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Am nächsten Morgen stand der lange Bengt schon in aller Frühe mit einer Laterne vor der Fuchsgrube und leuchtete hinein. Das war doch merkwürdig! In seinem ganzen Leben hatte er noch niemals eine Fuchsgrube so zugerichtet gesehen.
Der lange Bengt wußte, wenn er etwas auf der Welt konnte, so konnte er eine Fuchsgrube herrichten. Und am gestrigen Abend hatte er diese nicht weniger pünktlich angelegt als sonst auch.
Er hatte die obere Öffnung der tiefen Grube mit einem so hinterlistigen Dach aus Birkenruten, Stroh und Schnee versehen, daß es nicht einmal die verschlagenste Füchsin vom gewöhnlichen Erdboden hätte unterscheiden können; und die Ente, die auf dem großen hohen Pfahl in der Mitte der Grube sitzen mußte, um den Fuchs herbeizulocken, war, mit einem Strick um die Flügel, so fest auf den Pfahl gebunden gewesen, daß sie sich nicht rühren konnte. Es war die beste Ente auf dem Hof gewesen, die die stärkste Stimme von allen hatte. Der lange Bengt hatte sie in der Nacht schreien hören, nachdem sie schon auf den Pfahl festgebunden war. Ihre Jammerrufe hatten gellend und ohrenzerreißend durch die Winternacht getönt.
Für den, der die Fuchsgrube gerichtet hatte, war es eine große Schande, wenn die Ente so schlecht angebunden war, daß sie der Fuchs mit fortreißen konnte; aber das war dem langen Bengt noch nie passiert. Ja, und was auch der Fuchs tat: ob er mit der Ente in den Wald entfloh, oder sie mit in die Grube hinabriß, die Schande war in beiden Fällen gleich groß.
Die Stallmagd brachte die Ente immer nur sehr ungern herbei. Und das wußte Bengt genau: sollte je einmal eine verloren gehen, dann verspottete sie ihn in alle Ewigkeit jeden Tag, weil er gemeint hätte, er könne eine Fuchsgrube herrichten.
Und nun war ihm dieses Mißgeschick passiert! Als er mit der Laterne vor sich hinleuchtete, sah er, daß keine Ente mehr auf dem Pfahl war und nur noch die Strickenden daranhingen.
Vor lauter Ärger wollte Bengt schon kehrt machen und seiner Wege gehen.
Aber wie, möglicherweise war der Fuchs doch gefangen worden! Wieder leuchtete er mit der Laterne umher. An mehreren Stellen war das Dach eingebrochen. Wenn er doch nur begreifen könnte, wie dieser Fuchs es gemacht hatte, um so viel Stroh mit sich in die Tiefe zu reißen!
Es gelang Bengt nicht, bis auf den Grund der Grube hinabzuleuchten, so viel er auch die Laterne drehte und wendete. Da ließ er den Laternenschein auf den Schnee fallen, um nach Spuren zu sehen. Wenn zwei Füchse in der Grube wären, dann könnte er besser verstehen, warum das Dach so zerrissen war, und dann wäre es auch keine so große Schande, daß die Ente mitgerissen worden war.
Er fand auch wirklich Spuren im Schnee und hielt die Laterne dicht darüber. Dann bückte er sich, tiefer und tiefer. Schließlich nahm er die Kerze aus der Laterne, ließ sich auf die Knie nieder und leuchtete auf dem Boden umher.
Als er sich wieder aufrichtete, fühlte er, daß seine Knie zitterten. Glücklicherweise sah ihn niemand in diesem Augenblick!
Nicht rasch genug konnte er in den Stall kommen, um ein Seil zu holen. Als er damit zurückkam, band er die Laterne daran und senkte sie in die Grube hinunter. Jetzt konnte er bis auf den Grund sehen, und plötzlich ging ein Grinsen über sein Gesicht. Seine Augen wurden ganz klein und funkelten, und seine Zähne schimmerten zwischen den geöffneten Lippen hervor. Jetzt hatte er es nicht mehr eilig, er blieb im Gegenteil mit höchst befriedigtem Gesicht über die Grube gebeugt stehen.
