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Um diese Zeit begab es sich, daß Prinzessin Amaranth in ihren Zauberspiegel schaute, um zu erkunden, welche Fremdlinge wieder in ihre Stadt der bunten Lampen gekommen wären. Denn Prinzessin Amaranth war eine Zauberin und den Spiegel hatte sie von ihrem alten Oheim geerbt, der ein so böser Zauberer war, daß er schließlich vor lauter Bösartigkeit zerplatzt war und nichts mehr von ihm übrig geblieben war als nur dieser Spiegel. Der Spiegel aber war aus feinstem blankgeschliffenem Silber, mit allerlei seltsamen Zeichen versehen, und wenn Prinzessin Amaranth hineinschaute, so erblickte sie darin alles, was es Neues gab in der Stadt der bunten Lampen und was für sie wert war, es zu wissen oder gar zu besitzen. Das alles sah sie in kleinen scharfen Bildern und in allen Farben des Lebens.
Als nun Prinzessin Amaranth wieder in ihren Zauberspiegel schaute, sah sie alle die vielen Menschen, Dromedare und Ochsen, die in die Stadt der bunten Lampen gekommen waren, aber es war nichts darunter, was sie zu besitzen wünschte. Größere und klügere Menschen beherrschte sie, als jene, die gekommen waren, und ihre Zugochsen und Reittiere waren schöner und edler als die anderen von Hindostan und von Samarkand. Schließlich aber erblickte sie Mantao, den Königsgaukler, in ihrem Spiegel. Sie sah ihn auf seinem purpurnen 42 Ruhebett liegen und neben ihm an die Wand gelehnt standen sein Schild und sein Schwert.
»Diese Waffen muß ich besitzen!« rief Prinzessin Amaranth und erblaßte vor Erregung. »Wenn ich diesen Schild habe, wird er nicht mehr über dem gehalten, was atmet, und seine Schützlinge gehören mir, und mit diesem Schwert weise ich selbst die letzten Engel hinweg von der Stadt der bunten Lampen. Wenn ich aber den Mann beherrsche, der beides trägt, dann will ich stolzer sein als alle Königinnen von Hindostan bis Ophir.«
Da rief Prinzessin Amaranth ihr Gesinde und sandte Boten aus, zu erkunden, wer jener Mann wäre, der im Hause der Tänzerin Herberge genommen und so kostbare Waffen führe.
Die Boten kamen wieder, lachten und berichteten, es wäre ein Gaukler mit einem Äffchen und seine Waffen wären schmucklos und einfach und keines Königs Wehrgehänge. Der Gaukler aber hieße Mantao.
Prinzessin Amaranth hatte diesen Namen schon lange in ihren geheimen Büchern gelesen und sie wußte seine Deutung.
»Narren seid ihr,« rief sie, »es ist kein Gaukler, sondern ein König und mit königlichen Ehren will ich ihn empfangen. Meine vornehmsten Ritter sollen ihn vor meinen Thron bitten, holt allen Reichtum meines Palastes, den seine Gewölbe bergen, herbei, ich aber will mich schmücken für ihn, wie ich mich noch niemals für jemand geschmückt habe!«
Da gingen die Ritter, um Mantao, den 44 Königsgaukler zu holen. Prinzessin Amaranth aber kleidete sich in ihr herrlichstes Gewand, das über und über mit Perlen bestickt war, und setzte sich ein Diadem von Opalen aufs Haupt.
Als nun die Gesandten Amaranths zum Hause der Tänzerin kamen, verneigten sie sich viele Male und baten Mantao, er möge ihnen zum Throne der Prinzessin folgen.
»Ich muß Abschied von dir nehmen,« sagte Mantao zur Tänzerin, »Prinzessin Amaranth ruft mich zu sich an ihren Thron. Habe Dank für deine Herberge und deine Liebe.«
Da weinte die Tänzerin Myramar, die gestern noch gelacht hatte.
»Siehe,« sagte Mantao, »ich darf keinem und keiner gehören. Ich bin ein Schildträger Brahmas und muß meinen Pfad wandern als ein Einsamer, um meinen Schild zu halten, über allem, was atmet. Wir folgen alle den Fäden, bis wir sie gelöst haben. Aber den Faden, den deine Seele zu meiner Seele spann, will ich nicht zerreißen. Der Erhabene segne dich. Ich will meinen Schild über dir halten, wenn deine Lampe erlöscht.«
Da nahm Myramar, die Tänzerin, Abschied von Mantao, dem Königsgaukler.
Mantao aber nahm seinen Schild und sein Schwert, hob den kleinen Affen auf seine Arme und folgte den Gesandten zum Palast der Prinzessin Amaranth.
Als Mantao den Königssaal betrat, stieg 45 Prinzessin Amaranth die Stufen ihres Thrones herab und neigte sich vor ihm.
»Noch niemals hat ein so königlicher Mann diesen Saal betreten,« sagte sie, »aber mich dünkt, deine Waffen sind nicht eines Königs Waffen, sondern die Waffen eines Gauklers. Lege sie ab und wähle dir aus meiner Waffenkammer das, was dir am schönsten erscheint.«
Mantao sah um sich und erblickte zu seinen Füßen die herrlichsten Waffen, Schilde und Schwerter von solchem Glanz und von so kunstvoller Arbeit, wie er sie noch nie gesehen. Der kleine Affe aber wimmerte leise und verkroch sich unter Mantaos Schild. Mantao faßte seinen Schild und sein Schwert fester.
