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Es war wie verhext, Maja Lisa mußte immerfort an die Stiefmutter denken. Den ganzen Morgen war diese ihr nicht aus den Gedanken gekommen, und obgleich sie wußte, daß auf Lövdala das Lichterziehen in vollem Gange war, fuhr sie doch jedesmal unwillkürlich zusammen, wenn jemand die Tür öffnete, in heller Angst, die Stiefmutter könnte eintreten und sehen, wie schlecht sie sich benahm,
Denn ach, wenn Mutter wüßte, daß sie bis acht Uhr morgens geschlafen hatte! Ja, und noch mehr; die Tante war so gut gegen sie gewesen und hatte ihr selbst Kaffee ans Bett gebracht, obgleich alles Kaffeetrinken von Seiner Majestät dem König verboten war. O weh, die Stiefmutter, die so streng darauf hielt, daß allen Verordnungen aufs genaueste nachgekommen wurde, die wäre sicher über die Maßen empört gewesen, und die beiden roten Flecken hätten auf ihren Wangen gebrannt!
Oder gar, wenn Mutter gesehen hätte, wie die Tante an diesem Tag alle Arbeit liegen und stehen ließ, nur um mit Maja Lisa auf der Bank zwischen dem Fenster und dem breiten Wohnzimmertisch plaudern zu können! Ja, oder wenn sie die Tante lachen gehört hätte, als die Nichte von der Stiefmutter und allen ihren Taten erzählte!
Denn jetzt, wo Maja Lisa ausgeruht hatte, war sie gar keine Tränenliese mehr, sondern lachte nur über alle ihre Widerwärtigkeiten. Die Stiefmutter hatte wohl gedacht, die Tante werde gegen Maja Lisa gerade so sein wie sie, und sie wäre sicherlich sehr ärgerlich gewesen, wenn sie dahintergekommen wäre, wie sehr sie sich getäuscht hatte.
Aber wenn sie nun gekommen wäre und dann Maja Lisa allein mit der Tante angetroffen hätte, wäre das erst nicht so gefährlich gewesen. O nein, wäre sie später am Tag gekommen, dann hätte es schlimmer ausfallen können!
Im Lauf des Vormittags fuhr plötzlich ein Reisender an der Herberge vor. Rasch wendete sich Maja Lisa dem Fenster zu, und da sah sie einen großen schönen Mann aus einem kleinen grün angestrichenen Schlitten steigen. Er trug einen Anzug aus eigengewobenem Fries, der ganz hell, ja fast weiß war; er hatte keinen Pelzrock an, aber an der freimütigen Art, mit der er dem Hausherrn die Hand schüttelte, konnte man gleich sehen, daß er ein Herr von Stand war.
Die Tante war so an die Ankunft von Reisenden gewöhnt, daß sie sich nicht einmal die Mühe nahm, zum Fenster hinauszusehen. Maja Lisa mußte sie erst auffordern, sich doch umzudrehen und ihr zu sagen, wer der schöne Herr sei.
Und die Tante konnte auch wirklich Auskunft geben. Der da draußen stand, das sei ja wahrhaftig der Pfarrer von Finnerud, Pastor Liljecrona!
Ja, nun hätte die Stiefmutter da sein sollen, um zu sehen, wie Maja Lisa bei Nennung dieses Namens zusammenfuhr! Die Tante merkte es auch gleich und wurde neugierig. Aber das tat nichts, denn ihr konnte Maja Lisa ohne Scheu die Geschichte von dem Traumpfannenkuchen und dem Traum erzählen, während sie sie der Stiefmutter niemals hätte anvertrauen können; diese hätte ja doch nur über alles miteinander verächtlich den Kopf in den Nacken geworfen.
Die Tante dagegen nahm die Sache vollständig ernst.
