jüngling geworden, erwarteten sie heute aus Klagenfurt, wo seit Jahren in der Jesuitenschule seine Erziehung vollendet werden sollte.
Er war der Augapfel, war das Lebenskleinod der beiden Frauen, seiner Großmutter und seiner Mutter. Es fiel ihnen wol recht schwer, daß er sich nicht als stiller Landmann hier bei ihnen ansiedeln, sondern daß er in die Welt hinaus wollte; aber sie widersprachen nicht. Sie waren gewohnt, ihm jede Freiheit zu gestatten, ja ihn als ihren Herrn zu betrachten, und nun hatte er neulich gar einen Brief mitgebracht vom Herrn Pater Vitus, dem Obersten des Jesuitenhauses in Klagenfurt, und in dem Briefe war ausdrücklich gesagt gewesen: sie sollten ja den Leo ziehen lassen, der sei ein begabter, hoffnungsreicher Mensch, welcher seinen Weg gar stattlich machen und welchen er selbst an die mächtigste Person draußen empfehlen werde – nun war gar kein Zweifel mehr vorhanden für Mutter und Großmutter. Sie wollten ihn ziehen lassen und auf seine jeweilige Wiederkehr hoffen. Einige Thränen werde es wol kosten, aber sie waren gar nicht sentimental in der schwächlichen Bedeutung des Wortes, sie waren Naturkinder, sie räumten dem Menschen alle einfachen Bedingungen der Natur fraglos ein, wie dem Baume, welcher freien Raum brauche, um zu wachsen und sich auszubreiten.
Die Entwicklung ihres Lebensschicksals hatte sie zur Bewahrung dieser einfachen Natürlichkeit geführt. Die Großmutter hatte einen eigenthümlich selbstständigen Ehegatten gefunden. Er war ein Gelehrter gewesen, der aus dem deutschen Reiche flüchtig geworden, weil er in witzigem Freimuthe über Kaiser und Reich gesprochen und zwar so witzig gesprochen hatte, daß man die Worte überall nachsprach. Dies ist gefährlicher, als wenn man gemein schilt oder schimpft. Man hatte auf den Witzbold gefahndet, und da hatte dieser gesagt: Das ist mir lästig, und ich brauche ja Eure schief gewordene Welt gar nicht; ich habe meine Naturwissenschaft, die mein Leben vollständig ausfüllt. Ich gehe hinaus in Gegenden, wo Gesellschaft und Kirche noch wüst sind und mich unbehelligt lassen; die Natur, mit der ich verkehre, finde ich überall. – In der Steiermark hatte er ein frisches, natürliches Mädchen gefunden, hatte sie zu seiner Ehefrau gemacht und war mit ihr nach Ungarn gezogen in die südlichen Abhänge der Karpathen. Dort hatte er in der Einsamkeit an die zwanzig Jahre ungestört glücklich gelebt, hatte geforscht und aufgeschrieben und mit besonderer Freude sein Töchterlein Julia aufwachsen sehen.
Wie dies sein Töchterlein zu erziehen sei war ihm eine allerliebste Unterhaltung gewesen. Eine menschliche Pflanze ist solch ein Kind! hatte er ausgerufen, man sorge für Nahrung, Luft und Freiheit, und sie wird vollkommen das werden, was sie werden kann. Unter Nahrung verstand er freilich nicht blos Essen und Trinken, sondern auch Kenntniß. Er unterrichtete sie in alle dem, wofür sie Antheil zeigte. Was sie abwies, das ließ er fallen. Das gehört nicht in ihren Lebenskreis! pflegte er zu sagen. In eben solcher Weise verfuhr er mit der kirchlichen Frage. Das Verhältniß zu Gott, wie er die Religion nannte, trug er ihr vor als Naturforscher, das heißt, er zeigte ihr bei jedem Gegenstande, wie er im Zusammenhange mit allem Uebrigen entstanden sei und von einer unsichtbaren, aber gesetzlichen großen Kraft abhänge. Daß diese Kraft nicht eben ein persönlicher Gott wurde, das lag nahe bei seinem naturwissenschaftlichen Sinne. Er war kein Poet, der dichtet und erhebt, er war ein Forscher, der Gesetze sucht. Der Poet allein führt leicht zum Aberglauben, der Forscher allein leicht zum Unglauben, Jener verdichtet zu sehr, Dieser zertheilt zu sehr. Es war indeß kein eigentlicher Unglaube, was er seine Julia lehrte, es war mehr der Glaube an die »große Kraft« wilder Indianer, welchen er in ihr entwickelte. Er schilderte ihr dann auch die Ansichten und Glaubensartikel der großen Religionsgesellschaften auf der Erde und überließ ihr die Wahl, und als sie gar keine Wahl treffen wollte, da lächelte er. Die Veranlassung zu einer Wahl lag dem Mädchen nicht eben nahe. Das Karpathenthal, in welchem sie lebten, war abgelegen und unbewohnt, eine Kirche gab's da nicht in weitem Umkreise, und die Mutter war ursprünglich Protestantin, als solche aber ohne das starke Bedürfniß einer sichtbaren Kirche, wie es Katholiken innewohnt. Diese ganze kirchliche Frage verlangte also in der Familie keine weitere Bethätigung als ihr der Vater gab, wenn er von der wunderbaren Einrichtung und Größe der Natur sprach.
So wuchs Julia zur Jungfrau heran und war im Jahre 1606 ein gesundes, schönes, ganz eigenthümliches Mädchen. Um diese Zeit betraf sie und die Mutter ein Unglück. Der Vater war des Morgens ausgegangen, um jenseits der nächsten Berghöhe zu botanisiren. Er kam des Abends nicht zurück und blieb auch die Nacht aus. Am andern Morgen brachten ihn Kriegsleute auf einer Tragbahre von Baumzweigen; er war schwer verwundet und verschied an der Schwelle seines Hauses. Mitten in ein Gefecht war er hineingerathen, welches jenseits der Höhe feindliche Streifcorps sich geliefert hatten, und eine Kugel hatte ihn niedergeworfen. Der Anführer des einen Corps hatte ihn noch am Leben gefunden und hatte aus seinen Reden entnommen, daß er ein gebildeter Mann sei, welcher jenseits der Berghöhe Wohnung und Angehörige habe. Er hatte ihn heimtragen lassen und kam des andern Tages selbst, um sich nach dem Schicksale des Verunglückten zu erkundigen.
Er war ein junger Edelmann, der seinen ersten Feldzug machte. Gegen die Türken pflegte man sich damals die ersten Sporen zu verdienen, und da der berühmte Feldmarschall Georg Basta in der Gegend von Gran gegen die Türken zu Felde lag, so hatte sich dieser junge, aus Böhmen stammende Edelmann eingefunden, um den Krieg zu erlernen. Basta hatte ihm eine Streifung aufgetragen, und diese hatte ihn so weit geführt, daß er in diese abgelegene Gegend gerathen war.
