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Es folgten kurze, doch bedeutsame Wochen völliger Verborgenheit für das Kind, welche um so gefährlicher war, als sie den heftigen und übereilten Aufbruch der ersten Erkenntnis, deren wilder Schößling in der Beschränkung des gewöhnlichen Lebens vielleicht abgestorben wäre, wie ein Treibhaus begünstigte und der nachtwandlerischen Phantasie Gelegenheit gab, Stufen und Grade eines Kultes auszubilden, dessen schreckliche Einförmigkeit auf nichts anderes ausging als auf die Beschwörung des Bodens.
Da man nämlich einer Wiederholung dieses ersten und so unbegreiflich verstörten Ausganges nur mit Besorgnis entgegensah, zögerten die Eltern lange, dem Kind jenen völligen Genuß der Freiheit zu gewähren, den die kräftig fortschreitende Genesung des Körpers wohl erlaubt hätte, und hielten es mit zärtlichen Verlockungen aller Art in dem Zimmer zurück.
Um die liebevolle Ungerechtigkeit auszugleichen, welche in dieser Haltung lag, überschüttete man die seltsame Kleine mit Geschenken, und es zeigte sich an des Kindes leisem Ablehnen oder 25 Annehmen, das sich niemals auf den Genuß dieser Dinge, sondern auf ihr bloßes Dasein bezog, daß sie ihr um so gemäßer erschienen, je weiter ihr Ursprung entfernt und ihre Sage verdunkelt war.
Dieser bewußtlosen, aber ungemein sicheren Auswahl zufolge, ruhte bald eine strahlende Orange, deren Rundung zu umfassen tröstlich war, in der schwachen Hand des Mädchens, bald dufteten fette Datteln aus grellbemalten Schachteln und standen in Blumenscherben, worein man ihre Kerne gesenkt hatte, wieder auf; zerrissene Feigen ergossen ihr körniges Innere; saftstrotzender Ananas mächtige Fibern erglänzten wie goldhelle Speichen und rollten am Wagen des pfälzischen Bacchus ihr südliches Rad.
Welch feierliche Beschäftigung für das versunkene Kind, die verschiedenen Früchte ihrer Farbe, Schwere und Bedeutung nach auf Schalen, in Töpfen oder selbst zerbrochenen Scherben anzuordnen – und niemals hat es später den lieblichen Eindruck vergessen, den ihm ein Mandelkern machte, welcher auf einem grünglasierten Schälchen lag, dessen Rand leicht aufgebogen und mit einer schwimmenden Liane verziert war.
Von dieser Liebhaberei unterrichtet, versäumte es der Vater selten, ihr bei der Rückkehr aus der Stadt eine jener erwünschten kleinen Formen mitzubringen, die aus dem Feuerofen der 26 Jahrtausende kommen und die flüchtige Zeichnung des frühesten Töpfers: Zickzack und Schlangenlinie, bewahrt haben. Nahte der Abend dann, so stellte die Versunkene die gefüllten Schalen an die Fenster des Kinderzimmers, welche nach Osten gingen und von der aufgehenden Sonne getroffen wurden.
Inzwischen begannen die Frühsommertage in heißere Nächte hinabzusinken, und wachte mitten in der Finsternis das Mädchen auf, so schrien mit durchdringenden Stimmen die Grillen in dem hohen Gras und begrüßten gleichsam der entbundenen Gestalten freudiges Gedränge, das nach den weihgeschenkten Früchten tastete: Silvane, Dryaden und Nymphen, in Duft gelöste und rauchende Bacchen italischer Rebengehänge und die schwarzen kleinen Götzen aus Afrika.
Im Halbschlaf fuhr die Schlummernde empor und hörte die Geräusche der Nacht – doch dieses Rauschen war nicht in den Bäumen, und dieser Flügelschlag gehörte keinem Vogel, es war auch kein menschlicher Schritt, der auf dem Boden schleifte. Ein unendliches Stöhnen, Flüstern und Wehklagen wogte um ihre Kissen; Gestaltloses griff mit tausendfingrigen Händen nach ihrem Scheitel und berührte ihre Locken, und mit den Gartendüften vermischte sich Geruch von 27 Weihrauch, Zimt und seltenen Gewürzen, der wechselnd vorüberstrich.
