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Vorbemerkung. Bei der nachfolgenden Ausführung ist nicht außer Augen zu lassen, daß sie ursprünglich nicht für den Druck bestimmt, sondern zum Zweck eines Vortrages in einem hiesigen Handwerkerverein geschrieben war. Ähnliche Gründe, wie die, welche den Druck meines Vortrages »über Verfassungswesen« veranlaßt haben, bestimmen mich, auch den gegenwärtigen Vortrag der Öffentlichkeit zu übergeben.
F. Lassalle
Meine Herren!
Aufgefordert, Ihnen einen Vortrag zu halten, habe ich geglaubt, am besten zu tun, wenn ich für denselben ein Thema wähle und auf streng wissenschaftliche Weise behandle, welches Sie seiner Natur nach besonders interessieren muß. Ich werde nämlich sprechen über den speziellen Zusammenhang, welcher stattfindet zwischen dem Charakter der gegenwärtigen Geschichtsperiode, in der wir uns befinden, und der Idee des Arbeiterstandes.
Ich habe bereits bemerkt, daß meine Behandlung des Themas eine rein wissenschaftliche sein wird.
Wahre Wissenschaftlichkeit aber besteht eben in nichts anderem als in einer völligen Klarheit und deshalb in einer völligen Voraussetzungslosigkeit des Denkens.
Wegen dieser gänzlichen Voraussetzungslosigkeit, mit welcher wir an unsern Gegenstand zu gehen haben, wird es im Verlauf sogar nötig sein, uns klarzuwerden über das, was wir denn eigentlich unter »Arbeiter« oder »Arbeiterstand« verstehen. Denn nicht einmal hierüber dürfen wir uns einer Voraussetzung, als sei das etwas ganz Bekanntes, hingeben. Durchaus nicht! Die Sprache des gewöhnlichen Lebens verbindet vielmehr sehr häufig das eine Mal ganz andere und verschiedene Begriffe mit den Worten »Arbeiter« und »Arbeiterstand « als das andere Mal, und wir werden uns daher an seinem Ort zuvor darüber klarwerden müssen, in welchem Sinne wir diese Benennung gebrauchen wollen.
Indes, hierzu ist in diesem Augenblick noch nicht der Ort. Wir werden vielmehr zuvörderst diesen Vortrag mit einer andern Frage beginnen müssen.
Mit folgender Frage nämlich: Der Arbeiterstand ist nur ein Stand unter den mehreren Ständen, welche die bürgerliche Gesellschaft zusammensetzen. Auch hat es zu jeder Zeit Arbeiter gegeben. Wie ist es hiernach nur möglich und welchen Sinn hat es, daß ein besondrer Zusammenhang stattfinden soll zwischen der Idee dieses einzelnen, bestimmten Standes und dem Prinzip der besondern Geschichtsperiode, in der wir leben?
Um dies zu verstehen, ist es erforderlich, einen Blick in die Geschichte zu werfen, in die Vergangenheit, meine Herren, welche, richtig verstanden, hier wie immer die Bedeutung der Gegenwart aufschließt und die Umrisse der Zukunft vorauszeigt.
Wir werden uns bei diesem Rückblick möglichst kurz fassen müssen, meine Herren, denn wir würden sonst Gefahr laufen, gar nicht zu dem eigentlichen Thema der Betrachtung in der kurzen Zeit, die uns zugemessen ist, zu gelangen.
Aber selbst auf diese Gefahr hin werden wir wenigstens irgendeinen solchen, wenn auch auf die allgemeinsten Umstände beschränkten Rückblick, wie flüchtig er auch sei, auf die Vergangenheit werfen müssen, um daraus den Sinn unserer Frage und unseres Themas zu verstehen.
Gehen wir also auf das Mittelalter zurück, so finden wir, daß in demselben sich auch damals bereits, wenn auch freilich lange nicht so ausgebildet wie heut, im ganzen dieselben Stände und Klassen der Bevölkerung vorfinden, welche heut die bürgerliche Gesellschaft zusammensetzen. Aber wir finden ferner, daß ein Stand und ein Element damals das herrschende ist – nämlich der Grundbesitz.
Der Grundbesitz ist es, meine Herren, welcher im Mittelalter in jeder Hinsicht das Zepter führt, welcher sein spezifisches besonderes Gepräge allen Einrichtungen und dem ganzen Leben jener Zeit aufgedrückt hat; er ist es, der als das herrschende Prinzip jener Zeit ausgesprochen werden muß.
Der Grund davon, daß der Grundbesitz das herrschende Prinzip jener Zeit ist, ist ein sehr einfacher. Er liegt – wenigstens kann uns hier dieser Grund völlig genügen – in der ökonomischen, wirtschaftlichen Beschaffenheit des Mittelalters; in dem Zustand seiner Produktion. Der Handel war damals noch sehr wenig entwickelt; noch viel weniger die Industrie. Der Hauptreichtum jener Gesellschaft bestand vielmehr unendlich überwiegend in der Ackerbauproduktion.
Der bewegliche Besitz kam damals neben dem Besitz des Grund und Bodens sehr wenig in Betracht, und wie sehr dies der Fall war, kann Ihnen selbst das Privatrecht, welches immer einen sehr hellen Einblick in die ökonomischen Verhältnisse der Epochen gewährt, in denen es entstanden ist, sehr deutlich zeigen. So erklärte zum Beispiel das mittelalterliche Privatrecht in der Absicht, das Vermögen der Familien von Geschlecht zu Geschlecht fortzuerhalten und gegen Verschwendung zu schützen, das Familienvermögen oder »Eigen« für unveräußerlich ohne die Zustimmung der Erben. Aber unter diesem Familienvermögen oder dem »Eigen« werden ausdrücklich nur Grundstücke verstanden. Die Fahrnis dagegen, wie man damals das bewegliche Eigentum nannte, ist ohne Einwilligung der Erben veräußerlich. Und überhaupt wird im allgemeinen alle Fahrnis oder das bewegliche Eigentum vom altdeutschen Privatrecht nicht behandelt wie ein selbständiger, fortzeugender Vermögensstock, Kapital, sondern immer nur wie Früchte vom Grund und Boden, also zum Beispiel wie die Jahresernte vom Boden, und dieser gleichgestellt. Als selbständiger, fortzeugender Vermögensstock wird damals regelmäßig nur der Grundbesitz behandelt. Es war daher diesem Zustand der Dinge nur höchst entsprechend und eine einfache Folge davon, daß der Grundbesitz – und diejenigen, welche ihn weit überwiegend in Händen hatten, also wie Ihnen bekannt sein wird, Adel und Geistlichkeit – den herrschenden Faktor jener Gesellschaft in jeder Hinsicht bildete.
Welche Institution des Mittelalters Sie betrachten mögen, tritt Ihnen immer von neuem diese Erscheinung entgegen.
Wir wollen uns begnügen, den Blick auf einige der wesentlichsten dieser Einrichtungen zu werfen, in welchen der Grundbesitz als das herrschende Prinzip zutage tritt. So zuerst die durch ihn gegebene Organisation der öffentlichen Macht, oder die Lehnsverfassung. Sie wissen, meine Herren, daß diese darin bestand, daß Könige, Fürsten und Herren anderen Herren und Rittern Grundstücke zur Benutzung abtraten, wogegen ihnen die Empfänger besonders die Heergefolge, das heißt: die Unterstützung ihrer Lehnsherren in den Kriegen oder Fehden derselben, sowohl persönlich als mit ihren Mannschaften angeloben mußten.
So zweitens die Organisation des öffentlichen Rechts oder die Reichsverfassung. Auf den deutschen Reichstagen war der Fürstenstand und der große Grundbesitz der Reichsgrafenschaft und der Geistlichkeit vertreten. Die Städte selbst genossen nur dann dort Sitz und Stimme, wenn es ihnen gelungen war, das Privilegium einer freien Reichsstadt zu erwerben.
So drittens die Steuerfreiheit des großen Grundbesitzes. Es ist nämlich eine charakteristische und stets wiederkehrende Erscheinung, meine Herren, daß jeder herrschende privilegierte Stand stets die Lasten zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Wesens auf die unterdrückten und nicht besitzenden Klassen zurückzuwälzen sucht, in offner oder verschleierter, in direkter oder indirekter Form. Als Richelieu im Jahre 1641 6 Millionen Franken von der Geistlichkeit als eine außerordentliche Steuer forderte, um den Bedürfnissen des Staats zu Hilfe zu kommen, gab diese durch den Mund des Erzbischofs von Sens die charakteristische Antwort: »L'usage ancien de l'église pendant sa vigueur était que le peuple contribuait ses biens, la noblesse son sang, le clergé ses prières aux nécessités de l'État.« zu deutsch: »Der alte Brauch der Kirche während ihrer Blüte war, daß das Volk beisteuerte für die Bedürfnisse des Staats seine Güter, der Adel sein Blut, die Geistlichkeit ihre Gebete.«
So viertens die soziale Geringschätzung, welche auf jeder andern Arbeit als etwa auf der Beschäftigung mit dem Grund und Boden lastete.
Industrielle Unternehmungen zu leiten, im Handel und den Gewerben Geld zu verdienen, galt für schimpflich und entehrend für die bevorrechtigten, herrschenden beiden Stände, Adel und Geistlichkeit, für welche nur aus dem Grundeigentum ihr Einkommen zu beziehen, ehrenhaft erschien.
Diese vier großen und maßgebenden, den Grundcharakter einer Epoche bestimmenden Tatsachen reichen für unsere Betrachtung vollkommen aus, um zu zeigen, wie es in jener Zeitperiode der Grundbesitz war, welcher derselben überall sein Gepräge aufdrückte und das herrschende Prinzip derselben bildete.
Dies war so sehr der Fall, daß selbst die scheinbar vollständig revolutionäre Bewegung der Bauernkriege, die 1524 in Deutschland ausbrach und ganz Schwaben, Franken, den Elsaß, Westfalen und noch andere Teile Deutschlands umfaßte, innerlich noch durch und durch an diesem selben Prinzipe hing, in der Tat also eine reaktionäre Bewegung war, trotz ihres revolutionären Gebarens. Sie wissen, meine Herren, daß die Bauern damals die Burgen der Adligen niederbrannten, die Adligen selbst töteten, sie, was die damals übliche Form war, durch die Spieße laufen ließen. Und nichtsdestoweniger, trotz dieses äußern revolutionären Anstrichs, war die Bewegung innerlich von Grund aus reaktionär. Denn die Wiedergeburt der staatlichen Verhältnisse, die deutsche Freiheit, welche die Bauern herstellen wollten, sollte nach ihnen darin bestehen, daß die besondere und bevorrechtete Zwischenstellung, welche die Fürsten zwischen Kaiser und Reich einnahmen, fortfallen und statt ihrer auf den deutschen Reichstagen nichts als der freie und unabhängige Grundbesitz, und zwar der bäuerliche und ritterliche – die beide bis dahin nicht vertreten waren – ebensogut, wie der eigene, unabhängige Grundbesitz der Adligen aller Art, also der Ritter, Grafen und der bisherigen Fürsten, ohne Rücksicht auf diese früheren Unterschiede, und wieder der adlige Grundbesitz seinerseits so gut wie der bäuerliche vertreten sein sollte.
Sie sehen also sofort, meine Herren, daß dieser Plan in letzter Instanz auf nichts anderes hinausläuft, als auf eine nur konsequentere und gerechtere Durchführung des Prinzips, welches der damals eben sich zu Ende neigenden Epoche zugrunde gelegen hatte, auf eine nur konsequentere, reinere und gerechtere Durchführung des Prinzips nämlich: der Grundbesitz solle das herrschende Element und die Bedingung sein, welche allein einen jeden zu einem Anteil an der Herrschaft über den Staat berechtige. Daß jeder einen solchen Anteil schon deshalb fordern könne, weil er Mensch, weil er ein vernünftiges Wesen sei, auch ohne jeden Grundbesitz, – das fiel den Bauern nicht entfernt ein! Dazu waren die damaligen Verhältnisse noch nicht entwickelt, die damalige Gedankenbildung noch nicht revolutionär genug.
So war denn diese äußerlich mit so revolutionärer Entschiedenheit auftretende Bauernbewegung innerlich vollkommen reaktionär; das heißt sie stand, statt auf einem neuen revolutionären Prinzip zu stehen, ohne es zu wissen, innerlich vielmehr durchaus auf dem Prinzip des Alten, des Bestehenden, auf dem Prinzip der damals gerade untergehenden Periode, und nur gerade deshalb, weil sie, während sie sich für revolutionär hielt, in der Tat reaktionär war, ging die Bauernbewegung zugrunde.
