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Der Gesandte Baron von Bühler. – Eine Kanapee- und eine Pferdekomödie. – Wunderlichkeiten und Marotten des Gesandten. – Liebeswechsel. – Ein Auftrag in das Fiebernest Essek. – Ausflug in das zerschossene Belgrad. – Im Schweineparadies. – Eine ungarische Exmission. – Neue Narrheiten des Gesandten. – Lang reist als Kurier nach dem Württembergischen Hofe. – Eine Extratour nach Amsterdam. – Abschied von Wien.
Mein neuer Gebieter in Wien empfing mich im Pudermantel, mit fliegenden Haaren, ein Stückchen Draht in der Hand, womit er fortwährend am Spiegel in seinem Haarschmuck spielte. Seine ganz besondere Zufriedenheit mit meiner Handschrift und meiner äußerlichen Art ließen mich erraten, daß er sonst etwas Höheres von mir nicht verlange. Dieser Herr, ein Sohn des alten geheimen Rats und Kreisgesandten Baron von Bühler in Stuttgart, war damals ein Mann in den dreißiger Jahren, von kleinen Gesichtszügen und kleinen Augen, dem man die Oberflächlichkeit seines Wissens, die Eitelkeiten, Kleinlichkeiten und Unstetigkeiten seines Wesens in wenigen Stunden, besonders in der Garderobe und der Antechambre, leicht ablauschen konnte. Sein Posten als württembergischer Gesandter gab ihm jedoch damals ein ziemliches Ansehen durch den zufälligen Umstand, daß er regelmäßig alle Wochen einmal bei der Prinzessin Elisabeth, Gemahlin des Erzherzogs Franz, einer Württembergerin, erscheinen, und ihr die Stuttgarter Briefe und Pakete überbringen durfte, und daß sich ein Bruder desselben als Staatsrat und Kanzleidirektor beim Fürsten Potemkin befand, um dessentwillen, und da auch die Gemahlin des Kaisers Paul eine Württembergerin war, ihm von der russischen Gesandtschaft vorzügliche Ehre und Aufmerksamkeit erwiesen wurden. Er war Witwer von einer Patriziertochter von Ohlenschläger aus Frankfurt, die ihm ein Vermögen von 80 000 Gulden hinterließ, mit dem er aber eine ziemlich mißliche Wirtschaft trieb. Sein Gehalt betrug 12 000 Gulden. Das Gesandtschaftshotel befand sich im gräflich Hatterburgischen Hause in der Dorotheenstraße, zwei Treppen hoch, in dem das erste Stockwerk von dem kaiserlichen Hofrate und berühmten Mineralogen von Born besetzt war.
Die Genossen unseres Hauses waren erstens, um zu verhüten, daß der kleine Sohn unseres Barons, etwa zwei Jahre alt, aber bereits Fähnrich bei der Preobraschenskischen Leibgarde in Petersburg, nicht deutsch sprechen lerne, eine französische Gouvernante, ein junges, zartes, stilles Wesen, das sich nicht ohne Kampf in die Launen und Forderungen des Herrn Barons zu ergeben schien, dann ein ganz gemeiner Schlag eines französischen Abbé, vorsorglich dem kleinen Kinde schon zum Hofmeister bestimmt, ein blatternarbiger, stumpfnasiger, kleinäugiger, schnüffelnder, kriechender Kerl, der nichts, gar nichts zu tun hatte, dafür sich aber in alles und alles mengte, was für seinen kleinen Geist nicht zu groß war, in das Knechte- und Mägdedingen, Lohnbestellungen, Pferdekaufen, der in den Antechambern der anderen Gesandten herumlief, Spielzeug für das Kind kaufte, die Gouvernante schulmeisterte und selbst mich mit dem ewigen Schlußrefrain: » Le Baron n'aime pas ça.« Außerdem gab es noch einen Kammerdiener, versteht sich auch einen Stockfranzosen, einen jungen Pariser Schwindler, namens Damiôt, jung, schwatzhaft, gaukelhaft, aber dabei ein guter, eifriger und ehrlicher Bursche, der sich die Beschließerin des Hauses zur Frau genommen hatte, ein in jugendlicher Fülle strotzendes, kicherndes Wiener Nannerl, die anfangs kein Wort Französisch, so wie der Herr Gemahl kein Wort Deutsch verstand, wodurch ich zur Ehre eines wechselseitigen Dolmetschers und Vermittlers gelangte. Ein Koch, ein paar Küchenmägde, ein Jäger, ein Läufer, ein Kutscher, ein Reitknecht, ein Zimmerwichser und Einheizer, ein Portier, und zwar nach der Regel ein recht grober und versoffener, ergänzten den übrigen Hofstaat.
Die ganze Dienerschaft, ausgenommen Gouvernante und Kammerdiener, war mit ihren Abrechnungen an mich angewiesen, als den allgemeinen Hausintendanten und Zahlmeister, sogar die Kellerrechnung war mir aufgebürdet, wofür ich mich aber durch manchen Krug Wermut oder tokayer Most erquickte, den mir der Koch und der Kellermeister aufs Zimmer brachten, mit der Ermahnung, ich sollte ihn nur trinken und als zersprungen in Ausgabe bringen. Jemehr nun solche Krüge in der Rechnung zersprangen, jemehr tat sich der Baron auf die Stärke seines Tokayer Wermuts gegen andere zugute, die sich ordentlich darüber ärgerten, daß sie nur eine so schlechte Sorte hätten, davon die Krüge auch nicht ein einzigesmal zersprängen.
Mit besonderer Feierlichkeit tat mir der Baron einen seiner ersten Aufträge kund; nämlich, da er sich nur als streng verpflichteter Verwalter des seinem Sohne gebührenden mütterlichen Vermögens betrachte, ein genaues Inventar desselben, besonders des Mobiliars aufzunehmen, wozu er mir ein sonderbares Formular mitteilte, nach welchem an jedem Stuhl die Roßhaare, die Nägel, das Holzwerk und der Überzug eigens beschrieben, und für jedes Ingrediens ein besonderer Kostenanschlag gleichsam chemisch ausgeschieden werden sollte; eine wahre hirngespinstische Höllenarbeit, die er mir täglich voll Ungeduld in ihrer bogenweisen Neugebackenheit abforderte, um sich damit bei seiner Toilette, die gewöhnlich zwei bis drei Stunden währte, zu beschäftigen. Wenn es da nun z. B. hieß: das pappelgrüne Kanapee, so fing er an, seine Stirne zu runzeln, den Finger an die Nase zu legen und dann nach langem stillem Entzücken zu rufen: »Hören Sie! was mir da einfällt! wie wäre es, wenn wir das pappelgrüne Kanapee in das andere, gelbe Nebenzimmer setzten?« wobei er mit aufgesperrtem Maul auf das Erstaunen meines geringen Verstandes über einen so großen Gedanken lauschte. Sobald ich mich nun in notwendiger Hingebung dahin geäußert, daß allerdings nichts entgegenstehe, damit wenigstens einen Versuch zu machen, so flog er mit struppigem Haar und fliegendem Pudermantel in das Zimmer des pappelgrünen Kanapees, das nun unter allgemeiner Hilfsleistung in das gelbe Zimmer geschoben werden mußte. Schweigend, aber mit höchst zufriedenem Lächeln und Kopfnicken betrachtete er jetzt geraume Weile diese neue Schöpfung, bis endlich Abbé, Gouvernante und das ganze Hauspersonal herbeigerufen werden mußten, um die neue Anordnung anzusehen, zu bewundern und zu lobpreisen. Er war selig, hierüber die allgemeinen Glückwünsche anzunehmen, bald aber verfinsterten sich seine Blicke, mit denen er nun, in seinen Lehnstuhl zurückgelehnt, mir das Inventarium hinwarf: »Da haben wir's nun,« seufzte er, gleichsam in matter Verzweiflung dahin gestorben, »es ist falsch, Ihre ganze Arbeit ist unnütz, falsch ist sie. Wo steht denn das pappelgrüne Kanapee? he! antworten Sie!« – »Seit einer Stunde im gelben Zimmer,« sprach ich. – »Nun ja, was sag' ich denn? Also ändern Sie, ändern Sie Ihr unrichtiges Inventar, schreiben Sie das ganze nochmals ab, weil jetzt alle Latera und übertragenen Summen nicht mehr passen.« Brachte ich nach ein paar Tagen das frische Heft, so gab's wieder andere Versetzungen; eine Kammer, ein Alkoven erhielt nach ernsthaften Beratungen, wobei immer unser Gutachten fußstampfend mit nein! nein! verworfen wurde, einen anderen Vorhang, einen anderen Namen, und mir blieb dann wieder der Trost, das Heft abermals umzuschreiben. In zwei Jahren, ungeachtet einige Ries Papier damit verschrieben wurden, kam man damit immer nicht weiter, als bis zur ersten Sexterne.