Alle Türen mußten offen sein, denn in dem Zimmer war ein unaufhörliches Kommen und Gehen befreiter Vorweltgeister, die der feuchtverhangene Mond hervorgelockt hatte, und sie wagte es nicht, nur das Wasserglas zu berühren, das neben dem Lager stand, weil ihr zumute war wie einem Fischer, der sich scheut, die Hand vom Kahn aus in den Strom zu tauchen, damit er nicht von den Töchtern der Tiefe hinabgezogen wird. Trotzdem empfand sie niemals Furcht vor den Atemzügen der Natur, sondern lauschte ihnen wie einem Wiegengesang, dessen eintönig sinnlose Wiederholungen das Blut mit Schlummer erfüllen.
Glänzten dann in der auferstandenen Sonne, von Heiterkeit und kecken Lichtern funkelnd, die Früchte zu den erwachten Augen des Kindes herüber, so war es ein verwandtes Gold, das ihnen vom Grund der Iris entgegenschimmerte und auszudrücken schien, daß die nächtliche Verzauberung, über der sich ihre Schalen wieder geschlossen hatten, ihm nicht unbekannt war.
Allmählich verband sich dem Kind mit allem, was um es her war, ein inniges Geheimnis, und je dunkler es seiner Umgebung wurde, desto klarer tat sich das Stumme und Niegesagte ihm auf und schien ihm Bruder und Schwester aus blauer 28 Vorzeit zu sein. Niemals dachte es an ein Gegenwärtiges oder hielt laute Zwiesprache mit der nächtlich begegneten Erscheinung seiner Götter, aber ohne die Lippen zu bewegen, führte es wohl stundenlange Gespräche mit großen und fernher kommenden Gestalten, welche hinter dieser Körperwelt aufzutauchen schienen und gleichwohl seine Geschöpfe waren, die es mit einem Wort erwecken oder wieder verschwinden lassen konnte.
Dieses Spiel mit den Geistern – denn wie soll man es anders nennen – verwandelte sich bald in ungeahnte Bemächtigung. Denn hatte es bis dahin jenen elbischen Tänzen geglichen, in deren grasüberwucherten Kreis die Mädchen gezogen werden, wenn sie das Blut aus ihrer Kammer treibt, so drangen jetzt seine Wirbel, von dem neugierigen, überhellen und kristallklaren Geist wie die Meeresflut vom kalten Monde angelockt, in andere Bezirke.
Es geschah dies, nach dem wunderlichen Gesetz von kleiner Ursache und großer Wirkung, durch einen Gegenstand, der dem Kind zur Alraune am Schicksalsweg wurde, und kam so:
Verwandte des Vaters in Paris, welche die wechselnden Stadien der Krankheit mit flüchtiger Anteilnahme und gedankenlosen Geschenken begleiteten, hatten auf einem Basar, der zugunsten 29 überschwemmter östlicher Gebiete abgehalten wurde, einen kostbaren kleinen Chinesen gewonnen und in der verschwenderischen Laune des Festes an das ferne kranke Mädchen weitergegeben, ohne eigentlich das Gewicht ihrer Gabe zu erwägen und den Umstand, daß der heftige Liebling alle Puppen, die man ihm bisher geschenkt hatte, mit einer Gleichgültigkeit abzulehnen pflegte, die an Verachtung grenzte.
Weil diese neue nun beim Auspacken eine geradezu betäubende Mischung von Ambra und Moschus verströmte, überdies einen fremdartigen und erschreckenden Eindruck machte, setzte sie die Mutter kurz entschlossen und mit einem leisen Ärger, welcher der Vollkommenheit des zierlichen Gebildes keineswegs entsprach, auf den Bleichplatz des Gartens, wo der merkwürdige Fremde, schief in sich lächelnd, einen Tag über verblieb.
