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Rheinische Rede

Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag
Drei Symptome des öffentlichen Geistes

20., 27., 28. September 1863

Freunde!

Nicht sowohl, um lange Reden, als besonders um Heerschau zu halten, bin ich zu Euch gekommen! Es war mir ein Bedürfnis, in die Provinz zu eilen, welche vermöge des Geistes ihrer Bevölkerung, vermöge vor allem eines in geistiger und materieller Beziehung hochentwickelten Arbeiterstandes, in noch weit höherem Grade selbst als Leipzig und Hamburg die wirkliche Residenz der Macht unseres Vereines bildet. Es war mir ein Bedürfnis, diese Macht in ihrer Entfaltung zu sehen. Darum danke ich Euch, daß Ihr in dieser Massenhaftigkeit Euch eingefunden. Ich konstatiere mit Wohlgefallen, daß trotz des greulichen Unwetters, trotz eines in Strömen niedergießenden Regens dieser Saal Tausende faßt, wie mich bereits viele Hunderte von Arbeitern am Bahnhofe erwarteten. – Aber es ist noch ein anderes Bedürfnis, das mich zu Euch getrieben, das Bedürfnis, Euch zu danken für die männliche, energische Weise, in welcher Ihr Euch gleich seit dem Anfang dieser Bewegung benommen.

Ihr erinnert Euch, die Fortschrittler hatten damals die elende Verleumdung verbreitet, in den einen Organen ihrer Partei, ich sei ein unbewußtes, in den andern, ich sei ein bewußtes und erkauftes Werkzeug der Reaktion! Und wahrhaftig, es ist ganz denkbar, daß einzelne unter ihnen wirklich hieran glaubten. Denn es wäre mindestens ganz begreiflich, wenn diese Eunuchen nicht zu begreifen vermögen, wie ein Mann allein sich erheben kann gegen alle, nichts hinter sich, weder die Regierung einerseits, noch Cliquen, noch Koterien, noch Zeitungsorgane andrerseits, auf nichts gestützt als auf die Prinzipien und auf sein Vertrauen zu der Kraft und dem gesunden Sinne des Volkes! Damals erhobt Ihr Euch in Unwillen und Entrüstung! Ihr kanntet mich! Ich hatte 10 Jahre unter dem Rheinischen Arbeiterstande gelebt, die Revolutionszeit wie die Zeit der weißen Schreckensherrschaft der fünfziger Jahre hatte ich mit Euch verbracht. Ihr hattet mich, wie Ihr mir in Euerer Adresse mit Recht zuruft, in der einen wie in der andern gesehen. Ihr wußtet, welches Haus trotz der weißen terreur von Hinkeldey-Westphalen, trotz aller wilden Rechtlosigkeit jener Zeit, und zwar bis zum letzten Augenblick meines Verweilens in der Rheinprovinz, das furchtlose Asyl demokratischer Propaganda, das treue Asyl der furchtlosesten und entschlossensten Parteihilfe gewesen war! Ihr wußtet auch, daß ich mich unmöglich habe ändern können. Mit der Schnelligkeit des Blitzes und mit einer imposanten Einmütigkeit erhobt Ihr Euch zum Schutze der von mir entrollten Fahne. Auf dem Provinzial-Handwerkertage zu Köln, den Arbeiterversammlungen zu Düsseldorf, Elberfeld und Barmen legtet Ihr Zeugnis ab! Es waren rühmliche Tage! Rühmlich durch die Entschlossenheit, Raschheit und Treue, mit der Ihr zu mir standet, zu mir, der ich seit 7 Jahren fern von Euch weilte, zu mir, den Ihr vergessen haben konntet, um so mehr, als ein neues Arbeitergeschlecht unter Euch aufgewachsen war, zu mir, der ich damals verschmähte, zu Euch zu eilen, weil ich sehen wollte, ob nicht hinreichende Prinzipientreue auch ohne persönlichen Antrieb unter Euch vorhanden sei. Und Ihr zeigtet es mir! Ihr zeigtet mir, daß Ihr ebenso treu zu mir hieltet, wie ich zu Euch, und das junge Arbeitergeschlecht – es war in den Traditionen des alten emporgewachsen!

Rühmlich nenne ich endlich jene Tage besonders deshalb, weil Ihr Eure Entscheidung trafet mit dieser Raschheit und Sicherheit, trotz des entgegenstehenden Einflusses und Zetergeschreies der gesamten Presse, selbst solcher Organe, welche bis dahin noch am meisten sich den Schein demokratischer Organe zu wahren gestrebt hatten.

Als ich mich in Berlin anschickte, das »Antwortschreiben« an das Leipziger Komitee drucken zu lassen, welches diese Bewegung hervorgerufen hat, da fielen mir meine besten Freunde mit dem Ausruf in den Arm: Sind Sie ein Rasender? Sie wollen eine solche Bewegung hervorbringen ohne – denn so stand die Sache damals noch – ohne auch nur ein einziges Blatt, ein einziges Organ für dieselbe zu haben? Ich antwortete: Ich bin kein Rasender! Eine Bewegung der Bourgeoisie freilich, die wäre ganz und gar unmöglich ohne Zeitungsorgane, denn der Philister ist gewohnt, sich seine Meinung von den Zeitungen machen zu lassen, er schwätzt abends beim Wein wieder, was er früh beim Kaffee gelesen hat, und er kann gar nicht anders. Im Wesen des Arbeiterstandes aber liegt es notwendig, sich von der Herrschaft der Presse emanzipieren zu können. Im Arbeiterstande lebt bereits sein tiefer Klasseninstinkt, welcher ihn fest und selbständig macht gegen alles, was eine elende Presse sagen möge. Im Arbeiterstande lebt bereits ein konsequentes und eigenes Selbstdenken, welches ihn unabhängig macht von allen Zeitungsschreibern der Welt. Dieses Vertrauen in das selbständige eigene Denken des Arbeiterstandes habt Ihr gerechtfertigt, und diese Bestätigung jenes Blickes, den ich in das Wesen Eurer Klasse geworfen hatte, gehört für mich zu den schönsten Erinnerungen jener Tage.

Indem Ihr Euch damals mit dieser Raschheit erhobt, habt Ihr nur Eure Pflicht getan. Ihr tatet nur Eure Pflicht, denn Ihr kanntet mich; Ihr tatet nur Eure Pflicht, denn ich selbst hatte mich ja für nichts anderes erhoben, als für dieselben Grundsätze, welche seit 15 Jahren das Band bilden, welches uns innerlich vereint. Aber so steht die Sache überhaupt im Leben, daß der Mensch nicht weniger und nicht mehr tun kann, als seine echte Pflicht. Und so ist aus dem lauten und öffentlichen Bekenntnis der Grundsätze, die uns seit je im stillen verbanden, ein neues Band geworden zwischen mir und Euch, ein Band, das niemals reißen soll! Wo auch äußere Rücksichten mich bestimmen zu leben, mit Herz und Seele, rheinische Arbeiter, weile ich immer unter Euch!

Ich habe Euch bereits gesagt, es ist nicht der Grund meiner Ankunft, endlose Reden zu halten. Was in ökonomischer und sozialer Hinsicht für jetzt zu sagen ist, es ist bereits gesagt in den letzten Publikationen, welche von unserm Vereine ausgegangen sind. Es ist gesagt in meiner Frankfurter Rede, welche ich seitdem unter dem Titel »Arbeiterlesebuch« habe erscheinen lassen. Es ist gesagt in meiner gleichfalls seitdem veröffentlichten Rede »Die indirekten Steuern und die Lage des Arbeiterstandes«. Es ist gesagt endlich in der trefflichen Broschüre unseres Kölner Bevollmächtigten, Herrn M. Heß, »Die Rechte der Arbeit«, eine Broschüre, deren Verbreitung ich Euch allen warm ans Herz lege. Diese Schriften, lest sie immer wieder, durchdenkt sie stets von neuem. Je öfter Ihr sie lest und durchdenkt, zu desto fruchtbareren und neuen Konsequenzen werden sie Euer eigenes Denken fortentwickeln. Die Männer, welche die Ehre haben sollen, Euch zu führen, dürfen keine Breittreter sein, keine Zänker und Schwätzer wie die Fortschrittler! Sie müssen Dinge sagen voll Mark und Inhalt, nicht ohne Unterlaß dasselbe wiederholen. An Euch ist es dann, sie ohne Unterlaß zu durchdenken. An dem Volke ist es, ihnen das tausendfältige Echo zu geben, dessen sie bedürfen!

Wenn ich daher im Hinweis auf jene Schriften und Reden in ökonomischer Hinsicht für heute nichts hinzuzufügen habe, so ist es dagegen meine Pflicht, in möglichster Kürze die politischen Ereignisse zu betrachten, die seit meiner Frankfurter Rede eingetreten sind.

Ihr wißt, wie diese Bewegung entstanden ist. Mein »Antwortschreiben« an das Leipziger Zentralkomitee ist nur die erste Erscheinung, nicht die erste innere Entstehungsursache dieser Bewegung. Diese erste ursprüngliche Entstehungsursache liegt in nichts anderem, als in dem Verhalten der Fortschrittler in der Preußischen Kammer. Als die Regierung das Budgetbewilligungsrecht der Kammer tatsächlich aufhob und trotz der von der Kammer verweigerten Ausgabeposten die Militärreorganisation eigenmächtig aufrechterhielt, da verlangte ich als ein Vertreter der demokratischen Partei in meiner Broschüre »Was nun?«, die Kammer möge erklären, daß, solange jene von ihr verweigerten Ausgaben dennoch stattfinden, eine Verfassung tatsächlich in Preußen nicht bestünde; und sie möge ferner deshalb beschließen, sich auf so lange zu vertagen und jede parlamentarische Verhandlung zu verweigern, bis die Regierung den Nachweis angetreten haben würde, daß sie die von der Kammer verweigerten Ausgaben eingestellt.

Dieses Verlangen, meine Freunde, es war nicht einmal ein besonders demokratisches zu nennen, es war nur das Verlangen einer würdigen, männlichen Haltung überhaupt. Schon vor 40 Jahren rief ein deutscher Dichter, den wir vor kurzem begraben haben, rief Ludwig Uhland dem Württembergischen Landtage zu:

»Und könnt Ihr nicht das Ziel erstreben,
So tretet in das Volk zurück,
Daß Ihr dem Rechte nichts vergeben,
Sei Euer einzig lohnend Glück.«

Ich sage, es war gar kein besonders demokratisches Verlangen. Vor kurzem haben wir die Schleswigsche Ständeversammlung in Flensburg genau in demselben Sinne, genau nach der Analogie jener Forderung handeln sehen, und zwar wegen einer verhältnismäßig noch weit geringfügigem Ursache. Die dänische Regierung hatte nämlich bei den Wahlen das Gesetz fälschlich interpretiert, und als jene Wahlen beanstandet wurden und der königliche Kommissar die Sache nicht zur Abstimmung bringen wollte, trat die gesamte Linke aus und machte dadurch jene Ständeversammlung beschlußunfähig. Das haben auch unsre Fortschrittler nirgends getadelt, sie haben es im Gegenteil in manchen ihrer Blätter immerhin gelobt und als eine männliche Handlung anerkannt. Aber schon dieses Minimum von Würde war zuviel verlangt von einer Partei, die in der Politik und den Rechten des Volkes nur einen Anlaß zu eitlem, törichtem Geschwätz und persönlicher Wichtigtuerei, nicht einen Gegenstand ernsten männlichen Handelns sieht! Ein einziger Abgeordneter, der infolge dessen aus der Kammer austrat – er ist seitdem unser Bevollmächtigter für Ostpreußen – ein einziger Abgeordneter stellte diesen Antrag. Er fand nicht einen einzigen Genossen zur Unterschrift! Da war mein Entschluß gefaßt! Seit 1849, 14 lange Jahre, hatten wir die liberale Partei gewähren lassen. Hatten sich auch unsre Massen im allgemeinen bei den Wahlen nicht beteiligt, so hatten wir doch alles unterlassen, was diese Partei hätte beeinträchtigen, stören, gefährden können. Mit einer Selbstverleugnung ohnegleichen hatten wir alles, jedes eigene Auftreten, jede eigene Forderung, alles, alles vermieden, was dieser Partei den Schein hätte entziehen können, daß sie es sei; welche über die Massen des Volkes verfüge! Jetzt endlich mußte für alle Welt ersichtlich sein, daß auf diese 14 Jahre erfolglosen Wartens noch hundertmal 14 andere Jahre gleichen erfolglosen Wartens folgen müßten, wenn wir diese Partei weiter gewähren und sich als »das Volk« gebärden ließen! Jetzt endlich mußte für jeden Denkenden ersichtlich sein, daß diese Schwächlinge es niemals vermögen würden, der Freiheit eine Gasse zu brechen!