»Ich bin erfreut,« sprach er ein andermal, »in Ihnen einen Rechtsgelehrten zu besitzen, dem ich hier einen wichtigen Prozeß anvertrauen darf. Er betrifft meinen kirschbraunen Engländer, den ich um 1000 Gulden gekauft, der mir aber den infamen Streich gemacht, mich neulich vor der kaiserlichen Hofburg, denken Sie nur, abzuwerfen. Aber die ganze Stadt weiß, daß ich unschuldig war, sie ist indigniert über den Verkäufer, der mich mit einem Pferde betrogen, das er schon Jahr und Tag als unheilbaren Sonnenkollerer im Tierspital stehen hatte. Sie sehen hier ein Originalattest aus dem Tierspital selbst: Ein kirschbrauner Engländer, mit drei weißen Füßen. Leiten Sie jetzt die Klage beim Stadtgericht auf Zurücknahme des Pferdes und meine Entschädigung ein.« Des anderen Tages eröffnete ich dem Baron eine große Schwierigkeit, die ich darin gefunden, daß das Attest, womit wir Beweis führen wollten, auf ein Roß mit drei weißen Füßen verlaute, das Pferd des Herrn Barons hingegen, wovon sich's handle, wie vor aller Welt Augen liege, mit vier ganz gleichförmigen weißen Füßen begabt sei. »Was?« rief der Baron, »wer will denn widersprechen, daß ein Pferd mit vier weißen Füßen auf alle Fälle auch ein solches sei, das drei weiße habe? Ich sehe schon, Sie verstehen so etwas nicht, ich muß dazu einen Verständigeren nehmen.« Der Prozeß über dieses seltsame Drei plus Eins nahm denn nun wirklich seinen Fortgang, mit dreimaliger Niederlage, in allen drei Instanzen, davon sich die Kosten an Gerichts- und Advokatengebühren, Sukkumbenzgeldern, zahllosen Veterinärgutachten und für zweijährige Verpflegung des Pferdes im Tierspital, an 3000 Gulden beliefen; worauf sich der Baron zu guter Letzt das wahrhaft edle Pferd, das er nur nicht reiten konnte, von dem verschmitzten Aufhetzer um wenige Karolinen abschwatzen ließ.
Wie da die Hauptgeschäfte der Gesandtschaft selbst betrieben wurden, ist hiernach leicht zu ahnen. Alle Posttage, wöchentlich zweimal, nachdem der Herr Gesandte den ganzen Vormittag bei anderen Diplomaten, Wechslern und Agenten herumgefahren war, gab er mir den Inhalt eines Berichtes an, den ich unverzüglich zu entwerfen hätte. Sobald ich ihm den Aufsatz, gewöhnlich binnen einer Stunde, brachte, empfing er denselben vor seinem Putztisch sitzend, abwechselnd in den Spiegel und dann aufs Papier schauend, wobei er fortwährend lächelte, mit dem Kopfe nickte und in aufsteigender Fortschreitung immer ausrief: »Richtig! Gut! Sehr gut! Charmant! Vortrefflich!« Sowie er aber den Bogen umschlug und denselben Entwurf noch einmal zu lesen begann, so fanden bei der nämlichen Stelle die Ausrufe statt: »Nein! Ach nein doch! O mein Gott, was soll denn das sein? Ganz konträr! Wie schlecht gesagt!« Dann ließ er die Hände sinken, sank in die Stuhllehne zurück und sprach seufzend: »Ach wie unglücklich bin ich, einen Sekretär zu haben, der nicht einmal deutsch versteht!« Einmal, als meine gekränkte Eitelkeit sich durch Vorhaltung einer Jenaer Rezension meines Öttingischen Geschichtsbüchleins rechtfertigen wollte, welche mich gerade wegen meiner Sprache belobte, fuhr er heftig vom Stuhl auf: »Was wollen Sie damit sagen? Das ist so ein gelehrtes Deutsch, das mögen Sie verstehen: ist aber all mein Lebtag kein Ministerdeutsch.« In demselben Augenblicke fand er in meinem Aufsatz das Wort »Verzeichnis«, und frohlockend rief er aus: »Da junger Herr, da will ich Ihnen gleich mit etwas aufwarten! Wer in der ganzen Welt schreibt Verzeichnis? Es muß Verzeichnus heißen.« Jetzt zur Hartnäckigkeit gereizt, wollte ich meinen Sprachgebrauch wenigstens als einen nicht ganz ungewöhnlichen verteidigen: da sprang der Baron zornig auf und lief, seinen Adelung herbeizuholen, denn besser als der würde ich's doch wohl nicht wissen wollen. Als er aber im Adelung ausdrücklich die Worte fand: »Verzeichnis, nicht Verzeichnus«, warf er das Buch, als ob es ihm die Finger verbrannt, heftig weg und rief: »Jetzt versteht's der Narr auch nicht besser!«
Nachdem nun meine Konzepte in dieser Art unter fortwährendem lautem Wehklagen und Verwünschungen nicht selten in Gegenwart des Kammerdieners kondemniert, auseinandergerissen, zusammengeflickt, von unten nach oben und von oben nach unten gedreht worden, gingen sie aus seiner Hand flatternd und von lauter einkorrigierter Tinte spritzend an mich zurück, um sie eilends ins reine zu schreiben. Sowie dieses geschehen, begann nun die eigene Arbeit des Herrn Barons, der diesen an den geheimen Rat zu Stuttgart bestimmten deutschen Bericht für die Person des Herzogs selber in eine Art Französisch übersetzte und mit ungeheuern orientalischen Untertänigkeitsformeln und eingeschalteten Geheimnissen anfüllte, welche dem geheimen Rat verborgen bleiben sollten, das ist: Stadtmärchen, Theater- und Antechambrebegebenheiten. Als Beilage mußte ich ein Bulletin eines alten Franzosen dazu kopieren, wo es denn in ewigem Einerlei, aber regelmäßig heruntersteigend hieß: On dit, que sa Majesté – On dit, que son Altesse – On dit, que Monsieur – On dit que quelqu'un. – Meist war es auch derselbe alte, kurze, dickstämmige und krummbucklige Franzos, der die Stadtanekdoten, bereits französisch stilisiert, herbeigeschafft hatte und bei sonst schwierigen Sprachentbindungen schleunige Hilfe leisten mußte; und so liefen denn abends neun oder zehn Uhr die Depeschen mit einem Bündel Privatbriefen an den Herrn Vater, die Herren Brüder und Schwäger glücklich vom Stapel. Einen wahren Jammer gab es aber, wenn nun gar eine ministerielle Note bei der Staatskanzlei, z. B. um einen Mautpaß, übergeben werden sollte. Da konnten nicht genug rhetorische Zieraten, auffallende Eingangs- und Schlußformen, ungewohnte Redensarten und preziöse Papiersorten herbeigeschafft werden, und selbst die Reinschrift, wegen immer noch mißlungener Striche und Schnörkel, mußte zehn- bis zwölfmal wiederholt werden, und noch öfter die Kuverte, bis auch der Siegelabdruck endlich einmal untadelig ausgefallen.
Einmal, nachts zwei Uhr, pochte der Kammerdiener an meine Tür, hastig rufend: Monsieur Lang, son Excellence vous désire parler ce moment; als ich nun herbeieilte, um zu vernehmen, was sich so Wichtiges eilends begeben, eröffnete mir der Baron: »Monsieur Lang, ich bemerke schon geraume Zeit, daß Sie die Punkte nicht gerade über das i, sondern schief, bald zu weit rechts, bald zu weit links setzen. Ich habe es Ihnen schon ein paarmal sagen wollen, da es mir aber soeben im Bette wieder eingefallen, so hab' ich Sie lieber gleich rufen lassen, damit ich's nicht wieder vergesse.«
Zu einer anderen Zeit setzte es mich in nicht geringe Unruhe, daß ich nicht geweckt wurde. Früh eröffnete mir der Kammerdiener sehr geheimnisvoll, daß der Herr Baron die ganze Nacht gearbeitet. Ein Kurier sei von Stuttgart angekommen. Diesen sah ich auch denselben Vormittag in seinen großen Stiefeln leibhaftig. Die Bulletins der anderen Tage besagten bereits: On dit, que son Excellence, Monsieur le Baron de Bühler, Ministre plénipotentiaire de S. A. Monseigneur le duc de Wurtemberg avait reçu la nuit passée un courier qui a remis des dépèches de sa cour d'une très haute importance, et qui doivent concerner, à ce qu'on présume, la nouvelle dignité Electorale, qui est dûe a cette maison illustre il y a longtemps. Und von dem allem erfahre ich nichts, selbst den ganzen übrigen Tag entwischt dem ungewöhnlich bedenklich aussehenden Baron kein sterblicher Laut. Gequält von diesem Mißtrauen und der Neugierde zugleich, ergriff ich den Augenblick, wo sich der Baron zu seinem kleinen Sohn begab, stürzte auf das Fach los, wo die Kabinettsschreiben des Hofes sich verwahrt befanden, und finde folgenden Auftrag:
Mein lieber Baron von Bühler!
Durch gegenwärtigen Kurier, meinen geheimen Sekretär Pistorius, übersende ich Euch einen Schuh meiner fürstlichen Gemahlin, der Frau Herzogin Liebden, mit dem Auftrage, nach diesem Muster bei dem berühmtesten Meister in Wien 12 Paar, aber in solcher Eile verfertigen zu lassen, daß der rückkehrende Kurier selbige bis zur nächsten großen Assemblée, wird sein den – –, überliefert haben kann. Übrigens, da dieses Schreiben keinen anderen Zweck hat, so empfehlen wir Euch usw. –
Meine übrigen Kanzleigeschäfte bestanden noch in Audienzen, die ich den von Württemberg ankommenden Personen geringerer Art, als: Kolonisten, Handwerkern und Dienstsuchenden zu erteilen hatte, in Legitimationen, Verifikationen und sonstigen Vertretungen derselben bei den öffentlichen Behörden, z. B. der Maut, der Kriegskanzlei, um militärische Todesscheine zu erheben, sie an Agenten und Advokaten zu verweisen, für den Herzog bei den Auktionen alte Bibeln und Inkunabeln aufzugabeln, die Reichshofratsbeschlüsse von vielen Jahren her vollständig herbeizuschaffen, die Präsentationen und Einkassierung der Wechsel des Barons, die ihm übertragenen, mannigfaltigen Bestellungen und Einkäufe des Fürsten Potemkin an Spielsachen, Juwelen, Näschereien, Notenpapier usw. zu besorgen, und für alles dieses dann in den Labyrinthen der Hauptmaut die Mautscheine auszulösen.