Es war hiernach damals sowohl der Bauern- als der Adelserhebung (Franz v. Sickingen) gegenüber – welchen beiden das Prinzip gemeinschaftlich war, den Anteil an der Staatsherrschaft, noch konsequenter, als bis dahin der Fall, auf den Grundbesitz zu gründen – das emporstrebende Landesfürstentum als von der Idee einer vom Grundeigentum unabhängigen Staatssouveränität getragen, als Vertreter einer von den Privatbesitzverhältnissen unabhängigen Staatsidee ein immerhin relativ berechtigtes und revolutionäres Moment – und dies eben war es, was ihm die Kraft zu seiner siegreichen Entwicklung und zur Unterdrückung der Bauern- und Adelsbewegung gab.
Ich habe bei diesem Punkt etwas nachdrücklich verweilt, meine Herren, einmal um Ihnen die Vernünftigkeit und den Fortschritt der Freiheit in der geschichtlichen Entwicklung sogar an einem Beispiele, an welchem dies bei oberflächlicherer Betrachtung keineswegs einleuchtet, nachzuweisen; zweitens weil die Geschichtsschreiber noch weit davon entfernt sind, diesen reaktionären Charakter der Bauernbewegung und den lediglich in ihm liegenden Grund ihres Mißlingens zu erkennen, vielmehr, durch den äußern Anschein getäuscht, die Bauernkriege für eine wirklich revolutionäre Bewegung halten.
Drittens endlich deshalb, weil sich zu allen Zeiten dies Schauspiel häufig wiederholt, daß gedankenunklare Menschen – und hierzu, meine Herren, können die scheinbar Allergebildetsten, können Professoren gehören und gehören, wie uns die Paulskirche traurigen Angedenkens gezeigt hat, vorzüglich häufig dazu – in die ungeheure Täuschung verfallen, das, was nur der konsequentere und reinere Gedankenausdruck der eben untergehenden Zeitperiode und Welteinrichtung ist, für ein neues revolutionäres Prinzip zu halten.
Vor solchen nur in ihrer eigenen Einbildung revolutionären Männern und Richtungen möchte ich – denn es wird uns in der Zukunft daran ebenso wenig fehlen, als es uns bisher in der Vergangenheit daran gefehlt hat – Sie warnen, meine Herren!
Es läßt sich daran zugleich der Trost knüpfen, daß die zahlreichen sofort oder binnen kurzer Zeit nach momentanem Gelingen wieder verunglückten Bewegungen, welche wir in der Geschichte finden und welche den wohlmeinenden, aber oberflächlichen Blick manchen Volksfreundes mit trüber Besorgnis erfüllen können, immer nur solche bloß in ihrer Einbildung revolutionäre Bewegungen waren.
Eine wirklich revolutionäre Bewegung, eine solche, die auf einem wahrhaft neuen Gedankenprinzip steht, ist, wie sich der tiefere Denker zu seinem Troste aus der Geschichte zu beweisen vermag, noch niemals untergegangen, mindestens nicht auf die Dauer.
Ich kehre zu meinem Faden zurück.
Wenn die Bauernkriege nur in ihrer Einbildung revolutionär waren, so war dagegen damals wirklich und wahrhaft revolutionär der Fortschritt der Industrie, der bürgerlichen Produktion, der sich immer weiter entwickelnden Teilung der Arbeit und der hierdurch entstandene Kapitalreichtum, der sich ausschließlich in den Händen der Bourgeoisie aufhäufte, weil sie eben der Stand war, welcher sich der Produktion unterzog und deren Vorteile sich aneignete.
Man pflegt mit der Reformation, also mit dem Jahre 1517, das Ende des Mittelalters und den Anbruch der neueren Geschichte zu datieren.
In der Tat ist das in dem Sinne richtig, daß in den unmittelbar auf die Reformation folgenden zwei Jahrhunderten langsam, allmählich und unmerklich ein Umschwung eintritt, welcher das Aussehen der Gesellschaft von Grund aus verändert und in ihrem Herzen eine Umwälzung vollzieht, welche später im Jahre 1789 durch die Französische Revolution nur proklamiert, nicht aber eigentlich geschaffen wird.
Worin dieser Umschwung bestand, fragen Sie?
In der rechtlichen Stellung des Adels hatte sich nichts geändert. Rechtlich waren Adel und Geistlichkeit die beiden herrschenden Stände, die Bourgeoisie der überall zurückgesetzte und unterdrückte Stand geblieben. Aber wenn sich rechtlich nichts geändert hatte, so war faktisch, war tatsächlich die Umänderung der Verhältnisse eine um so ungeheurere gewesen.
Durch die Erzeugung und Aufhäufung des Kapitalreichtums des, im Gegensatz zum Grundeigentum, beweglichen Besitzes in den Händen der Bourgeoisie, war der Adel in eine vollkommene Unbedeutendheit, ja bereits in wahre Abhängigkeit von dieser reich gewordenen Bourgeoisie herabgesunken. Bereits mußte er, wollte er sich irgend neben ihr halten, allen seinen Standesprinzipien abtrünnig werden und zu denselben Mitteln des industriellen Erwerbs zu greifen anfangen, welchen die Bourgeoisie ihren Reichtum und somit ihre tatsächliche Macht verdankte.
Schon die Komödien Molières, der zur Zeit Ludwigs XIV. lebte, zeigen uns – eine höchst interessante Erscheinung den damaligen Adel die reiche Bourgeoisie verachtend und bei ihr schmarotzend zu gleicher Zeit.
Louis XIV. selbst, dieser stolzeste König, zieht bereits in seinem Schlosse zu Versailles den Hut und erniedrigt sich vor dem Juden Samuel Bernard, dem Rothschild der damaligen Epoche, um ihn zu einem Anlehen geneigt zu machen. Als Law, der berühmte schottische Finanzmann, in Frankreich im Anfang des 18. Jahrhunderts die Handelskompagnien gebildet hatte, eine auf Aktien gegründete Gesellschaft, welche zur kommerziellen Ausbeutung der Mississippi-Ufer, der Louisiana, Ostindiens usw. zusammengetreten war, war der Regent von Frankreich selbst unter ihren Direktoren – Mitglied einer Kaufmannsgesellschaft! Ja, der Regent sah sich genötigt, im August 1717 Edikte zu erlassen, in welchen verordnet wurde, daß die Adligen, ohne sich etwas zu vergeben, in den See- und Kriegsdienst dieser Handelskompagnien treten könnten! Dahin war also bereits damals der kriegerische und stolze Feudaladel Frankreichs gekommen, den bewaffneten Kommis für die industriellen und kommerziellen Unternehmungen der alle Weltteile durcheinanderwühlenden Bourgeoisie zu machen.
Ganz entsprechend diesem Umschwunge hatte sich bereits damals ein Materialismus entwickelt, ein heißhungriges, gieriges Ringen nach Geld und Gut, dem alle sittlichen Ideen, ja, was bei den bevorrechteten Ständen leider in der Regel noch mehr sagen will, selbst alle Standesvorurteile feil waren. Unter demselben Regenten von Frankreich wird Graf Horn, einer der vornehmsten mit den ersten Familien Frankreichs, ja mit dem Regenten selbst verwandten Adligen, als gemeiner Raubmörder gerädert, und die Herzogin von Orleans, eine deutsche Prinzeß, schreibt in einem Briefe vom 29. November 1719, sechs der vornehmsten Damen hätten eines Tages dem vorhin erwähnten Law, der damals der gefeiertste und auch der beschäftigste Mann in Frankreich war und dessen es sich infolgedessen sehr schwer war, zu bemächtigen, in dem Hofe eines Gebäudes aufgepaßt, um ihn zu bewegen, ihnen von jenen von ihm gestifteten Aktien abzulassen, um die sich damals ganz Frankreich riß und die auf der Börse sechs- und achtmal so hoch und höher standen, als der Nominalpreis betrug, zu denen sie von Law ausgegeben worden waren. Law sei sehr beeilt gewesen, habe nicht hören wollen und habe endlich zu den Damen, die ihn nicht von der Stelle ließen, gesagt: »Meine Damen, ich bitte tausendmal um Verzeihung, aber wenn Sie mich nicht loslassen, so muß ich platzen, denn ich habe ein Bedürfnis, zu pissen, welches mir unmöglich ist, länger anzuhalten.« Worauf ihm die sechs vornehmen Damen geantwortet: »Eh bien, monsieur, pissez pourvu que vous nous écoutiez.« zu deutsch: »Nun wohl, mein Herr, pissen Sie immer hin, wenn Sie uns nur anhören.« Und sie blieben in der Tat während dieses Aktes bei ihm stehen und trugen ihm ihr Anliegen vor.
Fragen sie mich wiederum, welche Ursachen es gewesen waren, welche diese Entwicklung der Industrie und den dadurch hervorgerufenen Reichtum der Bourgeoisie ermöglicht hatten, so würde ich durch ein genaueres Eingehen auf dieselben weitaus den Zeitraum, den ich mir gestatten kann, überschreiten müssen. Nur kurz aufzählen kann ich Ihnen die allerwesentlichsten derselben: die Entdeckung Amerikas und der hierdurch auf die Produktion geübte unermeßliche Einfluß; der durch die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung entdeckte Seeweg nach Ostindien, während früher aller Handel mit dem Orient und Indien den Landweg über Suez nehmen mußte; die Erfindung der Magnetnadel und des Kompasses, die hierdurch für allen Seehandel herbeigeführte größere Sicherheit, Schnelligkeit und Verminderung der Assekuranzprämie ; die im Innern der Länder angelegten Wasserstraßen, die Kanäle und auch die Chausseen, welche durch die Verminderung der Transportkosten zahlreichen Produkten, die früher ihre Verteurung durch den Transport nicht ertragen konnten, erst die Möglichkeit entfernteren Absatzes erschließen; die größere bürgerliche Sicherheit des Besitzes, die geordnete Justiz, die Erfindung des Pulvers und das infolge dieser Erfindung eingetretene Brechen der kriegerischen Feudalmacht des Adels durch das Königtum; die durch die Zerstörung der adligen Burgen und der selbständigen adligen Kriegsmacht wieder eingetretene Entlassung ihrer Lanzenknechte und Reisigen, denen nun nichts übrigbleibt, als Aufnahme im mittelalterlichen Arbeitsatelier zu suchen – alle diese Ereignisse ziehen an dem Triumphwagen der Bourgeoisie!
Alle diese Ereignisse und noch viele andere, die man Ihnen aufzählen könnte, fassen sich inzwischen in die eine Wirkung zusammen: durch die Eröffnung großer débouchés, das heißt großer Absatzgebiete, und die damit verbundene Verminderung der Produktions- und Transportkosten, die Produktion in Masse, die Produktion für den Weltmarkt hervorzurufen; hierdurch wieder das Bedürfnis der billigen Produktion zu schaffen, welches wiederum nur durch eine immer weiter getriebene Teilung der Arbeit, das heißt durch eine immer vollständiger ausgeführte Zerlegung der Arbeit in ihre einfachsten mechanischen Operationen, befriedigt werden kann, und hierdurch wiederum seinerseits eine Produktion in immer größerem Maßstabe hervorruft.
Wir stehen hier auf dem Boden der Wechselwirkungen, meine Herren. Jede dieser Tatsachen ruft die andere hervor und diese andere wirkt wieder auf die erste zurück, erweitert und vergrößert ihren Umfang. So wird es Ihnen klar sein, daß die Produktion eines Artikels in ungeheuern Massen, seine Produktion für den Weltmarkt, nur dann im allgemeinen leicht möglich ist, wenn sich die Produktionskosten dieses Artikels billig stellen und wenn auch der Transport desselben billig genug ist, um seinen Preis nicht erheblich zu verteuern. Denn die Produktion in ungeheuern Massen erfordert den Absatz en masse, und der massenhafte Absatz einer Ware läßt sich nur hervorrufen durch ihren billigen Preis, der sie einer sehr großen Anzahl von Käufern zugänglich macht. Die billigen Produktions- und Transportkosten einer Ware rufen also ihre Produktion auf großem Fuße, in großen Massen hervor. Umgekehrt wird Ihnen aber auch wieder sofort klar sein, daß die Produktion eines Artikels in großen Massen die Billigkeit desselben erzeugt und vermehrt. Ein Fabrikant, welcher zum Beispiel zweimal hunderttausend Stück Kattun im Jahr absetzt, kann sowohl wegen der billigern Beschaffung des Rohmaterials im großen, als weil sich sein Kapitalprofit und die Zinsen seiner gewerblichen Anlagen, Gebäude, Maschinen über eine so große Anzahl von Stücken verteilen, innerhalb gewisser Grenzen jedes Stück weit billiger geben, als ein Fabrikant, der nur fünftausend solcher Stücke jährlich produziert. Die größere Billigkeit der Produktion führt also zur Produktion im großen, diese führt im allgemeinen wieder größere Billigkeit herbei, diese ruft wieder eine noch massenhaftere Produktion hervor, die wiederum eine noch größere Billigkeit erzeugt usf.
