Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.
Klara an Klairant.

Ich weiß schon, Klairant, daß du meinen ersten Brief nicht bekommen hast. Der Post ist nicht mehr zu trauen. Ich muß warten, bis mein Vater Briefe abschikt; aber da kostet es denn bisweilen noch Kunst, meinen Brief in eins von den Couverts zu schaffen, die mein Bruder mir gegeben hat. Du siehst, ich kann dir jezt nicht mehr oft schreiben; aber desto längere Briefe sollst du bekommen.

Ich hätte viele Ursachen traurig zu seyn, lieber Klairant; aber – der Himmel mag wissen, wie es zugeht – ich bin es nicht. Mein Bruder trägt jezt Uniform, und der Anblik hat uns viele Thränen gekostet. Meine Mutter, die seit einiger Zeit weichherziger ist als sonst, und vielleicht auch schwächer seyn mag als sie sagt, schrie laut auf, als sie ihn zum erstenmal in der Uniform sah, ob sie gleich wußte, daß er so gekleidet kommen würde. Sie bedekte die Augen mit ihrem Taschentuche, und man sah an der heftigen Bewegung ihrer Brust, wie stark ihre Seele litt. Endlich gieng sie, ohne einen zweiten Blik auf meinen Bruder zu werfen, zu meinem Vater, der schweigend da gestanden hatte, ergriff seine Hemd, und sagte mit gebrochener Stimme: »Gott gebe, daß alles gut geht! O, es wäre wahrlich zu viel!« – Mein Vater, auf dessen Befehl mein Bruder in Dienst gegangen ist, schien ein wenig erschüttert. Jezt wendete meine Mutter sich auf einmal zu Plessis, drükte ihn an ihre Brust, benezte die Uniform mit Thränen, und sagte dann zu meinem Vater: »es ist doch auch mein Sohn:« Nun führte sie mich und Plessis vor meinen Vater hin, und sagte mit einem sehr rührenden Tone: »du hast es gewollt; aber Beide sind doch auch meine Kinder!« – Was sollte das, Klairant? Warum das auch von mir? so frag ich mich seitdem. – Sie schloß uns Beide in ihre Arme, und weinte laut und herzlich. Mein Bruder troknete ihre Thränen von der Uniform. Sie sah das lächelnd an, und sagte schmerzlich: »Gott gebe, daß nicht einmal Blut das Kleid benezt; dein Vater würde sehr leiden!« In der Mitte zwischen uns Dreien stehend, hob sie Augen und Hände andächtig auf, und sagte: »o, heiliger Gott, ich glaubte deinen Willen besser zu kennen, als mein Mann, gieb, daß er ihn nicht ganz verkannt hat! Und hat er ihn verkannt; sollten sie...« – Ohne zu vollenden, blikte sie mit Thränen auf mich und meinen Bruder; dann hob sie plözlich Stimme, Augen und Hände, und rief: »so gieb uns Geduld, und allen eine sanfte Reue!« Sie drehete sich schnell um, und verließ sogleich das Zimmer. Meines Vaters Blik hieng starr an der Erde; mein Bruder sah mich gerührt an, und mir liefen die Thränen von den Wangen. Ich kann nicht beschreiben, wie mir war; ich knieete vor meinem Vater nieder, ohne zu wissen, warum, und mein Bruder neben mir. Mein Vater rief zitternd: »um Gottes willen! was macht ihr? Kinder, ihr tödtet mich!« Er verließ das Zimmer. Ich und mein Bruder lagen allein auf den Knieen neben einander, umarmten uns, und wußten nicht, wie uns geschehen war.

Seitdem ist meine Mutter stiller geworden, als gewöhnlich, und mein Vater wieder viel gefälliger gegen uns Alle, selbst gegen mich. Nach der Abreise von Koblenz nannte er mich nie: »mein Kind, meine Tochter;« sondern immer: »Klara,« oder »Mamsell du Plessis.« Meine Mutter nannte mich gerade dann immer: »mein liebstes Kind.« Jezt nennt auch mein Vater mich wieder so. Glaube mir, Klairant, meine Mutter ist eine heimliche Freundin unsrer Liebe. Ach, sie schließt mich oft mit dem herzlichsten Mitleiden in ihre Arme, und es fehlt nichts mehr, als daß sie noch deinen Namen nennte.

Sieh, darüber bin ich zuweilen so heiter, daß ich mich vor Freude nicht zu fassen weiß. Und zu dem allen nun das reizende Frühjahr, und die schönen umliegenden Gegenden, die allmählig unter dem tausendfachen Gesange der Lerchen grün werden.

Jezt lerne ich auch recht viel Deutsch. Das Lesen ist schwerer, als das Sprechen. Wir wohnen bei einem Geistlichen, der seine Nichte, ein junges, munteres Mädchen, bei sich hat. Es reden sehr viele Deutsche Französisch, doch immer, als ob sie predigten; und dagegen sprechen sie ihre Sprache so entsezlich schnell, daß man nicht einmal die Töne genau hört. Ich muß immer laut auflachen, wenn das Mädchen mir den Vorwurf macht, daß ich so schnell spreche, und mir die Deutschen zum Beispiel vorhält. Du weißt, wie langsam ich gewöhnlich rede. – Mit dem Mädchen laufe ich nun täglich umher, und es wird einen Tag Französisch, den andern Deutsch gesprochen. Ich lerne aber – sieh, wie vorsichtig ich bin! – auch mit den Bauerweibern reden, und nach gerade fängt man an mich zu verstehen. Zwar lächelt man wohl noch ein wenig über mich; aber man lacht doch nicht mehr. Ich spreche jezt, denke ich, wohl sogar, wie du Klairant; und im Elsaß, sagt man mir, soll das Deutsch nicht einmal viel taugen.