Anfangs, sofern der Baron nicht selbst eingeladen war, welches in der Regel wenigstens dreimal in der Woche geschah, nämlich zum Fürsten Kaunitz, und dem russischen und neapolitanischen Gesandten, speisten ich und der Abbé an der Tafel des Gesandten, und da hieß es denn aus demselben Munde, der mich wenige Stunden vorher erbärmlich kapitelt: » Monsieur Lang, es ist mir angenehm, Sie zu sehen. – Wie befinden Sie sich? wie gefällt es Ihnen in Wien?« – Alle Augenblicke wurde aber auch diese Ordnung geändert. Vier Wochen darauf hieß es: ich und der Abbé hätten künftig allein zu speisen: bald zog er wieder den Abbé allein zur Tafel, und mich verwies er an den Tisch des Kammerdieners und seiner Frau, wobei es mir aufrichtig gesagt, immer am besten gefallen. Bald eröffnete er mir, die Einrichtung seines Hauses gestatte ihm nicht mehr, mir den Tisch zu geben, ich sollte mir Kostgeld verrechnen, bald behauptete er, mir nicht einmal Kostgeld schuldig zu sein, ich ließ mich aber dadurch in meinen Rechnungsansätzen nicht irre machen, und dazwischen wurde ich dann wieder wie ein ganz Fremder auf das zierlichste eingeladen. Selten ließ er mich vierzehn Tage lang in ein und demselben Zimmer.
Außer an den beiden Posttagen in der Woche konnte ich den übrigen Nachmittag von drei Uhr an so ziemlich auf meine eigenen Launen und Beschäftigungen verwenden. Ich setzte meine Besuche auf der Universitätsbibliothek fort, zog dem Schachspiel, auf Hugelmanns Kaffeehaus, nach, schlenkerte dann zum Kasperl, wo ich mir aus dem Komiker la Roche ein ordentliches Studium machte, und von da in irgend ein Weinhaus, wo mich gewöhnlich ein gewesener Sekretär des pfälzischen Gesandten von Hallberg, namens Frohn, nachher Professor in Landshut, erwartete. Die Ausgaben für alle diese Wanderungen waren in der Regel: im Kaffeehause 4 Kreuzer, im Schauspiel 20 Kreuzer, im Weinhause ein halb Maß Wein 4 Kreuzer, eine Portion Abendessen 6 Kreuzer, Brot 1 Kreuzer. Frohn hatte sich sehr tief in Statistik und Staatswissenschaft hineingearbeitet und sich auch eben damals einer Beantwortung der vom Kaiser Joseph aufgestellten Preisfrage: Was ist der Wucher? – unterzogen. Wir unterhielten uns also, wenn es mit den anderen Schwänken zu Ende ging, sehr ernstlich über solch wissenschaftliche Gegenstände: selten kam ich vor Mitternacht, und oft, wenn ich auf die Tanzsäle der Vorstadt geriet, noch später nach Hause, war aber schon wieder um fünf Uhr morgens auf den Beinen, um nach Wiener Sitte in irgend einer oft sehr weit entlegenen Kirche von irgend einer meiner Freundinnen beim Hinein- oder Herausgehen aus der Frühmesse die Parole des Tages zu empfangen; beim Rückwege frühstückte ich in einem Kaffeehause, wo man Journale und Literaturzeitungen hielt, und war nun bei solch einem antizipierten frohen Tagesereignis von acht Uhr an auf die jetzt beginnenden Schulmeistereien standhaft gefaßt.
* * *
In der Gegend des Kohlmarkts wohnten drei gnädige Frauen aus ziemlich guten Häusern, die eine eine Schwäbin, eine Würzburgerin die andere, eine Wienerin die dritte, zwar alle über die Zeit der ersten Blüte hinaus, aber doch noch fein und annehmlich genug, um sich im täglichen Umgang mit meinem Herrn Gesandten in einen Simultanbesitz seines Kredits, seiner Pferde und gewissermaßen auch seines Sekretärs zu setzen. An den letzteren ergingen mehrmals die Bestellungen und Rufe in aller Frühe, wo ich von der spöttisch lachenden Zofe in das Schlafzimmer der noch nicht erstandenen Dame eingeführt und die Tür hinter mir verschlossen wurde. Die Vorhangsaudienzen wurden mit flüchtigen Geschäftsprologen angefangen, für diese angeblichen trefflichen Dienste großmütige Belohnungen, mehrmals Bankzettel zu 100 Gulden, mir zugeschleudert, und die danksagende Hand festgehalten, und immer näher gezogen. Ich bewies mich aber bei einigen wiederholten Szenen dieser Art, von denen ich hörte, daß sie damals ziemlich eine Wiener Toilettenmode war, etwas ausweichend und verlegen, und verteidigte noch glücklich genug meine Tugend hier innen, um sie draußen bei der schönen Zofe auf das Spiel zu setzen.
Eine dieser Frauen, die Wienerin, war früher die Geliebte des Barons Joseph von Prandau, zu Valpo im Königreich Slavonien, welche außerdem, daß sie für ihren Gemahl die Generalpacht und Administration der großen Prandauischen Güter ausgewirkt, sich für ihre eigene nette Person der Liebe des Herrn Barons von Prandau durch allmälig ausgestellte Wechsel und Obligationen pro fidelibus servitiis, wie es darin hieß, bis zur Summe von 250 000 Kaisergulden versichert hatte. Zwei dieser Papierchen, zu 50 000 Gulden jedes, wurden meinem Herrn Gesandten, unter bester Verzuckerung im Austausch gegen andere bewegliche Scheine und Anweisungen beigebracht, als bald darauf die Schreckenspost einlief, daß der erste slavonische Liebhaber im Begriff sei, den Gerichten seine Überschuldung anzuzeigen. Es kam also darauf an, die ausgestellten einfachen Liebeswechsel pro 150 000 Gulden bei der Tabula Subalterna (Kreisgericht) in Essek intabulieren, das ist: zu Hypotheken erheben zu lassen, versteht sich schleunigst, und dann diese sowohl, als die von dem Herrn Gesandten eingetauschten und bereits intabulierten 100 000 Gulden Obligationen auf der Stelle einzuklagen, oder im unglücklichen Fall des eiligen Konkurses zu liquidieren. Am 6. Dezember 1789 wurde ich als verus et legitimus Plenipotentiarius für dieses Geschäft ernannt, und rollte mit eilender Extrapost bis Essek fort, in allem 38 Posten von Wien entfernt. Der Ort selbst, eine kleine Stadt, mit zwei Vorstädten, Varos genannt, so wie ungefähr Forchheim in Franken, eine kleine Sumpf- und Wasserfestung, wird auf allen Seiten von den Flüssen Donau und Drau und ihren tiefen Morästen so eingeschlossen, daß man eine Stunde ringsumher seinen Fuß, ausgenommen längs dem schmalen Straßendamm, auf kein festes Land setzen kann. Die faulen Ausdünstungen, die Nebel, die unaufhörlichen Regen, machen den Ort zu einem der ungesundesten, besonders für Ausländer, daher man die Stadt auch gewöhnlich den Kirchhof der Deutschen nennt, die nicht leicht vier Wochen hier ausdauern können, ohne schon vom kalten und faulen Fieber ergriffen zu sein. Mein erster Bekannter war Herr Doktor Kretschritsch, der den ganzen Tag zu laufen hatte, um den hierher beorderten Offizieren und Militärbeamten, meistenteils schon krank angekommen, ihre Pässe in die andere Welt zu schreiben, und die Pillen des Todes zu vergolden. Jeden Mittag bei der Wirtstafel standen einige plötzlich auf, um nach Haus zu eilen, und sich begraben zu lassen. Man durfte nach keinem Abwesenden fragen, den man gestern gesehen, ohne die fatale Antwort zu hören: er ist tot, und doch war alle Tage Spiel und Ball, wohin die raizischen oder griechischen Kaufleute der Varos ihre Frauen brachten, mit ihren buhlerischen Gesichtern und ihrem Klipperklapper an Kopf und Hals, Brust und Arm. Da sah man noch Liebesszenen und Romane, dreiviertel Stunden vor dem Tode.
Das Städtlein wurde regiert von den beiden Brüdern Jankowitz, davon der eine im politischen Fach der erste Vizegespan (eine Art Unterpräfekt), der andere Präses der Tabula subalterna, oder des Kreisgerichts war. Dieser, wie ein alter Jesuit aussehend, nahm meine schriftliche Vollmacht zur Eintragung und Einklagung der 250 000 Gulden Wechsel stattlich langsam zu Händen, mit dem Bescheid, daß zuförderst, und ex jure tripartito, und secundum celeberrimum Werböczium der Schuldner darüber vernommen werden müsse, ob er die Posten anerkenne?
Die hierbei stattfindenden Termine gaben mir die leidige Aussicht, noch eine schöne Menge dieser bestialischen Dämpfe von Essek einschlucken zu dürfen, welche mir noch dadurch versüßt wurden, daß in dem Quartier über mir meine Frau Wirtin an dem höchsten Grad der Lustseuche darniederlag, davon sie mir durch die offene Stubenröhre die Schwefelbeizungen herunterströmen ließ.
Da nun, bis zur Erklärung des Barons von Prandau, im Ort doch nichts zu machen war, entschloß ich mich, diese Esseker Leichengefilde zu fliehen, und weil kurz vorher das nur 25 Meilen entfernte Belgrad von den Kaiserlichen erstürmt worden war, meine Neugierde in Anschauung einer türkischen Stadt zu befriedigen. Die ungarische Gastfreiheit verließ mich auch noch nicht an der türkischen Grenze. Kam ich mittags an, so nötigten mich die Postmeister an ihre Tafel, ohne dafür irgend eine Vergütung anzunehmen: abends wurde alle männliche und weibliche Beredsamkeit angewandt, um mich nicht weiter ziehen zu lassen. Man schaffte Punsch und Wein herbei und rief zu fröhlichen Spielen; und weder dafür, noch sonst für das Quartier wurde das Mindeste angenommen; statt zweier Pferde, die ich bezahlte, spannte man mir vier und sechs vor; der Abschied in der Frühe geschah selten ohne Tränen und herzliche Umarmungen der Töchter, mit dringenden Verpflichtungen zur schleunigsten Wiederkunft. Nur in Semlin, von einer zahllosen Generalität und anderer Einquartierung überfüllt, war es mir unmöglich, unter Dach zu kommen; und ich steuerte also, nach einer kurzen Erfrischung auf dem Kaffeehause, noch in der Nacht dem letzten Ziel meiner Reise zu.