Der junge Mann war Albrecht von Waldstein. Die Schönheit und Eigenthümlichkeit Julias überraschte ihn. Er kam nach einigen Wochen wieder und fragte, ob Mutter und Tochter Unterstützung brauchten. Sie sagten nein; ihr Eigenthum reiche hin. Er blieb einige Tage, und sie wehrten das nicht; ihre Trauer war mild. Der Verstorbene hatte sie gewöhnt, das Entstehen und Vergehen getrost anzusehen wie die ewige Nothwendigkeit. Der im dreiundzwanzigsten Jahre stehende Albrecht fühlte sich angesprochen von dieser Einsamkeit, von diesen einfachen Frauen. Er hatte selbst Anlage zu stiller Naturbetrachtung; er hatte in Padua unter dem berühmten Argoli Astronomie studirt und auch von der Astrologie genascht, von der Bedeutung der Gestirne für den Menschen. Er erzählte Julien von dieser Wissenschaft und sah mit Erstaunen, daß sie in der Kenntniß des gestirnten Himmels ganz wohl unterrichtet sei; wie überhaupt in der Naturwissenschaft; daß sie aber von seinen astrologischen Folgerungen nichts wissen wollte. Das sei keine Wissenschaft, das sei ein Spiel. Er vertheidigte seine Wissenschaft; sie lachte. Nun denn, er wollte es ihr beweisen, er wollte sie überführen, und zu dem Ende aus Gran seine Apparate holen, seine Himmelstafeln, seine Zirkel, seine Gläser, seine Berechnungen. Das geschah. Er kam also wieder, und der Verkehr zwischen den jungen Leuten wurde vertraulicher, und immer reizender erschien ihm das dunkelblonde Naturkind mit seinen großen, graublauen Augen, aus denen eine tiefschwarze Pupille ihm entgegenstrahlte. Ein Lufthauch war über das viel im Freien lebende Mädchen ausgebreitet wie die Gesundheit selbst. Braunröthliche Spitzen warfen einen Schimmer über ihr Haar, und die weiße Haut der vollen Büste und der Arme hob sich lockend ab von Gesicht und Händen, wenn die Sommerwärme sie im Hause zu leichterer Kleidung nöthigte. Ihr ganzer, geschmeidiger Körper voll Kraft und Tüchtigkeit erschien dem jungen Kriegsmanne wie ein Baum des Bergwaldes, dessen Kern in Wetter und Sonne bis zur Unverletzbarkeit gezeitigt und gefestigt sei. Und es war nicht blos der körperliche Reiz, welcher ihn mehr und mehr fesselte, ihr geistiger Reiz war ebenso mächtig. Schon weil ihr Wissen und Denken völlig eigen war! Sie wußte nichts von der Geschichte des Tages, aber die Geschichte des Alterthums kannte sie genau; sie gehörte zu keinem Religionsbekenntnisse, aber sie war religiös und wußte die dogmatischen Sätze aller Religionen aufzuzählen wie Raritäten, und die Natur mit ihren feinsten Gesetzen kannte sie besser als er. Dabei war sie wie ihre Mutter die Uneigennützigkeit selbst. Sie fragte kaum, wie er hieße, sie fragte nicht, was er wollte, und als er von Zuneigung und Liebe sprach, da lächelte sie und fragte nicht nach Weiterem.
Er ging und kam, ohne durch irgend eine Neugier behelligt zu werden. Wie sehr er von Jugend auf Egoist war, gerade dies Wesen schien ihn zu verpflichten. Er beschäftigte sich lebhaft mit dem Gedanken, wie sie ihm dauernd angehören könne. Das war nicht leicht; denn er war nicht wohlhabend, und er war ehrgeizig. Eine Verwundung, welche ihm ein Ausfall aus Gran zugezogen, unterbrach sein Hinaufreiten ins Gebirge. Er mußte wochenlang still liegen, und als er genas, sendete ihn Georg Basta, der Feldhauptmann, mit einer sehr ehrenvollen Botschaft nach Wien, ehrenvoll auch besonders für ihn, denn er hatte sich ausgezeichnet mit seiner Compagnie. Das Lob, welches er in Wien erntete, schmeckte ihm sehr wohl, und er fand es nothwendig, auch nach Prag zu reiten, wo Kaiser Rudolph residirte, um auch vom Kaiser gelobt und gekannt zu werden. Dort fand er seinen Oheim Adam von Waldstein, welcher Oberstburggraf von Böhmen und ein mächtiger Mann war. Der bezeugte ihm seine Freude darüber, daß er sich so früh hervorgethan durch geschickte Tapferkeit, und seiner Familie Ehre gemacht. Er wollte ihn fördern. Jetzt sollte der Albrecht nur eine Zeit lang in Prag bleiben, um überall eingeführt zu werden, dann wollte er ihn mit nach Mähren nehmen und ihn dort vorstellen. Dort sei eine steinreiche Frau, deren Mann im Sterben liege, und die wol ein gewisses Verständniß habe für hochstrebenden, phantastischen Sinn. Denn dieser Sinn des Albrecht müsse bei Zeiten einen ordentlichen Besitz in die Hand bekommen, sonst verfalle er auf Thorheiten. Frau Lucretia sei vielleicht dazu angethan, ihn zu erziehen, ihn groß zu ziehen. Albrecht wollte zwar von Frau Lucretia nichts hören, aber er wartete doch und ging später mit dem Oheim nach Mähren. Mähren lag ja auch auf dem Wege nach den Karpathen.
Darüber verging längere Zeit, und während derselben ereignete sich Mancherlei mit Julien.
Sie hatte der Wiederkehr Albrecht's geharrt wie eine glückliche Geliebte, nicht ungeduldig, nicht schwärmerisch, nicht traurig; nein, heiter und sicher hatte sie gewartet. Es vergingen Tage, Wochen, Monde – er kam nicht wieder. Das mußte traurig auf sie wirken. Sie meinte nicht, daß er sie vergessen habe, der Gedanke lag ihr fern, sie meinte, es sei ihm ein Unfall begegnet. Er war ja ein Kriegsmann und stand im Felde. Ein Verwundeter kann genesen, ein Gefangener frei werden – sie harrte getrost. Er kam nicht; statt seiner aber kam der Türke bis in die Berge herein; Flüchtlinge eilten an ihrem Hause vorüber und warnten sie. Am liebsten raubt der Türke Frauen! hieß es, rettet Euch, die kaiserlichen Führer, welche uns bis heute geschützt, sind alle erschlagen –!
Mutter und Tochter zweifelten nicht mehr, daß Albrecht todt sei. Sie weinten ihm ihre Thränen, verkauften in der nächsten Ortschaft ihr Besitzthum und zogen hinauf nach Veldes.
Hier gebar Julie einen Knaben, und Mutter wie Tochter waren wieder glücklich. Der Besitz und das Gedeihen dieses Kindes erfüllte ihr ganzes Leben mit Antheil und Freude. Leo wurde er genannt, sogar getauft. Kirchliche Bedingungen traten ihnen hier näher als in der ungarischen Einsamkeit: Drüben im See lag eine kleine Insel und auf der Insel ein Kirchlein. Dorthin ruderten Mutter und Großmutter eines Sonntags den kleinen Burschen und ließen ihn taufen, weil sie sahen, daß Schaaren von Bäuerinnen aus den Bergen kamen mit ihren Säuglingen, um diese taufen zu lassen im Seekirchlein. Sie fragten nicht, ob katholisch oder evangelisch da drüben gebetet und getauft werde, sie wollten nur nicht – namentlich die Großmutter wollte es nicht –, daß der kleine Mann ausgeschlossen bleibe von der großen Gemeinschaft der christlichen Welt. – Uebrigens wuchs er auf wie das Füllen auf der Weide, von den beiden Frauen gepflegt und von Julien unterrichtet in alle dem, was sie vom Vater erlernt hatte.
Als er schon ein prächtig aufgeschossener Bursche war, da kam eines Tages vom »Wurzen« herab – so heißt da oben der Bergpaß, welcher Oberkrain mit Kärnten verbindet – eine Prozession katholischer Geistlichen, und ließ sich hinüber rudern nach dem Kirchlein im See. Die Erscheinung war neu, und Leo erzählte der Mutter und Großmutter, was sie zu bedeuten habe. Er war ihr kleiner Minister des Auswärtigen, der sich draußen um Alles kümmerte und daheim Alles erzählte. Dies Erzählen war tägliche Labung für Mutter und Großmutter, nicht des Erzählten wegen, sondern wegen des Erzählers, welcher einen aufgeweckten, für Alles aufmerksamen Geist entwickelte, und so allerliebst vorzutragen wußte. Es war immer ein lustiger Zug in seinem Vortrage, welcher die Großmutter ganz besonders ansprach. Auch jetzt wieder. Er sei falsch getauft, sagte Leo. Das seien ganz andere Geistliche, welche da hinüber ruderten, um das Kirchlein zu weihen, als die früheren. Sie kämen aus der Steiermark, wo der Erzherzog Ferdinand alle Kirchen neu weihen ließe und der eine Geistliche habe ihm auf die Backe geklopft und habe gesagt: er freue sich über ihn und wolle ihn sprechen, wenn sie vom Kirchlein zurückkehrten.