Du mußt dir nur nicht etwa einbilden, daß ich weiter nichts thue, als lachen; nein, bisweilen bin ich auch eine Kopfhängerin, und dann bringt man kein Wort von mir heraus, weder Französisch noch Deutsch. Ich würde nicht vergnügt, und wenn alle Lerchen der Welt um mich her sängen. Das ist so ein Tag, da ich auf einen Brief von dir gehoft, und keinen bekommen habe. Dann such' ich mir alle Blümchen zwischen den Grashalmen zusammen; binde sie in einen Strauß, werfe sie in den Rhein, und lasse sie den Fluß hinunter schwimmen. Meine Begleiterin fragt wohl: für wen soll denn das? und will sich todt lachen, wenn ich antworte: für meinen Geliebten.« Es ist seltsam genug: das Mädchen weiß von nichts, als von Heirathen. Die Liebe ist in ihren Augen bald eine Sünde, bald Verrüktheit, bald wieder gar nichts. – –

Der Garten des Kurfürsten ist sehr schön, und man hat von da die vortreflichste Aussicht über zwei große Flüsse, die immer voll Schiffe sind. Ueberhaupt, Klairant, mußt du nicht von Deutschland glauben, was man gewöhnlich davon sagt; es ist vieles ganz anders. Man kennt die Deutschen nicht, weil man ihre Sprache nicht lernen will.

Sieh, lieber Klairant, so lebe ich, wenn ich anders, von dir getrennt, noch sagen kann, daß ich lebe. Du wirst mich leichtsinnig nennen; denn der Krieg mit dem Kaiser ist erklärt. Aber, lieber Klairant, du weißt ja, daß auf Eine Weise unser Schiksal entschieden werden muß. Als mein Vater die Nachricht bekam, sagte er: nun wird es sich bald zeigen, ob ich der Vicomte du Plessis bin, oder ein verbannter Unglüklicher. Mir schlug das Herz vor Freude. Ach, flisterte ich; und nun wird es sich bald zeigen, wem ich angehöre: meinem Klairant oder dem Grabe. Während des Winters schien es zuweilen, als ob Deutschland den Adel ohne Hülfe lassen wollte. Es wurde ihm sogar befohlen, seine Bewaffnungen einzustellen; aber man glaubte nicht, daß es damit Ernst wäre. Jezt ist es gewiß, daß der Kaiser, der König von Preussen, und Russland die Sache unseres guten Königs übernommen haben. Siehst du nun wohl, Klairant, daß der Fall, den ich prophezeite, eintrifft? siehst du, daß es gut war, dich daran zu erinnern? Unsre Armee soll achtzigtausend Mann stark seyn. Rechne nun alle Deutschen Truppen dazu, Klairant; dann wirst du leicht einsehen, daß wir Beide bald ausserhalb Frankreichs leben müssen. Und darum freue ich mich auch so sehr, wenn man mich einmal für eine Deutsche ansieht; ich werde es ja doch bald seyn.

Mit dem Anfange der besseren Jahreszeit wird unsre Armee marschiren. O, ich bitte dich, Klairant, warte den Sturm nicht ab! Wenn ich mir vorstelle, du wärest dann noch dort – ich zittre vor Angst. Rette dich, Klairant! rette dich in meine Arme; hier wohnen Friede, Ruhe und Liebe. Ich habe mich hier schon nach einsamen, verschlossenen Gegenden erkundigt. Es giebt keine, sagt meine Freundin; aber wenn ich die blauen Bergrüken ansehe, die rund um Mainz her liegen, so zweifle ich an ihrer Versicherung. Sie kennt weiter nichts, als die Spaziergänge, die Oerter, wohin die meisten Menschen gehen; und sie wundert sich, daß ich nach einsamen, tiefen Thälern frage. Ach, Klairant, ich denke an die Zeit zurük, da auch ich um Pillon her weiter nichts kannte, als den Weg nach Chatillon, nach sonst nichts fragte, und mir einbildete, man dürfe nur dem ersten besten Wege folgen, weil doch jeder nach Pillon auf den Park zugehen müsse. Hätte ich es doch nie nöthig gehabt, nach unbesuchten, abgeschnittenen Einsamkeiten zu fragen!

Antworte mir, Klairant, so geschwind als möglich, besonders auf die Hauptsache: ob du sogleich kommen willst, wenn die Truppen in Frankreich einbrechen. Noch ist es nicht gewiß, ob mein Vater mit der Armee gehen oder bei uns bleiben wird; ob wir uns lange hier in Mainz aufhalten, oder nach irgend einem andern Orte ziehen werden. Warte also ja noch einen zweiten Brief von mir ab. Ach, Klairant, wenn nun der Augenblik kommt, da ich in deine Arme fliege, um ewig darin zu leben, – wie wird mir dann seyn! Wohl, sehr wohl, hoffe ich; aber auch ein wenig ängstlich: denn meine arme, gute Mutter – Doch, wird sie nicht vermuthen können, wo ihre Klara ist? und, wenn sie es weiß, wird sie dann nicht glüklich seyn?

Mein Bruder geht nach Flandern zur Armee. Ich zittere vor vor der Stunde, da er Abschied nehmen wird. Aber mußte ich doch von dir Abschied nehmen, und starb nicht vor Schmerz. Sie wird weinen, meine gute Mutter; aber nicht sterben. Ich bitte dich, Klairant, rette dich, ehe die Gefahr einbricht.

 

*

 


 << zurück weiter >>