Elisabeth Langgässer
Der Gang durch das Ried
Elisabeth Langgässer

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V

in der nächsten Woche, ziemlich am Anfang, kam ein halbverhungerter Schleifer und wetzte seine Kundenfangschere, die schon ganz blätterig war, geduldig vor dem Hof.

»Hätten wir was?« fragte die Bäuerin und sah von dem Krauthobel auf.

»Unsere Zuschneideschere beißt Wasser durch«, erwiderte das Mädchen, das gerade die Brettchen abwusch und den Stein, der den Kohl beschweren sollte, in ein leinenes Tuch einschlug.

»So bring sie mal her.«

»Ja. Und die andern sind auch nicht besser«, fiel der Liesa noch nachträglich ein. Dann kam sie mit klingelnder Schürze zurück, ihr Gesicht war ganz glatt, denn sie freute sich, daß der arme Kerl was verdienen sollte, und sieh mal, da trug die Bäuerin noch den Hirschfänger ihres Mannes hinzu, nun gab es wohl Arbeit genug. Zu guter Letzt trottete Aladin mit einem Spiralbohrer her – er hatte schon wieder den ganzen Tag in dem Werkzeugschuppen gesteckt, seine Hände waren zerkratzt und ihre Spitzen gelöchert wie lauter Fingerhüte, der Ölschmutz saß unter den Nägeln, in den Rillen metallischer Staub. Wie ein Eisenmännchen sah Aladin aus, grau und hart von oben bis unten, selbst die Augen glichen zwei Nagelköpfen, die man fest ins Gesicht gehämmert hatte. Das war ein Leben, hier war man sicher, hier wuchs der schöne Dreck wie ein Panzer um ihn herum und wuchs sogar unter die Haut. Sieben Häute hätte man, sagte die Liesa gestern, als sie ihm Frühstück brachte, er aber wenigstens acht. Ein Heimtücker wäre der Aladin, das hätte sie lange schon spitz.

So, so, und warum denn, sacrebleu?

Weil er immer die Hand übers Werkzeug deckte, wenn einer zur Tür hereinkäme, das täte man doch sonst nicht. »Wie ein Mädchen, das Windeln näht«, platzte sie rasch noch heraus und wurde hinterher rot. 82

Ja, das müßte sie besser wissen, entgegnete Aladin frech – aber möglich, daß er was Kleines damit verdecken wolle. Das verstand sie nun wieder nicht; er merkte überhaupt, sie konnte nur begreifen, wenn man geradezu sprach. Wie man ihr ein Ding in die Hände gab, so nahm sie es entgegen, und war es eine Klinge, so schnitt sie sich eben daran und meinte, das müsse so sein. Nein, Männer waren anders, die sahen sich wie der Scherenschleifer erst eine Sache an und drehten sie dann, wie es paßte und ihnen am besten schien.

Guck mal, den Alten, wie geschickt er das macht, obwohl er schon tatterig war – aber saß erst die Schneide am Schleifstein, dann gab es kein Zittern mehr! Wie Schulkinder standen sie alle herum und sahen dem Handwerker zu: Aladin und die Liesa, die Bäuerin, ihre Mutter, die gerade vom Keller heraufkam, wo sie Äpfel aussortiert hatte, und vorne, ganz dicht vor der Scheibe, die ihm fast die Stumpfnase wetzte, der Lückenbüßer mit offenem Mund, seine Ziehkinder an dem Wämschen; sie waren dort angewachsen und gingen nicht mehr fort. Nur der Erlenhöfer und Anton, der Knecht, sahen es sich nicht an. Sie waren hinausgefahren, um die letzte Dickwurz zu holen und Mist auf den Acker zu streuen.

»Die Nase fort«, sagte der Scherenschleifer; ein Kometenschwanz flog von der Schneide ab, die eben angeschärft wurde, »oder soll ich sie dir spitzen?«

Das Lückenbüßerchen lachte: wie bei dem da, und zeigte auf Aladin.

Der Scherenschleifer sah auf und musterte den Mann. »Euch sollte ich doch kennen«, sagte er langsam. »So eine Nase, wie Ihr sie habt . . .«

»Was geht Euch denn meine Nase an?« schrie Aladin unbeherrscht.