»Das wäre nicht das Schlimmste, wenn du ihn bekommen könntest,« sagte sie. »Er ist nicht allein ein schöner Mann, sondern auch ein wirklich prächtiger Mensch.«
Maja Lisa verwunderte sich höchlich. Die Tante konnte doch wohl nicht meinen, sie solle den Pfarrer von Finnerud heiraten. Dieser Ort lag ja weit droben im Norden, noch viel weiter entfernt als Västmarken. Und es wohnten auch nur Finnen dort, die vor zweihundert Jahren hingezogen waren, aber seither noch nicht einmal Schwedisch gelernt hatten. Für Maja Lisa war Finnerud ein so unbekannter Ort, wie wenn er ganz droben in Lappland gelegen hätte.
Aber die Tante beruhigte sie. Sie solle keine Angst haben, in Finnerud brauchte sie nicht zu wohnen. Pastor Liljecrona sei schon seit elf Jahren Pfarrer dort und werde nun wahrscheinlich wegziehen, um Propst in Sjöskoga zu werden.
Da begann Maja Lisa zu verstehen, warum die Tante so eifrig geworden war. Sie, die ursprüngliche Pfarrerstochter, wußte wohl, daß Sjöskoga das beste Pastorat im ganzen Sprengel war.
Aber Maja Lisa sagte, sie kümmere sich eigentlich weder um Finnerud noch um Sjöskoga; ihr Mann müsse Pfarrer in Svartsjö sein und auf Lövdala wohnen.
»Ja, so sagst du jetzt,« meinte die Tante, »aber warte nur, bis der Rechte kommt, dann fragst du weder nach Hof noch Kirchspiel.«
Die Tante sprach mit so großem Ernst, daß sich Maja Lisa noch einmal dem Fenster zuwenden und hinaussehen mußte. Der Pfarrer war wirklich ein schöner Mann, mit seiner stattlichen Figur und seinen leuchtenden blauen Augen, und er hatte eine laute, fröhliche Stimme, die bis ins Zimmer hereindrang. Der Hausherr hörte ihm mit erfreuter Miene zu, und aus Stall und Scheune eilten die Knechte herbei, das Pferd auszuspannen.
»Sieh, wie sie von allen Seiten dahergelaufen kommen, man merkt, daß der Pfarrer von Finnerud angekommen ist, alle haben ihn gern. Ich denke, er wird nicht gleich wieder wegfahren, sondern eine Weile hierbleiben, da kannst du gleich ein paar Worte mit ihm wechseln.«
Kaum hatte die Tante diese Worte gesagt, als auch schon die Tür aufging und der Pfarrer eintrat.
Schon von der Schwelle aus rief er der Tante zu, ihr Mann habe ihn in den schönen Saal hineinführen wollen, aber er wolle dort nicht ganz allein sitzen, Mutter Margreta werde wohl nichts dagegen haben, wenn er zu ihr in die Wohnstube komme, denn er müsse vielleicht eine gute Weile hier warten. Sein Bruder, der Verwalter von Henriksberg, habe ihn hierherbestellt, sei aber bis jetzt noch nicht gekommen. Er wisse nicht, was eigentlich los sei; ein Skiläufer habe ihm sehr spät in der Nacht die Nachricht gebracht, und er sei in aller Frühe aufgebrochen, der Hüttenwerkverwalter hätte eigentlich vor ihm hier sein sollen.
Gleich einem Wasserschwall strömten ihm die Worte vom Munde. Tante Margreta ging ihm entgegen, ihn zu begrüßen, und Maja Lisa dachte, sie sei mindestens ebenso erfreut wie die Knechte draußen. Schließlich bekam doch auch die Tante das Wort, und sie sagte, er dürfe im Wohnzimmer bleiben, so lange er wolle. Er werde ohnedies nicht mehr oft dieses Weges kommen. Sie müßte ihm ja zu dem großen Amte, das er erhalten habe, Glück wünschen, obgleich sie ihn sehr vermissen werde, wenn er nicht mehr hier einkehre.
Der Pfarrer machte eine ungeduldige Bewegung.
»Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll, Mutter Margreta,« sagte er. »Am liebsten würde ich ganz und gar zurücktreten, – Aber zum Kuckuck . . . nein, ich will nicht fluchen, bin ja ein Pfarrer!«
Der Ausruf war ihm wegen nichts anderem entschlüpft, als weil sein Blick auf die Pfarrerstochter gefallen war. Sie war bis jetzt ganz ruhig auf der Fensterbank sitzen geblieben, und er hatte sie vorher nicht bemerkt gehabt.
