Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel

Wenige Minuten später stand Frau Inge mit uns vor einer ausgeräumten Wohnung – Burg vor Mr. Williams, den er nun, wo er wußte, wer er war, ohne Haß und mit besonderer Herzlichkeit begrüßte.

Frida, aus ihrer mehr als unbequemen Lage befreit, erklärte, sich an nichts erinnern zu können.

Frau Inge eröffnete uns, wer Mr. Williams war und erklärte sich für verantwortlich.

Wir lehnten diese Verantwortung ab, sprachen ihr unsere Hochachtung aus und erklärten uns für Trottel.

Die Dienerschaft kündigte, weil die Vorgänge im Hause ihr nicht geheuer schienen. Sie war überzeugt, daß Williams niemand anders als der Teufel in Menschengestalt gewesen sei; Frida, seine Gehilfin, aber eine Hexe.

Frida selbst sprach den Wunsch aus, in das Gebirgsdorf ihrer Eltern zurückkehren zu dürfen.

Das Mittagblatt meldete den Einbruch in die Tiergartenvilla und kündigte sensationelle Enthüllungen der Wida an, deren Generaldirektor als Nachfolger des zurücktretenden Polizeipräsidenten in Aussicht genommen sei.

»Ich bin unterlegen,« sagte Frau Inge, und Töns erwiderte:

»Noch nicht.«

»Sehen Sie einen Ausweg?«

»Wie hieß doch dieser Anatom, von dem Sie uns seiner Zeit erzählten?« fragte Töns.

»Der aus Liebe zu Willy zum Hehler wurde?«

»Eben der!« erwiderte Töns, schrieb sich Namen und Adresse auf und entfernte sich eilig.

»Als wenn der helfen könnte!« sagte Frau Inge vor sich hin. –

Bei Alexander Zylinsky mußte Töns dreimal klingeln, ehe geöffnet wurde – obschon ein Hund anschlug und das Klappern von Geschirr verriet, daß jemand zu Hause war. Ein blasser, schmaler Mann, der nach Frau Inges Beschreibung nur der Anatom Alexander sein konnte, stand in der Tür und fragte:

»Sie wünschen?«

»Ist Willy hier?« fragte Töns.

Der Anatom wurde noch um einen Grad blasser und sagte:

»Was für'n Willy?«

»Es gibt nur einen – wenigstens für Sie und mich.«

»Meinen Sie etwa Willy Blech? – Der sitzt, soviel ich weiß, in Schottland.« – Dabei lächelte er spöttisch und fuhr fort: »Aber wenn Sie es besser wissen.«

»Ich weiß es besser.«

»Ich auch,« sagte der Anatom und lachte.

»Er war doch bei Ihnen – heute nacht? – oder ist er am Ende noch da?«

»Wie kommen Sie darauf? – Ich wünschte, Sie hätten recht.«

»Sie kennen seinen Verkehr! wohin glauben Sie, daß er sich gewandt hat, wenn er nicht bei Ihnen ist? Etwa nach München?«

»Ist er denn fort von da?« fragte der Anatom in großer Erregung.

»Ich sehe, wir ziehen an einem Strang,« erwiderte Töns und nannte seinen Namen.

Der Anatom sprang auf und rief:

»Seit wann ist er fort?«

»Seit heute nacht!«

»Dahinter steckt dieser Schuft!« rief Alexander und erzählte von seinem Besuch bei Burg. »Glauben Sie mir, der hat seine Hand im Spiele, und der gutgläubige Willy ist ihm ins Garn gegangen.«

»Wie konnten Sie aber gerade ihm Ihre Wahrnehmungen mitteilen!«

Der Anatom war ganz verzweifelt.

»Ja! wie konnte ich!« rief er und schlug sich an die Stirn. »Zumal ich wußte, daß dieser Burg ein Halunke ist! – Aber die Liebe macht blind! und man begeht Dummheit über Dummheit.«

»Jetzt haben Sie ihn auf dem Gewissen!« reizte ihn Töns, und der Anatom heulte wie ein Frauenzimmer und rief ein um das andere Mal:

»Wie kann ich das gutmachen? Und wenn es mein Leben kostet! Es gibt nichts, was ich nicht für Willy täte!« – Dabei sah er ängstlich zur Tür, hinter der, wie Töns fühlte, seine Frau stand und horchte. Aber sie meldete sich nicht und schien nichts dagegen zu haben, daß er sich in Gefahr begab. –

Während Töns und Alexander überlegten, wie Willy zu retten war, fuhr Generaldirektor Burg an der Tiergartenvilla vor und verlangte Frau Inge zu sprechen.

