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Donaufahrt nach Wien. – Bemühungen um eine Anstellung in Wien. – Als Hofmeister auf einem ungarischen Erbsitz. – Leben daselbst. – Das verwünschte Kegelspiel. – Lang wird Privatsekretär des Württembergischen Gesandten in Wien.
Nach meinen auf diese Art in der Stadt Öttingen kurz aber schlecht berichtigten Angelegenheiten, verließ ich das gute Städtlein auf immer am 20. Juni. Noch einige köstliche Tage verlebte ich bei meinem Freund Schäfer auf dem Maltesersitz zu K. Man zeigte dort noch im alten Turme den Saal, der vom Blut der ermordeten früheren Besitzer, der Tempelherren, bespritzt sein soll. Ich hielt es für eine Fabel, indem es wohl niemals Tempelherren in dieser Gegend gegeben. Daß es bald auch keine Malteser mehr geben würde, ahnte ich damals noch nicht. Ein ziemlich echtes Maltesermonument fand ich im Speisesaal, wo abgemalte Becher in verschiedener, zuletzt ungeheurer Größe die Stufenfolge der dargebotenen Willkommen darstellten: zuerst Laudabiliter, dann Honorabiliter, immer aufsteigend: Mortaliter, Bestialiter und dann endlich Diaboliter.
Am 2. Juli 1788, einem glanzvollen Sommertage, traf ich in Donauwörth ein, um meine Reise nach Wien zu beginnen. Dahin hatten sich schon immer meine geheimen Wünsche gerichtet, wenn ich die lobpreisenden Erzählungen von den Freuden und Reizen dieser fröhlichen Stadt vernahm, und da ich allenthalben Männer zu den vorzüglichsten Posten berufen sah, die vorher Sekretäre der Reichshofräte oder Reichshofratsagenten gewesen, so hoffte ich, auch auf diese Art eine glückliche Karriere zu machen. Durch Empfehlungen an den öttingischen Agenten von Urban, durch Briefe an den Bruder meines Freundes Beck in Dürrwang, der Sekretär bei dem alten Reichshofrat von Braun war, hoffte ich gewiß zu meinem Zweck zu gelangen.
Die eingezogenen guten Nachrichten von den wohlschmeckenden gebackenen Hähndeln, die man das Paar um 1 Groschen kaufe, und von dem spottwohlfeilen Wein, flößten mir ein herrliches Vertrauen ein, das am Abend in Donauwörth ein prahlendes Apothekersubjekt durch die Versicherung vermehrte, daß man dort die Fußbäder nicht anders als in Burgunder Wein nähme. Laute Schläge an meine Schlafkammer am grauenden Morgen bedeuteten mich, daß das Lauinger Schiff soeben angelangt sei, um Reisende ohne Aufenthalt einzunehmen.
Die Gesellschaft bestand in einer schwarzbraunen Schwabendirne, einem Straßburger Doktor, einem Fischermädchen, einem ungarischen Schuster und einem sehr langen taxisschen Portier mit seiner kleinen Frau. Ein Einsiedler, der in den zerfallenen Mauern der Burg Lechsgemünd hauste, klimmte eilends die Burgpfade herab und ruderte auf unser Schiff zu, um uns Sträuße von seinem Rosengelände darzubieten, welches ich als die erste gute Vorbedeutung meines lachenden Glückes aufnahm.
