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Wir sind sehr froh, daß wir in Ost-Amtervik wohnen und nicht in Sunne. Es wohnen viel mehr Leute in Sunne, aber sie sind nicht so angenehm. Bei ihnen wird in Gesellschaft nie eine Liebhabervorstellung gegeben, sie haben kein Bläsersextett und keine Quartettsänger, und es gibt auch bei weitem nicht so viele, die Tischreden halten und Gedichte machen können wie in Ost-Amtervik. Wir gehören auf die Art zu Sunne, daß wir denselben Propst haben. Sonst haben wir eigentlich nichts mit denen von Sunne zu tun. Wir treffen zwar nie mit den herrschaftlichen Familien von Sunne zusammen, aber wir haben doch das Gefühl, daß sie sich für viel vornehmer halten als uns, weil sie in einem großen Kirchspiel wohnen.
Einmal im Jahr werden wir in die Propstei nach Sunne eingeladen; aber wir treffen dort niemand aus dem Sunnebezirk. Denn das Sunner Pastorat ist so groß, daß Propstens nicht alle Herrschaften auf einmal einladen können. Deshalb laden sie das eine Mal die von Ost-Amtervik, West-Amtervik und die von Gräsmark, und das andere Mal die von Sunne zusammen ein.
Wenn wir aber auch die Familien von Sunne nicht kennen, so haben wir sie doch alle miteinander schon auf dem Amberger Jahrmarkt gesehen. Wir kennen also viele von ihnen: Gutsbesitzer Petterssons auf Stöpafors und Ingenieur Maules auf Sundsberg und Ingenieur Ignelius auf Ulvsberg und Gutsbesitzer Hellstedts auf Skarped sowie auch die Herrschaften Jonsson, die auf dem »Schloß« in Sundsvik wohnen.
Am siebzehnten August kommen die jungen Herren aus Sunne scharenweise nach Mårbacka, um zu tanzen und sich unsere Aufführungen anzusehen. Und nun glauben wir, daß sie in Sunne gesagt haben, Hilda Wallroth auf Gårdsjö und Anna Lagerlöf auf Mårbacka seien jetzt erwachsen und die reizendsten Mädchen im ganzen Frykstal geworden. Wenigstens bekommt Vater eines schönen Tags einen Brief von zwei Herren in Sunne mit der Anfrage, ob die Herrschaft auf Mårbacka nicht Lust hätte, an einem Picknickball teilzunehmen.
Der Ball solle in dem Wohnstock über Nilssons Kaufladen gehalten werden, und man bekomme das Lokal umsonst. Die Herren würden für die Getränke einstehen, die Damen aber sollten Kaffee und Tee und Gebäck und was zu einem Abendbrot gehört mitbringen. Es solle alles sehr einfach gehalten werden und nur ein paar Reichstaler für Licht und Trinkgelder kosten.
Ein ganz ähnlicher Brief ist auf Gårdsjö eingetroffen, und Tante Augusta kam gleich zu uns gefahren, um mit Mutter und Tante Lovisa zu beraten, was sie mitnehmen sollten, denn sie wollten es ja in keiner Weise geringer geben als die von Sunne.
Tante Lovisa macht sich auch sofort ans Backen, und sie ist ganz aufgeräumt, denn solche Picknickbälle gab es in ihrer Jugend auch in Sunne. Sie denkt keinen Augenblick daran, mitzukommen, denn sie weiß ja, daß sie zu alt zum Tanzen ist, aber sie sagt, wenn etwas Vergnügliches vor sich gehe, sei das an sich schon ein Vergnügen.
Ebenso ist es bei Gerda und mir. Wir freuen uns auch über den Ball, obgleich wir noch zu klein sind, um dabei zu sein.
Aber dann ist es plötzlich aus mit der Freude, denn am Tag vor dem Ball, gerade als wir beim Mittagessen sitzen und natürlich von dem Ball reden, sagt Vater, er meine, Selma sei jetzt eigentlich groß genug, um auch mitzukommen.
Vater meint natürlich, ich würde mich sehr freuen, wenn ich mit zu der Tanzerei dürfe, aber das tue ich ganz und gar nicht. Ich bin in Ost-Ämtervik schon in sehr viel Gesellschaften gewesen, und so weiß ich zum voraus, wie es auf dem Ball in Sunne gehen wird. Deshalb sage ich sofort, ich wollte keinesfalls mit nach Sunne.