Dem andern blieb die Spucke weg.

»Na, warum denn?« verwunderte er sich tief und kam dann erst auf den Gedanken, sich über ihn ärgern zu 83 müssen. »Ei, von mir aus setzt noch ein Hütchen darauf. Ihr könnt aber«, spuckte er sein letztes Altmännergift aus, »auch so auf die Fastnacht gehen, den Narren sieht Euch jeder an.«

»Ach, dann kennen wir uns wohl von Goddelau her?« fragte Aladin ganz ruhig.

Die anderen knallten los und schrien vor Vergnügen.

Der gab es dem Alten, der war nicht so dumm, wie der Schleifer ihn machen wollte.

»Seht Ihr, Vater, das habt Ihr davon«, sagte die Bäuerin endlich erschöpft und hielt sich beide Seiten. So hatte sie lange nicht mehr gelacht.

Der Scherenschleifer sah rings herum, sein Schlapphals zitterte. War denn keiner da, der ihm beisprang – nur sein Feind, sieh mal an, der blieb ernst. Nein, er kannte ihn doch nicht, es war auch egal. Wer schon mit einem Bein, wie er, im Grabe stand, den juckte die Kopflaus nicht mehr. Das Eisen zischte. Ist ja nicht wahr. Natürlich möchte er wissen, wo er dem dort begegnet ist.

»Nichts für ungut«, begann er von neuem und nahm den Fuß herunter. Der Schleifstein trudelte aus, die Kinder tatschten ihn an. »Seid Ihr nicht mal im Lager gewesen, oder habt Ihr vielleicht einen Bruder, der Euch sehr ähnlich sieht?«

Nicht antworten. War ja nur alles geträumt. Am Ende heißt er noch Gretel, ehe er sich's versieht.

Der Alte wurde verlegen. »Na, gewiß doch, ich kann mich auch irren«, sagte er jetzt betulich und fing an, eine Alimentengeschichte aus Pirmasens zu erzählen, die ganz einfach darauf beruhte, daß ein Soldat einen Doppelgänger unter den Separatisten hatte und beide dasselbe Mädchen besaßen, aber so, daß der Soldat dem Zivilisten eine Montur und jener dem Soldaten zivile Kleidung verschaffte, wenn er zum Stelldichein ging, wodurch das Mädchen hernach beschwor: dann und dort sei es der Soldat gewesen – aber nein, der hatte 84 gerade Dienst; und dort und dann ihr Schambes [Jean-Baptiste] – Gott behüte, der war auf Nachtschicht gegangen, dem passierte so etwas nicht.

Ja, ganz schön – doch die fremde Sprache? wollte die Bäuerin wissen.

Ach, grinste der Scherenschleifer, was dabei gesprochen werde, lerne jeder Soldat wie das »manger« und die »bouteille« zuerst. Und wenn hier nicht einige Damen ständen, fügte er mit der Frechheit des Vagabunden hinzu, getraue er sich zu behaupten, daß so eine Schiebung im Dunkeln von keiner bemerkt werden könnte.

»Hä?« machte die alte Frau in das Gekicher der Leute, und: »nicht wahr?« fragte sie dann, »das war doch Nothnagels Margreth, die falsche Zwillinge kriegte?«

»Laß mal gut sein, Mutter«, mahnte die Liesa.

»Nein, nein, es ist so, wahrhaftigen Gott, das eine war schwarz wie ein Mohr und das ander' ein Christenmensch; da will ich Euch Gift drauf nehmen.«

»Ja, man sagt, die Mutter ist allemal sicher. Aber manchmal ist auch die Mutter nicht sicher, von wem sie es erwischt hat«, wollte der Schleifer witzeln.

»Seid Ihr bald fertig?« fuhr jetzt die Erlenhöferin ungeduldig dazwischen. Der arme Mann erschrak, da hat er was angestellt. Er guckte auf seine Stiefel. In ein Fettnäpfchen ist er getreten, aber wo tritt man heute in keines?