In Passau zeigte sich die erste Spur einer wißbegierigen Polizei, indem man uns hier zum erstenmal, zwar nicht um unsere Pässe, deren hatten wir alle keine, sondern nur um unsere Namen fragte. Weiter auf der ganzen Fahrt, und selbst in der Stadt Wien, wollte man auch diese nicht mehr wissen. So liberal oder vielleicht so geringschätzend man unsere Personen behandelte, ohne von unserm Treiben und Fahrten die mindeste Kenntnis nehmen zu wollen, so argwöhnisch belauerte man auf allen Stationen unsere Ladungen. Hatte dasselbe Fürstentum das Unglück, sich in ein oberes, mittleres und unteres zu teilen, so gab es auch sicherlich eine obere, eine mittlere und untere Maut; zu Ingolstadt, als Eintritt von der Pfalz-Neuburg in Oberbaiern, zu Kelheim in Niederbaiern – zu Straubing, zu Regensburg – zu Passau. Zu Engelhardszell, beim Eintritt in Österreich, hätte ein unkundiger Reisender glauben können, das Schiff sei unter Korsaren geraten. Handfeste Kerle sprangen mit langen Stangen aufs Verdeck; das Dach, alle Bretter wurden gelüftet, Kisten und Fässer ans Ufer vor die Augen eines dicken, schwitzenden und seufzenden Mautbeamten gebracht, bis sich endlich der so stürmisch angefangene Akt mit einer Schreiberei unzähliger Zettel und armseliger Pfennigberechnungen schloß.
Ein so köstliches Bild wie Linz, gleichsam mit silberner Pracht in die blauen Berge und Lüfte hineingezaubert, bietet selbst der hochgepriesene Rhein nicht dar. Ich feierte dort meinen 24. Geburtstag bei einer muntern Hochzeit im Gasthof. Das hielt ich abermals für eine gute Vorbedeutung. Der verrufene Wirbel und Strudel bei Grein war schon damals vom Kaiser Joseph durch Sprengung der Felsen ziemlich unschädlich gemacht; doch mußte er die Ehre davon der heiligen Jungfrau in Mariä-Taferl lassen, der zu Dank und Ehre der Schiffer 30 Kreuzer für eine heilige Messe einsammelte. So wie ich aber endlich die Stadt Wien mit einem ungeheuren langen schwarzen Strich am Horizont liegen, und diesen furchtbaren zackigen Stefansturm gleichsam immer näher auf mich losmarschieren sah, fing's mir an, ganz wunderlich und kleinmütig zu werden. Mit seinem letzten Stoß, am 9. Juli 1788 Mittags um zwölf Uhr, stand das Schiff am Schanzerl, wo schon einige hundert Menschen ihren gewohnten Standort genommen hatten, um die Schwaben ankommen zu sehen, ein Lieblingsvergnügen, das sich der Wiener auch gern auf seinen Theatern wiederholen läßt. Alle sprangen behende hinaus und schleppten ihr Gepäck herbei. Da stand ich nun mit meinem Koffer unter Gottes freiem Himmel, vor dem Tor des roten Turms. Aber wohin nun weiter?
Bei meiner Empfehlung an das Haus des Reichshofrats von Braun und seinen Sekretär Beck, hielt ich es für unnötig, mir zum voraus dessen Quartier bezeichnen zu lassen. Solche in meinen Augen hochvornehme Personen, vermeinte ich, wären allen Kindern auf der Straße bekannt. Aber zu Wien auf dem Schanzerl hieß es: »des weiß i halt net, kann dem Herrn net dienen!« und dann von allen Seiten ein Rechts-, Links- und Vorwärtsdrücken, Puffen, Stoßen, und dann warnend rufen: aufgeschaut! so daß ich von meinem Gepäck endlich ganz weggeschoben wurde. Ich zog mich daher mit Hilfe eines Lastträgers in eines der nähern Weinhäuser und fing dann an, meine Nachforschungen allein anzustellen. Ich ging geraden Weges auf den Stefansturm los, in der Einbildung, um diesen großen Punkt der Stadt herum würden wohl auch die größten und merkwürdigsten Leute wohnen. Es ward mir ganz ängstlich, als ich den Anblick des Turmes in den verschiedenen Krümmungen der Straßen mehrmals verlor, bis ich immer wieder durch gutmütige Straßenwandler zurechtgewiesen wurde: Da schau der Herr! Aber was war zu schauen? der schwarze Münster, freistehend auf einem weiten windigen Platz, und lediglich nur umgeben mit kleinen hölzernen Höker- und Krämerbuden, in denen ich einen Reichshofrat zu finden ein für allemal verzichtete.