Maja Lisa geriet ordentlich in Verlegenheit, als er nun mit lauter Stimme fragte: »Was ist denn das für ein Schätzchen, das ihr hier im Hause habt, Mutter Margreta?«
Die Tante sagte ihm, wer Maja Lisa war; aber deshalb führte er sich nicht ein bißchen passender auf als vorher.
Ei ja, das wolle er gleich glauben, daß sie eine von den schönen Pfarrerstöchtern von Lövdala sei. Es sei nur gut, daß er sie endlich zu Gesicht bekomme. Wie oft habe er Mutter Margreta schon gebeten, ihn mit der Nichte zusammen einzuladen, damit er selbst sehen könne, ob das, was die Leute von ihr sagten, wahr sei.
Maja Lisa wurde nicht allein verlegen, sondern sie erschrak auch bis ins Herz hinein. So etwas durfte sie gar nicht anhören, das schickte sich nicht. Die Stiefmutter – ach richtig, Mutter war ja beim Lichterziehen auf Lövdala!
Die Tante sah wohl, daß sie ängstlich wurde, und so versuchte sie, den Pfarrer davon abzubringen, Maja Lisa immerfort anzustarren.
Das sei doch wohl unmöglich, daß er die Absicht habe, von der Bewerbung um Sjöskoga zurückzutreten? begann sie. Er müßte ja hochbeglückt sein, wenn er ein so schönes Pastorat in so jungen Jahren bekomme! So viel sie gehört habe, seien bis jetzt immer nur ältere, gesetzte Männer zu diesem fetten Bissen gekommen.
Liljecrona zuckte die Achseln. Er habe ja nie die Absicht gehabt, dahin zu streben. Das Glück sei ihm gar zu hold gewesen. Er selbst sei mit seiner bisherigen Lage ganz zufrieden gewesen.
Aber er habe sich doch gemeldet, warf die Tante ein.
O ja, weil ihm die Verwandten gar keine Ruhe gelassen hätten.
Jetzt hatte er Maja Lisa so vollständig vergessen, als sei sie überhaupt nicht da. Er dachte nur noch an seine eigenen Angelegenheiten, während er mit gefurchter Stirne und heftigen Bewegungen im Zimmer hin und her wanderte. Eine lange Locke hing ihm über die Stirne herein; er ergriff sie, drehte sie nach oben, stellte sie auf und ließ sie dann wieder herunterfallen. Offenbar war es ihm ganz gleichgültig, wie er aussah; aber Maja Lisa dachte unwillkürlich, er sei ein so schöner Mann, daß sich bei ihm alles gut ausnehme. Endlich blieb er dicht vor der Tante stehen und fragte, ob er sie um einen guten Rat bitten dürfte, er habe jetzt schon so viel hin und her überlegt und wisse nicht mehr aus noch ein.
Bei diesen Worten stand Maja Lisa auf. Sie meinte, sie dürfe nun nicht länger hier sitzen bleiben und seine Geheimnisse mitanhören. Aber er gehörte zu denen, die auch hinten Augen zu haben scheinen. Sobald er merkte, daß sie sich bewegte, sagte er, sie solle nur sitzen bleiben, es sei ihm eine wahre Freude, etwas Hübsches zum Ansehen zu haben.
Wie sonderbar, nun hatte sie sich schon so an ihn gewöhnt, daß sie nicht einmal errötete! Aber sie brauchte auch wirklich gar nicht verlegen darüber zu werden, denn das merkte sie nur zu gut, er betrachtete sie ganz so wie eine schöne Puppe. Es fiel ihm gewiß nicht einen Augenblick ein, daß diese Puppe sehen und auch hören konnte.