»Ich mache ja schon«, erwiderte er und setzte sein Rad in Bewegung; die Kinder, denen es langweilig wurde, liefen schreiend im Hof herum und sangen das Lied von dem »Zwillingspaar, das sich gar nicht ähnlich war, ähnlich war, ähnlich war«, dann sahen sie, daß der Werkzeugschuppen dahinten offen stand, und schwirrten wie Fliegen hinein . . .

»So, das wäre die letzte Schere«, der Handwerker hob sie ab. Zwei Krähen flatscherten träge unter den Schneewolken hin, der Pumpenmund stand wie gefroren über dem leeren Eimer, den jemand dorthin gesetzt hatte. 85 Nun stieß der Scherenschleifer einen dünnen Rattenpfiff aus, wühlte lange in seinem Hosensack und brachte eine Schnur, die nicht enden wollte, hervor.

»Haltet mal!« bat er den Aladin und schnappte mit der Zuschneideschere die zähe Kordel durch. »Wenn einer sagt, er weiß, woher er kommt, dann hat er schon gelogen . . .« Er nahm die nächste Schere und schnitt wieder ein Stückchen ab. Die zweite Schere flog zu der ersten und schnetterte sie an. »Nur nicht fragen, immer nur weiter, zuletzt wird ein Jesusjen draus.«

»Schnapseule!« sagte die Bäuerin böse und raffte die Sachen auf: »Eins, zwei, drei, vier, mit dem Hirschfänger fünf, und hier ist dein Bohrer, Jean«, sie duzten ihn jetzt alle, der Erlenhöfer selbst hatte es angefangen.

»Es kann auch ein Weinchen sein«, grinste der Scherenschleifer, »und vorher ein heißer Kaffee mit Streuselkuchen dazu.« Man sah ihm an, wie er wässerig wurde nach etwas besonders Gutem. Seine Mundwinkel blinkten, die Augen auch; die Hände, welche jetzt nichts mehr hatten, woran sie sich halten konnten, fingen fahrig zu zittern an.

»Die Kerb ist schon lange vorbei«, sagte die Bäuerin hart; sie wußte selber nicht, was sie erbittert hatte. »Aber Kaffee könnt Ihr bekommen«, lenkte sie ein, als sie sah, daß der Alte wie Zunder zusammenfiel.

»Ich mahle ihn gleich«, rief die Liesa und faßte den Großvater unter, »auch ein paar Dampfnudeln sind noch da – nämlich meine«, erklärte sie hastig, »ich habe sie aufgehoben, weil sie mir gestern zu schwer im Magen gelegen haben.«

»Was Gekotztes will ich nicht essen«, sagte der Schleifer grob, jetzt war ihm alles gleich. Verrecken will er, geschieht ihnen recht, wenn er hier auf der Stelle umfällt oder zwei Schritt vom Hof weg Gefrierfleisch wird, jawohl, das bringt er fertig, das wird ihm gar nicht so schwer.

»Kommt nur mit mir«, sagte das Mädchen sanft; wie 86 er stank, dieser böse Bettelmann, der hatte auch wohl schon lange kein frisches Hemd mehr gesehen. Die Großmutter tappelte hinterdrein; gegen den war sie immer noch schmuck und konnte sich blicken lassen. Ganz jung kam sie sich vor.

Die Bäuerin tat einen raschen Schritt auf den verlassenen Schleifstein zu und sah Aladin in das Gesicht: »du könntest dich mal rasieren!«

»Ach, ich möchte mir einen Bart wachsen lassen«, erwiderte er träge. »Darin ist man aufgehoben.«

»Ja so, du mußt dich verstecken«, sie zuckte ein wenig zurück; gleichzeitig flog sie ein Nachtgespräch an, das sie vor wenigen Tagen mit ihrem Mann geführt hatte. »Ein Bart fällt nur auf in unserer Gegend; wie ein Kriegsgefangener siehst du dann aus.«

»Das ist auch noch nicht zu Ende«, erwiderte Aladin.

»Was ist noch nicht zu Ende?«

»Krieg.«

»Nein, der fängt erst an.«

»Also soll ich mir keinen Bart wachsen lassen?« er fuhr mit der rechten Hand liebkosend an seinen Stoppelbacken 'rauf und herunter, 'runter, herauf; sie folgte mit ihren Augen: auch an den Fingerrücken wuchsen ihm dunkle Härchen; ein feiner brennender Schmerz ging leise durch ihren Schoß.