In dieser Verlegenheit griff ich nach einer anderen Schwabenregel, daß man seine Erkundigungen in offenen Läden und Gewölben einziehen solle, und da ich nach einigen Umwegen an einen Tuchladen langte mit der Firma: Johann und Jakob Lang, dachte ich: potztausend, der sieht ja gar aus wie ein Herr Vetter, willst bei diesem fragen. Die Antwort war: »der Herr Baron von Braun logieren bei uns, spazieren Sie nur eine Treppe höher!« Nun war ich ganz brutal auf mein gutes Glück, und bildete mir auf meine Gescheitheit nicht wenig ein. Herr Beck, der Sekretär, empfing mich etwas verwundert, daß ich vom Gewissen so gerade aufs Ungewisse gelaufen, war etwas ängstlich, wie es mir gehen könnte, aber doch höchst dienstfertig, was nun anzufangen sei, und suchte mir zuvörderst ein Quartier auszumitteln. Dieses fand sich alsbald in der schönen Laterngasse zur ebenen Erde als Zimmerherr bei einer flinken jungen Tabakkrämerin, deren Mann, in Diensten einer Herrschaft, immer nachts erst nach Hause kam. Freund Beck führte mich selbigen Abend noch auf die Glacis, die mir in dem bunten Schmuck ihrer Lustwandler und der flimmernden Beleuchtung wie Armidens Zaubergärten erschienen. Ich schlief getroster und glückseliger, als irgend ein Probst, der vielleicht an diesem Tage in die fetteste Pfründe eingesetzt worden.
In den folgenden Tagen begann ich meine Umgänge und Bewerbungen bei Herrn von Urban und von Stubenrauch, dem öttingischen Agenten, bei Herrn von Jan, darmstädtischen Residenten, Bruder des Hofrates und Leibarztes Jan in Wallerstein, beim Reichshofratsagenten Büttner, einem gebornen Altdorfer, bei Herrn von Stockmayer, badischen Residenten, die mich alle sehr höflich aufnahmen, und so oft ich mich wieder meldete, jederzeit bei Tisch behielten. Auf diese Art konnte sich wenigstens ein Stellensuchender, wenn er sonst einen gewissen äußerlichen Schein zu behaupten wußte, recht behaglich mit fortschleppen. Der Agent Dietrich, an den mich der Ritterhauptmann von Krailsheim empfohlen, gab mir Arbeit ins Haus, für die er mich belohnte. Herr Hanzely, öttingisch-wallersteinischer Titularhofrat und Privatagent, etwas viel taub, war für die jungen Leute das Orakel des Reichshofratsprozesses: dabei machte er einen Mäkler zur Unterbringung junger Leute, meistens aber nur zu geringen und livreedienstmäßigen Posten. Ein sehr interessanter Mann war mir im Hause des Reichshofrates von Braun der gewesene Hofmeister seiner Söhne, Herchenham, der eben damals an einer Geschichte Wallensteins arbeitete, wobei ich wenigstens aufmerksam wurde, wie mannigfaltige Quellen man bei historischen Arbeiten benutzen müsse. Der Reichshofrat von Braun selbst empfing mich kalt, er konnte sich aus seinem hohen Alter und seinem jetzigen Stand nicht zu mir herabdenken.