»Warum willst du denn nicht auf den Ball?« fragt Vater, und zugleich wendet er sich an Mutter und fährt fort: »Hat sie kein Kleid dazu?«
»O doch,« antwortet Mutter, »sie hat das hellgraue Barègekleid, das ist noch ganz gut.«
»Und Strümpfe und Schuhe, hat sie die auch?«
»Nein, Schuhe hat sie keine,« erwidert Mutter, »aber Anna ist aus ihren grauen Zeugstiefelchen, die sie zu Schwester Julias Hochzeit bekam, herausgewachsen, die kann Selma von ihr bekommen.«
»Ja, dann weiß ich nicht, warum sie nicht mit will,« sagt Vater.
Ich bekomme furchtbar Angst. Zwar weiß ich nicht, wovor ich mich fürchte, aber ich kann mir kein größeres Unglück denken, als auf diesen Ball nach Sunne gehen zu müssen.
»Aber ich bin noch zu klein, um auf einen Ball zu gehen,« antworte ich. »Ich bin ja erst dreizehn Jahr alt.«
»Emilia Wallroth geht auch mit, und sie ist nicht älter als du,« wirft Tante Lovisa ein.
Ach, alle sind gegen mich, das sehe ich wohl, Vater, Mutter und Tante Lovisa! Das ist eine zu große Übermacht, und mir bleibt nichts anderes übrig, als in Tränen auszubrechen.
»Aber, liebes Kind, du brauchst doch nicht zu weinen, weil wir dich auf den Ball nach Sunne fahren lassen wollen, damit du vergnügt bist,« sagt Vater.
»Aber ich werde gar nicht vergnügt sein,« schluchze ich. »Mit mir will ja niemand tanzen, weil ich hinke.«
Ich bin nicht zornig, denn seit ich damals mit Onkel Wachenfeldt Karten gespielt habe, ist der Zorn überwunden. Und Vater ist auch nicht zornig. Er meint nur, es sei recht sonderbar von mir.
Aber er weiß nicht, wie das ist, wenn alle andern Mädchen zum Tanz aufgefordert werden, nur ich allein nicht. Oder wenn man nur zu einer Française aufgefordert wird, aber bloß von solchen Herren, mit denen die andern Mädchen nicht tanzen mögen.
»Jetzt darfst du deinen Launen nicht die Zügel schießen lassen,« sagt Vater, und es klingt wirklich streng. »Ich will nichts weiter hören, als daß meine Mädchen an dem Tag, wo der Ball stattfindet, nach Sunne fahren.«
»Ich meine aber auch, man könnte sie warten lassen, bis sie wenigstens fünfzehn ist,« sagt Tante Lovisa, die mir jetzt, wo es zu spät ist, zu Hilfe kommen will. Es wäre besser gewesen, sie hätte vorhin nicht das von Emilia Wallroth gesagt.
»Ja, das könnte sie allerdings,« erwidert Vater; »aber wer weiß, ob es dann einen Ball in Sunne gibt. In den letzten Jahren ist überhaupt keiner veranstaltet worden.«
Ich weiß, Vater kann es nicht leiden, wenn wir weinen, und ich hätte die Erlaubnis, daheim zu bleiben, viel eher erreicht, wenn ich froh ausgesehen und gelacht hätte. Aber jetzt kann ich gar nicht aufhören zu weinen, während des ganzen Essens laufen mir die Tränen die Wangen herunter.
Und auch nachher, als ich nach Tisch ausruhe, muß ich immer noch weiter weinen, ebenso während der Unterrichtsstunden am Nachmittag und während wir unsere Aufgaben lernen und während wir draußen rodeln, ach, und auch die ganze Zeit nachher, wo wir mit unsern Handarbeiten im Eßzimmer um den runden Tisch vor dem Sofa sitzen.
Gerda ist stets mit dem Weinen bei der Hand, wenn sie ihre Aufgaben nicht kann, aber ich glaube nicht, daß sie einmal von Mittag bis zur Schlafenszeit so in einem fort geweint hat wie ich an dem Tag.
Als Mutter an dem Abend zu uns heraufkommt und mit uns betet, versuche ich die Tränen zu unterdrücken. Ich kann auch das Vaterunser und »Der Herr segne uns« hersagen, aber bei »Gott im Himmel droben« und »Es geht ein Engel« versagt mir die Stimme.
»Aber weinst du denn wirklich nur dieses Balles wegen, oder ist da noch etwas anderes?« fragt Mutter.
»Ach. Mutter, kannst du nicht Vater für mich bitten, daß ich zu Hause bleiben darf?« sage ich und halte Mutters Hand fest.