Wirklich trat er bald darauf bei ihnen ein. Er war ein bejahrter, milder Mann, Pater Vitus geheißen. Veit Pascha war er in der Wirklichkeit genannt worden, ehe er ins Jesuitencollegium zu Olmütz getreten. Dort war er Lehrer des jungen Albrecht von Waldstein geworden und hatte diesen wilden, damals noch ketzerischen Junker zum Katholiken gemacht. Die starken Fähigkeiten des Junker Albrecht hatten ihm gefallen, und weil er ihn zum Proselyten gemacht, war ein näheres Verhältniß entstanden zwischen Pater Vitus und dem Junker Albrecht. Offenbar hatte ihn jetzt der rothbraune Lockenkopf Leos an seinen Albrecht erinnert, wenn auch dunkel und unklar. Leos Kopf war bildschön, Albrechts Kopf mit schlichtem, braunrothem Haar war niemals schön, war nur scharf gewesen. Pater Vitus wußte auch nicht recht, daß es gerade diese Aehnlichkeit wäre, welche ihn zu Leo zog; der Knabe muthete ihn nur überhaupt sympathisch an, und er schlug den Frauen vor, ihn mitzugeben nach Klagenfurt. Dort wollte er ihn erziehen lassen im Jesuitencollegium.
Das war ein Schreck! Den Leo fortzugeben! O nein!
Pater Vitus lächelte. »So geht es immer,« sagte er, »wenn von Trennung die Rede ist. Ueberlegt's Euch! Hier wird der Knabe ein Bauer, und er hat doch Zeug zu Größerem. Er braucht ja auch nicht Geistlicher zu werden, wenn er bei uns erzogen wird. Er wird das, wozu sich Beruf in ihm entwickelt. Ich hab' einmal einen Aehnlichen erzogen, der ist ein Kriegshauptmann und mächtiger Herr geworden.« – Das will ich auch werden! rief Leo, – wo ist der Aehnliche?
Ehe Pater Vitus antworten konnte, fragte die Großmutter dazwischen hinein, und so wurde die Frage nicht beantwortet, welche so wichtig war für die Familie.
Also überlegt's Euch! schloß der Pater – ich bleibe bis zum Herbst in Klagenfurt. Dann führt mich meine Mission weiter. Wenn Ihr den Knaben hinabschickt, werd' ich mich seiner annehmen. Lebt wohl!
Leo gab keine Ruhe; die Frauen mußten nachgeben. Gegen den Herbst marschirte er allein und tapfer über den »Wurzen« an der Drau hinab nach Klagenfurt. Die ganze Welt öffnete sich vor ihm, er zog jauchzend dahin, der fröhliche Leo Steinwald. So war er getauft worden im Seekirchlein durch eine Vergeßlichkeit des taufenden Priesters, eines alten Mannes. Waldstein war ihm gesagt worden; der alte Mann aber hatte sich durch das Geschrei des Täuflings, den die Mutter mit Gewalt zur Ruhe bringen wollte, zerstreuen lassen, und hatte ihn feierlich als »Leo Steinwald« getauft. Die Frauen hatten dazu gelächelt und unter sich gesagt: das Schicksal scheint es so zu wollen, vielleicht bringt es ihm Glück mit diesem Namen! – Und allmälig hatten sie sich daran gewöhnt, und wenn von seinem verstorbenen Vater die Rede kam, so hieß es nur immer Albrecht. Leo wußte es gar nicht anders, wenn man ihn fragte, als daß sein Vater Albrecht Steinwald geheißen, ein Kriegsmann gewesen sei, und eine ganze Compagnie Reiter befehligt habe.
Der junge Steinwald entwickelte sich als offener Kopf, als trefflicher Schüler im Collegium. Besonders für alle realen Wissenschaften. Und über sein verträgliches angenehmes Naturell war nur eine Stimme des Lobes, wenn Pater Vitus von Zeit zu Zeit in Klagenfurt einsprach und nach seinem Schützlinge fragte. Die Jesuitenschulen erwiesen sich schon damals dem Adel entgegen kommend, indem sie freien Künsten alle Sorgfalt angedeihen ließen und Reit- und Fechtunterricht auf splendide Weise gewährten. Nach dieser Richtung entwickelte sich denn Leo als junger Meister, und Pater Vitus mußte nach einigen Jahren eingestehen, daß allerdings von einer anderen als weltlichen Laufbahn bei diesem Veldeser Sprößling gar nicht die Rede sein könne; er entwickelte sich doch gar zu leicht und gesund und frei, und das schöne Aeußere des Jünglings spreche auch für weltliche Verwendung. Namentlich zeigte Leo auffallende Theilnahme für geschichtliches Studium und für die damit zusammenhängenden Vorgänge des staatlichen Lebens. Alexander der Große, Julius Cäsar, Karl der Große, die hohenstauf'schen Kaiser waren seine Ideale, und er peinigte den Pater völlig um Erzählung alles Dessen, was in der Welt vorginge. Pater Vitus war geeignet dazu, denn er hatte eine Aufsichts-Mission seines Ordens, welche ihn viel auf Reisen brachte, und der alte Mann hatte von Jugend auf politischen Sinn gehabt; er konnte also nach langer Lebenszeit in bewegter Epoche dem aufhorchenden Jünglinge allerlei Interessantes erzählen. Das erhöhte seinen eigenen Antheil an dem jungen Manne, welcher den Schilderungen enthusiastisch entgegen kam, und Pater Vitus entschloß sich am Ende geradezu, diesen lebenslustigen und thatenlustigen Leo dahin zu befördern, wo damals der Mittelpunkt politischer Geschichte bestand, nach Böhmen ins Hof- und Kriegslager des Friedländers. Mit diesem war der alte Pater seit der Olmützer Zeit immer noch in einer jeweiligen Verbindung, brieflich wie persönlich, denn seine Mission führte ihn auch nach Böhmen. Der Friedländer war pietätsvoll für seinen ersten Lehrer in der katholischen Religion, empfing ihn stets mit Wohlwollen, beschenkte ihn und fragte stets, ob der alte geistliche Herr nicht mit etwas Besonderem zu erfreuen wäre. Das letzte Mal hatte Vitus ihn zu Gitschin gesehen, dem kleinen Städtchen, welches Waldstein zu einer Residenzstadt erhoben hatte, und für welches er Anstrengungen und Anstalten machte, wie sie im folgenden Jahrhundert der vierzehnte Ludwig für Versailles gemacht hat. Er baute ganze Straßen von Häusern für Einwohner, die noch gar nicht vorhanden waren und die er nach Vollendung der Häuser erst herzu rief von allen Seiten und mit Rücksicht auf ihre Handwerks- oder Kunstfertigkeiten. Er gründete Schulen und übergab sie den Jesuiten, die am geschicktesten lehrten und einrichteten, er erweiterte Schloß und Gärten in einem Umfange und mit einem Luxus, welche in damaliger Zeit unerhört waren, und er überzog das Alles mit der Fülle und dem Schimmer eines Hofstaates, welche nicht ihres Gleichen hatten in Europa. Vitus hatte das letzte Mal, da er in Gitschin bei ihm gewesen, ein wenig zu schelten gewagt über solche Verschwendung, da hatte aber sein hochmächtig gewordener Schüler erwidert: »Das verstehst Du nicht, Alter! Wenn man ein groß Verhältniß will, muß man auch Alles groß anlegen. In der Stille spart man, öffentlich prahlt man. Die Welt geht nach dem Schein. Und außerdem sorgt man dafür, daß der Schein einen guten Boden habe und ihn befruchte. Was für Kräfte setzt das Alles hier in Bewegung, was für Fähigkeiten entwickelt es! Sie kommen alle meiner Herrschaft zu Gute. Sieh dahin! Da kommt mein Pagencorps geritten, an die sechzig junge Bursche, welche alle in die Welt eingeführt werden unter meinen Auspicien. Das nützt den jungen Leuten und nützt mir. Ich sehe auch bei der Aufnahme sorgsam auf Fähigkeit und Talent, dumme böhmische »Jankus« nehme ich nicht, und eine arme Herkunft ist für einen begabten Buben kein Hinderniß. Wenn Du einmal einen aufgeweckten Schlingel siehst in Deinen Schulen, den Du befördern willst, so schick' ihn mir. Da wirst Du handgreiflich einsehen, daß der Luxus sein Gutes hat«.