Als er jetzt mit der Tante redete, setzte er sich mit dem Rücken gegen die Pfarrerstochter auf den breiten Tisch. Maja Lisa glaubte, er habe sie ganz vergessen. Aber mitten drin setzte er sich rittlings auf einen Stuhl und starrte ihr wieder gerade ins Gesicht.
Nun also, zum ersten wolle er fragen, ob Mutter Margreta gehört habe, wie viel Kummer er den Leuten in Finnerud von der ersten Zeit seines Aufenthalts an gemacht habe? Ob sie wisse, daß schon bei seiner ersten Predigt in der Finneruder Kapelle die Finnenmänner und die Finnenweiber sich höchst verwundert gefragt hatten, was er wohl Böses getan habe, dessentwegen er zu ihnen heraufgeschickt worden sei?
Die Tante wollte antworten, aber er ließ ihr keine Zeit dazu. Ja, wahr und wahrhaftig, gerade darüber hätten sie sich gewundert, und sie hätten vielleicht auch Grund dazu gehabt! Sie wußten ja wohl, welche Art Wohnung sie ihrem Pfarrer zu bieten hatten, und welche Besoldung er bei ihnen bekam, und daß sie deshalb nur Pfarrer bekamen, die keine andere Gemeinde haben wollte. Wenn sie nun also ihn bekommen hatten, so . . .
Der stattliche Mann hielt inne und wußte nicht, wie er weitermachen sollte, aber die Tante vollendete den Satz:
»Sie dachten wohl, der Herr Pfarrer sei zu jung und zu schön, um zu ihnen dahinauf zu kommen.«
Nun redete der Pfarrer rasch weiter. »Na ja, sie sahen ja, daß er noch nicht uralt war, und obgleich sie nicht verstanden, was er in seiner Predigt sagte, weil er schwedisch predigte, hörten sie doch, daß er vortragen und auch singen konnte. Und so kamen sie, Männer und Frauen, miteinander überein, er sei ein Mann, der in einem Pfarrhaus mit hohen Zimmern und großen Glasfenstern wohnen sollte, und er wäre nie und nimmer zu ihnen heraufgezogen, wenn es nicht irgendeinen Haken mit ihm hätte.
»Es wäre ihnen auch wohl nicht leicht gefallen, irgend etwas anderes zu denken,« warf die Tante ein.
»Ja, ja, es mußte einen Haken haben. Und sobald einer von ihnen in den schwedischen Bezirk hinunterfuhr, um seine Bärenhäute und Schafpelze zu verkaufen, gaben sie ihm den Auftrag, sich zu erkundigen, was es mit dem Pfarrer für eine Bewandtnis habe.«
Bei diesen Worten sprang der Pfarrer von seinem Stuhl auf und wanderte wieder im Zimmer hin und her. Er war gewiß bis auf den heutigen Tag noch empört darüber. Tante Margreta aber lachte nur und fragte, ob die Abgesandten irgend etwas erfahren hätten.
»Ach, was hätten sie denn erfahren sollen? Sicherlich konnten sie bei ihrer Rückkehr nichts weiter berichten, als daß ihr Pfarrer auf seinen eigenen Wunsch nach Finnerud geschickt worden war.