Hier erblickte ihn das Kind, am Fensterbord schwärmend, in einer Art wilden und zugleich süßen Erschreckens, wie es überhaupt alle Geschöpfe weniger wahrnahm als ihnen auf himmlische und herzklopfende Weise begegnete, und sofort bildete sich mit unfaßlicher Schnelligkeit der Gedanke in ihm aus, diese Gestalt sei von den nächtlichen Spielen her noch verblieben und habe, vom Strahl der Sonne getroffen, ihre Wohnung nicht mehr finden können. 30
Weil sich das Mädchen aber als Verbündete dieser zarten Dämonen betrachtete und zugleich mit dem Geheimnis des gastlichen Wesens sein eigenes preiszugeben fürchtete, hütete es seine Entdeckung wie unter ehernem Siegel, und daß es ihn am nächsten Morgen nicht mehr erblickte, wohl aber einen leichten Eindruck der Gräser wahrzunehmen glaubte, schien ihm nur den Gedanken zu bestätigen, daß einer der Elfen hier seine leise und unvergängliche Spur zurückgelassen habe. Ja selbst als ihn die Mutter, durch die Nachfrage der Spender bewogen, einige Tage später wie eine gewöhnliche Puppe in seine Arme legte und dabei die Geschichte seiner Herkunft erzählte, blieb jener Glaube an ihn unerschüttert – zwar nicht so, als ob es die gemeine Wirklichkeit bezweifelt hätte, vielmehr aus dem tieferen Wissen der Kindheit, daß neben und hinter ihr eine andere waltet, die der gewöhnlichen Vernunft nicht unterworfen ist.
Vielleicht entstammte dieser kleine Asiat, dessen schwarzes Brokatkleid mit silbernen Drachen durchsetzt war, wahrhaftig dem Mittleren Reiche, wo für die Ahnen des Hauses die täglichen Körner in blumigen Schalen stehen, und hatte über den Westen hierher gefunden; vielleicht war er auch von mageren Händen in dem Chinesenviertel der europäischen Großstadt unter leisen Verwünschungen gebildet worden – wie dem auch sein mochte, 31 es ging eine so lebendige und immerwährende Wirkung von seinem blendenden Antlitz aus, daß es seinem Schöpfer, wenn er darum gewußt hätte, wohl begreiflich gewesen wäre, ihn einmal als Mittler und Mund der Unterirdischen wiederzufinden.
Denn diese Stelle räumte ihm das Kind jetzt ein, und von dem bunten Thron herab, den es ihm selbst errichtet hatte, ergriff er bald mit der Gewalt eines Fetischs Besitz von der Ahnungslosen und teilte mit grausamer Strenge Befehle an sie aus, welche die freundlichen Gespielen ihrer Tage, ja selbst den Engel ihr zur Seite, von ihr scheuchten und sie einer grenzenlosen Einsamkeit überlieferten.
Sie nannte ihn den Silberdrachen, und auf unerklärliche Weise setzte er sich in Gegensatz zu allem, was bisher ihre Welt gebildet hatte; er verlangte Opfer wie ein gefräßiges Untier und hauste in dem Mittelpunkt ihres zärtlichen Lebens, an dessen Umkreis, gleich erschrockenen Vögeln, Blumen und Sterne flatterten, die bald vertrieben, bald von der großen Schlange angezogen und verschlungen wurden.
In seiner Gegenwart schien es unmöglich, zu lächeln, und war das Mädchen schon immer ein ernstes Kind gewesen, so verschattete es nun völlig; es fuhr empor aus tiefen Träumereien, legte den Finger auf die Lippen und beschwor mit 32 flüsternder Stimme die Spielgefährten seiner Bilderbücher, ihre reinlichen Blätter nicht mehr wie sonst zu verlassen, erinnerte sich traurig ihrer braunen Haare und der unschuldigen weißen Knöchelspitzen, die unter den roten Röckchen hervorkamen, so wie man sich einer unwiederbringlichen Zeit erinnert, und stellte Schalen und Töpfe nicht mehr an das Fenster, sondern brachte sie abends dem Drachen dar.
Was in dieser neuen Opferhandlung sich an Vorstellungen, Gedanken und Leidenschaften überkreuzte, war unbeschreiblich vielfach, beziehungsvoll und keineswegs unbewußt – wohl aber hatte eine dumpfe Furcht den größten Anteil daran. In einer merkwürdigen Einbildung vom Wesen der Dinge glaubte nämlich das Mädchen, daß jedes Geschöpf sich in das verwandle, als was man es anschaute; und obwohl es damals schon ahnen mußte, daß der Mensch seine Götzen wohl selber erschaffen, dann aber die Macht über sie verloren hat, fühlte es sich doch durch das Wissen um die Herkunft des Drachens aus Nacht und Zauberei als Mitschuldige an seiner Erscheinung, die ebenso schal und puppenköpfig hätte sein können, wie sie jetzt finster und mächtig war.