Ein solch' aufgeweckter Schlingel, sagte Pater Vitus zu sich, ist dieser Leo; ich schick' ihn zum Friedländer.
Leo ließ er nicht sogleich etwas merken von dieser Absicht; er wollte ihn erst gründlich vorbereitet und ausgebildet sehen zu diesem Zwecke. Demgemäß ließ er ihn in bestimmten Disciplinen namentlich Staatengeschichte, Völkerrecht, deutschem Recht und in Kenntniß lebender Sprachen ganz besonders unterrichten und nahm ihn auch mehrmals mit auf seinen Reisen, wenn sie ihn nach Italien hinabführten.
Leo merkte aber doch sehr bald die Vorsätze, welche sein alter guter Pater für ihn habe, und als er das nächste Mal zu seinen Müttern hinauf nach Veldes kam – es war im Frühlinge 1631 – da berichtete er triumphirend von diesen Aussichten. Sie erschraken auch nicht ungebührlich, daß er ihnen nun noch weiter entführt werden sollte. Die Schulzeit in Klagenfurt hatte sie vertraut gemacht mit diesem Gedanken, ebenso die Kenntniß weltlicher Verhältnisse, welche er ihnen bei seinen Ferien-Besuchen nach und nach geschildert hatte. Sie waren ja wie die Kinder gewesen, denen die bürgerliche, politische und kirchliche Welt ganz unbekannt geblieben. Er war der vortragende Lehrer geworden da oben in Veldes, und besonders Julia, seine Mutter, hatte an diesen Vorträgen einen tiefen Antheil genommen. Es war ihr eine Seligkeit, Schülerin ihres stattlichen Sohnes zu werden, und sie hatte darauf gedrungen, daß allmälig systematisch vorgegangen werde mit diesen Vorträgen, Wissenschaft um Wissenschaft der Reihe nach, wie er sie in jedem Vierteljahre erlernt hatte unten im Klagenfurter Collegium. Das wurde doch auch – die Mutter merkte es wohl! – für ihn sehr zuträglich. Was man lehren will, das muß man genau wissen, und Mutter Julia fragte kreuz und quer, um ihn fest zu machen und genau, denn sie hatte die naturalistische Schule ihres Vaters nicht vergessen. So ging in seine Kenntnisse jene Klarheit und Genauigkeit über, welche ganz zu seinem offenen und klaren Naturell paßte, und welche ihn für die Geschäfte des Lebens gründlich vorbereitete und geschickt machte. Dabei wußte Julia auch noch einen Luxus auszufinden, ein Thema welches wie poetische Unterhaltung erschien: die Tagesgeschichte durfte er ausführlich erzählen, das heißt Alles, was er während des letzten Vierteljahres im Collegium darüber vernommen hatte. Nach Innerösterreich war der Krieg gar nicht gedrungen, da oben in Veldes wußte man gar nichts von ihm, und die beiden Frauen hatten seit Jahrzehnten nichts von den Begebenheiten in der Welt erfahren. Der verstorbene Vater Juliens hatte ihr absichtlich nur Geschichte des Alterthums vorgetragen. Vom Untergange des römischen Reiches bis zum Anfange des jetzt herrschenden siebzehnten Jahrhunderts war also Leo eine historische Darstellung zugefallen unter dem Titel »Geschichte« überhaupt. Und nun mußte er, um die unterhaltende Tagesgeschichte zu erklären, vom Kaiser Rudolph an genau schildern, was sich im deutschen Reiche und in Europa begeben. Du willst ja mitten hinein treten in diesen Wald von Geschichte, sagte Mutter Julia, Du mußt Dich also genau auskennen, und Deine Mütter müssen's auch, damit sie im Stande sind, Dir zu folgen, wenn Du eine Zeitlang vielleicht nur schreibst.
Dies Collegium neuester Geschichte, welches er seinen Müttern hielt, war bei seinem letzten Besuche im Frühjahre bis zum Sommer 1621 gediehen, bis zum blutigen Schlusse des böhmischen Krieges, zu den Hinrichtungen am Altstädter Ringe.
Jetzt standen die Herbstferien bevor, jetzt erwarteten sie ihn wieder, und mit ihm die Geschichte der letzten zehn Jahre.
Dies war der Mittag, an welchem sie unter den Maronenbäumen saßen und am Fischnetze strickten. Julia war eben von der Anhöhe zurückgekommen und hatte gesagt: »Er ist noch nicht zu sehen!« – Da rief die weitsichtige Großmutter: Freilich! Da kommt er ja aus den Bäumen hervor! Und wie läuft er!
Er war stürmischer als gewöhnlich, denn er brachte nun die officielle Nachricht vom Pater Vitus mit, daß der Empfehlungsbrief für ihn geschrieben werde, und daß er nach seiner Rückkehr von Veldes über Wien hinaus solle nach Prag zum Beginn seiner selbstständigen weltlichen Laufbahn. Denn an keinen Geringeren sei der Empfehlungsbrief gerichtet als an den Friedländer –
Wer ist der Friedländer? fragte die Mutter. – Das wißt Ihr nicht?! Ja so! Die letzten zehn Jahre fehlen Euch noch. Also an den Geschichtsvortrag! Denn diesmal bleib ich nicht lange; es zuckt mir vor Ungeduld in allen Gliedern. – Du bist ein schöner Sohn! Kaum sieht er nach einer langen Pause seine Mütter wieder und spricht auch schon von Ungeduld – sagte die Großmutter. – Es nützt ihm ja nichts! – sagte die Mutter – er wird geduldig einige Tage bleiben, und wird nur jeden Abend einige Stunden vortragen dürfen. Schwatzhaft ist er, wenigstens redselig, und so wird er für zehn Jahre eine ganze Woche brauchen. Jetzt komm' und genieße etwas, und dann rudere uns hinüber nach der Insel, unsere Netze zu heben.
Gegen Abend saß das Collegium unter einem großen Nußbaume am Seeufer und schickte sich an, die junge Weisheit des vierundzwanzigjährigen Professors zu genießen. Die Sonne schimmerte durch einen gelben Wolkenvorhang von den Alpenwänden herab auf die dunklen Matten, welche vom See aufsteigen, weithin, mälig und sanft, als hätten sie Zeit, den fernen Steinbergen ihre fruchtbaren Lehnen zuzuführen.
