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XXX.
Klara an Klairant.

Ich habe deinen lezten Brief, Klairant, und danke dir für die unbeschreibliche Ruhe, die jezt meine ganze Seele füllt. Ja, mein Herz hat sich in deinem Briefe wiedergefunden. O, wie kannst du mir sagen, ich soll das nicht für Wahn, für einen Traum halten, was so lebendig in mir ist! Ich fühle es, wie mich selbst, daß wir zu diesem Glüke, zu keinem anderen, geboren sind. Und eben dieses Gefühl, diese Liebe zur Natur, zur Einsamkeit, zu einem Leben voll der harmlosesten Unschuld, voll des einfachsten Glükes; dieses Herz, das so empfindlich für Anderer Freude und Leiden ist: das, Klairant, macht unsre Liebe so unüberwindlich. Mein Vater hätte sie längst besiegt, wenn sie etwas anderes, als Unschuld, als Tugend, wäre.

Diesen Brief von dir les' ich am öftesten. Ja, Klairant, es ist wahr: unaufhörlich schaff' ich in den Lahnthälern, die ich so liebe, ein Paradies für dich und mich. Und dabei fühl' ich, daß wir, bei unsren Herzen, nie ganz unglüklich werden können. Ich bin oft so ruhig, ja, wenn ich deine Briefe lese, oft so fröhlich! Die Entscheidung ist nahe, Klairant? Ist sie das, ist sie das? Mein Herz würde jauchzen, so entschlossen ich auch bin, unser Glük geduldig abzuwarten. Ich bin dein, Klairant. Frag mich nicht; handle. Was du auch von mir verlangst, wann und wie du es verlangst – ich bin dein!

Longwy ist über. Klairant, die Angst meiner Mutter zeigt mir, was ich gelitten hätte, wenn du Soldat geblieben wärest. Kommt ein Brief, so wird meine Mutter bleich. Sie will eine Frage thun, und die Worte ersterben ihr auf den Lippen. Da steht sie, und betrachtet meinen Vater, während er liest, mit Bliken, die sich nicht beschreiben lassen, in denen Furcht und Verzweiflung mit der Hoffnung ringen. Kommt ein Brief von meinem Bruder selbst, so lacht der Himmel in ihren Augen. Sie zittert vor Freude, wenn sie hört, daß er gesund ist.

Du glaubst nicht, welch eine Scene das war, als er zur Armee abgieng. Meine Mutter hielt ihn lange in ihren Armen, und benezte ihn mit heissen Thränen. Endlich sagte sie, was ihr Herz ihr gewiß nicht eingab: »sei brav, mein Sohn!« Und in diesem Augenblike schien ihre Empfindung die einmal geöffneten Lippen zu überwältigen; sie schrie laut auf, und bat den Himmel um Erbarmen. Meines Vaters gerunzelte Stirn schien sie zu sich selbst zu bringen. »Leb wohl!« sagte sie. »Ach denke, mein Sohn, daß du eine Mutter hast.« Sie gieng, aber nach einigen Augenbliken war sie wieder da: sie hatte ihm noch immer etwas zu sagen, um ihn nur noch einmal küssen zu können. Als er endlich gehen wollte, umarmte sie mich, und drükte mich so seltsam, so heftig an sich, als ob sie sich zu betäuben suchte. Mein Vater umfaßte meinen Bruder, und sagte ihm: deine Ehre hat dich aufgefordert, Soldat zu werden; so wie sie dich nun auffordert, ein Mann zu seyn und dein Leben nicht zu achten. Mein Bruder schien für seine Lage keine Empfindung zu haben und die ganze Scene gern abbrechen zu wollen. Er flog in vollem Gallop dahin; aber gewiß hat er empfunden, was er uns Allen ist. Noch den Abend vorher fand ich ihn in einem Lehnstuhle sizen, und es rollten helle Thränen aus seinen Augen, die er mit den Fingern bedekte.