Nach überstandenen schrecklichen Wegen fuhr ich den 27. Dezember 1789 früh in Belgrad ein, von keinem Menschen angehalten, noch weniger befragt, was zum Teil auch wohl seinen Grund darin haben mochte, daß man mich nach einer Art Frack, die man damals in Wien häufig trug, hellblau mit schwarzsammetnem Kragen und Aufschlägen, für einen Angestellten der Feldlazarette hielt. Von fern stellte die Stadt einen kleinen Pfeilerwald vor, mit ihren zahllosen schmalen Türmen an allen öffentlichen Plätzen, Brunnen, Toren und Bethäusern, auf welchen überall, wo sie nicht von der Gewalt des Geschützes getroffen worden, ein halber Mond stand. Sowie ich aber ins Innere kam, sah ich nichts als niedergeschossene, ausgebrannte Häuser, ohne Dach, mit ihren kahlen Feuerwänden dastehend, vor den verlassenen Häusern überall ein großes Rudel zurückgebliebener Hunde liegend, Juden aus den Kellerlöchern guckend, raizische Bauern ihre Esel über die Schutthaufen stachelnd. Nirgends eine verschont gebliebene Herberge: die einzige erste Zuflucht blieb der mir verstattete Eintritt in die Hauptwache; hier fiel mir denn zum guten Glück ein Kompliment ein, das mir ein Offizier in Wökowar an den Artilleriekommandanten in Belgrad, Hauptmann Winkler, einen Sachsen, aufgetragen. Ich ließ mich von einem Soldaten alsbald zu ihm führen, und traf ihn unten in einem Keller einquartiert, auf einem Balken sitzend, einen Gokelhahn zu seiner rechten und eine Katze zur linken Seite. Die erste Anrede lautete freilich etwas barsch: »Wer ist Er?« Als ich ihm aber darüber die genügende Urkunde vorgezeigt, den Gruß von Wökowar ausgekramt und meine fruchtlose Nachfrage nach Quartier geschildert, sagte er: »Ja, wenn ich halt wüßte, daß ich trauen dürfte!« und dann nach einer Pause: »und wenn Sie weiter sonst nichts suchen, als einen Fleck zum Schlafen, so steht Ihnen hier mein Keller zum Dienst.« Wer war froher als ich? – Ich ließ mir auf der Stelle mein Reisebündel herbeiholen, und wurde, da ich nun nach weiterer Kurzweil fragte, in ein unterirdisches Kaffeehaus verwiesen, wo mich die Offiziere als einen Ankömmling aus der Hauptstadt mit großer Freundlichkeit und Geschäftigkeit empfingen, auch sorgten, daß ich an ihrer Tafel, versteht sich, für mein Geld, mitspeisen konnte. Es gab aber da kein anderes Brot, als von Kukurutz oder türkischem Korn, das neugebacken nicht unlieblich schmeckt, kein Ei, kein Huhn, alles war durch die Feldlager gänzlich ausgerottet worden; kein Rindfleisch, keine Butter, aber Oel, und zum Essen geräuchertes Wurst- und Schinkenzeug, auch Fische zum Ueberfluß, mit fingerdickem Speck, den sie sich von den ins Wasser geworfenen Türken angefressen hatten. Fürs Trinken war auch hinlänglich gesorgt durch die dickschwarzen sirmier Weine und den slavonischen Zwetschgenbranntwein, Slivowitz genannt. Die Zeit füllte man sich mit kleinem Pharaospiel aus.
Mein Wirt, der alte Hauptmann, hatte mir sehr ernstlich eingebunden, Schlag neun Uhr im Quartier zu sein. Ich fand ihn, sein Abendessen bei einer schwarzen Brotsuppe haltend, an der auch die Katze und der Hahn aus einem und demselben Teller teilnahmen. Der Brand des Hauses hatte diese beiden Tiere in den gemeinschaftlichen Zufluchtsort des Kellers getrieben, wo sie der alte Hauptmann fand, bei dem sie nun als versöhnte Feinde gastlich blieben. Der alte Hauptmann nötigte mich, an seiner Seite platzzunehmen; er horchte zuerst auf meine neuesten Märchen aus der Hauptstadt und knüpfte dann seine Erzählungen an aus den Zügen des Siebenjährigen Kriegs, und von seinen Hoffnungen und Erwartungen einer Majorstelle, die ich ihm natürlich als nächst bevorstehend zu schildern mich bemühte. Endlich, in seinem gewohnten Befehlshaberton, hieß er mich niederliegen, das heißt, auf die bloße Erde des Kellers, Stroh war nirgends aufzutreiben, und brachte mir noch ein Glas Branntwein, das ich ebenfalls auf Befehl trinken mußte. Denn er konnte nun einmal nicht anders, als nur befehlen; selbst seine besten Wünsche gingen in die Gestalt der Befehle über. – Noch einmal kam er aus dem innern Verschlag, in dem er schlief, heraus, und reichte mir einen Ballen Leinewand, wieder mit dem strengen Befehl, meinen Kopf darauf zu legen. Später, da die Kälte des Kellerbodens mir sehr in den Rücken drang, steckte ich die aufgerollte Leinewand darunter; bald änderte ich dieses wieder, da es mich überall fror, um mich damit zu bedecken. Die Nächte vergingen unter solchem beständigen Hilfesuchen und Wechseln auch übrigens nicht ungestört. Oberhalb des Kellers waren Baracken für die Artilleriemannschaft hergerichtet: und es trampelte beständig aus und ein und noch außerdem an den Kellerlöchern vorbei. Wenn sich nun solche schwärmenden und zum Teil besoffenen Haufen in der Nähe ihrer feuchten Übergenüsse entluden, so rollten ganze Ströme zu uns in den Keller hinab, welches der Hauptmann mit wütendem Schreien zu steuern suchte: »Ihr Spitzbuben! seid ihr auch kaiserliche Soldaten? Nein, Schweinehunde seid ihr!« welches aber alles nichts half, bis der Hauptmann vom Lager sprang, den geladenen Stutzen hinaussteckte und hinauszuschießen drohte; worauf dann diese lebendigen Wasserwerke um einige Schritte weiter rückten. Auf diese Art hatte ich den einbrechenden Neujahrstag 1790 gefeiert.
Es mangelte aber auch auf türkischer Erde nicht an wohlgesitteten Gratulationen. In aller Frühe entfaltete sich vor dem Hauptmann, während er seine Strümpfe anzog und die Gamaschen zuknöpfte, ein Halbzirkel der Herren Artillerieoberleutnants, Leutnants, Feuerwerker und anderer abgeordneter gemeiner Mannschaft, um ihrem Herrn Kommandanten die gebührenden Ehrenwünsche darzubringen, welche derselbe mit den kurzen Worten erwiderte: »Meine Herren! ich wünsche Ihnen auch das Gegenteil!« sollte heißen gegenseitig dasselbe.
Die Zeit des Tages wandte ich gewöhnlich dazu an, Ort und Gegend genauer zu besehen. Von Schnee, selbst von Frost war nirgend eine Spur; in den nur halb entlaubten Bäumen schwirrten zahllose Vögel. Laue Winde bliesen die schrecklichsten Düfte von Leichen herbei, die nur leicht verschüttet unfern unter der Erde lagen, weil es zu beschwerlich schien, sie bis ans Wasser zu schleppen. Hände und Füße schauten allenthalben hervor, und alle Augenblicke trat man in solche seichte Gruben ein. An der Spitze, wo sich der breite Saustrom in die Donau senkt, erhob sich der Belgrader Berg, in dessen Rücken die ganz niedergeschossene, in ziemlich modernem Geschmack aufgebaut gewesene Wasserstadt, dicht an derselben aber eine doppelte Festung, die obere und die untere, sich erhoben. In diesen beiden waren die Gebäude noch ziemlich erhalten, die Wohnungen der Geringern mehr Erdhütten gleich, mit niederen Sälen und flachen Bänken. – Das Haus des Pascha, etwa einer Fabrik bei uns oder einem Kanzleigebäude ähnlich, hatte zwei Seitenflügel, rechts für die Pferde und Sklaven Sr. Herrlichkeit, links mit einem durch die Luft führenden verdeckten hölzernen Gang, für die Schönen des Serails. Die Fenster desselben, auf die Straße hinaus, waren mit Backsteinen zugelegt; aber im Garten blieb die Aussicht frei. Inwendig war ein großer Saal, wo sich die Frauen, etwa zwölf an der Zahl, den Tag über mit Sklavinnen aufhielten, an kleinen Arbeiten tändelten, sangen, die Zither spielten, Märchen hörten und, wie man mir erzählte, sich oft auch zankten, kratzten, bissen, bis sie dann von einem alten verschnittenen Sklaven, dem Aufseher, nicht selten selbst mit Schlägen, auseinandergetrieben wurden. Von diesem Gange aus hatte jede einen Eingang zu einer besonderen Zelle. Zwei bis drei Stunden täglich brachten sie in den lieblich warmen und wohlriechenden Bädern zu, wohin sie aber nur über den Schloßhof gelangen konnten, versteht sich, unter höchster Vermummung in verdeckten Sänften, denen alle männlichen Gestalten fliehend ausweichen mußten. Die Bäder waren alle einzeln, im schönsten Alabaster ausgehauene Nischen. Der Abzug dieser Schönen war kurz vor meiner Ankunft schon erfolgt, wo sie öffentlich und unverschleiert, in grüner Amazonentracht auf ihren Kamelen sitzend, zu sehen waren, meistens hagere, gelbliche und durch das tägliche heiße Baden abgebrühte Gestalten, davon man viele schon den dreißiger Jahren nahe schätzte.