»Also« – begann der junge Professor – »der böhmische Krieg war aus, die Rebellion war niedergeworfen, hingerichtet, ins Exil gejagt; der Friede sollte nun eintreten, wenn auch ein trauriger Friede. Aber auch der trat nicht ein. In Pilsen lag noch der hartnäckige Mansfeld, der wollte nichts wissen vom Frieden und vom Aufhören des Krieges. Er behauptete steif, der sogenannte Winterkönig sei König von Böhmen, und er, der Mansfeld, werde ihn wieder einführen nach Prag und auf den Hradschin hinauf. Zunächst sollte ihm sein Stammland wieder erobert werden, die Pfalz. Und Mansfeld zog gen Amberg in die Oberpfalz und gen Heidelberg in die Unterpfalz, und schlug sich grimmig herum gegen die Truppen der Liga. Dadurch wurden neue Ritter erweckt für die besiegte Fahne, und es wurde wirklich wie in der Ritterzeit. Tief drunten im ebenen deutschen Reiche, hinter den letzten Hügeln, welche man den »Harz« nennt, Hügel, kaum so hoch wie hier unsere Weiden für die Kühe, erhob sich der Herzog Christian von Braunschweig, steckte den Handschuh der Königin Elisabeth von Böhmen auf seinen Hut und schwor: die Farbe seiner Dame siegen zu machen, es koste was es wolle. Man nannte ihn den »Halberstädter«, weil er das Bisthum von Halberstadt besaß, wie die protestantischen Herren die geistlichen Güter in weltlichen Besitz genommen. Er zog mit einem kleinen Heere nach dem Rhein hinauf, dem Mansfeld zu Hilfe, und der Winterkönig kam aus Holland zu ihnen, und es wurde heftig gefochten, ja, der immer siegreiche kleine Tilly sogar wurde einmal bei Wiesloch geschlagen. Die protestantische Fahne flatterte wieder hoch, und es erhob sich für sie noch ein dritter Ritter, der Markgraf von Baden-Durlach. Der aber hatte Unglück: Tilly schlug ihn bei Wimpfen aufs Haupt, und dann marschirte der unermüdliche Wallone sogleich gegen den Halberstädter an den Main und schlug auch diesen bei Höchst. Jetzt mußten die Ritter über den Rhein hinüber ins Elsaß, und dort hatten sie das Unglück, vom Winterkönige verläugnet zu werden. Dieser kurzsichtige Herr meinte Aussicht zu haben, daß ihn der Kaiser begnadigen und ihm sein schönes Kurland mit der Heidelberger Residenz zurückgeben werde, weil sich die Könige von England und von Dänemark für ihn verwendet hatten, und in dieser trüglichen Hoffnung entließ er den Mansfelder und den Halberstädter. Fechtend zogen sich diese durch Lothringen zurück und wollten Holland erreichen. Da trat ihnen ein spanisches Heer in den Weg und sie mußten in der Geschwindigkeit bei Fleurus eine Schlacht liefern. Sie bestanden sie zwar siegreich, aber der Halberstädter wurde schwer in den Arm verwundet und mußte sich ihn abnehmen lassen. Dazu ließ er all' seine Trompeter blasen und schwenkte seinen Hut mit dem Handschuh.« – Merkwürdig! riefen Mutter und Großmutter. – »Ja, aber nun schien es langweilig zu werden. Die Ritter mußten ihr Heer entlassen, und die Feinde des Kaisers schienen am Ende zu sein. Der Kaiser machte denn nun auch den baierischen Herzog zum Kurfürsten, und es ward einen Augenblick stille.« – Gott sei Dank! – »Was wißt Ihr! Es war ja nichts ausgekämpft, und Katholiken wie Protestanten fürchteten, nun werde das Pfaffenregiment sich überallhin ausdehnen, und die deutsche Libertät, wie sie die Freiheit nennen, werde ganz unterdrückt werden. Kaum hatte man das gedacht, da tauchte der Mansfeld und der Halberstädter tief unten im Reiche wieder auf, wo die breiten Flüsse langsam und tief ins Meer gehen, an der Ems und an der Weser. Sie kamen aus dem Schlupfwinkel Holland wieder hervor und warben wieder Heere. Da stieg denn der Tilly wieder auf sein kleines Roß und zog mit dem Heere der Liga hinab in den niedersächsischen Kreis, und begegnete im westphälischen Münsterlande dem Halberstädter und schlug ihn total bei Stadtlohn.« – – Das ist ein furchtbarer Kriegsmann! – »Das ist er, obwol man's ihm gar nicht ansehen soll. Ganz unscheinbar tritt er auf, und er hat mich lange Zeit gar nicht begeistern können. Es sieht so gar nichts an ihm nach Größe aus und nach Herrlichkeit. Er hat so gar nichts vom großen Herrn und schimmernden Ritter. Wenn man ihm aber länger zusieht, so schmeichelt er sich ein, weil Alles so tüchtig ist, was er thut und sagt. So einfach und tüchtig, behauptet Pater Vitus. Einfach in der Frömmigkeit, mild und menschlich im Benehmen soll er sein, der kleine Kriegsheld, ehrlich und zuverlässig. Der Kaiser möcht' ihn auch gern haben für ein kaiserliches Heer. Aber der Tilly und der Baier haben sich so an einander gewöhnt, daß sie nicht mehr von einander lassen wollen. Die geistlichen Kurfürsten und Herren, welche mit dem Baier die Liga bilden, halten auch große Stücke auf den Tilly und schaffen immer wieder Geld, so daß sein Heer in Ordnung bleibt. Geld ist aber nicht des Kaisers Sache, und so bleibt der Tilly bei der Liga.« – Nun, und der Mansfeld? rief die Großmutter. – Aber Mutter! schalt Julia, Du treibst den Leo, und ich bin froh, daß er ins Ausmalen kommt! – »Der Mansfeld war nicht stark genug gegen den siegreichen Tilly, welcher dem Meere zu hinabzog gegen ihn. Geld hatte er auch nicht mehr, er konnte seinen Truppen keinen Sold zahlen, er mußte sie entlassen, und so schien der Krieg wieder einmal aus zu sein. Es war aber wieder nur Schein und währte nicht lange. Dort unten nämlich, in dem sehr großen niedersächsischen Kreise, der in seinen Tiefebenen fast den ganzen Norden des deutschen Reiches einnimmt und von Volksstämmen bewohnt wird, die von den Cheruskern, den Besiegern der römischen Legionen, stammen oder doch mit ihnen verwandt sind in nüchterner Zähigkeit und kühler Verständigkeit, dort ist die katholische Kirche fast ganz ausgestorben seit Luther's Reformation. Handeltreibende, volkreiche Städte, die meist zur Hansa gehören, bieten Geldmittel, und je näher dem Meere, desto unabhängiger fühlen sich dort die Menschen vom fernen Kaiser, und wollen nichts hören von seinen Geboten und Verboten. Weil also das katholische Heer allmächtig unter ihnen erschien, da traten die niedersächsischen Stände zusammen und beschlossen, den Widerstand nicht mehr einzelnen Rittern zu überlassen, sondern ein protestantisches Heer aufzustellen gegen das katholische. Sie machten den König von Dänemark zu ihrem Kriegsobersten, verschafften dem Mansfeld und dem Halberstädter Credit und Geld und sammelten eine Heeresmacht, wie sie noch nie dagewesen war auf ihrer Seite. Der Einzelnkrieg wurde so ein großer Krieg, der eigentlich deutsche Krieg begann.« – Ah, wie das wächst! – »So rief man auch in der Hofburg zu Wien. Man konnte, man durfte es nicht mehr der Liga allein überlassen, die katholische Kaisergewalt vorzustellen, man mußte selbst auftreten. Theils wegen der wachsenden Kriegsgefahr, theils wegen der Gefahr, in welche das kaiserliche Ansehen gerieth. Der Kaiser mußte ein eigenes Heer haben. Aber woher ein solches nehmen? Es fehlte wie immer an Geld.