Es verhält sich ganz ebenso in bezug auf die Teilung der Arbeit, welche ihrerseits wieder die notwendige Voraussetzung der Produktion in Masse und der Billigkeit ist, und ohne welche weder Billigkeit noch Produktion in Masse möglich wäre.
Die Teilung der Arbeit, welche die Herstellung eines Produkts in eine große Anzahl ganz einfacher, oft rein mechanischer und verstandloser Operationen zerlegt und für jede einzelne dieser Teiloperationen besondere Arbeiter anstellt, wäre gar nicht möglich ohne massenhafte Produktion dieser Artikel, wird also durch diese erst hervorgerufen und entwickelt. Umgekehrt führt diese Zerlegung der Arbeit in solche ganz einfache Operationen und Handgriffe weiter, erstens zu einer immer größern Billigkeit, zweitens deshalb zu einer Produktion in immer größeren, riesenhaften Massen, zu einer immer mehr nicht auf diese und jene nahegelegene Absatzkreise, sondern auf den ganzen Weltmarkt berechneten Produktion und drittens hierdurch und durch die neuen Zerlegungen, die sich hierdurch bei den einzelnen Arbeitsoperationen anbringen lassen, wieder zu immer größeren Fortschritten in der Teilung der Arbeit selbst.
Durch die Reihe dieser Wechselwirkungen war allmählich eine totale Umänderung in der gesellschaftlichen Arbeit und somit in allen Lebensverhältnissen der Gesellschaft eingetreten.
Dieser Umschwung läßt sich in der Kürze am besten auf folgenden Gegensatz reduzieren:
Im früheren Mittelalter hatte man, da nur eine sehr geringe Anzahl von kostbaren Produkten die Teuerkeit des Transportes ertrug, produziert für das Bedürfnis der eigenen Lokalität und sehr beschränkter nahegelegener Absatzkreise, deren Bedürfnis ebendeshalb ein bekanntes, festes und unschwankendes war. Das Bedürfnis oder die Nachfrage war der Produktion oder dem Angebot vorausgegangen und bildete die bekannte Richtschnur dafür. Oder mit anderen Worten: Die gesellschaftliche Produktion war vorherrschend eine handwerksmäßige gewesen. Denn dies ist eben im Unterschied von dem Fabrikations- oder Großbetrieb der Charakter des kleinen oder Handwerksbetriebs, daß entweder das Bedürfnis abgewartet wird, um zu produzieren, wie zum Beispiel der Schneider meine Bestellung abwartet, um mir einen Rock zu machen, der Schlosser, um mir ein Schloß zu verfertigen, oder daß doch, wenn auch manche Gegenstände im voraus gearbeitet werden, sich im ganzen diese Vorausarbeit beschränkt auf ein Minimum des erfahrungsmäßig genau bekannten Bedürfnisses in der eigenen Lokalität und ihrer nächsten Nachbarschaft, wie zum Beispiel, wenn ein Klempner eine gewisse Anzahl von Lampen im voraus arbeitet, von denen er weiß, daß der städtische Bedarf sie bald absorbiert haben muß.
Die charakteristischen Eigenschaften einer vorherrschend in dieser Weise produzierenden Gesellschaft, meine Herren, sind Armut oder doch nur eine bescheidene Wohlhabenheit und dagegen eine gewisse Festigkeit und Stabilität aller Verhältnisse.
Jetzt dagegen war allmählich durch die unablässige Wechselwirkung, die ich Ihnen geschildert habe, ein total entgegengesetzter Charakter der gesellschaftlichen Arbeit und damit aller Lebensverhältnisse eingetreten; schon war im Keime derselbe Charakter eingetreten, der heute in einer freilich ganz anders ausgebildeten, in einer riesenhaft entwickelten Weise die gesellschaftliche Arbeit kennzeichnet. In dieser riesenhaften Entwicklung, die er heute hat, läßt sich dieser Charakter im Gegensatz zu dem früher geschilderten also kennzeichnen: Wenn früher das Bedürfnis vorausging, dem Angebot, der Produktion, diese nach sich zog und bestimmte, ihre Richtschnur und ihr bekanntes Maß bildete, so geht jetzt die Produktion, das Angebot, dem Bedürfnis voraus und sucht dieses zu erzwingen. Es wird produziert nicht mehr für die Lokalität, nicht mehr für das bekannte Bedürfnis nahegelegener Absatzkreise, sondern für den Weltmarkt. Es wird produziert ins Weite und Allgemeine hinein, für alle Weltteile, für ein schlechthin unbekanntes und nicht zu bestimmendes Bedürfnis, und damit das Produkt sich das Bedürfnis nach ihm erzwingen kann, wird ihm eine Waffe mitgegeben, die Billigkeit. Die Billigkeit ist die Waffe des Produkts, mit der sich es einerseits den Käufer erobert und mit der es andrerseits alle anderen Waren derselben Art aus dem Felde schlägt, die gleichfalls auf den Käufer eindringen wollen, so daß in der Tat unter dem System der freien Konkurrenz ein jeder Produzent hoffen kann, wie riesenhafte Massen er auch produziere, für alle diese Absatz zu gewinnen, wenn es ihm nur gelingt, durch bessere Bewaffnung seiner Ware mit Billigkeit die Waren seiner Mitproduzenten kampfunfähig zu machen.
Der hervorstechende Charakter einer solchen Gesellschaft ist großer, unermeßlicher Reichtum, andrerseits ein großes Schwanken aller Verhältnisse, eine fast beständige sorgenvolle Unsicherheit in der Lage der einzelnen, verbunden mit einer sehr verschiedenartigen Beteiligung der zur Produktion Mitwirkenden an dem Gewinn der Produktion.
So groß also, meine Herren, war der Umschwung gewesen, welchen die stille, revolutionäre, unterwühlende Tätigkeit der Industrie schon vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts unmerklich in dem Herzen der Gesellschaft herbeigeführt hatte.
Wenn die Männer der Bauernkriege noch nicht gewagt hatten, auch nur einen andern Gedanken zu fassen, als den, den Staat auf den Grundbesitz zu gründen, wenn sie noch nicht einmal im Gedanken sich von der Anschauung loszuwinden vermocht hatten, daß der Grundbesitz das notwendig die Herrschaft über den Staat führende Element, und die Teilnahme an diesem Besitz die Bedingung für die Teilnahme an dieser Herrschaft sei, so hatte es der stille, unmerklich revolutionierende Fortschritt der Industrie dahin gebracht, daß bereits lange vor Ende des vorigen Jahrhunderts der Grundbesitz zu einem seiner frühern Wichtigkeit verhältnismäßig völlig entkleideten Element geworden und neben der Entwicklung der neuen Produktionsweisen und der Reichtümer, die sie in ihrem Schoße barg und täglich aufhäufte, des immensen Einflusses, den sie dadurch über die ganze Bevölkerung und ihre Verhältnisse, sogar auf den zum großen Teil arm gewordenen Adel selbst ausübte, zu einer untergeordneten Stelle herabgesunken war.
Die Revolution war somit bereits in dem Innern der Gesellschaft, in den tatsächlichen Verhältnissen derselben eingetreten, lange ehe sie in Frankreich ausbrach, und es war nur noch erforderlich, diesen Umschwung auch zur äußern Anerkennung zu bringen, ihm rechtliche Sanktion zu geben. Dies ist überhaupt bei allen Revolutionen der Fall, meine Herren! Man kann nie eine Revolution machen; man kann immer nur einer Revolution, die schon in den tatsächlichen Verhältnissen einer Gesellschaft eingetreten ist, auch äußere rechtliche Anerkennung und konsequente Durchführung geben.
Eine Revolution machen wollen ist die Torheit unreifer Menschen, die von den Gesetzen der Geschichte keine Ahnung haben.
Ebendeshalb ist es ebenso unreif und ebenso kindisch, eine Revolution, die sich bereits einmal in den Eingeweiden einer Gesellschaft vollzogen hat, zurückdämmen und sich ihrer rechtlichen Anerkennung widersetzen oder einer solchen Gesellschaft oder einzelnen, die sich bei diesem Hebammendienst beteiligten, den Vorwurf machen zu wollen, daß sie revolutionär seien. Ist die Revolution drin in der Gesellschaft, in ihren tatsächlichen Verhältnissen, so muß sie, da hilft nichts, auch herauskommen und in die Gesetzsammlung übergehen.
Wie sich dies verhält und wie weit es hierin in der Zeit, von der ich spreche, bereits gekommen war, sehen Sie am besten an einer Tatsache, die ich noch erwähnen will.
Ich habe Ihnen vorhin von der Teilung der Arbeit gesprochen, deren Entwicklung darin besteht, jede Produktion in eine Reihe ganz einfacher, mechanischer und verstandloser Operationen zu zerlegen.
Indem diese Zerlegung immer weiter fortschreitet, entdeckt nun endlich, daß sich diese einzelnen Operationen, das sie ganz einfach und verstandslos sind, ebensogut und besser auch von verstandlosen Faktoren vollbringen lassen, und so erfindet im Jahre 1775, also 14 Jahre vor der Französischen Revolution, Arkwright in England die erste Maschine, seine berühmte Baumwollenspinnmaschine.
Man kann sagen, daß diese Maschine an und für sich schon die Revolution nicht hervorbrachte, dazu geht ihr diese Erfindung, die überdies auch nicht augenblicklich in Frankreich eingeführt wurde, viel zu kurze Zeit vorher, sondern daß sie die bereits tatsächlich eingetretene, bereits vollzogene Revolution in sich verkörperte. Sie war selbst schon, so unschuldig sie aussah, diese Maschine, die lebendig gewordene Revolution.
Die Gründe hierfür sind einfach.
Sie werden von der Zunftverfassung gehört haben, in welcher sich die mittelalterliche Produktion bewegte.
Ich kann hier auf das Wesen der mittelalterlichen Zünfte so wenig eingehen, wie auf dasjenige der seit der Französischen Revolution überall an die Stelle der Zünfte getretenen freien Konkurrenz. Ich kann hier nur in Weise einer Versicherung die Tatsache hinstellen, daß das mittelalterliche Zunftwesen untrennbar mit den anderweitigen Einrichtungen des Mittelalters verbunden war. Kann ich Ihnen aber auch heut die Gründe dieser untrennbaren Verbindungen nicht klarlegen, so läßt sich die Tatsache selbst doch schon geschichtlich beweisen. Die Zünfte haben das ganze Mittelalter hindurch bis zur Französischen Revolution gedauert. Schon im Jahre 1672 wird über ihre Aufhebung auf dem deutschen Reichstag verhandelt – aber vergeblich. Ja, schon im Jahre 1614 wird auf den französischen Etats généraux, den französischen Reichsständen, von der Bourgeoisie die Abschaffung der Zünfte, welche sie in der Produktion bereits überall beengten, verlangt. Ebenso vergeblich. Ja, noch mehr, 13 Jahre vor der Revolution, im Jahre 1776, hebt ein reformierender Minister in Frankreich, der berühmte Turgot, die Zünfte auf. Aber die feudale privilegierte Welt des Mittelalters erblickte sich, und mit vollkommenem Recht, in Todesgefahr, wenn ihr Lebensprinzip, das Privileg, nicht alle Klassen der Gesellschaft durchdränge, und so wird denn der König sechs Monate nach Aufhebung der Zünfte vermocht, sein Edikt zu widerrufen und die Zünfte wiederherzustellen. Erst die Revolution stürzte diese aber auch an einem Tage durch den Bastillesturm was in Deutschland seit 1672, in Frankreich seit 1614, also seit fast zwei Jahrhunderten, auf legalem Wege vergeblich erstrebt worden war.
Sie ersehen daraus, meine Herren, daß, welche große Vorteile auch dem Reformieren auf legalem Wege zukommen, dieser doch wieder bei allen wichtigeren Punkten den einen großen Nachteil hat, von einer sich über ganze Jahrhunderte hin erstreckenden Ohnmacht zu sein, und andrerseits, daß der revolutionäre Weg, mit wie unleugbaren Nachteilen er auch verbunden ist, dafür den einen Vorteil hat, schnell und energisch zu einem praktischen Ziele zu führen.