»Diese Waffen gebe ich nicht her,« sagte er, »es sind heilige Waffen, wenn sie dir auch als eines Gauklers Waffen erscheinen.«
»Ich will mich gerne von dir belehren lassen,« sagte Prinzessin Amaranth, »behalte deine Waffen, wie es dir beliebt, aber bleibe bei mir in meinem Königsschlosse und sei mein Gemahl. Alle Macht, die in meinen Händen ist, will ich dir schenken und dir dienen, und du sollst die Stadt der bunten Lampen noch bunter und lachender gestalten, als jetzt.«
Die Minister machten noch dümmere Gesichter als sonst, als sie hörten, der Gaukler im seltsamen, ärmlichen Gewand solle ihr König werden. Nur ein Minister, ein häßlicher dürrer Mann mit einem einzigen Auge auf der Stirn, lächelte listig und wandte sich zu Prinzessin Amaranth.
46 »Es nützt dir nichts,« flüsterte er, »wenn er auch dein Gemahl wird. Seine Waffen werden herrschen über dich und über die Stadt der bunten Lampen. Du mußt ihn von dem Affen trennen, über den er zuerst seinen Schild gehalten hat. Dann hast du ihn entwaffnet und du wirst herrschen über ihn und über ganz Indien.«
Mantao sah die Königin an und er sah, daß sie sehr schön war. Er wußte auch, daß es eine große Macht war, die ihm angeboten wurde.
»Siehe, wie ich mich für dich geschmückt habe,« sagte Prinzessin Amaranth und lächelte demütig. »Mein schönstes Diadem habe ich für dich angelegt und in mein herrlichstes Perlengewand habe ich mich gekleidet. So habe ich mich noch niemals für jemand geschmückt, Mantao, mein König!«
»Prinzessin Amaranth,« sagte Mantao, »die Opale deines Diadems sind kalte Steine, in denen sich kein Sonnenlicht verfangen. Sie sind matt und schillernd wie Schlangenleiber. Ich habe schönere Diademe als dieses gesehn.«
Da nahm Prinzessin Amaranth das Diadem ans ihren Haaren und legte es vor sich in den Staub.
»Prinzessin Amaranth,« sagte Mantao, »mir scheint, die Perlen deines Gewandes sind Tränen, die geweint wurden. Prinzessin Amaranth, du redest nur von einer Stadt der bunten Lampen. Gibt es nicht auch eine Stadt der erloschenen Lampen in deinem Königreich?«
47 »Ich weiß es nicht,« sagte Prinzessin Amaranth und erblaßte, »aber wenn du die Stadt der erloschenen Lampen findest – siehe, sie soll dir gehören, wie die Stadt der bunten Lampen, und du magst sie so glücklich machen, daß sie wieder eine Stadt der bunten Lampen wird.«
Mantao zauderte und überlegte.
»Nur um eines bitte ich dich,« flüsterte Prinzessin Amaranth und ihre Lippen bebten, denn sie wußte, daß alles für sie von der Gewährung dieser Bitte abhing.
»Was ist es, worum du mich bittest, Prinzessin Amaranth?«
»Trenne dich von dem Affen. Siehe, es ist ein kleines häßliches Tier, und ich will nicht, daß die Gassenkinder meinem königlichen Gemahl nachlaufen, daß ihn das Volk einen Gaukler nennt und ihn verachtet.«
Mantao erblaßte bis in die Lippen. Er sah den kleinen Affen auf seinem Arm an und dann schaute er Prinzessin Amaranth lange und tief in die Augen.
»Mir scheint, in des Affen Augen ist Brahmas ewiges Leben, das keine Verachtung kennt. Mir scheint, des Affen Augen sind schöner als deine Augen, Prinzessin Amaranth.«
So wandte sich Mantao, der Königsgaukler, und verließ den Palast der Prinzessin Amaranth und die Stadt der bunten Lampen. Und niemand wagte ihn zu halten.
48 Prinzessin Amaranth aber raste vor Wut und Enttäuschung und sie bot ihr ganzes Heer auf gegen Mantao und seinen Affen.
»Bringt mir beide, den Gaukler und seinen Affen, tot oder lebendig, daß ich meine Schmach in seinem Blute abwaschen kann.«
Da brachen Reiter und Fußvolk auf und eilten Mantao nach und sie erreichten ihn in einer öden Gegend, die zwischen der Stadt der bunten Lampen und der Stadt der erloschenen Lampen lag. Es war Nacht und die Trompeten Amaranths riefen gellend zum Kampf gegen den Gaukler und seinen Affen.
Da wandte sich Mantao, der Königsgaukler, und hielt seinen Schild über dem kleinen Affen. Sein Schwert aber erhob er zum ersten Male hoch über sein Haupt und aus dem Schwert sprangen furchtbare Flammen, denen keiner zu nahen wagte. Ein namenloses Grauen ergriff das ganze Heer und Reiter und Fußvolk jagten in wilder Flucht zurück zum Palast der Prinzessin Amaranth.
Mantao, der Königsgaukler, stand noch lange ruhig und unbeweglich da. Er hielt seinen Schild über dem kleinen Affen und die furchtbaren Flammen seines Schwertes lohten durch die dunkle Nacht.
Zur selben Stunde aber, als Mantao, der Königsgaukler, die Stadt der bunten Lampen verlassen hatte, erlosch die Lampe der Tänzerin Myramar. 49