»Macht, was Ihr wollt!« versetzte sie heftig. Die fremde Anrede fuhr ihr heraus, ohne daß sie es merkte. »Aber wundert Euch nicht, wenn der Büttel Euch abholt und meinen Mann dazu.«

Warum hackt sie denn so nach ihm, was will sie denn bloß, und sieh mal, wie ihre Beine unter den Röcken zittern. »Ich gehe ja schon in die Küche und hole mir heißes Wasser, ein Rasiermesser habt Ihr wohl noch?«

»So ein haariger Affe wie du!« sagte die Kätta gehässig und zog ihn mit ihren Blicken aus.

»Aber nachher gefalle ich Euch . . .«

»Da kannst du lange drauf warten«, zischte sie wie eine 87 zornige Gans, die mit dem Bürzel wackelt. »Und in die Küche darfst du jetzt nicht, wo der Scherenschleifer noch da ist und partout was wissen will.« Sie ließ den Schleifstein los und merkte nachträglich erst, daß sie ihn angefaßt hatte. So fuhr sie mit beiden Händen an ihren Hüften herunter, dabei stieß das Metall in der Lederkatze, die über ihrem Bauch hing, feindselig aneinander.

Er sah ihr nach, wie sie fortging; eigentlich schaute er immer am liebsten die Weiber von hinten an. Da merkte man alles. Wie eine sich trug, so lag sie nachher auch, und wie sie die Hacken schief trat, hatte wieder seine Bewandtnis. Hui, was für ein Kerl er doch war! Wie er alles wußte und alles vergaß, was er vergessen wollte. Er versuchte zu pfeifen, ganz hoch und schrill, wie der Schleifer vorhin gepfiffen hatte. Es ging nicht. Noch einmal. Wieder nicht. Merkt es auch keiner? er schlich wie geklemmt in den Werkzeugschuppen hinein . . .

Das war am Dienstag; am Mittwoch war Nebel und merkwürdig zitterndes Licht an dem zugehangenen Himmel; gegen Abend kam dünnes Wasser herunter; am Donnerstag stand eine brandrote Frau mit Meerrettich auf dem Hof.

»Tag, Kätta.«

»Tag, Marie, komm 'rein, setz dich hin.«

Die beiden waren Schulkameraden und in dem gleichen Jahrgang zusammen konfirmiert.

»Immer auswärts, Marie?«

»Was soll man machen? Mein Mann kriegt im Leben nichts mehr zu schaffen, und wenn unser Martin ausgelernt hat, wird es nicht anders sein.«

»Und Euere Margret?«

»Die lernt jetzt Schneidern.«

»Ja – wenn wir Weiber nicht wären.«

Sie schwiegen zusammen, dann stöhnte die Marie und fing, die Hand auf die Stelle gedrückt, wo der ewige Hexenschuß saß, schwerfällig wieder an: »fünfunddreißig bin ich jetzt alt geworden, so alt wie unser 88 Fräulein« – das war eine Lehrerin, die möbliert bei der Marie wohnte – »aber wie meine Tochter sieht die noch aus.«

»Ja, ja, man sollte nicht heiern.«

»Man sollte ledig bleiben«, stimmte die andere zu. Sie waren sich wieder einig und saßen breitbeinig still.

»Du hast aber große Kinder, Marie«, fuhr die Bäuerin endlich fort und schien eine lange Gedankenkette mit diesem Ausspruch zusammenzuhaken.