»Mein liebes Kind. Vater denkt ja nur, daß du vergnügt sein sollst.« erwidert Mutter.
»Aber ich werde eben nicht zum Tanzen aufgefordert!« schluchze ich. »Du weißt es, Mutter, ich werde nicht zum Tanzen kommen.«
»Gewiß wirst du tanzen,« erwidert Mutter, und dann geht sie.
Das erste, woran ich denke, als ich am nächsten Morgen aufwache, ist, daß heute der Ball stattfindet, und da fange ich auch gleich wieder zu weinen an. Es ist mir unbegreiflich, wie man so viele Tränen in seinen Augen haben kann; sie fließen ununterbrochen weiter.
Anna und Gerda unterhalten sich darüber, wer wohl den Ball eröffnen und mit wem Anna den ersten Walzer tanzen wird, und ob die Fräulein Maule in weißen Kleidern kommen werden. Anna hat ihr Haar in Lockenwickel gewickelt, und sie ist sehr besorgt, ob die Locken auch bis zum Schluß des Balles halten. Aber je mehr sie von dem allem reden, desto heftiger weine ich. Wenn ich aufhören könnte, würde ich es gewiß tun, aber das steht nicht in meiner Macht.
»Du solltest dich aber doch in acht nehmen, Selma; wenn du auf diese Weise weiter weinst, hast du heute abend ganz rote Augen,« sagt Anna.
Und ich gebe mir gewiß alle Mühe, nicht mehr zu weinen, aber es hilft alles nichts.
Den ganzen Vormittag sind Anna und Mutter und Elin Laurell mit ihren Kleidern beschäftigt. Sie heften Halskrausen ein, plätten gestärkte Kleider und probieren ihre Schuhe an, kurzum, sie machen sich so fein wie möglich. Tante Lovisa sagt, wie sonderbar es doch sei, daß man mit geschlossenem Hals und langen Ärmeln auf einen Ball gehen könne. Das wäre in ihrer Jugend durchaus nicht möglich gewesen. Aber Mutter erwidert ihr, Anna und ich seien ja noch Kinder, deshalb könnten wir den Ball gut in gewöhnlichen Gesellschaftskleidern mitmachen.
Im Lauf des Vormittags gehe ich ins Eßzimmer, wo Vater wie gewöhnlich im Schaukelstuhl sitzt und die Wärmlandszeitung liest. Ich stelle mich neben ihn mit einem Fuß auf der Schaukelstuhlkufe und lege ihm die Hand auf die Schulter.
»Nun, was möchtest du denn?« fragt er und wendet sich mir zu.
»Ach, Vater, kann ich denn nicht von dem Ball wegbleiben?« sage ich, und ich bitte ihn gar herzlich, denn in mir ist die Hoffnung aufgestiegen, wenn ich nur recht lieb und demütig bitte, könnte ich Vater doch noch überreden. Ich habe auch die Absicht, Vater daran zu erinnern, daß ich ja seinetwegen die ganze Bibel gelesen habe. Ich meine, wenn er daran denkt, müßte er mir eigentlich erlauben, zu Hause zu bleiben.
»Und ich werde gar nicht zum Tanzen aufgefordert, das weißt du wohl, Vater; niemand will mit mir tanzen, weil ich ja hinke.«
Aber weiter komme ich nicht. Ich fange an zu schluchzen und kann kein Wort mehr herausbringen.
Vater erwidert nichts, aber er steht von dem Schaukelstuhl auf, nimmt mich bei der Hand und führt mich in die Küche hinaus. Dort befiehlt er der Haushälterin, mir ein recht gutes Butterbrot mit Käse darauf zu geben. Und dann geht er seiner Wege.
Ach, ich verstehe, ich soll gezwungen werden, mit auf den Ball zu gehen. Am liebsten hätte ich das Butterbrot auf den Boden geworfen; aber ich tu es nicht, weil ich nie mehr zornig werden will, damit das Ungeheuer in meinem Innern nicht loskommen kann.
Und ich benehme mich nun in jeder Weise richtig und anständig, nur das Weinen kann ich nicht unterdrücken. Ich weine beim Mittagessen, und ich weine auch nachher. Ich weine, während wir uns zum Ball ankleiden, ja, ich weine immer weiter, bis wir uns in den Schlitten setzen und in die Schlittendecken gehüllt werden.
Da endlich müssen die Tränen verstanden haben, daß sie für nichts und wieder nichts herabtropfen. Und als wir nach Sunne hineinfahren, sitze ich mit trockenen Augen im Schlitten.