Jetzt konnte uns keine Rücksicht mehr abhalten, jetzt war uns nicht einmal mehr eine Wahl geblieben, jetzt war der Augenblick gekommen, uns auch äußerlich als das zu konstituieren, was wir innerlich seit je waren: als eine selbständige, besondere Partei! Ja, jetzt war dies zur Ehrenpflicht für uns geworden, wir konnten nicht länger den Schein dulden, einer Partei anzugehören, welche bis in diesen Abgrund schmachvoller Schwäche versunken war! Wir hatten unsere Ehre, wir hatten die Ehre des Landes zu retten!

Dieses Motiv war für mich so gebieterisch, daß ich, und wäre ich allein geblieben mit meinem Proteste, dennoch stets mit Stolz und Befriedigung auf ihn zurückgeblickt hätte. Aber ich bin nicht allein geblieben! Es hat sich wiederum gezeigt, daß, wenn jemand nur den Mut hat, die Prinzipien anzurufen, das Echo aus der Brust des Volkes ihm tausendfach antwortet. Tausende und Tausende haben eingestimmt in diesen Protest, unser Verein selbst ist aus ihm hervorgegangen! Schon dadurch allein haben wir Großes getan. Wenn späte Geschichtsschreiber die traurige Geschichte dieser Tage schreiben werden, nun, so werden sie sagen: Aber es gab wenigstens Männer, die sich mit Zorn und Ingrimm erhoben gegen diese Schmach! Wir haben es diesen Geschichtsschreibern erspart zu sagen: Und es war nicht ein Mann in Deutschland, der protestiert hätte gegen solche Schmach!

Was sich seitdem zugetragen hat, hat natürlich die grenzenlose Schwäche der Fortschrittspartei in nur immer grellerem Lichte erscheinen lassen. Es ist wahr, Herr v. Bismarck hat einen großen Fehler, einen Fehler zum Teil gegen sein eigenes Interesse begangen, indem er die Kammern im Mai vertagte. Wenn er sie hätte weiter sitzen, immer sitzenlassen, sitzen bis heute, wenn sie heute noch säßen, immer dasselbe schwatzend und beschließend, während die Regierung immer mit demselben ruhigen Lächeln tatsächlicher Verachtung über ihre Beschlüsse dahinginge, – – nun wahrhaftig, das Volk wäre schon durchdrungen von Ekel über eine solche Vertretung! Diese Stimmung begann bereits in Berlin in den letzten Tagen vor dem Vertagungsdekret mächtig um sich zu greifen, und zwar sowohl außerhalb als innerhalb der Kammer. Die noch etwas Besseren unter den Fortschrittlern wußten vor Ekel über sich selbst nicht mehr wohin, und die große Masse derselben fing an, eine bedenkliche Neigung zu zeigen, zur Regierung überzulaufen. Ja, ein Fortschrittsblatt selbst, die »Rheinische Zeitung«, hat vor kurzem eingestanden, wenn die Vertagung damals nicht eingetreten wäre, so würde das Land kuriose Dinge an seinen Vertretern erlebt haben.

Da kam die Vertagungsordonnanz des Herrn v. Bismarck eine Vertagung, für welche viele der Fortschrittler dem Herrn v. Bismarck innerlich auf ihren Knien dankten – und rettete sie für den Moment aus dieser falschen, unmöglichen Situation, in die sie sich hineingearbeitet hatten!

Aber trotz dieses Fehlers gegen sein eigenes Interesse, den Herr v. Bismarck beging, ist die grenzenlose Schwäche und Unfähigkeit jener Partei seitdem natürlich in den zahlreichsten Ereignissen zutage getreten.

Ich erinnere zuerst an das rheinische Abgeordnetenfest zu Köln und Rolandseck, das Ihr in Eurer nächsten Nähe habt vorübergehen sehen. Es waren die Saturnalien der deutschen Bourgeoisie, die Ihr da hättet mit ansehen können! Und nicht in Köln allein, wohin das Auge sah in Deutschland, wohin der Blick fiel in deutschen Zeitungen, – überall las, sah, hörte man von Festen, Veranstaltung von Festen, Beschickung von Festen etc. Ist es erhört? Was feierten diese Merkwürdigen? Während die Lage des Landes so ist, daß man in Sack und Asche gehen sollte, feiern sie Feste! Feste, wie sie etwa die Franzosen zu feiern pflegen nach ihren siegreichen Revolutionen, sie feiern sie nach ihren Niederlagen! Um sich den reellen Kampf zu ersparen, feiern sie Feste, stimmen die Geschlagenen hinter Wein und Braten Siegeshymnen an!

Ja, es ist dieselbe Umkehr wie bei den römischen Saturnalien! Wie sich dort die Sklaven zu Tische setzten und als die Herren gebärdeten, so setzen sich heutzutage die Besiegten zu Tische und gebärden sich in pomphaft-geschmacklosen Anerkennungs-Toasten als die Sieger! Und wie die römischen Sklaven schon durch die Saturnalien zeigten, daß sie sich durch diese illusorische Freiheit eines Tages willig abfanden mit der Sklaverei eines ganzen Jahres, so zeigen auch unsre Fortschrittler schon durch ihre illusorischen Siegesfeste jedem Tieferblickenden hinreichend, daß sie auf den reellen Kampf und Sieg verzichten. Als Spartakus mit den Seinen das Banner des römischen Sklavenaufstandes erhob, um aus Sklaven freie Männer zu machen, da feierte er keine Saturnalien mehr!

 

Aber ein noch viel verhängnisvolleres Symptom der völligen Auflösung und Fäulnis der Fortschrittspartei, – das ist die Presse. Ich berühre hier einen Punkt von der größten Wichtigkeit und von dem ich nur bedauere, daß ich ihn trotz aller Ausführlichkeit, die ich ihm widmen werde, immer noch nicht ausführlich genug behandeln kann. Eines müssen Sie ohne Unterlaß festhalten, ohne Unterlaß verbreiten: Unser Hauptfeind, der Hauptfeind aller gesunden Entwicklung des deutschen Geistes und des deutschen Volkstums, das ist heutzutage die Presse! Die Presse ist in dem Entwicklungsstadium, auf welchem sie angelangt ist, der gefährlichste, der wahre Feind des Volkes, ein um so gefährlicherer, als er verkappt auftritt. Ihre Lügenhaftigkeit, ihre Verkommenheit, ihre Unsittlichkeit werden von nichts anderem überboten als vielleicht von ihrer Unwissenheit.

Die Lügenhaftigkeit dieser Presse haben Sie im Kampfe gegen unsern Verein am besten erfahren, und doch wissen auch nur die wenigsten von Ihnen auch nur den allergeringsten Teil dessen, was in dieser Hinsicht vorgekommen! Täglich Lügen, Lügen in reinen puren Tatsachen, Tatsachen erfunden, Tatsachen in ihr Gegenteil entstellt – das waren die Waffen, mit denen man uns bekämpfte! Und was der Schamlosigkeit die Krone aufsetzte, war, daß man sich in den allermeisten Fällen weigerte, auch nur eine Berichtigung zu bringen. Es waren die seltensten Ausnahmefälle, in denen hin und wieder einmal ein liberales Blatt sich dazu entschloß. Ich würde kein Ende finden, wenn ich Euch diese Fälle aufzählen wollte. Aber die Presse hat ihre Verkommenheit nicht nur gegen uns, sie hat sie in ebenso hohem Grade nach der andern Seite hin bewiesen, durch die unerhörte Feigheit, die sie gegen ihre andern Feinde, die sie gegen die Verwarnungsordonnanz und die Verwarnungen des Herrn v. Bismarck an den Tag gelegt hat. Und das ist das zweite Symptom des öffentlichen Geistes, das ich beleuchten will. Als die Verwarnungsordonnanz erschien, durch welche die Preßfreiheit geknebelt wurde, da, statt gegen diese Vergewaltigung nur um so intensiveren Widerstand zu üben, warfen sich alle liberalen Blätter platt auf den Bauch. »Und stille ward's, über des Wassers Rand«! Kein Wort des Angriffs mehr über die innern Zustände; ja die meisten von ihnen, wie zum Beispiel die »Berliner Volks-Zeitung«, die »National-Zeitung« usw., erklärten ausdrücklich, daß sie unter diesen Umständen sich genötigt sähen, über die innere Politik zu schweigen. Sie schwiegen, diese Elenden, jetzt, wo ihnen ein um so stärkerer Grund zum Angriff gegeben war, sie schwiegen jetzt, wo ihnen Sprechen dreimal Pflicht war!

Der Gipfel der Schamlosigkeit aber ist der, daß die Zeitungen selbst mit der ungeniertesten Offenheit ihr Geldinteresse als den Grund ihres Schweigens eingestanden. Es war die »Rheinische Zeitung«, – jene unwürdige Namensschwester zweier größer Organe, welche das Rheinland 1843 und 1848 besessen hat und welche eine Ehre des Rheinlandes bildeten – es war die »Rheinische Zeitung«, sage ich, welche mit dieser naiven Enthüllung voranging! »Wie kann man«, rief sie aus, als ein lautes Murren in der Masse der Fortschrittspartei selbst über diese Feigheit der Blätter begann, »wie kann man den Verlegern zumuten, daß sie ihr Kapital riskieren, das in der Zeitung steckt?« Freilich! was ist heiliger als das Verlegerkapital! Ja, mit jener schamlosen Verdreherei aller Begriffe, die unsern Zeitungen schon seit lange geläufig ist, konstruierte man es jetzt geradezu als die Pflicht der Zeitungen, um Gottes willen nicht durch ein männliches Wort das heilige Verlegerkapital zu gefährden! Es ist das gerade so, als wenn ein Soldat – und Soldaten, Vorkämpfer der Freiheit wollen und sollen ja die Zeitungen sein – als seine erste Pflicht die aufstellte, sich um keinen Preis der Gefahr auszusetzen, daß ihn eine Kugel treffe!

So kam es denn, daß trotz des besten Willens und mindestens bis auf den heutigen Tag – mit Ausnahme eines Lokalblattes in der polnischen Provinz – Herr v. Bismarck auch nicht ein einziges liberales Blatt hat unterdrücken können! So kam es, daß unsre liberalen Zeitungen, diese modernen Falstaffs, die aber nur so feige und verlumpt sind wie Falstaff, nicht seinen Humor besitzen, noch alle glücklich am Leben sind! So kam es aber freilich auch, daß damals zum ersten Male offen eingestanden wurde, daß – was freilich den Eingeweihten seit lange kein Geheimnis mehr war – unsre Zeitungen, statt Soldaten und Vorkämpfer der Freiheit zu sein, nichts sind, als eine industrielle Kapitalanlage und Geldspekulation!

Selbst die reaktionären Blätter wußten damals ihrem Erstaunen und ihrer Entrüstung über dieses Gebaren kaum hinreichenden Ausdruck zu geben. Wie? rief die »Berliner Revue« aus, ein hochkonservatives Blatt, wie, das sind Feinde, die beim ersten Trompetenstoße davonlaufen? Wie? mit diesem unerhörten Zynismus wird offen eingestanden, daß es sich bei den Zeitungen um nichts als eine Geldspekulation handelt?