Halten Sie nun, meine Herren, mit mir einen Augenblick die Tatsache fest, daß die Zünfte in einer untrennbaren Weise mit der gesamten gesellschaftlichen Einrichtung des Mittelalters verbunden waren, so ersehen Sie sofort, wie die erste Maschine, jene Baumwollenspinnmaschine, die Arkwright erfand, eine vollständige Umwälzung jener gesellschaftlichen Zustände bereits in sich enthielt.
Denn wie sollte die Produktion mit Maschinen möglich sein unter der Zunftverfassung, bei welcher die Anzahl von Gesellen und Lehrlingen, welche ein Meister halten durfte, in jeder Lokalität gesetzlich bestimmt war? Oder wie sollte unter der Zunftverfassung, bei welcher die verschiedenen Arbeitszweige auf das genaueste gesetzlich voneinander abgegrenzt waren und jeder Meister nur einen derselben betreiben durfte, so daß zum Beispiel die Schneider von Paris mit den Flickschneidern, die Nagelschmiede mit den Schlossern hundertjährige Prozesse führten, um die Grenzen zwischen ihren Gewerben festzustellen – wie sollte unter einer solchen Zunftverfassung die Produktion mit einem System von Maschinen möglich sein, welche vielmehr die Verbindung der verschiedenartigsten Arbeitsgattungen unter der Hand eines und desselben Kapitals erfordert? Es war also dahin gekommen, daß die Produktion selbst durch ihre beständige schrittweise Vervollkommnung Produktionsinstrumente hervorgebracht hatte, welche den bestehenden Zustand der Dinge in die Luft sprengen mußten, Produktionsinstrumente und Produktionsweisen, welche in diesem Zustand keinen Platz und Entwicklungsraum mehr finden konnten. In diesem Sinne, sagte ich, war die erste Maschine bereits an und für sich eine Revolution, denn sie trug in ihren Kämmen und Rädern, so wenig ihr dies auch bei der äußerlichen Betrachtung anzusehen gewesen wäre, bereits im Keime den ganzen auf die freie Konkurrenz gebauten neuen Zustand der Gesellschaft in sich, der sich mit der Kraft und Notwendigkeit des Lebens aus diesem Keime entwickeln mußte.
Und so mag es, wenn ich nicht sehr irre, auch heute sein, meine Herren, daß bereits mehrfache Erscheinungen existieren, welche einen neuen Zustand der Dinge in sich tragen und ihn mit Notwendigkeit aus sich entwickeln müssen, Erscheinungen, denen man dies gleichwohl auf den äußerlichen Blick durchaus nicht ansieht, so daß an ihnen, während man unbedeutende Agitatoren verfolgt, selbst die Behörden nicht nur unbefangen vorübergehen, sondern sie sogar als notwendige Träger unserer Kultur gelten lassen, als Blüten und Höhepunkte derselben begrüßen und ihnen bei Gelegenheit anerkennende und preisende Festreden halten.
Nach allen diesen Erörterungen, meine Herren, werden Sie nun ganz begreifen die wahre Bedeutung der berühmten Broschüre, welche 1788, ein Jahr vor der Französischen Revolution, der Abbé Sieyès veröffentlichte, und welche sich in die Worte resümiert: Qu'est-ce que c'est que le tiers-état? Rien! Qu'est ce qu'il doit être? Tout!
Tiers-etat, oder dritter Stand, wurde nämlich in Frankreich die Bourgeoisie deshalb genannt, weil sie auf den französischen Reichsständen den beiden bevorrechteten Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit gegenüber den dritten Stand bildete, der das ganze nicht privilegierte Volk bedeutete.
Jene Broschüre faßt sich also in die beiden von Sieyès daselbst aufgestellten Fragen und erteilten Antworten zusammen: »Was ist der dritte Stand? Nichts! Was sollte er sein? Alles!«
So formuliert Sieyès diese beiden Fragen und Antworten. Schärfer und richtiger ausgedrückt war aber, wie aus allem Früheren folgt, die wahre Bedeutung dieser Fragen und Antworten vielmehr folgende:
»Was ist der dritte Stand faktisch, tatsächlich? Alles. Was aber ist er rechtlich? Nichts!«
Es handelte sich also darum, die rechtliche Stellung des dritten Standes seiner tatsächlichen Bedeutung gleich zu machen; es handelte sich darum, seine tatsächlich schon vorhandene Bedeutung auch zur rechtlichen Sanktion und Anerkennung zu bringen – und dies eben ist das Werk und die Bedeutung der siegreichen Revolution, die 1789 in Frankreich ausbrach und ihren umgestaltenden Einfluß auch auf die anderen Länder Europas ausübte.
Ich habe Ihnen hier nicht, meine Herren, die Geschichte der Französischen Revolution zu geben. Nur die wichtigsten und entscheidendsten Übergangspunkte der gesellschaftlichen Perioden können wir hier betrachten, und auch diese nur wegen der sonst dazu erforderlichen Zeitdauer, ganz kurz und flüchtig.
Es ist daher hier die Frage aufzuwerfen, wer war dieser dritte Stand oder die Bourgeoisie, welche durch die Französische Revolution den Sieg über die privilegierten Stände und die Herrschaft über den Staat erlangt?
Da dieser dritte Stand den privilegierten, gesetzlich bevorrechteten Ständen der Gesellschaft gegenüberstand, so faßte er damals im ersten Augenblick sich selbst als gleichbedeutend mit dem gesamten Volke, seine Sache als die Sache der ganzen Menschheit auf. Daher die erhebende und gewaltige Begeisterung, die in jener Periode herrscht. Die Menschenrechte werden erklärt, und es scheint, als habe mit der Befreiung und Herrschaft des dritten Standes alle gesetzliche Bevorrechtung in der Gesellschaft aufgehört und als sei jede rechtliche, privilegierte Unterscheidung in die eine Freiheit des Menschen untergegangen.
Zwar schreibt schon damals, ganz im Anfang der Bewegung, im April 1789 bei Gelegenheit der Wahlen zu den Reichsständen, die vom König mit der Bestimmung zusammengerufen waren, daß der dritte Stand diesmal allein ebenso viele Vertreter schicken solle, wie Adel und Geistlichkeit zusammengenommen, zwar schreibt schon damals ein durchaus nicht revolutionäres Blatt wie folgt: »Qui peut nous dire, si le despotisme de la bourgeoisie ne succédera pas à la prétendue aristocratie des nobles?« zu deutsch: »Wer kann uns sagen, ob der Despotismus der Bourgeoisie nicht folgen wird auf die angebliche Aristokratie der Adligen?«
Aber solche Rufe wurden in der allgemeinen Begeisterung damals noch völlig überhört.
Nichtsdestoweniger müssen wir zu jener Frage zurückkehren; wir müssen die Frage bestimmt aufwerfen: War die Sache des dritten Standes wirklich die Sache der ganzen Menschheit, oder trug dieser dritte Stand, die Bourgeoisie, innerlich noch einen vierten Stand in seinem Herzen, von welchem er sich wieder seinerseits rechtlich abscheiden und ihn seiner Herrschaft unterwerfen wollte?
Es ist hier an der Zeit, meine Herren, wenn ich nicht Gefahr laufen will, daß mein Vortrag vielleicht großen Mißverständnissen ausgesetzt sei, mich über die Bedeutung des Wortes Bourgeoisie oder große Bourgeoisie als politischer Parteibezeichnung, mich über die Bedeutung, die das Wort Bourgeoisie in meinem Munde hat, auszusprechen.
In die deutsche Sprache würde das Wort: Bourgeoisie mit Bürgertum zu übersetzen sein. Diese Bedeutung aber hat es bei mir nicht; Bürger sind wir alle, der Arbeiter, der Kleinbürger, der Großbürger usw. Das Wort Bourgeoisie hat vielmehr im Lauf der Geschichte die Bedeutung angenommen, eine ganz bestimmte politische Richtung zu bezeichnen, die ich nun sofort darlegen will.
Die gesamte nicht adlige bürgerliche Klasse zerfiel, als die Französische Revolution eintrat, und zerfällt noch heute im großen und ganzen wieder in zwei Unterklassen; nämlich erstens die Klasse derer, welche ganz oder hauptsächlich aus ihrer Arbeit ihr Einkommen beziehen und hierin durch gar kein oder nur durch ein bescheidenes Kapital unterstützt werden, welches ihnen eben die Möglichkeit gibt, eine produktive, sie und ihre Familie ernährende Tätigkeit auszuüben; in diese Klasse gehören also die Arbeiter, die Kleinbürger und Handwerker und im ganzen die Bauern. Und zweitens die Klasse derer, welche über einen großen bürgerlichen Besitz, über das große Kapital verfügen und aufgrund einer solchen großen Kapitalbasis produzieren oder Renteneinkommen daraus beziehen. Man könnte diese die Großbürger nennen. Aber auch ein Großbürger, meine Herren, ist darum an und für sich noch durchaus kein Bourgeois!
Kein Bürgerlicher hat etwas dagegen, wenn ein Adliger sich in seinem Zimmer über seine Ahnen und seinen Grundbesitz freut. Aber wenn der Adlige diese Ahnen oder diesen Grundbesitz zur Bedingung einer besonderen Geltung und Berechtigung im Staat, zur Bedingung einer Herrschaft über den Staatswillen machen will, – dann beginnt der Zorn des Bürgerlichen gegen den Adligen, und er nennt ihn einen Feudalen.
Es verhält sich nun ganz entsprechend mit den tatsächlichen Unterschieden des Besitzes innerhalb der bürgerlichen Welt.
Daß sich der Großbürger in seinem Zimmer der großen Annehmlichkeit und des großen Vorteils erfreue, welche ein großer bürgerlicher Besitz für den Besitzenden in sich schließt, – nichts einfacher, nichts natürlicher und nichts rechtmäßiger als das!
So sehr der Arbeiter und der Kleinbürger, mit einem Worte die ganze nicht Kapital besitzende Klasse, berechtigt ist, vom Staate zu verlangen, daß er sein ganzes Sinnen und Trachten darauf richte, wie die kummervolle und notbeladene materielle Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern, und wie auch ihnen, durch deren Hände alle die Reichtümer produziert worden, mit denen unsere Zivilisation prunkt, deren Händen alle die Produkte ihre Entstehung verdanken, ohne welche die gesamte Gesellschaft keinen Tag existieren könnte, zu einem reichlicheren und gesicherten Erwerbe und damit wieder zu der Möglichkeit geistiger Bildung und somit erst zu einem wahrhaft menschenwürdigen Dasein zu verhelfen sei – wie sehr, sage ich, die arbeitenden Klassen auch berechtigt sind, dies vom Staate zu fordern und dies als seinen wahrhaften Zweck hinzustellen, so darf und wird dennoch der Arbeiter niemals vergessen, daß alles einmal erworbene gesetzliche Eigentum vollständig unantastbar und rechtmäßig ist.
Wenn aber der Großbürger, nicht zufrieden mit der tatsächlichen Annehmlichkeit eines großen Besitzes, den bürgerlichen Besitz, das Kapital, auch noch als die Bedingung hinstellen will, an der Herrschaft über den Staat, an der Bestimmung des Staatswillens und Staatszweckes teilzunehmen, dann erst wird der Großbürger zum Bourgeois, dann macht er die Tatsache des Besitzes zur rechtlichen Bedingung der politischen Herrschaft, dann charakterisiert er sich als einen neuen privilegierten Stand im Volke, der nun das herrschende Gepräge seines Privilegiums allen gesellschaftlichen Einrichtungen ebensogut aufdrücken will, wie dies der Adel im Mittelalter, wie wir gesehen haben, mit dem Privilegium des Grundbesitzes getan. Die Frage, die wir also in bezug auf die französische Revolution und die von ihr eingeleitete Geschichtsperiode zu erheben haben, ist somit die: hat sich der dritte Stand, der durch die französische Revolution zur Herrschaft kam, in diesem Sinne als Bourgeoisie aufgefaßt und das Volk seiner privilegierten politischen Herrschaft unterwerfen wollen und unterworfen?
Die Antwort hierauf haben die großen Tatsachen der Geschichte zu erteilen, und diese Antwort ist eine entschieden bejahende.
Wir können nur einen rapiden Blick auf die allerwichtigsten dieser Tatsachen werfen, die aber zur Entscheidung der Frage hinreichen.