Nach einer Weile richtete der lange Bengt seine Schritte nach dem Wohnhaus.
Aber er nahm den Weg nicht durch die Küche, sondern stieg mit wuchtigen Schritten die Freitreppe hinauf und ging in den Flur hinein. Es war kaum fünf Uhr, und außer der alten Haushälterin war noch niemand auf. Sie hörte jemand nach der Türklinke tasten und trat ängstlich naher, um zu öffnen.
»Was in aller Welt, der lange Bengt! Was ist denn mit dir los, daß du durch den Haupteingang hereinkommst?«
Aber der lange Bengt schob sie auf die Seite, ohne sie eines Wortes zu würdigen, und steuerte geradeswegs auf die Schlafstube zu, wo der Pfarrer und die Pfarrerin noch im besten Schlafe lagen, und machte die Tür auf.
»Was gibt's? Was gibt's?« fragte der Pfarrer, indem er sich im Bette aufrichtete.
»Ich bin's, der lange Bengt. Herr Pfarrer, ich wollte nur sagen, daß die Ente heute Nacht von der Fuchsgrube verschwunden ist.«
»Das ist allerdings schlimm, Bengt. Aber deshalb hättest du mich doch nicht mitten in der Nacht –«
»Alle beide, der Fuchs und die Ente, sind in der Grube drunten.«
»Ich glaube, du bist verrückt, Bengt! Du weißt doch, daß ich erst vor ganz kurzem von der Hochzeit zurückgekommen bin, und ich war eben erst eingeschlafen.«
Aber nachdem der lange Bengt eine passende Pause gemacht hatte, begann er wieder:
»Ein Wolf ging der Spur des Fuchses nach, und er ist auch in der Grube drunten.«
Jetzt erwiderte der Pfarrer rasch: »Sag in der Küche draußen, man solle hier Licht machen, damit ich aufstehen kann.«
Aber der lange Bengt blieb stehen, wie wenn er taub wäre.
»Ein zweiter Wolf ist der Spur des ersten Wolfs gefolgt, und der ist auch in der Grube.«
Sprach's, machte kehrt und ging geradeswegs zur Tür hinaus.
Als es ordentlich Tag geworden war, versammelten sich alle Bewohner des Hofes um die Fuchsgrube. Alle waren da: der Pfarrer und die Pfarrfrau und die Pfarrerstochter, die Haushälterin, die fünf Mägde, die Einliegerin und die Kleine. Dann auch der lange Bengt und seine Mutter, die alte Bengta, sowie Bengts Frau, die muntre Maja, ferner die beiden Vettersbuben, der Spielmann Jöns und der alte Backmann, ein Soldat, der im Pfarrhaus auf Arbeit war.
Alle umstanden schweigend die Fuchsgrube, alle beugten sich vor, sahen ein paar Augenblicke hinunter und traten dann wieder zurück.
Die Kleine war etwas auf die Seite gedrängt worden und hatte nicht bis zum Grubenrand hingelangen können. Der Pfarrer bemerkte es und winkte sie herbei. Sie sollte auch herankommen und hinuntersehen.
Vorher hätte sie sich gerne durchgedrängt; aber jetzt konnte sie keinen Schritt machen; ein kalter Schauder rieselte ihr durch den Körper, sie wagte es nicht, die Wölfe anzusehen.
Das Kind hatte noch nie einen Wolf gesehen, aber es hatte sie im Walde um Koltorp heulen hören, und sie wußte, die Wölfe waren die schrecklichsten Ungeheuer, sie waren viel schlimmer als Basilisken.