Ich aber war lustiger guter Dinge, besuchte den Kasperl, In den damaligen Wiener Volkstheatern trat der Kasperl noch auf, wie der Pulicinello in Italien. Hrsg. die Kaffeehäuser, die Hetzen und Feuerwerke, und exzerpierte auf der Universitätsbibliothek. Ja, wenn meine Frau Tabakkrämerin in bittere Wehklagen ausbrach, daß sie, ewig an den Tabakladen gebunden, keinen Kasperl, nicht einmal ein Feuerwerk sehen könne, welches Herr Stöwer der Wiener Nannerl gab, so ließ ich mich auch zum Ladendiener gebrauchen und füllte den Herren die goldenen und silbernen Dosen, während sie in allen Ecken sich nach dem abwesenden jungen Weiblein umsahen, mich fragend: »Sie san gewiß der Herr Brudern?« – Dafür galt ich aber auch bei allen Nachbarinnen und Jungfer Muhmen als der lustige, der wackere, der liebe Schnudy; nur verdarb ich's am Ende mit vielen derselben, wenn ich ihre Zumutungen ablehnte, mich mit ihnen heimlich bei den Kapuzinern trauen zu lassen, ein Unwesen, welches damals in weiter Verzweigung getrieben wurde und eine Menge leichtsinniger junger Leute aus meiner Bekanntschaft in großes Verderben stürzte, weil die vergnügte Heimlichkeit doch selten über ein halbes Jahr dauerte, bis sie sich zu einer höchst unbesonnenen albernen Öffentlichkeit aufgeklärt. In Wien waren überhaupt die »Reicher«, das sind die Schwaben, die Franken und Rheinländer sehr geschätzt; beim Militär suchte man sie geflissentlich hervor, und auch mir wurde es sehr nahegelegt, höchstens ein Jahr lang auf der Kriegskanzlei zu praktizieren, mit dem festen Versprechen, sodann bei der Militäradministration oder dem Auditoriat eingereiht zu werden. Allein da mich die Militärverhältnisse nie besonders ansprachen, und mir überdies das einjährige Noviziat auf meine Kosten bedenklich fiel, so ließ ich diese Aussichten gegen andere im Hintergrund. Auf Empfehlung des Herrn von Jan machte mir auch wirklich der Reichshofratsagent Merk, ein Schweinfurter von Geburt, den Antrag, in seiner Kanzlei, jedoch vorderhand ohne festen Vertrag, auf unbestimmte Belohnung, zu arbeiten, welches ich gern einging. Allein es fehlte nicht viel, so hätte mich Herr Merk, ein hypochondrischer, heftiger Mann, während er mich in Gesellschaften und bei seiner Tafel, wozu er mich fleißig bat, auf das artigste behandelte, auf seiner Kanzlei beinahe zur Verzweiflung gebracht. Mehrere Ausarbeitungen auf einmal gab er mir oft mit Indignation ganz und gar zurück, keine ließ er ohne die fürchterlichsten Striche und Korrekturen. Die Wiener Geschäftsleute legten überhaupt an ihre Unterarbeiter so lange den Höllenstein des Ausstreichens und Abänderns an, bis man ganz und gar ihre eigene individuelle Manier bis auf die kleinsten, oft unregelmäßigen und seltsamen Ausdrücke und Wendungen angenommen.
Ein Professor Reismann aus Preßburg, den ich bei Herchenham kennen lernte, schlug mich einer in Wien anwesenden ungarischen Magnatenfrau als Hofmeister ihrer einzigen Tochter vor. Sie hieß Calisius von Kalisch Pronay. Ihre bedeutenden Güter, hauptsächlich die Herrschaft Listawa, lagen im Trentschiner Komitat, das Schloß Bitsitz bei der Stadt Solna oder Sillsig hart am Fuße der Karpathen.
Ich schien der Dame gleich bei der ersten Vorstellung annehmlich; besonderen Wert legte man auf meine Kenntnisse der englischen Sprache, da für die französische schon durch einen Lehrer gesorgt war. Wir waren alsbald einverstanden; ich vielleicht zu leichtsinnig, da ich von der Pflicht eines Hofmeisters eigentlich keinen Begriff und dagegen einen sehr taktfesten Mann, Herrn Gennersich aus Kärmarkt, nachher Professor in Wien, zum Vorgänger hatte. Als Gehalt wurden mir 200 Wiener Konventionsgulden, damals neben freier Wohnung und Tafel nicht zu wenig, festgesetzt. Mit einem ebenfalls als Musiklehrer angenommenen Herrn Schmidt aus Wien, einem wahrhaften Staberl, Stehende Figur der Wiener Komödien. Hrsg. trat ich die sehr betriebene Reise über Preßburg an.