Schon in der ersten Verfassung, welche die Folge der französischen Revolution war, in der Verfassung vom 3. September 1791, wird (Kapitel I Sektion I und II) der Unterschied zwischen citoyen activ und citoyen passiv, zwischen aktiven Bürgern und passiven Bürgern aufgestellt. Nur die aktiven Bürger erhalten das Wahlrecht, und ein aktiver Bürger ist, dieser Verfassung zufolge, nur derjenige, der eine direkte Steuer von einer gewissen nähef bestimmten Höhe zahlt.
Dieser Steuerbetrag war damals seinem Umfange nach noch mäßig bestimmt; er sollte nur den Wert dreier Arbeitstage, also wenn wir den Arbeitstag zum Beispiel auf 10 Silbergroschen schätzen, den Wert von 1 Taler betragen. Aber noch wichtiger war, daß alle diejenigen für nicht aktive Bürger erklärt wurden, welche serviteurs à gages waren, um Lohn dienten, durch welche Bestimmung der Arbeiterstand ausdrücklich vom Wahlrecht ausgeschlossen wurde. Endlich kommt es bei solchen Fragen nicht einmal auf den Umfang an, sondern auf das Prinzip.
Es war ein Zensus eingeführt; das heißt ein bestimmter bürgerlicher Besitz als die Bedingung hingestellt, durch das Wahlrecht – dieses erste und wichtigste aller politischen Rechte – an der Bestimmung des Staatswillens und Staatszweckes teilnehmen zu können.
Alle diejenigen, welche überhaupt keine direkte Steuer oder keine von diesem Betrage zahlten, oder Lohnarbeiter waren, waren von der Herrschaft über den Staat ausgeschlossen und zu einer beherrschten unterworfenen Masse gemacht. Der bürgerliche Besitz oder der Kapitalbesitz war die Bedingung zur Herrschaft über den Staat geworden, wie im Mittelalter der adlige Besitz oder der Grundbesitz.
Dies Prinzip des Zensus bleibt – mit Ausnahme einer sehr kurzen Periode, der französischen Republik von 1793, die an ihrer eigenen Unklarheit und an der ganzen Lage der damaligen Verhältnisse zugrunde ging, und auf die ich hier nicht näher eingehen kann – das leitende Prinzip aller Verfassungen, die aus der Französischen Revolution hervorgingen.
Ja, mit jener Konsequenz, die allen Prinzipien eigen ist, mußte sich dasselbe gar bald auch zu einem ganz andern quantitativen Umfang entwickeln.
In der Verfassung von 1814 wurde von der oktroyierten Charte, die Louis XVIII. erließ, ein direkter Steuerbetrag von 300 Francs, also von 80 Talern, an Stelle jenes früheren vom Werte dreier Arbeitstage als Bedingung des Wahlrechts festgestellt. Die Julirevolution von 1830 bricht aus, und nichtsdestoweniger wird durch das Gesetz vom 19. April 1831 ein direkter Steuerbetrag von 200 Francs, also von zirka 53 Talern, als Bedingung des Wahlrechts gefordert.
Was unter Louis Philipp und Guizot das pays légal, das gesetzliche Land, nämlich das »gesetzlich in Betracht kommende Land« genannt wurde, bestand aus 200 000 Männern. Es gab nicht mehr als 200 000 mit jenem bürgerlichen Besitz ausgerüstete Wähler in Frankreich, welche die Herrschaft führten über ein Land von über 30 Millionen Einwohnern.
Es muß hier beiläufig bemerkt werden, daß es selbstredend ganz gleichgültig ist, ob das Prinzip des Zensus, die Ausschließung der Nichtbesitzenden vom Wahlrecht auftritt, wie in den angeführten Verfassungen, in direkter und offener, oder in einer irgendwie verkappten Form. Die Wirkung ist immer dieselbe.
So konnte die zweite französische Republik im Jahre 1850 das einmal erklärte allgemeine und direkte Wahlrecht, das wir im Verlauf noch betrachten werden, unmöglich offen widerrufen. Aber sie half sich damit, daß sie durch das Gesetz vom 31. Mai 1850 nur solche Bürger zum Wahlrecht in einem Orte zuließ, welche an demselben Ort schon seit mindestens drei Jahren ununterbrochen domiziliert waren. Weil nämlich die Arbeiter in Frankreich durch ihre Lage häufig gezwungen sind, den Ort zu wechseln und in einer andern Gemeinde Arbeit und Beschäftigung zu suchen, hoffte man, und mit gutem Grunde, überaus große Massen von Arbeitern, die den Nachweis eines dreijährigen ununterbrochenen Domizils an demselben Ort nicht führen konnten, von dem Wahlrechte auszuschließen.
Hier haben Sie also einen Zensus in verkappter Form.
Noch viel schlimmer ist es bei uns seit dem oktroyierten Dreiklassenwahlgesetz, wo also, je nach den Verhältnissen der Lokalität, 3, 10, 30 und mehr nichtbesitzende Wähler der dritten Klasse nur dasselbe Wahlrecht ausüben, wie ein einziger großer Kapitalbesitzer, ein Großbürger, welcher der ersten Wählerklasse angehört, so daß also in Wahrheit, wäre das Verhältnis zum Beispiel im Durchschnitt wie 1 zu 10, immer je neun Männer von zehn solchen, welche im Jahre 1848 Wahlrecht besaßen, es durch das oktroyierte Dreiklassenwahlgesetz des Jahres 1849 verloren haben und es nur noch zum Schein ausüben.
Um Ihnen aber zu zeigen, wie sich dies nun wirklich im Durchschnitt verhält, brauche ich Ihnen bloß einige auf offiziellen amtlichen Listen beruhende Zahlen mitzuteilen.
Im Jahre 1848 hatten wir infolge des damals eingeführten allgemeinen Wahlrechts 3 661 993 Urwähler.
Durch das oktroyierte Dreiklassenwahlgesetz vom 30. Mai 1849 wurde nun zuvörderst dadurch, daß man denjenigen, welche keinen festen Wohnsitz hatten oder Armenunterstützung empfingen, das Wahlrecht entzog, die Zahl der Wähler auf 3 255 703 herabgesetzt. 406 000 Männern wurde also schon hierdurch das Wahlrecht entzogen. Dies war jedoch noch das wenigste.
Die übrigbleibenden 3 255 000 Urwähler zerfielen nun nach dem oktroyierten Wahlgesetz in drei Klassen, und zwar gehörten laut den amtlichen Listen,, die nach Erlaß des oktroyierten Wahlgesetzes im Jahre 1849 aufgenommen wurden:
1. zur ersten Wählerklasse | 153 808 Mann |
2. zur zweiten Wählerklasse | 409 945 Mann |
3. zur dritten Wählerklasse | 2 691 950 Mann |
Lassen wir nun selbst die zweite Wählerklasse ganz aus dem Spiel und vergleichen nur die erste und die dritte Wählerklasse, die Großbürger und die Nichtbesitzenden, miteinander, so üben also 153 808 Reiche dasselbe Wahlrecht aus, wie 2 691 950, die zur Arbeiter-, Kleinbürger- und Bauernklasse gehören, das heißt ein Reicher übt dasselbe Wahlrecht aus, das 17 Nichtbesitzende ausüben. Und gehen wir nun von der tatsächlichen Grundlage aus, daß im Jahre 1848 durch das Gesetz vom 8. April 1848 bereits das allgemeine Wahlrecht gesetzlich bestand, daß damals also 153 800 Arbeiter oder Kleinbürger beim Wählen 153 800 Reiche aufwogen, also ein Nichtbesitzender einen Reichen aufwog, so zeigt sich, daß jetzt, wo erst 17 Ärmere das Wahlrecht eines Reichen aufwiegen, immer 16 Arbeitern und Kleinbürgern unter 17 ihr gesetzliches Wahlrecht entrissen worden ist.
Aber auch dies, meine Herren, ist nur das Durchschnittsverhältnis. In der Wirklichkeit gestaltet sich die Sache, wegen der verschiedenen Verhältnisse der Lokalitäten, noch ganz anders, noch viel ungünstiger, am ungünstigsten überall da, wo die Ungleichheiten des Besitzes am entwickeltsten sind. So hat der Regierungsbezirk Düsseldorf 6 356 Wähler erster Klasse und 166 300 Wähler dritter Klasse; es üben also dort erst 26 Wähler dritter Klasse dasselbe Wahlrecht aus wie ein Reicher.
Kehren wir von dieser Ausführung zu unserem Hauptfaden zurück, so haben wir also gezeigt und haben weiter zu zeigen, wie, seitdem durch die Französische Revolution die Bourgeoisie zur Herrschaft gelangte, jetzt ihr Element, der bürgerliche Besitz, zum herrschenden Prinzip aller gesellschaftlichen Einrichtungen gemacht wird; wie die Bourgeoisie, ganz so verfahrend, wie der Adel im Mittelalter mit dem Grundbesitz, jetzt das herrschende und ausschließende Gepräge ihres besonderen Prinzips, des bürgerlichen oder Kapitalbesitzes, das Gepräge ihres Privilegiums allen Einrichtungen der Gesellschaft aufdrückt. Die Parallele zwischen Adel und Bourgeoisie ist darin eine vollständige.
In bezug auf den wichtigsten Fundamentalpunkt, auf die Reichsverfassung, haben wir dies bereits betrachtet. Wie im Mittelalter der Grundbesitz das herrschende Prinzip der Vertretung auf den deutschen Reichstagen war, so ist jetzt im direkten oder verkappten Zensus der Steuerbetrag und somit, da dieser durch das Kapitalvermögen eines Mannes bedingt wird, in letzter Instanz der Kapitalbesitz dasjenige, was das Wahlrecht zu den Kammern und somit den Anteil an der Herrschaft über den Staat, bestimmt.
Ebenso in bezug auf alle andern Erscheinungen, bei denen ich Ihnen im Mittelalter den Grundbesitz als das herrschende Prinzip nachgewiesen habe.
Ich hatte Sie damals auf die Steuerfreiheit des adligen Grundbesitzes im Mittelalter aufmerksam gemacht und hatte Ihnen gesagt, daß jeder herrschende privilegierte Stand die Lasten zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Wohles auf die unterdrückten, nicht besitzenden Klassen abzuwälzen sucht.
Ganz ebenso die Bourgeoisie. Zwar kann sie freilich nicht offen erklären, daß sie steuerfrei sein will. Ihr ausgesprochenes Prinzip ist vielmehr in der Regel, daß ein jeder im Verhältnis zu seinem Einkommen steuern solle. Aber sie erreicht wiederum, mindestens so gut es geht, dasselbe Resultat in verkappter Form durch die Unterscheidung von direkten und indirekten Steuern.
Direkte Steuern, meine Herren, sind solche, welche, wie die klassifizierte Einkommensteuer oder die Klassensteuer, vom Einkommen erhoben werden und sich daher nach der Größe des Einkommens und Kapitalbesitzes bestimmen. Indirekte Steuern aber sind solche, die auf irgendwelche Bedürfnisse, zum Beispiel auf Salz, Getreide, Bier, Fleisch, Heizungsmaterial, oder zum Beispiel auf Bedürfnis nach Rechtsschutz, Justizkosten, Stempelbogen usw. gelegt werden, und die sehr häufig der einzelne in dem Preise der Dinge bezahlt, ohne zu wissen und zu merken, daß er jetzt steuert, daß es die Steuer ist, welche ihm den Preis der Dinge verteuert.
Nun wird Ihnen bekannt sein, meine Herren, daß jemand, der zwanzig-, fünfzig-, hundertmal so reich ist, als ein anderer, deshalb durchaus nicht zwanzig-, fünfzig-, hundertmal so viel Salz, Brot, Fleisch, fünfzig- oder hundertmal so viel Bier oder Wein trinkt, fünfzig- oder hundertmal so viel Bedürfnis nach Ofenwärme und also nach Heizungsmaterial hat, wie ein Arbeiter oder Kleinbürger.
Hierdurch kommt es, daß der Betrag aller indirekten Steuern, statt die Individuen nach Verhältnis ihres Kapitals und Einkommens zu treffen, seinem bei weitem größten Teile nach von den Unbemittelten, von den ärmeren Klassen der Nation gezahlt wird. Nun hat zwar die Bourgeoisie die indirekten Steuern nicht eigentlich erfunden; sie existierten schon früher. Aber die Bourgeoisie hat sie erst zu einem unerhörten Systeme entwickelt und ihnen beinahe den gesamten Betrag der Staatsbedürfnisse aufgebürdet.