Der Residenz gegenüber stand die Moschee, die man damals ungescheut betreten konnte, eine Rotunde, mit herabhängenden wunderschönen Kandelabern, kunstvollen Vergitterungen und mit Stein bunt ausgelegtem Boden, der auch mit den köstlichsten Teppichen und Polstern belegt gewesen sein soll. Alle Wände waren in den schönsten lebendigen Farben, besonders grün, rot und blau, mit Sprüchen des Korans beschrieben, die in den seltsamsten Verschweifungen lauter Bilder von Schlangen, Vögeln, Blumen und anderen Zieraten darstellten.
Nach einem wahrhaft wehmütigen Abschiede von meinem alten Hauptmann verließ ich am 3. Januar 1790 Belgrad und näherte mich nicht ohne Grauen wieder den Morästen von Essek. Meine Geschäfte daselbst bei dem Kreisgericht waren noch soviel als gar nicht vorgerückt. Eine Unterhandlung mit dem zweiten Vizegespan Adamovitz, die von mir eingeklagten Posten oder einen Teil derselben an sich zu lösen, verschaffte mir unterdessen das Glück, daß er mir den Aufenthalt auf dem Gute seines alten Vaters zu Czepin, zwei Stunden von Essek, anbot.
Hier fand ich nun ein sehr behagliches Leben; früh machte mir der alte Herr Unterhaltung, wenn er schon um vier Uhr morgens seine Getreuen mit dem Sprachrohr aus dem Fenster zum Aufstehen nötigte: » Domine Pater! Surgas! Domine Provisor! Domine Cancellista, Frumentarie! Surgas!« mit welchen Worten nicht eher nachgelassen wurde, bis entweder in den Zimmern der Glanz der angesteckten Lichter erschien oder der Gegenruf erscholl: » Salve Domine perillustris!« In Zeit einer halben Stunde kamen alle herbei, um von dem alten Herrn die Befehle des Tages zu empfangen, die er meistens in die Feder diktierte, und sich dann vom Frühstück zur Messe begab. Nach neun Uhr begannen die Beratungen mit seinem Hauskonsulenten ( Fiscalis) und dem Rentmeister ( Praefectus), in deren Gegenwart die ankommenden Beamten ihre Rechnungen vorlegen und abhören lassen mußten. Bei der Abhör mußte sogleich der Kassenüberschuß bar aufgelegt werden. Teils hörte ich diese Sachen mit an, teils ging ich unterdessen im Freien spazieren, so weit es bei den allenthalben in den Sümpfen steckenden Rohrwölfen ratlich war. Fast nirgends in weiter Umgebung des Schlosses, besonders in dieser feuchten Jahreszeit, traf man außer den gedämmten Wegen ein hartes festes Land, überall nur weichen, mit Schilf bewachsenen Boden; keinen Baum, kein Gemüse, aber das üppig aus dem Sumpf emporsteigende türkische Korn; kein Schaf, kein Rind, kein Wildbret, aber zahllose in ihrem Schlamm wohlgehaltene Schweineherden: daher ewig bei Tafel nichts als Schweinezeug in mancherlei Gestaltungen, eine Schweinebrühsuppe, dann Schweineknöchlein, dann wieder Kukurutz mit Schweinefleisch, dann Schweinebraten, dann Schweinesulz, dann Schinken, wozu man den dicken, schwarzen sirmier Wein trank. Diese Kost, oder vielleicht nur der Wein, verursachte mir ein unruhiges ängstliches Schlafen, besonders aber ein ewiges Reizen zum Niesen, dabei ich aber, sowie ich hoch auf und frei atmen oder mich schnell wenden wollte, ein empfindliches Stechen in der Brust, das mich sehr bange machte, empfand, bis mich das Ungefähr zu einem Gabelfrühstück der Hausbeamten brachte, die mich nötigten, Gesundheit mit einem vollen Pokal Slivowitz zu trinken, auf welches plötzlich alle meine Schmerzen und Beklemmungen verschwanden; so daß ich, dadurch belehrt, fast täglich meinen Schoppen Branntwein zu mir nahm, eine Gewohnheit jedoch, die ich jenseits der slavonischen Grenze alsbald wieder verlassen habe.
Nach den Tafelfreuden, die gewöhnlich ein paar Stunden währten, ging's ans Woidaspiel, bei dem man ab- und zugehen und sich mit den teilnehmenden Frauen unterhalten konnte; worauf später wieder eine ebensolange Abendtafel folgte. – Mit einbrechender Nacht, wo man überhaupt ohne Licht nicht mehr aus dem Hause gehen durfte, wegen der überall umherschleichenden Rohrwölfe, einer ganz kleinen Art, die aber im Finstern schleicht und recht tückisch beißt, zündeten fünfundzwanzig Panduren mitten im Schloßhof ein großes Feuer an, bei dem sie wachend blieben. Alle Türen und Läden, in welche man Schießscharten angebracht, wurden vor dem Schlafengehen fest verrammelt, und geladene Schießgewehre daneben gestellt, zur Schutzwehr gegen die Räuberhorden, die sich nicht selten über die türkische Grenze hinüberschlichen, um die Schlösser zu überfallen. Einmal sah ich selbst einen solchen Räuberpascha, mit Büchsen, Pistolen und Dolchen über und über behangen, auf einem stattlichen Roß zum Schloßhof hineintummeln, und, nachdem er sorglos abgestiegen, den Herren und den Frauen des Hauses seinen Besuch abstatten. Nachdem er mit allem, was er nur wünschen konnte, unter den allerschönsten und freundlichsten Mienen bewirtet worden, flog er mit gewaltigen Rossessprüngen wieder von dannen. Niemand traute sich, der Folgen wegen, ihm etwas in den Weg zu legen.
Der slavonische Bauer selbst, von dem die berühmten Rotmäntel bis zu uns gekommen, schien mir nicht viel mehr als halb Sau und halb Rohrwolf. Seine Arbeit mit dem Haupterzeugnis, dem Kukurutz, ist unbedeutend. Er frißt also die meiste Zeit und säuft und schläft. Ist nichts mehr in der Küche, so holt er sich ein Schwein aus dem Sumpf, schlachtet es und bratet es ganz; so bleibt es dann auf einem Schragen liegen, und jeder im Hause, oder wer auch sonst ein- und ausgeht, schneidet sich von dem, am Ende stinkend und madig gewordenen Schwein ein Stück herunter. Auf den von den Flüssen entfernten trockenen Gründen wachsen die Zwetschgenbäume ganz wild. Man zerstößt die in Tonnen faulgewordenen Zwetschgen samt den Kernen und bereitet daraus den berühmten Slivowitz. Am Tage ist die Luft von lauter Sumpfmücken ganz schwarz: man kann also, besonders zur Sommerszeit, nur bei Nacht reisen. Wer ruhig schlafen will, muß sich durch geflochtene Haarwände und ferngestellte Nachtlichter schützen. – Die Religion des gemeinen Volkes ist die griechische. Vor den Häusern der Verstorbenen hört man die ganze Nacht hindurch abscheuliches Wehegeheul von mehreren dazu bestellten alten Weibern. Die neuverheirateten Weiber enthalten sich die ersten vier Wochen aller Arbeit, liegen beständig aufgeputzt am Fenster und rufen alle jungen Mannsleute herein, die sie mit Küssen empfangen und mit Kuchen und Branntwein bewirten. Dadurch soll dem Herrn Ehegemahl die Eifersucht gleich von Anfang an ausgetrieben werden.
Der Hauspater, ein Kapuziner (oder Franziskaner), bot mir eines Tages an, mit ihm nach Valpo zu fahren, wo er sich bei den dortigen künstlichen Holzarbeitern einen Herrgott (Kruzifix) kaufen wollte, ein Anerbieten, das ich zur Ausfüllung meiner leeren Zeit um so lieber annahm, als ich dort vielleicht neue Kunde über die Absichten meines Geschäftsgegners, Herrn Barons von Prandau, einziehen konnte. Wir fuhren auf dem Rückwege, wie wir es auf dem Hinwege getan hatten, über die zugefrornen Seen und Moräste, als jetzt plötzlich eine breite Eisdecke unter unserem Wagen brach, die Pferde bis an den Hals ins Wasser sanken und der Wagen selbst rechts und links schaukelte. Alle Bemühungen des Fuhrmanns, die Pferde wieder auf festeren Eisboden steigen zu lassen, machten den Bruch nur immer größer und ärger, so daß ich mich in Bewegung setzte, um aus dem Wagen über die Köpfe der versunkenen Pferde hinüber auf den dichtern Eisgrund zu steigen, wovon mich aber der Pater mit der Hand an meinem Rockzipfel zurückhielt mit den Worten: »Bleiben Sie ruhig, der da, den ich hier in der Hand halte (auf seinen gekauften Kruzifix deutend), läßt uns nichts geschehen.« Indessen nach wenigen Augenblicken riß ich mich doch los, kam glücklich auf festen Eisgrund und brachte durch mein Zurufen den Pater dahin, auch ein Gleiches zu versuchen. Durch das Abschneiden der Stränge, durch die Hilfe, die wir den Pferden von vorn gaben, vermochten wir sie endlich zum wohlgelungenen Emporsprung, und zogen auch das leichte Fuhrwerk glücklich aus dem Wasser heraus. Wie groß war aber der Schreck des armen Paters, als er seinen Herrgott vermißte, den er in der Angst hatte ins Wasser fallen lassen. Er bat mich um alles in der Welt, davon bei unserer Nachhausekunft nichts zu verraten, und machte mir dann auf der in heller Sternennacht fortgesetzten Fahrt begreiflich, daß es dennoch dieser Herrgott gewesen sei, der uns gerettet habe.