Zu Neustädel kam uns bereits der Haushofmeister des Barons, Dominus Stlanay de eodem, mit einem eigenen Reisewagen entgegen und setzte mich durch seine Anreden und fortwährendes Sprechen in lateinischer Zunge in die Notwendigkeit, mich keck ebenfalls auf einen lateinischen Klepper zu werfen, welches von Tag zu Tag desto stattlicher ging, je mehr ich mich entschloß, gleichsam Christum den Herrn in allen Regeln zu verleugnen, dafür aber in Perioden mit einer gewissen melodischen Kadenz zu schließen.
Im Schlosse war allgemeine Freude über den neuen muntern Hofmeister, man war des alten schon lange satt, weil er eine Perücke trug und nicht walzen konnte. Alle weiblichen Hände setzten sich in Bewegung, mich auf ungarische Art zu kostümieren. Die Hausfrau, eine vortreffliche, etwas hochgestaltete, ernsthafte und an einem schmerzlichen Fußübel leidende Dame, litt mich wegen meiner Teilnahme an ihren Leiden und meines tröstenden, muntern Treibens sehr gern um sich. Selten konnte ich eine Stunde auf meinem Zimmer zubringen, daß ich nicht, um ein Lied zu singen, eine Feder zu schneiden, einen Brief zuzusiegeln, etwas zu erzählen, wieder in die Gemächer der Dame hinaufgerufen wurde.
In den unteren Sälen rissen alle Zofen rechts und links an mir, um mich Slowakisch zu lehren, mir Szrd, Smst, Wlk, und dergleichen vorzuplappern, und dann über meine Aussprache zu lachen, welches sich dann mit Drohen, Keifen und Fangen endete, wobei mir's dann oft sehr heiß wurde, ohne daß ich eben viel lernte, bis sich endlich die alte Panna Kludscherka (Beschließerin) meiner annahm, zu der ich mich mit einer böhmischen Bibel hinter den Ofen setzen mußte, wo sie dann mehrmals in ihrem Eifer rief: »Näher zu mir her, liebes Kind, ich kann ja sonst nicht in die Bibel sehen.«
Alles im ganzen Hause, bis zum letzten Lakaien und der untersten Hausmagd, war von gutem ungarischem Adel; selbst der Kuhhirt und der Schäfer des Edelhofes, der jedoch zum Zeichen seines Standes seinen Säbel auf der Weide trug. Ein adeliger Bedienter im Hause eines Magnaten war dort so wenig auffallend, als bei uns ein adeliger Page oder Kammerjunker. Sie durften aber nicht geschlagen werden, und vor Gericht mußte der niedrigsten adeligen Magd ein Stuhl geboten werden.
Das Haus war sehr geräumig, nicht sowohl in behaglichen einzelnen Zimmern, als auch in großen und vielen Sälen mit Betten besetzt, welche oft von 20-30 Gästen unvermutet an einem Abend eingenommen wurden. Denn in Ungarn spricht jeder Reisende von Stande in keinem Wirtshause, sondern ohne Umstände in dem nächsten ihm im Weg gelegenen Kastell vor, wo er für sich, alle Dienerschaft und seine Pferde die gastfreundlichste und fröhlichste Aufnahme findet. Die Abende brachte man mit großen Gästen in Spiel und Tanz zu. An den Tafeln herrschte ein üppiger Ueberfluß, die Speisen waren in der Regel etwas fett; köstliche Trauben, Wassermelonen und dichter Honig, Tokayer und Neustädter (burgunderartige) Weine. Hinter den Stühlen der Herrschaften standen Panduren mit großen Wedelbüschen, womit sie über die Tafel frische Luft wehten. Die Haltung der Tischgenossen gegen den Herrn des Hauses ist dort aber etwas steif und sehr unterwürfig. Man antwortete ihm gewöhnlich mit gesenktem Haupt und einer Hand auf der Brust. Es ging nicht ohne geheime Zurechtweisung ab, als ich mich anfangs betreten ließ, den Rücken an den Stuhl zu lehnen, oder eine Hand auf den Tisch zu legen. Die Beamten in kleinen Familien, selbst die Söhne, stehen mitten unter dem Essen auf und stellen sich mit einem Handtuch unter dem Arm hinter den Stuhl des Herrn oder der Hausfrau, bis dann diese nach ein paar vorübergegangenen Gerichten sich umschaut, dem Aufwartenden die Hand zum Küssen reicht und ihm erlaubt, sich wieder zur Tafel zu setzen, wo alsdann ein anderer sich hinter dem Stuhl der Herrschaft erhebt.