Ich werfe, um Ihnen dies zu zeigen, zum Beispiel einen Blick auf den preußischen Staatshaushalt des Jahres 1855. Die Gesamteinnahmen des Staats in diesem Jahre betrugen in runder Summe 108 930 000 Taler. Davon gehen ab, aus den Domänen und Forsten fließend, also ein Staatseinkommen aus Besitzungen, das hier nicht in Betracht kommen kann, 11 967 000 Taler. Es bleiben also zirka 97 Millionen anderweitiger Staatseinnahmen übrig. Von diesen Einnahmen würden der Einteilung des Budgets zufolge zirka 26 Millionen aus direkten Steuern erhoben. Dies ist aber auch nicht wahr und scheint bloß so, weil unser Budget dabei nirgends nach wissenschaftlichen Grundsätzen verfährt, sondern sich nur danach richtet, in welcher Weise äußerlich die Steuern eingetrieben werden. Von diesen 26 Millionen gehen vielmehr ab 10 Millionen Grundsteuer, die zwar von dem Grundbesitzer direkt erhoben, von ihm aber wieder auf den Getreidepreis abgewälzt und somit definitiv von den Getreidekonsumenten bezahlt werden, daher eine indirekte Steuer bilden. Es gehen aus denselben Gründen ab 2 900 000 Taler Gewerbesteuer.
An Einnahmen aus wirklich direkten Steuern bleiben nur übrig:
2 928 000 Taler | aus der klassifizierten Einkommensteuer, | |
7 884 000 | Taler aus der Klassensteuer und | |
2 036 000 Taler | aus dem Zuschlag, | |
zus. | 12 848 000 Taler. |
Also 12 800 000 Taler, meine Herren, fließen in Wahrheit aus direkten Steuern auf 97 Millionen Staatseinnahmen. Was über diese 12 800 000 Taler hinausgeht, das wird – man muß hier wieder nicht der unwissenschaftlichen Rubrizierung des Budgets folgen, welches zum Beispiel den Ertrag des Salzmonopols von 8 300 000 Talern oder die Einnahmen aus dem Justizdienst von 8 849 000 Talern nicht zu den indirekten Steuern rechnet, – was über diese 12 800 000 Taler hinausgeht, das wird, sage ich, mit Ausnahme weniger und sehr unbedeutender Posten, mit denen es eine besondere Bewandtnis hat, samt und sonders aus Einnahmequellen aufgebracht, welche die Natur von indirekten Steuern haben, das wird also durch indirekte Steuern aufgebracht.
Die indirekte Steuer, meine Herren, ist somit das Institut, durch welches die Bourgeoisie das Privilegium der Steuerfreiheit für das große Kapital verwirklicht und die Kosten des Staatswesens den ärmeren Klassen der Gesellschaft aufbürdet.
Bemerken Sie zugleich, meine Herren, den eigentümlichen Widerspruch und die eigentümliche Gerechtigkeit des Verfahrens, die gesamten Staatshaushaltsbedürfnisse den indirekten Steuern und somit dem armen Volke aufzubürden, zum Maßstabe aber und zur Bedingung des Wahlrechts und somit des politischen Herrschaftsrechts die direkten Steuern zu machen, welche zu dem Gesamtbedürfnis des Staates von 108 Millionen nur den verschwindend kleinen Beitrag von 12 Millionen liefern!
Ich sagte Ihnen ferner, meine Herren, von dem Adel des Mittelalters, daß alle bürgerliche Tätigkeit und Industrie in sozialer Mißachtung bei ihm stand.
Ganz analog heut. Zwar jede Art von Arbeit ist heut gleich geachtet, und wenn einer beim Lumpensammeln oder Abtrittfegen zum Millionär würde, so würde er gewiß sein können, eine große Achtung in der Gesellschaft zu finden.
Aber mit welcher sozialen Mißachtung denen begegnet wird, welche, gleichviel worin und wie sehr sie arbeiten, keinen bürgerlichen Besitz hinter sich haben, – nun, das ist eine Tatsache, die Sie nicht aus meinem Vortrage zu erfahren brauchen, sondern der Sie leider oft genug im täglichen Leben begegnen können.
Ja, in gar mancher Hinsicht führt die Bourgeoisie, die Herrschaft ihres besonderen Privilegiums und Elementes mit noch strengerer Konsequenz durch, als dies der Adel im Mittelalter mit dem Grundbesitz getan hatte.
Der Volksunterricht – ich spreche hier von dem Unterricht der Erwachsenen – war im Mittelalter der Geistlichkeit überlassen. Seitdem haben die Zeitungen dies Amt übernommen. Durch die Kautionen aber, welche die Zeitungen stellen müssen, und noch viel mehr durch die Stempelsteuer, welche bei uns wie in Frankreich und anderwärts auf die Zeitungen gelegt wird, wird eine täglich erscheinende Zeitung zu einem sehr kostspieligen, nur bei sehr erheblichen Kapitalmitteln in das Leben zu rufenden Institut, so daß dadurch jetzt selbst die Fähigkeit auf die Volksmeinung wirken, sie aufklären und leiten zu können, ein Privilegium des großen Kapitalbesitzes geworden ist.
Wäre dies nicht, meine Herren, so würden Sie ganz andere und viel bessere Zeitungen besitzen!
Es ist von Interesse, zu sehen, meine Herren, wie früh dies Bestreben der großen Bourgeoisie, aus der Presse ein Privilegium des Kapitals zu machen, bereits auftritt, und in welcher naiven, unverhüllten Form. Am 24. Juli 1789, wenige Tage nach dem Bastillensturm, also schon in den ersten Tagen, in welchen die Bourgeoisie die politische Herrschaft eroberte, erließen die städtischen Repräsentanten der Gemeinde von Paris einen Beschluß, durch welchen sie die Drucker für verantwortlich erklären, wenn sie Broschüren oder Flugblätter veröffentlichen von Schriftstellern »sans existence connue«, »ohne notorisch bekannte Existenzmittel«. Die soeben erst eroberte Preßfreiheit sollte also nur für Schriftsteller von »notorisch bekannten Existenzmitteln« dasein. Das Eigentum erscheint hier als Bedingung für die Preßfreiheit, ja eigentlich sogar für die Moralität eines Schriftstellers! Diese Naivität der ersten Tage der Bourgeoisherrschaft spricht nur in kindlich offener Weise aus, was heut in künstlicher Form durch Kautionen und Stempelsteuer erreicht wird.
Mit diesen großen, charakteristischen Tatsachen, entsprechend unserer Betrachtung des Mittelalters, meine Herren, wollen wir uns auch hier begnügen.
Was wir bisher gesehen haben, meine Herren, sind zwei Weltperioden, die jede unter der herrschenden Idee eines bestimmten Standes der Gesellschaft stehen, welcher sein Prinzip allen Einrichtungen dieser Zeit aufdrückt.
Zuerst die Idee des Adels oder der Grundbesitz, welche das herrschende Prinzip des Mittelalters bildet und alle seine Institutionen durchdringt.
Diese Periode lief ab mit der Französischen Revolution, wenn Sie auch begreifen werden, daß besonders in Deutschland, wo jene Umwälzung nicht durch das Volk, sondern auf dem Wege sehr langsamer und unvollkommener Reformen durch seine Regierungen eingeführt wurde, noch sehr zahlreiche und bedeutende Ausläufer jener ersten Geschichtsperiode existieren, zum großen Teil heute noch die Bourgeoisie auf Schritt und Tritt hemmend.
Wir sahen zweitens die mit der Französischen Revolution am Ende des vorigen Jahrhunderts beginnende Geschichtsperiode, welche den großen bürgerlichen Besitz oder das Kapital zu ihrem Prinzip hat und diesen als das Privilegium gestaltet, welches alle gesellschaftlichen Einrichtungen durchdringt und die Teilnahme an der Bestimmung des Staatswillens und Staatszweckes bedingt.
Auch diese Periode, meine Herren, so wenig dies äußerlich den Anschein hat, ist innerlich bereits abgelaufen. Am 24. Februar 1848 brach die erste Morgenröte einer neuen Geschichtsperiode an. An diesem Tage brach nämlich in Frankreich, in diesem Lande, in dessen gewaltigen inneren Kämpfen die Siege wie die Niederlagen der Freiheit Siege und Niederlagen für die gesamte Menschheit bedeuten, eine Revolution aus, die einen Arbeiter in die provisorische Regierung berief, als den Zweck des Staates die Verbesserung des Loses der arbeitenden Klassen aussprach, und das allgemeine und direkte Wahlrecht proklamierte, durch welches jeder Bürger, der sein 21. Jahr erreicht hatte, ohne alle Rücksicht auf seine Besitzverhältnisse einen gleichmäßigen Anteil an der Herrschaft über den Staat, an der Bestimmung des Staatswillens und Staatszweckes empfing.
Sie sehen, meine Herren, wenn die Revolution von 1789 die Revolution des Tiers état, des dritten Standes war, so ist es diesmal der vierte Stand, der 1789 noch in den Falten des dritten Standes verborgen war und mit ihm zusammenzufallen schien, welcher jetzt sein Prinzip zum herrschenden Prinzip der Gesellschaft erheben und alle ihre Einrichtungen mit demselben durchdringen will.
Aber hier bei der Herrschaft des vierten Standes findet sofort der immense Unterschied statt, daß der vierte Stand der letzte und äußerste, der enterbte Stand der Gesellschaft ist, welcher keine ausschließende Bedingung weder rechtlicher noch tatsächlicher Art, weder Adel noch Grundbesitz, noch Kapitalbesitz, mehr aufstellt und aufstellen kann, die er als ein neues Privilegium gestalten und durch die Einrichtungen der Gesellschaft hindurchführen könnte.
Arbeiter sind wir alle, insofern wir nur eben den Willen haben, uns in irgendeiner Weise der menschlichen Gesellschaft nützlich zu machen. Dieser vierte Stand, in dessen Herzfalten daher kein Keim einer neuen Bevorrechtung mehr enthalten ist, ist ebendeshalb gleichbedeutend mit dem ganzen Menschengeschlecht. Seine Sache ist daher in Wahrheit die Sache der gesamten Menschheit, seine Freiheit ist die Freiheit der Menschheit selbst, seine Herrschaft ist die Herrschaft aller.
Wer also die Idee des Arbeiterstandes als das herrschende Prinzip der Gesellschaft anruft, in dem Sinne, wie ich Ihnen dies entwickelt, der stößt nicht einen die Klassen der Gesellschaft spaltenden und trennenden Schrei aus; der stößt vielmehr einen Schrei der Versöhnung aus, einen Schrei, der die ganze Gesellschaft umfaßt, einen Schrei der Ausgleichung für alle Gegensätze in den gesellschaftlichen Kreisen, einen Schrei der Einigung, in den alle einstimmen sollten, welche Bevorrechtung und Unterdrückung des Volkes durch privilegierte Stände nicht wollen, einen Schrei der Liebe, der, seitdem er sich zum ersten Male aus dem Herzen des Volkes emporgerungen, für immer der wahre Schrei des Volkes bleiben, und um seines Inhalts willen selbst dann noch ein Schrei der Liebe sein wird, wenn er als Schlachtruf des Volkes ertönt.
Das Prinzip des Arbeiterstandes als das herrschende Prinzip der Gesellschaft soll jetzt von uns nur noch in dreierlei Beziehung betrachtet werden:
Auf andere Seiten desselben können wir heute nicht mehr eingehen, und auch die angegebenen Beziehungen können bei der so vorgeschrittenen Zeit nur noch ganz flüchtig beleuchtet werden.
Das formelle Mittel der Durchführung dieses Prinzips ist das bereits betrachtete allgemeine und direkte Wahlrecht. Ich sage, das allgemeine und direkte Wahlrecht, meine Herren, nicht das bloß allgemeine Wahlrecht, wie wir es im Jahre 1848 gehabt haben. Die Einführungen von zwei Abstufungen bei dem Wahlakt, von Urwählern und Wahlmännern, ist nichts als ein künstliches Mittel, absichtlich zu dem Zweck eingeführt, den Volkswillen beim Wahlakt möglichst zu verfälschen.
Zwar wird auch das allgemeine und direkte Wahlrecht keine Wünschelrute sein, meine Herren, die Sie vor momentanen Mißgriffen schützen kann.
Wir haben in Frankreich in den Jahren 1848 und 1849 zwei schlechte Wahlen hintereinander gesehen. Aber das allgemeine und direkte Wahlrecht ist das einzige Mittel, welches auf die Dauer von selbst wieder die Mißgriffe ausgleicht, zu denen sein momentan irriger Gebrauch führen kann. Es ist jene Lanze, welche selbst die Wunden wieder heilt, die sie schlägt. Es ist auf die Länge der Zeit bei dem allgemeinen und direkten Wahlrecht nicht anders möglich, als daß der gewählte Körper das genaue treue Ebenbild sei des Volkes, das ihn gewählt hat.