Es kann gefragt werden: Aber was hätten die Zeitungen tun sollen?

Die Antwort hierauf kann nicht zweifelhaft sein. In geschlossener Phalanx und mit gepanzerten Angriffen hätten alle liberalen Zeitungen auf die Regierung eindringen, die Kühnheit der Regierung durch ihre eigene Kühnheit noch überbieten und die Regierung gleichsam beim Worte nehmen müssen, ihre Drohung auszuführen, indem jedes liberale Blatt aus allen andern Blättern die Artikel abdruckte, welche zu Verwarnungen Anlaß gaben. Sie hätten verstehen müssen, was bei den politischen Parteikämpfen so häufig das Wichtigste ist, mit Ehren zu sterben!

Dann konnten nur zwei Fälle eintreten. Entweder die Regierung hatte wirklich die Kühnheit, alle liberalen Blätter zu verbieten, nicht bloß dieses oder jenes, sondern alle liberalen Blätter, wozu sie gezwungen war, wenn jedes Blatt aus allen andern die Artikel abdruckte, die zu Verwarnungen Anlaß gaben. Und dann war die Grundlage zu einer wahrhaften Agitation gegeben! Denkt Euch die Aufregung, die den Philister erfaßt hätte, wenn er in Berlin die »Volkszeitung«, die »Voßische Zeitung« und jenes langweiligste aller Organe, die »National-Zeitung«, wenn er im Rheinland die »Kölnische« und »Rheinische Zeitung«, und so überall, nicht mehr beim Kaffee gefunden hätte. Die »Kreuzzeitung« und ähnliche Blätter, die liest er nun einmal nicht, die haßt er nun einmal! Denkt Euch also seinen steigenden Ingrimm, wenn er den Kohl nicht mehr gefunden hätte, an den er gewohnt ist! Denkt Euch zugleich, wie tief einschneidend es in die gesamten Interessen des kleinen Handels- und Gewerbestandes eingegriffen hätte, wenn er plötzlich die großen Blätter und mit ihnen den gesicherten Leserkreis seiner Annoncen, Inserate und marktschreierischen Reklame hätte entbehren müssen! Bei den politischen Kämpfen handelt es sich vor allem darum, die Indifferenten zu gewinnen und zu erbittern, möglichst große Massen in Mitleidenschaft zu ziehen – das ist der einzige und naturgemäße Weg für jeden, der da siegen will.

Hätte die große liberale Partei, wie sie sich zu nennen liebt, hätte sie diese Taktik angewendet, hätte sie die Kühnheit besessen, die Kühnheit der Regierung noch zu überbieten, dann könnte es vielleicht selbst fraglich erscheinen, ob die Regierung ihrerseits die Kühnheit gehabt haben würde, ihre Drohung auszuführen, und mit einem Schnitte alle liberalen Organe des Landes zu amputieren! Und hatte sie diesen Mut, nun, so trat die bereits geschilderte Wirkung, die tiefe Verbitterung des Landes ein.

So aber freilich hat unsere Regierung die Presse in den Staub getreten, und zum Schweigen gebracht, ohne daß es ihr auch nur einen einzigen reellen Einsatz gekostet hätte! Das Geheimnis der Stärke unserer Regierung besteht bis jetzt in der elenden Schwäche ihrer Gegner! Die Reaktion wird stets in der leichtesten Weise gewonnenes Spiel haben, solange sie es mit solchen Gegnern zu tun hat!

Freilich aber! Eine solche Taktik, wie ich sie hier geschildert habe, von unsern Fortschrittlern im Ernste zu fordern oder auch nur für möglich zu halten, müßte in den Augen eines jeden, der das Wesen unserer Fortschrittsblätter kennt, als der höchste Grad denkbaren Wahnsinns erscheinen. Aber eben deshalb ist damit nichts anderes bewiesen, als die totale Unfähigkeit der Fortschrittler zu jedem politischen Kampfe. Eine Partei, die ihre wichtigste Position nicht mit ihren Toten zu bedecken weiß, um sie zu verteidigen, – eine solche Partei hat keine Möglichkeit des Sieges für sich! Einer solchen Partei bleibt nichts übrig, als bei jedem Angriff von neuem davonzulaufen!

Eine solche Partei und Presse verdient es nicht einmal, daß man sie bedauere bei allen lautschallenden Schlägen, mit welchen die Regierung ihren Rücken bedeckt. Was sich seiner Haut gar nicht zu wehren weiß, nun, das hat auch keine Existenzberechtigung, das verdient auch nicht, daß es lebt!

Man kann, sage ich, nicht einmal das geringste Bedauern für diese Presse empfinden trotz aller Gewaltmaßregeln der Regierung, und zwar würde man selbst dann nicht die geringste Sympathie für sie fühlen können, wenn sie sogar wirklich die hohen und reinen Ziele verfolgte, die sie zu verfolgen vorgibt, was, wie Ihr wißt, nicht der Fall ist. Wir könnten, sage ich, keine Sympathie für sie empfinden, und sogar dann nicht, wenn sie unsere eigenen Ziele verfolgte, wovon, wie Ihr wißt, das Gegenteil stattfindet. Denn gleichviel welche Ziele sie auch verfolgte – welches Interesse soll man für Männer empfinden, welche bei jedem Angriffe davonlaufen, für Kämpfer, welche jeden Hieb statt mit der Brust nur mit dem Hintern parieren? Welche Sympathie würde wohl der Widerst d der Polen gegen Rußland in Europa erweckt haben, wenn die Polen als ersten Grundsatz aufgestellt: »Vor allen Dingen muß unsre Person und sogar unser Kapital unverletzt bleiben«, und nun infolgedessen jedesmal davongelaufen wären, so oft sich ein Kosak zeigte? Welche anderen Gefühle kann ein derartiges Schauspiel erregen, als die der lachenden Verachtung, des Widerwillens und des Ekels über solche Helden!

Ja, gerade je höher und reiner die Ziele solcher Männer wären, desto höher müßte die Verachtung steigen, daß nicht einmal so hohe Ziele eine männlichere Haltung in ihren Verfechtern zu erzeugen vermögen, und der einzige halbe Milderungsgrund, der sich für das Verhalten der Fortschrittler auftreiben läßt, ist in der Tat gerade der, daß es sich bei ihren Zwecken in letzter Analyse um nichts anderes handelt, als darum, eine Handvoll Leute zu höherer Geltung zu bringen. So jämmerlich mittelmäßige Zwecke können aber auch nur eine so jämmerlich mittelmäßige Haltung erzeugen; nur eine große Idee, nur die Begeisterung für gewaltige Zwecke erzeugt Hingebung, Opfermut, Tapferkeit!

Ich habe zuerst die vollkommene Lügenhaftigkeit, dann die namenlose Feigheit und Unsittlichkeit unsrer großen liberalen Presse betrachtet; soll ich jetzt noch drittens die absolute Unfähigkeit, die staunenswerte und alle Eure Vorstellungen überschreitende Unwissenheit unsrer Zeitungsschreiber, dieser geistigen Vorkämpfer, nachweisen? Das habe ich nicht mehr nötig, denn ich habe sie bereits lange vor der gegenwärtigen Bewegung, heute vor 1 Jahren, in meinem »Julian der Literarhistoriker« unter dem rauschenden Beifall der größten Gelehrten und Denker Deutschlands, die mir dafür mündlich und brieflich die Hand schüttelten, enthüllt und nachgewiesen. Auf jene Schilderung verweise ich Euch. Ich habe dort nachgewiesen, wie sie in ihrer wüsten Unwissenheit den Geist des Volkes verpesten, ihn in ihrer frivolen Gedankenlosigkeit, in ihrem metiermäßigen Haß gegen alles Große und Bedeutende systematisch untergraben. Und zwar habe ich das nachgewiesen an Julian Schmidt, dem Chefredakteur der »Berliner Allgemeinen Zeitung«, als an einem der unbestreitbar noch gebildetsten und bedeutendsten unter den Zeitungsschreibern. Ich ließ ihn, wie ich gleich damals im Vorwort ausdrücklich erklärte, nicht als Person, sondern nur als den Chef und Primas, als den gefeierten Literarhistoriker und gesalbten König dieser ganzen Bande Spießruten laufen. Nur um den geistigen Typus seiner ganzen Gattung an ihm zu kennzeichnen, erklärte ich, ihn herauszugreifen und zu behandeln.

Das ganze Geschlecht der Zeitungsschreiber ächzte damals unter diesem gegen die ganze heutige Presse geführten Streich. Die meisten verbissen ihre Wut. Als mein »Antwortschreiben« erschien, glaubten viele dieser Ärmsten eine Gelegenheit zur Rache gefunden zu haben, und das war ein Grund mehr, der unsere Zeitungsschreiber so wütig und schamlos gegen mich auftreten ließ.

An Julian konnte man doch noch mit Ehren einen solchen Nachweis führen. Wer aber sollte sich zum Beispiel dazu überwinden, die zugleich widerlichste und komischste Erscheinung unserer Tage, die »Berliner Volkszeitung« und ihren Redakteur, Herrn Bernstein, zu charakterisieren, einen gewesenen Leihbibliothekar, der in seinem Geschäft die Lektüre seiner Leihbibliothek profitiert hat und damit die Bildung erlangt zu haben glaubt, die erforderlich ist, um ein großes Volk zu führen? Ein Mann, der täglich über Gott und die Welt und noch vieles andere Leitartikel schreibt und dies nur deshalb kann, weil er in seiner glücklichen Unwissenheit gar nicht ahnt, wie. ihm auf jedem Schritt und Tritt alle Elemente fehlen. Ein Mann, der nicht einmal Deutsch zu schreiben vermag, sondern durch ein eigentümliches Kauderwelsch, das er seinen Lesern eingibt, das sogenannte Jüdisch-deutsch – kein Satz ohne grammatikalische Fehler – dem Volke langsam und sicher sogar noch seine Sprache und deren Genius verdirbt!

Und doch ist gerade dieses Blatt noch immer das gelesenste politische Blatt in ganz Deutschland. Es hatte mindestens vor kurzem noch 33 000 Abonnenten, von denen es allerdings in der letzten Zeit 8000 verloren haben soll, eine freudige Erscheinung, an welcher, wie ich hoffe, unsere Bestrebungen vielleicht nicht ohne großen Anteil sind. Aber auch so ist es noch immer eins der gelesensten politischen Blätter Deutschlands. Je schlechter heute ein Blatt, desto größer ist sein Abonnentenkreis. Das sind ernste, sehr ernste Erscheinungen, und ich nehme, die Seele voll Trauer, keinen Anstand zu sagen: Wenn nicht eine totale Umwandlung unsrer Presse eintritt, wenn diese Zeitungspest noch 50 Jahre so fortwütet, so muß dann unser Volksgeist verderbt und zugrunde gerichtet sein bis in seine Tiefen! Denn Ihr begreift: Wenn Tausende von Zeitungsschreibern, dieser heutigen Lehrer des Volks, mit 100 000 Stimmen täglich ihre stupide Unwissenheit, ihre Gewissenlosigkeit, ihren Eunuchenhaß gegen alles Wahre und Große in Politik, Kunst und Wissenschaft dem Volke einhauchen, dem Volke, das gläubig und vertrauend nach diesem Gifte greift, weil es geistige Stärkung aus demselben zu schöpfen glaubt, nun, so muß dieser Volksgeist zurunde gehen und wäre er noch dreimal so herrlich! Nicht das begabteste Volk der Welt, nicht die Griechen, hätten eine solche Presse überdauert! Und Ihr begreift, daß, wenn auch fünf, zehn, zwölf unterrichtete ernsthafte und tüchtige Männer unter dieser Bande wären, dies an dem Gesagten nichts ändern kann, da ihre Stimme machtlos verhallen muß in dem Schwall und Geräusch ihrer Kollegen.