« – Ist denn der Kaiser so arm? – »Er sollte und könnte der reichste sein. Aber seit einem Jahrhundert ist sein Geldwesen im Rückstande. Das Kaiserthum hat immer mehr zu thun gekriegt, keineswegs aber immer mehr eingenommen. Im Gegentheil. So ist der Mittelpunkt des Reiches geschwächt worden, und nun wundern sich die Thoren, daß das ganze Reich wackelt. Was thun? Woher das Geld nehmen? Das ist nicht zu finden! rief man von allen Seiten. – Nein! rief ein einzelner Mann, aber ein Heer ist doch zu finden. Ich schaff' es Euch in einigen Monaten, wenn Ihr mir Vollmacht gebt.« – Wer denn? Wie denn? – »Wie? Der Werbetrommel laufen Tausende nach, wenn man hohen Sold verspricht. Zuerst also sind die Kosten nicht groß, aber sie werden groß, wenn man das Versprechen halten soll. Und da liegt's! rief der einzelne Mann. Ihr könnt das Versprechen nicht halten, ich aber kann's halten, wenn ich Vollmacht habe. Was für Vollmacht? Den Krieg durch den Krieg zu erhalten, die Länder, in welche ich eindringe mit meinen Truppen, meine Truppen erhalten und zahlen zu lassen. Dazu brauch' ich viel Truppen, um mächtig zu sein und die Länder zu zwingen. Ein kleines Heer wird verhungern, ein großes nicht. Dreißigtausend Mann also, wie Ihr wollt, kann ich nicht ernähren, wol aber sechzigtausend. Staunend hörte man zu, staunend nickte man endlich mit dem Kopfe, und die Trommel wurde gerührt und Tausende strömten zur kaiserlichen Fahne, im Handumkehren stand ein großes kaiserliches Heer da wie aus der Erde gezaubert.« – Wer war der Zauberer? – »Na, mein Gott, der Friedländer! Ein steinreicher, großer Cavalier, im Kriege tief erfahren und ein Genie überhaupt, das größte Genie in der katholischen Welt, der wunderbarste Mann. In seiner Jugend arm wie ich, und durch Muth und Klugheit jetzt Herzog von Friedland und von Mecklenburg und Capo aller kaiserlichen Heere, derselbe, an welchen mir Pater Vitus den Empfehlungsbrief schreibt und zu dem ich unterwegs bin – über Veldes.« – Der Friedländer! – »Ja wol! Mit diesem aus der böhmischen Erde hervorgestampften Heere zog er hinab in die deutsche Ebene, und der große Krieg begann. Tilly im Westen, Friedland im Osten. Tilly hatte den Dänenkönig vor sich im Göttinger Lande, Friedland an der Elbe den Mansfeld. Denn dieser hatte auch wieder eine große Kriegsmacht gesammelt. Und nun regnete es Schläge. Tilly zermalmte den Dänen bei Lutter am Barenberge, Friedland begegnete dem Mansfeld an der Elbbrücke bei Dessau und versteckte seine furchtbaren Reitermassen in einem Walde, seinen Unterfeldherrn Aldringer mit den Fußtruppen vorschickend in heißes Gemetzel. Erst als dies Gemetzel Stunden lang gedauert, brach er hervor mit seinen geharnischten Reitern und warf die Mansfeld'sche Macht dergestalt auseinander, daß sie in alle Winde stob. Und hinterher, immer hinterher ging's, was und wie auch der Mansfeld immer wieder sammeln mochte, durch die brandenburg'schen Marken, durch Schlesien, nach Ungarn hinein, bis der Mansfeld erschöpft war und seinen Leuten sagte, sie sollten sich zerstreuen und auflösen. Ihm und dem weimar'schen Herzoge, der neben ihm focht, war der Athem ausgegangen, war das Herz gebrochen. Beide starben auf einsamer Flucht.« – Der Mansfeld? – »Ja, in Dalmatien an einem elenden Orte. Die Schwindsucht hatte ihn aufgezehrt, aber im letzten Augenblicke noch hat er sich auf sein Schwert gestützt, und aufgerichtet und stehenden Fußes ist er verschieden. – Nun galt's zu ernten für die Kaiserlichen. Nun marschirte der Friedländer wieder die Hunderte von Meilen hinab, dem nordischen Meere zu, drückte Tilly bei Seite, um die Ernte allein einzuheimsen, und drang bis ins Holsteiner Land zwischen Nord- und Ostsee, ins schleswig'sche Land, ja bis ins Jütland hinein, wo Europas Festland mit einer Spitze ausläuft in stürmische See hinein, und der König von Dänemark floh vor ihm über die Belte hinüber auf seine Inseln und bat um Frieden. Zu Lübeck ward er geschlossen. Jetzt war die kaiserliche Macht in höchster Glorie.« – Und Friede war endlich auch! – »Nur mit dem Dänen. Mit den deutschen Ländern durchaus nicht. Da ereignete sich sogar etwas, was die Feindseligkeit noch tiefer aufzündete und was vielleicht ein großer Fehler war.« – Was denn? – »Ja, so klug bin ich halt noch nicht, um das hinreichend beurtheilen zu können. Aber selbst Pater Vitus, der doch gut katholisch ist als Jesuit, hat mir in bedenklicher Weise das erzählt, was ich da einen »großen Fehler« genannt.« – Was ist es denn? – »Man nennt es kurzweg das Restitutionsedict.« – Das heißt? – »Der Befehl, Alles zurückzugeben, was sich die protestantischen Fürsten und Herren angeeignet haben von katholischen Gütern seit der lutherischen Reformation. Alle Bisthümer, Abteien und Stifter, welche nun beinahe seit hundert Jahren in ihrem Besitze sind. Das hat natürlich eine ungeheure Aufregung hervorgebracht. Es geht ans Eigenthum, und zwar in großer, sehr großer Ausdehnung! Da unten im Norden trifft es Gebiete in den Erzbisthümern Magdeburg und Bremen, in den Bisthümern Minden, Verden, Halberstadt, in Hildesheim, Lübeck, Ratzeburg, Meissen, Merseburg, Naumburg, Brandenburg, Havelberg und so weiter, welche mit den sonstigen Abteien und Klöstern ein Gebiet ausmachen von der Größe eines Königreichs. Und was am mißlichsten: der Kurfürst von Sachsen wurde dadurch schwer mitbetroffen, und gerade der war bis dahin unter den Protestanten die Stütze des Kaisers. Er und die Protestanten schreien: das sei verjährt und darüber stünde in keinem Falle dem Kaiser allein eine Entscheidung zu, das gehöre vor den Reichstag; kurz, dieses Edict brennt wie unterirdisch Feuer und scheint einen Frieden unmöglich gemacht zu haben. Man flüstert sich in die Ohren: dies Edict haben die Pfaffen in die Burg gebracht, und selbst der Friedländer mißbilligt es!« – Ist das wahr? – »Das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß seit jener Zeit – es sind über zwei Jahre seitdem vergangen – dem Friedländer Feinde zugewachsen in großer Zahl. Die Fürsten der Liga allen voraus, lauter geistliche Herren, und an ihrer Spitze der neue Kurfürst Maximilian von Baiern. Sie haben zwei Vorwürfe gegen den Friedländer Tag und Nacht auf der Lippe, und die haben sie dem Kaiser fort und fort in die Ohren geschrieen. Erstens die große Freiheit, welche er seinen Soldaten läßt, und welche er sich mit ihnen herausnimmt. Natürlich! Sie müssen sich selbst erhalten, das hat er ja vorausgesagt. Und Friedland will die Kaisermacht erhalten, nicht aber die Macht der Liga. Er ist also nicht eilig im Marschiren, wenn der Baier um Hilfe ruft, sondern fragt erst, ob der kaiserliche Vortheil nicht wo anders liegt. Zweitens werfen sie ihm vor, daß er den Krieg nicht katholisch genug führe und daß er für die Religion keine Sorge trage. In seinem Heere giebt's eine Menge Obersten, Hauptleute und Soldaten, welche zum Lutherthum, sogar zum Calvinerthum gehören. Darum kümmerte er sich nicht, er will nur gute Soldaten haben, und auch wenn der fromme Kaiser ihm darüber Vorwürfe macht, so steckt er dessen Handbrieflein in die Tasche und sagt: der Ferdinand soll sich um die Musik und um seine Jagd bekümmern, nicht aber um den Krieg, von dem er nichts versteht!