Das Volk wird daher jederzeit das allgemeine und direkte Wahlrecht als sein unerläßlich politisches Kampfmittel, als die allerfundamentalste und wichtigste seiner Forderungen betrachten müssen.
Ich werfe jetzt einen Blick auf den sittlichen Inhalt jenes Gesellschaftsprinzips, das wir betrachten.
Vielleicht kann der Gedanke, das Prinzip der untersten Klassen der Gesellschaft zu dem herrschenden Prinzip des Staates und der Gesellschaft zu machen, als ein sehr gefährlicher und unsittlicher erscheinen, als ein solcher, der Sittigung und Bildung dem Untergange in ein »modernes Barbarentum« auszusetzen droht.
Und es wäre gar kein Wunder, wenn dieser Gedanke heut so erschiene, denn auch die öffentliche Meinung, meine Herren – ich habe Ihnen bereits angedeutet, durch welche Vermittlung, nämlich durch die Zeitungen – empfängt heutzutage ihr Gepräge von dem Prägstock des Kapitals und aus den Händen der privilegierten großen Bourgeoisie.
Dennoch ist diese Furcht nur ein Vorurteil und es läßt sich im Gegenteil nachweisen, daß dieser Gedanke den höchsten Fortschritt und Triumph der Sittlichkeit darstellen würde, welchen die Weltgeschichte bis heut kennt.
Jene Ansicht ist ein Vorurteil, sage ich, und sie ist eben nur das Vorurteil der heutigen, noch vom Privilegium beherrschten Zeit.
In einer andern Zeit, nämlich in jener ersten französischen Republik des Jahres 1793, von der ich Ihnen bereits gesagt habe, daß ich sie heut nicht näher betrachten kann, daß sie aber an ihrer eigenen Unklarheit notwendig zugrunde gehen mußte, herrschte sogar bereits das entgegengesetzte Vorurteil. Damals galt es als ein Dogma, daß alle höheren Stände unsittlich und verderbt, nur das niedrige Volk gut und sittlich sei. Diese Ansicht war von Rousseau ausgegangen. In der neuen Erklärung der Menschenrechte, welche der französische Konvent, jene gewaltige konstituierende Versammlung Frankreichs, erließ, wird sie sogar durch einen besonderen Artikel festgestellt, durch den Artikel 19, welcher lautet: »Toute Institution qui ne suppose le peuple bon et le magistrat corruptible est vicieuse.« zu deutsch: »Jede Institution, welche nicht voraussetzt, daß das Volk gut und die Obrigkeit bestechlich sei, ist fehlerhaft.« Sie sehen, das ist gerade das Gegenteil von der Vertrauensseligkeit, welche man heutzutage fordert und nach welcher es kein größeres Vergehen gibt, als an dem guten Willen und der Tugendhaftigkeit der Behörde zu zweifeln, während das Volk grundsätzlich als eine Art von Tiger und als der Sitz der Verderbtheit betrachtet wird.
Damals steigerte sich das entgegengesetzte Dogma sogar so weit, daß fast jeder, der einen ganzen Rock hatte, eben dadurch verderbt und verdächtig erschien, und Tugend, Reinheit und patriotische Sittlichkeit nur solchen innezuwohnen schien, die keinen guten Rock besaßen. Es war die Periode des Sansculottismus. Diese Anschauung, meine Herren, hat in der Tat zu ihrer Grundlage eine Wahrheit, die aber in unwahrer und verkehrter Form auftritt. Nun gibt es aber gar nichts Gefährlicheres als eine Wahrheit, die in unwahrer verkehrter Form auftritt. Denn wie man sich zu ihr verhalte, wird man gleich schlecht fahren. Adoptiert man jene Wahrheit in ihrer unwahren, verkehrten Form, so wird dies zu gewissen Zeiten die schädlichsten Verwüstungen anrichten, wie dies im Sansculottismus der Fall war. Wirft man um der unwahren, verkehrten Form willen den ganzen Satz als unwahr fort, so fährt man noch schlechter. Denn man hat eine Wahrheit fortgeworfen, und zwar im vorliegenden Fall gerade eine solche, ohne deren Erkenntnis gar kein gesunder Schritt im heutigen Staatsleben möglich ist.
Es bleibt also kein anderes Verhalten übrig, als daß man die unwahre und verkehrte Form jenes Satzes zu besiegen und sich ihren wahrhaften Inhalt zur Klarheit zu bringen sucht.
Die öffentliche Meinung heutzutage wird, wie gesagt, geneigt sein, den ganzen Satz selbst als vollkommen unwahr und als eine Deklamation der Französischen Revolution und Rousseaus zu bezeichnen. Indes wenn dies wegwerfende Verhalten Rousseau und der Französischen Revolution gegenüber auch noch möglich wäre, so wird es doch vollkommen unmöglich sein in bezug auf einen der größten deutschen Philosophen, dessen hundertjährigen Geburtstag diese Stadt im nächsten Monat feiern wird, nämlich dem Philosophen Fichte gegenüber, einem der gewaltigsten Denker aller Völker und Zeiten.
Auch Fichte erklärt ausdrücklich und wörtlich, daß mit dem steigenden Stande eine immer steigende Zunahme der sittlichen Verschlimmerung entstehe, daß – es sind dies alles seine eigenen Worte – »die Schlechtigkeit nach Verhältnis des höheren Standes zunehme«.
Den letzten Grund dieser Sätze hat indes auch Fichte nicht entwickelt. Er führt als den Grund dieser Verderbtheit die Selbstsucht, den Egoismus der höheren Stände an. Dabei muß aber sofort die Frage entstehen, ob denn nicht auch in den untersten Klassen Selbstsucht herrsche, oder warum hier weniger. Ja, es muß zunächst als ein überraschender Widerspruch erscheinen, daß in den unteren Ständen eine geringere Selbstsucht herrschen soll als in den höheren, welche vor ihnen Bildung und Erziehung, diese anerkannt sittigenden Elemente, in einem erheblichen Grade voraus haben.
Der wahrhafte Grund und die Auflösung dieses zunächst so überraschend erscheinenden Widerspruchs ist folgende: Seit langem geht, wie wir gesehen haben, die Entwicklung der Völker, der Atemzug der Geschichte auf eine immer steigende Abschaffung der Privilegien, welche den höheren Ständen diese ihre Stellung als höhere und herrschende Stände garantieren. Der Wunsch nach Forterhaltung derselben oder das persönliche Interesse bringt daher jedes Mitglied der höheren Stände, das sich nicht ein für allemal durch einen großen Blick über sein ganzes persönliches Dasein erhoben und hinweggesetzt hat – und Sie werden begreifen, meine Herren, daß dies nur immer sehr wenig zahlreiche Ausnahmen sein können – von vornherein in eine prinzipiell feindliche Stellung zu der Entwicklung des Volkes, zu dem Umsichgreifen der Bildung und Wissenschaft, zu den Fortschritten der Kultur, zu allen Atemzügen und Siegen des geschichtlichen Lebens.
Dieser Gegensatz des persönlichen Interesses der höheren Stände und der Kulturentwicklung der Nation ist es, welcher die hohe und notwendige Unsittlichkeit der höheren Stände hervorruft. Es ist ein Leben, dessen tägliche Bedingungen Sie sich nur zu vergegenwärtigen brauchen, um den tiefen inneren Verfall zu fühlen, zu dem es führen muß. Sich täglich widersetzen müssen allem Großen und Guten, sich betrüben müssen über sein Gelingen, über sein Mißlingen sich freuen, seine weitern Fortschritte aufhalten, seine bereits geschehenen rückgängig machen oder verwünschen zu müssen. Es ist ein fortgesetztes Leben wie in Feindesland – und dieser Feind ist die sittliche Gemeinschaft des eigenen Volkes, in der man lebt, und für welche zu streben alle wahre Sittlichkeit ausmacht. Es ist ein fortgesetztes Leben, sage ich, wie in Feindesland, dieser Feind ist das eigene Volk, und daß es als der Feind angesehen und behandelt wird, muß noch wenigstens auf die Dauer listig verheimlicht und diese Feindschaft mit mehr oder weniger künstlichen Vorhängen bekleidet werden.
Dazu die Notwendigkeit, dies alles entweder gegen die eigene Stimme des Gewissens und der Intelligenz zu tun, oder aber diese Stimme schon gewohnheitsmäßig in sich ausgerottet zu haben, um nicht von ihr belästigt zu werden, oder endlich diese Stimme nie gekannt, nie etwas Besseres und anderes gekannt zu haben als die Religion des eigenen Vorteils!
Dieses Leben, meine Herren, führt also notwendig zu einer gänzlichen Geringschätzung und Verachtung alles ideellen Strebens, zu einem mitleidigen Lächeln, so oft der große Name der Idee nur ausgesprochen wird, zu einer tiefen Unempfänglichkeit und Widerwilligkeit gegen alles Schöne und Große, zu einem vollständigen Untergang aller sittlichen Elemente in uns in die eine Leidenschaft des selbstsüchtigen Vorteils und der Genußsucht.
Dieser Gegensatz, meine Herren, des persönlichen Interesses und der Kulturentwicklung der Nation ist es, der bei den unteren Klassen der Gesellschaft zu ihrem Glücke fehlt.
Zwar ist auch in den unteren Klassen leider immer noch Selbstsucht genug vorhanden, viel mehr als vorhanden sein sollte. Aber hier ist diese Selbstsucht, wo sie vorhanden ist, der Fehler der Individuen, der einzelnen, und nicht der notwendige Fehler der Klasse.
Schon ein sehr mäßiger Instinkt sagt den Gliedern der unteren Klassen, daß, sofern sich jeder von ihnen bloß auf sich bezieht und jeder bloß an sich denkt, er keine erhebliche Verbesserung seiner Lage für sich hoffen kann.
Insofern aber und insoweit die unteren Klassen der Gesellschaft die Verbesserung ihrer Lage als Klasse, die Verbesserung ihres Klassenloses erstreben, insofern und insoweit fällt dieses persönliche Interesse, statt sich der geschichtlichen Bewegung entgegenzustellen und dadurch zu jener Unsittlichkeit verdammt zu werden, seiner Richtung nach vielmehr durchaus zusammen mit der Entwicklung des gesamten Volkes, mit dem Siege der Idee, mit den Fortschritten der Kultur, mit dem Lebensprinzip der Geschichte selbst, welche nichts anderes als die Entwicklung der Freiheit ist. Oder, wie wir schon oben sahen, Ihre Sache ist die Sache der gesamten Menschheit.
Sie sind somit in der glücklichen Lage, meine Herren, daß Sie, statt abgestorben sein zu können für die Idee, vielmehr durch Ihr persönliches Interesse selbst zur höchsten Empfänglichkeit für dieselbe bestimmt sind. Sie sind in der glücklichen Lage, daß dasjenige, was Ihr wahres persönliches Interesse bildet, zusammenfällt mit dem zuckenden Pulsschlag der Geschichte, mit dem treibenden Lebensprinzip der sittlichen Entwicklung. Sie können daher sich der geschichtlichen Entwicklung mit persönlicher Leidenschaft hingeben und gewiß sein, daß Sie um so sittlicher dastehen, je glühender und verzehrender diese Leidenschaft in ihrem hier entwickelten reinen Sinne ist.
Dies sind die Gründe, meine Herren, weshalb die Herrschaft des vierten Standes über den Staat eine Blüte der Sittlichkeit, der Kultur und Wissenschaft herbeiführen muß, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen. Hierzu führt aber auch noch ein anderer Grund, der selbst wieder auf das innigste mit allen von uns angestellten Betrachtungen zusammenhängt und ihren Schlußstein bildet.
Der vierte Stand hat nicht nur ein anderes formelles, politisches Prinzip als die Bourgeoisie, nämlich das allgemeine direkte Wahlrecht an Stelle des Zensus der Bourgeoisie, er hat ferner nicht nur durch seine Lebensstellung ein anderes Verhältnis zu den sittlichen Potenzen als die höheren Stände, sondern er hat auch – zum Teil infolge hiervon – eine ganz andere, ganz verschiedene Auffassung von dem sittlichen Zweck des Staates als die Bourgeoisie.
Die sittliche Idee der Bourgeoisie ist diese, daß ausschließend nichts anderes als die ungehinderte Selbstbetätigung seiner Kräfte jedem einzelnen zu garantieren sei.