Meine Schülerin, die Gissaschonk Marie genannt wurde, und etwa neun Jahre alt war, war ein sehr munteres, hübsches und liebenswürdiges Kind, und dereinst die einzige reiche Erbin. Sie sprach schon ganz geläufig Deutsch, Ungarisch, Slowakisch, auch ziemlich Französisch, und hatte eine eigene Gouvernante, ein Fräulein Kutzer aus Wien, Tochter eines gefallenen Großhändlers daselbst.
Die Stunden wurden in Gegenwart der Gouvernante, meistens aber vor der Mutter oder dem Vater selbst gegeben. Meine Schülerin nahm mit einem gewissen Stolz großen Anteil an allen Urteilen über mich, die zu meinem Vorteil waren, und die sie auf das feinste zu erlauschen und herauszulocken wußte. Hingegen machte sie sich auch die geringsten Ausstellungen der anderen über mich zu eigen, und warf sich dann damit zu meiner kleinen naiven Hofmeisterin auf. Da sie zufällig hörte, daß ihrem Vater in meiner französischen Handschrift die H nicht gefallen wollten, so rief sie nur immer, wo sie ein H von mir sah: »Oh! das garstige H!« strich alle meine H aus, und setzte von ihrer Hand andere hinein.
Leider blieben es aber nicht allein die schlechten H, welche von Seiten des Herrn Papa unsern schönen Himmel trübten. Der Baron war ein sehr unterrichteter, aber dabei auch ein sehr launenhafter, ewig unruhiger und polternder Mann, bei dem auf 24 Stunden des Tags immer auch auf einige Stunden Ungnade zu rechnen war. Aus seiner ganzen Bibliothek durfte ich kein Buch angreifen, obgleich ich vor Begierde brannte, mich aus derselben hauptsächlich in der ungarischen Geschichte und Diplomatik zu unterrichten. Wenn ich ihn bisweilen aus Ueberraschung dahin brachte, mir einen Band verabfolgen zu lassen, ließ er mir ihn oft schon in einer halben Stunde wieder abfordern, unter dem Vorwande, er bekomme Kopfweh, wenn ihm Lücken im Bücherschranke in die Augen fielen. Dagegen hatte er mich gern als Gesellschafter auf seinen Spazierfahrten und ökonomischen Visitationen bei sich. Eines seiner Lieblingsvergnügen war dann, sich auf einen hohen Berg zu begeben, einen Baum umhauen und anzünden zu lassen, und dann auf die Erde hingelagert mit der Pfeife im Munde, und am Feuer eine Speckschwarte bratend, den Rauch sich in die tiefen Abgründe wälzen zu sehen. Da stand ich denn schweigend stundenlang hinter ihm und träumte mich in die weite Welt hinein.