Hier aber unterbreche ich mich. Wenn ich so trübe sähe, könntet Ihr fragen, wo wäre dann das Mittel der Rettung? Denn selbst in einem demokratischen Staate, selbst nach einer glücklichen Revolution, wäre, – so scheint es und so könntet Ihr einwerfen – die Presse damit noch nicht geändert.

Es ist mir dreifache Pflicht, Euch hierauf Rede zu stehen! Pflicht, um die trübe Fernsicht zu verscheuchen, die ich soeben vor Euch heraufbeschworen habe, Pflicht, um Euch zu zeigen, daß die sozialdemokratische Idee auch hierfür ihre Heilmittel in sich trägt! Pflicht deshalb endlich, weil es nützlich ist, die sozialdemokratischen Forderungen so früh als möglich im Volke zu verbreiten, damit sie im geeigneten Augenblicke um so weniger auf Hindernisse stoßen!

Wie also, frage ich, ist es möglich, eine totale Umwandlung unserer Presse in ihrem innersten Wesen herbeizuführen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zuvor klarmachen, was eigentlich den Verfall unsrer Presse herbeigeführt hat.

Ich kann Euch hier nicht die Geschichte der europäischen Presse geben. Genug, einst war sie wirklich der Vorkämpfer für die geistigen Interessen in Politik, Kunst und Wissenschaft, der Bildner, Lehrer und geistige Erzieher des großen Publikums. Sie stritt für Ideen und suchte zu diesen die große Masse emporzuheben. Allmählich aber begann die Gewohnheit der bezahlten Anzeigen, der sogenannten Annoncen oder Inserate, die lange gar keinen, dann einen sehr beschränkten Raum auf der letzten Seite der Zeitungen gefunden hatten, eine tiefe Umwandlung in dem Wesen derselben hervorzubringen. Es zeigte sich, daß diese Annoncen ein sehr ergiebiges Mittel seien, um Reichtümer zusammenzuschlagen, um immense jährliche Revenüen aus den Zeitungen zu schöpfen. Von Stund an wurde eine Zeitung eine äußerst lukrative Spekulation für einen kapitalbegabten oder auch für einen kapital-hungrigen Verleger. Aber um viele Anzeigen zu erhalten, handelte es sich zuvörderst darum, möglichst viele Abonnenten zu bekommen, denn die Anzeigen strömen natürlich in Fülle nur solchen Blättern zu, die sich eines großen Abonnentenkreises erfreuen. Von Stund an handelte es sich also nicht mehr darum, für eine große Idee zu streiten, und zu ihr langsam und allmählich das große Publikum hinaufzuheben, sondern umgekehrt, solchen Meinungen zu huldigen, welche, wie sie auch immer beschaffen sein mochten, der größten Anzahl von Zeitungskäufern (Abonnenten) genehm sind. Von Stund an also wurden die Zeitungen, immer unter Beibehaltung des Scheins, Vorkämpfer für geistige Interessen zu sein, aus Bildnern und Lehrern des Volkes zu schnöden Augendienern der geldbesitzenden und also abonnierenden Bourgeoisie und ihres Geschmackes, die einen Zeitungen gefesselt durch den Abonnentenkreis, den sie bereits haben, die anderen durch den, den sie zu erwerben hoffen, beide immer in Hinsicht auf den eigentlichen goldenen Boden des Geschäftes, die Inserate.

Von Stund an wurden also die Zeitungen nicht nur zu einem ganz gemeinen, ordinären Geldgeschäfte, wie jedes andere auch, sondern zu einem viel schlimmeren, zu einem durch und durch heuchlerischen Geschäfte, welches unter dem Scheine des Kampfes für große Ideen und für das Wohl des Volkes betrieben wird.

Habt Ihr einen Begriff von der depravierenden Wirkung, die diese täglich fortgesetzte Heuchelei, dieses Pfaffentum des 19. Jahrhunderts, allmählich auf Verleger und Zeitungsschreiber hervorbringen mußte?

Noch ganz andere Wirkungen aber mußten in einer Zeit erhitzter politischer Parteikämpfe eintreten. Von vornherein konnten natürlich die Zeitungen in diesem Kampfe nichts anderes vertreten als alle Vorurteile der besitzende Klassen, unter denen ja bei weitem die meisten Abonnenten sind, die wieder die Inserate nach sich ziehen. Aber das ist noch das wenigste. Eine noch weit verderblichere Konsequenz war folgende: Ein Schriftsteller von Ehre würde sich lieber die Faust abhacken, als das Gegenteil von dem sagen, was er denkt; ja sogar als, insofern er einmal schreibt, das nicht sagen, was er denkt. Kann er es schlechterdings nicht, und in keiner Wendung, ausdrücken, so zieht er sich lieber zurück und schreibt gar nicht. Bei den Zeitungen ist dies ausgeschlossen durch das lukrative Zeitungsgeschäft. Sie müssen fort erscheinen, das Geschäft bringt es einmal so mit sich. Was also unsre Regierungen seit 1848 auch anfangen mochten, die Zeitungen waren von vornherein durch das Geschäft darauf angewiesen, jeden Kompromiß mit der Regierung zu schließen, ihr nur die Art von Opposition zu machen, welche die Regierung selbst noch wollte oder zuließ! Das Geschäft bringt es einmal so mit sich! Hieraus entsprangen seit 1848 eine Reihe der schimpflichsten Kompromisse unserer Blätter mit der Regierung. Dinge, die gar zu wunde Punkte für die Regierung bildeten, berührte man gar nicht; Dinge, welche man berührte, berührte man nur soweit, soweit die Regierung eine solche Berührung noch zu ertragen beliebte. Ja, man bezahlte unter Hinkeldey-Westfalen häufig von Seiten der Presse heimlich eine Art Leute, welche vermöge ihrer Stellung den Zeitungen darüber berichten sollten, über welche Punkte und bis zu welcher Grenze die Regierung wohl eine Opposition ertragen würde oder nicht. Oh, Ihr werdet staunen, wenn der Augenblick gekommen sein wird, wo alle die Enthüllungen gemacht sein werden, welche die Geschichte eines Tages hierüber einzuregistrieren haben wird!

Aber damit noch immer nicht genug! Die ganze Reihe dieser persönlichen Konzessionen, welche die Zeitungsschreiber rein um ihres Geschäftes willen der Regierung machten, die Zeitungsschreiber konnten sie natürlich nicht als solche rein persönliche Konzessionen um des Geschäftes willen gemacht eingestehen, weil sonst die Verachtung des Volkes, der Verlust von Lesern, Abonnenten und Inseraten die unausbleibliche Folge gewesen wäre.

Blieb also nichts übrig, als diese rein geschäftlichen Konzessionen als ebenso viele neue Standpunkte des allgemeinen Geistes dem Volke vorzudemonstrieren und aufzudrängen, sie als Entwicklungen und heilsame Kompromisse des Volkslebens darzustellen und so den Volksgeist selbst bis auf den Grad zu entmannen und zu verwässern, welcher für die Fortsetzung des lukrativen Zeitungsgeschäftes erforderlich war! Daher jener Rückschritt des Volksgeistes in allen Gebieten des öffentlichen Lebens seit 1848, daher jene kontrerevolutionäre Stimmung desselben, die man solange künstlich großgezogen hat, daher jene Entmannung desselben, die 1858 in dem »Neuen-Ära-Schwindel« – gleichfalls einer Erfindung unserer liberalen Zeitungen und der »Berliner Volkszeitung« vor allen – wie in einem abschreckenden Aussatze zutage trat!

Zugleich könnt Ihr Euch selbst denken, welche entsittlichenden Folgen das geschilderte Verfahren täglich auf den Charakter der Zeitungsschreiber weiter hervorbringen mußte, welche frivole Verachtung gegen sich selbst, gegen alle ideellen Zwecke, gegen Leser und Volk, das sich jenen Humbug geduldig aufbinden ließ, jene tägliche Gewohnheit der Selbsterniedrigung zur Folge haben mußte.

Wenn es also zum Beispiel unserer Regierung einfiele, zu verordnen: Keine Zeitung darf ferner erscheinen, welche nicht mit fingergroßen Buchstaben die Überschrift trägt: »Das Volk ist eine Kanaille«, nun, so ist gar keinen Augenblick zu zweifeln – denn das Geschäft bringt es so mit sich! –, daß unsre liberalen Blätter erscheinen würden mit der fingergroßen Überschrift: »Das Volk ist eine Kanaille!« Und nicht nur das, sondern sie würden uns jetzt auch noch beweisen, daß das gerade der höchste Grad echter Überzeugungstreue und wahrer Liebe zum Volke sei, daß es der notwendige neue Kompromiß des öffentlichen Geistes sei, zu sagen: Das Volk ist eine Kanaille!

Wenn jemand Geld verdienen will, so mag er Cotton fabrizieren oder Tuche oder auf Börse spielen. Aber daß man um schnöden Gewinstes willen alle Brunnen des Volksgeistes vergifte und dem Volke den geistigen Tod täglich aus tausend Röhren kredenze – – es ist das höchste Verbrechen, das ich fassen kann!

Denkt Euch aber noch weiter die notwendige Rückwirkung, welche die geschilderte Arbeit der Zeitungen auf die Beschaffenheit der Zeitungsschreiber selbst ausüben muß. Ihr wißt, wie der Arbeiter die Arbeit, so bestimmt wieder in hohem Grade wechselwirkend die Arbeit die Beschaffenheit des Arbeiters. Das lukrative Annoncengeschäft hat den Zeitungseigentümern die Mittel gegeben, ein geistiges Proletariat, ein stehendes Heer von Zeitungsschreibern zu unterhalten, durch welches sie konkurrierend ihren Betrieb zu vergrößern und ihre Annonceneinnahmen zu vermehren streben. Aber wer soll unter dieses Heer gehen, wer, der sich selber achtet, wer, der nur irgendwelche Befähigung zu reellen Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft, des Gedankens oder des bürgerlichen Lebens in sich fühlt? Ihr, Proletarier, verkauft Euren Arbeitsherrn doch nur Eure Zeit und materielle Arbeit. Jene aber verkaufen ihre Seele! Denn der Korrespondent muß schreiben, wie der Redakteur und Eigentümer will; der Redakteur und Eigentümer aber, was die Abonnenten wollen und die Regierung erlaubt! Wer aber, der ein Mann ist, würde sich zu einer solchen Prostitution des Geistes hergeben? Ferner bedenkt die zerrüttenden Folgen, welche diese metiermäßige Beschäftigung noch in anderer Hinsicht nach sich zieht. Ihr, Proletarier, verkauft Euch doch nur zu einem Geschäft, das Ihr kennt und versteht, jene aber, die geistigen Proletarier, müssen täglich lange Spalten füllen über tausend Dinge, über Politik, Recht, Ökonomie, Wissenschaft, über alle Fächer der Gesetzgebung, über diplomatische und geschichtliche Verhältnisse aller Völker. Ob man das Hinreichende, ob man das Geringste davon verstehe oder nicht – die Sache muß behandelt, die Zeitung gefüllt sein, das Geschäft bringt es so mit sich! Dazu der Mangel an Zeit, die Dinge näher zu studieren, in Quellen und Büchern nachzuforschen, ja selbst nur sich einigermaßen zu sammeln und nachzudenken. Der Artikel muß fertig sein, das Geschäft bringt es so mit sich! Alle Unwissenheit, alle Unbekanntschaft mit den Dingen, alles, alles muß möglichst versteckt werden unter der abgefeimten routinierten Phrase.

Daher kommt es, daß, wer heute mit einer halben Bildung in die Zeitungsschreiberkarriere eintritt, in zwei oder drei Jahren auch das wenige noch verlernt hat, was er wußte, sich geistig und sittlich zugrunde gerichtet hat und zu einem blasierten, ernstlosen, an nichts Großes mehr glaubenden noch erstrebenden und nur auf die Macht der Clique schwörenden Menschen geworden ist!