Endlich, als meine Geschäfte sich immer mehr in die Länge zogen, weil Herr von Prandau für gut befand, sich überhaupt gar nicht zu erklären, so beschloß ich, mich ganz und gar nach Valpo zu verfügen und von dieser Nähe aus desto dringender zu treiben. Ich stieg bei dem Pächter, dem Gemahl der Wiener Baronin ab, und traf daselbst ein köstliches Leben. Alle Abende Versammlung der Wirtschaftsbeamten, deutsches Leben, deutscher Gesang, Spiel, lustiges Mahl und dann von neuem Punsch bis in die tiefe Nacht. Nach einigen solchen im Taumel vollbrachten Gelagen vernahm ich im ersten Schlafe ein Pums! Pums! Pums! Ich hörte, wie Türen und Läden krachend sprangen, im Hausplatz schwere Tritte dröhnten und sich endlich polternd der Treppe näherten. Unser Schlafsaal wurde aufgerissen, wilde Gestalten traten herein, schafften Tische, Stühle, Schränke hinaus, bedeuteten uns mit Fingern, aufzustehen, schleppten nun auch unsere Betten hinab, trieben, uns schleunig anzukleiden, und rissen uns dann zum Hause hinaus, wo wir drei große angespannte Leiterwagen und die ganze übrige Hausgenossenschaft auch schon vor der Tür versammelt fanden. Nun fing man an, uns alle auf einen Wagen zu werfen, den Dominum spectabilem, die Dominos perillustres, mich den Dominum clarissimum, nebst noch einigen Dominis humanissimis, und so ging es unter fürchterlichem Klatschen und Hetzen der Fuhrleute und dem Gejohl der uns begleitenden Panduren, den nämlichen, die unsere Zimmer ausgeräumt, sechs Stunden weit fort wieder zu dem verwünschten Essek, wo sie uns vor dem Hause eines unserer Unglücksgefährten, des Unterpächters Reußner, absteigen hießen, alles Gepäck der drei Wagen hinunterwarfen, unsere Röcke küssend, und zum Teil kniend um ein Trinkgeld baten, und sich dann wieder von dannen machten. Das war nämlich eine ungarische Exmission, mit welcher der Herr Baron mich, als den Boten seiner teuern Liebesbriefe, seinen Generalpächter, der die schon früher gekündete Pacht vor erlangter Befriedigung nicht verlassen wollte, alle Unterpächter, Wirtschaftsbeamte und Offizianten, als Anhang des Pächters loszuwerden suchte; und damit sollte auch die Erklärung auf meine gerichtlich vorgelegte Urkunde in facto gegeben sein.
So betroffen und durchfroren wir auf dieser Nachtfahrt waren, so wohlgemut erneuerten wir doch nun wieder in Essek unsere lustigen Spiel- und Punschnächte. Es wurde beschlossen, nun alsbald sich nach Ofen zu begeben und bei der tabula septemviralis eine Spolienklage Klage auf Rückgabe des Besitzes. Hrsg. anzustellen. Mir träumte schon im voraus von den geschilderten Herrlichkeiten der ungarischen Hauptstadt. Wir waren nicht nur alle wohlgerüstet, sondern freudenvoll; der Ungar findet einen großen Genuß daran, Prozesse zu führen.
In Ofen selbst blieb mir aber wenig Zeit, umherzuschwärmen. Der Anwalt, der unsere Sache übernahm, bemächtigte sich alsbald meiner Hände, nicht nur zum Kopieren aller Schriften und Beilagen, sondern, da er meine Fertigkeit in der lateinischen Sprache bemerkte, so diktierte er mir tagelang seine lateinischen Deduktionen, ließ mich auch selbst die kleineren lateinischen Aufsätze, Requisitionen, Fristgesuche und andere Kommunikationen aufsetzen, worüber er mir seine große Freude mit dem Wunsche bezeigte, bei ihm zu bleiben; es sollte mir nicht fehlen, seinerzeit auch ein ungarischer Advokat zu werden. Wahrscheinlich habe ich auch damals in gewohntem leichtem Sinne ein großes Los zurückgelassen; die ungarischen Advokatenraupen entfalten sich gewöhnlich in stattliche Gutsherren und Magnaten; ja selbst zu großen Fürsten, wie z. B. die Grassalkowitsch, steigen die glücklichen Advokatenkinder empor.
Für die Erholung in müßigen Stunden zog ich die nur durch die Donau von Ofen getrennte zweite Hauptstadt Pesth bei weitem vor. Mir wenigstens kamen die Leute dort ungleich zierlicher und milder vor, und allenthalben fand ich Schachspieler nach Genüge. Auf einer verspäteten Überfahrt nach Ofen in einem kleinen Kahn, der im Finstern einem mit Gewalt herabströmenden großen Floß zu nahe kam, hätte ich beinahe wiederum der Hilfe des Valpoer Herrgotts bedurft.
Ich weiß nicht, ob der bei der tabula septemviralis angebrachte Prozeß, jetzt, da ich dieses schreibe, am Ende sein wird. So viel wurde mir begreiflich gemacht, daß ich nicht wohl auch nur das erste Dekret abwarten könnte. Mein Herr Gesandter hatte mir 4000 Kaisergulden Geschenk verschrieben, wofern ich ihm seine Obligation von 100 000 Gulden nur zu 80 000 Gulden bar umsetzen könnte. Umsonst, das Resultat meiner ganzen Reise waren 12 Flaschen Slivowitz, die ich, nach Wien zurückgekehrt, vor dem Hotel des Herrn Gesandten auspacken ließ.
Er war eben ausgefahren. Ich verlangte den Schlüssel zu meinem Zimmer, und vernahm, es sei schon geöffnet, worüber ich mich verwunderte, noch mehr aber darüber, als ich auf meinem Stuhle an meinem Tische eine gebeugte schreibende Gestalt erblickte, die über mein unangemeldetes barsches Hereintreten und wie ich mich ohne weiteres, nach hinweggeschleudertem Hut und Mantel, auf das nebenstehende Bett hinwarf, ziemlich betreten und verschüchtert schien. Ermüdet von unausgesetzter dreitägiger kuriermäßiger Reise fand ich augenblicklich den gesuchten Schlaf und nach meinem Erwachen, es mochten etliche Stunden verflossen sein, immer noch dieselbe schreibende Gestalt, jetzt gar mit zwei Lichtern auf dem Tische. Mit halbem Leib und ausgestreckten Armen fragte ich endlich: »Wer sind denn Sie?« worauf der gute schreibende Mensch wie ein erlöster Geist sich hurtig von seinem gebannten Stuhl erhob, mit der Antwort: »Es freut mich, daß Sie mir mit einer Frage zuvorkommen, die ich schon längst gern an Sie selber hätte tun mögen. Ich bin der Sekretär des Herrn Gesandten Barons von Bühler.« »Was?« rief ich, und sprang auf, »Sie werden sich irren, der, für den Sie sich ausgeben, bin ich.« »Verzeihen Sie doch gütigst,« erwiderte das Männlein, »das ganze Haus wird mir bezeugen, daß ich der Sekretär schon seit sechs Wochen hier im Hause bin. Ich begreife gar nicht, wie ein landfremder Mann auf mein Zimmer fallen, und mir da behaupten will, daß er ich sei. Der Herr Gesandte haben es mir umständlich geklagt, wie sein voriger Sekretär ihn, mir nichts dir nichts, verlassen und in fremde Länder gegangen, worauf er mich in seine Dienste genommen.«
»Lieber Freund«, sagte ich da, » il padrone nostro hat uns beide in seiner gewöhnlichen Weise mystifiziert. Sehen Sie hier meine Vollmacht und inwiefern ich ohne sein Vorwissen gleichsam nur davongelaufen. Will er mit uns beiden sein Spiel treiben, so wollen wir nun auch miteinander eine Maß Wein trinken.«
Mein Sekretär als Duplikat war mit dieser Wendung außerordentlich zufrieden, und schilderte mir dann im Weinhause, wie ihn die Launen des Herrn Barons fast täglich zur Verzweiflung brächten, und er nicht begreife, mit welcher geheimen Zauberei ich dieselben abzuwenden oder zu ertragen gewußt.
Am anderen Morgen empfing mich der Herr Baron unter großen Freudenbezeigungen über meine Zurückkunft, und noch größeren Lobsprüchen über meine in der Tat mißlungene Mission; er seufzte über die ihm in meiner Abwesenheit zugefallene, unerträgliche Arbeitslast, für die er interimistisch einen anderen Sekretär hätte annehmen müssen. Ich sollte mir jedoch vorderhand auf seine Rechnung Quartier und Kost in der Stadt nehmen. Er denke, mich in etlichen Wochen als Kurier nach Jassy an den Fürsten Potemkin zu schicken, und mich dabei so gut zu empfehlen, daß ich dort würde bleiben können. Was aber der Herr Baron recht eigentlich meinte, nämlich daß der neue Sekretär nach allen ihm zugefügten ägyptischen Plagen freiwillig seinen Platz wieder aufgeben, und mir überlassen sollte, trat nicht ein, weil mir selbst mein Pensionsleben sehr wohl gefiel, und ich dafür den anderen armen Teufel in der Kunst der Geduld und der Art, wie er sich schützend zu benehmen hätte, besser unterrichtete. Da nun endlich sogar die Hausgenossen über die vom Herrn Baron angenommenen zwei Sekretäre ihre lustigen, schadenfrohen Bemerkungen machten, und ich selbst über diese Art heimlicher Genugtuung mein Wohlgefallen nicht so ganz verbarg, so glaubte der Herr Baron uns allen das beste Dementi dadurch zu geben, daß er wenige Tage darauf abermals noch einen Sekretär – einen dritten annahm.