Die Unterhaltung war kurz.

»Frau Baronin, ich komme des Einbruchs wegen.«

»Das ist nicht wahr! – Er ist Ihnen nur Vorwand.«

»Um so besser, wenn Sie im Bilde sind.«

»Also, was wünschen Sie?«

»Muß ich das noch sagen?«

»Ich hoffe nicht, daß Sie noch einmal die Unverfrorenheit haben werden …«

»Unter diesen Umständen muß ich schrittweise vorgehen.«

»Sie werden auch damit nicht weiterkommen.«

»Warten wir ab! – Sie haben das Mittagsblatt gelesen?«

»Ich weiß, was darin steht.«

»Die Einbrecher sind in meiner Hand.«

»Das macht Ihrer Tüchtigkeit, an der ich übrigens nie gezweifelt habe, alle Ehre.«

»Noch weiß niemand, wer Mr. Williams ist.«

Er erwartete eine Antwort. – Die Baronin schwieg.

»Wenn ich nicht will, so wird es niemand erfahren,« sagte er.

»Wollen Sie, daß ich Sie darum bitte?«

»Sie haben die Möglichkeit, es ohne Bitten zu erreichen.«

»Von der ich keinen Gebrauch machen werde.«

»Bedenken Sie, was Sie getan haben.«

»Ich habe es bedacht.«

»Es würde Sie nicht nur Ihre gesellschaftliche Position kosten, sondern auch Krimina …«

»Ich muß Sie ersuchen, sich nicht um meine persönlichen Angelegenheiten zu bekümmern.«

»Ich fürchte, ich werde als Polizeipräsident auch gegen meinen Willen dazu genötigt sein.«

»Tun Sie, was Ihres Amtes ist.«

»Sie sind hochmütig, Baronin.«

»Das ist der einzige Vorwurf, den ich nicht verdiene.«

»Sie vergessen auch dem Polizeipräsidenten nicht, daß er einmal Kammerdiener war.«

»Sie irren! Ob Herr Burg Kammerdiener oder Polizeipräsident ist, spielt für mich und meine Gefühle gar keine Rolle.«

»Nun also!«

»Da ich ihn aber für einen Lumpen halte, so kommt er für mich nicht in Frage – und wenn er der König von England wäre.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Ja!«

»So wird meine erste Amtshandlung als Polizeipräsident …«

»Der Sie noch nicht sind.«

»Der ich noch vor heute abend sein werde – Ihre Verhaftung sein.«

Frau Inge verzog keine Miene. Sie wies zur Tür und sagte:

»Ich muß Sie ersuchen, sich zu entfernen!«

»Sie weisen mir die Tür?«

»Ich verfüge leider über keine Dienerschaft mehr – sonst würde ich …«

Bei diesen Worten stürzte Töns ins Zimmer und rief:

»Sie irren, Baronin! Ich bin noch da!«

»Sie werden der Baronin nicht helfen können,« sagte Burg spöttisch und ging zur Tür.

»Das habe ich auch gar nicht nötig,« erwiderte Töns, »denn die Baronin hilft sich selbst.«

»Ich darf bemerken, daß jeder Fluchtversuch die Lage der Baronin verschlechtern würde.«

»Und doch wird sie heute noch eine Reise um die Welt antreten.«

Burg lachte laut auf. Im selben Augenblick erschien der Kriminalkommissar Allan mit drei Beamten, legte seine Hand auf Burg und sagte:

»Sie sind verhaftet!«

Burg fuhr zusammen, richtete sich im selben Augenblick wieder auf und fuhr den Kommissar an:

»Sind Sie toll?«

»Mund gehalten!« erwiderte der und ließ ihn abführen.

»Was bedeutet das?« fragte Frau Inge, und Töns erzählte von seinem Besuch bei Alexander.

»Und dann? und dann?« drängte Frau Inge.