Die Finnenmänner und die Finnenweiber waren also nachher so klug wie vorher! Natürlich konnte sich nun und nimmer auch nur einer denken, der Pfarrer sei zu ihnen gekommen, weil sie ein verlassenes, verwahrlostes und von ihrem eigenen Volk geschiedenes Häuflein waren. Nein, nein, es mußte sich anders verhalten.«
»Ach, die sind eben gar so klug da droben, Herr Pfarrer. Da darf man nicht so genau mit ihnen ins Gericht gehen.«
»Nachdem sie nun aus ganz sicherer Quelle erfahren hatten, daß er nichts Böses getan hatte, mußten sie es ja glauben; aber sie gaben sich nicht zufrieden, bis sie sich eine Erklärung nach ihrem eigenen Kopfe zurechtgemacht hatten. Er sei wohl nur deshalb zu ihnen heraufgekommen, um sich an das Amt zu gewöhnen und sich darin zu üben; und sobald er sich auf einer Kanzel daheim fühle, werde er sicher auf und davon gehen.«
»Und auch darin bekamen sie nicht recht?«
»Nein, auch darin bekamen sie nicht recht. Jetzt bin ich seit elf Jahren dort,« rief der Pfarrer mit einem unwilligen Auflachen, »aber heutigentags noch können sie es nicht lassen, über mich nachzugrübeln. Im ganzen Dorfe gibt es nicht einen einzigen Mann von Stande, und wenn ich mich nun über meine Einsamkeit beklagt hätte, dann hätten sie mich verstanden. Und wenn ich mich mit meinen Büchern als einzige Gesellschaft in mein Pfarrhaus eingeschlossen hätte, so würden sie auch das verstanden haben. Aber ein Pfarrer, der spät und früh draußen war, und der sich an dem Umgang mit Finnenbauern genügen ließ! Einer, der wissen wollte, wie das Moorheu gemäht und versorgt und wie das Land abgeschwendet wurde, und der mit ihnen auf die Jagd ging, nein, aus einem solchen Pfarrer konnten sie nicht klug werden!«
Liljecrona setzte sich jetzt wieder rittlings auf den Stuhl und drehte sich mit ihm herum, daß er Maja Lisa Auge in Auge gegenübersaß. Aber er sprach fortgesetzt mit der Tante.
»Nachdem ich ein paar Jahre in Finnerud gewesen war,« erzählte er weiter, »habe ich eines Sonntags auf Finnisch zu predigen versucht. Da haben sie in der Kirche geweint, alle miteinander ohne Ausnahme, so überwältigt waren sie. Und so lange der Gottesdienst dauerte, ist es auch gewiß nicht einem einzigen eingefallen, über mich nachzugrübeln. Nein, aber kaum waren sie aus der Kirche heraus, als sie auch schon in der alten Weise fortmachten. Was konnte doch der Pfarrer für eine Absicht dabei haben, ihnen jetzt finnisch zu predigen? Sie gingen dann zu Petrus, dem Knecht im Pfarrhaus, und fragten ihn, wie es denn sei, ob sich der Herr Pfarrer ein neues Pfarrhaus wünsche? Aber Pekka sagte, er habe nichts anderes gemerkt, als daß der Pfarrer mit der einfachen Finnenhütte, die nur eine Stube und keinen Schornstein hatte, so daß man eine Luke öffnen mußte, um den Rauch abziehen zu lassen, ganz zufrieden sei. Und so mußten sie wieder fortgehen waren abermals nicht klüger als vorher.«
»Ach, Herr Pfarrer, bedenken Sie, wir Ansässigen hier sind nicht immer gut gegen die Fremden gewesen,« warf die Tante ein.
»Keiner von allen konnte etwas so Einfaches wie das, daß man ihnen wohlwollte, begreifen. Sie wären wirklich erfreut gewesen, wenn ich eine betrübte Miene aufgesetzt und wenn ich mich darüber gegrämt hätte, meine Jugend unter armen Finnenbauern vertrödeln zu müssen. Aber weil ich froh und zufrieden aussah, das regte sie auf.
In einem der Jahre hatte ich einigen Finnenkindern zugeredet, zu mir zu kommen; ich sagte, ich wolle sie schwedisch lehren, damit sie beim Ting und bei den Jahrmärkten im schwedischen Bezirk drunten nicht so hilflos seien wie ihre Eltern. Aber als die Finnenmänner und Finnenweiber die Kinder schwedisch sprechen hörten, erwachte die alte Unruhe in ihren Herzen. Und sofort gingen sie zu Pekka. Der Herr Pfarrer möchte vielleicht eine größere Besoldung haben? Aber Pekka ließ sie wissen, er habe nie anderes gehört, als daß der Pfarrer mit seiner Besoldung, die nicht größer war, als was ein Knecht bei einem schwedischen Bauern bekommt, zufrieden sei. Pekka war der einzige da droben, der ein bißchen Verstand hatte.