Niemals wäre jedoch das Kind auf den Gedanken gekommen, sich von seinem Peiniger zu befreien, hütete ihn vielmehr mit einer Leidenschaft, 33 welche seine Umgebung in Erstaunen versetzte und in der Mutter allmählich den Plan reifen ließ, ihn bei Gelegenheit für immer zu entwenden, wie denn auch dieser Chinese später spurlos verschwunden ist, ohne daß man ihm den natürlichen Lebenslauf einer Puppe: von der einen in die andere Generation überzugehen, nachsagen konnte.
Doch das Schicksal kam ihrem Entschluß auf schnelleren Sohlen zuvor.
An der gleichen Wand nämlich, gegen welche die Puppe unveränderlich lehnte, hing auch jene Darstellung der Mutter und des Kindes, die der Traum in Spiegelung gesetzt hatte zum Geisterreich, und auf das Haupt des Silberdrachens drohte in gerader Linie der Fuß der Jungfrau hin. Schon war ihr himmlisches Bild vermischt mit der Totengöttin und den hochzeitlichen Gewalten der Natur; beschlagen vom Hauch der Träume; befleckt von dem Samen der Jahreszeit, der aus Schlafdüten, Wolkenleibern und irdischen Händen floß; es war, wo das kindliche Blut in der Herzkammer rauschte, sich klärte und wieder trüben mußte, zu Hekate geworden, war die Herrin des Silberdrachens, die ihren Diener ausgeschickt hatte, damit er auf seinem Rücken die Beute hinuntertrage.
So stand jetzt Proserpina dicht vor der Pforte, und zum erstenmal fühlte die Tochter der Ceres, daß der holde und liebevolle Schoß der Dinge 34 zugleich Ursprung aller Ungeheuer und Grab der Lebendigen ist.
Noch nicht sehr lange war alles Sichtbare voll tiefer Beruhigung gewesen und hatte eine Mauer gebildet gegen das Nichtsein und den Abgrund hin: Musik im Glase, klirrte das Löffelchen; Brot und Milch und die graue Abendsuppe verbürgten ein ewiges Leben, und wie das Antlitz Gottvaters neigte sich der Kinderarzt über sie. Es war tröstlich, in bunten Büchern jene Menschen zu sehen, die den Wein tranken und aus gehäuften Schüsseln aßen, und von Knaben zu hören, die das wilde, starke und ungestüme Leben der Gesunden führten, doch noch viel süßer schien es ihr, in die rosigen Farben der letzten Amselstunde langsam und feierlich ihr Lieblingslied zu sagen und jenen frommen Worten noch lange nachzutönen, welche die Welt als eine stille Kammer bezeichnen und von der Dämmerung Hülle traulich und hold umfriedet wissen.
Denn nur das Ungreifbare war Bedrohung – und mit mächtigen Flügeln stand bis hierher eine helle und strahlende Tageswelt um die Zitternde und verbarg vor ihr die brauende Geisterschar.
Nun aber dunkelte das Mutterland. Nicht länger war der Mond ein guter Schäfer und der Schlaf 35 ein weißes Sandkorn, das unter die Lider fällt; der braune Kuchen des Lebens ward nicht mehr aus Butter, Zucker, Mehl und heimatlichen Gewürzen gebacken; und aus der Obhut der vierzehn Engel war das Kind schon lange entlassen.
Wenn die Frauen auf gleitenden Füßen durch das Zimmer gingen, verwandelte sich ihre Gestalt vor den Augen des Mädchens: Sie waren Bäume, die es mit grünen, dichtbelaubten Armen umstrickten; Weiden, die ihre Zweige tropfend und wie hinter ewigen Wasserwolken auf das dampfende Kinderbett niedersenkten, und wie ein Feuersalamander saß die kleine Seele der Entrückten unter ihren Wurzeln und dem zitternden Bogen der Äste.