»Wir stellten fest, daß Burg nicht in seinem Bureau war.«

»Er war auf dem Wege zu mir.«

»Wir vermuteten es. Der Anatom, dem ich Burgs Geheimnummer gab, ließ sich verbinden. ›Willy Blech ah den Apparat!‹ befahl er. ›Herr Generaldirektor wünscht ihn zu sprechen! Schnell!‹ – Die feine Witterung des Anatoms erwies sich als richtig, denn es dauerte keine Minute, da verklärte sich das Gesicht des Anatoms und er rief in den Apparat: ›Willy, du? – denk dir, die Grete ist seit heute früh bei mir.‹ – ›Ich komme!‹ hörte ich und erkannte die Stimme Mr. Williams. – Der Anatom hing den Hörer an. ›Wie, glauben Sie, daß er dort fortkommt?‹ fragte ich. – ›Wenn der will, rennt er Wände ein,‹ erwiderte der Anatom. – Und in der Tat stürmte Willy, wie er uns später erzählte, durch die Bureaus, stieß Stenotypistinnen, Direktoren, Personal, das ihm den Weg versperrte, zur Seite, riß Pulte und Schränke, die sie vor die Türen schoben, um und stand zwanzig Minuten später mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre in den letzten Monaten nichts geschehen, was der Rede wert wäre, vor uns.«

»Was sagte er denn?« fragte Frau Inge.

»Da bin ich! rief er, gab dem Anatom die Hand und ließ sich von ihm umarmen.«

»Und als er Sie sah?«

»Er nickte mir zu und sagte ohne jedes Gefühl für seine Lage und für das, was er angerichtet hatte: ›Na, Sie haben sich wohl gewundert?‹ – ›Ganz und gar nicht,‹ erwiderte ich, und er erzählte mir bei einer Flasche Wein allerlei Interessantes über Burg, über den Einbruch, die Wida, über die Abteilung E und A – alles Dinge, die er erst seit ein paar Stunden durch Franz und dessen Bruder wußte und die scheinbar stärkeren Eindruck auf ihn machten, als alles, was wir hier mit ihm angestellt haben.«

»Und fragte er nicht nach Grete?«

»Aber ja! – Erst war er ungehalten, daß sie noch nicht da war. ›Du hast doch am Telephon gesagt …‹ wandte er sich an Alexander, der erwiderte: ›Es hängt nur von dir ab! Sie kann in zwölf Stunden hier sein.‹ – ›Ob es nicht besser wäre,‹ suchte ich zu vermitteln, ›wenn Sie und Grete ins Ausland gingen?‹ – ›Danke! ich habe genug davon,‹ erwiderte er. – Ich sagte: ›Noch waren Sie ja gar nicht aus Berlin heraus.‹ – Aber er erklärte, daß er froh sei, endlich wieder reden zu können, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Ich versuchte, ihm klarzumachen, daß er in Tortuga ein großer Mann – und sicher wäre; wohingegen hier … – Aber er wollte davon nichts hören und erklärte immer wieder, wie froh er wäre, endlich wieder Mensch zu sein, und daß er sich vorkäme, als wenn er zehn Jahre Zuchthaus hinter sich hätte.«

»Das ist seine wahre Natur!« sagte Frau Inge, und Töns ergänzte die Worte und sagte:

»An der auch zehnjährige Mühe von uns nichts geändert hätte. – Es blieb mir also gar nichts anderes übrig, als ihn seinem Schicksal zu überlassen.«

»Eine nette Blamage!« sagte Frau Inge.

»Aber nein!« widersprach Töns. »Sie haben die Welt geblufft und werden die Lacher auf Ihrer Seite haben. Immerhin, wir haben einen Einbrecher dem Zugriff der Behörden entzogen.«

»Ist das strafbar?«

»Es liegt unter Umständen Begünstigung vor.«

»Sie fürchten …?«

»... einen Skandal! In den ich gerade Sie nicht gern verwickelt sähe. Wie wäre es daher, wenn wir noch heute gemeinsam eine Weltreise anträten, Frau Inge?«

»Nur des Skandals wegen?« fragte sie und sah zu ihm auf.

»Auch weil ich Sie liebe,« erwiderte Töns, »aber das nur nebenbei.«

Frau Inge reichte ihm die Hand und sagte:

»Ich nehme an, Töns: auf eine gute Ehe!«

Er führte ihre Hand zum Mund und küßte sie.


 << zurück weiter >>