Der Pfarrer war an diesem Morgen frischer, als die Kleine ihn je vorher gesehen hatte. Er packte sie am Kragen ihrer Pelzjacke und sagte:
»So, nun halte ich dich fest, Nora Sausewind, damit du nicht hineinfällst. Du mußt in die Grube hinuntersehen, obgleich du nur ein Kind bist, damit du, wenn du einmal alt bist, der Jugend erzählen kannst, daß wir hier auf Lövdala in einer einzigen Nacht zwei Wölfe und einen Fuchs in unserer Grube gefangen haben.«
Jetzt stand sie am Rand der Grube und sah schließlich hinunter. Die Grube war ein viereckiges, mit Brettern verkleidetes Loch, wie ein Brunnen, nur viel weiter.
Die Kleine sah hinein nach den großen Ungeheuern mit dem fürchterlichen Rachen, in dem so ein kleines Mädchen wie sie auf einen Happ verschwinden konnte. Aber sie konnte sie nicht entdecken; da wandte sie den Kopf zurück und sah den Pfarrer an.
»Sieh in die Ecken!« sagte er.
Noch einmal beugte sie sich vor. Es war ziemlich düster in der Grube, aber jetzt konnte sie etwas unterscheiden. Vier Tiere waren da drunten, in jeder Ecke eines; alle saßen regungslos da, nur ihre Augen, mit denen sie zum Tageslicht und den Menschen hinaufschauten, funkelten.
In der Ecke gerade vor ihr lag der Fuchs; der war nicht größer als ein Sofakissen. In der nächsten Ecke lag ein Tier so groß wie ein großer struppiger Hund. In der dritten Ecke stand die Ente fest und gerade auf ihren beiden breiten Füßen, und in der vierten Ecke lag noch einer von den großen struppigen Hunden.
Die vollkommene Stille da drunten war ganz sonderbar und unheimlich; und die Kleine verhielt sich ebenso still wie alle andern, als sie vom Grubenrand zurücktrat.
Als alle zur Genüge hinuntergeschaut hatten, traten die Männer zusammen, um zu beraten. Die Wölfe mußten ja getötet werden, aber sie wußten nicht, wie sie es bewerkstelligen sollten.
Natürlich wäre es ein leichtes gewesen, sie zu erschießen; aber wenn Blut in die Grube floß, wurde diese unbrauchbar, dann konnte man nie wieder ein Tier darin fangen.
Wenn es sich sonst nur um einen Fuchs handelte, sprang ein Mann in die Grube hinein, versetzte dem Fuchs einen Schlag auf den Kopf, daß er die Besinnung verlor, legte ihm dann eine Schlinge um den Leib und ließ ihn hinaufziehen.
Wenn man zu einem Fuchs hineinsprang, war keine Gefahr dabei; wenn sich aber zwei lebende Wölfe in der Grube befanden, war das eine ganz andere Sache.
Der lange Bengt nahm den Knüppel, dessen er sich bediente, wenn er dem Fuchs den Schlag versetzte, mit dem er ihn bewußtlos machte. Damit trat er an den Grubenrand, sah hinunter, schüttelte den Kopf und trat dann wieder zu den andern.
Nun holte einer der Knechte ein Seil und knüpfte eine Renntierschlinge. Mit dieser stellte er sich an die Grube und ließ die Schlinge dicht vor dem einen Wolf hinunter. Wenn es ihm gelang, die Schlinge über den Kopf des Wolfes zu streifen, konnte dieser leicht heraufgezogen werden.
Die Schlinge senkte sich tiefer und tiefer hinab, ja sie kam bis auf die Nase des Wolfs, ohne daß sich dieser rührte. Aber plötzlich fuhr er mit dem Kopf vor, heulte einmal laut auf, zwei Zahnreihen schimmerten, und die Schlinge fiel abgebissen auf den Boden der Grube.
Aller Herzen begannen ängstlich zu klopfen, als sie dies sahen. Nein, es war kein Vergnügen, sich mit einem Tier einzulassen, das ein Seil mit einem Schnapper durchbeißen konnte.
»Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als in die Grube hineinzuschießen,« sagte der Pfarrer. »Wir müssen uns eben im nächsten Winter eine neue graben.«
Jetzt trat ein Mann an den Rand, der bis dahin etwas hinter den andern gestanden hatte. Es war niemand anders als der Schmied von Henriksberg, der am vorhergehenden Abend nach Loby gekommen war, um Heu zu kaufen. Aber im Hochzeitshaus hatte man so viele Gäste zu beherbergen gehabt, daß man ihm keine Lagerstatt mehr anbieten konnte, und da hatte Björn Hindriksson Pfarrers gebeten, ihn aufzunehmen.
Nun, im Pfarrhaus stand ja die Gaststube auf dem Bodenraum immer bereit, und da hatte er in der Nacht geschlafen. Aber jetzt am Morgen waren aller Gedanken nur mit den Wölfen beschäftigt gewesen, und so hatte kein Mensch mehr an ihn gedacht.
Er sah in die Grube hinunter, nahm dann Bengts Knüppel und wog ihn in der Hand; aber niemand dachte, er tue es aus einem andern Grunde als zum Zeitvertreib. Der Mann war sehr groß, aber auch sehr schlank und sah nicht gerade riesenstark aus. Seine Hände waren schmal und weiß, ganz und gar keine Schmiedsfäuste. Nein, er sah nicht aus, als habe er ordentlich Schneid. Wenn man ihn ansah, dachte man unwillkürlich, alles Leid, das dieser Mensch je erfahren habe, sei ihm in die Augen gestiegen, aber nie fortgeweint worden, und wenn er sich bewegte, hatte man auch das Gefühl, als trüge er eine Last, die ihn schwer bedrückte; denn seine Bewegungen waren langsam und müde, wie die eines erschöpften Menschen.
Eine Weile noch hörte er den Beratungen der andern zu; als er aber sah, wie unschlüssig und ratlos sie waren, trat er rasch wieder dicht an die Grube und sprang geradeswegs zu den wilden Tieren hinunter.
Und ehe noch irgendeiner auch nur einen Gedanken fassen konnte, sauste der Knüppel – ein dumpfer Schlag ertönte. Da hatte der eine Wolf seinen betäubenden Schlag auf die Hirnschale bekommen – dann wieder ein Schlag – und dann noch einer.
Indessen hatte sich der andere Wolf aufgerichtet, und dieser bekam den ersten Schlag aufs Rückgrat, daß er zusammenbrach. Dann kam auch für ihn der tödliche Schlag auf die Hirnschale.
»Jetzt das Seil!« rief der Fremde den andern zu.
Der lange Bengt warf ihm das Seil mit der Schlinge zu. Der Fremde streifte es zuerst dem einen Wolf über den Kopf, dann dem andern, und dann ließ er beide miteinander hinaufziehen.
Der Fuchs war indessen lebendig geworden. Mit großen Sätzen warf er sich gegen die Grubenwand, aber der Fremde kümmerte sich nicht um ihn.
»Laßt jetzt die Leiter herunter! Der Knecht soll die beiden andern versorgen.«
Als der Fremde aus der Grube herausstieg, sah er wohl, wie bestürzt alle miteinander waren, sowohl Männer als Frauen. Niemand brachte ein Wort heraus. Die Frauen besonders waren so erschrocken, als sie ihn in die Grube hineinspringen sahen, daß sie noch immer zitterten, und die Männer schämten sich ein wenig, weil sie sich nicht selbst hineingewagt hatten.
Die Pfarrerstochter aber trat mit strahlenden Augen auf den Fremden zu:
»Jetzt hab' ich doch einmal einen Mann gesehen,« sagte sie. »Danach hab' ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt.«
Er sah sie mit seinen schwermütigen Augen an.
»Alles auf der Welt ist gering und wertlos,« schienen sie zu sagen, »und ich bin am geringsten von allem.«
Zugleich aber flog das gütige Lächeln wieder über sein Gesicht.
»Ich dachte, es wäre schade, wenn man in die Grube hineinschießen müßte und sie dadurch unbrauchbar machte,« sagte er.