Ganz das gleiche wiederholte sich, als ich die Finnenweiber Flachs bauen lehrte. Ich war mit ihnen aufs Feld hinausgegangen, hatte ihnen alles gezeigt, hatte selbst gesät, gehechelt und gebrochen. Aber als sie nun schließlich in den Finnenhütten eigenen Flachs zu spinnen hatten, da erwachte auch das alte Mißtrauen in ihren Herzen. Warum hatte der Pfarrer sie gelehrt, Flachs zu bauen? Das war absolut nicht zu verstehen. Und wieder mußten sie ihre Zuflucht zu Pekka nehmen. Der Herr Pfarrer werde doch wohl keinen neuen Weg nach dem Pfarrhaus angelegt haben wollen? Pekka antwortete, sein Herr sei zufrieden mit dem Weg, den er habe, obgleich er so uneben und ausgefahren sei, daß man außer zur Winterszeit mit einem Pferd fast nicht durchkommen könne.«
Ja, so etwas war sehr ärgerlich, das begriff Mutter Margreta recht wohl, und sie sagte, vielleicht habe er sich deshalb von dort weggemeldet?
»Ja, das hat auch dazu beigetragen. Ich habe es sehr bitter empfunden, daß ich mir ihr Vertrauen niemals erwerben konnte. Aber hauptsächlich habe ich es doch getan, weil mir meine Mutter, ja, und auch die ganze Verwandtschaft, immer mit Bitten in den Ohren gelegen haben. Sie sind ebenso unverständig gewesen wie meine Finnenbauern. Unaufhörlich haben sie mir geschrieben, ich verspiele mein Leben da droben. Immer hatten sie mich verlocken wollen, mich zu melden, sobald nur ein einigermaßen anständiges südlicher gelegenes Pastorat aufging. Es ist mir zwar immer widerwärtig gewesen; aber früher habe ich nichts danach gefragt, denn ich wollte meinen Beruf nach Kräften erfüllen. Als dann aber Sjöskoga . . .«
Hier brach der Pfarrer ab, er stellte sich gerade vor die Pfarrerstochter hin und sah sie an.
»So eine, wie diese da,« sagte er nachdenklich, »könnte ich natürlich nie bekommen, wenn ich in Finnerud bliebe.«
Es war ganz deutlich, er fand sie schön. Aber weiter auch nichts. Er sah sie nur an wie ein lebloses Bild. Nicht einmal die Stiefmutter hätte die geringste Spur von Zärtlichkeit in seinem Blick, der so lange auf ihr ruhte, entdecken können.
Gleich darauf sprach er auch schon wieder von seinen Sorgen und Kümmernissen.
»Als der alte verwitwete Propst Cameen in Sjöskoga im letzten Sommer starb und das Pastorat frei wurde, fiel mir ein, ich könnte mich ja darum bewerben. Ich dachte, ich könnte meiner Mutter die Freude machen, mich zu melden, denn es war absolut keine Gefahr da, daß ich die Stelle bekommen würde. Sjöskoga ist von jeher immer einem alten Professor oder einem alten Schulrat, der sich direkt an den König wendete, gegeben worden, und außerdem hätte ich auch gerne gewußt, was meine Bauern in Finnerud für Gesichter machen würden. Aber jedenfalls reiste ich hauptsächlich aus Mutwillen mit meinen Papieren hinunter nach Karlstadt.
Während der Fahrt wurde ich immer unschlüssiger. Ach, die Leute würden mich vielleicht auslachen und sagen, es sei doch zu unverschämt von einem Finnenkaplan, sich für diese große Pfarrei zu melden! Aber dann dachte ich, da ich nun doch schon unterwegs sei, könne ich ebenso gut vollends nach Karlstadt reisen. Ich wollte auch meine Papiere gar nicht herausholen, bis ich erfahren hätte, wer sich sonst noch gemeldet hatte.
Die Reise dauerte länger, als ich angenommen hatte, und ich erreichte die Stadt gerade nur eine Stunde vor dem Ablaufen des Meldungstermins. Ich hatte eben noch Zeit, das Pferd unterzubringen, dann mußte ich eiligst aufs Konsistorium.