Aus all diesen Ursachen ist es gekommen, daß sich alle tüchtigen Elemente, die sich früher an der Presse beteiligt haben, allmählich von derselben bis auf sehr vereinzelte Ausnahmen zurückgezogen haben, und die Presse so zu einem Sammelplatz aller Mittelmäßigkeiten, aller ruinierten Existenzen, aller Arbeitsscheuen und Nichtswisser geworden ist, die zu keiner reellen Arbeit tüchtig, in der Presse immer noch eine mühelosere und auskömmlichere Existenz finden, als irgend sonst.

Das sind die modernen Landsknechte von der Feder, das geistige Proletariat, das stehende Heer der Zeitungsschreiber, das öffentliche Meinung macht und dem Volke tiefere Wunden geschlagen hat als das stehende Heer der Soldaten; denn dieses hält doch nur durch äußere Gewalt das Volk zu Boden, jenes bringt ihm die innere Fäulnis, vergiftet ihm Blut und Säfte! – Daher auch die Entfernung, in welcher sich bei uns alle Männer des wirklichen Wissens wie in heiliger Scheu von den Zeitungen halten. Ich habe eine ziemlich ausgebreitete Bekanntschaft unter den Gelehrten. Wie oft wurde mir nicht bei einer gelegentlichen Äußerung, ob man nicht über diesen oder jenen besonders wichtigen Gegenstand einen Artikel in irgendeine beliebige Zeitung liefern wolle, eine Antwort zuteil voll Staunen und Verwunderung, als enthielte dies fast eine beleidigende Zumutung! Ich habe auch in meinem Leben zwei bis drei Zeitungsschreiber näher kennengelernt, die in jeder Hinsicht eine rühmliche Ausnahme, ja einen vollständigen Gegensatz zu der eben gegebenen Schilderung bilden. Zwei derselben haben sich auch bereits aus dieser Karriere zurückgezogen; aber wie oft riefen sie nicht alle drei in schmerzlichem Ringen zu mir aus: Lieber Eisenbahnarbeiter sein, als weiter in dieser Karriere verbleiben, die uns Geist und Seele zugrunde richtet!

Ja, es ist wörtlich wahr, was Herr v. Bismarck nur in sehr milder Form in der preußischen Kammer gesagt hat: Die Zeitungen werden von Leuten geschrieben, die ihren Beruf verfehlt haben. – Und hier lache ich schon im voraus, wie die Fortschrittler diese meine Übereinstimmung mit Herrn v. Bismarck wieder als Beweis anführen werden, daß ich von Herrn v. Bismarck gewonnen sei. Nur schade, daß ich schon lange vor der ganzen Existenz des Ministeriums Bismarck, nur in weit herberer Form, genau dasselbe in meinem »Julian« drucken ließ. Sie sind eine Bande von Menschen, sage ich daselbst, zu unfähig zum Elementarschullehrer, zu arbeitsscheu zum Postsekretär, zu keiner bürgerlichen Hantierung tüchtig und ebendeshalb sich Berufen glaubend, Volksbildung und Volkserziehung zu treiben! Es wird also für unsere Fortschrittler schon nichts übrig bleiben, als zu sagen, daß ich Herrn v. Bismarck zu meinen Ansichten erkauft habe!

Der Grund aber, weshalb ich Euch wiederholt auf diese meine Schrift hingewiesen habe, ist der, daß nicht etwa einer von Euch auf den Verdacht komme, ich dächte erst heute so über die Zeitungen in persönlicher Erbitterung über die Angriffe, die ich erfahren, sondern damit Ihr sehet, wie ich schon lange vor diesen Angriffen so über sie dachte und sprach, in einer Zeit, in der sie meinen Namen immer nur mit der größten Hochachtung und den verbindlichsten Komplimenten zu nennen pflegten! In gleichem Sinne kann ich Euch auf mein »Arbeiterprogramm« verweisen, wo ich gleichfalls noch vor Beginn der jetzigen Bewegung meine Ansichten über die Zeitungen in vollster Kürze, aber doch deutlich genug ausgesprochen habe.

Nachdem wir nunmehr die Ursache erkannt haben, welche notwendig dieses Verderbnis der Zeitungsschreiber nach sich ziehen mußte, wird es leicht sein zu zeigen, wie in einem sozialdemokratischen Staate eine vollständige Umwandlung der Presse auf die leichteste Weise herbeigeführt werden kann. Ich will in kürze daher die wichtigsten dieser Maßregeln aufzählen. Die erste ist absolute Preßfreiheit. Denn nur auf dem Boden wirklicher Freiheit kann sich alles Große entwickeln; 2. Aufhebung der Kautionen für Zeitungen, denn diese Kautionen haben, wie ich euch schon im »Arbeiterprogramm« auseinandergesetzt, nur die Wirkung, die Zeitungen zu einem Monopol der Kapitalisten zu machen und es dem Volke zu wehren, seinerseits Organe gründen zu können, die seine Überzeugung vertreten.

3. Abschaffung der Stempelsteuer; denn die Stempelsteuer hat einerseits dieselbe Wirkung wie die Kautionen, und andererseits ist es noch außerdem stupide, die Zeitungen, insofern sie ja Volkslehrer sein sollen, besteuern zu wollen. Es ist, als ob man den Schulunterricht, oder etwa die Predigt der Geistlichen besteuern wollte. – Alle diese Maßregeln aber würden noch ganz unmächtig sein, das Wesen unserer Presse, wie es nun einmal geworden ist, umzuwandeln, wenn nicht noch eine vierte Maßregel hinzukäme, welche diese Umwandlung vollbringen muß.

Ich habe Euch gezeigt, daß das Verderben der Presse mit Notwendigkeit daraus hervorgegangen, daß sie unter dem Vorwand, geistige Interessen zu verfechten, durch das Annoncenwesen zu einer industriellen Geldspekulation wurde. Es handelt sich also einfach darum, diese beiden Dinge zu trennen, die ja auch nichts miteinander zu tun haben. Insofern die Presse geistige Interessen vertritt, ist sie dem Volksschulredner oder Kanzelprediger vergleichbar; insofern sie Annoncen bringt, ist sie der öffentliche Ausrufer, der öffentliche Trompeter, der mit 100 000 Stimmen dem Publikum anzeigt, wo eine Uhrkette verloren, wo der beste Tabak, wo das Hoffsche Malzextrakt zu haben ist. Was hat der Prediger mit dem öffentlichen Trompeter zu tun, und ist es nicht eine Mißgeburt, beide Dinge miteinander zu verbinden?

In einem sozialdemokratischen Staate muß also ein Gesetz gegeben werden, welches jeder Leitung verbietet, irgendeine Annonce zu bringen, und diese ausschließlich und allein den vom Staate oder von den Gemeinden publizierten Amtsblättern zuweist.

Von Stund an hören die Zeitungen auf, eine lukrative Geldspekulation zu sein. Von Stund an ziehen sich die spekulierenden Kapitalien von ihnen zurück. Von Stund an verhungert das stehende Heer der Zeitungsschreiber oder wird Stiefelputzer; das ist seine Sache! Von Stund an hört der Zeitungsschreiber von Metier auf und an seine Stelle tritt der Zeitungsschreiber von Beruf! Von Stund an existieren nur solche Zeitungen und können nur solche Männer Zeitungen schreiben, welche ohne Rücksicht auf lukrative Bereicherung die Mission in sich fühlen, für die geistigen Interessen und das Wohl des Volkes zu kämpfen.

Wollt Ihr einen Beweis mehr für diese notwendige Wirkung jener Maßregel? Seht auf die Blätter, die im Lauf der jetzigen Bewegung auf unsere Seite getreten sind: der Nordstern, der Volksfreund, noch zwei bis drei andere kleine Blätter. Es sind alles Blätter, welche keine Annoncen haben noch bringen, noch jemals zu bringen hoffen oder streben. Es sind daher auch Blätter, geschrieben von Männern, welche aus wirklichem Interesse an den geistigen Kämpfen und nicht um ihrer Bereicherung willen sich diesem Berufe widmen, von Männern, welche daher auch in jeder Hinsicht eine vollständige Ausnahme von der Schilderung bilden, die ich Euch vorhin entworfen. Ebenso unangreiflich wäre aber auch der andere Teil jenes Gesetzes, welcher die Annoncen ausschließlich den sei es vom Staate sei es von den Gemeinden publizierten Amtsblättern überweist. Insofern die Blätter Annoncen bringen, stellen sie, wie bereits bemerkt, nur den öffentlichen Ausrufer dar. Es ist dies also eine Funktion, die ebenso einfach und notwendig wie etwa der Nachtwächterdienst zu den Attributen des öffentlichen Wesens in seiner staatlichen oder städtischen Organisation gehört. Noch heute könnt Ihr etwa in kleinen schwäbischen Städten sehen, wie von einem Trompeter ausgeblasen oder von einem Gemeindebeamten ausgeschellt wird, was verloren, was gefunden usw. Auch trifft bei dieser Arbeit nicht einmal irgendeiner jener ohnehin meist sehr schlechten Gründe zu, die man gewöhnlich geltend macht, dem Staat oder den Gemeinden irgendeine produktive Arbeit zu entziehen. Es ist hierbei weder von Erfindung, noch von einem besondern individuellen Unternehmergeist die Rede, sondern nur von einer einfachen, vom Inserierenden bestellten mechanischen Tätigkeit, die ganz ebensogut zum Nutzen und im Auftrage eines Kapitalisten ausgeführt werden kann. Und es ist überhaupt nur in der heutigen Zeit, zu deren Grundsätzen es einmal gehört, daß alles Profitable der Profitwut einzelner Kapitalisten zur Ausbeutung anheimfallen muß, es ist nur in dieser Zeit zu begreifen, daß dieser öffentliche Ausruferdienst solange dem Nutzen und Interesse einzelner Kapitalisten überlassen werden konnte. Durch diese vom Staate oder den Gemeinden publizierten Annocenblätter würden ferner jährlich, viel zu niedrig veranschlagt, mindestens 1 bis 2 Millionen gewonnen werden, um so mehr, als sich hier alle Betriebskosten sehr ermäßigen würden, als sich ferner diese Blätter keine Konkurrenz untereinander machen und in keiner noch so großen Gemeinde mehr als ein einziges Blatt erscheinen würde. Diese Millionen könnten also benutzt werden, um ebenso viele Millionen von jenen indirekten staatlichen oder städtischen Steuern zu streichen, die am meisten auf die ärmeren Klassen drücken, und die widrige Reklame der heutigen Zeit, das Hoffsche Malzextrakt und die Goldbergschen Rheumatismusketten hätten so mindestens ihre gemeinnützige Wirkung.

Das also ist die nach allen Seiten hin heilsame Maßregel, welche im sozialdemokratischen Staate eine totale Umwandlung der Presse in ihrem innersten Wesen hervorrufen würde. Ich habe sie Ihnen entwickelt, um beizeiten die Gemüter des Volkes darüber zu verständigen. Verbreiten Sie das, was ich Ihnen hierüber gesagt, erheben Sie diese Maßregel zu einer Volkstradition. Akkreditieren Sie sie zu einer demokratischen Forderung ersten Ranges, damit nichts in späterer Zeit ihrem Verständnis sich widersetze! Und bis dahin halten Sie fest daran: Der wahre Feind des Volkes, sein gefährlichster Feind, um so gefährlicher deshalb, weil er unter der Larve seines Freundes auftritt, das ist die heutige Presse!

Halten Sie fest, mit glühender Seele fest an dem Losungswort, das ich Ihnen zuschleudere: Haß und Verachtung, Tod und Untergang der heutigen Presse! Es ist das eine kühne Losung, ausgegeben von einem Mann gegen das tausendarmige Institut der Zeitungen, mit welchem schon Könige vergeblich kämpften! Aber so wahr Sie leidenschaftlich und gierig an meinen Lippen hängen, und so wahr meine Seele in reinster Begeisterung erzittert, indem sie in die Ihrige überströmt, so wahr durchzuckt mich die Gewißheit: Der Augenblick wird kommen, wo wir den Blitz werfen, der diese Presse in ewige Nacht begräbt!!!