« – Ah! – Das sagt er laut? – »Ganz laut. Er ist ein so großer Herr wie der Kaiser, wenn nicht – kurzum, er macht gar keine Umstände. Und dies ist wol eigentlich der Hauptvorwurf, den ihm seine zahlreich gewordenen Feinde machen. Die Herren der Liga fürchten, er werde die ganze Reichsverfassung über den Haufen werfen und den Kaiser als einen ganz neuen allmächtigen Herrn auf den Thron setzen, die Herren um den Kaiser aber, besonders die geistlichen, flüstern dem Kaiser zu: Schau' auf, Ferdinand, wer der Herr sein wird, welchen er auf den neuen Thron setzen will! Du bist es nicht! Er will sich selbst zum Kaiser erhöhen!« – Wäre das möglich?! – »Im Kriege ist Alles möglich. Und deshalb hat's denn auch die Feindschaft gegen den Friedländer bis zum Aeußersten getrieben, und hat voriges Jahr im Frühsommer vom Kaiser positiv verlangt: er solle den Friedländer absetzen.« – Absetzen? – »Rundweg. Ein Reichstag ist nach Regensburg berufen worden, und da hat man diesen Antrag eingebracht und heftig betrieben.« – Und der Friedländer? – »Das ist's eben. Man durchschaut sein Geheimniß nicht. Man dachte: jetzt wird er wol losschlagen und der ganzen Reichswirthschaft ein Ende machen. Es ließ sich auch Alles dazu an. In weitem Bogen legte er seine Truppen um die freie Reichsstadt an der Donau, um Regensburg her, wie man auf der Jagd einen Wald umstellt, und er selbst zog in voller Pracht mit seinem Hof- und Kriegslager ins Reich hinüber nach der Stadt Memmingen. Man zählt heute noch alle die Wagen und Pferde auf, mit denen er langsam daher gekommen ist. Sein Kanzler voraus mit hundertsechsundzwanzig ausgesuchten Leibpferden, mit sechsundzwanzig sechsspännigen Wagen, die Gepäckfuhren ungerechnet, kurz mit sechshundert Pferden. Dann der Herzog von Friedland selbst mit siebenzehn Sechsspännern, mit siebenundzwanzig Kaleschen vier- und zweispännig, mit sechszig Gepäckwagen und hundertfünfzig prächtigen Reitern. Und so ließ er sich nieder in Memmingen und sah lächelnd hinüber nach Regensburg. Man war unerhörter Dinge gewärtig. Der Sommer verging, der September begann, und in der zweiten Septemberwoche kamen sorgenvoll die Herren von Werdenberg und Questenberg, zwei kaiserliche Räthe, von Regensburg nach Memmingen und verkündeten ihm unter großer Angst – sie gehörten zu seinen Freunden – der Kaiser ließe ihn bitten, sein oberstes Feldherrenamt » zurückzulegen«. – Nun? – »Zurückzulegen! Dies ist das Wort – sagte er lächelnd und zog den Vorhang von einer Tafel und zeigte auf dieselbe und sprach: Seht her! Die Gestirne haben mich's lange gelehrt. Der Spiritus des Baiers dominirt den des Kaisers – ich leiste Gehorsam«. – Gehorsam? rief die Großmutter. – Die Gestirne? rief Julia – ist er ein Astrolog? – »Freilich! – Und zum Erstaunen der ganzen Welt zog er langsam wie er gekommen mit seiner ganzen Herrlichkeit in weitem Bogen an Nürnberg vorüber nach Böhmen, und zwar nach Gitschin, und verschwand vom Schauplatze wie in einer Wolke – 's ist jetzt ein Jahr.« – Er ist also gar nicht mehr Feldhauptmann? – »Wer weiß! Dem Namen nach ist er es dies vergangene Jahr lang nicht gewesen. In diesem Augenblicke ist er es vielleicht schon wieder auch dem Namen nach.« – Wie? – »Er hat nicht ohne Grund gelächelt in Memmingen. Während er dort lauerte, ist unten an der Ostsee ein Wölkchen aufgestiegen, welchem er den Sturm angesehen. Der König von Schweden, Gustav Adolph geheißen, ist auf der pommer'schen Insel Usedom gelandet mit einer ganz kleinen Kriegsmacht und hat angekündigt, er wolle sich der deutschen Protestanten annehmen. Diese kleine Kriegsmacht, das Wölkchen, ist gewachsen und gewachsen, bis es ein großes Gewitter geworden ist, welches sich in Donner und Blitz entladen hat von der Oder bis zur Elbe, und über die Elbe herüber bis in die Mitte des deutschen Landes. Die protestantischen Fürsten alle haben sich dem schwedischen Könige angeschlossen, auch der Kurfürst von Sachsen, und vorgestern kam nach Klagenfurt die Nachricht: in der Nähe von Leipzig sei eine große Schlacht geschlagen worden und der unbesiegte Tilly habe sie gänzlich verloren, sein Heer, das einzige katholische Heer, sei in alle Winde zerstreut, der König von Schweden mit allen Protestanten marschire südwärts gegen die österreichischen Erblande, die Sachsen drängen schon vom Erzgebirge herunter ins Böhmerland, es stände Alles auf dem Spiele und der Kaiser habe kein Heer; Waldstein, Waldstein! schreie Jedermann in der Burg, und Boten um Boten jagten nach Prag, wo der Herzog in seinem Palaste einen Boten nach dem andern abweise.« – Waldstein? riefen beide Frauen. – Wer heißt Waldstein? Doch nicht der Friedländer?! – setzte Julia hinzu. – »Allerdings. Waldstein ist sein Familienname. Friedland heißt er von der großen Herrschaft, die er im nördlichen Böhmen besitzt.«
Die Frauen sahen einander an. Sie schienen zweifelhaft, ob sie bei Leo selbst weiter fragen sollten in der Aufregung, welche sich ihrer bemächtigt hatte.
»Was fällt Euch denn auf?« fragte Leo. – Der Name Waldstein – erwiderte langsam Julia – was weißt Du denn vom Aeußeren dieses Mannes? – »Er soll ein hochgewachsener Mann sein mit dunkler Gesichtsfarbe und braunrothem Haar –« – Glattem Haar? – »Das weiß ich nicht genau. Doch wol! Ja, ja. Er soll es ganz kurz geschoren tragen, und es soll starr aussehen – was ist Dir denn?« – Und weiß man, weißt Du, ob er in seiner Jugend einen Krieg gegen die Türken in Ungarn mitgemacht? – »Nein, das weiß ich nicht. Aber den Krieg unten in Friaul hat er mitgemacht in seiner Jugend.« – Und Astrologie treibt er? – »Eifrig. Darin ist er Meister. Ein italienischer Professor und Nativitätssteller ist immer bei ihm, auch wenn er ins Feld zieht. Glaubst Du –« – Dein Großvater – unterbrach ihn die Großmutter – hat im ungarischen Türkenkriege einen Waldstein kennen gelernt, und wir möchten wissen, ob es derselbe sein könne. – »Oh, der Waldstein giebt's sehr viele. Die Familie ist sehr zahlreich –« – Wie ist sein Vorname? fragte Julia. – »Wenzel Eusebius Albrecht von –« – Albrecht?! – »Ja,« – Und wie alt mag er sein? – »Das weiß ich genau. Er ist fünfzehnhundert dreiundachtzig geboren, also heute sechszehnhundert einunddreißig achtundvierzig Jahre alt. Das will ich schon ausfindig machen, wenn ich erst bei ihm bin, ob es derselbe ist, den der Großvater gekannt.« – Thu' das, mein Sohn. Ich werd' Dir dazu behilflich sein. Ich werd' einen Brief schreiben, der ihn an Merkmale und Einzelnheiten erinnern soll, wenn er derselbe ist, den wir für todt gehalten. Ist er's, so wird Dich der Brief bei ihm empfehlen. Ist er's nicht, nun – so wird der Brief auch nichts schaden. – 's ist finster geworden, gehen wir hinein!