Unter diesen traf mich bald darauf das Los, als Kurier mit der Nachricht des am 20. Februar 1790 erfolgten Todes des Kaisers Joseph an den Herzog Karl von Württemberg abzugehen. Als ich in Hohenheim, dem Aufenthalte des Herzogs, etwa gegen Mitternacht ankam, und im ganzen Umkreis nur die Schloßwache lebendig fand, konnte ich es dem schwäbischen Korporal durchaus nicht begreiflich machen, daß eine solche Zeitungsneuigkeit, wie der Tod des Kaisers Joseph, von der Dringlichkeit sei, deshalb Se. Durchlaucht den Herrn Herzog, oder Se. Exzellenz, den Herrn Hofmarschall aufzuwecken. Ich möchte, meinte er, Quartier im Gasthof suchen, er würde mich morgen, wenn er ohnehin Rapport bei der Parade mache, schon gehörig melden. Allein da dem Herzog die Ankunft eines Kuriers in aller Frühe gleichwohl schon bekannt wurde, ließ er mich, höchst ungehalten über die diplomatische Gleichgültigkeit seines Herrn Korporals, augenblicklich zu sich rufen. Ich traf ihn früh um sechs Uhr im Park reitend, wo er nach einigen, damals observanzgemäßen Fürstenfragen: Wie heißt Er? Wer ist Er? – vom Pferde stieg, im Gehen die Depeschen las, sich darauf mündlich von mir noch mehrere Einzelheiten erzählen ließ, und dann sagte: »Nun will ich Ihn zur Herzogin führen, damit Er ihr das auch alles selber sagen kann.« Er öffnete alsbald einen Gartensaal, in welchem, mitten im Februar, aus dem Boden heraus die prächtigsten Blumen sprießten, üppige Gesträuche an den Wänden rankten, und sich in bunte Bögen wölbten; eine wahre Zaubergrotte, wo die Frau Herzogin den Herzog zu dem Frühstück erwartete, mich sehr leutselig empfing, und über vieles noch besonders ausfragte. Nachdem man nun mit der mißliebigen Anschauung, daß gesalbte Häupter einigermaßen auch sterblich seien, sich gehörig abgemattet, wurde ich beschieden, meine Abfertigung in Stuttgart zu erwarten, wo mich der alte Geheime Rat von Bühler, der Vater meines Gesandten, ins Quartier nahm. Zu meinen berechneten Ausgaben erhielt ich noch 50 Gulden, die gewöhnliche Kurierszulage und meinen Rückpaß, hatte aber in Privatangelegenheiten meines Herrn Gesandten den Weg über Frankfurt zu nehmen. In seiner gewöhnlichen Leichtgläubigkeit von anderen Spekulanten immer gemißbraucht, hatte er sich jetzt wieder weis machen lassen, daß eine Geldsumme von 30 000 Gulden bei einem gewissen jetzt noch wohlbehaltenen Bankierhause in Frankfurt sehr unsicher stehe. Ich sollte also diese Gelder, wie immer tunlich, zu erheben trachten und sie mit nach Wien bringen. Ein alter Kaufmann, Heußer, an den ich empfohlen war, und der mich ins Quartier nahm, machte dem Bankier die erste Eröffnung von meiner persönlichen Anwesenheit und dem Zwecke derselben, worüber derselbe so aufgebracht war, daß er zwar die Gelder binnen acht Tagen zu erlegen versprach, mir aber sein Haus verbieten und die heftigste Rache androhen ließ, wenn ich mich über diese, seinem Kredit so gefährliche und Verdacht bringende Mission, auch nur mit einer Silbe verraten würde. Unterdessen suchte der alte Herr Heußer mir die Zeit möglichst zu vertreiben, in seinem Saale, wo er die schönsten Gemälde hatte, in seinem Weinkeller, und sonst auf Spaziergängen, die mir sehr unterrichtend waren. Er lebte mit seiner Frau, aber kinderlos und hatte eine Nichte aus Elberfeld, namens Custos bei sich, mit der sich, freilich ohne Zutun des Herrn Heußer, aber unter dem Vorposten- und Botschafterdienst des Hausmädchens ein heftiger Liebeshandel entspann, den ich auch schriftlich noch ein paar Jahre lang unter dem angenommenen Namen Williams fortsetzte. Ich glaube, das Mädchen war sehr reich, und hätte mich wohl nicht gelassen, wenn ich damals schon Ernst genug gehabt hatte, in solchen Sachen etwas ernstlich zu mögen.
An einem dieser Tage wollte ich die Mittagstafel im Weidenhof besuchen, vernahm aber, daß ich mich um eine ganze Stunde in der Zeit geirrt, und zu früh gekommen wäre. Diese Zeit auszufüllen, schlenderte ich den Main hinab, und da ich eben das Mainzer Marktschiff im Begriff abzufahren fand, dachte ich: willst da mitfahren, kannst in Höchst Mittag halten und abends wieder heimkehren. Gedacht, getan – da schwamm ich schon; allerlei Leute, an die sich nicht wohl anzuschließen war, außer einem Manne von mittleren Jahren, aus einer schwarzen Stutzperücke wohlbehalten hervorschauend, schweigend mir gegenübersitzend. Ich ließ einige vorläufige Worte fallen, er dagegen erwiderte: »Wat belivt gy, myn Her?« Also ein Holländer war es. Ich komme nun tiefer ins Plaudern, er schweigt, aber lächelt; endlich lacht er gar: »Nog zolk een Historje, myn Her!« – Es wurden noch etliche und damit kamen wir nach Höchst. Als ich in Höchst abgehen wollte, hielt er mich auf: »Myn Her! hebt gy nog meer der zommige geschichten, so komt gy met naas Mänze! Wat is het denn?« Ich war leicht zu bereden. Am anderen Tage in aller Frühe kam der Holländer zu mir, und erkundigte sich, ob ich allenfalls noch Historien hätte bis nach Koblenz; ich versicherte, daran würde es zwar nicht fehlen, aber ich hätte mich so weit nicht mit Reisegeld versehen, und müßte auch ohnehin nach Haus; der Holländer meinte, das sollte ich mich nicht hindern lassen, sofern ich ihn nur mit den Historien nicht stecken lasse, aber gute Ware und keine wiederholte. So ging's denn in Gottes Namen weiter fort, auf einem Jachtschiff, wo ich den Holländer für alles sorgen ließ, nach Koblenz. »Myn Her, Sie sind ein Teufelskind,« sagte hier der Holländer zu mir; »ich weiß gewiß, Sie stecken noch in einem solchen Vorrat von Historien, daß Sie mich auch bis Köln damit versehen können.« Das Überreden hielt jetzt nicht mehr schwer. Mein Reisegefährte schilderte mir nun in Köln sein Vaterland Holland als ein Kanaan, das ich in solcher Nähe nicht ungesehen lassen dürfe. Er löste meine kindische Furcht vor den Seelenverkäufern und so ging's denn unter lauter erneuerten historischen Lieferungen von Köln aus zu Lande über Cleve, Nimwegen und Utrecht, wo wir uns am späten Abend auf ein Ziehschiff setzen. Früh um 2 Uhr stieß das Fahrzeug schmetternd ans Land. Alles sprang und rannte durcheinander. »Wellkom to Amsterdam!«
Schweigend ging nun mein Holländer durch die noch in nächtliche Ruhe versenkte Stadt auf seine Wohnung in der Sent Niklas Straaten zu, wohin ich ihn, der mir mit Tagesanbruch ein Quartier auszumitteln versprach, auf sein Geheiß, aber immer ein paar Schritte rücklings, folgte, mich gleichsam über mich selbst verwundernd, was ich denn da eigentlich für eine Narrenfahrt machte. Erst nach vielem Pochen öffnete sich das Haus, der Mann trat unverzüglich in das Schlafgemach seiner Frau und hieß mich in einem Vorsaal verweilen. Die Zeit des Wartens kam mir wohl etwas länger vor als dem Herrn Gemahl, der erst nach ein paar Stunden herauskam, und mir fröhlich, aber sichtbar auf eingeholte weibliche Genehmigung, erklärte: »Sie bleiben nun gleich bei mir selber.« Endlich, als nun das ganze Haus erstanden, kamen Frau, Kinder und Mägde herbei; alle reichten mir die Hände, musterten mich von allen Seiten, betupften und betasteten mich, wie ein kleines Meerwunder, lachten, wenn ich sprach, hingen die Kaffeekessel über, steckten mir Butterstücke in den Mund, und waren gleichsam voller Freude, daß sie so geschwind dasjenige aufgefunden, was der fremde Vogel fressen könne.
Am Tage führte mich mein Wirt in die Weinhäuser, Kaffeehäuser, auf die Börse, in das Stadthaus, in die Kirchen, und über die vielen Kanäle oder Grachte zu dem ostindischen Gebäude am Hafen, der einem meilenlangen Wald zu vergleichen war, in dem 2000 hohe Masten wie ebensoviele schaukelnde Bäume mit ihren flatternden bunten Farben ein unaufhörliches prächtiges Farbenspiel machten.