Ich habe ein graues, mit blauen Litzen garniertes Barègekleid an und dazu Annas hellgraue, mit roten Nesteln geschnürte Zeugstiefelchen. Vorne an meinem Halse steckt eine rosa Bandrosette, die sehr schön ist, und die ich von Onkel Kalle zu Weihnachten bekommen habe, denn er verehrt uns stets so schöne Weihnachtsgeschenke. Das Haar hat mir Tante Lovisa gemacht, es liegt ganz glatt um meine Schläfen und ist im Nacken in einem großen Knoten aufgesteckt.
Übrigens ist es ganz einerlei, wie ich angezogen bin, denn mein Gesicht ist voller Tränenspuren, und meine Augen sind von dem vielen Weinen rot und verschwollen. Ich bin furchtbar häßlich; selbst wenn ich gar nicht hinkte, würde kein Mensch mit mir tanzen wollen.
Vor dem Ballsaal ist ein kleiner Salon, und als wir da hineinkommen, sagen uns die Wallrothschen Töchter, die Fräulein Maule seien noch nicht fertig, denn sie kämen in dünnen weißen Kleidern, und damit diese nicht zerknittert ankämen, müßten zwei Dienstmädchen sie an einer Querstange bis nach Sunne tragen.
»Ja, das können die schon tun, weil sie nicht einmal eine Viertelmeile bis hierher haben,« sagt Anna. Und wir alle miteinander denken, das sei doch furchtbar vornehm.
Ich aber denke im stillen: Anna und Hilda sind doch besonders schön, und wie schön auch die andern sich zu machen versuchen, so können sie doch niemals so schön werden wie diese beiden.
Als die Fräulein Maule dann herein kommen, muß ich allerdings zugeben, daß sie überaus fein aussehen und reizend und liebenswürdig sind, aber doch nicht so wie Anna und Hilda, das kann ich nicht anerkennen.
Emilia Wallroth ist gar nicht hübsch, aber alle sagen, sie sei sehr anziehend. Sie tanzt und tanzt auch immerfort. Es tut nichts, daß sie nicht hübsch ist, sie ist liebenswürdig und lustig, selbst wenn sie hinkte, würde sie doch zu jedem Tanz aufgefordert.
Jetzt ist der Salon ganz voll von Frauen und Mädchen. Nun sind gewiß alle Gäste da, denn die Musik stimmt an. Es ist das Bläserquartett von Ost-Ämtervik, denn in Sunne gibt es keine Musikanten.
Gutsbesitzer Wilhelm Stenbäck auf Björsbyholm tritt jetzt in den Salon und sagt, da seit wenigstens zwanzig Jahren zum erstenmal wieder ein Ball in Sunne stattfinde, schlage er vor, das Fest, wie es bei feierlichen Gelegenheiten Sitte sei, mit einer Polonäse zu eröffnen. Und darin stimmen alle überein mit ihm.
Die alten Herren kommen nun in den Salon herein und engagieren die alten Damen, Frau Maule und Frau Hellstedt und Frau Pettersson und Frau Bergman und Frau Wallroth und Frau Lagerlöf, und ziehen Arm in Arm mit ihnen in den Ballsaal hinein. Und dann kommen auch die jungen Herrn; sie verbeugen sich vor den jungen Mädchen und führen sie zum Tanz. Zuletzt ist niemand anders mehr im Salon als ich und Mamsell Eriksson von Skäggeberg. Mamsell Eriksson ist aber gut fünfzig Jahr alt und hat dünne, gelbe, in Schnecken aufgesteckte Zöpfe und lange gelbe Zähne.
Auf dem Ball ist auch ein fremder Herr, den wir vorher nicht gesehen haben. Er trägt eine Uniform, und es heißt, er sei der Eisenbahninspektor von Kil. Er kennt eigentlich niemand, und als er in den Salon hereinkommt, um eine Dame aufzufordern, sind außer Mamsell Eriksson und mir schon alle vergeben. Ich frage mich, welche von uns beiden er wohl wählen wird; aber siehe, er macht rasch kehrt und wählt keine von uns. Da sitzen wir nun, ich und Mamsell Eriksson, aber wir sprechen nicht miteinander, mir aber ist es jedenfalls sehr lieb, daß sie da neben mir sitzt, weil ich nun doch nicht ganz allein bin.
Bisweilen halte ich es für recht gut, daß mich niemand zum Tanz auffordert, denn nun wird Vater ja sehen, wie wahr es war, als ich ihm sagte, es werde niemand mit mir tanzen wollen. Aber das ist nur ein schlechter Trost, und ich bin deshalb doch ebenso unglücklich.