Auf der Treppe, die zur Kanzlei hinaufführte, bereute ich die ganze Sache abermals und wollte lieber noch warten.
Aber der Konsistorialsekretär war ja mein guter Freund, und da ich nun doch einmal da war, wollte ich ihn auch begrüßen. Sjöskoga aber wollte ich gar nicht erwähnen. Ich konnte ja sagen, ich sei nach Karlstadt gekommen, um mit meiner Mutter zusammenzutreffen.
Doch kaum hatte ich den Kopf zur Tür hereingesteckt, als der Konsistorialsekretär mir auch schon entgegenrief: ›Da kommt doch endlich einer, der sich um Sjöskoga bewerben will! Während der ganzen Meldungszeit habe ich auf dich gewartet.‹
Zuerst war ich der Meinung, der andere mache sich einen Scherz mit mir, und ich sagte, ich sei nur meiner Mutter wegen in die Stadt gekommen. Wie er denn darauf komme, ich wolle mich um Sjöskoga bewerben? So auf den Kopf gefallen sei ich doch nicht, und ich wisse recht wohl, daß Seine Majestät Sjöskoga nur einer alten Leuchte der Wissenschaft von Upsala oder Lund geben werde.
›Das mögt ihr euch alle miteinander einbilden,‹ versetzte der Konsistorialsekretär. ›Ihr seid so mutlos, daß sich keiner zu melden wagt. Aber jetzt ist eine andere Zeit als zu Lebzeiten des vorigen Königs. Ich war so froh, als ich dich sah, denn ich habe bis jetzt nur zwei Meldungen bekommen, und drei müssen wir doch mindestens haben. Rück' jetzt nur mit deinen Papieren heraus.‹
Seht, auf diese Weise bin ich zu meiner Meldung verführt worden. Als ich dann wieder daheim war, fragte ich mich in den ersten Tagen öfters, ob ich wohl Aussicht hätte. Aber schon nach kurzer Zeit war ich wieder bei meinen gewohnten Beschäftigungen und hatte alles andere vergessen. Da, eines schönen Tages erhalte ich ein Schreiben vom Konsistorium. Ich war der dritte im Vorschlag, und in einigen Wochen sollte ich nach Sjöskoga fahren, meine Probepredigt zu halten.
Ich habe mich nicht darüber gefreut, nein, keinen Augenblick. Am liebsten hätte ich meine Meldung zurückgezogen, tat es dann aber doch nicht, weil ich mir nicht nachsagen lassen wollte, ich fürchte mich vor der Probepredigt in einer Gemeinde, wo so viele Großbauern und Herrschaften wohnten. Mutter Margreta, Ihr wißt ja, daß ich aus einem alten Pfarrersgeschlecht stamme, und da wollte ich nicht für geringer gelten als mein Vater und mein Großvater. Ich fuhr also hin und predigte, und die Zuhörer saßen auch recht andächtig in der Kirche; aber niemand konnte wissen, was sie dachten, und als ich wieder heimwärts fuhr, war ich sehr vergnügt. Jetzt war diese Geschichte doch zu Ende. Aber siehe da, gerade vor Weihnachten erhielt ich die Nachricht, daß die Wahl stattgefunden habe und alle Stimmen auf mich gefallen seien.«
Dies sagte der Pfarrer mit so betrübter Miene, daß Mutter Margreta hell auflachen mußte.
Nun, wenn er durchaus nicht wolle, könne er ja noch zurücktreten, sagte sie.
»Ja, das habe ich auch getan; aber dann kam ein Brief vom Bischof selbst, in dem er mich aufforderte, bei meiner Meldung zu bleiben. Ich hätte alle Hoffnung, gewählt zu werden. Und meine Mutter hatte auch Wind von der Sache bekommen, und sie flehte und bat, ich solle doch mein Glück nicht von mir werfen. Ach, und nicht allein meine Mutter, nein, auch die Brüder und Schwestern und Vettern und Basen! Ich habe wahrhaftig früher gar nicht gewußt, daß ich eine so große Verwandtschaft habe.«
»Die haben ja auch ganz recht,« sagte Mutter Margret«. »Sie könnten doch auch nicht ewig . . .«
Aber Liljecrona unterbrach sie schnell. Er lief nun beinahe im Zimmer hin und her und drückte sich die geballten Fäuste mit einer Art tragikomischer Verzweiflung auf die Stirne.