Das dritte und nicht weniger klägliche Symptom unserer Zeit, das ich beleuchten will, ist der Abgeordnetentag in Frankfurt am Main.

Ihr wißt, die Nationalvereinler oder Fortschrittler, welche den Abgeordnetentag bilden, hatten immer erklärt, an der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 festzuhalten. Sie sei das bestehende Recht, das Palladium deutscher Nation! Ich muß hier von vornherein einem Mißverständnis begegnen. Das Zurückkommen auf die Frankfurter Reichsverfassung – es ist nicht mein, es ist nicht unser Standpunkt! Für uns ist der Gedanke, die Frankfurter Reichsverfassung wiederherzustellen, nichts andres als eine reaktionäre Utopie. Für uns war die Frankfurter Reichsverfassung schon 1849, als sie erlassen wurde, nichts andres als der letzte Beweis für die Impotenz des Föderalismus.

Eine deutsche Einheit, eine einheitliche souveräne Zentralgewalt mit der Beibehaltung von 34 verschiedenen Sondersouveränitäten – das ist der Widerspruch in sich selbst, das ist so wenig möglich, als daß ein schwarzer Rock zugleich weiß sei. Die Souveränität, wohne sie nun bei Fürst oder Volk, ist ihrer Natur nach unteilbar, so unteilbar wie die Seele eines Individuums.

Was uns also wirklich not tut, wenn von deutscher Einheit die Rede sein soll, ist, daß diese 34 selbständigen Sondersouveränitäten aufhören und in eine einzige zusammensinken.

Dies ist auch der Grund, weshalb die Frankfurter Reichsverfassung nicht einen Tag wirklich marschieren konnte. Sie ging zugrunde, nicht, wie unsre Fortschrittler glauben, an ihrem revolutionären Charakter, für welchen jene Zeit noch nicht reif gewesen wäre, sondern an ihrem reaktionären Charakter; sie ging zugrunde, nicht an dem, was sie neuerte, sondern an dem, was sie beibehielt. Sie ging zugrunde an jenem logischen Widerspruch einer einheitlichen Zentralgewalt mit 34 Souveränitäten.

Der Föderalismus ist überhaupt niemals imstande, ein einiges Volk zu erzeugen. Schon vor 50 Jahren hat einer der größten deutschen Denker, Johann Gottlieb Fichte, ausgesprochen, daß das föderalistische Band niemals ein Volksgefühl zu erzeugen vermöge; daß es für das Volk gar nicht existiere und ihm stets so äußerlich bleibe, wie auch jedes andere diplomatische Bündnis der Regierungen untereinander.

Diese Worte haben sich gerade jüngst glänzend bewährt an Amerika, welches man sonst als den Triumph des Föderalismus anzuführen pflegte. Scheinbar einig zur Zeit Washingtons, hat, statt ein Volksgefühl zu erzeugen oder wachzuhalten, die mit dem Föderalismus notwendig gegebene Vertiefung in die Partikularinteressen dort den Haß gegeneinander im Herzen des Volkes hervorgerufen und einen der blutigsten und greuelvollsten Kriege heraufbeschworen, welche die Geschichte jemals gesehen hat. In Deutschland zumal ist es der größte innere Widerspruch, von Föderalismus und Freiheit in einem Atem reden zu wollen.

Die geistige Einheit hat sich unser Volk durch eine große, sich über die Jahrhunderte erstreckende Gesamtarbeit bereits erworben. Wir kennen keine preußische und österreichische Poesie, keine norddeutsche und süddeutsche Wissenschaft, keine österreichische und preußische Kunst etc. In allen Gebieten des geistigen Lebens haben wir die nationale Einheit, das Dasein als Deutsche, bereits wirklich erlangt; was wir somit noch verlangen und erlangen müssen, ist: dieselbe Einheit, dasselbe nationale Dasein in geschichtlicher, politischer Hinsicht. Wenn nun das Recht dieser 34 Fürsten auf ihre Kronen so groß wäre, daß es mit Fug entgegengestellt werden könnte dem Rechte des Volkes auf ein nationales Dasein, wenn dieses Recht der Fürsten, sage ich, so groß wäre, daß es mit Fug entgegengestellt werden könnte, der gesamten deutschen Nation und dieser mit Recht verbieten könnte, überhaupt als Nation dazusein –, dann wäre dieses Recht doch offenbar noch viel größer den einzelnen Stämmen gegenüber, und ich weiß nicht, mit welchem Rechte man dann nach Freiheit und nach irgendwelcher Beschränkung dieser angestammten Kronengewalt im Innern strebte!

Für uns also ist der Gedanke, die Frankfurter Reichsverfassung wiederherstellen zu wollen, nichts andres als eine reaktionäre Utopie. Utopie (frommer Wunsch) deshalb, weil jene Verfassung, um ihres innern Widerspruches willen, in aller Zukunft ebenso unmöglich auch nur einen Tag lang marschieren könnte, wie sie es in der Vergangenheit gekonnt hat; reaktionär deshalb, weil, wenn wir wieder mit jenem verfehlten Experiment von 1849 anfangen müßten, unsre ganze Geschichte seit 1848 gar keinen Sinn und gar keine Bedeutung für uns gehabt hätte. Nach unsrer Auffassung, nach welcher der Untergang der Frankfurter Reichsverfassung nur die notwendige Folge ihres innern Widerspruchs und der letzte Beweis für die Ohnmacht des Föderalismus war, nach dieser Auffassung hat diese vierzehnjährige Geschichte einen Sinn und einen großen Sinn, wenn auch einen teuer erkauften!

Aber nicht von meinem Standpunkte aus, sondern von seinem eignen Standpunkte aus will ich den Abgeordnetentag kritisieren.

Er hatte noch vor weniger als einem Jahre erklärt, die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 sei unser bestehendes Recht, sie sei die Fahne, um welche sich die deutsche Nation scharen müsse.

Wenn er also auf die föderalistische Intrige des Frankfurter Fürstentages überhaupt irgend etwas erklären wollte, so hatte er von seinem Standpunkt aus eben nur einfach darauf hinzuweisen: Die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 sei bereits die zu Recht bestehende Verfassung deutscher Nation.

Statt dessen, was hat der Frankfurter Abgeordnetentag getan? Er hat erklärt, daß er das Fürstenprojekt unter den gegenwärtigen Umständen »nicht lediglich verneinen könne!« Das Fürstenprojekt, welches in jeder Hinsicht den grellsten Widerspruch zu der Frankfurter Reichsverfassung bildet! Das Fürstenprojekt, welches, statt sich, an ein nach dem Frankfurter Reichswahlgesetz durch das allgemeine Wahlrecht gebildetes Reichsparlament zu wenden, einer Delegiertenkammer oder etwa den Kammern der einzelnen deutschen Stämme vorgelegt werden sollte und von ihnen also nur en bloc angenommen oder verworfen werden konnte, somit nirgends und in keiner Weise auch nur ein Zurückgehen auf Reichsverfassung und Reichsparlament übrigließ.

Der Abgeordnetentag hat somit verleugnet und verraten, was er Jahre hindurch selbst für das Recht der Nation erklärt hat! Er hat die Fahne verraten, zu welcher er selbst jahrelang das Volk gerufen.

Aber freilich, die Fortschrittler hatten zu oft das Paradepferd der Frankfurter Reichsverfassung geritten, um dieselbe nun lediglich verleugnen zu können.

Der Beschluß enthält daher auch noch einen andern Passus, durch welchen wiederum darauf hingewiesen wird, daß nicht die Frankfurter Reichsverfassung, sondern, höchst diplomatisch – eine Diplomatie zum Speien! –, nur eine Verfassung wie die Frankfurter Reichsverfassung dem deutschen Volke Befriedigung bringen könne!

Aber was haben die Frankfurter Reichsverfassung und das deutsche Fürstenprojekt miteinander zu tun? Was hat das erbliche Kaisertum und das künstliche Direktorium, die Einheit und die Fünf- oder Sechsheit, das direkte allgemeine Wahlrecht und die Delegiertenkammer, die preußische Spitze und der österreichische Vorsitz miteinander gemein? Welche Einigungspunkte haben sie und wie wären so widersprechende Dinge miteinander zu verbinden?

Jener Beschluß ist daher, indem er in einem Atem ja und nein, schwarz und weiß, kalt und heiß sagt, nichts anderes als der reinste Unsinn, als der blühendste logische Widerspruch! Jedes Wort dieses Beschlusses ißt das andre auf! Die Folgen sind nicht ausgeblieben. Von der einen Seite schleudert Herr v. Bismarck den Fortschrittlern den Vorwurf ins Gesicht, daß sie Preußen verraten – und von der andern Seite behaupten die großdeutschen Organe, die Fortschrittspartei verrate Deutschland an ihren geheimen Lieblingsgedanken von der preußischen Spitze! Und das merkwürdige ist, meine Herren, beide, Herr v. Bismarck und die Großdeutschen, beide haben recht! Die Fortschrittler haben eben das Unmögliche fertig gebracht: um nach allen Seiten hin zu buhlen, haben sie alles verraten, haben alles behauptet und alles verleugnet in demselben Atem!!!

Wie unwidersprechlich dies sei, will ich Ihnen in aller Kürze dadurch beweisen, daß sogar die Fortschrittler selbst sehr gut erkannt haben und wissen, daß die Sache so steht, wie ich sie soeben geschildert. Einer von ihnen nämlich, Herr Georg Jung aus Köln, hat auf dem Abgeordnetentag in Frankfurt selbst erklärt: »Die Ausschußanträge seien ein Gewebe von Widersprüchen; fast jeder Satz hebe seinen Vordersatz auf, um seinerseits wiederum im Nachsatze aufgehoben zu werden.« (Elberfelder Zeitung v. 24. Aug.) Das sind die Worte eines Fortschrittlers selbst!

Und nichtsdestoweniger hat dieser selbe Herr Jung für diesen Beschluß gestimmt, denn er ist ja, wie die Zeitungen berichten, einstimmig gefaßt worden, und er sollte und mußte ja einstimmig gefaßt werden, um die Einigkeit (!) der großen liberalen Partei darzutun! Die Einigkeit im Aufgeben alles menschlichen Verstandes, die Einigkeit im Unsinn und im Selbstwiderspruch – das ist die Einigkeit der großen liberalen Partei!

Zwei andre Fortschrittler, die Herren Becker und Welker, hatten dem Ausschußantrag gegenüber konsequent den Antrag gestellt, auf die Frankfurter Reichsverfassung zurückzugehen. Aber auch sie zogen ihren Antrag zurück! Freilich hatten sie selbst erklärt, sie müßten diesen Antrag stellen, weil nur in der Frankfurter Reichsverfassung das Recht der deutschen Nation gewahrt sei! Aber – der Beschluß mußte ja einstimmig gefaßt werden! Die Einigkeit im Aufgeben aller Prinzipien, im Verrat alles Rechts, nicht nur des objektiven, sondern auch des Rechtes, das man selbst als solches erkannt hat – das ist die sogenannte Einigkeit der großen liberalen Partei! Die Einigkeit eines Narrenhauses!

Zuletzt noch das klägliche Schauspiel, ihren Beschluß dem Fürstentage zustellen zu lassen – selbst dieses haben uns die Fortschrittler nicht erspart! Und welches Recht hatten diese Herren zu einer solchen Zustellung? Sie sind keine juristische Körperschaft, sie bestehen aus Leuten, die früher einmal Abgeordnete waren, aber es nicht mehr sind, aus andern Leuten, welche noch ein Mandat besitzen, aber nicht für eine Verfassung Deutschlands, und die überdies durch das Dreiklassenwahlgesetz gewählt sind. Welches Recht zu einer offiziellen Kommunikation maßten sich also diese Herren ohne Mandat in dieser deutschen Nationalangelegenheit an?