Und ich mache mir allerlei Gedanken über Mamsell Eriksson. Wer kann sie gezwungen haben, diesen Ball mitzumachen? Denn aus freien Stücken ist sie wohl nicht hergekommen.
Als die Polonäse zu Ende ist, kehrt die Gesellschaft wieder in den Salon zurück, und alle miteinander, die Alten und die Jungen, sind sehr vergnügt und angeregt. Mutter läßt sich zwischen Frau Maule und Frau Hellstedt auf dem Sofa nieder; sie plaudern und lachen, wie wenn sie von jeher gut Freund gewesen wären. Anna setzt sich neben Hilda Ignelius, und sie tuscheln miteinander, und Hilda Wallroth kommt Arm in Arm mit Julia Maule herein.
Dann wird wieder getanzt, Walzer, Polka, Française und Walzer, Polka, Française immer aufs neue.
Und Anna und Hilda und Emilia werden natürlich zu jedem Tanz aufgefordert.
Sie sind alle sehr lustig, und Hilda kommt zu mir her, mir etwas Freundliches zu sagen, das mich aufheitern soll. Sie fordert mich auf, mit ihr in den Saal zu kommen und wenigstens dem Tanz zuzusehen.
Aber nein, das will ich gewiß nicht. Ich weiß nicht, was ich antworten soll; aber nun kommt mir Anna ganz rasch zu Hilfe und sagt, es sei am besten, man spreche jetzt nicht mit Selma, weil sie sonst am Ende wieder zu weinen anfange.
Mutter und die andern Frauen tanzen nach der Eröffnungspolonäse nicht mehr, aber nach einer Weile gehen sie in den Ballsaal und sehen der Jugend zu. Dann ist es wieder ganz leer im Salon, nur Mamsell Eriksson und ich bleiben zurück. Wir zwei, wir bleiben den ganzen Abend als Mauerblümchen auf unsern Plätzen sitzen.
Und ich versuche an alle die Menschen zu denken, denen es schlecht geht, an die Kranken, an die Armen, an die Blinden. Ach, sollte es wirklich des Grämens wert sein, wenn man auf einem Ball nicht zum Tanzen kommt?
Ich frage mich, ob es wohl eine Strafe für etwas ist, was ich getan oder gesagt habe, oder ob ich dadurch lernen soll, demütig zu werden?
Ich muß an Mamsell Broström denken, von der Vater öfters erzählt. Diese hatten die Gymnasiasten auf einen Maskenball eingeladen, sie aber dann die ganze Zeit über vernachlässigt. Ich hatte mich immer gewundert, was sie wohl gedacht hätte, als sie immerfort allein dasaß und den ganzen Abend nicht zum Tanzen aufgefordert wurde.
Sie hat gewiß gedacht, es sei doch merkwürdig, denn sie habe gar nicht gewußt, wie unliebenswürdig sie sei, so unliebenswürdig, daß niemand mit ihr tanzen, ja, sich auch nur mit ihr unterhalten wolle. Denn genau so denke ich jetzt von mir.
Am nächsten Morgen beim Frühstück erzählen Mutter und Elin Laurell und Anna, Vater und Tante Lovisa von dem Ball, wie vergnügt sie gewesen und wie schön und wohlgelungen alles war. Ich sage natürlich gar nichts, denn ich habe ja nichts zu erzählen. Aber als Anna alle die aufzählt, mit denen sie getanzt hat, fragt Vater plötzlich: »Nun, und Selma?«
»Ja, Selma ist gar nicht zum Tanzen gekommen,« sagt Mutter. »Sie war wohl noch zu klein.«
Da schweigt Vater erst eine Weile, aber dann sagt er:
»Was meinst du, Luise? Sollen wir nicht nach Stockholm schreiben und bei Onkel Afzelius anfragen, ob Selma noch einen Winter bei ihnen sein könnte, um wieder in die Heilgymnastik zu gehen? Das letzte Mal hat ihr das doch so sehr viel geholfen. Ich möchte sie doch ganz gesund sehen, ehe ich sterbe.«
Ich mache große Augen. Vielleicht hat sich Vater gestern abend doch Vorwürfe gemacht, weil er mich gezwungen hatte, den Ball mitzumachen. Vielleicht hat er sich deshalb den Plan ausgedacht, mich noch einmal nach Stockholm zu schicken.
Oh, es gibt doch niemand, der so lieb ist wie mein Vater!