»Aber meine lieben Finnenbauern, Mutter Margreta! Wißt Ihr, was sie taten, als sie erfuhren, daß ich fortziehen würde? Bäume haben sie im Walde gefällt und mir vor die Haustür gefahren zu einem neuen Pfarrhaus! Meine Besoldung haben sie nicht erhöht, aber sie haben sie auf die eine oder andere Art zu bessern gesucht. Eines Tages lag eine neue Elchhaut in meinem Schlitten, und an einem andern Tag fand ich einen Kübel Butter vor meiner Tür. Sie sagten nicht viel, wenn ich mit ihnen zusammentraf; aber wenn ich auf der Kanzel stand, waren aller Blicke, die der Großen und die der Kleinen, unverwandt auf mich gerichtet, und da verstand ich, was sie dachten. So dachten sie: ›Du kannst uns nicht verlassen wollen. Dann wäre es besser gewesen, du wärest gar nicht gekommen.‹ Nun wußte ich also endlich, daß sie mich gerne behalten wollten.«
Er trat zu Mutter Margreta, setzte sich neben sie und nahm eine ihrer harten verarbeiteten Hände in die seinige.
»Denkt Euch einmal, Mutter Margreta,« sagte er so schön und innig, daß der Tante und Maja Lisa die Tränen in die Augen traten, »es würde jemand daherkommen und sagen, Ihr dürftet auf einen Herrenhof ziehen, aber Ihr müßtet den Hof hier und alles, womit Ihr Euch Euer ganzes Leben lang beschäftigt habt, dahinten lassen. Was würdet Ihr tun?«
Aber was die Tante hatte antworten wollen, bekam niemand zu wissen, denn jetzt konnte sich Maja Lisa unmöglich mehr still verhalten. Mit glühenden Wangen und einer vor Eifer zitternden Stimme rief sie, er solle doch ganz gewiß in Finnerud bleiben. Warum er denn nach Sjöskoga ziehen wolle? Dort könnte man gut ohne ihn zurecht kommen. Nun habe er so viel für seine Finnenbauern getan, wie er da nur daran denken könnte, von ihnen fortzugehen?
Sie hätte noch lange weitergeredet, wenn nicht in diesem Augenblick jemand nach der Türklinke gegriffen hätte. Da verlor sie den Faden, und obgleich es nicht die Stiefmutter war, sondern nur eine der Mägde, blieb sie doch ganz verwirrt stehen und konnte nicht weiter reden.
Aber der junge Pfarrer hatte sie verstanden. Er sprang auf, trat auf sie zu und streckte ihr die Arme entgegen. Es sah aus, als wolle er sie an sein Herz drücken, er faßte dann aber doch nur ihre beiden Hände und drückte sie zwischen den seinigen.
»Mamsell Maja Lisa, liebste Mamsell Maja Lisa!« sagte er mit großer Wärme. »Ihr seid die erste von meinem eigenen Stand, die glaubt, ich sei denen dort droben von Nutzen, und ich danke Euch von ganzem Herzen. Gewiß, gewiß, ich werde – –«
Doch in dem Augenblick, wo er das Versprechen geben wollte, brach er jäh ab. Die Stimme blieb ihm im Halse stecken, seine Hände zuckten, und als die Pfarrerstochter verwundert ihre Augen auf sein Gesicht richtete, sah sie, daß alle seine Züge in heftiger Leidenschaft bebten. Er wandte sich ab, ging einmal durchs Zimmer, trat wieder zu ihr, beugte sich zu ihr nieder und sagte mit einer Stimme, die durch die große Erregung undeutlich war: »Ich werde zurücktreten, wenn ich es vermag. Und wenn ich es nicht vermag, dann ist Fräulein Maja Lisa daran schuld.«