Wollten sie aber bloß als ein Haufen von 500 Männern eine moralische Wirkung ausüben, nun, so wäre diese ja, so weit sie überhaupt eine solche hervorzubringen vermögen, durch ihren Beschluß und dessen Veröffentlichung in den Zeitungen ganz ebenso erreicht worden, und es bedurfte dazu nicht der amtlichen Notifikation oder vielmehr der öffentlichen Anbettelei bei dem Fürstentag.

Welches ist also der wirkliche Grund dieser Reihe von Lächerlichkeiten?

Ich will Ihnen diesen Grund verraten!

Die Fortschrittler liebäugeln mit den Fürsten, um – – Herrn v. Bismarck bange zu machen! Sie hoffen ihn einzuschüchtern durch Kokettieren mit den deutschen Fürsten!

Das sind die Mittel dieser Ärmsten! – Und wenn wir Flintenschüsse mit Herrn v. Bismarck wechselten, so würde die Gerechtigkeit erfordern, noch während der Salven einzugestehn: er ist ein Mann, jene aber sind – – alte Weiber! Und noch niemals haben alte Weiber einen Mann eingeschüchtert, auch nicht, wenn sie nach andern Seiten hin liebäugelten!

Herr v. Bismarck hat ihnen daher bereits geantwortet durch die Auflösung der Kammer.

Hierbei muß ich auf unser notwendiges Verhalten bei den bevorstehenden Wahlen eingehen.

 

Zunächst halten Sie folgendes fest:

Ein prinzipielles Interesse haben wir bei den nächsten Wahlen nicht.

Wir haben kein prinzipielles Interesse 1. deshalb, weil das allgemeine Wahlrecht noch nicht existiert respektive nicht mehr existiert, welches allein für uns der Boden ist, auf welchem wir eine selbständige und eigene Stellung einnehmen können.

Wir haben kein prinzipielles Interesse, weil 2. die Preußische Verfassung, um die gekämpft wird, keine zu Recht bestehende Verfassung ist, und noch nie auch nur einen Tag lang zu Recht bestehende Verfassung war!

Lassen Sie mich Sie erinnern an die Tatsachen, die Sie niemals auch nur einen Augenblick aus dem Gedächtnis verlieren dürfen.

Durch die Gesetze vom April 1848 bestand einerseits in Preußen das allgemeine Wahlrecht, und andrerseits war durch dieselben Gesetze bestimmt, daß der König kein neues Gesetz mehr erlassen könne ohne die Beistimmung der gesetzlich bestehenden Landesvertretung, also einer solchen, die in Gemäßheit des damals bestehenden Wahlgesetzes durch das allgemeine Wahlrecht gebildet worden.

Im Dezember 1848, wie Ihnen allen bekannt, oktroyierte der König eine Verfassung. Ich will nun sehr nachgiebig sein. Mochte er das tun. Eine definitive Gültigkeit konnte diese Verfassung aber erst dann haben, wenn sie von der gesetzlich bestehenden Volksvertretung bestätigt und angenommen worden war. Das sah der König selbst ein und berief deshalb eine Revisionskammer 1849 nach Berlin. Aber noch ehe die Sitzung zu ihrem natürlichen Schluß gelangt, war, wurde die Kammer von neuem aufgelöst und nun das Dreiklassenwahlgesetz oktroyiert. Ich will noch nachgiebiger sein. Mochte der König auch das noch tun, aber wie jene Verfassung selbst, so hatte auch dieses oktroyierte Dreiklassenwahlgesetz erst dann definitive gesetzliche Gültigkeit, wenn es bestätigt war von der zur Zeit der Oktroyierung gesetzlich bestehenden Volksvertretung. Diese war aber, wie bereits hervorgehoben, nach den damals bestehenden Gesetzen durch das allgemeine Wahlrecht zu berufen. Nur eine solche legale, aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangene gesetzgebende Versammlung hätte also – falls sich eine solche dazu hergegeben hätte – das oktroyierte Dreiklassenwahlgesetz bestätigen können. Dies ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen, sondern dieses Dreiklassenwahlgesetz wurde bestätigt und die Verfassung angenommen von einer nach dem oktroyierten Dreiklassenwahlgesetz selbst zusammenberufenen Versammlung, die somit vollständig illegal war, keinen gesetzlichen Boden und keine juristische Existenz hatte.

Da der König selbst seit den Gesetzen vom April 1848 nicht mehr ohne Beistimmung der gesetzlich bestehenden Vertretung Gesetze, also auch kein Wahlgesetz, erlassen konnte, so konnte er auch keinen anderen dazu bevollmächtigen. Ein Recht, das ich selbst nicht habe, kann ich auch keinem andern übertragen. Der König konnte also ebensowenig wie etwa einen General oder einen Kammerdiener, ebensowenig auch ein paar hundert Bourgeois zur Bestätigung dieses oktroyierten Dreiklassenwahlgesetzes bevollmächtigen.

Kein Jurist der Fortschrittspartei selbst wird dieser Deduktion widersprechen können, oder hat ihr jemals widersprochen.

Ebensowenig ist jener Rechtsbruch vom Volke selbst jemals in irgendwelcher Weise genehmigt oder gutgeheißen worden. Denn niemals wurde das Volk in seinen Urversammlungen mit dieser Frage befaßt, und überdies haben seit und infolge jenes Rechtsbruchs von 1849 niemals mehr als 25 Prozent der Wähler – also eine winzige Minorität – ihr Wahlrecht ausgeübt.

Die Preußische Verfassung hat also auch noch nicht einen einzigen Tag zu Recht bestanden!

Ebensowenig kann hieran dadurch etwas geändert werden, daß die Verfassung einerseits vom König, andrerseits vom Landtag beschworen worden ist.

Dieser Eid ist ein nichtiger Eid, gerade so wie ein am Altar geleisteter Eid ein nichtiger ist, wenn irgendein Rechtsgrund die beschworene Ehe nichtig macht.

Und was die Kammern betrifft, so hat es überdies, wie aus dem Vorigen folgt, seit der Revisionskammer von 1849 noch niemals eine legale Volksvertretung in Preußen gegeben. Es waren illegale Usurpatorenhaufen und weiter nichts, welche um den Preis der Rechte des Volkes den Sonderfrieden der Bourgeoisie mit der Regierung abschließen wollten, und erst jetzt wieder nach dem Volke schielen, wo sie mit der Regierung um ihren Anteil an der Beute in Streit geraten sind.

Zwar werden Euch die Kammerhelden sagen: Hätten wir nicht sollen zu jenen, wenn auch freilich illegalen Kammern zusammentreten, um das, was dem Volke nun einmal an Rechten geblieben war, als eine Waffe zur Wiedererlangung weiterer Volksrechte zu verwenden?

Freilich konnten sie das, aber dann hätten sie jede Kammersession damit eröffnen müssen, zuvörderst ihre eigne illegale Existenz zu konstatieren und den noch ungesühnten Schatten des Volksrechtes heraufzubeschwören!

Indem sie dies nicht taten, niemals taten, indem sie vielmehr alle Lüfte füllen mit dem lügenhaften und heuchlerischen Geschrei von der zu Recht bestehenden Preußischen Verfassung, zeigen sie bloß, daß sie die Rechte des Volkes verraten, verleugnen und dieselben für die Sonderbeute der Bourgeoisie mit Füßen treten.

Für uns hat also die Preußische Verfassung, die bloß der Beweis und das Produkt des am Volke begangenen Rechtsbruches ist, keinen Wert und kein Interesse, ebensowenig wie irgendeine rechtliche Existenz.

Für uns hat der Kampf der beiden Parteien kein prinzipielles Interesse, denn beide Parteien, Reaktionäre wie Fortschrittler, sind uns gleich fremd. –

Für uns hat der Kampf kein prinzipielles Interesse, weil der ganze Gegenstand des Kampfes – die Preußische Verfassung – kein solches Interesse für uns hat.

In uns kann im Gegenteil die Preußische Verfassung kein anderes Interesse hervorrufen, als das, sie so schnell wie möglich verschwinden zu machen!

Ich werde also nicht wählen, jetzt so wenig wie bisheran, und an solchen Orten, wo der Sieg der Fortschrittspartei ohnehin ganz unzweifelhaft wäre, an solchen Orten ist es das beste, wenn Ihr alle gleichfalls nicht wählt.

Wir haben uns 14 Jahre hindurch von diesen ungesetzlichen und rechtswidrigen Wahlakten ferngehalten. Man spricht von Ratten, welche das Schiff verlassen, wenn es zu sinken beginnt. Sollen wir die umgekehrten Ratten sein, welche auf das lecke Schiff der Preußischen Verfassung gerade in dem Augenblick springen, wo es untergeht?

Aber haben wir auch kein prinzipielles Interesse an der bevorstehenden Wahlschlacht, so haben wir doch ein sehr großes taktisches Interesse dabei, und dieses taktische Interesse erfordert, daß Sie überall, wo der Sieg der Fortschrittspartei nicht ohnehin unbedingt feststeht, zugunsten – lachen Sie nicht, es ist mein völliger Ernst – zugunsten der Fortschrittspartei wählen!

Die Gründe sind einfach:

Es ist unser dringendstes Interesse, daß das im Mai dieses Jahres durch die Vertagung unzeitig abgebrochene Experiment wieder aufgenommen werde und sein naturgemäßes Ende erreiche. Wir haben das dringendste Interesse, daß die Fortschrittler ihre gänzliche Unfähigkeit, diesen Konflikt zu einem siegreichen Ende zu führen, noch weiter beweisen, damit auch noch alle diejenigen, welche etwa jetzt noch an sie glauben, belehrt werden durch die Tatsachen. Es darf um keinen Preis den Fortschrittlern die Entschuldigung gelassen werden, bei den Wahlen geschlagen worden zu sein. In derselben, ja in noch größerer Anzahl als das letzte Mal müssen sie gewählt werden, um selbst den Blindesten ihre vollständige und jämmerliche Ohnmacht darzutun.

Und ferner: Solange das allgemeine Wahlrecht nicht besteht und solange wir daher keine selbsteigene Stellung einnehmen können, solange muß es unser dringendstes taktisches Interesse sein, daß dieser Kampf zwischen Reaktion und Fortschrittlern fortdauere, falls ihn nicht die Fortschrittler dadurch zu Ende bringen, daß sie mit einem neuen Kompromiß zur Regierung überlaufen, was freilich nicht unmöglich ist, was sie dann aber im Volke definitiv und rettungslos stürzen und begraben würde.

Ich sage, in unserem Interesse ist es, daß dieser Kampf fortdauere, nicht damit einer den andern, sondern damit, wie Ullrich v. Hutten diese Hoffnung aussprach, als Luther zuerst sich gegen den Papst erhob, damit sie sich gegenseitig untereinander auffressen und verschlingen!

Wir müssen also in diesem Kampfe die Schwächern unterstützen. Dafür, daß die Fortschrittsbäume nicht in den Himmel wachsen, dafür ist ohnehin gesorgt, dafür wird Herr v. Bismarck schon sorgen!

Wir unsererseits müssen also, wo es nötig ist, dafür sorgen, daß nicht die Reaktion die Fortschrittler verschlinge. Wählen Sie sie also, wählen Sie sie noch einmal und hoffentlich zum letzten Male! Aber wählen Sie sie mit dem richtigen Bewußtsein, wählen Sie sie, damit sie sich vollends blamieren und ruinieren!