Wären wir alle gleichstark, gleichgescheit, gleichgebildet und gleichreich, so würde diese Idee als eine ausreichende und sittliche angesehen werden können.
Da wir dies aber nicht sind und nicht sein können, so ist dieser Gedanke nicht ausreichend, und führt deshalb in seinen Konsequenzen notwendig zu einer tiefen Unsittlichkeit. Denn er führt dazu, daß der Stärkere, Gescheitere, Reichere den Schwächeren ausbeutet und in seine Tasche steckt.
Die sittliche Idee des Arbeitsstandes dagegen ist die, daß die ungehinderte und freie Betätigung der individuellen Kräfte durch das Individuum noch nicht ausreiche, sondern daß zu ihr in einem sittlich geordneten Gemeinwesen noch hinzutreten müsse: die Solidarität der Interessen, die Gemeinsamkeit und die Gegenseitigkeit in der Entwicklung.
Entsprechend diesem Unterschiede, faßt die Bourgeoisie den sittlichen Staatszweck so auf: er bestehe ausschließend und allein darin, die persönliche Freiheit des einzelnen und sein Eigentum zu schützen.
Dies ist eine Nachtwächteridee, meine Herren, eine Nachtwächteridee deshalb, weil sie sich den Staat selbst nur unter dem Bilde eines Nachtwächters denken kann, dessen ganze Funktion darin besteht, Raub und Einbruch zu verhüten. Leider ist diese Nachtwächteridee nicht nur bei den eigentlichen Liberalen zu Hause, sondern selbst bei vielen angeblichen Demokraten, infolge mangelnder Gedankenbildung, oft genug anzutreffen. Wollte die Bourgeoisie konsequent ihr letztes Wort aussprechen, so müßte sie gestehen, daß nach diesen ihren Gedanken, wenn es keine Räuber und Diebe gebe, der Staat überhaupt ganz überflüssig sei. Ganz anders, meine Herren, faßt der vierte Stand den Staatszweck auf, und zwar faßt er ihn so auf, wie er in Wahrheit beschaffen ist.
Die Geschichte, meine Herren, ist ein Kampf mit der Natur; mit dem Elende, der Unwissenheit, der Armut, der Machtlosigkeit und somit der Unfreiheit aller Art, in der wir uns befanden, als das Menschengeschlecht im Anfang der Geschichte auftrat. Die fortschreitende Besiegung dieser Machtlosigkeit – das ist die Entwicklung der Freiheit, welche die Geschichte darstellt.
In diesem Kampfe würden wir niemals einen Schritt vorwärts gemacht haben, oder jemals weiter machen, wenn wir ihn als einzelne jeder für sich, jeder allein, geführt hätten oder führen wollten.
Der Staat ist es, welcher die Funktion hat, diese Entwicklung der Freiheit, diese Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit zu vollbringen. Der Staat ist diese Einheit der Individuen in einem sittlichen Ganzen, eine Einheit, welche die Kräfte aller einzelnen, welche in diese Vereinigung eingeschlossen sind, millionenfach vermehrt, die Kräfte, welche ihnen allen als einzelnen zu Gebote stehen würden, millionenfach vervielfältigt.
Der Zweck des Staates ist also nicht der, dem einzelnen nur die persönliche Freiheit und das Eigentum zu schützen, mit welchen er nach der Idee der Bourgeoisie angeblich schon in den Staat eintritt; der Zweck des Staats ist vielmehr gerade der, durch diese Vereinigung die einzelnen in den Stand zu setzen, solche Zwecke, eine solche Stufe des Daseins zu erreichen, die sie als einzelne niemals erreichen könnten, sie zu befähigen, eine Summe von Bildung, Macht und Freiheit zu erlangen, die ihnen sämtlich als einzelnen schlechthin unersteiglich wäre.
Der Zweck des Staats ist somit der, das menschliche Wesen zur positiven Entfaltung und fortschreitenden Entwicklung zu bringen, mit andern Worten, die menschliche Bestimmung, das heißt die Kultur, deren das Menschengeschlecht fähig ist, zum wirklichen Dasein zu gestalten; er ist die Erziehung und Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit.
Dies ist die eigentlich sittliche Natur des Staats, meine Herren, seine wahre und höhere Aufgabe. Sie ist es so sehr, daß sie deshalb seit allen Zeiten durch den Zwang der Dinge selbst von dem Staat, auch ohne seinen Willen, auch unbewußt, auch gegen den Willen seiner Leiter, mehr oder weniger ausgeführt wurde.
Der Arbeiterstand aber, meine Herren, die unteren Klassen der Gesellschaft überhaupt haben schon durch die hilflose Lage, in welcher sich ihre Mitglieder als einzelne befinden, den tiefen Instinkt, daß ebendies die Bestimmung des Staates sei und sein müsse, dem einzelnen durch die Vereinigung aller zu einer solchen Entwicklung zu verhelfen, zu der er als einzelner nicht befähigt wäre.
Ein Staat also, welcher unter die Herrschaft der Idee des Arbeiterstandes gesetzt wird, würde nicht mehr, wie freilich auch alle Staaten bisher schon getan, durch die Natur der Dinge und den Zwang der Umstände unbewußt und oft sogar widerwillig getrieben, sondern er würde mit höchster Klarheit und völligem Bewußtsein diese sittliche Natur des Staates zu seiner Aufgabe machen. Er würde mit freier Lust und vollkommenster Konsequenz vollbringen, was bisher nur stückweise in den dürftigsten Umrissen dem widerstrebenden Willen abgerungen worden ist, und er würde somit eben hierdurch notwendig – wenn mir die Zeit auch nicht mehr erlaubt, Ihnen die detailliertere Natur dieses notwendigen Zusammenhanges auseinanderzusetzen – einen Aufschwung des Geistes, die Entwicklung einer Summe von Glück, Bildung, Wohlsein und Freiheit herbeiführen, wie sie ohne Beispiel dasteht in der Weltgeschichte und gegen welche selbst die gerühmtesten Zustände in früheren Zeiten in ein verblassendes Schattenbild zurücktreten.
Das ist es, meine Herren, was die Staatsidee des Arbeiterstandes genannt werden muß, seine Auffassung des Staatszweckes, die, wie Sie sehen, ebensosehr, und genau entsprechend, von der Auffassung des Staatszweckes bei der Bourgeoisie verschieden ist, wie das Prinzip des Arbeiterstandes von dem Anteil aller an der Bestimmung des Staatswillens oder das allgemeine Wahlrecht, von dem betreffenden Prinzip der Bourgeoisie, dem Zensus.
Die Ihnen hier entwickelte Ideenreihe ist es also, die als die Idee des Arbeiterstandes ausgesprochen werden muß. Sie ist es, die ich im Auge hatte, als ich Ihnen im Eingang von dem Zusammenhange der besondern Geschichtsperiode, in der wir leben, und der Idee des Arbeiterstandes sprach. Es ist diese mit dem Februar 1848 beginnende Geschichtsperiode, welcher die Aufgabe zugefallen ist, diese Staatsidee zur Verwirklichung zu bringen und wir können uns beglückwünschen, meine Herren, daß wir in einer Zeit geboren sind, welche bestimmt ist, diese glorreichste Arbeit der Geschichte zu erleben, und in welcher es uns gegönnt ist, fördernd an ihr teilzunehmen.
Für alle aber, welche zum Arbeiterstande gehören, folgt aus dem Gesagten die Pflicht einer ganz neuen Haltung. Nichts ist mehr geeignet, einem Stande ein würdevolles und tief sittliches Gepräge aufzudrücken, als das Bewußtsein, daß er zum herrschenden Stande bestimmt, daß er berufen ist, das Prinzip seines Standes zum Prinzip des gesamten Zeitalters zu erheben, seine Idee zur leitenden Idee der ganzen Gesellschaft zu machen und so diese wiederum zu einem Abbilde seines eigenen Gepräges zu gestalten.
Die hohe weltgeschichtliche Ehre dieser Bestimmung muß alle Ihre Gedanken in Anspruch nehmen. Es ziemen Ihnen nicht mehr die Laster der Unterdrückten, noch die müßigen Zerstreuungen der Gedankenlosen, noch selbst der harmlose Leichtsinn der Unbedeutenden. Sie sind der Fels, auf welchen die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll!
Der hohe sittliche Ernst dieses Gedankens ist es, der sich mit einer verzehrenden Ausschließlichkeit Ihres Geistes bemächtigen, Ihr Gemüt erfüllen und Ihr gesamtes Leben als ein seiner würdiges, ihm angemessenes und immer auf ihn bezogenes gestalten muß. Der sittliche Ernst dieses Gedanken ist es, der, ohne Sie je zu verlassen, vor Ihrem Innern stehen muß in Ihrem Atelier während der Arbeit, in Ihren Mußestunden, Ihren Spaziergängen, Ihren Zusammenkünften; und selbst, wenn Sie sich auf Ihr hartes Lager zur Ruhe strecken, ist es dieser Gedanke, welcher Ihre Seele erfüllen und beschäftigen muß, bis sie in die Arme des Traumgottes hinübergleitet. Je ausschließender Sie sich vertiefen in den sittlichen Ernst dieses Gedankens, je ungeteilter Sie sich der Glut desselben hingeben, um so mehr werden Sie wiederum – dessen seien Sie sicher – die Zeit beschleunigen, innerhalb welcher unsere gegenwärtige Geschichtsperiode ihre Aufgabe zu vollziehen hat, um so schneller werden Sie die Erfüllung dieser Aufgabe herbeiführen.
Wenn unter Ihnen, meine Herren, die Sie mir heute zuhören, nur zwei oder drei wären, in welchen es mir geglückt wäre, die sittliche Glut dieses Gedankens zu entzünden, in jener Vertiefung, die ich meine und Ihnen geschildert habe, so würde ich das bereits für einen großen Gewinn und mich für meinen Vortrag reich belohnt betrachten.
Vor allem, meine Herren, müssen Ihrer Seele fremd bleiben Mutlosigkeit und Zweifel, zu denen eine des Gedankens nicht hinreichend mächtige Betrachtung geschichtlicher Ereignisse leicht führen kann.
So ist es zum Beispiel geradezu nicht wahr, daß in Frankreich die Republik durch den Staatsstreich des Dezembers 1851 gestürzt wurde.
Was sich in Frankreich nicht halten konnte, was damals wahrhaft unterging, das war nicht die Republik, sondern jene Republik, welche durch das Wahlgesetz vom 30. Mai 1850, wie ich Ihnen bereits gezeigt habe, das allgemeine Wahlrecht aufhob und einen verkappten Zensus zur Ausschließung der Arbeiter einführte; das war also die Bourgeois-Republik, welche das Gepräge der Bourgeoisie, die Herrschaft des Kapitals, auch dem republikanisierten Staate aufdrücken wollte. Dies war es, was dem französischen Usurpator die Möglichkeit gab, unter einer scheinbaren Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts die Republik zu stürzen, welche sonst an der Brust der französischen Arbeiter einen unübersteiglichen Wall gefunden hätte.
Was also damals in Frankreich wirklich sich nicht halten konnte und gestürzt wurde, das war nicht die Republik, sondern die Bourgeois-Republik, und so bestätigt es sich denn bei der wahrhaften Betrachtung gerade auch an diesem Beispiel, daß die Geschichtsperiode, in die wir mit dem Februar 1848 eingetreten sind, keinen Staat mehr erträgt, welcher, gleichviel ob in monarchischer oder republikanischer Form, das herrschende politische Gepräge des dritten Standes der Gesellschaft aufdrücken oder in ihr erhalten will.
Von den hohen Bergspitzen der Wissenschaft aus, meine Herren, sieht man das Morgenrot des neuen Tages früher, als unten in dem Gewühle des täglichen Lebens.
Haben sie bereits einmal, meine Herren, einen Sonnenaufgang von einem hohen Berge aus mit angesehen?
Ein Purpursaum färbt rot und blutig den äußersten Horizont, das neue Licht verkündend, Nebel und Wolken raffen sich auf, ballen sich zusammen und werfen sich dem Morgenrot entgegen, seine Strahlen momentan verhüllend, aber keine Macht der Erde vermag das langsame und majestätische Aufsteigen der Sonne selbst zu hindern, die eine Stunde später, aller Welt sichtbar, hell leuchtend und erwärmend am Firmamente steht.
Was eine Stunde ist in dem Naturschauspiel eines jeden Tages, das sind ein und zwei Jahrzehnte in dem noch weit imposanteren Schauspiel eines weltgeschichtlichen Sonnenaufgangs.