Brachte mich mein Wirt wieder nach Hause, so ging's dann von allen Seiten an ein Füttern und Stopfen; die Frau, die Mägde, die Kinder, jeder wollte das unterhaltende Experiment machen, mich aus seinen Händen essen zu lassen. Alle weiblichen Wesen nähten neue Hemden und Halstücher für mich. – Von mehreren Seiten her fielen mir gewisse Häuser, mit prächtigen Spiegelfenstern und Rosenguirlanden an den Wänden, auf. Es waren die sogenannten Spielhäuser, worin man, wie mein Wirt mir erklärte, Musik, Wein und was nächst diesen zwei Dingen gewöhnlich noch verlangt wird, finden könne. Er versprach, mich eines Abends dahin zu führen; aber wie erstaunte ich, als er seine Frau aufforderte, uns Gesellschaft zu leisten. Denn ich wußte noch nicht, daß es in Amsterdam im mindesten nicht anstößig ist, durch die öffentlichen Säle dieser Häuser die Runde zu machen. Auf einer Art von Kanzel fiedelte ein einzelner Geiger, längs der Wand saßen etwa 20 junge Mädchen im Staate, braune, weiße, womöglich aus allen Sprachen, die sich, falls es beliebte, zum Tanz aufziehen, mit Konfekt traktieren, und sonst etwa zu weiteren gesellschaftlichen Unterhaltungen, in besonderen Zimmern, bereden ließen. Die übrige ehrbare Gesellschaft am Schenktisch, jedoch die Bouteille beständig in der Hand, weil sie sonst von der flinken Kellnerin im Augenblicke weggeräumt wird, sah dieses in hoher äußerlicher Anständigkeit gehaltene lustige Wesen ab- und zugehend mit an, und verfügte sich zu rechter Zeit wieder nach Hause.
Nachdem ich mich also acht Tage lang in Amsterdam umhergetrieben, ging es zum Abschied. Die Kinder und Frauensleute brachen in lautes Heulen und Wehklagen aus, wobei es auch meinem Wirt ganz weich ums Herz wurde. Er brachte mich schweigsam auf ein Ziehschiff, auf dem er alles, Überfahrt und Verpflegung, akkordiert und bis Mainz besorgt hatte. Wir leerten zu guter Letzt noch eine Flasche Wein, und es wurde mir freigestellt, wenn ich wieder eine große Lieferung von Historien beisammen hätte, oder überhaupt zu jeder Zeit, wieder nach Amsterdam zu kommen. Mir selbst überlassen, konnte ich jetzt erst die Gegenden, die an uns vorbeiflogen, etwas näher ins Auge fassen. Die Ufer der holländischen Kanäle waren wie lauter Blumengärten, und ein Fremder sollte bei der Nettigkeit und Zierlichkeit der holländischen Häuser glauben, alle Tage sei dort heiliger Christ. Desto kärglicher sah es dafür in dem frommen Köln aus; die Häuser eingefallen, ganze Straßen leer, der Dom von Haus aus unvollendet: hungernde, flehende Jammergestalten in abgenutzten Mänteln an den Türen, und lauernde, schmutzige weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den 365 Kirchen, und ein Rennen zu den 11 000 Jungfrauen und den heiligen drei Königen. Diese, oder vielmehr drei schwarze zahnbleckende Totenköpfe, mit Kränzen von Brillanten, sah ich in einem kunstreichen, aus Metall getriebenen Sarge, in dem neben einer Menge Reliquien auch die schönsten Gemmen von der Venus im Bade, Cupido, Jalus, Comus, Priapus und der verwandelten Ino, sowie der Leda und dem Schwan, manche ganz verkehrt und überzwerg eingefaßt waren. Vermutlich haben die drei schwarzen Majestäten im Leben auch oft müssen fünf gerade sein lassen, daher man es jetzt im Tode mit ihrem Sarg auch nicht so genau genommen. Das Schlimmste ist nur, daß es in Mailand auch noch drei heilige Könige und in Lyon, oder sonst wo, abermals drei, in Summa neun drei heilige Könige geben soll.
Dem sei jedoch wie ihm wolle, die Rheinfahrt brachte mich auf einem Marktschiff glücklich zurück nach Mainz, von da ich mich unverweilt nach Frankfurt begab; man empfing mich im Hause des Herrn Heußer wie eine Geistererscheinung, nachdem man die ganze Zeit über vergebliche Nachforschungen über mein unerklärbares Verschwinden angestellt. Inzwischen waren die Gelder erlegt, die ich in gute Papiere auf Wien umsetzte, und damit meinen Rückweg dahin über Regensburg nahm. Der Gesandte, ein halbes Kind, wußte nicht, worüber er sich mehr freuen sollte, darüber, oder über die Kanzleispielsachen, die ich außerdem mitgebracht, über die Siegelstangen in allen Regenbogenfarben, von goldenem und silbernem Glimmer, über das holländische Relationenpapier mit goldenem Schnitt, davon er sich den besten Effekt bei seinen Herren Komittenten versprach, und andere dergleichen Dingerchen mehr. Die zwei Supernumerarsekretäre waren unterdessen auf und davon gelaufen, was alles dazu beitrug, mich auf einige Zeit desto glimpflicher zu behandeln.
Bei meinem ersten Wiederbesuch des Hugelmannschen Kaffeehauses in der Leopoldstadt traf ich in den oberen Sälen den protestantischen Superintendenten Focke, der glückwünschend auf mich zukam, und mir eröffnete, soeben sei ein kaiserliches Hofreskript an ihn eingelangt, vermöge dessen ich als Sekretär der niederösterreichischen Regierung, und zwar für das Spezialdepartement des protestantischen Konsistoriums, ernannt worden sei. Herr Focke, der mich früher persönlich, nicht sowohl in der Kirche, als auf diesem Hugelmannschen Kaffeehause kennen gelernt, war es selbst, der mich ohne mein Wissen in Vorschlag gebracht. Mein Entzücken, auf diese Art festes Land, und noch dazu in dem geliebten Wien, gefunden zu haben, ließ sich nicht schildern. Mit Ungeduld zählte ich die Tage, harrte der Stunde, wo mir das Patent zugestellt werden sollte, bei jedem Tritt vor der Tür klopfte mir das Herz: jetzt wird es sein. Aber nichts war es, als eine martervolle leere Erwartung. Mein Herr Vorgänger, noch vom Kaiser Joseph selbst zu einem Distriktskommissär in Ungarn ernannt, verlor den Mut, dahin abzugehen, nachdem man jetzt mit Ungestüm alle Anstalten des verstorbenen Joseph umzustürzen suchte. Er suchte die Erlaubnis nach, in Erwartung eines ruhigeren Zeitpunktes auf seiner Stelle verbleiben zu dürfen, und erhielt sie. Der Mondschein blieb im Kalender stehen, und meine Laterne wurde nicht angezündet.
Inzwischen muß ich's doch mit Dankbarkeit erkennen, daß der österreichische Staat dreimal Schritte gemacht, mich für seinen Dienst zu erwerben, zuerst als Auditor, dann als Professor, zuletzt als Kollegiensekretär; das Schicksal hat es nicht gewollt, daß ich sobald zur Ruhe kommen sollte. Ich selbst habe auch in diesen Dingen niemals etwas selbst betrieben, was meistens ganz vergeblich ist, sondern ließ es eben gehen, wie es ging. – So erhielt ich denn auf einmal ein Zettelchen des Grafen Philipp von Öttingen-Wallerstein, damals Reichshofrat, nachher Kammerrichter, jetzt kaiserlicher Obersthofmarschall, des Inhalts: Sein Bruder, der Fürst von Wallerstein, suche für gewisse Geschäftszweige einen unmittelbar unter ihm selbst arbeitenden jungen Mann als geheimen Sekretär, wozu der Herr Graf bei seinem Besuche in Wallerstein mich vorgeschlagen habe, welches auch der Herr Fürst, der mich schon von früherer Zeit her kenne, auf der Stelle genehmigt. Wenn ich also Lust hätte, hierauf einzugehen, möchte ich mich alsobald zu dem Herrn Grafen begeben, der den Auftrag habe, mir das Geld zur Reise, die ich aber in den ersten Tagen anzutreten hätte, auszubezahlen. Binnen einer halben Stunde war alles im reinen. Mein Herr Gesandter schien etwas betroffen, besonders über den schnellen Austritt, wollte sich aber doch durch gemachte Hindernisse dem Grafen von Öttingen, Bruder der Fürstin von Schwarzenberg, und sonst am kaiserlichen Hofe wohl angesehen, nicht unangenehm machen. Es kam also zu einer ganz graziösen Zeremonienverabschiedung. Durch mehrere am Ende belohnte Kommissionsgeschäfte, durch die Gebührnisse meiner Reisen auf einer, und die überall gefundene gastfreundliche Aufnahme auf der andern Seite, waren meine Finanzen in einen solchen guten Zustand geraten, daß ich nicht nur die Vormundschaftsrechnung meiner Geschwister heimbezahlen, sondern sogar ein kleines Kapital ausleihen konnte, an einen kaiserlichen Mautbeamten, der sich Tags darauf für insolvent erklärte. Da dacht' ich, es will alles gelernt sein in der Welt, ein andermal will ich's schon gescheiter machen! Doch erhielt ich am Ende noch die halbe Summe.
Mehr als dieser Verlust zerriß aber der Abschied von der Stadt Wien selber mein Herz. Vielleicht sind viele Menschen schon standhafter zum Tode, als ich aus der Linie von Wien hinausgefahren. Die Brust wollte mir zerspringen und in meinen nassen Augen flimmerten die Lichter der erleuchteten Stadt und die Sterne des Himmels in ein glühendes Meer zusammen. Erst die Stille der nächtlichen Fahrt gönnte meinem abgespannten Geist einen matten Frieden. – Aber jeder, den ich am andern Morgen zur Stadt gehen sah, und sollte er auch nur ein Öchslein getrieben haben, wurde von mir um seine Glückseligkeit beneidet. Ich bedurfte wirklich einiger Vernunft dazu, um nicht vom Wagen zu springen und mit dem nächsten Markthaufen wieder zurückzulaufen.