Den meisten Anstoß verursachte aber im Schloßgarten der Kegelplatz, auf dem der Baron oft schon vormittags, alle Nachmittage aber gewiß, sein Standquartier nahm, und dann alle im Schlosse, auch die Damen, aufstöbern und aufbieten ließ, um mit ihm zu kegeln. Nun war mir dieses Spiel an sich schon von jeher zuwider, wozu jetzt noch kam, daß ich dabei meine schönste Zeit und all mein Geld verlieren sollte; denn bei den Vorteilen, welche den Damen in Freigebung der Fehler und Vorgabe eines Kegels eingeräumt wurden, war es für die Männer fast unmöglich, etwas zu gewinnen, wie ich denn täglich mit einem halben oder ganzen Gulden, also mehr, als mein Gehalt betragen hatte, in der Kassa stecken blieb, wofür mir der Herr Baron, wenn ich so hätte bestehen sollen, notwendig noch ein besonderes Spielgeld billigerweise hätte auswerfen müssen. Ich fing daher an, alles Schickens und Aufbietens ungeachtet, vom Kegelplatz wegzubleiben. Als ich nun nach einiger Zeit bei der Abendtafel der Familie des Barons und seiner Schwester, der Frau von Zay zu Ugrocz, mich ungeschickterweise in die Finger schnitt, mochte den Herrn Baron, den oft eine Mücke an der Wand ärgern konnte, dieses schon etwas im Kopfe grübeln; als er dann aber den Übergang zu meiner Kegelbahnflüchtigkeit fand, überschüttete er mich mit den heftigsten Vorwürfen über meine Unartigkeit und meinen Geiz; worauf mich, als ich ebenso heftig dagegen reden wollte, die anwesende Frau von Zay zur Ruhe und Bescheidenheit verwies. Der Frau Baronin aber und meiner kleinen Schülerin stand vor Herzeleid das Wasser in den Augen.
Nicht gar lange danach erreichte mich in Tot Prona, einem der Güter des Barons, wo die Familie sich aufhielt, ein Brief des Reichshofratsagenten Merk, der mich einlud, wieder zu ihm in seine Kanzlei zurückzukommen, wo er mir vorderhand monatlich 20 Wiener Konventionsgulden zu geben versprach. Es freute mich, daß dieser unbarmherzige Kritisierer und Korrigierer meiner Arbeiten nun, da ich über alle Berge war, mich wieder bis in Ungarn aufsuchte. Die Schrecken des Bitsitzer Kegelplatzes und die schönen Bilder von Wien wirkten zu sehr, als daß ich hätte widerstehen können. Die Hausherrschaft in Tot Prona ward wahrhaft bestürzt, selbst der Baron gab gute Worte und bot mir unter anderen Verbesserungen auch gänzliche Befreiung vom Kegelplatze; ich zweifle nicht, wenn ich geblieben wäre, daß ich als ein lebenslänglicher Freund und Genosse dieses Hauses schönen und ruhigen Tagen hätte entgegensehen können. Allein als ich, um meine Sachen zu ordnen, zu Fuß von Tot Prona über die Höhen der Karpathen hinab nach Bitsitz eilte, traf ich dort eine andere Verfügung, nämlich ein Schreiben des darmstädtischen Residenten von Jan, welcher mir berichtete, daß er mir bei dem württembergischen Gesandten Baron von Bühler die Stelle eines Privatsekretärs mit 200 Wiener Konventionsgulden Gehalt und im Hause freie Station ausgewirkt habe.
So macht's das grillenhafte Glück. So lange ich es selbst ängstlich suchte, wies es mich allenthalben durch seine repräsentierenden Portiers und Kammerdiener ab; sobald ich auf seine Gunst verzichtete, suchte es mich mit Stafetten selbst in den Klüften der karpathischen Gebirge auf. Ich verschob meine Abreise, bis auch die Baronin mit meiner Schülerin wieder von Prona zurückgekommen und in der Eile ein neuer Hofmeister aufgespürt sein würde. Dieser erschien in der bestimmten Stunde meines Abgangs; aber alle Damen wurden blaß darüber, nun wieder eine Perücke zu sehen; meine Schülerin hing weinend an meinem Halse; die Baronin trat schweigend ans Fenster; der letzte Druck ihrer Hand füllte die meinige großmütig mit Goldstücken; alles begleitete mich traurig an den Wagen.
Vier Rosse, welche der Baron mir vorzuspannen befahl, eilten mit mir zum Hofe hinaus.