»Ja, mein Mann hat sich drangehalten. Und ich wüßte nicht, wie es werden sollte, wenn ich jetzt noch was Kleines hätte.«

»Gut geraten sind sie dir auch.«

»Das ist wahr, der Martin besonders . . . die Margret ist gleichfalls nicht unrecht.«Sie seufzte. »Ich kann's ihr ja nicht verdenken, wenn sie's haben möchte wie andere Mädchen, die mit der Mode gehen. Aber kaum hat sie was auf dem Markt verdient, so brennt es ihr in den Händen. Mal sind es Dauerwellen, mal ist es ein Prinzeßrock mit Spitzen, die gleich beim ersten Waschen wie Zunder gerissen sind. Und wenn sie sich noch so zusammennimmt, bringt sie ein Käppchen heim. Dabei getraut sich unsereins nicht, unterwegs einen Kaffee zu trinken.« Sie errötete heftig und hielt die Kätta gewaltsam am Ärmel fest. »Nein, nein, ich nehme nichts an und habe auch noch ein Käsebrot mit, das ich essen muß, ehe es trocken wird.«

»Zu Käs gehört Kaffee. Er steht noch im Ofen. Du kannst dich ja revanchieren, wenn ich wieder ins Dorf hineinkomme, um Blumenzwiebeln zu holen.«

»Na, dann is gut. Dann werd' ich mich revanchieren.«

Für die nächsten Minuten war nichts als das Schlabbern und Schmatzen der Marie zu hören.

»Ja, das Leben ist eine Hinkelsleiter«, sagte die Kätta wie üblich.

»Von oben bis unten beschissen«, ergänzte ihre Freundin, weil es sich so gehörte. 89

»Dabei habt ihr ein eigenes Haus und den schönen Garten dazu«, überlegte die Bäuerin.

»Das ist ja das Schlimme, ich meine das Haus. Wir haben zu spät gebaut. Gleich nach der Revolution hätten wir anfangen sollen. Jetzt fressen die Bankschulden alles, was man zusammenscharrt. Wie eine Schnecke trage ich es auf meinem Buckel herum und komme nicht voran.«

»Immer besser, als in Miete zu wohnen«, stellte die Kätta fest.

»Aber ohne die Lasten . . .«, wie du es hast, wollte die Marie noch sagen, verschluckte es jedoch.

Die andere fühlte es. »Dafür nehmt ihr den Bauern im Oberdorf mit euern Glasbeeten jeden Verdienst am Gartengemüse weg. Die ersten Radieschen, der erste Salat, wenn unser Herrgott noch schneien läßt . . .«, da sie unsicher wurde, schob sie im Schachfeld den himmlischen Vater vor.

»Der hat uns in diesem Frühjahr die Scheiben eingehagelt«, sagte die Marie trocken. »Ich will mich ja nicht versündigen«, fuhr sie verträglicher fort, »aber wenn er damit den Bauern was Gutes erweisen wollte: die lernten gar nichts davon. Im Gegenteil. Jeder gäbe ein Auge, wenn der andere keines hätte.« Sie erhitzte sich, kriegte ein derbes Gesicht und einen dicken Hals. »Nur nichts Neues probieren und lieber Häcksel im eigenen Töpfchen kochen als Specksuppe aus dem Gemeindetopf essen, den jeder aufdecken kann. Neulich wurde beantragt, es sollten ein paar nach Holland fahren und die Glashauskulturen studieren. Mit Ach und Krach meldete sich ein Bauer aus dem Gemeinderat. Doch als er hörte, daß sich zwei Rote gleichfalls beteiligen wollten, blies er sofort wieder ab.«

»Das wundert mich gar nicht«, meinte die Kätta. »Wenn ein Bauer mit Roten zusammengeht, ist er kein Bauer mehr.«

Sie schob die leere Tasse der Marie ein Stückweg von 90 sich fort, die andere drehte das Kümpchen um, sie blinzten einander an. »Dabei bist du selbst eine Bauerntochter und hast ein paar Äcker, Marie, von deiner Mutter her.«

»Den letzten haben wir eben verkauft.« Sie stand auf, nahm ihren Henkelkorb wieder und wurde zur Händlerin. »Fürs Gewesene gibt der Jud nichts, und wenn man erst, wie unsereins, Kätta, auf allen Straßen herumrutscht und sich merken muß, wie der Wind steht, läßt man das, was vergangen ist, hinter sich, wie einen alten Furz. Gar nicht erst simulieren darüber, woher man gekommen ist; wohin man tappt, weiß man ebensowenig. Der Weg ist das einzige heute.«

»Ja, so –«, die Kätta nahm wie aus Zufall das Brotmesser in die Hände. »Hat das Kneipchen geschnitten? ich frage bloß, weil neulich ein Schleifer da war. Vielleicht bist du dem Mann begegnet?«

»Dem?« fragte die Marie verwundert. »Der durch die Pfalz nach Pirmasens wollte, wo sein Bruder ein Schuhgeschäft hat?«

»So, so, ins Ausland wollte der Mann?« sagte die Kätta befriedigt.