In dieser Zeit geschah es häufig, daß das Kind die Mutter nach ihrer Herkunft fragte, und wenn die Gute mit leuchtenden Augen erzählte, schien sie ihm eine jener Melusinen zu sein, welche an den Ursprung einer Quelle oder an das Mark eines Baumes gebunden sind. Es umklammerte ihre Hand und flehte sie an, nicht in den Wald zurückzukehren – eine Bitte, welche die Mutter mit schmerzlicher Bestürzung aufnahm und unerwidert ließ.
Dann sank wohl das Mädchen zurück, blieb lange unbeweglich liegen und sehnte sich mit der Kraft eines leidenschaftlichen und todgeweihten 36 Herzens nach den gefährlichen Liebkosungen der Natur; es erinnerte sich der aufgewühlten Gartenwege, an denen jetzt bald die sommerlich heißen Blumen hervorbrechen mußten, und des Springbrunnens, dessen Feuchte den Rasen tränkte.
Da die Hülle des Sichtbaren einmal gefallen war, konnte nichts mehr es halten, und wie ein Schiff, dessen Strömung von einem Ungeheuer aufgetrunken wird, wurde es in den Mund der Schöpfung hinabgezogen.
Oft träumte Proserpina damals das wandernde Schicksal, und immer war es der Silberdrache, der am Ufer lag und sie an sich lockte mit unwiderstehlicher Gewalt, der zu folgen süß und teuflisch sein mußte. Er glich nicht mehr der Puppe, sondern der Teil war für das Ganze getreten, und der Schmuck seines Gewandes hatte sich als Sinnbild von ihm abgelöst. So häufig wiederholte sich seine Werbung, daß die Hilflose mit ihm zu spielen begann, das Gesicht auf die Kissen warf und im feurigen Andrang des Blutes zu den Augen seine glänzende Gestalt hervorzurufen sich mühte, ehe der Schlaf sie noch schenkte.
Doch eines Abends geschah es, daß mitten auf der Stirn des Mädchens ein klarer Tropfen es durchdrang und langsam hochhob mit neuer Flut, was 37 zögernd stille lag. In dem gleichen Augenblick wußte die Halbwache, daß sich das Weihwasser mit ihr unterredete, die gewohnte Segnung der Dämmerstunde, welche alltäglich einem kleinen Kessel entnommen wurde, der ihr zu Häupten hing. Geschlossenen Blicks erfühlte sie seine Form: Eine schwachgetönte Schale, über der das Osterlamm kniete und den rosigen Strahl der Seitenwunde in das dunklere Becken verschwendete.
Diese Vorstellung verwandelte sich mit dem Wandel der Träume und wurde zum Fischerkahn, der unter ihr schwankte. Er führte als Fracht das ergebene Tier, dessen mild gehügelte Gestalt ihre Heimat war, während schon zwischen Tauwerk und ausgebreitet hängenden Netzen das jenseitige Ufer sich näherte, heranzufliegen schien und von den Schlafgarnen aufgefangen wurde.
Hohe Berge, deren Abhänge mit Reben überronnen waren und von einer fremden, feierlichen Musik eintönig auf und nieder dröhnten, stiegen zum Firmament, und von riesigen Winzern wogten die Weinbergpfade. Am Rand des Stromes lag der Silberdrache, verschlang, sobald der Nachen anlegte, das Lamm, barst und fuhr gleich bläulichen Blitzen in die Fäuste der Winzer, welche mit ihnen als mit flammenden Messern die Trauben schnitten. Unter Wehklagen löste sich jede Frucht und hauchte, wie das Weidenrohr in den 38 Händen des Schäfers, ihre duldende Seele aus. Von allen Hängen kam ein seufzendes Echo, und immer stärker vermischten sich die windfüßigen Melodien mit dem großen Gesang der Berge, während Blitz auf Blitz in die Fülle herniederfuhr, die Traubenernte sich häufte und von den schwankenden Lesern zertreten wurde. Wie in einer grollenden Kelter dumpf tönendes Holzgefüge ging die Träumerin ein, vernahm das Rauschen der Säfte in ihren Ohren, fühlte die Umarmung des Todes und ergab sich in das Verbrausen der Sinne . . .
Vor dem Fenster aber hatte sich in dieser Nacht das erste Gewitter des Hochsommers entladen und war aus den pfälzischen Bergen nach der Rheinebene hingezogen. 39