Ich kehre nach dieser durch die bevorstehenden Wahlen gebotenen Abschweifung wieder zum Frankfurter Abgeordnetentag zurück. Den Schlüssel zu allen Bestrebungen der Fortschrittler und Nationalvereinler hat uns wiederum der Präsident des Nationalvereins, Herr v. Bennigsen, in der Rede gegeben, mit welcher er den Abgeordnetentag schloß; er sagt: »Die Leidenschaft der Volkspartei und die Verstocktheit der Regierenden habe schon oft zu revolutionären Umwälzungen geführt. Aber das deutsche Volk sei nicht bloß einmütig, sondern auch so gemäßigt bei seinen Ansprüchen, daß die deutsche nationale Partei, die keine Revolution wolle, und keine machen könne, keine Verantwortung dafür habe, wenn nach ihr eine Partei kommen sollte, welche, weil keine Reform mehr möglich, zu der Umwälzung greife.« (Volkszeitung vom 25. August dieses Jahres)

Ich finde es zwar sehr ungeschickt von Herrn v. Bennigsen, daß er uns beständig, auch jetzt noch, daran erinnert, daß er und seine Partei keine Revolution wollen! Da er uns aber nun einmal ohne Unterlaß daran erinnert, nun wohl, so wollen wir ihm diesen Gefallen tun! Erheben wir also unsere Arme und verpflichten wir uns, wenn jemals dieser Umschwung, sei es auf diesem sei es auf jenem Wege, käme, es den Fortschrittlern und Nationalvereinlern gedenken zu wollen, daß sie bis zum letzten Augenblicke erklärt haben: sie wollen keine Revolution!

Verpflichtet Euch dazu, hebt Eure Hände empor!

Von nicht geringerem Interesse ist die Rede, die gleichfalls in Frankfurt, bei dem auf den Abgeordneten tag natürlich notwendig folgenden obligaten Feste, Herr Schulze-Delitzsch gehalten hat.

Ich muß Euch diese Rede vorlesen, damit keiner von Euch glaube, daß ich ihm unrecht tue. Herr Schulze-Delitzsch sagt wie folgt: »Meine Herren! Es ist von Fehlern die Rede gewesen, die gemacht worden sind von Seiten der Versammlungen, in denen unser politisches Leben begonnen hat. Ich weiß darüber nichts, behaupte aber eins: wenn je irgendwo Versammlungen der wahre Ausdruck des Volkes gewesen sind, so sind es jene von 1848 gewesen. Haben sie Fehler gemacht, so sind es die schwachen Seiten unserer Volksentwicklung selbst gewesen, Volksfehler sind in jenen Parlamentsfehlern zur Erscheinung gekommen. Verhehlen wir uns nicht, woher überhaupt das Mißglücken jener durch und durch ehrlichen, tiefinnersten, auf ein durch und durch sittliches Gefühl gegründeten Arbeiten seinen Ursprung gehabt. Meine Herren! Die Strömung, die damals hineingriff in die politische Frage und der auch jene Versammlungen sich nicht entziehen konnten, war keine politische, es war die soziale, es war die Gesellschaftsfrage! Durch die soziale Frage ist die politische Bewegung des Volkes irregeleitet worden, und die Spaltung der großen liberalen Partei, welche einen Teil derselben der Reaktion in die Arme trieb, hat begonnen auf sozialem Boden. Als die Junischlacht in Paris geschlagen, war das Schicksal der liberalen Bewegung in Europa für lange Zeit entschieden. Meine Herren, verhehlen wir uns zunächst eins nicht: In dem Momente, wo die gebildeten und besitzenden Klassen sich von der politischen Bewegung scheu zurückziehen – sei nun ihre Furcht begründet oder nicht – ist entschieden, daß diese Bewegung keine dauernde, keine nachhaltige Umgestaltung der Verhältnisse zur Folge haben wird.« (Volkszeitung vom 26. August dieses Jahres)

Herr Schulze-Delitzsch ist ein enfant terrible seiner Partei, ein Kind, welches alle Geheimnisse ausplaudert, die er im Interesse seiner Partei mit tiefster Nacht bedecken sollte! Er sagt Euch, daß die Revolution verunglückte, weil sich die Bourgeois von der politischen Bewegung zurückzogen und auf die politische Freiheit verzichteten, und zwar deshalb, weil sie sahen, daß Ihr mittelst der politischen Freiheit Eure soziale Lage ändern und verbessern wolltet! Und was sagt Euch also Herr Schulze in diesen Worten? Er sagt Euch:

  1. daß die Bourgeoisie niemals in eine Verbesserung Eurer sozialen Lage willigen wird. Er sagt Euch:
  2. daß sie Euch niemals auch nur die politische Freiheit das allgemeine und direkte Wahlrecht – gönnen werde. Denn durch dieses würdet Ihr jederzeit in den Stand gesetzt sein, die Verbesserung Eurer sozialen Lage in Angriff zu nehmen. Wenn nun die Bourgeoisie sogar glauben könnte, daß Ihr heute so artige Kinder seid, dies nicht zu tun, auch wenn Euch das allgemeine Wahlrecht zur Verfügung stände – welche Gewißheit hätte sie dafür, daß Ihr auch in 1, in 2, in 5 Jahren immer so artige Kinder bleiben werdet, das allgemeine Wahlrecht nicht für die Verbesserung Eurer Lage in Bewegung zu setzen? Folglich kann sie, da ihr die Garantie niemals gegeben werden kann, auch niemals wollen, daß Ihr in den Besitz des direkten allgemeinen Wahlrechts gelangt. Er sagt Euch endlich:
  3. daß die Bourgeoisie aus diesem Grunde noch lieber auf ihre eigene politische Freiheit verzichtet, als daß sie Euch das allgemeine Wahlrecht gönnt.

Er sagt Euch also ganz dasselbe, was ich Euch in meinem »Arbeiterlesebuch« hierüber gesagt habe! Ich hatte dort einige Gründe und historische Beweise hierfür zusammengestellt. Wahrscheinlich glaubte Herr Schulze, daß mir noch eine Art von Beweis fehle, das offne Geständnis eines Führers der Bourgeoispartei, – und so war er denn so freundlich, mir auch noch diesen Beweis zur Verfügung zu stellen!

Herr Schulze geht darauf in seinem Toaste dazu über, Euch, den deutschen Arbeitern, ein Lob zu erteilen für Eure Haltung in sozialer Hinsicht. Er sagt: »Unsere Arbeiter haben es gezeigt, daß sie es verstehen, deutsche Männer zu sein. Sie haben jede Lockung, sich von der Partei des Fortschritts zu trennen, zurückgewiesen.«

Dieses ist nämlich uns, dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gegenüber gesagt. Haben denn aber die deutschen Arbeiter wirklich dieses Lob verdient? Seid Ihr wirklich so artige Kinder, wie Herr Schulze behauptet? Die deutschen Arbeiter haben dieses Lob nicht verdient! Welches sind die Tatsachen? In Leipzig trat das Zentralkomitee mit allen Stimmen gegen 2 unsern Prinzipien bei, und in einer großen Arbeiterversammlung daselbst wurde mit 1 300 Stimmen gegen 7 dieser Beschluß bestätigt! Auf dem Provinzial-Handwerkertag zu Köln beschloß die Majorität gleichfalls, mein Antwortschreiben zum Manifest der Bewegung zu erheben. In Frankfurt schlug ich die Fortschrittler mit über 400 Stimmen gegen 40. In Mainz mit 800 Stimmen gegen 2. In Hamburg vermögen sie unserm großen Verein gegenüber nirgends standzuhalten. Eine einzige Adresse, die aus wenigen rheinischen Städten an mich gelangte, war mit über 1 400 Unterschriften bedeckt – und Ihr wißt, welche Schwierigkeit das Sammeln von Unterschriften gerade beim Arbeiterstande hat. Eine andere Adresse ist mir soeben aus Dortmund übersandt worden.

In Gersdorf in Sachsen wurde vor kurzem in einer großen Arbeiterversammlung mit 400 Stimmen gegen 20, in Großenhain mit 400 Stimmen gegen 30, Zustimmung und Beitrittserklärung zum Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein beschlossen. In Ronsdorf wurde vor kurzem eine massenhafte Arbeiterversammlung, die sich einstimmig für uns auszusprechen im Begriff, von dem fortschrittlichen Bürgermeister rechtswidrig aufgelöst. Wie groß hier in Barmen und Elberfeld unsre Zahl ist, seht ihr selbst, zwischen 2 und 3 000 Mann haben sich trotz des greulichen Unwetters zu dieser meiner Rede eingefunden, und nur höchstens 250–300 haben, wie Ihr seht, infolge des vorhin eingetretenen Inzidenzfalles den Saal verlassen.

Das sind die Tatsachen, denen unsre Gegner damit begegnen zu können glauben, daß sie wie der Vogel Strauß die Augen vor ihnen schließen. Tatsachen, denen sie damit begegnen, daß sie, da sie allein über alle Zeitungsschwärze verfügen, sie entstellen und ableugnen. Aber freilich, wenn ich den anwesenden Bevollmächtigten fragen würde, ob alle diejenigen, welche hier diesen weiten Saal füllen und meine Worte mit ihren enthusiastischen Beifallsbezeigungen begleiten, wirklich eingeschriebene Mitglieder unsres Vereins sind, so bin ich im voraus überzeugt, daß er mir antworten würde: Auch nicht die Hälfte!

Woher kommt es denn aber, daß Ihr, die Ihr unsre Ideen teilt, unsre Ansichten und Bestrebungen mit Eurer Sympathie begleitet, daß Ihr noch nicht eingezeichnete Mitglieder seid?

Oh, ich kenne den allbekannten Grund dieser Erscheinung wohl! Man klatscht Beifall, man sympathisiert, aber man läßt gewähren und behält sich vor, ah den Früchten der Bewegung teilzunehmen, die andre mit ihren Kräften erarbeitet haben werden! Ich aber frage Euch, ist das ein männliches, ist das ein eines Arbeiters würdiges Benehmen? Welches ist der Unterschied zwischen einem Arbeiter und einem Schmarotzer, wenn nicht der, daß letzterer von fremder Arbeit leben und da ernten will, wo er nicht selbst gesäet hat? Bedenkt! Das Wort Selbsthilfe, welches unsre Gegner mit Unrecht im Munde führen – bei ihnen ist es nur eine trügerische Illusion, unser Schild und unsre Devise ist es in Wahrheit! Oder gibt es eine großartigere Selbsthilfe, als diejenige, den Staat umformen zu wollen, um dadurch auch die sozialen Verhältnisse zu ändern? Euch also, die Ihr Arbeiter sein wollt und nicht Schmarotzer, Euch, die Ihr nicht von fremder Arbeit leben wollt und da ernten, wo Ihr nicht selbst gesäet, Euch, die Ihr mich mit Euerm Beifall und Akklamationen begleitet, Euch ermahne ich zur Scham! An jene Tische mit Euch und zeichnet Euch ein als unsre Mitglieder, nehmt Euern Teil an unsern Mühen und Anstrengungen!

Unsern Mitgliedern aber rufe ich folgendes zu: Nicht auf unsre Bevollmächtigten dürft Ihr Euch für die Agitation verlassen, sondern jeder einzelne von Euch muß diese Agitation zu seiner Aufgabe machen!

Ich will Euch ein einfaches und leichtes Mittel angeben, unsre Zahl in kürzester Frist noch zu verhundertfachen: Jeder einzelne von Euch muß es sich zum Gesetze machen, in jeder Woche, was ihm nicht schwerwerden kann, mindestens ein bis zwei Mitglieder dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zu gewinnen, und jede Woche für eine verlorene halten, in welcher er sich dieser Pflicht nicht entledigt hat. Bedenket, in welcher geometrischen Progression sich unsre Reihen vervielfachen müssen, wenn jeder von Euch von dieser Gesinnung durchdrungen ist.

Ja, es muß dahin kommen, daß es für eine Art von Makel und derjenige nicht für einen vollen Arbeiter gilt, der unserm Vereine nicht beigetreten; und er ist in der Tat kein voller Arbeiter, denn es fehlt ihm entweder an Einsicht in das Lebensinteresse seiner Klasse oder an der Männlichkeit, für dieses Interesse selbst wirken zu wollen.

Und nun fordere ich Euch auf, mit mir in den Ausruf einzustimmen:

Es lebe die soziale Demokratische Agitation! Es lebe der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein!


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