Ihre Freundin knöpfte die Strickjacke zu und blickte, bevor sie hinausging, gefaßt im Zimmer herum. »Wenn einer am Ofen bleiben kann, besuchen die Feldhasen ihn. Ihr werdet jetzt öfter Leute mit schiefer Schulter sehen oder solche, denen die Kiepe den Kopf auf die Schuhe legt. So viele Gewerbescheine wie für diesen Winter, sagen sie auf dem Kreisamt, sind noch niemals ausgestellt worden. Am liebsten nähm jeder alles mit. Wer Seife verkauft, hat auch Butter bei sich; Nägelchen, Muskat und Zimt geht zusammen mit Kochschokolade, und wenn eine so schlau ist wie Vogels Anna, zieht sie gleich aus dem Strumpfband ein Kartenspiel und schlägt den Leuten die Zukunft nach Wunsch auf den Küchentisch. Eins schmeckt nach dem andern; wer leben will, nimmt es nicht so genau. Bei uns im Ort, na, das weißt 91 du ja, wo die Weiber gärtnern und handeln, ist das immer schon ähnlich gewesen. Was ein richtiger Schlosser ist, kann auch einen Hühnerstall bauen, und wer Schreiner gelernt hat, nimmt dir ein Fahrrad oder Nähmaschinen und Schießgewehre wie garnichts auseinander.«

»Dazu muß er nicht erst«, erwiderte die Kätta und fühlte, wie ihr heiß dabei wurde, »aus unserer Gegend sein.«

»Nein, nein. Das sag ich ja eben: die Welt ist rund, und weil sie sich dreht, fängt es jetzt überall an. Es gibt keinen richtigen Handwerker mehr, keinen Kaufmann wie früher, denn jeder Ort hat schon sein Warenhaus; die Kirchweih läuft hinter der Tanzmusik her, und in Frankfurt tanzen die Mädchen an jedem Wochentag. Nur ihr Bauern meint, es müsse so bleiben, wie es immer gewesen ist.«

Die Kätta überlegte. »Erst die Henne und dann das Ei«, sagte sie eigensinnig. »Wer Erbsen legt, wenn der Mond abnimmt, hat hinterher leere Schoten.«

Da hatten sie nun alle beide recht, und weil sie das fühlten, doch jede die Wahrheit für sich allein beanspruchen wollte:

– was weiß denn die vom Leben, die dreht sich doch immer bloß wie ein Gaul unterm Göpel herum . . .

Ja, so eine schwätzt nur nach, was die Gewerkschaft redet –

nahmen die Frauen jetzt Abschied und gaben einander die Hand. »Ich muß in den Keller.«

»Und ich zur Bahnstation.«

»Wohin fährst du?«

»Nach Worms. Dort fängt die Grüne Woche am nächsten Sonntag an, und die Gastwirte brauchen geriebenen Meerrettich zu ihren heißen Würstchen, wenn die Jäger und Landwirte kommen.«

»So, so. Die Grüne Woche. Mein Mann hat neulich davon gesprochen. Ich glaube, er will hin. Unser Blättchen hat noch gar nichts gebracht. Es steht wohl am Samstag drin.« 92

»Dann lest mal schön Euer Blättchen. 'Djö, Kätta.«

»'Djö, Marie. Gute Verrichtung.«

»Ich kann doch wohl hinten über den Hof, am Werkzeugschuppen vorbei?«

»Geh lieber vorne 'raus, Marie, dahinter hängt Wäsche über dem Weg.«

»Na, dann gehe ich vorne 'raus . . . und gib acht, daß dir keiner die Windeln abhängt!« Es war nicht böse gemeint, doch die Kätta konnte nicht lachen, sie wußte wohl, warum . . . 93

 

 


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