*
Die Großmutter und Julia beriethen sich mit einander am nächsten Morgen, ob Leo mitzutheilen sei, was sie bewegte. Durch den Zufall bei der Taufe war der Name Waldstein für ihn verloren gegangen. Sollte der Verlust jetzt hergestellt werden für ihn? Aber es war ja nicht sicher, daß der Herzog von Friedland derselbe Waldstein wäre! In welches Labyrinth konnte Leo also durch diese Mittheilung gestürzt werden! War sein Vater Waldstein damals nicht gestorben, so hatte er ihn und seine Mutter treulos verlassen. Wozu dem Sohne solch' eine traurige Erbschaft einhändigen?! Und war er nicht treulos ausgeblieben, war er durch zwingende Umstände auf längere Zeit an der Rückkehr verhindert worden, so konnte er ja angelangt sein, als sie ihren Wohnort in Ungarn schon verlassen hatten. In der dortigen Einsamkeit hatte er keine Nachricht finden können, wohin sie sich gewendet hätten. Für diesen Fall wurde ja Alles ausgeglichen, wenn er jetzt durch einen Brief Julias unterrichtet würde. Er selbst konnte dann Leo aufklären, wenn er wollte. Und wenn er's nicht wollte, so war es ja besser für das kindliche Gemüth Leos, wenn es unberührt blieb von dem Thema eines unnatürlichen Streites, besser auch für Julia, deren Stolz sich dagegen sträubte, einen Vater für ihren Sohn zu erbitten oder zu erzwingen.
Sie kamen darin überein, Leo nichts zu sagen und den Brief so einzurichten, daß der Herzog von Friedland ihm ebenfalls nichts sagen sollte, wenn er nicht sein Vater wäre. Julia schrieb diesen Brief. Unbefangen, natürlich, ohne einen Hauch von Groll, ganz so wie ein Naturkind die Wechselfälle des Lebens ansieht, welche ihr Naturerscheinungen sind, und welche nichts zu thun haben mit den künstlichen Gesetzen der sogenannten bürgerlichen Gesellschaft.
Leo seinerseits ahnte nichts. Es war ihm ganz unverfänglich gewesen, daß ein Waldstein seinen Großvater gekannt haben sollte. Der Waldstein gab es wirklich sehr viele, das wußte er vom Pater Vitus, und der Brief, welchen ihm die Mutter mitgeben wollte, schien ihm unwichtig und mißlich. Wie sollte der gewaltige Herzog für solch' eine Zufälligkeit eine Theilnahme finden! Was konnte ihm der Empfehlungsbrief einer Mutter bedeuten! Tausendfach werde er ja mit solcher Ansprache behelligt sein.
Aber Leo wollte seiner guten Mutter nicht widersprechen, und als sie ihm den Brief einhändigte und ihn küßte, da dankte er herzlich und küßte sie wieder. Die gute, liebe Mutter! Was meinte sie nicht Alles noch bedenken und besorgen zu müssen im Laufe des zweiten Tages, da er am dritten Tage wieder fort wollte! Sogar eine kleine Geldsumme brachte sie hervor. »Durchaus nicht, liebe Mutter« – rief er – »baar Geld ist ja für Euch das Unentbehrlichste. Die Wirthschaft ernährt Euch, aber zum Verkauf bietet sie doch wenig oder nichts! Was vom baaren Vermögen des Großvaters noch übrig geblieben, das müßt Ihr Euch sparsam aufheben für einen Nothpfennig. Ich aber brauche ja nichts, Pater Vitus sorgt für mich, wie er seit Jahren gethan!« – Ein Pferd mußt Du doch haben, Leo, um nicht ganz armselig zu erscheinen in Prag! – »Das krieg' ich im Collegium. Wir haben Botenpferde von einem Collegium bis zum andern. Bei nächster Gelegenheit geht das wieder in seinen Stall zurück. Und mit einem hier gekauften Klepper könnt' ich doch nicht einreiten in den Friedländer'schen Palast! Dort ist man ganz andere Rosse gewöhnt.« – Nun denn für den Anzug! – »Pater Vitus hat mir einen machen lassen, der mich sehr stattlich auftreten läßt.« – Eigensinn! – »Deines Sohnes Sinn! Großvaters richtiger Enkelsohn, nicht wahr, Großmutter? Der ging auch unbedenklich in die Welt hinein, und mit dem kleinsten Gepäck. Nicht?« – Allerdings, denn er war eigensinnig und leichtsinnig wie Du. Komm her, Schelm, Du hast in den Augenwinkeln denselben lustigen Trotz wie er. Ich küss' Deinen Großvater in Dir. – »Bedanke mich. Und bedanke mich auch für die feinen Hemden und Halskragen, welche Ihr mir Beide gesponnen, gewebt, gebleicht, genäht und gestickt und dort ins Ränzel gesteckt habt, ich hab's wohl gesehen. Die sind mir sehr werthvoll. Ein gutes Hemd macht Einen zuversichtlich, und wenn die da zu reißen anfangen, dann bin ich wieder da und hol' mir neue, wie?« – Eher nicht? – »Ich glaube nicht. Ihr wohnt hier am Ende der Welt. Meine großen Thaten werden mich nicht hierher führen; ich werde ganz apart der Hemden wegen kommen müssen. Denn holen kann ich Euch doch erst, wenn ich auch ein Herzog bin, und ein paar Jahre wird's wol dauern bis dahin.« – Holen lassen wir uns gar nicht von Dir, Herr Herzog – rief die Großmutter. – »Hoheit! läßt sich der Herzog von Friedland nennen.« – Also von Holen ist keine Rede, Herr Hoheit, denn wir passen nicht in Eure »schiefe Welt«, wie Dein Großvater sie nannte. Wir leben und sterben hier an unserm See. – Zunächst aber, sagte lächelnd Julia, soll er uns noch Alles erzählen von dieser Welt, was er gestern Abend übergangen hat. Von Spanien und Frankreich, von Schweden und England und was Alles hineinspielt in den Lebenslauf, welchen er jetzt antritt, damit wir seine Briefe ordentlich verstehen.
Das that er redlich und redselig auch heute unter dem Nußbaume, und als der nächste Morgen kam, da gab's einen kurzen, herzhaften Abschied, bei welchem nur Julia nasse Augen hatte.
Ein slovenischer Bauer trug sein schwer gewordenes Ränzel bis nach Klagenfurt hinunter, und er selbst wanderte zuversichtlich dem Bauer voraus. Es war ein klarer, frischer Morgen, von den hohen Karawanken herab leuchtete der erste Schnee in der Morgensonne – nach hundert Schritten sah er zurück. Julia hob beide Arme in die Höhe; wie ein Pfeil flog er nochmals herbei, ließ sich von ihren Armen umschließen, herzte und küßte sie, die gute, gute Mutter, welche er so fröhlich liebte, und holte dann rasch seinen Bauer ein, mit ihm unter Bäumen verschwindend. Gelbe und rothe Blätter fielen von den Bäumen auf ihn nieder, denn die Morgenluft kam kühl vom Gebirge herab.