Bruder, sagte ich, laß unsre Mutter die Thränen nicht sehen. – »O,« erwiederte er, »mag die ganze Welt sie sehen! Ich schäme mich nicht ein Mensch zu seyn.« Was ich dabei gelitten habe, kannst du leicht denken. – Wir haben Briefe von ihm aus Longwy. Er ist gesund. Wie es zugeht, weiß ich nicht; aber – ich nehme keinen Theil mehr an der allgemeinen Freude, welche der glükliche Anfang des Feldzuges hier verursacht. Sie ist unbeschreiblich. Am meisten wundern mich die ungeheuren Plane zu Aufwand und Verschwendung, die man sogleich wieder machte. Mein Vater meint, die lange Verbannung müsse den größten Theil der Emigrirten gebessert haben; ich glaube das aber nicht: die Verbannung ist ihnen nichts als eine Zeit der Entbehrung, die sie durch desto stärkeren Genuß wieder einbringen wollen. Als die Nachricht kam, daß Longwy eingenommen wäre – wir waren gerade in einer grossen Gesellschaft, als die Tochter des Marschalls von V** einen Brief durch eine Stafette erhielt. Man sah, daß sie etwas Angenehmes las, und drängte sich um sie her. »Ha!« rief sie mit einem unbeschreiblichen Entzüken, und umarmte die Marquise von C**: »Ha! es ist richtig! – Freuen Sie Sich! wir sehen wieder die Oper!« Nun erhob sich ein Händeklatschen, ein lautes Freudengeschrei, unter dem man nun die Wörter: »Oper, Theater, Ball, Boulevard,« verstehen konnte. Und fast Alle haben sie Verwandten, die in Gefängnissen sizen, und auch Verwandte bei der Armee, die geblieben seyn konnten. »Die Festung ist ohne Blutvergießen übergegangen,« las man weiter. Gott Lob! seufzten ein Paar Mütter, die doch menschlich genug waren, ihre Söhne nicht über Paris zu vergessen, das hier bei den Meisten alle andern Gedanken und Empfindungen verschlingt.

Nein, Klairant, ich konnte keinen Theil an dieser Freude nehmen, und blieb bei der Nachricht kalt. Ist man doch kalt und ungerührt bei meinem Zustande. Niemand ... – Doch meine Mutter will ich ausnehmen. Gestern sah sie, daß ich mir Papier und Feder holte, und fragte, an wen ich schreiben wollte. Ich nannte du Plessis. Sie lächelte, und sagte: »es wird ihm lieb seyn, seine alten Freunde wiederzusehen, besonders den Freund seiner Jugend. – Grüsse ihn von mir!« sezte sie zweideutig hinzu. Ich küßte ihr die Hand. »O mein Kind,« fuhr sie fort; »ich konnte dein Schiksal nicht bestimmen. Grüße ihn!« – Du Plessis, oder den Freund seiner Jugend? Ihre Miene war, als ob sie sich freuete, daß ihr »Grüße ihn!« auf Beide gehen konnte. Es kann nicht lange mehr dauren, meint man, so wird man in Paris seyn. Die B** haben, ich glaube für das lezte Silberzeug, das sie hatten, einen prächtigen Wagen gekauft, um ihren Einzug in Frankreich recht stattlich halten zu können. In Longwy soll die Freude des Volkes über die Wiederherstellung der Ordnung unbeschreiblich groß gewesen seyn. Wohin es nun geht, weiß noch Niemand; man meint aber, gerade nach Paris.

Klairant, darf ich noch die einzige furchtsame Bitte thun, dich der Gefahr zu entziehen, in die du gerathen könntest? Vielleicht bist du schon fort; vielleicht ist die Angst vergeblich, die ich noch so lange haben werde, bis ich Briefe von dir bekomme. Lieber Klairant, ich wüßte wohl einen Ort, wo du Sicherheit und Glük finden könntest: das Herz deiner Klara. Ich zittre für dich; denn du kannst nicht schweigen. Laß sie doch ihre weit ausgedehnten Ansprüche, selbst ihre ungerechten Forderungen geltend machen; was geht es uns an? Laß sie alle Vorrechte, alle Gewalt wieder an sich reissen! So lange sie die Kunst nicht verstehen, uns unsere Liebe zu nehmen, so lange können sie nicht ungerecht gegen uns seyn. Ich bitte dich, Klairant, geh' ihnen aus dem Wege und schweig.

 

*

 


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